Strategien der Natur - Erwin Thoma - E-Book

Strategien der Natur E-Book

Erwin Thoma

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Beschreibung

Der Wald – ein Wunder der Natur Alles am Wald ist ein Wunder: jedes Samenkorn, das Geflecht der Wurzeln, das Licht, das durch das Blätterdach scheint, die wohltuend frische Luft. Wie der Wald entstand und was wir ihm zu verdanken haben, davon weiß Erwin Thoma sachkundig zu erzählen. So entstand ein außergewöhnliches Bäume-Buch voller faszinierender Geschichten und Mythen, spannender biologischer Details und wissenschaftlicher Zusammenhänge: - Wachsen, werden und vergehen – den Kreislauf der Natur verstehen - Die Evolution der Bäume und ihre Überlebensstrategien - Der Wald als Gemeinschaft und die besondere Verbindung zwischen Menschen und Bäumen - Wie Bäume die Umwelt schützen und warum der Wald für Menschen heilsam ist - Unterhaltsam und mit großer Fachkenntnis erzählt von einem Autor, der zugleich erdiger Naturtyp und erfahrener Unternehmer für Holzbau ist Ökosystem Wald – eine einzigartige Chance für unsere Zukunft. Das alte Wissen über die Zusammenhänge von Holz, Wald und Mond lernte Erwin Thoma von seinem Großvater. Seitdem arbeitet er lieber mit der Natur als gegen sie – zuerst als Förster, heute als Chef einer Firma für energie-autarke Holzhäuser und nachhaltiges Bauen mit Massivholz. Er ist überzeugt: Jetzt ist die Zeit der Bäume und Wälder gekommen. Der Wald ist nicht nur ein wichtiger Lebensraum für Tiere und Pflanzen – er schenkt uns Möglichkeiten, die Folgen des Klimawandels und die Zerstörung von Umwelt und Natur rückgängig zu machen. Alles, was wir jetzt tun müssen, ist, auf die Weisheit der Bäume zu hören. Nach Bestsellern wie »Dich sah ich wachsen – Was der Großvater noch über Bäume wusste« und »Sanfte Medizin der Bäume« ist das neue Buch von Erwin Thoma ein leidenschaftlicher Appell an uns Leser: Lasst uns die Sprache der Bäume lernen, denn das ist wichtig für unsere Zukunft!

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Seitenzahl: 293

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ERWIN THOMA

STRATEGIENDER NATUR

Wie die Weisheit der Bäumeunser Leben stärkt

Sämtliche Angaben in diesem Werk erfolgen trotz sorgfältiger Bearbeitung ohne Gewähr. Eine Haftung der Autoren bzw. Herausgeber und des Verlages ist ausgeschlossen.

Die Rechte für die Abbildungen liegen bei Johann Buchner GmbH, Wildsteig: 119; Gemeinde Venlo: 131; Getty Images: 29 o. (G. Majno), 32 (E. Reschke), 53 re. (S. Minzey), 55 (R. Brown/EyeEm), 56 (S. Zacek), 73 (Arterra), 84 (M. Breuer), 86 (DEA/V. GIANELLA); Heldentheater Molzbachhof: 132 o.; MBR Architekten: 102 (M. Haker); Claudia Meitert/carolineseidler.com: 224; picture-alliance: 20 (Okapia), 21 (dpa-Infografik), 25 (akg), 29 u. (H. Bäsemann), 35, 85, 90 (alle ImageBROKER), 53 li., 77 (bd. die KLEINERT.de/Rita Mühlbauer), 83 (dpa), 173 (blickwinkel/McPhoto/O. Schreiter), 203 (Dumont Bildarchiv); picture-desk: 187 (H. Laub/ImageBROKER), Planungsbüro Simon Beis: 132 u.; Erich Sinzinger: 121; Erwin Thoma: 94, 125, 127, 158, 159; sowie aus Moser/Thoma, Die sanfte Medizin der Bäume: 36, 37, 192.

1.Auflage

© 2019 Benevento Verlag

bei Benevento Publishing München – Salzburg, eine Marke der Red Bull Media House GmbH, Wals bei Salzburg

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags, der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen sowie der Übersetzung, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Medieninhaber, Verleger und Herausgeber:

Red Bull Media House GmbH

Oberst-Lepperdinger-Straße 11–15

5071 Wals bei Salzburg, Österreich

Satz: Melanie Kraxner, Graz

Gesetzt aus der Ergilo und GT Pressura

Umschlaggestaltung: Martina Eisele, München

Umschlagfotos: Getty Images / Angus Clyne (Vorderseite), Rachele Z. Cecchini (Rückseite)

ISBN 978-3-7109-0087-7

eISBN 978-3-7109-5096-4

»EIN BAUM IST EINE UNERSCHÖPFLICHE QUELLE WUNDERBARER ERKENNTNISSE.«

Yehudi Menuhin

Inhalt

ZAUBERFIGUREN ENTSTEHEN –Ein Prolog

1 DIE GEBURT DER BÄUME –Warum der Weg kampfloser Veränderung am wirkungsvollsten ist

2 DIE FARBEN DES LEBENS –Wie das Lichtspektrum auf uns Menschen einwirkt

3 DIE ALCHEMISTEN DER NATUR –Wie Bäume lebenswichtige Verbindungen knüpfen

4 WURZELN –Wie die Bäume unter der Erde ein krisenfestes Informations- und Handelssystem schaffen

5 EWIGER KREISLAUF –Der Humus des Waldes zeigt uns die Erfolgsrezepte der Natur

6 DIE GESUNDHEIT DER BÄUME –Wie ihre Unverwüstlichkeit unser Leben stärkt

7 BAUM UND MENSCH –Die längste Freundschaft und ihre Wirkung

8 VOM SANDKUCHEN ZUM HOLZHOCHHAUS –Warum uns die Natur die beste Baukunst zeigt

9 ERINNERUNG UND ERFAHRUNG –Was wir von dem Wissen der Bäume lernen können

10 DIE SPIELREGELN DES WALDES –Was uns die Gemeinschaft der Bäume schenkt

11 IM EWIGEN FLUSS –Was die Bäume uns über das Sterben erzählen

WIE WIR DIE KRISE ÜBERWINDEN KÖNNEN –Ein Epilog

ZAUBERFIGUREN ENTSTEHEN

Ein Prolog

Seit Urzeiten haben sie sich lustvoll immer tiefer in den Humus gegraben. Nein, sie sind vielmehr immer weiter hinuntergeglitten. Mit der feinen Wurzelspitze voraus in die Ritze hinein, die vom ewigen Freund und Begleiter, dem Mykorrhizapilz, mit Schleim vorbereitet wurde. Erst einmal eingedrungen, beginnt ganz langsam das Anschwellen des unscheinbaren Fadens. Kaum zu glauben, dass daraus jemals ein armdicker Wurzelstrang entsteht, der elastisch gewunden seine Bahn durch die unterirdische Welt ziehen wird. Leicht presst er das umliegende Erdreich weg, windet sich schmiegsam um alle Hindernisse, krallt sich an ihnen fest. Seine Bestimmung ist es überdies, sich immer neu zu teilen. Kaum ist eine Strecke zurückgelegt, beginnt das nächste Verästeln. Auf diese Weise entsteht, von uns Menschen unbemerkt, die unterirdische Herrschaft der Baumwurzelwelt. Humus, Sand und Lehmschichten werden durchdrungen, Stein und Felsblöcke umwunden und zwischen kraftvollen Windungen der unterirdischen Holzstränge mächtig eingespannt. Aus tiefen Schichten wird Wasser weit nach oben gepumpt. Umgekehrt werden Luft und Nährstoffe in die dunkle Welt hinuntergebracht. Es ist eine Lebenswelt, die allen Blätter- und Nadelkronendächern mit ihren Tausenden Bewohnern an Vielfalt und Vernetztheit in Nichts nachsteht. Den Schmetterlingen oben in der Baumkrone stehen hier verwegene Käfergestalten gegenüber, die bunt-fröhlichen Tiergewänder in den hohen Kronenräumen werden hier unten mit Chitinpanzerkleidern, Grabwerkzeug und mitunter sogar hirschgeweih- oder nashornähnlichen Aufsätzen getauscht. Anstelle flatternder Vögel gibt es grabende Maulwürfe und Wühlmäuse.

Stimmt schon, sie ist finster und undurchschaubar, die Unterwelt der Baumwurzeln. Wer aber glaubt, sie sei an Leben ärmer, der irrt gewaltig. Abgesehen von den uns bekannten Kleintieren, den Regen- und sonstigen Würmern, Ameisen und Insekten, sind es vor allem die Kleinstlebewesen, die unsere Vorstellungskraft übersteigen. Milliarden von Bakterien und Viren leben hier, und wir hören von diesen winzigsten aller Lebewesen normalerweise nur dann, wenn sie der Arzt als unangenehme Überbringer von Krankheiten erwähnt. Dass diese Bakterien und Viren nur eine verschwindend geringe Minderheit unter den Kleinstlebewesen ausmachen, ist uns kaum bewusst. Wer denkt schon daran, dass unser eigenes Leben, der Beginn unserer Nahrungskette, von den allerkleinsten Bodenbewohnern abhängt – ohne die Heerscharen an Mikroorganismen in Humus und Boden gebe es kein Leben auf Erden.

Machen wir uns ein Bild von der Mächtigkeit dieses Reiches. Mit dem Elektronenmikroskop untersuchte Erde – ganz normaler Waldboden –, lässt uns Menschen staunen: In nur einem Kubikzentimeter Humusboden, also ungefähr einem Teelöffel voller Erde, leben circa eine Million Bakterien und zehn Millionen noch kleinere Viren. Angesichts solcher Zahlen kann von Einsamkeit in der stillen Wurzelwelt wohl kaum die Rede sein. Es ist vielmehr die Begrenzung unserer Sinne, die uns diese Lebensformen nicht mehr wahrnehmen lässt. In Wahrheit herrscht in den Böden unserer Wälder ein Getriebe, das der Fülle einer pulsierenden Großstadt in keiner Weise nachsteht. Wenn Landbewohner in eine große Stadt kommen, stöhnen und staunen sie oftmals über die Menschenmassen in der U-Bahn und an belebten Plätzen. Wie würden sie erst staunen, wenn sie in das Leben der Walderde eintauchten. Die Vielzahl dort übertrifft jede Rushhour in Tokio, Moskau oder New York. Zumal es unter der Erde ganz und gar ohne Chaos abläuft.

Die unzähligen Wesen dort unten sind im wohl organisierten Konzert aufeinander abgestimmt, und es mag wie Spott auf uns Menschen wirken, dass wir uns mit banaler Organisationsarbeit plagen, während im tiefen Erdreich Milliarden Lebewesen scheinbar mühelos und zielgerichtet zusammenwirken, dirigiert von einem geheimnisvollen Regenten, der das Geschehen uhrwerksgleich ineinandergreifen lässt und gegenseitig harmonisiert.

Wozu all das nötig ist und was bei der unermüdlichen Arbeit an Bodenleben herauskommt, sehen wir schon an der Ernährung eines Baumes. Der Baum allein würde selbst im nährstoffreichsten Humusboden und selbst mit dem prächtigsten Wurzelreich verhungern, wenn ihm nicht die Mikrolebewesen die benötigten Spurenelemente und Salze in genau dosierten Mengen und Rezepturen aus dem Boden lösen würden. Wurzeln können nur das zubereitete Menü der Bodenwinzlinge aufnehmen. Und dieses Menü wird genau an die jeweiligen Bedürfnisse des Baumes angepasst.

Es ist also ein großes Missverständnis, wenn wir Viren und Bakterien pauschal als gefährliche Krankheitserreger betrachten. Das Gegenteil ist der Fall: Die allermeisten davon sind unglaublich nützlich und lebensspendend. Es kommt darauf an, diese mikroskopisch kleinen Wesen das Richtige tun zu lassen, das, was unserem Leben und unserer Gesundheit förderlich ist. Der Baum informiert seine Bodenlebewesen über seine Bedürfnisse und diese bereiten dazu passend das Mahl. Der gesunde Menschenorganismus kommt gleichsam mit allen Bakterien und Viren zurecht, tauscht sich aus und hält sie im wohltuenden Gleichgewicht. Solange wir Bakterien, Viren und Krankheit nur als Feinde betrachten, die wir mit allen Mitteln bekämpfen müssen, werden wir unnötig viel Lebensenergie in diesem Kampf verschwenden. Wer es dagegen schafft, aus vermeintlichen Feinden gute Nachbarn zu machen, der kommt am besten durch das Leben. Doch dazu mehr an späterer Stelle.

»WO LIEGT DIE GEHEIME FORMEL, DIE SOLCHE ZAUBERFIGUREN ENTSTEHEN LÄSST? WAS IST IHR URSPRUNG UND IHR ZIEL?«

Je genauer wir die unterirdisch verborgene Wurzelwelt der Bäume betrachten, desto mehr enthüllt sich uns ein Spiegelbild zu den Baumkronendächern. Dort oben greifen die Arme großer, grobmächtiger und kleiner, fein vergabelter Astformationen in allen denkbaren Formen in Luft, Licht und Sonnenwärme hinein. Unten werden feinstoffliche Mineralmischungen dem Baumkörper zugeführt. Oben saugen die Kronen unvorstellbare Massen an CO2-Moleküle aus der Luft in das Chemielabor des Bauminneren.

Wer verbindet diese Welten? Zwischen astverzweigten Kronen und dem gewundenen, vergabelten Wurzelwerk steht immer und unverrückbar das Holz in seiner Farbenvielfalt. Einmal zur turmhohen Säule emporgerichtet, ein anderes Mal urig geduckt und knorrig hart im schuppigen Kleid verborgen. Baumstämme sind es, die Harzigen und Gewundenen und all ihre fantasievoll gestalteten Geschwister. Sie formen gemeinsam mit dem Gegenspiel von Wurzel und Krone die mächtigen Wesen dieses Planeten. Die Formfindung der Bäume ist dabei ein Schöpfungsmysterium für sich. Nichts blieb unversucht, alle Gestalten und Ideen wurden und werden ausprobiert beim Wachstum einzigartiger Baumstämme. Wind und Schnee, Wüstenhitze, Trockenzeiten, Fluten und Sümpfe – die Naturgewalten fordern unsere Bäume, immer wieder neue, perfekt angepasste Gestalten und Wuchsformen zu entwickeln.

Wer hat sich solch ein Konzept erdacht? Wo liegt die geheime Formel, die solche Zauberfiguren entstehen lässt? Was ist ihr Ursprung und ihr Ziel? Woher kommen sie, diese hölzernen Verbindungsbrücken zwischen Luft- und Erdwelten? Um diese Frage zu beantworten, wollen wir in die Vergangenheit unseres Planeten zurückschauen.

Beginnen wir bei der Geburt unserer Bäume und folgen wir ihrem Leben, ihren Geheimnissen und der Weisheit, die in unseren Wäldern im Großen und im ganz Kleinen zu finden ist. Immerhin gibt es Bäume rund hundert Mal länger auf der Erde als uns Menschen. Ein Zeitraum, in dem sie dank ihrer Strategien alle nur denkbar möglichen Gefahren, Krankheiten und Katastrophen erfolgreich bewältigt haben. Eine Zeit, in der sie dank ihrer Strategien nicht nur zu überleben, sondern auch gut zu leben gelernt haben.

Wenn wir das Leben der Bäume genau beobachten und begleiten, dann werden wir rasch merken, dass uns diese Beschäftigung beschenkt, stärkt und bereichert. Wer sich erst einmal auf die Natur einlässt, wer sich dafür Zeit nimmt, der erlebt, wie wunderbar verbunden unser eigenes Leben mit dem Leben dort draußen ist. Aus einer vermeintlichen Trennung zwischen uns und der Umwelt wird eine beglückende Verbindung zur Mitwelt. Geborgenheit, Zufriedenheit und Dankbarkeit – wer hätte diese Geschenke gerade bei den Bäumen vermutet?

DIE GEBURT DER BÄUME

Warum der Weg kampfloser Veränderung am wirkungsvollsten ist

Wollen wir uns den Lebenslauf der Bäume genauer ansehen, müssen wir einige Milliarden Jahre zurückgehen: Die Erde ist bereits ein fester Planet. Erstarrtes Magma hat Gesteinsformationen in unterschiedlicher Vielfalt gebildet. Gestein ist zum Land, zum festen Boden geworden. Und es gibt Wasser. Wasser in allen Formen: vom Eiskristall bis zur dampfenden Heißwasserquelle, vom Rinnsal bis zum überwältigenden Ozean. Diese Welt ist jedoch immer noch mineralisch, anorganisch. Es gibt keine Pflanzen in unserem Sinn. Keine Gewächse, keinen Humusboden. Nur Gestein in allen Variationen, vom aufgefalteten Riesengebirge bis zum fein gemahlenen Sand.

Kälte, Hitze, Winde, Mineralien! Grau, lebensfeindlich, eine unbelebte Steinwüste – so würden wir diese Welt mit unseren heutigen Augen sehen. Gänzlich unbelebt? Nein, da und dort in lauwarmen Wassertümpeln gibt es bereits einzelne, mikroskopisch kleine Bakterien. Erste Winziglebewesen, die sich zur Fortpflanzung einfach teilen. Und darauf aufbauend können sich nach zahlreichen Versuchen irgendwann allererste Zusammenschlüsse und Kleinstgemeinschaften bilden. In einer geschützten Steinnische sehen wir zaghafte Besiedelungserfolge von pilzähnlichen Schleimgewächsen. Auch feine Algenfäden tauchen auf. Ihr Fortkommen jedoch ist unvorstellbar mühselig. Kein Wunder, der nackte Stein ist die einzig nutzbare Nahrung. Das Wasser, manchmal mit einigen aus dem Fels herausgelösten Molekülen angereichert, ist hierfür die einzige Quelle. Seit Jahrmillionen kämpft dieses erste Leben auf Erden, besser gesagt: auf den Steinen und schafft keine Veränderung. Hie und da werden die spärlichen Reste abgestorbener Artgenossen gierig und sorgfältig in den eigenen Körper eingebaut. Von Humus, von üppigen Nahrungsgründen kann jedoch noch keine Rede sein. Unendliche Zeiträume blieb die Welt solcherart erstarrt, unverändert und erfolglos in ihren Versuchen, das Leben fortzuentwickeln.

Doch ausgerechnet in dieser Trostlosigkeit geschieht es plötzlich. Die größte, wichtigste, für die Zukunft des Planeten weitreichendste Erfindung fällt mitten in diese Ödnis hinein. Mit einem Schlag sollte damit alles anders, die Welt geradezu aufgerüttelt werden. Der Siegeszug des organischen Lebens beginnt mit einer Erfindung. Aber wie überraschend! Die Erfinderin dieser bahnbrechenden, alles verändernden Neuerung ist eine der unbedeutendsten, schutzlosesten Teilnehmerinnen im ohnehin so bescheidenen Leben. Eine Blaualge, winzigst klein, sucht verzweifelt ihrer unwirtlichen Umgebung zu entkommen. Die Hitze der unerbittlich strahlenden Sonne droht sie zu verdorren, finstere Kälte und Eis ihre Lebensfunktionen für lange Zeit einzufrieren. Was für eine Bedrängnis. Ausgerechnet in dieser Ausweglosigkeit sollte es zunächst noch schlimmer kommen. Im letzten Wassertropfen, den die Alge zur Bevorratung in ihren bescheidenen Zellverband hineingelegt hatte, befanden sich eine Reihe seltsamer, möglicherweise gefährlicher Bakterien. Im Vergleich zu den ohnehin winzigen Algenzellen waren diese urtümlichen Wesen nahezu unsichtbar klein; sie existierten wohl in einer ähnlichen Aussichtslosigkeit.

Dann landet eine dieser speziellen Bakterien zum ersten Mal in der ebenso speziellen Alge. Obwohl sie die allerkleinste und auf den ersten Blick unbedeutendste der damaligen Lebensformen ist, bleibt ihr Hineinschwindeln in die festgefügte Ordnung des Zellverbandes nicht lange unentdeckt. Dementsprechend fallen auch die Reaktionen aus: Die Bakterie wird als Fremdkörper wahrgenommen, der Angst verbreitet. Alle wollen den Eindringling wieder loswerden. Doch die Bakterie weiß, was sie erwartet, wenn sie die Alge wieder verlässt. Niemals würde sie freiwillig zurück. Dorthin, wo ihr Verderben droht. Sie klammert sich mit allen Mitteln fest. Sie bietet ihre Mithilfe an. Mit ganzer Kraft wird sie sich für ihre neue Lebensgemeinschaft einsetzen. Das vergrößert den Argwohn der Umgebung jedoch noch mehr.

Die Zellen reiben sich, versuchen das unbekannte Wesen loszuwerden. Ein unbedeutender Quadratmillimeter auf dem riesigen Planeten Erde ist es, in dem sich ein Drama anzubahnen scheint. Inmitten des beginnenden Kampfes scheint die Sonne auf das blaugraue Wesen. Zufällig herrscht gerade ein milder Frühling. Regen fällt warm auf die Außenhaut der kleinen Welt, in der die neue Verbindung stattgefunden hat. Die alteingesessenen Zellen versuchen nach wie vor, den Eindringling loszuwerden. Mit allen Mitteln; die stärksten Waffen der Vertreibung sollen eingesetzt werden. Sie produzieren alle möglichen Säfte und versuchen, verschiedene Mixturen zur Abwehr der Bakterie einzusetzen. Ist das, was dadurch ausgelöst wird, Zufall? Eine chemische Reaktion zwischen der Blaualge und den Stoffen ihrer Umgebung färbt die Alge plötzlich grün ein. Grüne Algen oder Pflanzen, das gab es noch nie auf dem Planeten, der bisher nur graues Gestein und blaues Wasser kannte. Grün leuchtet nun eine ganz neue Pflanze, und dieses Grün nennen wir heute Chlorophyll. Die durch ihre neue Einwanderin umgewandelte Alge sollte dem ganzen Planeten die wichtigste Erfindung schenken, bedeutend und von unschätzbarem Wert. Die Alge konnte nun unvermutet und erstmalig eine unerschöpfliche, üppige neue Nährstoffquelle anzapfen.

Die Luft war damals schwerstbeladen mit CO2. Jenes Gas, das wir Menschen heute durch die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas im Übermaß in die Atmosphäre blasen. Jenes Gas, das heute mit zu Klimaerwärmung und Treibhauseffekt führt. Aber bleiben wir in der Vergangenheit, bei der einsamen Chlorophyllzelle. Die grüne Alge konnte nun erstmalig Luft einatmen, CO2 in sich aufnehmen und spalten. Auf diese Weise gewinnt die Pflanze den reinen Kohlenstoff (C) und den reinen Sauerstoff (O2).

Im ersten Augenblick muss die Verwirrung rund um die unerwartete Veränderung groß gewesen sein. Die Alge badete plötzlich in Nährstoffen, die sie bereitwillig mit ihren Gastgebern rundherum teilte. Wohl noch niemand ahnte zu der Zeit, welche Lebenswunder geschaffen werden, wenn Pflanzen erst einmal beginnen, aus den gewonnenen Luftbestandteilen sowie Wasser und Bodensalzen Lebenselixiere zu brauen und vollkommen neue Pflanzenteile zu kreieren. Nichts sollte die Erde mehr verändern als dieser Prozess: CO2 wird von Pflanzen eingeatmet und überschüssiger Sauerstoff wird wieder ausgeatmet, der Luft zurückgegeben. Der andere Teil des gewonnenen Sauerstoffes wird als Baustein für neue Körperteile verwendet.

Das Zeitalter der Fotosynthese hatte also begonnen. Niemand sonst auf der Welt war in der Lage, sich jederzeit satt zu essen. Nährstoffe für das eigene Wachstum einfach aus der Luft einzuatmen, noch dazu in unbegrenztem Maße, wie genial. Freilich braucht die Verdauung Energie. Wie sonst könnte das CO2 geteilt werden? Aber eben dafür hatte die Blaualge die naheliegendste Lösung gefunden: Sonnenenergie schien unerschöpflich auf den Planeten Erde. Und die neue Farbe Grün konnte das Sonnenlicht so filtern, dass es zur Zerlegung des CO2 verwendet werden konnte. Die warmen Strahlen sollten damit zur Antriebsquelle für die Erfindung werden.

Nach den ersten gelungenen Versuchen zeigte sich der Pflanze rasch ihr unglaublicher Vorteil gegenüber all den anderen farblos grauen Zellkonkurrenten. Sie, die nun aus der Luft Nahrung nehmen konnte, wuchs neuerdings recht ungestüm, die neuen Zellen wurden beständig zur Vermehrung gedrängt, und im Nu gedieh auf dem Gestein grünes Pflanzenwachstum. Während alle anderen noch mühsam und im Schneckentempo mineralische Moleküle vom verwitterten Stein sammelten, konnte die grüne Pflanze beliebig viel Kohlenstoff aus dem CO2 holen und munter mit allen Evolutionsversuchen der organischen Kohlenstoffchemie beginnen. Vom steinigen Untergrund wurden nur mehr Spurenelemente in geringsten Mengen aufgenommen. Mit dem neuen Wunderstoff explodierte die Wachstumsgeschwindigkeit in noch nie da gewesener Rasanz. Pflanzenteile, die früher Jahrzehnte oder Jahrhunderte für ihr Wachstum benötigten, gediehen jetzt in kurzer Zeit. Und der neue Baustoff ermöglichte plötzlich das Spiel mit ganz neuen Formen und Strukturen; verschiedene Blatt- und Wurzelorgane wurden ausprobiert, verbessert und an alle möglichen Klimabedingungen angepasst. Was für ein Wunder! Nach Hunderten Millionen von Jahren wurde der Planet explosionsartig grün.

Ein kurzer Blick in die Gegenwart sei gestattet: Die Blaualge, dieses unbedeutende Lebewesen, war von der Natur zur großen Erfindung auserkoren. Nicht die damals erfolgreichsten, vorherrschenden Zellformationen konnten die große Entwicklung auslösen. Von einem Außenseiter, einem geringgeschätzten, bedrängten Lebensteilnehmer, kam der ganz große Wurf. Ist es nicht heute immer noch so? Wie oft kommen bahnbrechende Impulse und grundlegende Veränderungen aus der Subkultur, von Außenseitern, von Menschen unter Druck, an Orten und von Personen, die sich weit weg von den herrschenden Machtzentren, von den organisierten Wissenshochburgen oder von der anerkannten Hochkultur befinden.

»DAS BESSERE VERÄNDERT UNWIDERSTEHLICH VORHANDENES, SOBALD SEINE ZEIT GEKOMMEN IST. DIESER WEG KAMPFLOSER, SANFTER VERÄNDERUNG HAT SICH ALS DER WIRKUNGSVOLLSTE ERWIESEN.«

Die Erfindung der Fotosynthese durch die Bakterieneinwanderung in die Blaualge erzählt uns aber noch etwas anderes. Zu keinem Zeitpunkt hatte die erfindungsreiche Alge die Strategie oder Absicht, das ganze bestehende System zu ändern. Niemand hatte die geringste Energie im Kampf gegen das herrschende Lebenssystem aufgebracht. Der Antrieb für die einfache, aber umwälzende Erfindung war womöglich der Wille, etwas besser zu machen. Ein ungestümes Wollen, das aus der Not heraus geboren wurde. Vergleichen wir dieses Verhaltens mit uns Menschen, tun sich interessante Parallelen auf: Viele verwenden heute unglaublich viel Energie, um gegen Vorhandenes anzukämpfen. Industrielobbys, das Finanzsystem, das Gesundheitssystem, das Bildungssystem, das politische System bereiten oft großes Unbehagen. Es handelt sich dabei aber auch um Systeme, die sich gegen Angriffe rüsten, die den Gegner erwarten und darauf vorbereitet sind, seine Energien zu schwächen. Innerhalb des eigenen Systems sind die vorhandenen Machtzentren immer am stärksten. Am Ende haben beide wertvolle Lebenskraft verloren, der Angreifer wie auch der Verteidiger. Die Blaualge hingegen hat nur in ihrem direkten Umfeld und mit ihren beschränkten Möglichkeiten versucht, ihr Bestmögliches zu tun. Aus der Not heraus hat sie das Bessere entdeckt und dadurch wurde die ganze Welt verändert. Das Bessere verändert unwiderstehlich Vorhandenes, sobald seine Zeit gekommen ist. Dieser Weg kampfloser, sanfter Veränderung hat sich als der wirkungsvollste erwiesen. Er verliert keine Energie im Kampf, vielmehr sammelt er alle Kraft für die Veränderung.

Frühe Form von Natur und Grundlage unseres Lebens: Algen.

Verfolgen wir nun den weiteren Werdegang der Erfindung auf unserem Planeten. Die Fotosynthese wurde zum Massenverfahren. Dadurch kam ein ganz neuer Stoff ins Spiel. War bisher das CO2 der Hauptbestandteil der Atmosphäre, so wurde nun Sauerstoff in immer größeren Mengen freigesetzt. Das führte einerseits zur Entstehung zahlreicher neuer Lebensformen, andererseits verabschiedeten sich viele Sauerstoffflüchtlinge. Mikroben, spezielle Bakterien und ähnliche Kleinstlebewesen, die keinen Sauerstoff ertragen konnten, versteckten sich immer tiefer im Wasser, im Gestein, oder sie verschwanden ganz. (Wie anpassungsfähig und trickreich die Natur sein kann, zeigen uns die Sauerstoffflüchtlinge, die bis heute überlebt haben. Sogenannte anaerobe Kleinstlebewesen, die beispielsweise die Verdauungsarbeit von zellulosehaltigen Fasern in den Mägen der Wiederkäuer erledigen, vom wilden Hirsch des Waldes bis hin zur Kuh auf dem Bauernhof.)

Die Erfindung der Fotosynthese wurde aus der Not heraus geboren, aus dem ungestümen Willen, etwas besser zu machen.

Das Zurückdrängen der sauerstoffscheuen Kleinlebewesen geschah aber nahezu unsichtbar im Vergleich zu dem Spektakel der Grünentwicklung, die jetzt einsetzte. Alles Leben, das auf Grün setzte und mit Chlorophyll seine Entwicklung vorantrieb, war nun auf der Gewinnerseite. Bald ging es darum, wer als Erstes unbesiedeltes Land besiedelte. Die Reviere wurden abgesteckt. Pflanzen am Land und grüne fotosynthesegetriebene Algen in den Gewässern eroberten ihre Gebiete. Sobald die Lücken geschlossen waren, ging der Wettbewerb in eine neue Runde. Wer kann Land vom Nachbarn übernehmen. Wer kann sich besser an den jeweiligen Ort anpassen. Der Grashalm und das Krautblatt, die ihre Nachbarn überschatten konnten, waren dabei klar im Vorteil. Der Platz im Sonnenlicht versprach Energiezufuhr und Wachstum. Alle Pflanzen waren verdammt dazu, unaufhörlich und mit allen Mitteln um die persönliche Ausbreitung zu kämpfen. Nur wer im Sonnenlicht seine Blätter ausbreitete, konnte wachsen und gedeihen. Wehe dem, der im Schatten blieb. Er war dem Untergang geweiht.

Dieses immer gleiche Spiel sollte Jahrmillionen füllen. In dieser Zeit wurden zudem erstmals spürbare Mengen abgestorbener Pflanzenmassen in das Erdinnere eingelagert. Unter Druck und Luftabschluss verwandelte sich die Biomasse. Erste Erdöl-, Kohle- und Gaslager entstanden. Die Millionen von Jahren andauernde CO2-Entnahme der Pflanzen aus der Atmosphäre hatte wiederum eine beruhigende Wirkung auf das Klima. Dieses wurde nicht nur immer günstiger für die Weiterentwicklung später auftauchender Pflanzen- und Tierarten, auch Wetterextreme wurden geringer und ausgeglichener.

Die nächste Punktmutation folgte dann erst vor circa 380 Millionen Jahren. Wieder erfüllte sich dieses stille Gesetz: Große Veränderungen kommen unerwartet, scheinbar zufällig. Sie kommen, wenn niemand mehr damit rechnet. Milliarden Experimente sind von den Pflanzen durchgeführt worden. Es gab keine Form, keine Art der Lebensorganisation, die nicht probiert worden wäre. Alles schien festgefahren, wieder erschien jede Hoffnung auf Veränderung aussichtslos. Das nun herrschende System war wieder etabliert, mächtig und unüberwindbar geworden.

Da begann sich plötzlich ein Gewächs zum Abertausendsten Mal aufzurichten, seine Blätter, die grünen Sonnenfänger, über die anderen zu erheben. Wie oft hatten Stürme und Fröste derartige Versuche, sich einen Lichtvorteil zu verschaffen, nicht schon vernichtet. Immer wieder war dieser Versuch unternommen worden: schneller zu wachsen, die Blätter über die der anderen auszubreiten, die Nährstoffe rascher aus dem Boden herauszuschürfen. All diese Experimente sind an den krautigen Stängeln gescheitert. Vom Sturm geknickt, vom Frost und Winter vernichtet, dem Erdboden gleichgemacht. Wie oft waren diejenigen besser dran, die sich ganz an den Boden drückten, sich mit dem Schatten begnügten und niemals mutig ihre Existenz riskierten? Die am Boden Geduckten mögen wissend und mitleidig gelächelt haben angesichts der großen Masse, die genau wussten, dass es sich nicht lohnte, etwas anders zu machen. Und so bereiteten sie sich darauf vor, den Untergang dieser vorwitzigen Pflanze zu beobachten. Immerhin eine Abwechslung im eintönigen Leben. Und eine neuerliche Bestätigung für das eigene Gebücktsein. Wer selbst dazu gezwungen wird, ein gebücktes Leben zu führen, der ist froh, im Gebücktsein des Nachbarn eine Bestätigung für die eigene Haltung zu finden.

Doch dieses Mal war etwas anders. Wieder sollte es ein neues Material sein, das die Neugestaltung vorantrieb. Während alle anderen unaufhörlich den äußeren Machtkampf betrachteten und ihre eigene Position im ewigen Gedränge aller zu verbessern suchten, geschah in einer einzigen Pflanze etwas Besonderes. Aus unerfindlichen Gründen hörte sie gänzlich auf zu kämpfen, um einzelne Quadratzentimeter zu drängeln, und begann, ganz woanders zu suchen. An einem Ort, an dem bis jetzt wohl kein Einziger von all ihren Konkurrenten gesucht hat. Sie suchte in ihrem Inneren. Neues sollte entstehen, Möglichkeiten für die Entwicklung in einer ausweglosen Situation mussten gefunden werden.

Jede Pflanze, jedes Lebewesen, und ist es noch so klein, beinhaltet ein riesiges Chemielabor. In diesem Labor, in Zellräumen mit herumschwirrenden, sich verändernden und reagierenden Molekülen, haben die Versuche stattgefunden. Im Inneren entdeckte die auf sich selbst achtende Pflanze den revolutionären, neuen Stoff. Nach zahllosen Versuchen ist es ihr plötzlich gelungen, Holzstoff zu formen. Erste Cellulosemoleküle, Lignin und Hemicellulose waren aus dem CO2 der Luft, aus Wasser und geringen Zusätzen des Bodens entstanden. Ein biochemisches Experiment ist da geglückt, und die Sonnenenergie hatte wieder einmal den Prozess angetrieben. Ja, vielmehr ermöglichte die Sonnenkraft die Produktion der Holzzellen und blieb dabei – was für ein Segen – in den erzeugten Holzzellen gespeichert.

Holzstoff ermöglichte fortan frostharte, mehrjährig aufragende, statisch tragende Pflanzenkonstruktionen. Die verholzende Pflanze konnte erstmals den Winden, den Stürmen und dem ärgsten Pflanzenfeind, dem Frost, standhalten. Sie blieb stehen, konnte im nächsten Frühjahr wieder austreiben und dort weiterwachsen, wo sie im Herbst aufgehört hatte. Noch nie zuvor ist es einer Pflanze gelungen, die Gestalt des Vorjahres auch im nächsten Jahr zu nutzen. Bisher mussten sie immer wieder von vorn, von ganz unten beginnen. Nur die Wurzeln überlebten den Winter, und im Frühling hieß es dann wieder, alle Kräfte zu mobilisieren und das grüne Kleid erneut der Sonne entgegenzutreiben. Nun, mit einem Schlag, war das Wissen vom Emporwachsen eines frostharten, mehrjährig lebenden Pflanzenkörpers vorhanden. Verholzung hieß das Geheimrezept.

Und wieder wirkte ein geheimes Urgesetz des Lebens. Kein einziger Gedanke auf dieser Welt ist wirkungslos. Nichts an vorhandener Weisheit geht verloren, auch wenn es niemals mit menschlichen Worten ausgesprochen wird. Einer unsichtbaren Wolke, einem schwingenden Feld gleich verbreitete sich die Formel, die einjährige Gräser und Kräuter verholzen und mehrjährige Stauden, Sträucher und erste Bäume entstehen ließ.

Der Kampf am Boden um jeden Zentimeter Siedlungsgebiet war nun überflüssig für all jene, die mit dem neuen Wundermaterial dauerhaft emporwachsen konnten. Die Zeit der Bäume war angebrochen, sie sollten nun ihr großes Werk auf Erden beginnen. Aus einem Planeten, der mit grüner Grasschicht überzogen war, wurde eine bewaldete Erde. Über die Gräser erhoben sich die siegreichen Sträucher und Bäume, und das Grün – die Erfindung der Blaualge – wurde durch die Erfindung der Holzzellen in mehrere Stockwerke getragen, vom Unterholz bis zur Kronenschicht der höchsten Bäume.

Was ist das für ein Wunderarsenal, aus dem die Natur solche Innovationen nimmt? Neuerungen, die Jahrmillionen Bewährtes mit einem Windhauch hinwegblasen. Warum kommen solche Entwicklungssprünge derart unvorhersehbar, scheinbar aus dem Nichts? Wo ist die Schatzkammer, der Schlüssel zu solchen Ideen? Wie viele dieser Neuerungen liegen heute noch verborgen? Sollen wir es Schöpfung nennen oder Entwicklungspotential, Zufall oder Plan? Seit 300 bis 400 Millionen Jahren übt die Natur nun an den Bäumen in der unaufhörlichen Verbesserung ihrer Konstruktion. Aus anfänglich einfachen Zellstrukturen sind hochkomplexe Konstruktionsformen entstanden, mit kristallinen geometrischen Körpern, Röhren und Bändern, mit Säulen und Streben kreuz und quer, bis ins Feinste durchoptimiert. Holz, was für eine Wunderwelt birgst du in dir?

Erst vor circa vier bis fünf Millionen Jahren sind die ersten Wesen, aus denen sich der heutige Mensch entwickelte, hinzugekommen. Die Bäume sind rund hundert Mal länger auf dieser Welt als wir Menschen. Und sie waren die wesentlichen Geburtshelfer für uns Menschen.

Karbonlandschaft (vor ca. 360 bis 300 Millionen Jahren): Bäume beleben die Erde.

Ihre mächtigen, tonnenschweren Stämme benötigten große Mengen an CO2 aus der Luft. Viel mehr, als vorher vom niederen Gras und einjährig gewachsenen Kraut eingeatmet wurde. In den 350 Millionen Jahren bis zum Erscheinen der Säugetiere geschah es immer wieder, dass ganze Wälder überflutet wurden, von Bergstürzen begraben oder auf irgendeine andere Weise in das Innere der Erde verschwanden. Mit diesen Holzeinlagerungen wurden Milliarden Tonnen an CO2 aus der Atmosphäre genommen und im Erdinneren gebunden. Dort unten, tief in der Erde, oft unter Meeresböden oder unter neu aufgefalteten Bergrücken, verwandelten sich unter Luftabschluss und Druck überschwemmte Wälder, verschüttete Baumstämme und überwachsene Biomasse langsam in neue, immer größere Kohle-, Erdöl- und Erdgaslager. Je mehr CO2 die Bäume auf diese Weise im Inneren des Planeten einlagerten, desto milder wurde das Klima auf Erden. Was die grünen Bodenpflanzen eingeleitet hatten, das vollendeten die Bäume, die Wälder in viel größerem Umfang. Stürme beruhigten sich. Temperaturextreme und Schwankungen fielen milder aus, die Welt wurde lebensfreundlicher, sie wurde von den Bäumen so weit vorbereitet, dass Säugetiere, dass wir Menschen in unserer ganzen anfänglichen Schutzlosigkeit die Erde betreten und unseren Lebensweg beginnen konnten.

Um sich die gigantische Leistung der Wälder bei der Veränderung der Erdatmosphäre vorstellen zu können, muss man sich nur vor Augen führen, dass heute in allen Wäldern der Erde mehr Kohlenstoff in den Bäumen eingelagert ist wie als Gas frei durch die Erdatmosphäre schwebt. Ohne diesen riesigen Kohlenstoffvorrat, ohne unsere Bäume könnten wir Menschen keinen Tag auf diesem Planeten leben. Wäre der Kohlenstoff aus den Wäldern plötzlich in der Luft, dann hätten wir auf der Erde einen richtigen Hexenkessel und es herrschte ein Klima wie vor 400 Millionen Jahren.

So gesehen sind wir aus dem Wald gekommen. So gesehen mag es weniger verwundern, dass unsere Vorfahren Bäume als Gottheiten verehrten. Die heilige Esche Yggdrasil der Germanen sei nur als ein Beispiel erwähnt. Sie wurde als eine Brücke zwischen den Menschen und ihren Gottheiten angesehen. Selbst unsere Großeltern betrachteten den Wald noch mit ganz anderen Augen, als wir es heute tun.

Der Mensch verfügt zu Beginn des 21. Jahrhunderts über mehr technische Macht zum Eingriff in die Natur als jemals zuvor. Eine Macht, die uns aber immer öfter ohnmächtig erscheinen lässt. Gerade der hoch entwickelte Mensch ist es ja, der Kohle aus dem Boden schlägt, der Öl und Gas in noch nie da gewesenen Mengen verbrennt. Den in Hunderten Millionen Jahren erfolgten Einlagerungsprozess der Wälder machen wir in wenigen Jahrzehnten wieder rückgängig. Auf Kosten unserer Kinder und Enkelkinder verbrauchen wir die über solch einen langen Zeitraum entstandenen fossilen Energien. Weil wir angeblich nur so unseren hohen Wohlstand halten können. Genau das Gegenteil ist jedoch der Fall. Ohne die rücksichtslose Ausbeutung von Kohle-, Öl- und Gasvorräten könnten wir viel besser leben. Doch dazu mehr in nachfolgenden Kapiteln.

Bäume sind die Geburtshelfer für uns Menschen. Erst durch sie, durch ihre Lebenskunst, durch ihre inneren Konstruktionen und Mixturen ist die Erde für uns bewohnbar geworden. Die Weisheit der Bäume, ihre Evolutionserfahrung, dient uns auch heute, von den meisten Menschen unbemerkt, Tag für Tag. Eine Reise zu den Bäumen ist daher immer auch eine Reise zu unseren eigenen Geheimnissen. Zu kühnen Konstruktionen wie zu schlimmem Scheitern. Lust und liebevolle Lebenskraft entdecken wir dort gleichermaßen wie List und Genialität. Am Ende erzählen sie uns sogar von unserem größten Mysterium, vom Kommen, vom Gehen und von der Wiederkehr. Sie erzählen es uns so ernst, so wahrhaftig und tröstend, wie sonst wohl kaum jemand.

DIE FARBEN DES LEBENS

Wie das Lichtspektrum auf uns Menschen einwirkt

Warum sind Wälder und Wiesen, die wachsen und gedeihen, ausgerechnet grün und nicht rot, braun, blau oder lila? Warum ist die geniale Erfindung unserer Blaualge grün und nicht gelb, rosa oder sonst wie gefärbt? Aus dem Physikunterricht wissen wir, dass in unserem Tageslicht alle Farben enthalten sind. Trotzdem empfindet unser Auge normales Tageslicht als hell, weiß und farblos. Licht ist physikalisch gesehen Schwingung. Genauer gesagt, eine Mischung aus Schwingungen mit ganz bestimmten Wellenlängen. Diese verschiedenen Schwingungen kann man nach Wellenlängen sortieren, sozusagen entmischen, indem man Licht durch ein Glas- oder Quarzprisma lässt. Auf diese Weise erscheinen die Spektralfarben Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett. Der Trick, mit dem unser Auge die im Licht enthaltenen Farben sehen kann, heißt also »entmischen«, die Schwingungen nach ihrer Wellenlänge sortieren.

Auch die Natur zeigt uns manchmal entmischtes Licht. Wir alle haben schon einmal einen Regenbogen am Himmel gesehen. Dieses Farbspiel entsteht immer dann, wenn die Lichtstrahlen an den Tröpfchenkristallen einer Regenwolke gebrochen und abgelenkt werden. Dabei wird das Licht, gleich wie beim Weg durch ein Quarzprisma, nach seinen verschiedenen Wellenlängen sortiert, also entmischt. Und genau nach Schwingungslänge beginnt der Regenbogen an einer Seite mit Rot, dem Licht mit den längsten Wellen. Etwas kürzer schwingt Orange, dann Gelb und so weiter, bis am anderen Rand das kurzwelligste Violett das Farbspektrum beschließt.

Wenn nun ein Gegenstand für unser Auge zum Beispiel rot ist, dann bedeutet dies, dass er nur die langwelligen roten Strahlen zurückwirft und alle anderen, kürzeren Wellen verschluckt. Das Auge fängt von dem Gegenstand nur solcherart entmischte rote langwellige Strahlen auf und erkennt so die Farbe Rot. Jede Farbe zeigt demnach an, dass ein ganz bestimmter Wellenmix zurückgeworfen wird, während der Rest des Spektrums vom Gegenstand aufgesaugt wird. Die reflektierten Strahlen, die von uns wahrgenommene Farbe, sind also genau die Lichtwellen, die nicht in das Innere eines Gegenstandes oder einer Pflanze gelangen.

Ein grünes Blatt wirft demnach die mittellangen grünen Lichtwellen zurück. Alle langwelligen und alle kurzwelligen Teile des Tageslichtes, die für andere Farben stehen, werden aufgesaugt. Genau diese fein abgestimmte Energieform kann im Inneren einer Pflanzenzelle das eingeatmete CO2-Molekül in seine atomaren Bestandteile Kohlenstoff und Sauerstoff zerlegen. Uns Menschen wird durch die Pflanzenfarbe signalisiert: Hier läuft das Wachstum, hier gedeiht das Leben! So wird auch der farbpsychologische Effekt der Farbe Grün auf unser Unterbewusstsein verständlich. Sie vermittelt viel mehr Geborgenheit als zum Beispiel das an- und aufregende Rot des Feuers. Die Bildung der Lebensgrundlage hingegen ist immer beruhigend.

Das Farbspiel eines Regenbogen entsteht, wenn die Lichtstrahlen an den Tröpfchenkristallen einer Regenwolke gebrochen und abgelenkt werden. Das Licht wird dabei nach seinen verschiedenen Wellenlängen sortiert.

Jede Spektralfarbe steht für eine andere Wellenlänge des Lichts. Von Rot nach Blau werden die Wellen immer kürzer.

Grüne Pflanzenzellen sind also höchst spezialisierte lichtchemische Laboratorien. Bevor wir uns den Entwicklungsprozess darin genauer ansehen, wollen wir aber noch einmal einen Blick auf dasselbe Wirkungsprinzip im großen Gefüge unseres Planeten werfen. Über allen Baumkronen, über allen Wolken sehen wir den blauen Himmel. Wir wissen nun, warum die Wälder und Felder grün sind. Aber wieso sehen wir den wolkenlosen Himmel am Tag von jedem Ort der Erde aus in der Farbe Blau? In gewisser Weise macht die Erde beim Blau des Himmels dasselbe wie ein kleines Blatt. Himmelblau ist ein ganz ähnliches Daseinswunder unseres Planeten wie Waldesgrün. Das Blatt schafft in seinen äußeren Zellschichten mit grünen Einlagerungen den Filter, der die lebensfördernde Lichtmischung in die inneren Zelllaboratorien lässt. Diesen Trick wendet auch unser Planet an. Die Erde verfügt in den äußeren Schichten ihrer Atmosphäre über unzählige kleinste schwebende Partikel, Tröpfchen, Eiskristalle und flimmrigen Staub. Diese Partikel zerstreuen, brechen, reflektieren und absorbieren das unglaublich intensive Licht, das die Sonne durch das Weltall zur Erde schießt. Diese Strahlung ist so stark, dass sie ungefiltert das Leben auf Erden brutal verbrennen würde, anstatt es anzutreiben.

Es sind vor allem kurzwellige Strahlen, die dort oben in der Atmosphäre zerstreut und reflektiert werden. Auf diese Weise erreicht uns Erdbewohner unter dem schützenden Atmosphärenfilter ein deutlich milderes, gefiltertes Lichtspektrum. Je langwelliger die Strahlen, desto später brechen sie beziehungsweise desto besser gleiten sie ungebrochen durch den Partikelfilter der Atmosphäre. Langwellige Strahlen, also das orangerote Spektrum des Lichts, beginnt erst dann farbwirksam zu brechen und zu zerstreuen, wenn sein Weg durch die Luftschichten der Erde länger wird. Das geschieht am frühen Morgen beim Sonnenaufgang und am Abend beim Sonnenuntergang. In diesen Situationen muss das Licht ganz schräg durch den Atmosphärenfilter scheinen und so den weitest möglichen Weg durch den Atmosphärenstaub zurücklegen. Während die kurzwelligen Anteile überwiegend bereits im ersten Teil des Weges zerstreuen, beginnen die langwelligen erst am Ende der Luftschichten die färbende Oberhand zu gewinnen. Deshalb sind die Sonnenauf- und -untergänge so wunderbar orangerot gefärbt.