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Verwirrendes Verlangen
Vier Jahre lang hatte Teresa Braggette Proschaud nichts mehr von ihrem Mann Jay gehört. Nach der Hochzeitsnacht war er einfach verschwunden. Doch nun hält sie plötzlich einen Brief von ihm in den Händen: Will sie das Leben ihres Bruders retten, dann muss sie schnellstens zu Jay nach Richmond kommen. Für ihren Bruder nimmt sie die gefährliche Reise auf sich, denn es herrscht Bürgerkrieg.
Aber schon beim ersten Versuch, sich durch die feindlichen Reihen zu schleichen, wird Teresa erwischt - und Lieutenant Brett Forteaux entwickelt ein stärkeres Interesse an ihr, als ihr lieb ist ...
***
Ein historischer Liebesroman aus den Südstaaten der USA im 19. Jahrhundert. Jeder Roman der Südstaaten-Saga ist in sich abgeschlossen und erzählt von anderen Familienmitgliedern des Braggette-Clans - doch eines ist ihnen allen gemeinsam: Starke Schönheiten treffen auf verwegene Verführer, und ihre leidenschaftlichen Abenteuer lassen Ihr Herz höherschlagen!
Band 1: Glück deiner Liebe. * Band 2: Macht der Sehnsucht. * Band 3: Aufruhr der Herzen. * Band 4: Sturm der Gefühle.
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Seitenzahl: 431
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
1
Frühling im Jahre 1865 New Orleans, Louisiana
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Epilog
Vier Jahre lang hatte Teresa Braggette Proschaud nichts mehr von ihrem Mann Jay gehört. Nach der Hochzeitsnacht war er einfach verschwunden. Doch nun hält sie plötzlich einen Brief von ihm in den Händen: Will sie das Leben ihres Bruders retten, dann muss sie schnellstens zu Jay nach Richmond kommen. Für ihren Bruder nimmt sie die gefährliche Reise auf sich, denn es herrscht Bürgerkrieg.
Aber schon beim ersten Versuch, sich durch die feindlichen Reihen zu schleichen, wird Teresa erwischt – und Lieutenant Brett Forteaux entwickelt ein stärkeres Interesse an ihr, als ihr lieb ist …
Ein historischer Liebesroman aus den Südstaaten der USA im 19. Jahrhundert. Jeder Roman der Südstaaten-Saga ist in sich abgeschlossen und erzählt von anderen Familienmitgliedern des Braggette-Clans – doch eines ist ihnen allen gemeinsam: Starke Schönheiten treffen auf verwegene Verführer, und ihre leidenschaftlichen Abenteuer lassen Ihr Herz höherschlagen!
Cheryl Biggs liebt Cowboyserien und Western seit ihrer Kindheit. Die passionierte Reiterin lebt mit ihrem Mann, den fünf Katzen Dooby, Dusty, Dolly, Mikey und Lil’ Girl sowie mit Hund Lady am Fuß des Mount Diablo, Kalifornien.
Cheryl Biggs
Sturm der Gefühle
Aus dem amerikanischen Englisch von Birgitta Hirt
beHEARTBEAT
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Für die Originalausgabe:
Copyright © 1996 by Cheryl BiggsPublished by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., NEW YORK, NY USATitel der amerikanischen Originalausgabe: Hearts Divided
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Covergestaltung: © Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung von Istock.de: MaxxDamage | hotdamnstock.com
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt
ISBN 978-3-7325-4561-2
www.be-ebooks.de
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Reglos betrachtete Teresa den Brief ihres Mannes. Einst hätte er sie zu Tränen der Freude und der Erleichterung gerührt, nun jedoch erweckte er nur ihren Zorn. Einen bodenlosen, unbeschreiblichen Zorn. Endlich hielt sie den Beweis in Händen, dass er noch am Leben war. Aber spielte das noch eine Rolle?
Seit mehr als dreieinhalb Jahren hatte sie nun schon kein Lebenszeichen mehr von Jay erhalten, doch sie hatte zahllose Gerüchte über seinen Aufenthalt und seine Aktivitäten gehört. Ein Gerücht besagte, dass er in Gettysburg umgekommen war, während er einen Angriff gegen den Feind anführte.
In der Nacht, als Teresa diese Nachricht erhielt, weinte sie, denn in ihrem Herzen trug sie damals immer noch einen Rest von Zuneigung zu dem Mann, den sie geheiratet hatte. Später dann erkannte sie, wie absurd dieses Gerücht und ihr Glaube daran gewesen war. Jay war ein Mitläufer, ein Intrigant, aber kein Anführer. Und schon gar kein Soldat. Niemals hätte er einen Angriff angeführt. Es wäre ihm gar nicht erst in den Sinn gekommen, in der Armee zu dienen.
Ein weiteres Gerücht lautete, dass er in England versuchte, Gelder für die Konföderierten aufzutreiben. Unwillkürlich fragte sich Teresa, ob er das Geld tatsächlich an die Konföderierten weiterleiten würde, falls er es tatsächlich bekam. Oder würde er es für sich behalten und einfach verschwinden, so wie er aus ihrem Leben verschwunden war?
Dann gab es noch einen Bericht, wonach er flussaufwärts in Natchez gesehen worden war, wo er mit dem Unionsgeneral Grant sprach, während die Stadt von dessen Truppen besetzt wurde.
Ein Verräter. Zuerst hatte sie die Gerüchte nicht ernst nehmen können. Doch als sie später darüber nachdachte, musste sie ihre Ansicht ändern und zugeben, dass diese Behauptungen sehr wohl möglich waren. Immerhin hätte sie auch nicht für möglich gehalten, dass der Mann, den sie heiratete, sich noch in ihrer Hochzeitsnacht aus ihrem Leben davonschleichen würde. Wie gut also hatte sie Jay Proschaud überhaupt gekannt?
Sie überflog den Brief noch einmal. Eine Locke ihres Haares fiel ihr über die Schulter, glänzte im Schein der Öllampe auf dem Tisch neben ihr. Brennende Wut stieg in Teresa auf und brachte ihr Blut zum Sieden, als sie die Worte noch einmal las. Dreieinhalb Jahre lang hatte sie nicht ein Sterbenswörtchen von ihm vernommen. Keinen Brief hatte sie erhalten, kein Telegramm, keine Nachricht, keinen Besuch. Nicht einmal, als ihr Sohn zur Welt gekommen war.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Jay nicht einmal für nötig befunden, sie wissen zu lassen, dass er noch am Leben war. Tränen brannten in ihren Augen, doch es waren Zornestränen, keine Tränen des Kummers. Am liebsten hätte sie blindlings um sich geschlagen. Teresa drängte die Tränen zurück und zwang sich, die Hände zu Fäusten zu ballen.
Dreieinhalb lange Jahre ohne eine Nachricht, und nun besaß er die Unverfrorenheit, die unglaubliche Dreistigkeit, sie um Hilfe zu bitten. Sie hob den Blick, und ihre Augen waren hell und klar. Was hätte sie darum gegeben, seine Bitte einfach zurückweisen zu können!
Sie sah den Kurier an, der ihr den Brief überbracht hatte: ein hochgewachsener Mann mit hagerem Gesicht und schlaksigen Gliedmaßen. Er stand im Foyer und wartete auf ihre Antwort. Am liebsten hätte Teresa ihn angeschrien und ihm befohlen, Jay Proschaud zu sagen, dass sie keinen Finger für ihn rühren würde, selbst wenn er der letzte Mann auf Erden wäre, und dass sie keine Träne vergießen würde, wenn er am Galgen baumelte.
Von ihr aus konnte Jay Proschaud zur Hölle fahren.
Doch auch wenn sie vor Wut am ganzen Leib zitterte und nichts lieber getan hätte, als eine geharnischte Antwort zu schicken, zwang sie sich, ruhig zu bleiben und nachzudenken.
Sie musste überlegen, was sie wirklich tun wollte ... was sie tun konnte. Der Drang, Jays Ruf zu ignorieren und ihm ihre Hilfe zu versagen, war stark, fast übermächtig. Sie schloss die Finger um die zerknitterte Nachricht und knüllte sie noch mehr zusammen. Sie wollte sie in das Feuer werfen, das so fröhlich im Kamin knisterte und den Salon erhellte. Sie wollte das hauchdünne Papier in den Flammen aufgehen und zu schwarzer Asche verglühen sehen. Sie wollte so tun, als hätte sie die Worte, die Jay geschrieben hatte, nie gelesen.
Stattdessen saß sie reglos und lauschte in sich hinein. Ihr Verstand riet ihr zur Ablehnung, doch ihr Herz war anderer Meinung. Sie hatte angenommen, nie wieder von Jay zu hören. Nach all den Jahren hatte sie die Tatsache hingenommen, dass er fort war, dass er sie verlassen hatte. Dass sie ihren Lebensweg allein gehen würde. Und nun ... Teresa seufzte. War sie stark genug zu tun, was er von ihr verlangte?
Ihre Gedanken überschlugen sich, und sie musste das Für und Wider einer Antwort abwägen. Wieder seufzte sie. Es spielte eigentlich keine Rolle, ob sie stark genug war oder nicht. Es spielte auch keine Rolle, ob sie seine Bitte abschlagen oder ob sie ihr nachkommen wollte. Sie hatte überhaupt keine Wahl.
Sie unterdrückte einen weiteren Seufzer, um sich nichts von alledem vor ihrer Familie anmerken zu lassen, und ließ den Blick durch das Zimmer schweifen, das ihr so vertraut war. Das Haus hatte sich seit der Zeit vor ihrer Geburt kaum verändert. Schatten lagen in den hinteren Ecken und Winkeln des Raumes und hinter jedem Möbelstück.
Ihre Schwägerinnen, Belle und Lin, sowie ihre Mutter, Eugenia, standen nur wenige Schritte von ihr entfernt. Sie wirkten besorgt und neugierig. An ihren Blicken konnte Teresa erkennen, dass auch sie Angst hatten. Das war eine der Auswirkungen des Krieges – die Menschen hatten vor allem und jedem Angst, besonders vor Briefen und vor Fremden.
Sie wussten nicht, was in dem Brief stand, den Teresa gerade erhalten hatte, und sobald sie ihnen erzählte, von wem er war, würden sie sicherlich entrüstet sein. Insbesondere, wenn sie ihnen von Jays Bitte um Hilfe berichtete. Doch sie konnte ihnen nicht alles erzählen, was darin stand. Das konnte und das wollte sie nicht. Es gab keinen Anlass, ihre Mutter und ihre Schwägerinnen noch weiter zu beunruhigen.
Teresa wandte sich dem marmorverkleideten Kamin zu und blickte in die Flammen, die von den ordentlich aufgeschichteten Holzscheiten emporloderten. In ihrem Herzen tobte ein Widerstreit der Gefühle. Zorn. Kummer. Furcht. Sogar Bedauern. Aber Liebe? Nein. Das war das einzige Gefühl, das sie ganz sicher nicht mehr für Jay Proschaud empfand. Er war der Vater ihres Kindes, aber ihr Ehemann war er nicht mehr. Sie hatte einen Skandal riskiert und sich von ihm scheiden lassen, doch da er sich nie bei ihr gemeldet hatte, nicht einmal bei seinem Vater, wusste er möglicherweise gar nicht, dass sie nicht mehr miteinander verheiratet waren. Auch das kümmerte sie nicht länger.
Im Nachhinein betrachtet, war es gar kein so großes Risiko gewesen, bei Gericht um die Scheidung nachzusuchen. Jedermann war zu beschäftigt mit den Auswirkungen des Krieges, um sich um eine Frau Gedanken zu machen, die ihre Ehe auflösen wollte. Es hatte keinen Skandal gegeben und auch kein Gerede, wie sowohl Belle als auch Lin versichert hatten. Und Teresa wusste, dass den Ohren ihrer Schwägerinnen nichts verborgen geblieben wäre.
Doch das alles spielte keine Rolle. Wenn die Leute reden wollten, so würden sie das früher oder später tun, und Teresa würde sich nicht darum kümmern. Sie hatte getan, was getan werden musste.
Sie schloss die Finger noch fester um Jays Brief. Das Knistern des Papiers war neben dem Prasseln des Feuers das einzige Geräusch im Raum. Sie schaute zu Tyler hin, ihrem Sohn, der neben ihr auf dem Fußboden saß.
Als hätte er den Blick seiner Mutter gespürt, wandte er seine Aufmerksamkeit von den bunten Bauklötzen ab, mit denen er einen kleinen Turm errichtet hatte. Ein strahlendes Lächeln voller Unschuld und Glückseligkeit breitete sich auf seinem Gesicht aus, und seine graublauen Augen leuchteten vor Freude auf.
Die Augen eines Braggette, dachte Teresa mit einem Anflug von Stolz. Der Feuerschein zauberte Lichtreflexe auf sein dunkles, lockiges Haar. Es war gut, dass er äußerlich nach ihrer Familie schlug und nicht nach Jays, denn er würde als Braggette aufwachsen. Dafür wollte Teresa Sorge tragen.
Ihr Blick fiel wieder auf den Brief, den sie immer noch in der Hand hielt. Sie lockerte ihren Griff und glättete das brüchige Papier ein wenig, doch sie brauchte eigentlich gar nicht zu sehen, was Jay geschrieben hatte, da sich die Worte bereits in ihrem Gedächtnis eingegraben hatten.
»Ich kann Dir zurzeit nichts Näheres verraten, Tess, außer dass Deine Hilfe dringend erforderlich ist. Die Situation betrifft einen Deiner Brüder und ist ziemlich ernst, wenn nicht gar eine Frage von Leben und Tod. Du musst unverzüglich über Petersburg nach Richmond kommen.«
Angst legte sich wie eine eisige Faust um ihr Herz, doch gleichzeitig loderte heißer Zorn in ihr auf. Jay mochte zur Hölle fahren und auf alle Zeiten dort bleiben, aber was er geschrieben hatte, konnte sie nicht ignorieren. Nicht, wenn es um einen ihrer Brüder ging.
Teresa begegnete den Blicken von Belle, Lin und ihrer Mutter und traf eine weitere Entscheidung: Sie konnten nicht wissen, dass einer ihrer Brüder in Gefahr war. Belles Arm war immer noch nicht ganz geheilt, seit sie ihr Leben bei dem Versuch riskiert hatte, Traxton vor der Schlinge eines Yankee-Henkers zu retten. Und Teresa wollte sich gar nicht erst ausmalen, was Belles Zwillingsschwester Lin anstellen mochte, wenn sie glaubte, Trace könnte in Schwierigkeiten sein und ihre Hilfe brauchen.
Lin war eine wohlerzogene Dame, doch das bedeutete ein paar kriegsmüden, hasserfüllten Yankees wahrscheinlich herzlich wenig.
Teresas Blick fiel auf ihre Mutter. Der Krieg und die Sorge um Teresas vier Brüder hatten Eugenia Braggettes Haar um einiges grauer werden lassen, doch die silbrigen Fäden in dem dunklen Haar schmeichelten dem immer noch sehr hübschen Gesicht ihrer Mutter.
Belle trat einen Schritt auf Teresa zu. »Tess, was ist passiert?«
Teresa begegnete dem Blick der Frau ihres Bruders Traxton. »Ich muss weg.« Um den Inhalt des Briefes geheim zu halten, warf Teresa ihn kurzerhand ins Feuer.
Belle strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. Sie blickte auf den Brief, von dem jetzt nur noch ein Hauch von Asche übrig war, und sah dann wieder Teresa an. Ihre strahlend blauen Augen blickten besorgt. »Was soll das heißen, du musst weg? Wohin? Was ist los?«
Lin trat vor. »Ist es ...?« Sie sah plötzlich aus, als könnte sie jeden Moment in Ohnmacht fallen.
»Keine Sorge«, sagte Teresa eilig, denn sie wusste von Lins Furcht, Trace könnte etwas zustoßen, bevor der Krieg zu Ende ging. »Es hat mit Jay zu tun.«
»Jay?«, fragten die drei Frauen wie aus einem Mund. Ihre Stimmen klangen nicht nur überrascht, sondern empört, und Schock und Missbilligung stand jeder von ihnen im Gesicht geschrieben.
Teresa holte tief Luft, und auf einmal kam sie sich vor, als stünde sie vor einem Erschießungskommando statt vor ihrer Familie. »Er braucht meine Hilfe.«
»Und wenn schon«, bemerkte Eugenia in einem Tonfall, der plötzlich so hart und kalt war wie ein schneidender Winterwind. »Die bloße Vorstellung, dass du diesem Lump helfen könntest, ist lächerlich. Der Mann ist nicht nur ein Feigling, sondern ein ...« Angewidert winkte sie plötzlich ab, als wollte sie vor ihrem Enkel nicht weitersprechen oder als fehlten ihr die passenden Worte, um ihren verabscheuungswürdigen Schwiegersohn treffend zu beschreiben.
Teresa wusste genau, was ihre Mutter von Jay hielt, und war mit ihr einer Meinung. Doch im Augenblick spielte das keine Rolle. »Mutter, bitte ...«
»Teresa, um Himmels willen«, fuhr Eugenia sie an. »Der Mann hat dich sang- und klanglos in der Hochzeitsnacht verlassen. Hat sich wie ein Dieb mitten in der Nacht davongestohlen. Und er wusste, dass du schon sein Kind trugst. Er ist ein Feigling von der übelsten Sorte. Ein unbeschreiblicher Lump, dem du nichts schuldig bist, Teresa. Absolut nichts.«
Teresa blickte erneut auf Tyler hinunter, der sich wieder voll und ganz seinen Bauklötzen zugewandt hatte. »Ich weiß, dass du es nicht verstehst, Mutter, aber ich muss gehen«, antwortete sie ruhig. Sollten sie doch glauben, dass es Tylers wegen war, dass sie nicht Nein zu Jay sagen konnte, weil er der Vater ihres Sohnes war. Oder sollten sie doch denken, dass sie dumm genug war, den Mann immer noch zu lieben, was so weit von der Wahrheit entfernt war, dass es schon fast zum Lachen war. Wenn sie nur nicht erfuhren, dass einer ihrer Brüder vielleicht in Schwierigkeiten war. In lebensbedrohlichen Schwierigkeiten, wenn man Jay glauben durfte.
»Du musst nicht gehen«, sagte Eugenia.
Teresa drehte sich um und nahm Tyler auf den Arm. Dann sah sie wieder ihre Mutter an. »Doch, das muss ich.« Sie versuchte zu lächeln, und gleichzeitig verwünschte sie insgeheim Jay, weil er sie zwang, ihre Familie anzulügen. Warum hatte er ihr nicht einfach schreiben können, worin das Problem bestand?
Weil er wusste, dass du nicht kommen würdest, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Ihre innere Stimme hatte recht, das wusste Teresa. Hätte es einen anderen Ausweg gegeben, so wäre sie Jays Ruf nicht gefolgt. Doch es gab keinen.
Sie übergab ihren Sohn Eugenia. »Kümmerst du dich um Tyler, während ich fort bin, Mama?«
Eugenia nahm ihren Enkel auf den Arm und küsste ihn auf die Wange, dann griff sie nach der Hand ihrer Tochter. »Bitte, Teresa, überleg es dir noch einmal. Es ist nicht mehr sicher, über Land zu reisen. Der Himmel weiß, was für Gefahren dort lauern.«
»Ich weiß genau, was einen dort draußen erwartet«, ließ sich Belle vernehmen. Ihre Augen funkelten wütend. »Yankees.«
»Ach, Tess«, klagte Lin mit besorgter Miene. »Eugenia hat recht – es ist jetzt zu gefährlich zu reisen. Kannst du ihm nicht einfach schreiben?«
»Nein.« Sanft entzog Teresa ihrer Mutter die Hand und drückte Tyler noch schnell einen Kuss auf sein Pausbäckchen. Dann trat sie ins Foyer und blieb vor dem Kurier stehen, der ihr Jays Brief überbracht hatte. »Bitte verzeihen Sie, dass ich Sie so lange warten lassen musste, aber ich hatte noch einiges zu ... überdenken. Ich packe jetzt meine Tasche und bin in ein paar Minuten wieder bei Ihnen.«
Er tippte an seine Hutkrempe. »Es tut mir leid, Ma’am, aber ... äh ... ich werde Sie nicht zu Mr. Proschaud begleiten. Ich habe Befehl, weiter flussabwärts zu reisen.«
»Flussabwärts?«, wiederholte Teresa schockiert. Ihre Entschlossenheit, Jay zu treffen, wurde jäh überlagert von ihrem zurückkehrenden Ärger. »Soll das heißen, ich werde allein reisen? Sie werden mich nicht begleiten?«
»Nein, Ma’am, äh, ich meine, ja, Ma’am. Tut mir leid. Ich hatte Anweisung zu warten, bis Sie die Nachricht gelesen und mir eine Antwort gegeben haben. Ich werde Mr. Proschaud ein Telegramm schicken, dass Sie kommen.«
»Ein Telegramm?« Teresa runzelte die Stirn. »Aber die Leitungen sind doch zerstört. Es ist unmöglich, von hier aus ein Telegramm nach ...« Sie musste sich auf die Zunge beißen, um nicht Richmond zu sagen. Wenn die anderen erfuhren, dass sie vorhatte, in die Hauptstadt der Konföderierten zu reisen, würden sie sie mit einem Sperrfeuer von Fragen belegen. Schlimmer noch, sie würden sie begleiten wollen. Vor allem deshalb, weil Trace in Richmond stationiert war. Und den letzten Berichten zufolge war auch Traxton irgendwo dort in der Nähe. Doch da Traxton mit der Kavallerie nie lange an einem Ort war, konnte er sich mittlerweile ebenso gut am Nordpol befinden. In jedem Brief, den er nach Hause senden konnte, war von einem anderen Ort, einer anderen Schlacht die Rede, von Siegen und von Niederlagen.
Doch das würde keine Rolle spielen. Belle und Lin würden darauf bestehen, sie zu begleiten, und darauf konnte Teresa verzichten.
Was die anderen Brüder anbetraf, so war Travis ihres Wissens immer noch in Nevada, während Traynor seinen Blockadebrecher höchstwahrscheinlich irgendwo über die See zwischen Carolina und Bermuda steuerte. Sehr viele Häfen standen den Blockadebrechern inzwischen nicht mehr offen, aber wie sie Traynor kannte, würde er erst dann aufgeben, wenn auch der allerletzte Hafen gesperrt war. Vielleicht auch dann noch nicht.
Teresa wusste jedoch, dass ihre Brüder sich nicht unbedingt dort aufhalten mussten, wo sie vermutet wurden. Jeder von ihnen konnte jederzeit ohne Vorankündigung irgendwo auftauchen.
Der Kurier unterbrach Teresas Gedanken. »Wir haben unsere Methoden, Nachrichten zu befördern«, sagte er. Er lächelte verschlagen, als er ihr verdutztes Gesicht sah. »Machen Sie sich darüber keine Gedanken.«
Teresa schauderte. Auf einmal war sie froh, dass er sie nicht begleiten würde. In seinen Augen lag ein unsteter, etwas hinterhältiger Ausdruck, den sie vorher nicht bemerkt hatte.
Er tippte wieder an seine Hutkrempe, öffnete die Haustür und schlüpfte in die Nacht hinaus. Seine schwarze Kleidung ließ ihn fast augenblicklich mit der Dunkelheit verschmelzen, so als wäre er nie da gewesen.
Teresa wandte sich von der Tür ab und begegnete den durchdringenden Blicken der anderen Frauen.
»Nun, ich denke, damit ist das Thema erledigt«, stellte Eugenia fest. »Du hast keinen Begleiter, und allein kannst du ja wohl kaum reisen.«
Teresa erwiderte nichts. Es spielte keine Rolle, ob sie mit oder ohne Begleitung reiste. Sie musste sich auf den Weg machen.
Teresa trat in den dunklen Flur und zog die Tür zu Traynors Schlafzimmer hinter sich zu. Das Schloss rastete ein. Es war nur ein leises Geräusch, aber Teresa zuckte dennoch zusammen, weil sie sich einbildete, es hallte im ganzen Haus wider wie ein Donnerschlag und weckte alle im Haus auf.
Sie drückte sich flach gegen den Türrahmen. Mit wild hämmerndem Herzen wartete sie darauf, dass jemand seine Tür öffnete, ein Licht in den Flur hielt und zu wissen begehrte, wer da im Flur war. Aber nichts dergleichen geschah. Im Haus blieb es ruhig.
Immer noch aufs Äußerste angespannt, schlich sie sich endlich auf Zehenspitzen in ihr Schlafzimmer zurück. Erst nachdem sie die Tür hinter sich geschlossen und versperrt hatte, sodass ihr niemand in ihr Zimmer folgen konnte, atmete sie erleichtert aus.
Doch sie hatte keine Zeit zu verlieren. Hastig durchquerte sie ihr Zimmer und legte die Pistole, die sie aus Traynors Schlafzimmer genommen hatte, neben ihre Reisetasche auf ihrem Bett. Gottlob hatte er nicht alle seine Sachen mitgenommen, als er vor all den Jahren das Haus verlassen hatte, obwohl sie im Notfall auch eine der Pistolen, die ihr Vater unten im Arbeitszimmer aufbewahrte, hätte mitnehmen können.
Die Erinnerung an ihren Vater verursachte Teresa einen Schauder, und schnell schob sie den unliebsamen Gedanken beiseite. Man sollte nicht schlecht von den Toten denken, doch was Thomas Braggette anging, so hatte sie selten gute Gedanken.
Teresa trat vor den Spiegel ihrer Frisierkommode, fasste ihr langes, schwarzes Haar, das ihr normalerweise offen über den Rücken fiel, auf dem Kopf zusammen und steckte es eilig fest. Prüfend betrachtete sie ihr Spiegelbild, dann wandte sie sich zufrieden wieder ihrer Tasche zu.
Sie war ganz in Schwarz gekleidet. Dazu hatte sie sich eines der Trauergewänder ihrer Mutter ausgeborgt, die von der Tradition gezwungen gewesen war, nach Thomas Braggettes Tod Schwarz zu tragen, obwohl sie eigentlich gar nicht um ihn getrauert hatte. Keiner von ihnen hatte ihm nachgetrauert. Teresa hatte sich geweigert, Trauer zu tragen für einen Vater, dessen Tod nichts als eine Erleichterung gewesen war. Zudem hatte ihre Hochzeit wenige Tage nach Thomas’ Ermordung stattgefunden, und auf keinen Fall hatte sie in Schwarz heiraten wollen.
Teresa wusste, dass sie eigentlich ein schlechtes Gewissen haben musste, dass sie den Tod ihres Vaters so wenig bedauerte. Aber das hatte sie nicht, und das würde sie auch in Zukunft nicht haben. Er war fort, endgültig, und niemand vermisste ihn. Es hatte auch niemand ein großes Interesse daran, seinen Mörder zu fassen, vor allem deshalb, weil man Henri Sorbonte, Belles und Lins Vater, der Tat verdächtigte.
Teresa klappte die Reisetasche zu und steckte Traynors Pistole in die tiefe Tasche ihres Reitkleides. Sie erschien ihr wie eine Kanone, ihr Gewicht zerrte an dem feinen Stoff, doch das ließ sich nicht ändern. Teresa konnte nicht voraussehen, was sie auf ihrem Weg erwartete, und sie war nicht bereit, unnötige Risiken einzugehen.
Sie nahm die Mitteilung, die sie an Eugenia geschrieben hatte, und lehnte sie aufrecht an ein Parfümfläschchen auf ihrer Frisierkommode.
»Verzeih mir, Mama«, flüsterte Teresa und wandte sich zum Gehen, bevor sie es sich anders überlegen konnte. Sie nahm den schweren, schwarzen Umhang vom Fußende ihres Bettes, legte ihn sich um die Schultern und zog den Verschluss am Hals zu. Sie warf noch einen letzten Blick in den Spiegel, setzte sich hastig die Kapuze auf und befestigte sie mit einer Hutnadel.
Teresa ergriff ihre Reisetasche und trat leise in den Flur. Magnolia, Belles Katze, lag wenige Schritte entfernt zusammengerollt auf dem Fußboden. Die Katze öffnete die Augen und hob den Kopf, als sie Teresa bemerkte.
Teresa lächelte, verhielt sich aber still und betete, dass niemand außer der Katze sie gehört hatte. Am Treppenabsatz blickte sie noch einmal über die Schulter. Die Katze hatte sich wieder zum Schlafen zusammengerollt, und alle Schlafzimmertüren waren nach wie vor geschlossen.
Hastig stieg Teresa die Treppe hinunter und schlich auf Zehenspitzen über den Marmorboden des Foyers zur Haustür.
Teresa führte Star Dancer aus seiner Box und zäumte und sattelte ihn eilig mit einem Sattel eines ihrer Brüder. Sie würde einige Hundert Meilen zu Pferde zurücklegen müssen, und wenn sie schnell vorankommen wollte, konnte sie keinen Damensattel gebrauchen.
Das große, schwarze Tier stampfte ungeduldig, als wollte es sie zu noch größerer Eile antreiben. Sie konnte es ihm nicht verübeln. Die wenigen Reitpferde, die auf Shadows Noir geblieben waren, wurden nicht mehr allzu viel bewegt, seitdem all ihre Brüder fort waren. Sie und Belle versuchten, so oft wie möglich zu reiten, doch es gab so viele Yankee-Patrouillen in der Gegend und so viel zu tun, um das Nötigste zum Leben zu beschaffen, dass das immer schwieriger wurde.
Und ständig lungerten Rebellen in der Gegend herum. Es trieben sich sogar einige Deserteure in der Nähe herum, und obwohl Teresa es ungern zugab, wusste sie, dass sie mindestens so gefährlich wie die Yankees sein konnten.
Star Dancer ließ ein leises Wiehern hören und warf den Kopf herum. Seine lange, schwarze Mähne streifte Teresas Arm. Das Pferd drehte sich um und sah Teresa an. Nur der kleine, weiße Stern auf seiner Stirn würde in der Dunkelheit sichtbar sein, weshalb sie ihn statt ihrer eigenen braunen Stute, Moonbeam, für diese Reise ausgewählt hatte.
»Schhh«, beruhigte sie das Tier und tätschelte ihm den langen, schlanken Hals. »Wenn du jemanden aufweckst, ist alles verdorben, und das kann ich mir nicht leisten.«
Wie zur Antwort schnaubte der Hengst leise.
Teresa führte den Hengst aus den Stallungen und prüfte, ob ihre Reisetasche sicher am Sattelende befestigt war. Zufrieden, dass alles in Ordnung war, hob sie ihren Umhang und ihr Reitkleid hoch, schob einen Fuß in den Steigbügel und saß auf.
Sie würde tun, was immer Jay von ihr verlangte, wenn sie damit einen ihrer Brüder vor Unheil bewahren konnte. Andernfalls konnte Jay zur Hölle fahren und dort für immer schmoren.
Da Teresa nicht auf der mondhellen Straße gesehen werden wollte, lenkte sie Star Dancer an den Wegesrand. Sie bewegten sich inmitten der tiefen Schatten, die die riesigen, mit spanischem Moos bewachsenen Eichen auf die Einfahrt warfen.
Sie fröstelte, als der eisige Nachtwind über ihre zarten Wangen strich und ihr Tränen in die Augen trieb. Jeder Tritt der mächtigen Hufe war fast lautlos auf dem dichten, taubedeckten Gras, doch Teresa wagte trotzdem kaum zu atmen. Die Straße zu nehmen wäre schneller gewesen, denn sie führte auf direktem Weg zum Eingangstor, doch sie konnte nicht den Lärm riskieren, den Star Dancers Hufe auf den zermahlenen Muscheln verursacht hätten. Alles hing davon ab, dass sie sich unbemerkt entfernte.
Wenn Belle gewusst hätte, was Teresa vorhatte und wohin sie reiste, hätte sie darauf bestanden, sie zu begleiten. Und Eugenia hätte Teresa gedrängt zu warten, bis sich ein passender Begleiter gefunden hätte.
Teresa zügelte den Hengst und blickte über die Schulter, nicht nur, um Abschied zu nehmen, sondern auch, um sich zu vergewissern, dass ihr niemand gefolgt war. In ihrer Brust regte sich Furcht vor dem, was sie zu tun im Begriff war, und diese Furcht drohte über ihr zusammenzuschlagen, doch Teresa kämpfte sie nieder. In dieser Situation gab es keinen Spielraum für ängstliche Überlegungen oder schwache Nerven. Sie wusste, was sie zu tun hatte, und davon würde sie sich nicht abbringen lassen. Wenn sie sich abseits von den Straßen hielt, durch die Wälder und die hoch bewachsenen Felder ritt und immer auf der Hut blieb, würde ihr nichts geschehen. Sie musste sich nur nach Möglichkeit verborgen halten.
Bleiches Mondlicht lag auf Shadows Noir und erleuchtete schwach die eleganten weißen Säulen, die die Vorderseite des Hauses zierten. Es wurde von den Fenstern des ersten Geschosses mit ihren grünen Schlagläden reflektiert, doch das Erdgeschoss lag weitgehend im Dunkeln. Teresa spürte Wehmut in sich aufsteigen. Die Heimsuchungen und Unannehmlichkeiten des Krieges waren in dieser Entfernung und in dem weichen Mondlicht kaum wahrzunehmen. Risse im Mauerwerk und abblätternde Farbe, verdorrte Rosensträucher und schadhafter Putz waren zusammen mit dem unbarmherzigen Licht der Sonne verschwunden.
Im sanften Mondlicht wirkte sogar das Spanische Moos, mit dem die knorrigen Äste der ausladenden Lebenseichen reichlich bewachsen waren und das dringend gestutzt werden musste, zart und duftig wie Spitzengardinen.
Teresa dachte an den kleinen, unschuldigen Tyler, der jetzt im Zimmer ihrer Mutter schlief. Eugenia war eine gute Großmutter. Belle und Lin waren wundervolle Tanten. Doch ihr Sohn brauchte einen Vater, der mit ihm lachte und spielte und der ihn lehrte, zu einem starken, ehrenhaften Mann heranzuwachsen. Er brauchte einen Vater, der ihn liebte und ihm zeigte, dass er stolz auf seinen Sohn war. Doch ein solcher Vater war Jay Proschaud nicht.
Der Groll saß tief in Teresas Herzen, doch sie schob den Gedanken daran beiseite. Dies war nicht die rechte Zeit, um über Vergangenes nachzugrübeln. Oder gar von einer Zukunft zu träumen. Sie zog sich die Kapuze ihres Umhangs tiefer ins Gesicht, um sich vor der Kälte der Nachtluft zu schützen. Jetzt war es an der Zeit, die Gegenwart in Angriff zu nehmen und die Gefahren, die sie für ihre Familie barg.
Behutsam ließ Teresa den dünnen Zweig los, den sie hinuntergehalten hatte, sodass er wieder zurückfederte. Die Blätter raschelten leise, aber das Geräusch war zu schwach, um die Aufmerksamkeit der Männer zu erregen, die sie beobachtete. Sie runzelte die Stirn. Was um alles in der Welt sollte sie nun tun?
Ihre Ungeduld schlug in Ärger um, der wiederum ihre Furcht überflügelte. Sie musste an ihnen vorbei. Aber wie? Sie schob wieder einen der dünnen Zweige beiseite, gerade weit genug, um daran vorbeisehen und einen Blick auf die Männer werfen zu können, die keine hundert Meter von ihr entfernt lagerten.
Offenbar hatten sie sie nicht kommen hören, und dafür konnte sie nur ein dankbares Stoßgebet zum Himmel senden. Sie war mehr auf Schnelligkeit als auf Vorsicht bedacht gewesen, als sie durch das dicht wachsende Getreide galoppiert war. Nur der schwache Schein ihres Lagerfeuers und Star Dancers überraschtes Zurückzucken hatten sie vor der Gefahr gewarnt. Sie hatte gerade noch rechtzeitig anhalten können.
Nun musste sie überlegen, was sie tun sollte. Irgendwie musste sie an ihnen vorbeikommen, soviel war sicher. Sie betrachtete das Meer von weißen Zelten, das sich hinter dem Lagerfeuer der Soldaten erstreckte, und hätte fast laut aufgestöhnt. Petersburg in Virginia lag jenseits des Lagers, und Lee kämpfte darum, es zu verteidigen. Hinter dieser kleinen Stadt lag Richmond, ihr Ziel. Es würde sie Stunden, vielleicht Tage kosten, wenn sie einen Bogen um das Yankee-Lager machte. Wirklich gut kannte sie sich in dieser Gegend nicht aus, und keinesfalls würde sie kehrtmachen und nach Hause zurückreiten. Sie musste nach Richmond gelangen, und das bedeutete, dass sie auf diesem Weg bleiben musste. Eine andere Möglichkeit hatte sie nicht.
Teresa seufzte innerlich, während sich ihre Gedanken überschlugen. Ihr wollte keine Lösung einfallen. Sie ballte die Hände zu Fäusten. Es musste einen Weg geben!
Teresa betrachtete die Soldaten, während sie in Gedanken die verschiedensten Möglichkeiten durchging. Endlich hatte sie es. Sie kam auf die Füße und lief zu Star Dancer zurück.
»Tut mir leid, alter Junge«, sagte sie leise zu ihm, während sie hastig seine Zügel losband und aufsaß. »Wir müssen ein paar Meilen zurückreiten.« Das passte zwar nicht recht in ihren Plan, aber genauso wenig hatte sie eingeplant gehabt, in ein Yankee-Lager zu spazieren. Doch genau das würde sie tun müssen, wenn sie an den Yankees vorbei nach Richmond gelangen wollte.
Teresa beugte sich tief über den Rücken ihres Hengstes und hielt seinen Hals mit den Armen umschlungen, während sie ihn in die Richtung zurücklenkte, aus der sie gekommen waren. Doch diesmal achtete sie darauf, viel vorsichtiger zu sein.
Obwohl sie sich nicht beeilte, brauchte sie nur eine Viertelstunde, um ihr Ziel zu erreichen. Der Anblick war genauso grauenvoll wie vor einer knappen Stunde, als er sich ihr zum ersten Mal geboten hatte.
Teresa ließ sich vom Sattel gleiten und eilte zu dem toten Soldaten, der halb begraben unter einem Berg trockenen Laubes lag. Der Stoff seiner Jacke und Hose war längst verblichen; es war unmöglich festzustellen, ob er einmal grau oder blau gewesen war, ob der Soldat ein Yankee oder ein Konföderierter gewesen war, und dafür konnte Teresa nur dankbar sein. Sie wollte es auch gar nicht wissen.
Der Himmel allein wusste, wie lange der Mann hier schon lag. Seine Haut war trocken und gespannt. Eine Seite seines Gesichts fehlte, und der Rest war halb in den Schädel eingesunken. Sie schauderte bei dem Gedanken, was sie zu tun im Begriff war. Er ist tot, sagte sie sich wieder. Er ist tot, und er braucht seine Uniform nicht mehr. Sie hingegen brauchte sie dringend.
Teresa rümpfte die Nase und betete im Stillen um Vergebung für das, was sie nun tat. Schnell zog sie dem Mann seine Hosen, seine Jacke und sein Hemd aus.
Zum Glück war sie nicht zimperlich – dafür hatten ihre vier älteren Brüder schon gesorgt. Trotzdem hielt sie den Blick von seinem Gesicht abgewandt, beziehungsweise von dem, was davon noch übrig war.
Sie holte einen ihrer Unterröcke aus ihrer Satteltasche, deckte seinen bloßen Körper damit zu, dann legte sie eilig ihre Reitkleidung ab und zog die schmutzige, zerlumpte Uniform des Toten über.
Teresa schauderte. Etwas so Abstoßendes hatte sie noch nie im Leben tun müssen. Doch sie hatte keine andere Wahl.
Wenig später hatte sie auch die Schuhe des toten Soldaten angezogen und seinen schmuddeligen, ausgefransten Hut aufgesetzt. Sie stopfte ihre eigenen Kleider in die Satteltasche und bedeckte sie mit ein paar der Lebensmittelvorräte, die sie mitgenommen hatte, für den Fall, dass einer der Yankees einen Blick in die Tasche werfen wollte. Sie rollte ihren Umhang so zusammen, dass er aussah wie eine Decke, und band ihn hinter ihrem Sattel fest.
Teresa stieg wieder auf, und ohne sich die geringste Mühe zu geben, leise zu sein, gab sie Star Dancer nun die Sporen. Der Hengst brach sofort in Trab aus. Mit einem weiteren Druck ihrer Fersen trieb sie ihn zum vollen Galopp an. Sie bewegten sich durch das dicht bewaldete Gebiet, vorbei an dem Gebüsch, in dem sie sich kurz zuvor versteckt hatte, und geradewegs auf das Yankee-Lager zu.
»Lieber Gott, wenn es nicht klappt, lass es bitte schnell für mich vorbei sein«, murmelte sie leise vor sich hin und zog sich die Hutkrempe tiefer in die Stirn.
Als sie sich dem Lagerrand näherte, trat ein Soldat aus dem tiefen Schatten eines Baumstammes heraus.
Sein jähes Auftauchen erschreckte Teresa, und sie riss an Star Dancers Zügeln. Der mächtige Hengst spannte alle Muskeln an, um Teresas Befehl zu gehorchen, doch stillstehen konnte er nicht. Stattdessen schnaubte er und stampfte protestierend mit den Hufen auf dem harten Boden.
»Welcher Auftrag führt dich her?«, fragte der Wachhabende knapp. Er stand mit dem Gewehr vor der Brust, den Zeigefinger seiner rechten Hand am Abzug. Nur ein spitzes Kinn und ein halb von einem zerzausten Schnurrbart verdeckter Mund waren sichtbar. Der Rest seines Gesichts war vom Schatten seiner Hutkrempe verborgen.
Teresa zuckte bei der lauten Frage zusammen. Wollte er denn jeden verflixten Yankee in diesem Lager aufwecken?
Star Dancer stampfte wieder mit den Hufen und warf den Kopf herum, um seinen Unwillen darüber zu zeigen, dass er zum Anhalten gezwungen worden war.
Der Soldat beachtete den großen Hengst nicht und blickte Teresa scharf an. »Dein Auftrag, Junge«, wiederholte er.
»Ich bin hier ...« Teresa hielt inne, als ihr auffiel, dass ihre Stimme viel zu leise und weich für einen Jungen klang. Sie räusperte sich, und mit betont tiefer Stimme antwortete sie: »Ich bin hier, um eurem Commander eine Nachricht zu überbringen.«
»Deine Papiere?« Der Wachhabende hob den Kopf und zeigte sein Gesicht, das trotz seiner Jugend schon sehr hart wirkte. Er streckte eine Hand aus.
Sie starrte ihn an. Papiere? »Ich ... ich habe keine ... Ich meine, ich darf sie niemandem außer dem Commander zeigen.«
Die dunklen Augen des Wachhabenden wurden schmal. »Dein Name?«, wollte er wissen.
Ihr Name? Wie sollte sie sich nennen? Wie sollte sie sich so schnell einen Jungennamen ausdenken? »Äh, Tom.«
»Und weiter?«
Warum hatte sie nur nicht daran gedacht nachzusehen, ob der tote Soldat Papiere bei sich trug? »Äh, Smith. Tom Smith.«
»Bist ein bisschen jung für einen Kurier, Smith, oder?«
Verärgert straffte Teresa die Schultern. »Ich bin alt genug«, erwiderte sie mit einem Grollen in der Stimme und hoffte, dass sie männlich genug klang.
»Schon gut, Kleiner.« Der Wachhabende lachte in sich hinein, dann machte er abrupt kehrt. »Folge mir.«
Ihm folgen? Teresa versuchte, ihre Panik zu unterdrücken. Sie hatte gedacht, er würde ihr einfach den Weg zum Zelt des Commanders beschreiben. Auf keinen Fall wollte sie ihm folgen. Sie wollte überhaupt nicht in diesem Lager sein! Sie wollte nichts weiter als sich still und leise hindurchmogeln.
»Taggert, übernimm du mal die Wache für mich«, rief der Wachhabende über die Schulter zurück. »Ich bin in ein paar Minuten wieder zurück.«
Aus dem Schatten des Baumes trat ein weiterer Mann hervor. Teresas Mut sank noch tiefer. Sie sah sich zu dem Wachposten um, der ihr befohlen hatte, ihm zu folgen. Es sah gar nicht gut für sie aus. Hastig blickte sie sich nach einer Fluchtmöglichkeit um.
Was sollte sie nur machen? Sie konnte doch nicht mit einem Yankee-Commander sprechen! Das hatte sie schon einmal in New Orleans probiert, kurz nachdem General Butlers Truppen einmarschiert waren und die Stadt besetzt hatten, und damals wäre sie um ein Haar im Gefängnis gelandet.
Diesmal konnte sie sogar als Spion erschossen werden!
Ihre Zunge fühlte sich plötzlich wie ein nasses Stück Schuhleder an.
Teresa schluckte schwer, und Panik drohte über ihr zusammenzuschlagen. Was würde mit ihrem Bruder geschehen, falls sie nicht zu Jay gelangte? Was würde aus Tyler werden, wenn sie nie wieder nach Hause zurückkehrte? Sie verkrampfte die Finger so fest um die schmalen Zügel, dass es fast wehtat. Sie musste hier heraus. Sie musste versuchen auszubrechen. Die meisten der Soldaten schliefen. Wenn sie den Wachhabenden überrumpelte und Star Dancer zu äußerster Geschwindigkeit antrieb, gelang es ihr vielleicht zu entkommen.
Alle Muskeln angespannt, beugte sie sich vor und machte Anstalten, Star Dancer die Fersen in die Flanken zu drücken.
Der Wachhabende drehte sich zu ihr herum und ergriff den Zaum des Hengstes. »Ich hole jemanden, der sich um dein Pferd kümmert, Junge. Steig nur ab und folge mir.«
Teresa spürte, wie sich die eisigen Finger der Furcht um ihr Herz schlossen. Wieder drohte die Panik sie zu übermannen, doch sie wusste, dass sie keine andere Wahl hatte, als dem Wachposten zu folgen. Wenn sie jetzt noch auszubrechen versuchte, würde man auf sie feuern und sie sehr wahrscheinlich in den Rücken treffen. Das würde niemandem dienen ... am allerwenigsten ihr selbst.
Während sie versuchte, den Kloß hinunterzuschlucken, der sich in ihrem Hals gebildet hatte, ließ sie sich vom Sattel gleiten. Sie übergab dem Wachhabenden Star Dancers Zügel und wartete, während er einen anderen Soldaten herbeirief und ihn beauftragte, das Pferd »des Jungen« zu versorgen. Widerspruchslos folgte Teresa dem Wachhabenden an ein paar weiteren Zelten vorbei. Drei Soldaten, die um ein schwelendes Lagerfeuer herum saßen, blickten auf und hörten auf zu sprechen, als sie vorbeikamen.
Sie hielt den Kopf gesenkt, um ihr Gesicht möglichst zu verbergen.
Der Wachhabende führte sie um eine kleine Baumgruppe herum, über eine Abwasserrinne, durch ein Dickicht von Gebüsch, um ein weiteres Lagerfeuer herum und an noch mehr Zelten vorbei.
Teresa stöhnte innerlich. Großartig! Sie waren inzwischen so sehr im Zickzack gelaufen, dass sie, selbst wenn sie den Mut zur Flucht aufbrachte, Star Dancer niemals wieder finden würde.
Gerade kamen sie an einem weiteren Zelt vorbei. Die Eingangsklappe war zurückgeworfen, und das Licht einer Laterne ergoss sich aus dem Innern in die Nacht.
»Gefreiter Simms.«
Der Wachtposten blieb stehen und wandte sich dem Licht zu.
Teresa blieb auch stehen, um den Mann anzusehen, der gerufen hatte. Er war kräftig gebaut und hatte eine beginnende Glatze. Ein buschiger Schnurrbart verdeckte seinen Mund, und auf seiner Nasenspitze balancierte eine Brille. Er saß hinter einem Klapptisch, der ihm offenbar als Schreibtisch diente.
Der Gefreite Simms steckte den Kopf ins Zelt. »Ja, Sir, Captain Barnes?«
»Hol mir Kaffee.«
Der Gefreite nahm Haltung an. »Aber, Sir, ich wollte gerade diesen Jungen hier ...«
»Mir ist egal, was du vorhattest, Gefreiter«, polterte der Offizier. »Ich will Kaffee, und ich will, dass du ihn mir holst. Jetzt gleich. Ist das klar?«
Der Wachhabende wurde blass und salutierte knapp. »Ja, Sir. Sofort, Captain Barnes.« Er drehte sich zu Teresa um. »Der Commander ist zurzeit nicht im Lager«, sagte er leise, beinah flüsternd. »Er ist heute Nachmittag mit Nobles Trupp losgezogen, und sie sind bis jetzt noch nicht zurück. Ich wollte dich zu Lieutenant Colonel Forsythe bringen.« Er warf einen Blick über die Schulter. »Sein Zelt ist das sechste von hier, gleich hinter dem Lagerfeuer. Geh nur allein weiter.«
Teresa sah einen Hoffnungsschimmer am Horizont auftauchen. Er würde sie nicht weiter begleiten. Sie durfte allein weitergehen. Das bedeutete, dass sie entkommen konnte ... wenn es ihr gelang, zuerst Star Dancer wieder zu finden.
»Los jetzt«, drängte der Wachhabende. »Ich sehe dir ein Weilchen nach, um sicher zu sein, dass du den Weg findest.«
Der Hoffnungsschimmer wurde schon ein wenig trübe, während Teresa nickte, leise »Ja, Sir« antwortete und sich davonmachte. Wenn sie die Richtung einschlug, die er ihr gezeigt hatte, wandte er sich vielleicht nach ein paar Minuten ab, sodass sie zwischen ein paar Zelten verschwinden und sich auf den Weg zurück zu Star Dancer machen konnte.
Mit gesenktem Kopf ging Teresa an zwei, drei Zelten vorbei. Sie kam an einem fast niedergebrannten Lagerfeuer vorbei, um das sich vier Soldaten geschart hatten. Teresa riskierte einen Blick über die Schulter und bemerkte, dass der Wachhabende ihr immer noch nachsah.
»Mist.« Das Wort kam ihr kaum hörbar über die Lippen. Sie ging weiter, an noch einem und dann noch einem Zelt vorbei. Noch ein Zelt mehr, und sie würde das Zelt hinter sich haben, das der Wachhabende ihr gezeigt hatte. Vielleicht konnte sie dann den Weg verlassen, und falls der Soldat sie noch beobachtete, würde er denken, sie hätte das Zelt des Lieutenants betreten, wie er es befohlen hatte.
Sie hielt die Luft an und wagte nicht, sich umzusehen und festzustellen, ob er ihr noch nachblickte. Nur noch ein paar Schritte. Sie brauchte nur noch ein paar Schritte zurückzulegen, dann konnte sie versuchen zu entkommen.
Das Lampenlicht, das das Zelt erleuchtete, fiel durch die offene Klappe in die Dunkelheit der Nacht hinaus. Teresa wagte nicht zu atmen. Sie konnte unmöglich einen Bogen um den Lichtschein machen, ohne dass es auffiel. Am besten lief sie eilig hindurch und betete, dass der Lieutenant schon schlief. Oder gar nicht da war. Sie zog die Schultern hoch und beschleunigte den Schritt.
Plötzlich trat ein Mann aus dem Zelt hervor. Seine breiten Schultern füllten den Eingang fast vollständig aus. Das Licht aus dem Zelt fiel an ihm vorbei, streifte seine dunkle Uniform und verlor sich in der Nacht.
Teresa stockte der Atem.
Sein Profil war ihr zugewandt, seine Jacke offen. Seine ledernen Hosenträger hingen lose an seinen Oberschenkeln herab. Er trug die dunkelblaue Uniform eines Yankee-Offiziers mit den entsprechenden Goldtressen an den Ärmeln und den Epauletten.
Obwohl seine Uniformjacke offen stand, konnte sie erkennen, dass er breite Schultern hatte, während seine eng sitzenden, in die kniehohen Stiefel gesteckten Hosen seine langen, sehnigen Schenkel in fast unanständiger Weise betonten. Der Mann war hochgewachsen, er überragte sie um zwei Köpfe, und er hatte etwas Kühles, Gleichgültiges an sich, das sie frösteln ließ. Dies war der Mann, zu dem der Wachhabende sie hatte bringen wollen, dessen war sie sicher.
Nun drehte er sich ihr zu, und obwohl Teresa wusste, dass sie den Blick abwenden musste, konnte sie es nicht tun.
Auch wenn sein Haar vom Mondlicht erhellt war, lagen seine Gesichtszüge im Dunkeln. Schatten lagen beinah Unheil verkündend über seinen tief liegenden Augen und betonten die Hagerkeit seiner Wangen; sein markantes Kinn schimmerte bläulich, während ein silbriger Schimmer auf seinen hohen Wangenknochen und seiner geraden Nase lag und die vollen Lippen eines Mundes umspielte, der eine Fähigkeit sowohl zur Leidenschaft als auch zur Grausamkeit verriet.
Es war ein ansprechendes Gesicht, vielleicht eines der ansprechendsten, die Teresa je gesehen hatte, doch hatten seine Züge auch eine Härte, eine Kälte, die so unbeschreiblich wie unübersehbar waren.
Teresa fröstelte, und plötzlich fürchtete sie sich mehr denn je, seit sie zu ihrer Reise nach Richmond aufgebrochen war. Doch sie hatte keine Ahnung, weshalb. Schließlich brauchte sie nichts weiter zu tun, als den Kopf gesenkt zu halten und an ihm vorbeizugehen. Diese einfache Aufgabe schien jedoch plötzlich kaum zu bewältigen zu sein. Noch nie war sie von einem Mann so angesehen worden. Es war, als wären diese Augen, die so geheimnisvoll im Dunkeln lagen, imstande, ihr alle Kleider auszuziehen. Doch das war eine lächerliche Vorstellung. Sie trug Männerkleider, zerlumpte, schmutzige Männerkleider, die schlaff an ihr herabhingen. Ihr Gesicht hatte sie mit Dreck verschmiert, und ihre Haare waren unter einem schmuddeligen und zerfransten Hut verborgen, der ihr tief in die Stirn hing, weil er ihr etliche Nummern zu groß war.
Dennoch fühlte sie, dass sie rot wurde.
Teresa zuckte jäh zusammen, als er die Hand hob, doch schon stellte sie erleichtert fest, dass er nur ein Zigarillo an die Lippen hob. Er wandte sich ab und nahm einen tiefen Zug, wobei sich die glühende Spitze des Zigarillos leuchtend vor dem Nachthimmel abhob.
Der schwache Duft des mit Brandy getränkten Tabaks erfüllte für kurze Zeit die Luft.
Teresa senkte den Kopf noch tiefer und zwang sich weiterzugehen. Sie würde ihn kein zweites Mal ansehen. Er wusste nicht, dass sie sich bei ihm melden sollte, dass der Wachhabende sie zu seinem Zelt geschickt hatte. Für ihn war sie nichts weiter als ein Soldat von vielen in diesem Lager, der vielleicht nach Erledigung eines Auftrags auf dem Rückweg zu seinem Zelt war. Sie hatte nichts zu befürchten.
Entgegen ihrem Vorsatz schaute sie wieder verstohlen zu ihm hin, während sie sich ihm näherte, und verwünschte sofort ihre Torheit, als er plötzlich ihrem Blick begegnete. Überrascht zuckte sie zusammen, dann setzte sie schnell eine unbeteiligte Miene auf, bevor er in ihrem Gesicht lesen konnte.
Etwas an ihm erschien ihr seltsam vertraut. Sie wusste nicht, was es war, doch es war vorhanden, und das beunruhigte sie. Vielleicht war es etwas, was in den Tiefen seiner Augen verborgen lag, oder es war die Art und Weise, wie er eine Augenbraue hob, während er sie ansah. Vielleicht war es aber auch etwas an seinen Gesichtszügen, etwas, das seine Mundwinkel umspielte, und wenn seine Lippen jetzt auch fest und hart, fast ausdruckslos wirkten, so hatten sie vielleicht früher einmal oft und bereitwillig gelächelt.
Sie war nicht sicher, was es war, doch da war etwas ... und was immer es war, es riet ihr warnend, ruhig zu bleiben, den Kopf gesenkt zu halten ... und das Lager und diesen Mann so schnell und so weit wie möglich hinter sich zu lassen.
Jeden Muskel aufs Äußerste gespannt, das Kinn auf die Brust gedrückt, ging sie an ihm vorbei, zwang sich, ein »Guten Abend« zu murmeln und die Hand an die Krempe ihres Hutes zu heben. Er war ein Offizier. Jeder gemeine Soldat hatte die Pflicht, einen Offizier zu grüßen.
Ihr Rücken war kerzengerade, aber sie hielt den Kopf weiterhin gesenkt.
Hoffentlich regte er sich nicht auf, weil sie nicht Haltung angenommen und formvollendet vor ihm salutiert hatte. War das überhaupt in einem Feldlager wie diesem hier üblich? Hatten die Entbehrungen des Krieges, der Überdruss all dessen, vielleicht dazu geführt, dass sich niemand mehr große Gedanken um Formalitäten machte?
»Soldat!«
Teresa blieb stehen, und ihr Herz sank ihr bis in die Kniekehlen. Nicht nur ihr Instinkt, sondern auch die Tatsache, dass außer ihr weit und breit sonst niemand in der Nähe war, verriet ihr, dass sie gemeint war. Schwindelerregender Schrecken machte sich in ihr breit. Sie war entdeckt.
Wie angewurzelt blieb Teresa stehen. Ihre innere Stimme schrie ihr zu, sie sollte wegrennen, doch ihre Beine rührten sich nicht, so als hätten sie urplötzlich Wurzeln geschlagen. Sie ließ hektisch den Blick über die dunkle Umgebung jenseits der Dutzende von schäbigen weißen Zelten schweifen, die auf dem leicht hügeligen Terrain aufgeschlagen waren. Einige Meter weiter saßen drei Soldaten um ein weiteres Lagerfeuer herum.
Laut und hart dröhnte ihr Herzschlag in den Ohren. Ihr Magen vollführte einen Purzelbaum, dann schien er in Richtung Erdboden abzurutschen. Ihr Puls wurde so schnell, dass ihr schwindelig wurde, und sie zitterte am ganzen Körper. Wie weit würde sie kommen, wenn sie jetzt weglief?
Nicht weit genug, antwortete eine leise Stimme in ihrem Innern.
»Soldat.«
Fast hätte Teresa hörbar gestöhnt, doch sie konnte den Laut gerade noch unterdrücken. Sie blickte an sich herab. Ihre Brüste zeichneten sich schwach unter dem weiten Hemd ab. Schnell zog sie die schmuddelige Jacke an den Aufschlägen zusammen. Ein muffiger Geruch von Dreck und Schweiß stieg von dem vermoderten Kleidungsstück auf. Angewidert rümpfte Teresa die Nase. Ob er wohl erkannte, dass sie eine Frau war?
Unruhe machte sich in ihr breit, griff ihr ans Herz, ließ ihr den Atem stocken und drohte sich zu einer regelrechten Hysterie auszuwachsen. Sie kämpfte das Gefühl mit aller Macht nieder und zwang sich zur Ruhe. Wenn sie jetzt nicht Ruhe bewahrte, würde sie alles ruinieren. Sie musste nur ihre Jacke zuhalten und den Kopf gesenkt lassen, damit die Hutkrempe ihr Gesicht verdeckte.
Tief atmete sie die kühle Nachtluft ein, nahm ihren ganzen Mut zusammen und erwiderte zaghaft den Blick des Lieutenants. Vielleicht wollte er ja nichts weiter als eine Tasse Kaffee wie der andere Offizier. »Ja, Sir?«, sagte sie mit tiefer Stimme.
»Komm her.«
Komm her. Sie starrte ihn an, während seine Worte in ihrem Kopf widerhallten.
Teresa schluckte. Wenn er nur eine Tasse Kaffee wollte, hätte er sie sicher nicht in einem so schroffen Ton angesprochen. Ihr Herz sank noch weiter. Nichts hätte sie lieber getan als wegzulaufen, doch sie trat ein paar zögernde Schritte auf ihn zu.
Er blickte auf sie herab. Kühle Belustigung blitzte in seinen Augen, doch es lag auch eine unglaubliche Kälte darin. Sie waren kalt und hart wie Saphire. »Ich brauche deine Unterstützung.«
Welche Emotionen auch hinter dieser Stirn verborgen sein mochten, Teresa war sicher, dass sie keinerlei Wärme enthielten.
Seine Stimme war tief und irgendwie rau, und seine Worte klangen leicht gedehnt. Das überraschte sie. Er war ein Südstaatler. Aber ein Yankee war er auch. Entrüstung flammte in ihr auf. Dieser Schuft. Der Mann war ein Verräter.
Die Neugier drängte sie, ihn genauer anzusehen. Ihre Vernunft riet ihr jedoch davon ab. Auf keinen Fall durfte sie riskieren, dass er sie als Frau erkannte.
Er machte auf dem Absatz kehrt und ging in sein Zelt zurück.
Schon keimte neue Hoffnung in Teresa auf. Jetzt konnte sie weglaufen. Er befand sich wieder in seinem Zelt. Er würde nicht einmal sehen, in welche Richtung sie gelaufen war – aber die drei Männer am Lagerfeuer. Diese Männer konnten sie sogar aufhalten.
Sie blickte zum Zelt des Lieutenants und schluckte. In ihrem Magen hatte sie lauter Schmetterlinge, und ihre Knie fühlten sich so weich an, als wollten sie ihr beim nächsten Schritt, den sie unternahm, den Dienst versagen.
Ihre Hände zitterten so sehr, dass sie eilig die Arme verschränkte und die Hände darunter verbarg. Ob man sich wohl so fühlte, wenn einem der Henker die Schlinge um den Hals legte?
»Soldat?«
Die Stimme des Offiziers riss Teresa aus ihren Gedanken und ließ sie erschreckt zusammenzucken.
Er war zurückgekommen und stand jetzt vor ihr.
Am liebsten wäre sie in Ohnmacht gefallen.
Er nahm ihr jede weitere Möglichkeit der Flucht, indem er sie am Arm packte und energisch ins Zelt führte.
Überrumpelt, wie sie war, konnte sie nichts weiter tun, als hinter ihm herzustolpern und mit ihrer freien Hand ihren Hut festzuhalten, damit er ihr nicht vom Kopf purzelte.
Er ließ sie nicht los, und sie war sich deutlich der Wärme seiner Hand auf ihrem Arm bewusst. Er hielt sie eisern fest und ließ ihr nicht die geringste Chance zu entkommen.
Liebend gern hätte sie sich losgerissen oder ihm ins Gesicht geschlagen, doch sie konnte weder das eine noch das andere tun, wenn sie nicht riskieren wollte, dass ihre Tarnung aufflog. Und das war das Letzte, was sie sich wünschte.
Der schwache Geruch von Brandy und Tabak, der von ihm ausging, erregte ihre Aufmerksamkeit. Diese Mischung hatte sie oft gerochen, wenn ihre Brüder zu Hause gewesen waren, und normalerweise mochte sie diesen Duft. Nun erinnerte er sie jedoch nur an die Hand, die sie so grob festhielt, an den Mann, der sie so mühelos in sein Zelt gedrängt hatte. Vor allem machte der Duft ihr deutlich, dass sie sich in einer sehr gefährlichen Situation befand.
»Ist es für dich üblich, einen Offizier zu ignorieren, wenn er mit dir spricht, Soldat?«, fragte er barsch.
Teresa wand sich innerlich. Dann ermahnte sie sich, dass sie den Kopf gesenkt halten musste, ließ die Schultern sinken und schüttelte mit niedergeschlagenem Blick den Kopf. »Nein, Sir.«
»Gut.« Er ließ sie los und trat weiter ins Zelt hinein. »Weil es nämlich ein guter Grund wäre, dich erschießen zu lassen.«
Teresa biss die Zähne zusammen und schwieg. Nur zu gut erinnerte sie sich an eine ganz ähnliche Situation.