Bundle: Ein Schotte unterm Mistelzweig | Ein Schotte für die Feiertage - Stefanie Lahme - E-Book
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Stefanie Lahme

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Beschreibung

Witzige, warmherzige Winterromane in Schottland. Zwei Romane in einem Band Ein Schotte unterm Mistelzweig Ausgerechnet unter einem Mistelzweig begegnet Jessica ihrem Traummann. Leider kommt ihr jemand beim Küssen zuvor und sie muss mit Tony, seinem grantigen Bruder, vorliebnehmen, der sich als ihr Pensionswirt herausstellt. Doch während der turbulenten Weihnachtstage im Bed and Breakfast verliebt sich Jessica nicht nur in die raue Schönheit der Isle of Skye, sondern auch in den gar nicht so mürrischen Tony. Zwischen nörgelnden Pensionsgästen und verkohlten Scones setzt sie alles daran, die Pension vor dem drohenden Ruin zu retten und das Herz des spröden Schotten zu erobern. *** Ein Schotte für die Feiertage Scott das Herz brach. Aber fünfzehn Jahre sind lang, und was soll schon passieren, wenn Lauren nur ein paar Tage bleibt, um nach dem Tod der Tante alles Nötige für den Verkauf des geerbten kleinen Buchladens zu regeln? Scott kann passieren. Während Lauren sich gegen die Einsicht wehrt, dass sie noch immer viel zu viel für ihn empfindet, setzt der Pubbesitzer alles daran, ihr Herz erneut zu erobern. Doch ist er dabei ehrlich zu ihr? 

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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© Piper Verlag GmbH, München 2025
Dieses ebook enthält die Romane »Ein Schotte unterm Mistelzweig« und »Ein Schotte für die Feiertage« von Stefanie Lahme
Redaktion: Birgit FörsterKonvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)Originalcovergestaltung: Traumstoff Buchdesign traumstoff.at und Annika HankeCovermotive: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt
Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.
In diesem E-Book befinden sich Verlinkungen zu Webseiten Dritter. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass sich der Piper Verlag die Inhalte Dritter nicht zu eigen macht, für die Inhalte nicht verantwortlich ist und keine Haftung übernimmt.
 
Accessibility SummaryDieses E-Book entspricht den Vorgaben des W3C-Standards EPUB-Accessibility 1.1 und den darin enthaltenen Regeln von WCAG, Level AA. Die Publikation ist durch Features wie Table of Contents, Landmarks und semantische Content-Struktur zugänglich aufgebaut. Außer dem Buchcover sind keine Abbildungen enthalten.

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© Piper Verlag GmbH, München 2022

Redaktion: Birgit Förster

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Annika Hanke

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Wir behalten uns eine Nutzung des Werks für Text und Data Mining im Sinne von § 44b UrhG vor.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Kapitel 33

Kapitel 34

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Kapitel 1

Wer für seine Träume kämpft, muss auch mal frieren!

Dies war nur einer der Motivationssprüche, die ich mir seit vier Stunden aufsagte. Ich hatte ja Zeit. Zeit, die ich im langweiligsten Flughafen der Welt totschlagen musste. Der Bus nach Portree war mir vor der Nase weggefahren, und der nächste ging erst um halb sechs. Ich würde spätabends auf der Isle of Skye ankommen. Meine Laune sank auf den Nullpunkt. Genau wie die Temperaturen hier in Schottland. Ich zweifelte ernsthaft an meiner Entscheidung, Weihnachten in der Kälte zu verbringen. Da fiel mein Blick auf ein Plakat, das eines der Flughafenreisebüros zierte: Costa Rica – Pura Vida!

Das war mein Ziel! Und wenn ich es nur über den Umweg Schottland erreichen konnte, musste ich da jetzt durch. Bis zur Ankunft des Busses träumte ich von tropischen Regenwäldern, karibischen Stränden und heißen Quellen am Fuße eines Vulkans. Die Orte besaßen eine Gemeinsamkeit: Es war dort warm.

Fröstelnd zog ich den Rollenkoffer hinter mir her zur Bushaltestelle. Meine Vorgesetzte bei ErlebeTraumreisen hatte mir zwar vorgeschlagen, einen Mietwagen zu nehmen, doch allein die Vorstellung, auf der falschen Straßenseite zu fahren, brachte mein Herz zum Rasen, und das sicher nicht aus Vorfreude. Also blieb mir nur der Bus, um auf die Isle of Skye zu gelangen. Die Insel hatte sich aus mir unerfindlichen Gründen als wahrer Touristenmagnet entpuppt und hielt sich auf der Hitliste der schottischen Reiseziele auf Platz eins. Für unzählige Touristen hatte ich im vergangenen Jahr Unterkünfte auf Skye gebucht, ohne je selbst dort gewesen zu sein. Doch das würde sich bald ändern.

Mit der Wärme im Bus erwachten meine Lebensgeister, und prickelnde Vorfreude erfüllte mich. Schottland mochte zwar nicht Costa Rica sein, aber ich liebte es einfach, fremde Länder zu erkunden.

Der Bus fuhr langsam an, nur um gleich scharf abzubremsen. Mein Rollenkoffer, den ich neben meinem Sitz geparkt hatte, riss sich los und nahm Fahrt durch den Mittelgang auf. Gelähmt vor Schreck beobachtete ich, wie das Ungetüm auf Rädern wie auf Schienen zur Vordertür durchraste, zielsicher auf die Person zu, die soeben eingestiegen war.

Der Grund für das Bremsmanöver des Fahrers – und nun auch Opfer des Koffers – war eine Frau in meinem Alter, also Mitte zwanzig. Doch damit hatte es sich schon mit den Gemeinsamkeiten. Anmutig streckte sie das Bein aus und stoppte die Irrfahrt des Koffers mit einer knallroten, hochhackigen Stiefelette. Zur schwarzen Designerjeans trug sie einen farblich zum Schuhwerk passenden Rollkragenpullover und eine taillierte Lederjacke. Das blonde Haar hatte sie zu einem lässigen Dutt hochgesteckt, aus dem sich einige Strähnen lösten und ihr herzförmiges Gesicht umschmeichelten. Genau die Art von Frisur, die aussah wie mal eben so hingefummelt und die ich selbst nach stundenlanger Arbeit vor dem Spiegel nicht hinbekommen würde. Die vollen Lippen der perfekten Frau verzogen sich, und ich wappnete mich für zu Recht verärgerte Worte. Rasch stand ich auf und eilte los, um den ungezogenen Koffer einzusammeln, da fiel mir auf, dass sie lachte, auf eine ungezwungene, herzliche Art, die meine Mundwinkel wie von selbst nach oben schnellen ließ.

»Hey, das ist ja eine stürmische Begrüßung. Ist dir dein Koffer entlaufen?«

Und ich wusste: Dies war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft.

Die Fahrt nach Skye dauerte drei Stunden, die wie im Flug vergingen. Es gibt Menschen, in deren Gesellschaft ich mich gleich wohlfühle. Katja gehörte dazu. Wir teilten uns ihr Sandwich, das absolut grauenhaft schmeckte, waren uns einig darüber, dass Männer in Kilts sexy sind, und fanden heraus, dass wir beide Zeitreiseromane mit Highlandern liebten. Beinahe vergaß ich, dass wir uns erst vor wenigen Stunden kennengelernt hatten, und ließ mich dazu hinreißen, ihr von meiner geheimen Mission zu erzählen. Es fing harmlos damit an, dass wir uns über unsere Jobs austauschten. Katja arbeitete als Speditionskauffrau, und es schmeichelte mir, wie begeistert sie von meinem Beruf war. »Wow, krass, von ErlebeTraumreisen hab ich schon viel Gutes gehört. Da unternimmst du sicher viele Recherchereisen!«

»Eigentlich nicht«, gab ich zu. »Mein Gebiet ist Nordeuropa mit Schwerpunkt Irland und Großbritannien. Zum Reisen komme ich allerdings nicht viel. Meine Aufgabe besteht darin, Online-Buchungen vorzunehmen und Leute zu beraten. Reiserouten zusammenstellen und so.« Das klang in meinen Ohren stinklangweilig, doch Katja sah mich mit großen Augen an.

»Ach! Und da hast du nie Lust gehabt, diese Routen selbst mal auszuprobieren?«

»Doch. Schon. Aber …« Ich zögerte. Mein Ziel erschien mir mit einem Mal lächerlich und vermessen. Ach, was sollte es. Ich würde Katja nach dieser gemeinsamen Busfahrt vermutlich nie wiedersehen, und wenn sie mich auslachte, konnte ich damit leben. »Mein Traum ist, in die Mittelamerikaabteilung befördert zu werden. Ich möchte zu gerne nach Costa Rica reisen, nach Belize, ach, in alle exotischen Länder, in denen es warm ist und es Regenwälder und weiße Strände gibt.« Wie kitschig das klang!

»O ja!«, rief Katja schwärmerisch aus. »Hitze ist auch mein Ding. Ich komme erst bei dreißig Grad auf Betriebstemperatur. Und frag mich jetzt bloß nicht, was ich hier in Schottland will.« Sie lachte auf ihre mitreißende Weise. »Ich wette, sobald du in der Abteilung arbeitest, wirst du jede Menge Recherchereisen machen, was?«

Ich lachte mit. Es tat gut, dass jemand meine Vorliebe für heiße Länder teilte, vor allem aber, dass sie die Versetzung schon als abgemachte Sache sah. Begleitet von einem verschwörerischen Lächeln legte sie mir die Hand auf den Arm. »Dann ist das hier also so was wie deine Abschiedsreise?«

»Abschied?«, fragte ich perplex.

»Na, von Schottland und den nördlichen Gefilden. Oder bist du nicht beruflich hier unterwegs?«

»Ach so. Doch.« Erneut zögerte ich. Katja sah mich erwartungsvoll an. Fast, als wäre ich eine interessante Person. Ich senkte die Stimme. »Ich bin in geheimer Mission unterwegs.«

Begeistert kichernd beugte sich Katja vor. »Erzähl mir mehr! Dein Geheimnis ist bei mir sicher!«

»Auf der Isle of Skye gibt es eine Frühstückspension, ein typisches Bed and Breakfast, mit dem ErlebeTraumreisen kooperiert. Die Pension ist fest in unserem Programm, wir schicken oft Kunden her, und bis vor ein paar Monaten waren alle begeistert. Seit August hagelt es aber schlechte Kritiken. Ein paar Gäste haben sogar ihr Geld zurückverlangt.«

Katja hob die Hand. »Ah, lass mich raten! Deine Aufgabe besteht darin, als gewöhnliche Touristin in dem B&B einzuchecken, damit du herausfinden kannst, was an den Beschwerden dran ist. Darf ich fragen, welches B&B du mit deiner kritischen Anwesenheit beehren wirst?«

»Hm, eigentlich …«

»Es ist aber nicht das Otterview, oder?«

Vermutlich wurde ich reichlich blass, denn Katja schlug sich die Hand vor den Mund. »Nein! Echt jetzt?«

Ich nickte stumm. Was für ein blöder Zufall war das bitte? Andererseits … die Isle of Skye war nicht so groß, und viele Unterkünfte hatten über Weihnachten geschlossen. Die Chancen standen relativ gut, dass Katja ausgerechnet das Otterview gebucht hatte. Verärgert über meine Gedankenlosigkeit wandte ich mich ab und starrte aus dem Fenster in die Dunkelheit. Sicher fuhren wir gerade durch die schönste schottische Landschaft, nur sahen wir leider nichts davon.

»Mach dir keinen Kopf«, hörte ich Katja tröstend sagen. »Ich bin nicht anspruchsvoll. Wenn es keine Bettwanzen gibt oder es in die Zimmer regnet, werde ich es schon überleben.«

»Nein, keine Bettwanzen«, konnte ich Katja beruhigen. »Es ist wohl eher der Pensionswirt, der den Gästen missfallen hat.«

»Jetzt bin ich neugierig«, verkündete Katja. Sie zückte ihr Smartphone. »Ich hatte diesmal gar keine Zeit, mir Bewertungen anzusehen, und ehrlich gesagt, wollte ich mich überraschen lassen. Aber jetzt schaue ich mir das doch mal an.« Sie rief eines der größten Bewertungsportale auf und scrollte mit gerunzelter Stirn durch die aktuellen Beurteilungen. »Unhöflich … kurz angebunden … fühlten uns nicht willkommen …« Sie scrollte weiter und grinste breit. »Hey, das hier gefällt mir am besten: Der Pensionswirt ist ein grober Klotz, der nicht einmal die Grundregeln der Höflichkeit beherrscht.« Mit blitzenden Augen sah sie mich an. »Das verspricht, interessant zu werden!«

»Meinst du?«, fragte ich skeptisch.

»Na klar! Ich wette, der grobe Klotz trägt Kilt.«

Ich konnte nicht anders, als in Katjas Kichern einzustimmen, wurde aber schnell wieder ernst. »Katja, versprich mir, dass du mich nicht verrätst. Ich will einen realistischen Eindruck von dem B&B bekommen.«

Katja hob Zeigefinger und Mittelfinger wie zum Schwur. »Keine Sorge, ich halte dicht. Und das werden wir gleich mit einem guten Whisky besiegeln!«

Kapitel 2

Ich besaß die geheime Superkraft, mich unsichtbar machen zu können. Dafür brauchte ich nichts weiter zu tun, als neben einer Frau wie Katja zu stehen.

Mit dem Pensionswirt, einem Mr Anthony McMurray, seines Zeichens grober Klotz, hatte ich vereinbart, dass er mich am Portree Hotel abholen würde. Der Bus brachte uns bis vor die Tür. Sobald Katja und ich ausgestiegen waren, eilte schon ein Angestellter des Hotels auf uns zu. Er begrüßte Katja und griff nach ihrem stylishen Koffer. »Herzlich willkommen, bitte folgen Sie mir, das Hotel lädt Sie zu einem Willkommensdrink ein!«

Ich war froh, dass ich sein Englisch recht gut verstand, und übersehen zu werden war ich gewohnt. Also trottete ich einfach hinter ihm und Katja her. Meinen Koffer konnte ich schließlich auch selbst ziehen.

»Wir sind keine Gäste«, informierte Katja unser Ein-Mann-Empfangskomitee. »Wir warten hier nur darauf, dass Mr McMurray vom Otterview uns abholt.«

»Ja, das wissen wir, Frau Heller. Mr McMurray hat mich gebeten, Ihnen die Wartezeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Er wird in einer halben Stunde hier sein.«

Katja drehte sich zu mir um und zog die Brauen hoch.

»Ich bin Frau Heller«, piepste ich. Und da war sie schon, meine zweite geheime Superkraft, denn offenbar konnte der Hotelangestellte mich nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht hören.

In der Lobby des Hotels bedankte sich Katja höflich für den netten Empfang und erklärte, wir würden nebenan im Pub warten. Bevor ich den Mund zum Protest öffnen konnte, legte sie schon den Arm um mich und zog mich mit. »Ich lade dich zu einem Whisky ein«, verkündete sie vergnügt.

»Meinst du? Vielleicht sollte ich besser nüchtern bleiben, schließlich bin ich beruflich hier.«

Übertrieben schaute sich Katja um. »Komisch, ich kann deinen Vorgesetzten gar nicht sehen! Aber gut, wenn du lieber etwas anderes trinken möchtest, lade ich dich natürlich trotzdem ein.«

Mir ging es eher darum, dass es mir unangenehm war, einen Pub zu betreten. Allein hätte ich mich bestimmt nicht in das West Highlander gewagt, doch ich wollte vor Katja nicht wie eine Spielverderberin dastehen. Selbstbewusst stieß sie die Tür auf, und ich folgte ihr in einen mit kariertem Teppich ausgelegten Schankraum. In einem Kamin brannte ein Feuer, das den Raum mit süßlichem Torfgeruch erfüllte. An niedrigen Tischen saßen etwa zehn Leute in Goretex-Kleidung auf Hockern und Bänken und unterhielten sich laut auf Deutsch. Ich tippte auf Wandergruppe. Die Männer unter ihnen starrten alle Katja an, die es nicht zu bemerken schien. Zielstrebig steuerte sie die Theke an und schenkte dem Barkeeper ein strahlendes Lächeln. »Guten Abend. Welchen Whisky können Sie uns empfehlen?«

Ihr Englisch war perfekt. Lässig ließ sie ihre Lederjacke von den Schultern gleiten und legte sie über einen Barhocker, bevor sie darauf Platz nahm. Wesentlich weniger elegant schälte ich mich aus meiner praktischen Winterjacke, hievte mich auch auf einen Hocker und hörte mit halbem Ohr zu, wie der Barkeeper Katja die Vorzüge verschiedener Whiskysorten erklärte. Mein erster Pubbesuch! Neugierig ließ ich den Blick durch den Raum schweifen und blieb an dem Mistelzweig über der Eingangstür hängen. Er wirkte ein wenig zerrupft.

Katja stupste mich an. »Willst du wirklich keinen Whisky, Jess?«

Ich drehte mich um und setzte mich gerade hin. »Doch, ich nehme einen«, erklärte ich entschlossen. Dass ich mich dazu hatte überreden lassen, ausgerechnet über die Weihnachtsfeiertage einen unbeliebten Auftrag anzunehmen, musste ja nicht heißen, dass ich mich nicht amüsieren durfte. Katja hatte recht: Meine Vorgesetzte war nicht in der Nähe. Und wenn, wäre sie die Erste gewesen, die mich zu einem Whisky überredet hätte. Land und Leute kennenlernen und einheimische Spezialitäten genießen, lautete ihre Devise.

Die einheimische Spezialität stellte sich als zehnjähriger Talisker heraus, der mir scharf die Kehle hinunterrann und eine glühende Spur durch meine Speiseröhre zog. Nicht schlecht! Ich mochte das Gefühl von Hitze im Magen.

»Lust auf eine Challenge?«, fragte mich Katja. Sie deutete auf den Mistelzweig. »Den nächsten Mann, der durch die Tür kommt, wird eine von uns küssen. Wer es als Erste schafft, bekommt von der anderen einen ausgegeben.«

»Äh«, machte ich überrumpelt. Solche Spielchen lagen mir überhaupt nicht.

Dummerweise wurde in diesem Moment die Tür aufgestoßen, und ein Mann kam herein. Aber nicht irgendein Mann. Katja sog scharf die Luft ein, und mir stockte der Atem. Ist der echt?, war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss. In der Tür stand ein Highlander wie aus dem Bilderbuch. Oder, genauer gesagt, wie dem Cover einer meiner geliebten Zeitreiseromanzen entsprungen. Der Traummann trug einen Kilt und ein weißes Leinenhemd. Was an den meisten Männern wohl wie ein Kostüm gewirkt hätte, sah an ihm völlig natürlich aus und betonte seine breiten Schultern und schmalen Hüften. Schwarze Locken umrahmten sein kantiges Gesicht. Suchend schaute er sich um, und sein Blick blieb an Katja und mir hängen. Diese Augen! Tiefblau und strahlend und …

Katja geriet in mein Blickfeld. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass sie aufgestanden war. Neben dem Highlander wirkte sie noch zierlicher. Erstarrt beobachtete ich, wie sie sich auf die Zehenspitzen stellte und ihm einen Kuss auf die Lippen hauchte. Woher nahm diese Frau ihren Mut? Um nichts in der Welt hätte ich mich das getraut!

Ja, großartig, und darum hockte ich nun wie ein Mauerblümchen an der Theke, während Katja den Mann meiner Träume küsste. Der bittere Geschmack der Enttäuschung spülte mir das Aroma des Whiskys von der Zunge. Wie gelähmt musste ich mit ansehen, wie der Mann im Kilt sich erneut von Katja küssen ließ, und die Art, in der er die Hand in Katjas Nacken legte, zeigte deutlich, dass er nichts gegen diese Aufmerksamkeit einzuwenden hatte.

Ein zweiter Mann schob sich durch die Tür. So, der gehörte mir! Wäre doch gelacht, wenn ich nicht ebenso draufgängerisch wie Katja sein könnte! Bevor mich der Mut verließ, sprang ich vom Barhocker und marschierte los. Beherzt trat ich an den Neuankömmling heran, packte ihn bei den Schultern und küsste ihn auf den Mund.

Mit einem Schreckenslaut stieß der derart Überfallene mich von sich. Ich stolperte zurück und kam zu mir. Was hatte ich getan? Erschrocken starrte ich mein Gegenüber an. Wer auch immer das war, er hätte es nicht auf das Cover eines Liebesromans geschafft mit seinem nichtssagenden Gesicht, dem sandfarbenen, leicht schütteren Haar und den grauen Augen. Augen, in denen ein deutlicher Ausdruck des Missfallens stand.

Mein Gesicht wurde heiß. Noch nie hatte ich mir so sehr gewünscht, wirklich unsichtbar zu sein. Am besten für immer. Dies war wohl das Peinlichste, was ich je getan hatte.

»Was soll der Scheiß?«, knurrte mein Kussopfer.

Der Mann im Kilt, der mittlerweile vertraulich einen Arm um Katja gelegt hatte, lachte. »Aber Tony, nun sei doch nicht so ein Spielverderber. Bist doch selbst schuld, wenn du dich unter einen Mistelzweig stellst.«

Tony schien das anders zu sehen. Der finstere Blick, mit dem er mich bedachte, zeigte deutlich, dass er allein mir die Schuld an dieser furchtbaren Situation gab.

»Entschuldigung«, stammelte ich. »Ich wollte nur … ich … es tut mir schrecklich leid.«

Während mich Tony weiterhin böse anfunkelte, legte mir Katjas Highlander die Hand auf die Schulter und schenkte mir ein freundliches Lächeln. »Kein Grund, sich zu entschuldigen. Tony sollte froh sein, dass so eine hübsche Lady ihn geküsst hat. Passiert dir ja wahrhaftig nicht oft, was, Tony?«

Tony brummelte etwas Unverständliches vor sich hin.

Mit weichen Knien versank ich in den blauen Augen meines Traummannes …

… der sich Katja zuwandte und fragte: »Wo ist denn euer Gepäck? Wollt ihr gleich los, oder darf ich euch noch zu einem Drink einladen?«

Er sagte zwar euch, doch mir war klar, dass er sich keinen Deut für mich interessierte. So, wie er Katja ansah, galt seine Einladung vor allem ihr, und mich nahm er höflicherweise als notwendiges Übel hin.

»Ist schon spät. Wir fahren«, erklärte Tony schroff.

Obwohl auch er mich keines Blickes würdigte, war ich ihm dankbar. Ich wollte mich nur noch im Bett verkriechen, mir die Decke über den Kopf ziehen und mich in Selbstmitleid suhlen. Moment … Verspätet wurde mir klar, dass es sich bei Tony und dem Highlander um unsere Gastgeber handeln musste. Tony – Anthony. Natürlich. Tony war der grobe Klotz! Da hatte ich mir ja den Richtigen zum Küssen ausgesucht!

Kapitel 3

»Entschuldigt bitte, Ladys, ich habe mich noch gar nicht vorgestellt.« Der Schotte im Kilt zwinkerte Katja zu. »Man möge mir nach diesem überwältigenden Empfang verzeihen. Mein Name ist Alexander MacMurray, und zusammen mit meinem Bruder Anthony MacMurray werde ich alles tun, um euch den Aufenthalt in unserer Herberge so angenehm wie möglich zu gestalten. Wenn ihr einen Wunsch habt, dann zögert nicht, ihn zu äußern. Wir werden alles tun, um ihn zu erfüllen.«

Täuschte ich mich, oder warf er Katja bei den letzten Worten einen ebenso langen wie zweideutigen Blick zu? Katja tat so, als bemerkte sie nichts. »Sehr erfreut. Ich bin Katja, und ich freue mich auf ein paar erholsame Tage«, erwiderte sie lediglich und hakte sich bei mir unter. »Es ist wirklich schon spät. Den Pubbesuch können wir sicher mal nachholen.«

»Hallo. Ich bin Jessica«, stellte ich mich leise vor, doch niemand achtete auf mich. Tony betrachtete finster den Mistelzweig, als wäre er drauf und dran, ihn vom Türrahmen zu reißen, und Alexander schenkte seine Aufmerksamkeit Katja. Er lachte, ein raues, sexy Grollen, das Hitze in meinen Bauch schießen ließ wie vorhin der Whisky. »Wenn ihr erst mal in unserem wunderbaren Bed and Breakfast seid, wollt ihr bestimmt gar nicht mehr weg.«

Der Mann war ja sehr von seiner Unterkunft überzeugt. Und dieser Akzent! Wie er die Rs rollte, war einfach nur anbetungswürdig. Verzweifelt versuchte ich, aus meinem unangemessenen Schwärmerei-Modus zurück in die Realität zu finden, und konzentrierte mich lieber auf Tony. Der stand da, die Hände in den Taschen einer übergroßen Regenjacke vergraben, und musterte seinen Bruder mit einem säuerlichen Ausdruck im Gesicht. »Vergesst Anthony. Ich bin Tony. Können wir dann los?«

»Wenn die Ladys bereit sind. Tony, hol doch die Koffer vom Hotel, ich geleite unsere Gäste zum Wagen.«

Tony gab ein Schnauben von sich, das ich nicht eindeutig als belustigt oder empört identifizieren konnte. Jedenfalls zog er ab, und Alexander führte uns zu einem Geländewagen, der direkt vor dem Hotel parkte. Galant öffnete er die Beifahrertür für Katja. Ich musste mit dem Sitz hinten vorliebnehmen und bekam dort bald Gesellschaft von Tony, der größtmöglichen Abstand von mir hielt. Ob er fürchtete, ich würde mich noch mal auf ihn stürzen? Allein die Erinnerung an den absolut verunglückten Kussversuch trieb mir die Schamröte ins Gesicht. Wie hatte ich mein übergriffiges Verhalten nur ernsthaft für eine gute Idee halten können?

Nun ja, bei Katja hatte es so einfach ausgesehen. Bei ihr sah alles einfach aus. Während der Fahrt plauderte sie locker mit Alexander. Ich saß stumm neben dem in brütendes Schweigen versunkenen Tony und tat, als wäre ich gar nicht da. So, wie er mich ignorierte, hätte er das wohl auch vorgezogen.

»… und mit ein wenig Glück kannst du morgen vom Frühstückstisch aus den Ottern beim Frühsport zuschauen«, sagte Alexander, und ich horchte auf. Otter? Zwar nicht so exotisch wie Faultiere, aber ich hatte noch nie welche in freier Wildbahn gesehen.

Der Wagen rumpelte mit röhrendem Motor über holprige Straßen. Aus dem Seitenfenster sah ich genauso viel von der schottischen Landschaft wie vorhin aus dem Bus. Nämlich nichts als Schwarz. Und schwarz sah ich mittlerweile auch für meinen Aufenthalt in dem Bed and Breakfast. Es setzte mir mehr zu, als es sollte, dass der attraktive Alexander nur Augen für Katja hatte, und das ärgerte mich. Katja unterhielt sich weiter angeregt mit dem Traumschotten. Durch das Motordröhnen verstand ich zwar nicht, worüber sie sprachen, hörte aber ihr perlendes Lachen, das mir einen Stich versetzte. Außerdem war ich müde und hungrig und wollte nur noch ins Bett. Am liebsten in mein eigenes. Vermutlich war ich gar nicht für das Leben als coole Globetrotterin geschaffen, wenn ich nach einer nicht sonderlich strapaziösen Anreise nach Schottland schon schwächelte. Nur einen Moment die Augen schließen …

»Aufwachen, wir sind da! Willkommen am schönsten Ort der Welt!«

Ich hob die Lider. Meine Wange ruhte auf einem etwas zu harten Kissen, und ein Schwall frische Luft schlug mir ins Gesicht. Über mir flammte ein Lämpchen auf, das fatal nach der Innenbeleuchtung eines Autos aussah. Ich war eingeschlafen! Und ich schmiegte mich an Tony McMurray wie an mein liebstes Sofakissen. Erschrocken fuhr ich hoch. Hatte ich etwa gesabbert? Hektisch betastete ich meine Mundwinkel, die sich zum Glück trocken anfühlten. »Entschuldigung«, krächzte ich.

Tony antwortete mit einem grollenden Laut und stieg aus dem Auto. Ich kletterte auch ins Freie und zog fröstelnd die Schultern hoch. Nieselregen, Wind und Dunkelheit. Also wenn das der schönste Ort der Welt sein sollte, wollte ich nicht wissen, welchen Alexander als den schlimmsten bezeichnet hätte. Ein schmatzendes Geräusch zu meinen Füßen zeigte, dass ich in ein Schlammloch getreten war. Großartig. Ich konnte den unzufriedenen Gästen jetzt schon die schlechten Bewertungen kaum verdenken. Aber ich kannte mich. Wenn ich Hunger hatte, fiel ich in den Nörgelmodus. Ich nahm mir vor, dem Otterview wenigstens eine Chance zu geben. Konnte sein, dass ein gewisser Schotte zu meiner geänderten Meinung über meinen Auftrag hier beigetragen hatte. Und zwar nicht der, der mir trocken und zu spät mitteilte, dass der Weg zum Haus ein wenig schlammig sein könnte.

Wie hatte Katja die Strecke mit ihren schicken Stiefeletten zurückgelegt? Nein, ich wollte es lieber nicht wissen, sonst wäre ich vermutlich grün vor Neid geworden. Ihr fröhliches Lachen schallte aus dem Haus, von dem ich nur einen dunklen Umriss und das helle Rechteck einer offenen Tür erkennen konnte. Tony stapfte mit den Koffern in den Händen vor mir her, und ich war heilfroh, dass ich meine Wanderschuhe angezogen hatte. So erreichte ich das Bed and Breakfast trockenen Fußes. Rasch streifte ich die schon am ersten Tag schlammverschmierten Schuhe von den Füßen und trat auf Socken in den Flur.

Trotz Hunger gefiel mir das Otterview auf den ersten Blick. Statt dunkler Tartanmuster, wie sie im Pub vorgeherrscht hatten, dominierten hier weiß lackierte Dielenböden, bedeckt von Teppichen in hellen Erdtönen und Cremefarben. Auf einer Kommode lagen Muscheln und Steine in einer Schale und daneben stapelweise Prospekte mit Ausflugstipps und Wanderkarten. An den Wänden hingen gerahmte Landschaftsaquarelle. Ich folgte den Stimmen von Alexander und Katja in ein Wohnzimmer, das zwar gemütlich, aber alles andere als angestaubt wirkte. Auch hier waren die hellen Farbtöne der Möbel und sparsamen Dekorationen aufeinander abgestimmt. Es gab einen Kamin und bequem aussehende Sofas und Sessel.

»Das hier ist unser Common Room«, teilte Alexander uns mit seinem charmanten Lächeln mit. »Wenn ihr eure Zimmer bezogen habt, können wir noch einen Whisky am Kaminfeuer trinken. Tony, feuere doch bitte den Kamin an, ich zeige den Ladys ihre Räumlichkeiten.« Er zwinkerte uns verschwörerisch zu. Zwinkern war wohl sein Ding. Bei jedem anderen Mann hätte mich das jetzt schon genervt, bei ihm fand ich es sympathisch.

Während Tony vor sich hin grummelte, schnappte er sich unsere Koffer und trug sie die Treppe hoch. Katja und ich folgten ihm, und Katja grinste mich erst vielsagend an und zeigte dann unauffällig auf Alexanders Kilt. »Ist er nicht toll?«

Ich zweifelte daran, dass sie nur das Kleidungsstück meinte, und musste ihr insgeheim zustimmen.

Zuerst führte Alexander Katja mit großer Geste in ihr Zimmer. »Darf ich mich gleich auf deine Gesellschaft am Kamin freuen?«

»O ja, sehr gerne. Ach, das ist ja herrlich! Ein Himmelbett! Wie hübsch!«

»Ja, das ist unser schönstes Zimmer«, versicherte Alexander ihr. Rasch fügte er mit einem Blick auf mich hinzu: »Natürlich sind alle Zimmer hier auf ihre Art schön.«

Wie sich wenig später herausstellte, bestand diese spezielle Art meines Zimmers darin, dass zwischen die Seite des Betts und der Wand gerade eben ein winziger Nachtschrank passte. Vor dem Fußende war zumindest genug Platz für einen Koffer. Ein Kleiderschrank komplettierte die Ausstattung. Obwohl ich mich bemühte, meine um mehrere Grad gesunkene Stimmung zu verbergen, musste mein Gesichtsausdruck wohl doch etwas säuerlich ausgefallen sein, denn Alexander verzog zerknirscht seine absolut küssenswerten Lippen.

»Es ist ein wenig klein. Leider ist das andere größere Zimmer zurzeit vergeben. Die Gäste reisen aber morgen ab, dann …«

»Keine Umstände, bitte«, unterbrach ich ihn schroffer als beabsichtigt. »Das Bett sieht doch sehr bequem aus, und ich werde mich ohnehin nicht viel auf dem Zimmer aufhalten. Schließlich möchte ich die Insel erkunden.«

Alexanders betrübte Miene hellte sich auf. »Das ist die richtige Einstellung! Das Wetter soll in den nächsten Tagen sehr schön werden. Und die Aussicht aus dem Fenster ist die beste vom ganzen Otterview.«

Nachdem ich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, stieß ich erst mal die Luft aus. Mich hatte er nicht zu einem Umtrunk am Kamin eingeladen, und meine Lust darauf hielt sich sowieso in Grenzen. Warum sollte ich mich mit meiner ohnehin miesen Laune auch noch selbst damit quälen, Alexander und Katja beim Flirten zu beobachten?

Ich zwängte mich zum Fenster und öffnete es, um ein wenig Luft zu schnappen. Auf die angepriesene Aussicht war ich mal gespannt. Mein Magen knurrte, und ich spielte mit dem Gedanken, doch noch nach unten zu gehen. Vielleicht wurden zu dem Whisky auch Snacks gereicht.

Es klopfte an meiner Tür, und wider besseres Wissen schlug mein Herz schneller. Ob Alexander sein Versäumnis bemerkt hatte und mich doch noch persönlich zum Schlummertrunk einladen wollte?

»Herein!«, rief ich.

Die Tür flog auf, und eine beneidenswert frisch aussehende Katja spähte in mein im wahrsten Sinne des Wortes kleines Reich. »Hallo, ich wollte mal sehen, wie … ach du liebe Güte! Ist das eng hier. Kannst du dir nicht ein größeres Zimmer geben lassen? Hier kann man sich ja kaum umdrehen!«

Wie um das Gegenteil zu beweisen, kam sie herein, drehte sich einmal um sich selbst und ließ sich rücklings auf mein Bett fallen. »Hach, was für ein grandioser Start in den Urlaub! Dass der ungehobelte Klotz so gut aussieht, haben die Bewertungen verschwiegen!«

Ich setzte mich auf die Bettkante. »Damit war wohl eher Anthony gemeint.«

»Ach so, kann sein.« Katja lächelte mich spitzbübisch an. »Der ist aber auch nicht ohne, was? Zwei Schotten im Kilt, das ist besser, als ich erwartet habe!«

»Was hast du denn erwartet?«, fragte ich missmutig. Ich wusste, sie konnte nichts dafür, dass Alexander sie so eindeutig bevorzugte, und doch keimte eine Spur Groll in mir auf, für den ich mich sofort schämte.

»Ein paar ziemlich langweilige Tage in einer von einer lieben Omi geführten Pension«, gab Katja bereitwillig Auskunft.

Mir fiel auf, dass sie mir noch gar nicht erzählt hatte, was sie ausgerechnet über Weihnachten nach Schottland führte. Urlaub doch wohl nicht, wenn auch sie wärmere Klimazonen bevorzugte. Nur war ich jetzt gerade zu schlecht gelaunt, um zu fragen.

»Also, was ist, kommst du mit?« Katja setzte sich auf und versuchte sich an einer ziemlich gelungenen Imitation von Alexanders Zwinkern. »Zwei sexy Schotten im Kilt am Kamin?«

»Nein, heute nicht«, lehnte ich ab. »Bin zu müde.«

»Och.« Das Funkeln in Katjas Augen erlosch. Offenbar hatte sie wirklich gewollt, dass ich mitkam. An ihrer Stelle hätte ich es bevorzugt, mit Alexander allein zu sein.

»Kann ich dich echt nicht überreden?«

Ich schüttelte nur den Kopf und fühlte mich wie eine missgünstige alte Ziege.

Katja stand auf. »Na gut. Schade. Hm.« Sie zupfte an einer ihrer Haarsträhnen, die ihr dekorativ ins Gesicht fielen. »Jess, bitte sag mir, wenn ich dir zu aufdringlich bin. Mir fällt das oft nicht auf. Ich hab nur gedacht … wir haben uns im Bus so gut verstanden und … Ach, manchmal schieße ich einfach übers Ziel hinaus. Eigentlich will ich nur sagen, ich mag dich und würde mich freuen, wenn wir hier Zeit zusammen verbringen könnten. Aber wenn du das nicht willst, ist es auch okay.«

O nein. Nun hatte ich wegen meines blöden Neids einen völlig falschen Eindruck bei Katja erweckt. Wie kam ich denn da wieder raus? »Nein, das klingt super«, sagte ich schnell. »Du bist mir auch sehr sympathisch, und wir können hier gerne etwas zusammen unternehmen.«

Ein fieses Stimmchen in meinem Hinterkopf wisperte, dass die Chancen auf Alexanders Begleitung dann auch gleich besser stünden, doch ich ignorierte es und schenkte Katja ein Lächeln, das sie mit sichtlicher Erleichterung erwiderte.

»Toll! Dann quetsche ich unsere Schotten gleich mal aus, was man hier Schönes machen kann. Gute Nacht und bis morgen!«

Beim Zähneputzen tauchten unwillkommene Bilder vor mir auf, die Katja und Alexander küssend vor dem Kamin zeigten. Ich verdrängte sie so gut wie möglich, und zum Glück war ich wirklich so müde, dass ich nicht mehr lange über die beiden nachgrübeln konnte. Sobald mein Kopf das diesmal bequemere Kissen berührte, schlief ich ein.

Kapitel 4

Ich erwachte voller Tatendrang. Die Sonne schien mir ins Gesicht, weil ich vergessen hatte, die Vorhänge zuzuziehen. Genüsslich rekelte ich mich unter der duftenden Bettwäsche. Das Zimmer mochte zwar klein und das Bett kein Himmelbett sein, aber so gut hatte ich lange nicht geschlafen. Meine gedrückte Stimmung vom Vorabend war verflogen, und ich freute mich auf die freien Tage und die anstehende Beförderung, die ich so gut wie in der Tasche hatte. Meine Vorgesetzte hatte keinen Zweifel daran gelassen, worin mein Auftrag bestand: die schlechten Bewertungen zu bestätigen und die Unzulänglichkeiten des Otterviews zu dokumentieren, damit die Zusammenarbeit mit diesem Bed and Breakfast begründet gekündigt werden konnte. Mit ein wenig Glück war ich damit in ein paar Tagen fertig, konnte auschecken und mir über Weihnachten noch ein wenig Luxus im Hotel gönnen.

Doch zunächst wollte ich die von Alexander hochgelobte Aussicht aus meinem Zimmer genießen. Was die anging, gab es in den Bewertungen der Urlauber keine Beanstandungen. Das Gute war, dass ich dafür gar nicht aus dem Bett aufzustehen brauchte, da sich das Fenster nur eine Armlänge davon entfernt befand. Ich setzte mich auf und machte mich auf eine unspektakuläre grüne Hügellandschaft gefasst. Bereits mein erster Blick nach draußen belehrte mich eines Besseren. Dass die Sonne schien, war mir ja schon aufgefallen, doch ich hatte nicht geahnt, wie sehr sie die Landschaft zum Leuchten bringen würde. Schließlich war das hier Schottland und nicht Costa Rica. Obwohl ich mir in diesem Moment nicht sicher war, ob der tropische Regenwald es mit dieser Pracht aufnehmen konnte.

Magisch angezogen stand ich auf und schob das Fenster nach oben, wobei ich meinen Blick nicht von der traumhaften Aussicht wenden konnte. Grüne Hügel, ja, die gab es, doch vor meinen staunenden Augen erstreckte sich ein im Sonnenlicht tiefblau schimmernder Fluss, der durch ein Tal floss, das aussah, als wäre es von einem Landschaftsarchitekten für einen Fantasyfilm angelegt worden. Malerische Felsen, knorrige Bäume, eine kleine Brücke aus verwitterten, bemoosten Steinen. In der Ferne erhoben sich schroffe Berggipfel. Und dieser Duft! Tief atmete ich die Mischung aus feuchtem Gras, Erde und einem Hauch Meeresbrise ein. Eine Weile stand ich nur staunend da und nahm den Anblick in mich auf. Natürlich hatte ich jede Menge Fotos von Schottland gesehen, doch mir war nicht klar gewesen, dass ich mich gleich an meinem ersten Morgen in einen Bildband versetzt fühlen würde. Nein, dies war besser als jeder Bildband! Dies war die Realität, auch wenn sie sich mir geradezu schmerzhaft unwirklich präsentierte.

Auf der Fensterbank stand ein Fernglas, und da eine Bewegung auf der Uferwiese meine Aufmerksamkeit erregte, griff ich danach und spähte hindurch. Im Gras tummelten sich Kaninchen und ließen sich ihr Frühstück schmecken. Müßig bewegte ich die Linsen über den Fluss und hielt inne. Im Wasser bewegte sich etwas. Sah aus wie ein schlankes, pelziges Tier, das auf dem Rücken schwamm. War das etwa ein Otter?

Ein Klopfen an meiner Tür lenkte mich ab, und schon war das Tier verschwunden. Ich stellte das Fernglas ab und sah unschlüssig an mir hinunter. Selbst wenn es sich um Katja handelte, wollte ich mich nicht unbedingt im Nachthemd präsentieren. So gut kannten wir uns noch nicht.

»Jess?«, klang ihre Stimme durch die Tür. »Bist du fertig? Ich wollte jetzt frühstücken gehen. Kommst du mit?«

Das war ja nett von ihr, mich zu fragen. Leider war ich alles andere als fertig. »Hallo Katja«, rief ich. »Geh schon mal vor, ich komme nach! Hab verschlafen.«

Ich hörte sie lachen. »Alles klar! Kein Wunder, bei der himmlischen Ruhe hier. Bis gleich dann! Ich brauche dringend Kaffee!«

O ja. Ein Kaffee wäre wirklich gut. Ich freute mich darauf, mehr aber noch auf das Pläneschmieden mit Katja. Schließlich fesselte mich meine geheime Mission nicht rund um die Uhr an die Pension. Bei dem schönen Wetter konnten wir sicher einen Ausflug unternehmen. Um dennoch meine Professionalität unter Beweis zu stellen, unterzog ich das Badezimmer einer gründlichen Prüfung. Makellos sauber, ausreichend Handtücher, und in der Dusche standen sogar Shampoo und Duschgel bereit. Es handelte sich um Naturprodukte von regionalen Herstellern. Diese Tatsache war mehrmals von Kunden lobend erwähnt worden. Wie leider auch der Wasserdruck der Dusche, der eher mäßig ausfiel und regelmäßig für Kritik sorgte. Für mich reichte er, und ich konnte meine schulterlangen Haare vernünftig waschen. Bisher also keine Minuspunkte.

Ich war gespannt, wie sich das Frühstück schlagen würde. Bis vor einem halben Jahr war es von den Gästen hochgelobt worden. Doch seit einigen Monaten hagelte es Beschwerden. Nicht nur die schlechte Qualität des Essens wurde bemängelt, besonders der Service kam bei unserer Kundschaft nicht mehr gut an. Angeblich hatte es keinen Besitzerwechsel gegeben, was die Sache in meinen Augen mysteriös erscheinen ließ. Diesem Geheimnis galt es, auf den Grund zu gehen.

In Jeans, Shirt und einen bequemen Hoodie gekleidet, zog ich noch extradicke Wollsocken an. Statt mein Haar zu föhnen, schüttelte ich es lediglich aus und kämmte es mit einem grobzinkigen Kamm durch. Oft ärgerte ich mich darüber, dass es so fein war, doch immerhin besaß es den Vorteil, schnell zu trocknen. Noch ein wenig Wimperntusche, und ich war bereit, mich in die Öffentlichkeit zu begeben, die an diesem Morgen wohl nur aus den beiden anderen Gästen, Katja und unseren schottischen Gastgebern bestehen würde. Zugegeben, besonders auf einen dieser Gastgeber wollte ich einen guten Eindruck machen und ärgerte mich gleich ein wenig darüber. Alexander hatte mehr als deutlich gezeigt, dass er nur Interesse an Katja hatte, und ich würde den Teufel tun, mich mal wieder um einen unerreichbaren Mann zu bemühen. Ich war hier, um meinen Job zu erledigen, nicht um dem erstbesten Herrn im Kilt zu verfallen! Auch nicht, wenn er so verboten attraktiv wie Alexander war. Schließlich war ich eine erwachsene Frau mit Selbstachtung und kein leicht zu beeindruckender Teenager.

Mit diesen hehren Gedanken stieg ich die Treppe hinunter. Durch die angelehnte Glastür zum Frühstücksraum hörte ich die unverkennbare tiefe Stimme von Alexander, die mir einen angenehmen Schauer über den Rücken jagte. Rasch überprüfte ich mein Aussehen in dem Spiegel über der Flurkommode. War mein Aufzug nicht doch etwas zu leger? Andererseits – hätte ich im kleinen Schwarzen zum Frühstück erscheinen sollen? Aufmunternd grinste ich mich im Spiegel an.

Zu Alexanders Stimme mischte sich Katjas fröhliches Lachen. Und ein Fluch in einer mir fremden Sprache, allerdings nicht aus dem Frühstücksraum, sondern einem anderen Zimmer, dessen Tür ebenfalls angelehnt war und aus dem ein verdächtiger Geruch nach Verbranntem entwich. Das ließ nichts Gutes für das Frühstück hoffen!

Ich schwankte noch zwischen dem Frühstücksraum – und damit Alexander – und dem Drang, der Quelle des Gestanks auf den Grund zu gehen, da erleichterten mir ein Scheppern und ein verzweifelter Aufschrei die Entscheidung. Kurz entschlossen stieß ich die Tür auf und fand mich in einer Welt des Chaos. Als Erstes fiel mein Blick auf die zu Boden gefallene Pfanne, die sicher das scheppernde Geräusch verursacht hatte. Ihr Inhalt, eine schwärzliche, undefinierbare Masse, hatte sich malerisch über die Küchenfliesen verteilt. Auf der Arbeitsplatte neben dem Herd türmten sich aufgerissene Toastpackungen, Konservendosen und die Schalen ausgepresster Orangen. Aus einem Toaster stieg Rauch auf. Und mittendrin stand Tony mit einem Gesicht wie eine Gewitterwolke, das Haar zerzaust und Rührei auf der Stirn. Offenbar war dieses Gericht dem Pfannendesaster zum Opfer gefallen. Statt Kilt trug er diesmal Jeans und ein kariertes, offenes Flanellhemd über einem weißen T-Shirt, das ebenfalls mit Eiflecken geziert war.

Einen Herzschlag lang starrten wir uns an. »Guten Morgen«, brach ich das Schweigen. »Brauchen Sie Hilfe?« Ich merkte zu spät, dass ich deutsch sprach, und wiederholte mein Angebot auf Englisch.

»Ja!«, stieß Tony hervor. »Nimm die Pfanne, und schlag mir das Ding über den Schädel, damit ich das Elend hier nicht länger mitmachen muss!«

Nicht sicher, ob ich mein Bedauern über seine Misere äußern oder mich lieber darauf konzentrieren sollte, den aufsteigenden Lachflash zu unterdrücken, presste ich die Lippen aufeinander. Ich blickte von der Pfanne hoch in sein Gesicht und bemerkte das verräterische Funkeln in seinen Augen. Mehr brauchte es nicht, um mich losprusten zu lassen. Tony stimmte in mein Lachen ein. Wir lachten, bis uns die Tränen kamen und Tony sich am Küchentisch abstützen musste und mit einer gespielt dramatischen Geste auf die brikettartigen Platten wies, die mittlerweile aus dem Toaster ragten. »Und ich hab noch nicht mal angefangen, die Baked Beans zu kochen!«

Ich wischte mir eine Lachträne von der Wange. »Baked Beans soll man ja auch nicht kochen, nur aufwärmen«, entfleuchte es mir, und ich kam mir gleich wie eine miese Klugscheißerin vor.

Tony seufzte. »Ja, ich weiß. Aber erklär das mal dem Herd!«

Wir sahen uns an und fingen wieder an zu lachen. Erstaunlich, wie verändert der am Vorabend so mürrisch wirkende Schotte an diesem Morgen aussah. Mir fielen die Lachfältchen in seinen Augenwinkeln auf, und sein belustigtes Glucksen war einfach nur ansteckend.

»Ich kümmere mich um den Toast und das Rührei«, entschied ich spontan.

Tony schenkte mir ein dankbares Grinsen. »Gut, dann übernehme ich die Sauerei hier und starte einen Bohnenversuch.«

Die nächste Viertelstunde werkelten wir überraschend einvernehmlich in der geräumigen Küche und brachten ein annehmbares Frühstücksmenü zustande.

»Früher hat unsere Schwester Matty, Mathilda, das Kochen und Backen übernommen«, erzählte Anthony, während er konzentriert in dem Topf mit Bohnen rührte. »Leider hat sie geheiratet und ist mit ihrem Mann nach Neuseeland gezogen.«

Das erklärte einiges.

»Alexander ist gekommen, um mir zu helfen, aber na ja, wir sind beide nicht sonderlich gut in diesen Dingen.«

»Wie wäre es denn, eine Küchenhilfe einzustellen?«, schlug ich vor und biss mir sogleich verärgert auf die Lippe. Ich war schließlich nicht hier, um Tony Tipps zu geben, sondern um nach Gründen für eine Beendigung des Kooperationsvertrages zu suchen.

Tony lehnte sich an den Tisch und verschränkte die Arme. »Das ist nicht so einfach. Wir wohnen hier ziemlich abgelegen und außerdem …« Er betrachtete verlegen seine Socken, die mir sofort gefielen. Schön wollig und dick. »… unsere finanzielle Situation ist zurzeit nicht gerade rosig.«

Das glaubte ich ihm aufs Wort, denn leider hatten sich die schlechten Bewertungen in sämtlichen Reiseportalen auf das Buchungsverhalten unserer Kundschaft ausgewirkt. Niemand wollte mehr ins Otterview.

Die Küchentür flog auf und Alexander kam herein. Er sah aus, als wollte er für eine Werbebroschüre des Tourismusverbandes Modell stehen. Wie am Abend zuvor trug er wieder Kilt und ein weißes Hemd, und seine Augen schienen noch blauer zu leuchten, als ich es in Erinnerung hatte. Seine missbilligende Miene verwandelte sich in ein leicht gezwungenes Lächeln, als er mich entdeckte. »Guten Morgen. Ich will doch hoffen, dass mein Bruder dich nicht zum Küchendienst verdonnert hat?« Bei seinen letzten Worten warf er Tony einen verärgerten Blick zu, den dieser ungerührt schweigend erwiderte.

»Nein«, sagte ich schnell. »Ich hab nur guten Morgen gesagt. Bin dann mal weg!«

Ich hoffte nur, dass Tony allein mit den Bohnen klarkam.

Im lichtdurchfluteten Frühstücksraum, der mit den deckenhohen Fenstern und vielen Pflanzen eher an einen Wintergarten erinnerte, standen fünf Tische, von denen zwei besetzt waren. An einem saßen ein Herr um die sechzig mit weißem Haar und randloser Brille, der mich mit seinem Tweedanzug an einen schottischen Professor erinnerte, und eine Frau im gleichen Alter, die mit dem rosafarbenen Twinset und toupiertem Haar so aussah, wie ich mir die Besitzerin eines Bed and Breakfasts vorgestellt hatte. Sie wünschten mir freundlich einen guten Morgen.

An einem Tisch am Fenster saß Katja und winkte mir fröhlich zu. Sie trug einen silbrig schimmernden Jumpsuit in einem kühlen Mauveton und hätte damit eher in ein trendiges Bistro gepasst als in eine schottische Pension. Ich setzte mich zu ihr. Bei dem Anblick der dampfenden Kaffeetasse, die vor ihr stand, überkam mich der dringende Wunsch, mir ebenfalls eine ordentliche Dosis Koffein zuzuführen. Hätte ich daran bloß eben in der Küche gedacht!

»Hallo Jess, hoffentlich habe ich dich heute Morgen nicht aus dem Schlaf gerissen!«, sagte Katja reumütig. »Und ich fürchte, es dauert noch ein wenig mit dem Frühstück. Vorhin roch es verdächtig nach verbranntem Toast.«

»Ach, ich glaube, das wird schon«, gab ich zur Antwort und verkniff mir ein Schmunzeln, weil mir das Bild von dem im Chaos verzweifelnden Anthony vor Augen stand. Humor hatte er auf jeden Fall. Doch der reichte leider nicht, um eine Pension vernünftig zu führen.

Ich wollte Katja gerade fragen, ob sie schon Pläne für den Tag geschmiedet hatte, da betrat Alexander den Raum wie eine Theaterbühne. Mit großer Geste und einem Übermaß an Charme versorgte er zunächst die anderen Gäste mit einem üppigen Frühstück und kam dann an unseren Tisch. »Verzeiht die Verspätung, die Damen«, sagte er mit einer eleganten Verbeugung und dem unvermeidlichen Augenzwinkern. »Frühstück kommt sofort. Was darf ich dir kredenzen, liebe Jessica?«

Mein dummes Herz schlug einen Purzelbaum, und ich konnte nur verdattert in diese unglaublichen, strahlenden Augen sehen. Verlegen fasste ich mich und griff nach der laminierten Menükarte, die auf dem Tisch lag. Es fiel mir schwer, den Blick von Alexander loszureißen und mich auf das Frühstücksangebot zu konzentrieren. »Ein vegetarisches Scottish Breakfast, bitte«, bestellte ich und dachte mit gemischten Gefühlen an die Baked Beans.

»Wenn es mit dem Omelett und den frischen Früchten zu kompliziert sein sollte, würde ich das auch nehmen«, warf Katja ein und brachte das Kunststück fertig, jegliche Spur von Vorwurf aus ihrer Stimme zu halten. Respekt, schließlich wartete sie schon mindestens eine halbe Stunde auf ihr Frühstück.

Mit entsetzter Miene winkte Alexander ab. »O nein, das Omelett wird sofort geliefert. Nur noch einen Moment Geduld bitte. Und ich bitte vielmals um Verzeihung für die Wartezeit. Darf ich den Damen als kleine Entschädigung einen Ausflug anbieten?«

Katja sah mich an, ihre Augen funkelten schelmisch, und ich konnte nicht anders, als ihr unternehmungslustiges Grinsen zu erwidern.

»Klar, gerne«, sagte Katja zu Alexander. »Wohin fahren wir denn?«

»Das wird eine Überraschung.« Alexander zwinkerte.

Kaum hatte er den Raum verlassen, zwinkerte Katja mir ebenfalls zu. »Na, da bin ich ja mal gespannt.«

Das war ich auch. Vor allem aber war ich überrascht darüber, dass ich mich sofort fragte, ob Tony uns wohl auch begleiten würde.

Kapitel 5

Tony war mit von der Partie. Er wartete schon am Jeep und bedachte mich mit einem komplizenhaften Grinsen. Ich war froh, dass er die gleiche Kleidung wie vorhin in der Küche trug, denn im Gegensatz zu Katja, die sich umgezogen hatte, war ich ebenfalls bei meinem Outfit geblieben und hatte es lediglich mit einer Regenjacke mit Fleecefutter komplettiert. Neben Katja fühlte ich mich wie eine graue Maus. Sie strahlte in ihren Designerjeans, ihrem edlen camelfarbenen Merinopullover und ihrem Wollmantel in einem etwas dunkleren Farbton schlichte Eleganz aus. Sogar die leuchtend roten Wanderschuhe wirkten trendy an ihr. Dazu passte eine rote Baskenmütze, die sie sich keck schräg auf die zu einem tiefen Pferdeschwanz gebundenen Haare gesetzt hatte.

Sie trat mit Alexander aus der Haustür, und beide hätten sofort an einem Modeshooting teilnehmen können. Resigniert betrachtete ich meine noch vom Vorabend schlammigen Schuhe und die verblichene, schon leicht aus der Form geratene Jeans. Das war zwar meine Lieblingshose, doch irgendwie mochte ich sie gerade gar nicht mehr leiden. Da munterte es mich kaum auf, dass mir Tony die Autotür öffnete und mir zuraunte: »Danke für die Hilfe.«

»Hat ja super geklappt mit den Bohnen«, erwiderte ich und kam mir gleich unsagbar dumm vor. Hätte mir da nichts Schlagfertigeres einfallen können? So ein Satz fiel schon in die Kategorie Ich habe eine Wassermelone getragen. Doch Tony lachte, als hätte ich einen guten Witz gerissen. Immerhin schien er mir meinen Mistelzweig-Fauxpas verziehen zu haben. Er stieg ohne jedes Gegrummel zu mir auf den Rücksitz, während Alexander und Katja wie selbstverständlich die vorderen Plätze für sich beanspruchten.

»Wohin fahren wir denn?«, fragte Katja. »Ich bin so neugierig!«

»Zum Dunvegan Castle«, antwortete Tony prompt und hörte sich fast schon wieder so mürrisch an wie am Vorabend.

Alexander fuhr auf dem Fahrersitz herum und bedachte ihn mit einem geradezu mordlüsternen Blick. »Tony! Das sollte doch eine Überraschung sein.«

»Ach so. Tut mir leid.« Das klang in meinen Ohren eher gehässig als entschuldigend. Herrschte da dicke Luft zwischen den Brüdern?

»Eine Burg! Das gefällt mir«, sagte Katja schnell. Ihr schien die kriselnde Stimmung auch nicht entgangen zu sein.

»Können wir da überhaupt rein außerhalb der Saison?«, entschlüpfte es mir. Mist, das hätte ich eher nicht sagen sollen, wenn ich mich nicht als Tourismusexpertin outen wollte. Andererseits konnte man das wohl aus jedem Reiseführer erfahren. »Ich habe in einer Broschüre gelesen, dass die Burganlage im Winter geschlossen ist«, fügte ich vorsichtshalber hinzu.

Alexander ließ den Motor an. »Ja, das stimmt. Aber diese Beschränkung gilt nicht, wenn ihr mit mir unterwegs seid.« Er hatte schon wieder sein charmantes Lächeln aufgesetzt. »Und an der Burg habe ich dann noch etwas ganz Besonderes geplant. Das erlebt ihr auch nur mit mir.«

Tony ließ ein genervtes Stöhnen vernehmen, doch als ich ihn fragend ansah, grinste er nur schief und hob die Schultern, als wollte er sagen: So ist mein Bruder nun mal.

Diesmal machte es mir nichts aus, dass er schweigend neben mir saß. Das Gespräch von Alexander und Katja plätscherte an mir vorbei, während ich gebannt aus dem Fenster schaute und den Blick auf die Landschaft genoss. Meine Gedanken schweiften zu Tonys Geständnis in der Küche. Ob bei ErlebeTraumreisen überhaupt bekannt war, dass nicht mehr seine Schwester das Bed and Breakfast führte? Ich hätte vor der Abreise einen Blick in den Vertrag werfen sollen. Unprofessionell von mir, dass ich so schlecht vorbereitet war. Zu meiner Ehrenrettung konnte ich nur anführen, dass ich erst vor einer Woche von dem Auftrag erfahren hatte und dass die Verträge nicht in meinen Zuständigkeitsbereich fielen. Meine Aufgabe bestand darin, Reiseangebote für interessierte Menschen zusammenzustellen. Die Akquise oder Überprüfung von Unterkünften gehörte nicht dazu. Wenn eine Unterkunft als buchbar gelistet war, musste ich davon ausgehen können, dass sie den Ansprüchen von ErlebeTraumreisen entsprach. Nur weil eine Kollegin ausgefallen war, hatte mich meine Vorgesetzte überhaupt für diese geheime Mission abgeordnet und mich mit dem Versprechen geködert, dass mich bei Erfolg womöglich eine Versetzung in meinen Wunschbereich erwarten könnte.

Womöglich. Könnte.

War es die karge Landschaft, durch die wir fuhren, die meinen Geist klärte und mir erstmals vor Augen führte, dass sich das, was mir wie eine abgemachte Sache vorgekommen war, bei näherer Betrachtung doch eher schwammig ausnahm?

Wie dem auch sei, ich würde meinen Auftrag erfolgreich abschließen. Und statt schweigend neben Tony zu hocken und mich von der wilden Schönheit Schottlands bezaubern zu lassen, sollte ich lieber Recherche betreiben.

Nach einem letzten Blick aus dem Fenster drehte ich mich zu Tony um, der mit mürrisch nach unten gezogenen Mundwinkeln vor sich hin starrte. »Tony«, sagte ich höflich. »Hat Mathilda die Pension früher allein geführt?«

Tony sah gleich noch schlechter gelaunt aus. »Nein«, grummelte er, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Offenbar war seine nette Phase schon wieder vorbei. »Das haben wir zusammen gemacht. Matty war für die Bewirtung und die Zimmer zuständig und ich für alles, was am Haus so anfällt, und die Touren.«

Ich horchte auf. Dunkel konnte ich mich erinnern, dass die Touren in älteren Bewertungen lobend erwähnt worden waren. In den neueren gar nicht mehr. »Was denn für Touren?«

»Wandertouren, Campingausflüge, Wild Swimming, Tierbeobachtungen, Navigationskurse, Fotokurse«, zählte Tony auf. Mit jedem Wort hellte sich seine düstere Miene etwas mehr auf. »Meine Aufgabe bestand darin, den Gästen die Natur hier näherzubringen. Denn sie ist es doch, die diese Insel besonders macht. Darum kommen die Leute her.«

»Bestand?«, fragte ich nach. »Gibt es die Touren denn nicht mehr?«

»Nein. Keine Zeit«, erwiderte Tony kurz angebunden.

»Und Alexander?«

»Was soll mit dem sein? Der hat es nicht so mit Natur.«

»Was ist seine Aufgabe gewesen?« Außer Touristinnen mit seinem Charme einzuwickeln, natürlich.

»Als Matty noch hier war, brauchten wir Alexander nicht«, erklärte Tony schroff. »Der ist erst vor ein paar Wochen hier aufgekreuzt. Um mir zu helfen.«

Sein finsteres Gesicht sprach Bände, was er davon hielt.

»Das ist ja … nett von ihm«, sagte ich und wartete ab. Ich hoffte auf einen kleinen Hinweis, warum Alexanders Hilfe nicht willkommen war, doch Tony stimmte mir nur mit einem grollenden Laut zu und wandte sich zum Seitenfenster.

Bevor ich mir eine neue Frage überlegen konnte, bogen wir auf einen Parkplatz ab, der irgendwie überdimensioniert wirkte, weil kein Auto dort stand. Innerhalb der Saison war der vermutlich von Reisebussen belegt. Wir stiegen aus, und ich hielt neugierig Ausschau nach der Burg, konnte jedoch nur ein schmiedeeisernes Tor in einer mannshohen Hecke auf der anderen Straßenseite entdecken.

»Die Burg selbst können wir heute leider nicht besichtigen«, erklärte Alexander. »Aber dafür haben wir die Gartenanlagen für uns allein, und wir werden einen ganz speziellen Ausflug machen, der euch sicher gefallen wird.«

Mit großer Geste zog er einen Schlüssel hervor, mit dem er das Tor öffnen konnte.

Die Gartenanlagen von Dunvegan Castle waren berühmt, und ich empfahl sie allen Leuten, die bei mir buchten. Ein komisches Gefühl, dass ich sie nach all den Monaten, in denen ich sie angepriesen hatte, nun mit eigenen Augen sehen würde. Wenn ich erst im Mittelamerikabereich arbeiten durfte, wollte ich das anders angehen und mir zunächst vor Ort selbst ein Bild machen.

Während ich an die Faultiere in Costa Rica dachte, schlenderte ich neben Katja einen gekiesten Weg entlang, der durch einen kunstvoll angelegten Wassergarten führte. Selbst im Winter, ohne blühende Pflanzen, gefielen mir die kleinen Brücken und künstlichen Wasserfälle. Im Frühling und Sommer war es hier sicher atemberaubend, wenn sich die gesamte Blütenpracht entfaltete. Ja, alles sehr schön, doch ein paar Grad mehr wären mir schon ganz recht gewesen, dabei empfand ich die Luft als erstaunlich mild. Das schottische Klima hatte ich mir rauer vorgestellt. Was nichts daran änderte, dass ich nun mal eher der Typ für die schwüle Hitze des tropischen Regenwaldes war.

Alexander führte uns zum Castle, das genauso aussah, wie man es von einer Burg erwartete. Grau und trutzig thronte sie am Wasser, und oben auf den Zinnen eines Turms wehte die schottische Flagge.

»Diese Burg wird seit über achthundert Jahren von den MacLeods bewohnt«, dozierte Alexander. Obwohl ich noch nie persönlich hier gewesen war, hatte ich meine Hausaufgaben gemacht und wusste, dass Dunvegan Castle sogar die einzige Burg war, die sich so lange im Besitz eines einzigen Clans befand. Die Fakten kannte ich also, und die Legenden, die sich um die MacLeods rankten, waren mir nicht fremd. Trotzdem lauschte ich gebannt, wie Alexander von der magischen Feen-Flagge erzählte, die den Clan beschützte. Er machte das wirklich gut. Auch Katja hing an seinen Lippen, und da er ihr zwischendurch immer wieder ein Lächeln schenkte, gewann ich den Eindruck, dass er sich extra für sie solche Mühe gab. Ich war wie gewohnt in die Rolle der Unsichtbaren geschlüpft. Für meinen Auftrag mochte das Vorteile bieten. Dennoch versetzte es mir einen Stich, dass Alexander mich dermaßen ignorierte.

Gerade wollte ich mich wieder in meine Träume vom Pura Vida an Karibikstränden flüchten, da sprach mich Tony an.

»Jessica«, sagte er. Aus seinem Mund klang mein Name beinahe exotisch. Ich mochte den schottischen Akzent einfach. »Sieh mal, was ich gefunden habe!«

Er streckte mir die Handfläche hin. Irritiert betrachtete ich die wollige Wurst, die er mir präsentierte wie ein kostbares Schmuckstück. »Ah. Ähm. Interessant?«, riet ich.

»Das ist das Gewölle einer Schleiereule. Siehst du, hier kann man die unverdauten Knochen ihrer letzten Mahlzeit erkennen. Vermutlich eine Spitzmaus.«

Das war wirklich interessant! So etwas hatte ich noch nie gesehen und betrachtete das filzige Ding genauer. »Hier gibt es Schleiereulen?«

»Ja, allerdings habe ich länger keine gesehen. Daher bin ich froh, dass ich das hier gefunden habe. Ist noch nicht alt.«

»Tony!«, rief Alexander uns zu. »Zeig doch unserem Gast nicht so was Ekliges. Kommt, es ist Zeit für meine Überraschung!«

Katja hakte sich bei ihm ein, und sie gingen weiter die schmale Asphaltstraße entlang, die an der Burg vorbeiführte. Ein schönes Paar, musste ich zugeben.

»Tja, wie gesagt, Alexander hat es nicht so mit der Natur«, sagte Tony beinahe entschuldigend und legte seinen Fund behutsam ins Gras.

Die Straße beschrieb einen Bogen, sodass wir bald die Rückseite der Burg betrachten konnten. Nun sah ich auch, dass sie direkt am Wasser auf einer Klippe lag. Mit ihren grauen Mauern wirkte sie bei trübem Wetter bestimmt einschüchternd, doch im strahlenden Sonnenschein unter blauem Himmel sah sie einfach nur malerisch aus. Leider traf das auch auf Alexander zu. Mit seinem Kilt und dem wie Rabengefieder bläulich schimmernden Haar wirkte er vor dem Hintergrund der Burg wie der lebendig gewordene Buchcoverheld eines romantischen Highlander-Zeitreise-Romans.

Er zeigte auf ein kleines Häuschen am Ufer. »Dies ist das Bootshaus. Sind die Damen bereit für eine Bootsfahrt auf dem Loch Dunvegan?«

Nein!

Eine eisige Hand umklammerte meine Kehle und schnürte mir die Luft ab. Alles, nur das nicht! Wenn ich eins hasste, waren es Bootsausflüge. Das Schwanken, die unergründliche Tiefe unter mir, das Gefühl, ausgeliefert zu sein und nicht jederzeit auf festen Boden entkommen zu können – all das jagte mir Angst ein. Allein die Vorstellung, in die hölzerne Nussschale, die an dem Bootssteg lag, einsteigen zu müssen, trieb mir den Schweiß auf die Stirn.

Katja klatschte in die Hände. »Das ist ja großartig! Was für eine herrliche Idee!«

Wie konnte ich nur dem Wahn verfallen, diese Frau sympathisch zu finden?

»Ich hole nur eben die Schwimmwesten!«, rief Alexander und verschwand im Bootshaus. Als ob mich so eine bunte Plastikweste beruhigen könnte …

Mit leuchtenden Augen drehte sich Katja zu mir um. »Ist das nicht toll? Dann können wir die Burg noch mal aus einer völlig anderen Perspektive sehen.«

Ja, und zwar aus einer Perspektive des Grauens und der panischen Angst.

»Toll«, krächzte ich mit tauben Lippen.

»Alles in Ordnung?«, hörte ich Tony leise fragen.

Reflexartig nickte ich.

Er ging um mich herum, sodass er mir in die Augen sehen konnte. »Sicher? Du musst nicht mitfahren.«

O nein. Diese Blöße würde ich mir nicht geben. War ich eine Frau oder ein Feigling? Trotzig hob ich das Kinn. »Natürlich werde ich mitfahren. So eine Bootstour kann ich mir doch nicht entgehen lassen!«

Kapitel 6

Meinen Entschluss bereute ich spätestens in dem Moment, als ich vom Steg in das wackelnde Etwas steigen sollte, das von Nahem sogar noch winziger aussah. Wie sollten wir da alle hineinpassen?

Alexander stand breitbeinig und verwegen in der Mitte des Bootes und hielt es mithilfe eines Pollers am Steg. Vorher hatte er natürlich Katja beim Anlegen der Schwimmweste geholfen. Mir hatte er nur eine zugeworfen, und ich plagte mich mit den Verschlüssen ab. Meine Finger zitterten so, dass ich sie einfach nicht zubekam.

»Darf ich?«, fragte Tony.

Resigniert ließ ich die Hände sinken. Geschickt klipste Tony die Schnallen zu und justierte die Weste nach, bis sie gut saß. »Wirklich alles gut?«

Ich sah in seine grauen, sanften Augen, registrierte den ehrlich besorgten Ausdruck darin und stand kurz davor, mit dem Kopf zu schütteln und wie ein kleines Kind in Tränen auszubrechen. Ärgerlich biss ich die Zähne zusammen und nickte.

»Tony, genug geflirtet, hilf der Lady beim Einsteigen!«, rief Alexander uns zu.

Tony verdrehte übertrieben die Augen, was nur ich sehen konnte, da er seinem Bruder den Rücken zudrehte. Trotz meiner Furcht musste ich grinsen. Das verging mir aber schnell, denn nun kam der schlimmste Teil. Das Einsteigen. Obwohl sich Alexander alle Mühe gab, das Boot ruhig zu halten, wusste ich doch, dass es kippeln würde, sobald ich einen Fuß hineinsetzte. Alexander hielt mir die Hand hin, mit der er sich nicht am Poller festhielt. Sein Lächeln wirkte ein wenig ungeduldig. Katja hatte es sich bereits im Bug bequem gemacht und zog ihr Smartphone hervor, um Fotos von der Burg zu schießen. Zögernd streckte ich den Arm aus. Gerade als ich den Schritt nach vorn wagen wollte, bewegte sich das Boot vom Steg weg und ich zuckte zurück.

Alexander schüttelte den Kopf und ließ die Hand sinken. »Tony, steig auch ein, ich halte das Boot mit beiden Händen am Steg, und du hilfst Jessica«, kommandierte er.

Katja steckte ihr Smartphone weg, drehte sich um und erhob sich halb. Damit brachte sie das Boot wild zum Schwanken. »Kann ich helfen?«

»Bleib sitzen!«, riefen Alexander und Tony wie aus einem Mund.

Tony sprang mit einer geschmeidigen Lässigkeit ins Boot, für die ich ihn nur beneiden konnte. Er streckte mir beide Hände entgegen. Mit dem Mut der Verzweiflung griff ich danach und machte einen großen Schritt. Mit dem rechten Bein in der Luft merkte ich, dass etwas nicht stimmte. Mein linker Schuh hing irgendwo am Steg fest! Entsetzt schrie ich auf und kippte nach vorn, ein Bein im Boot, das andere schräg nach hinten gestreckt. Im nächsten Moment prallte ich gegen Tonys Brust, und kräftige Arme schlossen sich um mich.

»Hab dich«, raunte Tony mir ins Ohr.