Ein Schotte unterm Mistelzweig - Stefanie Lahme - E-Book
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Ein Schotte unterm Mistelzweig E-Book

Stefanie Lahme

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Beschreibung

Küsse niemals einen Schotten unterm Mistelzweig! Ein romantischer und humorvoller Weihnachtsroman für Fans von Lucie Castel und Jenny Colgan »›Ist der echt?‹ war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. In der Tür stand ein Highlander wie aus dem Bilderbuch. Oder, genauer gesagt, wie dem Cover einer meiner geliebten Zeitreiseromanzen entsprungen.« Ausgerechnet unter einem Mistelzweig begegnet Jessica ihrem Traummann. Leider kommt ihr jemand beim Küssen zuvor und sie muss mit Tony, seinem grantigen Bruder, vorliebnehmen, der sich als ihr Pensionswirt herausstellt. Doch während der turbulenten Weihnachtstage im Bed and Breakfast verliebt sich Jessica nicht nur in die raue Schönheit der Isle of Skye, sondern auch in den gar nicht so mürrischen Tony. Zwischen nörgelnden Pensionsgästen und verkohlten Scones setzt sie alles daran, die Pension vor dem drohenden Ruin zu retten und das Herz des spröden Schotten zu erobern. »Nicht nur zur Weihnachtszeit eine kurzweilige Ablenkung vom Alltag.« ((Leserstimme auf Netgalley))  »Eine schöne und weihnachtliche Liebesgeschichte, die für angenehme Lesestunden gesorgt hat.« ((Leserstimme auf Netgalley))  »Für mich war diese Geschichte eine Einstimmung auf die kommenden Festtage. Da gibt es nur ein Rezept, einen Tee aufgiessen sich hinsetzen und verzaubern lassen.« ((Leserstimme auf Netgalley))  

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Birgit Förster

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Annika Hanke

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Kapitel 1

Wer für seine Träume kämpft, muss auch mal frieren!

Dies war nur einer der Motivationssprüche, die ich mir seit vier Stunden aufsagte. Ich hatte ja Zeit. Zeit, die ich im langweiligsten Flughafen der Welt totschlagen musste. Der Bus nach Portree war mir vor der Nase weggefahren, und der nächste ging erst um halb sechs. Ich würde spätabends auf der Isle of Skye ankommen. Meine Laune sank auf den Nullpunkt. Genau wie die Temperaturen hier in Schottland. Ich zweifelte ernsthaft an meiner Entscheidung, Weihnachten in der Kälte zu verbringen. Da fiel mein Blick auf ein Plakat, das eines der Flughafenreisebüros zierte: Costa Rica – Pura Vida!

Das war mein Ziel! Und wenn ich es nur über den Umweg Schottland erreichen konnte, musste ich da jetzt durch. Bis zur Ankunft des Busses träumte ich von tropischen Regenwäldern, karibischen Stränden und heißen Quellen am Fuße eines Vulkans. Die Orte besaßen eine Gemeinsamkeit: Es war dort warm.

Fröstelnd zog ich den Rollenkoffer hinter mir her zur Bushaltestelle. Meine Vorgesetzte bei ErlebeTraumreisen hatte mir zwar vorgeschlagen, einen Mietwagen zu nehmen, doch allein die Vorstellung, auf der falschen Straßenseite zu fahren, brachte mein Herz zum Rasen, und das sicher nicht aus Vorfreude. Also blieb mir nur der Bus, um auf die Isle of Skye zu gelangen. Die Insel hatte sich aus mir unerfindlichen Gründen als wahrer Touristenmagnet entpuppt und hielt sich auf der Hitliste der schottischen Reiseziele auf Platz eins. Für unzählige Touristen hatte ich im vergangenen Jahr Unterkünfte auf Skye gebucht, ohne je selbst dort gewesen zu sein. Doch das würde sich bald ändern.

Mit der Wärme im Bus erwachten meine Lebensgeister, und prickelnde Vorfreude erfüllte mich. Schottland mochte zwar nicht Costa Rica sein, aber ich liebte es einfach, fremde Länder zu erkunden.

Der Bus fuhr langsam an, nur um gleich scharf abzubremsen. Mein Rollenkoffer, den ich neben meinem Sitz geparkt hatte, riss sich los und nahm Fahrt durch den Mittelgang auf. Gelähmt vor Schreck beobachtete ich, wie das Ungetüm auf Rädern wie auf Schienen zur Vordertür durchraste, zielsicher auf die Person zu, die soeben eingestiegen war.

Der Grund für das Bremsmanöver des Fahrers – und nun auch Opfer des Koffers – war eine Frau in meinem Alter, also Mitte zwanzig. Doch damit hatte es sich schon mit den Gemeinsamkeiten. Anmutig streckte sie das Bein aus und stoppte die Irrfahrt des Koffers mit einer knallroten, hochhackigen Stiefelette. Zur schwarzen Designerjeans trug sie einen farblich zum Schuhwerk passenden Rollkragenpullover und eine taillierte Lederjacke. Das blonde Haar hatte sie zu einem lässigen Dutt hochgesteckt, aus dem sich einige Strähnen lösten und ihr herzförmiges Gesicht umschmeichelten. Genau die Art von Frisur, die aussah wie mal eben so hingefummelt und die ich selbst nach stundenlanger Arbeit vor dem Spiegel nicht hinbekommen würde. Die vollen Lippen der perfekten Frau verzogen sich, und ich wappnete mich für zu Recht verärgerte Worte. Rasch stand ich auf und eilte los, um den ungezogenen Koffer einzusammeln, da fiel mir auf, dass sie lachte, auf eine ungezwungene, herzliche Art, die meine Mundwinkel wie von selbst nach oben schnellen ließ.

»Hey, das ist ja eine stürmische Begrüßung. Ist dir dein Koffer entlaufen?«

Und ich wusste: Dies war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

 

Die Fahrt nach Skye dauerte drei Stunden, die wie im Flug vergingen. Es gibt Menschen, in deren Gesellschaft ich mich gleich wohlfühle. Katja gehörte dazu. Wir teilten uns ihr Sandwich, das absolut grauenhaft schmeckte, waren uns einig darüber, dass Männer in Kilts sexy sind, und fanden heraus, dass wir beide Zeitreiseromane mit Highlandern liebten. Beinahe vergaß ich, dass wir uns erst vor wenigen Stunden kennengelernt hatten, und ließ mich dazu hinreißen, ihr von meiner geheimen Mission zu erzählen. Es fing harmlos damit an, dass wir uns über unsere Jobs austauschten. Katja arbeitete als Speditionskauffrau, und es schmeichelte mir, wie begeistert sie von meinem Beruf war. »Wow, krass, von ErlebeTraumreisen hab ich schon viel Gutes gehört. Da unternimmst du sicher viele Recherchereisen!«

»Eigentlich nicht«, gab ich zu. »Mein Gebiet ist Nordeuropa mit Schwerpunkt Irland und Großbritannien. Zum Reisen komme ich allerdings nicht viel. Meine Aufgabe besteht darin, Online-Buchungen vorzunehmen und Leute zu beraten. Reiserouten zusammenstellen und so.« Das klang in meinen Ohren stinklangweilig, doch Katja sah mich mit großen Augen an.

»Ach! Und da hast du nie Lust gehabt, diese Routen selbst mal auszuprobieren?«

»Doch. Schon. Aber …« Ich zögerte. Mein Ziel erschien mir mit einem Mal lächerlich und vermessen. Ach, was sollte es. Ich würde Katja nach dieser gemeinsamen Busfahrt vermutlich nie wiedersehen, und wenn sie mich auslachte, konnte ich damit leben. »Mein Traum ist, in die Mittelamerikaabteilung befördert zu werden. Ich möchte zu gerne nach Costa Rica reisen, nach Belize, ach, in alle exotischen Länder, in denen es warm ist und es Regenwälder und weiße Strände gibt.« Wie kitschig das klang!

»O ja!«, rief Katja schwärmerisch aus. »Hitze ist auch mein Ding. Ich komme erst bei dreißig Grad auf Betriebstemperatur. Und frag mich jetzt bloß nicht, was ich hier in Schottland will.« Sie lachte auf ihre mitreißende Weise. »Ich wette, sobald du in der Abteilung arbeitest, wirst du jede Menge Recherchereisen machen, was?«

Ich lachte mit. Es tat gut, dass jemand meine Vorliebe für heiße Länder teilte, vor allem aber, dass sie die Versetzung schon als abgemachte Sache sah. Begleitet von einem verschwörerischen Lächeln legte sie mir die Hand auf den Arm. »Dann ist das hier also so was wie deine Abschiedsreise?«

»Abschied?«, fragte ich perplex.

»Na, von Schottland und den nördlichen Gefilden. Oder bist du nicht beruflich hier unterwegs?«

»Ach so. Doch.« Erneut zögerte ich. Katja sah mich erwartungsvoll an. Fast, als wäre ich eine interessante Person. Ich senkte die Stimme. »Ich bin in geheimer Mission unterwegs.«

Begeistert kichernd beugte sich Katja vor. »Erzähl mir mehr! Dein Geheimnis ist bei mir sicher!«

»Auf der Isle of Skye gibt es eine Frühstückspension, ein typisches Bed and Breakfast, mit dem ErlebeTraumreisen kooperiert. Die Pension ist fest in unserem Programm, wir schicken oft Kunden her, und bis vor ein paar Monaten waren alle begeistert. Seit August hagelt es aber schlechte Kritiken. Ein paar Gäste haben sogar ihr Geld zurückverlangt.«

Katja hob die Hand. »Ah, lass mich raten! Deine Aufgabe besteht darin, als gewöhnliche Touristin in dem B&B einzuchecken, damit du herausfinden kannst, was an den Beschwerden dran ist. Darf ich fragen, welches B&B du mit deiner kritischen Anwesenheit beehren wirst?«

»Hm, eigentlich …«

»Es ist aber nicht das Otterview, oder?«

Vermutlich wurde ich reichlich blass, denn Katja schlug sich die Hand vor den Mund. »Nein! Echt jetzt?«

Ich nickte stumm. Was für ein blöder Zufall war das bitte? Andererseits … die Isle of Skye war nicht so groß, und viele Unterkünfte hatten über Weihnachten geschlossen. Die Chancen standen relativ gut, dass Katja ausgerechnet das Otterview gebucht hatte. Verärgert über meine Gedankenlosigkeit wandte ich mich ab und starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Sicher fuhren wir gerade durch die schönste schottische Landschaft, nur sahen wir leider nichts davon.

»Mach dir keinen Kopf«, hörte ich Katja tröstend sagen. »Ich bin nicht anspruchsvoll. Wenn es keine Bettwanzen gibt oder es in die Zimmer regnet, werde ich es schon überleben.«

»Nein, keine Bettwanzen«, konnte ich Katja beruhigen. »Es ist wohl eher der Pensionswirt, der den Gästen missfallen hat.«

»Jetzt bin ich neugierig«, verkündete Katja. Sie zückte ihr Smartphone. »Ich hatte diesmal gar keine Zeit, mir Bewertungen anzusehen, und ehrlich gesagt, wollte ich mich überraschen lassen. Aber jetzt schaue ich mir das doch mal an.« Sie rief eines der größten Bewertungsportale auf und scrollte mit gerunzelter Stirn durch die aktuellen Beurteilungen. »Unhöflich … kurz angebunden … fühlten uns nicht willkommen …« Sie scrollte weiter und grinste breit. »Hey, das hier gefällt mir am besten: Der Pensionswirt ist ein grober Klotz, der nicht einmal die Grundregeln der Höflichkeit beherrscht.« Mit blitzenden Augen sah sie mich an. »Das verspricht, interessant zu werden!«

»Meinst du?«, fragte ich skeptisch.

»Na klar! Ich wette, der grobe Klotz trägt Kilt.«

Ich konnte nicht anders, als in Katjas Kichern einzustimmen, wurde aber schnell wieder ernst. »Katja, versprich mir, dass du mich nicht verrätst. Ich will einen realistischen Eindruck von dem B&B bekommen.«

Katja hob Zeigefinger und Mittelfinger wie zum Schwur. »Keine Sorge, ich halte dicht. Und das werden wir gleich mit einem guten Whisky besiegeln!«

Kapitel 2

Ich besaß die geheime Superkraft, mich unsichtbar machen zu können. Dafür brauchte ich nichts weiter zu tun, als neben einer Frau wie Katja zu stehen.

Mit dem Pensionswirt, einem Mr Anthony McMurray, seines Zeichens grober Klotz, hatte ich vereinbart, dass er mich am Portree Hotel abholen würde. Der Bus brachte uns bis vor die Tür. Sobald Katja und ich ausgestiegen waren, eilte schon ein Angestellter des Hotels auf uns zu. Er begrüßte Katja und griff nach ihrem stylishen Koffer. »Herzlich willkommen, bitte folgen Sie mir, das Hotel lädt Sie zu einem Willkommensdrink ein!«

Ich war froh, dass ich sein Englisch recht gut verstand, und übersehen zu werden war ich gewohnt. Also trottete ich einfach hinter ihm und Katja her. Meinen Koffer konnte ich schließlich auch selbst ziehen.

»Wir sind keine Gäste«, informierte Katja unser Ein-Mann-Empfangskomitee. »Wir warten hier nur darauf, dass Mr McMurray vom Otterview uns abholt.«

»Ja, das wissen wir, Frau Heller. Mr McMurray hat mich gebeten, Ihnen die Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Er wird in einer halben Stunde hier sein.«

Katja drehte sich zu mir um und zog die Brauen hoch.

»Ich bin Frau Heller«, piepste ich. Und da war sie schon, meine zweite geheime Superkraft, denn offenbar konnte der Hotelangestellte mich nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht hören.

In der Lobby des Hotels bedankte sich Katja höflich für den netten Empfang und erklärte, wir würden nebenan im Pub warten. Bevor ich den Mund zum Protest öffnen konnte, legte sie schon den Arm um mich und zog mich mit. »Ich lade dich zu einem Whisky ein«, verkündete sie vergnügt.

»Meinst du? Vielleicht sollte ich besser nüchtern bleiben, schließlich bin ich beruflich hier.«

Übertrieben schaute sich Katja um. »Komisch, ich kann deinen Vorgesetzten gar nicht sehen! Aber gut, wenn du lieber etwas anderes trinken möchtest, lade ich dich natürlich trotzdem ein.«

Mir ging es eher darum, dass es mir unangenehm war, einen Pub zu betreten. Allein hätte ich mich bestimmt nicht in das West Highlander gewagt, doch ich wollte vor Katja nicht wie eine Spielverderberin dastehen. Selbstbewusst stieß sie die Tür auf, und ich folgte ihr in einen mit kariertem Teppich ausgelegten Schankraum. In einem Kamin brannte ein Feuer, das den Raum mit süßlichem Torfgeruch erfüllte. An niedrigen Tischen saßen etwa zehn Leute in Goretex-Kleidung auf Hockern und Bänken und unterhielten sich laut auf Deutsch. Ich tippte auf Wandergruppe. Die Männer unter ihnen starrten alle Katja an, die es nicht zu bemerken schien. Zielstrebig steuerte sie die Theke an und schenkte dem Barkeeper ein strahlendes Lächeln. »Guten Abend. Welchen Whisky können Sie uns empfehlen?«

Ihr Englisch war perfekt. Lässig ließ sie ihre Lederjacke von den Schultern gleiten und legte sie über einen Barhocker, bevor sie darauf Platz nahm. Wesentlich weniger elegant schälte ich mich aus meiner praktischen Winterjacke, hievte mich auch auf einen Hocker und hörte mit halbem Ohr zu, wie der Barkeeper Katja die Vorzüge verschiedener Whiskysorten erklärte. Mein erster Pubbesuch! Neugierig ließ ich den Blick durch den Raum schweifen und blieb an dem Mistelzweig über der Eingangstür hängen. Er wirkte ein wenig zerrupft.

Katja stupste mich an. »Willst du wirklich keinen Whisky, Jess?«

Ich drehte mich um und setzte mich gerade hin. »Doch, ich nehme einen«, erklärte ich entschlossen. Dass ich mich dazu hatte überreden lassen, ausgerechnet über die Weihnachtsfeiertage einen unbeliebten Auftrag anzunehmen, musste ja nicht heißen, dass ich mich nicht amüsieren durfte. Katja hatte recht: Meine Vorgesetzte war nicht in der Nähe. Und wenn, wäre sie die Erste gewesen, die mich zu einem Whisky überredet hätte. Land und Leute kennenlernen und einheimische Spezialitäten genießen, lautete ihre Devise.

Die einheimische Spezialität stellte sich als zehnjähriger Talisker heraus, der mir scharf die Kehle hinunterrann und eine glühende Spur durch meine Speiseröhre zog. Nicht schlecht! Ich mochte das Gefühl von Hitze im Magen.

»Lust auf eine Challenge?«, fragte mich Katja. Sie deutete auf den Mistelzweig. »Den nächsten Mann, der durch die Tür kommt, wird eine von uns küssen. Wer es als Erste schafft, bekommt von der anderen einen ausgegeben.«

»Äh«, machte ich überrumpelt. Solche Spielchen lagen mir überhaupt nicht.

Dummerweise wurde in diesem Moment die Tür aufgestoßen, und ein Mann kam herein. Aber nicht irgendein Mann. Katja sog scharf die Luft ein, und mir stockte der Atem. Ist der echt?, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. In der Tür stand ein Highlander wie aus dem Bilderbuch. Oder, genauer gesagt, wie dem Cover einer meiner geliebten Zeitreiseromanzen entsprungen. Der Traummann trug einen Kilt und ein weißes Leinenhemd. Was an den meisten Männern wohl wie ein Kostüm gewirkt hätte, sah an ihm völlig natürlich aus und betonte seine breiten Schultern und schmalen Hüften. Schwarze Locken umrahmten sein kantiges Gesicht. Suchend schaute er sich um, und sein Blick blieb an Katja und mir hängen. Diese Augen! Tiefblau und strahlend und …

Katja geriet in mein Blickfeld. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie aufgestanden war. Neben dem Highlander wirkte sie noch zierlicher. Erstarrt beobachtete ich, wie sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Kuss auf die Lippen hauchte. Woher nahm diese Frau ihren Mut? Um nichts in der Welt hätte ich mich das getraut!

Ja, großartig, und darum hockte ich nun wie ein Mauerblümchen an der Theke, während Katja den Mann meiner Träume küsste. Der bittere Geschmack der Enttäuschung spülte mir das Aroma des Whiskys von der Zunge. Wie gelähmt musste ich mit ansehen, wie der Mann im Kilt sich erneut von Katja küssen ließ, und die Art, in der er die Hand in Katjas Nacken legte, zeigte deutlich, dass er nichts gegen diese Aufmerksamkeit einzuwenden hatte.

Ein zweiter Mann schob sich durch die Tür. So, der gehörte mir! Wäre doch gelacht, wenn ich nicht ebenso draufgängerisch wie Katja sein könnte! Bevor mich der Mut verließ, sprang ich vom Barhocker und marschierte los. Beherzt trat ich an den Neuankömmling heran, packte ihn bei den Schultern und küsste ihn auf den Mund.

Mit einem Schreckenslaut stieß der derart Überfallene mich von sich. Ich stolperte zurück und kam zu mir. Was hatte ich getan? Erschrocken starrte ich mein Gegenüber an. Wer auch immer das war, er hätte es nicht auf das Cover eines Liebesromans geschafft mit seinem nichtssagenden Gesicht, dem sandfarbenen, leicht schütteren Haar und den grauen Augen. Augen, in denen ein deutlicher Ausdruck des Missfallens stand.

Mein Gesicht wurde heiß. Noch nie hatte ich mir so sehr gewünscht, wirklich unsichtbar zu sein. Am besten für immer. Dies war wohl das Peinlichste, was ich je getan hatte.

»Was soll der Scheiß?«, knurrte mein Kussopfer.

Der Mann im Kilt, der mittlerweile vertraulich einen Arm um Katja gelegt hatte, lachte. »Aber Tony, nun sei doch nicht so ein Spielverderber. Bist doch selbst schuld, wenn du dich unter einen Mistelzweig stellst.«

Tony schien das anders zu sehen. Der finstere Blick, mit dem er mich bedachte, zeigte deutlich, dass er allein mir die Schuld an dieser furchtbaren Situation gab.

»Entschuldigung«, stammelte ich. »Ich wollte nur … ich … es tut mir schrecklich leid.«

Während mich Tony weiterhin böse anfunkelte, legte mir Katjas Highlander die Hand auf die Schulter und schenkte mir ein freundliches Lächeln. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Tony sollte froh sein, dass so eine hübsche Lady ihn geküsst hat. Passiert dir ja wahrhaftig nicht oft, was, Tony?«

Tony brummelte etwas Unverständliches vor sich hin.

Mit weichen Knien versank ich in den blauen Augen meines Traummannes …

… der sich Katja zuwandte und fragte: »Wo ist denn euer Gepäck? Wollt ihr gleich los, oder darf ich euch noch zu einem Drink einladen?«

Er sagte zwar euch, doch mir war klar, dass er sich keinen Deut für mich interessierte. So, wie er Katja ansah, galt seine Einladung vor allem ihr, und mich nahm er höflicherweise als notwendiges Übel hin.

»Ist schon spät. Wir fahren«, erklärte Tony schroff.

Obwohl auch er mich keines Blickes würdigte, war ich ihm dankbar. Ich wollte mich nur noch im Bett verkriechen, mir die Decke über den Kopf ziehen und mich in Selbstmitleid suhlen. Moment … Verspätet wurde mir klar, dass es sich bei Tony und dem Highlander um unsere Gastgeber handeln musste. Tony – Anthony. Natürlich. Tony war der grobe Klotz! Da hatte ich mir ja den Richtigen zum Küssen ausgesucht!

Kapitel 3

»Entschuldigt bitte, Ladys, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.« Der Schotte im Kilt zwinkerte Katja zu. »Man möge mir nach diesem überwältigenden Empfang verzeihen. Mein Name ist Alexander MacMurray, und zusammen mit meinem Bruder Anthony MacMurray werde ich alles tun, um euch den Aufenthalt in unserer Herberge so angenehm wie möglich zu gestalten. Wenn ihr einen Wunsch habt, dann zögert nicht, ihn zu äußern. Wir werden alles tun, um ihn zu erfüllen.«

Täuschte ich mich, oder warf er Katja bei den letzten Worten einen ebenso langen wie zweideutigen Blick zu? Katja tat so, als bemerkte sie nichts. »Sehr erfreut. Ich bin Katja, und ich freue mich auf ein paar erholsame Tage«, erwiderte sie lediglich und hakte sich bei mir unter. »Es ist wirklich schon spät. Den Pubbesuch können wir sicher mal nachholen.«

»Hallo. Ich bin Jessica«, stellte ich mich leise vor, doch niemand achtete auf mich. Tony betrachtete finster den Mistelzweig, als wäre er drauf und dran, ihn vom Türrahmen zu reißen, und Alexander schenkte seine Aufmerksamkeit Katja. Er lachte, ein raues, sexy Grollen, das Hitze in meinen Bauch schießen ließ wie vorhin der Whisky. »Wenn ihr erst mal in unserem wunderbaren Bed and Breakfast seid, wollt ihr bestimmt gar nicht mehr weg.«

Der Mann war ja sehr von seiner Unterkunft überzeugt. Und dieser Akzent! Wie er die Rs rollte, war einfach nur anbetungswürdig. Verzweifelt versuchte ich, aus meinem unangemessenen Schwärmerei-Modus zurück in die Realität zu finden, und konzentrierte mich lieber auf Tony. Der stand da, die Hände in den Taschen einer übergroßen Regenjacke vergraben, und musterte seinen Bruder mit einem säuerlichen Ausdruck im Gesicht. »Vergesst Anthony. Ich bin Tony. Können wir dann los?«

»Wenn die Ladys bereit sind. Tony, hol doch die Koffer vom Hotel, ich geleite unsere Gäste zum Wagen.«

Tony gab ein Schnauben von sich, das ich nicht eindeutig als belustigt oder empört identifizieren konnte. Jedenfalls zog er ab, und Alexander führte uns zu einem Geländewagen, der direkt vor dem Hotel parkte. Galant öffnete er die Beifahrertür für Katja. Ich musste mit dem Sitz hinten vorliebnehmen und bekam dort bald Gesellschaft von Tony, der größtmöglichen Abstand von mir hielt. Ob er fürchtete, ich würde mich noch mal auf ihn stürzen? Allein die Erinnerung an den absolut verunglückten Kussversuch trieb mir die Schamröte ins Gesicht. Wie hatte ich mein übergriffiges Verhalten nur ernsthaft für eine gute Idee halten können?

Nun ja, bei Katja hatte es so einfach ausgesehen. Bei ihr sah alles einfach aus. Während der Fahrt plauderte sie locker mit Alexander. Ich saß stumm neben dem in brütendes Schweigen versunkenen Tony und tat, als wäre ich gar nicht da. So, wie er mich ignorierte, hätte er das wohl auch vorgezogen.

»… und mit ein wenig Glück kannst du morgen vom Frühstückstisch aus den Ottern beim Frühsport zuschauen«, sagte Alexander, und ich horchte auf. Otter? Zwar nicht so exotisch wie Faultiere, aber ich hatte noch nie welche in freier Wildbahn gesehen.

Der Wagen rumpelte mit röhrendem Motor über holprige Straßen. Aus dem Seitenfenster sah ich genauso viel von der schottischen Landschaft wie vorhin aus dem Bus. Nämlich nichts als Schwarz. Und schwarz sah ich mittlerweile auch für meinen Aufenthalt in dem Bed and Breakfast. Es setzte mir mehr zu, als es sollte, dass der attraktive Alexander nur Augen für Katja hatte, und das ärgerte mich. Katja unterhielt sich weiter angeregt mit dem Traumschotten. Durch das Motordröhnen verstand ich zwar nicht, worüber sie sprachen, hörte aber ihr perlendes Lachen, das mir einen Stich versetzte. Außerdem war ich müde und hungrig und wollte nur noch ins Bett. Am liebsten in mein eigenes. Vermutlich war ich gar nicht für das Leben als coole Globetrotterin geschaffen, wenn ich nach einer nicht sonderlich strapaziösen Anreise nach Schottland schon schwächelte. Nur einen Moment die Augen schließen …

 

»Aufwachen, wir sind da! Willkommen am schönsten Ort der Welt!«

Ich hob die Lider. Meine Wange ruhte auf einem etwas zu harten Kissen, und ein Schwall frische Luft schlug mir ins Gesicht. Über mir flammte ein Lämpchen auf, das fatal nach der Innenbeleuchtung eines Autos aussah. Ich war eingeschlafen! Und ich schmiegte mich an Tony McMurray wie an mein liebstes Sofakissen. Erschrocken fuhr ich hoch. Hatte ich etwa gesabbert? Hektisch betastete ich meine Mundwinkel, die sich zum Glück trocken anfühlten. »Entschuldigung«, krächzte ich.

Tony antwortete mit einem grollenden Laut und stieg aus dem Auto. Ich kletterte auch ins Freie und zog fröstelnd die Schultern hoch. Nieselregen, Wind und Dunkelheit. Also wenn das der schönste Ort der Welt sein sollte, wollte ich nicht wissen, welchen Alexander als den schlimmsten bezeichnet hätte. Ein schmatzendes Geräusch zu meinen Füßen zeigte, dass ich in ein Schlammloch getreten war. Großartig. Ich konnte den unzufriedenen Gästen jetzt schon die schlechten Bewertungen kaum verdenken. Aber ich kannte mich. Wenn ich Hunger hatte, fiel ich in den Nörgelmodus. Ich nahm mir vor, dem Otterview wenigstens eine Chance zu geben. Konnte sein, dass ein gewisser Schotte zu meiner geänderten Meinung über meinen Auftrag hier beigetragen hatte. Und zwar nicht der, der mir trocken und zu spät mitteilte, dass der Weg zum Haus ein wenig schlammig sein könnte.

Wie hatte Katja die Strecke mit ihren schicken Stiefeletten zurückgelegt? Nein, ich wollte es lieber nicht wissen, sonst wäre ich vermutlich grün vor Neid geworden. Ihr fröhliches Lachen schallte aus dem Haus, von dem ich nur einen dunklen Umriss und das helle Rechteck einer offenen Tür erkennen konnte. Tony stapfte mit den Koffern in den Händen vor mir her, und ich war heilfroh, dass ich meine Wanderschuhe angezogen hatte. So erreichte ich das Bed and Breakfast trockenen Fußes. Rasch streifte ich die schon am ersten Tag schlammverschmierten Schuhe von den Füßen und trat auf Socken in den Flur.

Trotz Hunger gefiel mir das Otterview auf den ersten Blick. Statt dunkler Tartanmuster, wie sie im Pub vorgeherrscht hatten, dominierten hier weiß lackierte Dielenböden, bedeckt von Teppichen in hellen Erdtönen und Cremefarben. Auf einer Kommode lagen Muscheln und Steine in einer Schale und daneben stapelweise Prospekte mit Ausflugstipps und Wanderkarten. An den Wänden hingen gerahmte Landschaftsaquarelle. Ich folgte den Stimmen von Alexander und Katja in ein Wohnzimmer, das zwar gemütlich, aber alles andere als angestaubt wirkte. Auch hier waren die hellen Farbtöne der Möbel und sparsamen Dekorationen aufeinander abgestimmt. Es gab einen Kamin und bequem aussehende Sofas und Sessel.

»Das hier ist unser Common Room«, teilte Alexander uns mit seinem charmanten Lächeln mit. »Wenn ihr eure Zimmer bezogen habt, können wir noch einen Whisky am Kaminfeuer trinken. Tony, feuere doch bitte den Kamin an, ich zeige den Ladys ihre Räumlichkeiten.« Er zwinkerte uns verschwörerisch zu. Zwinkern war wohl sein Ding. Bei jedem anderen Mann hätte mich das jetzt schon genervt, bei ihm fand ich es sympathisch.

Während Tony vor sich hin grummelte, schnappte er sich unsere Koffer und trug sie die Treppe hoch. Katja und ich folgten ihm, und Katja grinste mich erst vielsagend an und zeigte dann unauffällig auf Alexanders Kilt. »Ist er nicht toll?«

Ich zweifelte daran, dass sie nur das Kleidungsstück meinte, und musste ihr insgeheim zustimmen.

Zuerst führte Alexander Katja mit großer Geste in ihr Zimmer. »Darf ich mich gleich auf deine Gesellschaft am Kamin freuen?«

»O ja, sehr gerne. Ach, das ist ja herrlich! Ein Himmelbett! Wie hübsch!«

»Ja, das ist unser schönstes Zimmer«, versicherte Alexander ihr. Rasch fügte er mit einem Blick auf mich hinzu: »Natürlich sind alle Zimmer hier auf ihre Art schön.«

Wie sich wenig später herausstellte, bestand diese spezielle Art meines Zimmers darin, dass zwischen die Seite des Betts und der Wand gerade eben ein winziger Nachtschrank passte. Vor dem Fußende war zumindest genug Platz für einen Koffer. Ein Kleiderschrank komplettierte die Ausstattung. Obwohl ich mich bemühte, meine um mehrere Grad gesunkene Stimmung zu verbergen, musste mein Gesichtsausdruck wohl doch etwas säuerlich ausgefallen sein, denn Alexander verzog zerknirscht seine absolut küssenswerten Lippen.

»Es ist ein wenig klein. Leider ist das andere größere Zimmer zurzeit vergeben. Die Gäste reisen aber morgen ab, dann …«

»Keine Umstände, bitte«, unterbrach ich ihn schroffer als beabsichtigt. »Das Bett sieht doch sehr bequem aus, und ich werde mich ohnehin nicht viel auf dem Zimmer aufhalten. Schließlich möchte ich die Insel erkunden.«

Alexanders betrübte Miene hellte sich auf. »Das ist die richtige Einstellung! Das Wetter soll in den nächsten Tagen sehr schön werden. Und die Aussicht aus dem Fenster ist die beste vom ganzen Otterview.«

Nachdem ich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, stieß ich erst mal die Luft aus. Mich hatte er nicht zu einem Umtrunk am Kamin eingeladen, und meine Lust darauf hielt sich sowieso in Grenzen. Warum sollte ich mich mit meiner ohnehin miesen Laune auch noch selbst damit quälen, Alexander und Katja beim Flirten zu beobachten?

Ich zwängte mich zum Fenster und öffnete es, um ein wenig Luft zu schnappen. Auf die angepriesene Aussicht war ich mal gespannt. Mein Magen knurrte, und ich spielte mit dem Gedanken, doch noch nach unten zu gehen. Vielleicht wurden zu dem Whisky auch Snacks gereicht.

Es klopfte an meiner Tür, und wider besseres Wissen schlug mein Herz schneller. Ob Alexander sein Versäumnis bemerkt hatte und mich doch noch persönlich zum Schlummertrunk einladen wollte?

»Herein!«, rief ich.

Die Tür flog auf, und eine beneidenswert frisch aussehende Katja spähte in mein im wahrsten Sinne des Wortes kleines Reich. »Hallo, ich wollte mal sehen, wie … ach du liebe Güte! Ist das eng hier. Kannst du dir nicht ein größeres Zimmer geben lassen? Hier kann man sich ja kaum umdrehen!«

Wie um das Gegenteil zu beweisen, kam sie herein, drehte sich einmal um sich selbst und ließ sich rücklings auf mein Bett fallen. »Hach, was für ein grandioser Start in den Urlaub! Dass der ungehobelte Klotz so gut aussieht, haben die Bewertungen verschwiegen!«

Ich setzte mich auf die Bettkante. »Damit war wohl eher Anthony gemeint.«

»Ach so, kann sein.« Katja lächelte mich spitzbübisch an. »Der ist aber auch nicht ohne, was? Zwei Schotten im Kilt, das ist besser, als ich erwartet habe!«

»Was hast du denn erwartet?«, fragte ich missmutig. Ich wusste, sie konnte nichts dafür, dass Alexander sie so eindeutig bevorzugte, und doch keimte eine Spur Groll in mir auf, für den ich mich sofort schämte.

»Ein paar ziemlich langweilige Tage in einer von einer lieben Omi geführten Pension«, gab Katja bereitwillig Auskunft.

Mir fiel auf, dass sie mir noch gar nicht erzählt hatte, was sie ausgerechnet über Weihnachten nach Schottland führte. Urlaub doch wohl nicht, wenn auch sie wärmere Klimazonen bevorzugte. Nur war ich jetzt gerade zu schlecht gelaunt, um zu fragen.

»Also, was ist, kommst du mit?« Katja setzte sich auf und versuchte sich an einer ziemlich gelungenen Imitation von Alexanders Zwinkern. »Zwei sexy Schotten im Kilt am Kamin?«

»Nein, heute nicht«, lehnte ich ab. »Bin zu müde.«

»Och.« Das Funkeln in Katjas Augen erlosch. Offenbar hatte sie wirklich gewollt, dass ich mitkam. An ihrer Stelle hätte ich es bevorzugt, mit Alexander allein zu sein.

»Kann ich dich echt nicht überreden?«

Ich schüttelte nur den Kopf und fühlte mich wie eine missgünstige alte Ziege.

Katja stand auf. »Na gut. Schade. Hm.« Sie zupfte an einer ihrer Haarsträhnen, die ihr dekorativ ins Gesicht fielen. »Jess, bitte sag mir, wenn ich dir zu aufdringlich bin. Mir fällt das oft nicht auf. Ich hab nur gedacht … wir haben uns im Bus so gut verstanden und … Ach, manchmal schieße ich einfach übers Ziel hinaus. Eigentlich will ich nur sagen, ich mag dich und würde mich freuen, wenn wir hier Zeit zusammen verbringen könnten. Aber wenn du das nicht willst, ist es auch okay.«

O nein. Nun hatte ich wegen meines blöden Neids einen völlig falschen Eindruck bei Katja erweckt. Wie kam ich denn da wieder raus? »Nein, das klingt super«, sagte ich schnell. »Du bist mir auch sehr sympathisch, und wir können hier gerne etwas zusammen unternehmen.«

Ein fieses Stimmchen in meinem Hinterkopf wisperte, dass die Chancen auf Alexanders Begleitung dann auch gleich besser stünden, doch ich ignorierte es und schenkte Katja ein Lächeln, das sie mit sichtlicher Erleichterung erwiderte.

»Toll! Dann quetsche ich unsere Schotten gleich mal aus, was man hier Schönes machen kann. Gute Nacht und bis morgen!«

Beim Zähneputzen tauchten unwillkommene Bilder vor mir auf, die Katja und Alexander küssend vor dem Kamin zeigten. Ich verdrängte sie so gut wie möglich, und zum Glück war ich wirklich so müde, dass ich nicht mehr lange über die beiden nachgrübeln konnte. Sobald mein Kopf das diesmal bequemere Kissen berührte, schlief ich ein.

Kapitel 4

Ich erwachte voller Tatendrang. Die Sonne schien mir ins Gesicht, weil ich vergessen hatte, die Vorhänge zuzuziehen. Genüsslich rekelte ich mich unter der duftenden Bettwäsche. Das Zimmer mochte zwar klein und das Bett kein Himmelbett sein, aber so gut hatte ich lange nicht geschlafen. Meine gedrückte Stimmung vom Vorabend war verflogen, und ich freute mich auf die freien Tage und die anstehende Beförderung, die ich so gut wie in der Tasche hatte. Meine Vorgesetzte hatte keinen Zweifel daran gelassen, worin mein Auftrag bestand: die schlechten Bewertungen zu bestätigen und die Unzulänglichkeiten des Otterviews zu dokumentieren, damit die Zusammenarbeit mit diesem Bed and Breakfast begründet gekündigt werden konnte. Mit ein wenig Glück war ich damit in ein paar Tagen fertig, konnte auschecken und mir über Weihnachten noch ein wenig Luxus im Hotel gönnen.

Doch zunächst wollte ich die von Alexander hochgelobte Aussicht aus meinem Zimmer genießen. Was die anging, gab es in den Bewertungen der Urlauber keine Beanstandungen. Das Gute war, dass ich dafür gar nicht aus dem Bett aufzustehen brauchte, da sich das Fenster nur eine Armlänge davon entfernt befand. Ich setzte mich auf und machte mich auf eine unspektakuläre grüne Hügellandschaft gefasst. Bereits mein erster Blick nach draußen belehrte mich eines Besseren. Dass die Sonne schien, war mir ja schon aufgefallen, doch ich hatte nicht geahnt, wie sehr sie die Landschaft zum Leuchten bringen würde. Schließlich war das hier Schottland und nicht Costa Rica. Obwohl ich mir in diesem Moment nicht sicher war, ob der tropische Regenwald es mit dieser Pracht aufnehmen konnte.

Magisch angezogen stand ich auf und schob das Fenster nach oben, wobei ich meinen Blick nicht von der traumhaften Aussicht wenden konnte. Grüne Hügel, ja, die gab es, doch vor meinen staunenden Augen erstreckte sich ein im Sonnenlicht tiefblau schimmernder Fluss, der durch ein Tal floss, das aussah, als wäre es von einem Landschaftsarchitekten für einen Fantasyfilm angelegt worden. Malerische Felsen, knorrige Bäume, eine kleine Brücke aus verwitterten, bemoosten Steinen. In der Ferne erhoben sich schroffe Berggipfel. Und dieser Duft! Tief atmete ich die Mischung aus feuchtem Gras, Erde und einem Hauch Meeresbrise ein. Eine Weile stand ich nur staunend da und nahm den Anblick in mich auf. Natürlich hatte ich jede Menge Fotos von Schottland gesehen, doch mir war nicht klar gewesen, dass ich mich gleich an meinem ersten Morgen in einen Bildband versetzt fühlen würde. Nein, dies war besser als jeder Bildband! Dies war die Realität, auch wenn sie sich mir geradezu schmerzhaft unwirklich präsentierte.

Auf der Fensterbank stand ein Fernglas, und da eine Bewegung auf der Uferwiese meine Aufmerksamkeit erregte, griff ich danach und spähte hindurch. Im Gras tummelten sich Kaninchen und ließen sich ihr Frühstück schmecken. Müßig bewegte ich die Linsen über den Fluss und hielt inne. Im Wasser bewegte sich etwas. Sah aus wie ein schlankes, pelziges Tier, das auf dem Rücken schwamm. War das etwa ein Otter?

Ein Klopfen an meiner Tür lenkte mich ab, und schon war das Tier verschwunden. Ich stellte das Fernglas ab und sah unschlüssig an mir hinunter. Selbst wenn es sich um Katja handelte, wollte ich mich nicht unbedingt im Nachthemd präsentieren. So gut kannten wir uns noch nicht.

»Jess?«, klang ihre Stimme durch die Tür. »Bist du fertig? Ich wollte jetzt frühstücken gehen. Kommst du mit?«

Das war ja nett von ihr, mich zu fragen. Leider war ich alles andere als fertig. »Hallo Katja«, rief ich. »Geh schon mal vor, ich komme nach! Hab verschlafen.«

Ich hörte sie lachen. »Alles klar! Kein Wunder, bei der himmlischen Ruhe hier. Bis gleich dann! Ich brauche dringend Kaffee!«

O ja. Ein Kaffee wäre wirklich gut. Ich freute mich darauf, mehr aber noch auf das Pläneschmieden mit Katja. Schließlich fesselte mich meine geheime Mission nicht rund um die Uhr an die Pension. Bei dem schönen Wetter konnten wir sicher einen Ausflug unternehmen. Um dennoch meine Professionalität unter Beweis zu stellen, unterzog ich das Badezimmer einer gründlichen Prüfung. Makellos sauber, ausreichend Handtücher, und in der Dusche standen sogar Shampoo und Duschgel bereit. Es handelte sich um Naturprodukte von regionalen Herstellern. Diese Tatsache war mehrmals von Kunden lobend erwähnt worden. Wie leider auch der Wasserdruck der Dusche, der eher mäßig ausfiel und regelmäßig für Kritik sorgte. Für mich reichte er, und ich konnte meine schulterlangen Haare vernünftig waschen. Bisher also keine Minuspunkte.

Ich war gespannt, wie sich das Frühstück schlagen würde. Bis vor einem halben Jahr war es von den Gästen hochgelobt worden. Doch seit einigen Monaten hagelte es Beschwerden. Nicht nur die schlechte Qualität des Essens wurde bemängelt, besonders der Service kam bei unserer Kundschaft nicht mehr gut an. Angeblich hatte es keinen Besitzerwechsel gegeben, was die Sache in meinen Augen mysteriös erscheinen ließ. Diesem Geheimnis galt es, auf den Grund zu gehen.