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Arizona, USA, im 19. Jahrhundert. Sicherheit, das ist, was Candace in ihrer Ehe findet - ihr Mann Garth Murdock ist zwanzig Jahre älter als sie und könnte ihr Vater sein. Er hatte geschworen, für sie und ihren verwaisten Bruder zu sorgen, bis der Junge alt genug sei, sich allein um die Ranch zu kümmern.
Aber als Range Connor auftaucht, merkt Candace schon bald, dass ihr Herz sich nach mehr als nur Sicherheit sehnt. Das wilde, stürmische Verlangen, das der Revolverheld in ihr weckt, stürzt sie in einen tiefen Zwiespalt: Sie will ihr Ehegelübde nicht brechen, doch die Wünsche ihres Körpers werden immer mächtiger ...
***
Diese romantische Liebesgeschichte ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel "Im Taumel der Gefühle" erschienen.
Ebenfalls von Cheryl Biggs lieferbar: Spiel der Liebe * Die Südstaaten-Saga: Band 1: Glück deiner Liebe. * Band 2: Macht der Sehnsucht. * Band 3: Aufruhr der Herzen. * Band 4: Sturm der Gefühle.
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Seitenzahl: 396
Veröffentlichungsjahr: 2017
Cover
Über dieses Buch
Über die Autorin
Titel
Impressum
Prolog
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Epilog
Arizona, USA, im 19. Jahrhundert. Sicherheit, das ist, was Candace in ihrer Ehe findet – ihr Mann Garth Murdock ist zwanzig Jahre älter als sie und könnte ihr Vater sein. Er hatte geschworen, für sie und ihren verwaisten Bruder zu sorgen, bis der Junge alt genug sei, sich allein um die Ranch zu kümmern.
Aber als Range Connor auftaucht, merkt Candace schon bald, dass ihr Herz sich nach mehr als nur Sicherheit sehnt. Das wilde, stürmische Verlangen, das der Revolverheld in ihr weckt, stürzt sie in einen tiefen Zwiespalt: Sie will ihr Ehegelübde nicht brechen, doch die Wünsche ihres Körpers werden immer mächtiger …
Diese romantische Liebesgeschichte ist in einer früheren Ausgabe unter dem Titel »Im Taumel der Gefühle« erschienen.
Cheryl Biggs liebt Cowboyserien und Western seit ihrer Kindheit. Die passionierte Reiterin lebt mit ihrem Mann, den fünf Katzen Dooby, Dusty, Dolly, Mikey und Lil’ Girl sowie mit Hund Lady am Fuß des Mount Diablo, Kalifornien.
Cheryl Biggs
Versuchung der Leidenschaft
Aus dem amerikanischen Englisch von Katharina Braun
beHEARTBEAT
Digitale Erstausgabe
»be« – Das eBook-Imprint von Bastei Entertainment
Für die Originalausgabe:
Copyright © 1998 by Cheryl BiggsPublished by Arrangement with KENSINGTON PUBLISHING CORP., NEW YORK, NY USATitel der amerikanischen Originalausgabe: Silver Linings
Für diese Ausgabe:
Copyright © 2017 by Bastei Lübbe AG, Köln
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen.
Titel der deutschen Erstausgabe: Im Taumel der Gefühle
Covergestaltung: © Maria Seidel, atelier-seidel.de unter Verwendung von istockphoto: czekma13 | hotdamnstock.com
eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Ochsenfurt
ISBN 978-3-7325-4563-6
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»Du gehst nirgendwohin!«
Die barsche Stimme und das laute Krachen, das ihr folgte, rissen den sechsjährigen Nicky aus dem Schlaf. Erschrocken und verwirrt fuhr er im Bett hoch.
Seine Mutter schrie.
Noch ein Krachen.
Nicky schlug die Decken zurück, zwang seine zitternden Beine, zu gehorchen, und sprang auf. Er rannte durch das dunkle Schlafzimmer zur Tür und öffnete sie, einen Spalt nur, aber genug, um hinaussehen zu können.
Der blasse Schein einer Lampe im Wohnzimmer fiel auf den leeren Flur und durch seine Tür.
Er schlich aus seinem Zimmer und den Gang hinunter. An der Tür zum Wohnzimmer blieb er stehen, legte die Hände an den Rahmen und spähte vorsichtig darum herum.
Seine Mutter stand im Zimmer, aber er sah sie nur im Profil. Ihr dunkles Haar, das sonst stets zu einem gepflegten Knoten aufgesteckt war, fiel ihr offen über den Rücken und die Schultern, und sie stützte sich auf eine Stuhllehne.
»Du wirst nicht gehen, hörst du? Du und dieses Balg von dir, ihr werdet nirgendwohin gehen.«
Nicholaus fuhr zusammen, als eine riesige, massive Faust in Sicht kam.
Seine Mutter schrie.
Die Faust traf sie mitten im Gesicht.
Jäh schossen ihre Arme hoch, ihre Knie gaben nach, und sie prallte taumelnd gegen einen nahen Tisch.
»Mama!«, schrie Nicky und stürzte aus seinem Versteck.
»Nein. Geh, Nicky«, sagte Allison und rappelte sich mühsam auf, während Blut aus einer hässlichen Platzwunde an ihrer Schläfe strömte.
Er blieb auf halbem Wege zu ihr stehen und schaute den Mann an, der seine Mutter geschlagen hatte. Das Licht war jetzt hinter seinem Rücken, so dass er für den Jungen nur eine riesige dunkle Silhouette war. Nicky erschauerte vor Angst.
Allison wandte sich dem Mann zu. »Damit kommst du nicht davon«, sagte sie.
Er lachte, und bevor sie reagieren konnte, sprang er vor und schlug sie noch einmal.
»Lauf, Nicky!«, schrie Allison, während sie versuchte, auf die Beine zu gelangen. »Lauf!«
»Du undankbare Hure! Niemand geht hier irgendwohin!« Er stapfte auf sie zu.
Grauen und Entsetzen erstickten Nicky fast, doch seine Glieder waren wie gelähmt vor Furcht.
Allison schrie ihn wieder an. »Lauf, Kind, lauf!«
Tränen rannen über Nickys Wangen. »Mama!«, rief er.
Allison kroch über den Boden auf ihn zu, während sie gleichzeitig versuchte, sich aufzurichten. Sie scheuchte ihn vor sich über den Korridor. »Lauf«, befahl sie ihm mit schwacher Stimme.
Er lief in sein Schlafzimmer, aber als er sich nach ihr umdrehte, war sie nicht mehr da. Nicky lief zurück zur Tür. »Mama«, rief er, als er sie auf den Knien auf dem Boden im Korridor sah. Das einzige, was sie überhaupt noch aufrecht hielt, war die Wand, an der sie lehnte. »Komm, Mama. Schnell, Mama ...«
Sie stieß ihn kraftlos fort. »Geh, Nicky«, hauchte sie mit schwacher Stimme, bevor sie besinnungslos zu Boden sank. Leblos starrten ihre Augen zu der Zimmerdecke auf.
Nicholaus zitterte am ganzen Körper. Blut rann über eine Seite ihres Kopfs und ihre Schulter und bildete langsam eine große Lache auf dem Boden, die seinen bloßen Zehen immer näher kam.
Schwere Schritte polterten über den Dielenboden. »Allison!«
Fast augenblicklich trat ein schwerer Fuß gegen die Tür. »Mach die verdammte Tür auf, du nichtsnutziges Balg!«
Nicky ergriff seine Schuhe, das Hemd und die Hose, die seine Mutter am Fußende des Betts für den nächsten Morgen bereitgelegt hatte, und hastete zum Fenster. Er kroch gerade hindurch, als krachend hinter ihm die Schlafzimmertür zersplitterte.
Alles schien mit einem Mal ganz unnatürlich still.
Range schwang sich aus dem Sattel. Obwohl seine Haltung auf einen Beobachter entspannt gewirkt hätte, war er ständig auf der Hut vor allem, was ihn umgab. Er musste es sein. Es gab zu viele Leute, die ihn tot sehen wollten.
Mehrere Männer sprangen von den Stühlen auf, auf denen sie vor dem Hotel gesessen hatten, und eilten nach drinnen. Eine Frau scheuchte hastig ihre Kinder in einen Laden am fernen Ende des Häuserblocks, und kaum war die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen, hängte jemand das Schild »Geschlossen« auf.
Range bemerkte die Vorgänge und ignorierte sie zugleich. Die Leute reagierten immer so, wenn er in die Stadt kam. Es gefiel ihm nicht, er hatte sich nie daran gewöhnen können, aber er konnte es ihnen auch nicht verübeln. Sein Ruf eilte ihm voraus, wohin er auch kam, und es war kein guter, obwohl ihm viel mehr angelastet wurde, als tatsächlich auf sein Konto ging.
Da er sich jedoch schon seit einem halben Jahr seine Post hierherschicken ließ, hatte er gedacht, die Leute von Pine Grove hätten sich allmählich daran gewöhnt, ihn ab und an zu sehen. Doch offensichtlich war das nicht der Fall.
Er band sein Pferd an die Stange vor dem Gemischtwarenladen und trat dann auf den hölzernen Gehsteig. Der kräftige schwarze Wallach wieherte leise hinter ihm und schüttelte den Kopf und seine staubbedeckte schwarze Mähne.
Es war ein langer, anstrengender Ritt gewesen; der Job in Kansas hatte mehr Zeit in Anspruch genommen, als geplant, und ihm mehr Ärger eingebracht, als er erwartet hatte. Aber er verstand seine Fährte sehr gut zu verwischen, so dass er also für die nächste Zeit nicht mit Verfolgung rechnete.
Range nahm den Hut ab, wischte sich mit dem Ärmel seines schwarzen Hemds über die Stirn und schlug den Stetson gegen seinen Oberschenkel, um den Staub zu entfernen, der sich während des Ritts dort angesammelt hatte. Dann setzte er den Hut wieder auf.
Bevor er den Laden betrat, hielt er inne und schaute sich beiläufig um. Er war immer vorsichtig, immer misstrauisch. Das war es, was ihn am Leben erhielt. Türen schlossen sich ganz unvermittelt, an Fenstern wurden Gardinen vorgezogen. Die Sonne brannte gnadenlos auf die kleine texanische Stadt und die umliegende Landschaft. Selbst einigen halbwüchsigen Jungen, die etwas weiter unten auf der Straße Ball gespielt hatten, war die Hitze zu viel geworden, und sie hatten Zuflucht im Schatten des überhängenden Daches des Mietstalles gesucht.
Ranges Hemd klebte an seinem Rücken. Seine Hände senkten sich automatisch auf die beiden Revolver, die tief an seinen Hüften ruhten, während sein Blick weiterhin langsam über die Straße glitt, jedes Gebäude und jeden Wagen prüfte, die Schatten durchdrang und nichts übersah, was eine mögliche Gefahr für ihn bedeuten konnte. Als er sich schließlich überzeugt hatte, dass die Atmosphäre eher geladen war von Furcht statt von Bedrohung, wandte er sich zur offenen Tür des Ladens. Die Sporen an seinen Stiefeln klirrten bei jedem seiner Schritte leise. Musik des Todes hatte sie einmal jemand genannt, nachdem er Range zu einem Duell mit einem anderen Mann über die Straße gehen gesehen hatte. In den Verzierungen an seinen Beinschützern aus schwarzem Leder fingen sich die Sonnenstrahlen und spiegelten sich silbern im Schaufenster des Gemischtwarenladens.
Der Besitzer des Geschäfts sah ihn eintreten und wandte sich prompt von dem Kunden ab, den er bediente, nahm ein Päckchen Briefe aus einem nahen Fach und schob sie Range über die Theke zu. »Diesmal waren Sie länger unterwegs«, bemerkte der Mann und befingerte nervös die Goldrandbrille, die auf seiner langen, spitzen Nase saß.
»Ja.« Range blätterte in der Post. Er hielt nichts von Geschwätz – mit niemandem – und vermied es, wann immer er nur konnte. Zu oft wurden Dinge gesagt, die besser unausgesprochen blieben, und das konnte einen Mann in arge Schwierigkeiten bringen. Vor allem einen, der von seinen Revolvern lebte.
»Brauchen Sie Vorräte?«
»Munition«, murmelte Range. »Kaffee. Und ein bisschen Tabak.« Er nahm ein Kuvert heraus und legte die anderen wieder auf die Theke. Es war kein Brief, sondern ein Telegramm. Er entfaltete das Blatt und schaute aus Macht der Gewohnheit zuerst auf den Namen des Absenders, bevor er die Nachricht las. Es war lange her, seit irgendetwas ihn schockiert hatte, aber der Name, den er vor sich sah, der tat es. Sein Herz schien stillzustehen, das Blut in seinen Adern zu gefrieren. Er zwang sich, den Blick von dem Namen unten auf der Seite abzuwenden und das Telegramm zu lesen. »Hurensohn«, murmelte er dann leise. »Gottverdammter Hurensohn.«
»Also, ich muss doch wirklich bitten!«
Range schaute über die Schulter die alte Dame an, die ihn strafend ansah, und tippte mit einem Finger an den Hut. »Verzeihung, Ma’am«, sagte er, und seine Stimme war plötzlich weich wie Samt. »Ich hatte Sie nicht gesehen.«
Mit einem vernichtenden Blick wies sie seine Entschuldigung zurück. »Ich komme später wieder«, sagte sie knapp und verließ den Laden, dessen Tür sie laut hinter sich zuschlug.
Range faltete das Telegramm und steckte es in die Westentasche, bevor er sich wieder an den Ladenbesitzer wandte.
»Tut mir leid«, entschuldigte sich der Mann für seine Kundin.
»Kein Problem. Ich muss das Telegramm sofort beantworten.«
Der Mann nickte, und nachdem er eine Weile unter der Theke gesucht hatte, zog er ein Blatt und einen Stift hervor und schaute erwartungsvoll zu Range auf.
»An die Rolling M Ranch«, sagte er. »In Tombstone, Arizona.«
Er war nicht mehr als ein Schatten am Horizont, eine Erscheinung in Schwarz, die sich stetig auf sie zubewegte. Candace trat einen Schritt zurück, als könne sie sich seiner Sicht entziehen, indem sie in den Schatten der Veranda trat. Das war ungewohnt für sie, und sie verstand selbst nicht, warum sie es jetzt tat. Furcht war nie ein Bestandteil ihrer Natur gewesen, aber sie sagte sich – selbst als sie bereits in den Schatten trat – dass es nicht Furcht war, was sie motivierte, sondern höchstens Vorsicht.
Doch auch diese Erklärung wirkte nicht sehr überzeugend, und so versuchte sie erst gar nicht, ihre unerklärliche Reaktion auf den Anblick des sich nahenden Reiters zu verstehen, sondern begnügte sich damit, sie zu akzeptieren. Zumindest für den Augenblick.
Pferd und Reiter kamen ruhig die Einfahrt hinunter, weder schnell noch zögernd, und schienen weder die arbeitenden Cowboys der Rolling M in den nahen Koppeln noch die trockene Nachmittagshitze wahrzunehmen.
Im glänzend schwarzen Fell des Pferds spiegelten sich die Sonnenstrahlen wider und tanzten auf seinen ausgeprägten Muskeln, die sich bei jeder Bewegung der kräftigen Beine des Tiers zusammenzogen und entspannten. Kleine Staubwolken stiegen in der Luft hinter dem Wallach auf, wenn seine Hufe den Boden berührten, und sein langer schwarzer Schweif, wenn er ihn ab und zu bewegte, um die Fliegen zu vertreiben, erinnerte mehr an ebenholzfarbene Seide als an Pferdehaar.
Ein unverhoffter Schauer der Erwartung durchzuckte Candace, als sie Pferd und Reiter nahen sah. Nichts an diesem Mann erschien vertraut, was ihren Verdacht bestärkte, dass er ein Fremder war.
Es lag fast etwas Arrogantes in den Bewegungen des Mannes und des Tiers, eine Art subtiler Anmaßung, die auf den Beobachter herausfordernd wirkte. Sie bewegten sich mit einer fließenden Eleganz, die sie eins miteinander machte und dennoch den Eindruck weckte, dass keiner Herr des anderen war. Während sie sich näherten, konnte Candace sehen, dass der Reiter ganz in Schwarz gekleidet war. Sie empfand den Anblick als bedrohlich und hatte das Gefühl, dass es genau das war, was er damit erreichen wollte – dass er in anderen Angst wecken wollte.
Ein ungutes Gefühl erfasste sie. Sie hatte keine Ahnung, wer der Fremde war, spürte aber, dass sein Erscheinen auf der Rolling M kein Zufall und er kein harmloser Besucher war. Vor ein paar Monaten hätte es sie noch nicht gekümmert, wahrscheinlich hätte sie sich nicht einmal gewundert über einen Fremden, doch die Lage hatte sich seitdem geändert. Zu viele Unfälle waren in letzter Zeit geschehen, zu viele Bemerkungen gemacht worden, die etwas anderes besagen konnten, als die Worte übermittelten. Die Spannung, die den Haushalt seit einiger Zeit beherrschte und bei jedem Unfall, jeder verborgenen Andeutung noch weiter zunahm, hatte sich in letzter Zeit gesteigert.
Sie war sich plötzlich ziemlich sicher – selbst wenn sie den Grund nicht verstand –, dass dieser Mann ein Revolvermann war, ein gedungener Schießer, und der Gedanke sandte einen kalten Schauder über ihren Rücken.
Range sah die Frau, die auf der Veranda stand und ihn beobachtete. Der Anblick beschwor Erinnerungen herauf, an die er jetzt nicht denken wollte. Ein Anfall von Melancholie durchzuckte ihn plötzlich, unerwartet und heftig.
Er hatte Jahre auf diese Gelegenheit gewartet, darauf gehofft und auch darum gebetet, aber nie wirklich damit gerechnet, dass sie sich einmal ergeben würde, weshalb er in letzter Zeit bereits daran gedacht hatte, auf jeden Fall hierhin zu reiten. Aber das lange Warten hatte sich ausgezahlt, und jetzt, wo es soweit war, war ihm bewusst, dass er nun ganz besonders vorsichtig sein musste, sich jeden Schritt und jedes Wort genau überlegen musste und niemandem den Rücken zukehren durfte.
Er bewegte sich im Sattel und spürte das beruhigende Gewicht seiner beiden Revolver an den Oberschenkeln. Es hatte über zwanzig Jahre gedauert, doch nun war er zurückgekehrt. Endlich war die Zeit gekommen, die Wahrheit aufzudecken und die schon so lange überfällige Vergeltung zu üben.
Diese Frau dort konnte ein unerwartetes Vergnügen darstellen ... oder ein Problem. Was, das würde er bald wissen.
Candace strich abwesend eine Locke ihres langen blonden Haars von ihrer Schulter und verschränkte die Arme vor den Brüsten. Bei der Bewegung klaffte der Kragen ihrer weißen Bluse noch ein wenig weiter auf. Sie trat einen Schritt zurück, noch tiefer in den Schatten. Aber der Absatz ihres Reitstiefels stieß gegen die grobe Plankenwand des Hauses, und sie wusste, wenn sie nicht hineinging, war jeder weitere Rückzug ausgeschlossen.
Sie war gerade von ihrem morgendlichen Ausritt nach Gates End zurückgekommen, der Ranch, auf der sie aufgewachsen war, und trug deshalb noch ihre Reitsachen. Nicht die richtige Kleidung, um Besucher zu empfangen, würde Garth vermutlich sagen, aber sie wusste instinktiv, dass dieser Mann kein Besucher war.
Ein Teil von ihr bedrängte sie, ihrer unerklärlichen Furcht nachzugeben und ins Haus zu gehen. Ein anderer Teil von ihr bestand darauf, zu bleiben, wo sie war, und ihre Neugier zu befriedigen – oder sich zumindest doch zu vergewissern, ob sie unrecht hatte.
Sie schluckte, ihre Kehle war wie ausgedörrt von dem langen Ausritt und der trockenen Hitze.
Er war jetzt bereits so nahe, dass sie sein Gesicht erkennen konnte. Man hätte es als attraktiv bezeichnen können – er hatte markante Züge, die Kraft und Männlichkeit verrieten – wenn da nicht die Tatsache gewesen wäre, dass sich nicht die geringste Wärme hinter diesen gutgeschnittenen Zügen zu verbergen schien. Er war noch etwa dreißig Meter von ihr entfernt, doch selbst aus dieser Entfernung glaubte sie zu erkennen, dass seine Augen fast so schwarz waren wie die Kleidung, die er trug. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt durch den dunklen Schatten, der die ganze obere Hälfte seines Gesichts bedeckte. Er hatte die Krempe seines schwarzen Stetsons tief ins Gesicht gezogen.
Sie wusste, dass er sie ansah und sie genauso argwöhnisch und gründlich musterte wie sie ihn, und dennoch hielt sie ein undefinierbares Bedürfnis, das sie nicht verstand, auf der Veranda fest und erlaubte ihr nicht, sich abzuwenden und ins Haus zu gehen.
Garth würde es nicht gefallen, dass sie hier stand und dem Fremden entgegensah, vor allem nicht, weil sie nicht für Besuch gekleidet war, aber das war ihr egal. Was Garth dachte, kümmerte sie nicht mehr.
Sie spürte, wie der Fremde sie von Kopf bis Fuß betrachtete, und sie spürte ein eigenartiges Prickeln, als sein beinahe impertinenter Blick über ihren Körper glitt. Ihr war fast so, als berührte er sie wirklich, als blickten seine Augen durch den dünnen Musselin ihrer Bluse, unter den schwereren Stoff des Reitrocks und durch ihr gerüschtes Hemd. In Gedanken stand sie nackt vor ihm, unfähig, sich zu bewegen, sich abzuwenden oder auch nur einzuatmen.
Plötzlich nahm sie aus dem Augenwinkel eine Bewegung bei der Scheune wahr. Sie musste ihre ganze Willenskraft aufbieten, um sich abzuwenden, und sah, wie ihr Mann auf den Reiter zuging, der sein Pferd noch immer unverschämt langsam im Schritt gehen ließ. Unerwartete Besucher waren selten auf der Rolling M, aber sie spürte – vor allem, als sie sah, dass Garth und nicht sein Vormann kam, um den fremden Reiter zu begrüßen –, dass der Besucher bereits erwartet worden war. Sie richtete den Blick wieder auf den Fremden und beobachtete, wie er seinen Wallach kurz vor der Koppel, auf der die Pferde zugeritten wurden, zügelte.
Garth war noch mehrere Meter entfernt.
Der Reiter saß ab, und Candace fand, dass er sich mit der gleichen katzenhaften Geschmeidigkeit bewegte wie ein Panther, der lautlos aus der belaubten Krone eines Baumes schnellte.
Aber obwohl seine Bewegungen ausgeglichen und gelassen wirkten, spürte sie, dass er wachsamer und vorsichtiger als jeder andere Mann war, dem sie bisher begegnet war. Sie sah, dass Garth vor dem schwarz gekleideten Mann stehen blieb. Er sagte etwas, das sie nicht hören konnte, und reichte ihm die Hand. Range Connor starrte auf Garth Murdocks Hand. Er hätte sie ihm lieber abgeschossen als geschüttelt, doch das war etwas, das er für sich selbst behalten musste. Widerstrebend ergriff er die Hand des Mannes, ohne seinen Handschuh auszuziehen, froh, dass das schwarze Leder den direkten Kontakt mit seiner Haut verhinderte.
Garth verschwendete keine Zeit und kam sofort zur Sache, aber etwas anderes hatte Range auch nicht von ihm erwartet.
Candace runzelte die Stirn. Irgendetwas stimmte nicht. Sie spürte es in der Luft ... in ihren Knochen ... in ihrem Herzen. Das Gefühl verstärkte sich noch, während sie die Männer beobachtete. Der Fremde stand vor Garth, hatte die Daumen vorn in seinen tiefsitzenden Waffengurt gehakt und nickte hin und wieder. Garth, der kleiner, stämmiger und viel älter als der schwarzgekleidete Besucher war, redete in einem fort und gestikulierte heftig, wie es seine Art war.
Candace versuchte ihre Unruhe zu unterdrücken und sagte sich, dass es nur Einbildung war und sie Probleme fürchtete, wo keine waren. Obwohl sie sich große Mühe gab, konnte sie sich nicht davon überzeugen, dass es keinen Grund zur Sorge gab. Garth war kein Mann, der herumstand und mit vorüberziehenden Fremden – oder überhaupt jemandem – plauderte, was ihre Vermutung, dass er die Ankunft dieses Mannes schon erwartet hatte, nur bestärkte.
Das war an und für sich schon ungewöhnlich und beunruhigend, weil Garth Gesellschaft hasste und nur selten jemand auf die Rolling M einlud oder auf der Ranch willkommen hieß.
In diesem Augenblick verlagerte der Fremde sein Gewicht, und in den muschelförmigen Silberbeschlägen an den Außenseiten seiner Hose aus Leder spiegelte sich das Sonnenlicht.
Candace’ Blick glitt weiter hinunter, wie magisch angezogen von dem glitzernden Silber. Ihr Blick blieb auf dem Waffengurt haften, der tief auf seinen Hüften saß. Die Halfter waren an seinen langen, schlanken Schenkeln festgebunden, und er trug zwei 45er Colts darin. Die gleichen wie die Waffe, die ihr Bruder früher getragen hatte. Und das gleiche Kaliber wie die Waffe, die sie heimlich vor zwei Monaten gekauft hatte – für den Notfall – und unter ihren Hemden und Strümpfen in einer Schublade ihrer Schlafzimmerkommode verborgen hielt.
Sie fragte sich plötzlich, ob der hölzerne Griff der Waffe dieses Fremden Markierungen aufweisen mochte, eine Kerbe für jeden Mann, den er getötet hatte. Sie hatte gehört, dass das einige Pistoleros taten. Ihr Blick glitt zu seinem Gesicht hinauf, und als aus dem unbewussten Gedanken ein bewusster wurde, erschauerte sie, als hätte die Kälte, die er ausstrahlte, nun auch sie ergriffen. Und da erkannte sie plötzlich, dass sie sich in ihrer Meinung über ihn nicht getäuscht hatte.
Die Tür neben ihr öffnete sich, und Jesse Murdock, Garth’ jüngerer Bruder, trat aus dem Haus auf die Veranda. »Wer ist das?«, fragte er mit vom Alkohol schwerer Stimme und starrte den Fremden an.
Sie zuckte mit den Schultern, weil sie nicht mit ihm reden wollte.
Leise fluchend verließ Jesse die Veranda und ging auf seinen Bruder und den Fremden zu.
Candace fuhr fort, die Männer zu beobachten, aber ihr Interesse konzentrierte sich auf den Fremden. Aus irgendeinem Grund war sie sich ziemlich sicher, dass er ein Mann war, den andere Männer fürchteten, während er selbst sich, ganz gleich wo, in Sicherheit fühlen würde, weil er sich seiner eigenen Schnelligkeit bewusst war und der Gefahr, die sie für andere darstellte. Er würde immer ein wenig abseits stehen von anderen Männern, sie beobachten und einzuschätzen versuchen, selbst während sie das gleiche mit ihm taten. Aber er würde es aus Arroganz und Siegessicherheit tun, während sie es aus Besorgnis taten.
Range spürte ihren Blick im Rücken, drehte sich aber nicht nach ihr um. Er hatte etwas mit Garth zu besprechen, und das ging vor. Wenn ihn hier irgendein Vergnügen erwartete, mit dem er nicht gerechnet hatte, musste es bis später warten.
Candace sah, wie Garth mit dem Daumen plötzlich zum Haus hinüberwies, als wolle er unterstreichen, was er sagte, und die drei Männer wandten sich ihr zu. Ihr Puls begann zu rasen, und sie ging rasch ins Haus hinein.
»Hey, Schwester, was ist los?«
Candace blieb im Esszimmer auf dem Weg zur Küche stehen und schaute ihren zwanzigjährigen Bruder an. Er stieß sich mit seinem Rollstuhl vom Tisch ab und blickte fragend zu ihr auf. Eine steile Falte erschien zwischen seinen Brauen.
Sie schaute ihn lange an, bevor sie antwortete, aber ihr Blick verweilte nur auf seinem Gesicht, und sie achtete darauf, ihn nicht zu seinen Beinen hinabgleiten zu lassen ... zu diesen nutzlosen Gliedern, die allmählich immer schwächer wurden.
Candace wusste, dass sie mit ihrem blonden Haar und ihren dunkelblauen Augen ihrer Mutter ähnlich sah, aber Brandon und Brianne, die Zwillinge, die mehrere Jahre jünger waren als sie, waren ihrem verstorbenen Vater nachgeraten. Ihr Haar war von dem gleichen tiefen Dunkelbraun wie frisch umgegrabene Erde, ihre Augenfarbe eine Mischung aus hellem Blau und Grau. Und während ihr eigenes Gesicht rund, voll und – wie ihre Mutter stets zu sagen pflegte – kess wie ihre Persönlichkeit war, hatten ihre Geschwister schmale, scharfkantige Gesichter.
Mehrere laute Geräusche ertönten aus der Küche, das Klappern einer Pfanne, die auf den Herd gestellt wurde, das Klirren einer Schüssel auf der Anrichte, das Auf- und Zuklappen einer Ofentür. Die Küche war Briannes Lieblingsplatz im Haus und Kochen ihre bevorzugte Beschäftigung, was ein Glück für Candace war, die Kochen hasste und auch nicht besonders gut darin war. Sie warf einen Blick zum Tisch hinüber. Ihr Bruder hatte wieder vor seinen Rechnungsbüchern gesessen und sich vorbereitet auf den Tag, an dem er Gates End, die Ranch ihres verstorbenen Vaters, erben würde. Sie mussten noch zwei Wochen warten, bis Brandon einundzwanzig wurde – aber mit jedem Tag, der verging, nahm Candace’ Angst zu, dass ihr Bruder diesen Geburtstag nicht erleben würde und das schöne große Lehmhaus und die sanften Hügel von Gates End nie wieder ihre sein würden.
Brandon schob seinen Rollstuhl auf Candace zu. Die Bewegung ließ sie aufschauen und lenkte sie von ihren unerfreulichen Gedanken ab.
»Candace«, seine Augen wurden schmal, als sie nicht antwortete, »was hast du?«
Sie zwang sich zu einem Lächeln. Er hatte schon genug Sorgen und sie auch, ohne ihn noch mit zusätzlichen Problemen zu belasten, die vermutlich gar nicht existierten. »Nichts«, sagte sie und setzte ein noch unbekümmerteres Lächeln auf, in der Hoffnung, dass es echter wirkte, als es war. Sie ging an ihm vorbei zur Küche und legte dabei flüchtig eine Hand auf seine Schulter. »Es ist bloß jemand gekommen, um Garth zu sehen, und da hielt ich es für besser, hineinzugehen. Vor allem, da ich nicht für Besuch gekleidet bin.«
Er ergriff ihr Handgelenk und drehte sie zu sich um, bevor sie weitergehen konnte. »Es sieht dir gar nicht ähnlich, dich vor irgendjemand zu verstecken, Candace. Oder dich darum zu scheren, wie du angezogen bist.« Sein Ton verriet Misstrauen, seine Augen blickten hart. »Wer ist da draußen?«
Sie schüttelte seine Hand ab. »Ich weiß nicht, Brandon, wirklich nicht. Ein Fremder. Sein Aussehen gefiel mir nur nicht. Er jagt mir Angst ein.«
Brandon wendete seinen Rollstuhl und bewegte ihn zum Fenster.
Eine Welle des Mitgefühls durchzuckte Candace, aber sie wusste, dass sie es sich vor ihrem Bruder nicht anmerken lassen durfte. Vor einem Jahr noch war er ein vitaler, starker junger Mann gewesen, der gern gelacht und gescherzt hatte, fröhlich und unbekümmert bis zum Leichtsinn gewesen war und in die Zukunft geschaut hatte, als wäre sie ein Königreich aus einem Märchen, das zu erforschen er fast nicht erwarten konnte. Jetzt, eines Sattelgurts wegen, der im falschen Augenblick gerissen war, war er ein Krüppel. Und obwohl der Brandon, den sie kannte, noch vorhanden war, kam er jedoch nur noch selten zum Vorschein, und die meisten Leute sahen heutzutage einen Brandon, der voller Wut, Hass und Verbitterung war.
Aber das konnte sie verstehen.
Brandon hob die Gardine vor dem Fenster an und musterte den Fremden, der mit Garth und Jesse aufs Haus zukam. »Ich würde mein letztes Geld darauf verwetten, dass er ein Pistolero ist!«
Eine eisige Hand strich über Candace’ Rücken, als Brandons Worte ihr bestätigten, was sie bereits vermutet hatte. Nein, was sie bereits wusste. Dennoch schüttelte sie den Kopf, weil sie es einfach nicht wahrhaben wollte. »Das macht keinen Sinn. Warum sollte Garth einen professionellen Pistolero anheuern – und ihn begrüßen, als wäre er ein alter Freund?«
»Vielleicht ist er das ja auch«, entgegnete Brandon und verzog verächtlich das Gesicht. »Ein Mann wie Garth Murdock kennt vermutlich jeden Mistkerl von hier bis zum Nordpol. Und vielleicht sogar noch weiter.«
Candace schüttelte den Kopf. »Nein, dann hätte Jesse ihn erkannt, und er wusste auch nicht, wer er war.«
»Dann muss Garth ihn eingestellt haben.«
»Aber wozu? Hatchabee und die anderen wollen keine Schießereien. Sie sind Rancher, keine Mörder. Und außerdem ist genug Wasser für uns alle da.« Candace starrte ihren Bruder an und konnte es fast nicht glauben, dass sie eine solche Unterhaltung führten.
Brandon ließ die Gardine los, legte die Hände auf die Rollstuhlräder und drehte sich vom Fenster weg zu Candace. »Vielleicht gedenkt dein Mann ihnen keine andere Wahl zu lassen. Das wäre schließlich typisch für ihn, oder? Sich zu nehmen, was er will, und zum Teufel mit den anderen.«
»Nein, ich kann nicht glauben, dass Garth so etwas tun würde.« Sie starrte Brandon an. »Es muss einen anderen Grund geben, warum dieser Mann hergekommen ist.«
Brandon grinste, aber weder Wärme noch Humor lagen in der Art, wie er die Lippen verzog. »Nun, vielleicht hat mein lieber Schwager ja beschlossen, sich nicht mehr auf Unfälle zu verlassen, um mich loszuwerden, sondern jemanden hierhergeholt, der es endgültig für ihn erledigen soll.«
Candace versteifte sich. Zu viel war geschehen im letzten Jahr, was man als Unfall oder auch nicht als Zufall hätte deuten können, und immer war es Brandon zugestoßen. Er war überzeugt, dass Garth dahintersteckte, doch sie wollte das nicht glauben. Nicht etwa, weil sie Garth Murdock liebte, sondern weil der Gedanke, dass er ganz bewusst versuchte, Brandon umzubringen, einfach zu entsetzlich, zu abscheulich war. »Das ist nicht wahr«, entgegnete sie leise. »Das kann nicht sein. Es war ein Unfall, dass der Sattelgurt gerissen ist.« Sie schaute ihm in die Augen. »Es hätte jedem anderen von uns auch passieren können.«
»Aber es ist euch nicht passiert, Candace«, versetzte Brandon scharf. »Es ist mir passiert ... weil es mir passieren sollte. Nur ich sollte mir den verdammten Hals brechen und sterben, was wahrscheinlich tausendmal besser gewesen wäre als das hier.« Er ließ die Faust auf die Rollstuhllehne niederprallen, fuhr nach einem bösen Blick auf sie herum und blickte wieder aus dem Fenster. »Ich bin seit meinem letzten Geburtstag ziemlich anfällig für Missgeschicke, meinst du nicht? Irgendwie gerate ich vor eine durchgehende Rinderherde, mein Pferd verliert ein Hufeisen, stürzt und wirft mich ab, nur wenige Tage nachdem es neu beschlagen wurde, eine Klapperschlange kriecht in mein Bett, und mein Sattelgurt reißt.« Er warf einen Blick über die Schulter, und seine Augen wurden schmal, als er sie ansah, wie um sie aufzufordern, die Wahrheit seiner Worte anzufechten. »Ich weiß nicht, was zum Teufel Garth jetzt wieder vorhat, Candace, aber falls es etwas mit mir, dir oder Brianne zu tun hat, wird er dieses Mal nicht lange genug leben, um seine Pläne auszuführen, das verspreche ich dir.«
»Brandon, bitte sprich nicht so über Garth«, sagte Brianne, die aus der Küche hereingekommen war. Eine Locke hatte sich aus dem Band gelöst, mit dem sie ihr Haar im Nacken zusammengebunden hatte, und sie steckte sie zurück. Sie war Brandons Ebenbild, obwohl ihre Züge feiner, weicher und auch zarter waren. »Du weißt, wie wütend er wird, wenn er dich so reden hört. Und Gott weiß, was aus uns geworden wäre, als Papa starb, wenn Garth Murdock nicht gewesen wäre.«
Brandons Augen glitzerten von dem Zorn, der in ihm schwelte, seit Doc Swaydon ihm gesagt hatte, dass er nie mehr gehen würde. Er lachte hasserfüllt. »Nun, Bri«, sagte er gehässig, »und wenn Garth nicht wäre, hätte unsere Schwester heute keinen Ehemann am Hals, der alt genug ist, um ihr Vater zu sein, und ihr nicht nur keine Kinder schenken kann, sondern zudem nicht einmal in der Lage ist, mit ihr zu schlafen.«
»Brandon!«, wies Candace ihn streng zurecht. »Das genügt jetzt.«
»Und du, Brianne«, fuhr er fort, ohne Candace’ Einwand zu beachten, »bräuchtest nicht Tag für Tag wie eine Dienerin zu schuften in der Küche und müsstest dich auch nicht heimlich davonschleichen, um Wade Hawkins zu treffen, während der gute alte Garth schon eine Heirat mit einem seiner tattrigen alten Freunde für dich arrangiert.« Wieder schlug er mit der Faust auf die Rollstuhllehne. »Und ich würde nicht in diesem verdammten Rollstuhl sitzen!«
Brianne riss die Augen auf und starrte ihn erschrocken an. »Oh, Brandon, du glaubst doch nicht im Ernst ... Ich meine ...« Sie schaute Candace an, und ihre Augen waren feucht von Tränen.
Mit einem verächtlichen Schnauben wandte sich Brandon ab und schaute wieder aus dem Fenster. »Weinen wird keinem von uns etwas nützen, Brianne. Vor allem jetzt nicht mehr.«
Candace fand es schrecklich, wie die Dinge sich seit Brandons Unfall verändert hatten, doch obschon er ihrem Mann Verrat und Mord zutraute und ihm die Schuld gab an den Unfällen, die er im letzten Jahr erlitten hatte, hegte sie noch ihre Zweifel. Auch wenn sie längst nicht mehr so stark waren wie früher, wenn sie ehrlich war.
Garth Murdock war ein angesehener Geschäftsmann, und soweit sie wusste, fehlte es ihm auch nicht an finanziellen Mitteln. Aber auch ihr fiel es schwer zu glauben, dass all diese Unfälle wirklich Unfälle gewesen waren. Und da das Gesetz bestimmte, dass weder sie noch Brianne Gates End erben konnten, würde kein anderer als Garth von Brandons Tod profitieren, so dass sie Brandons Logik tatsächlich keine vernünftigen Argumente mehr entgegensetzen konnte.
»Was gibt’s zum Abendessen, Bri?«
Candace fuhr zusammen, als sie Karalynnes Stimme hörte. Vor sechs Monaten hatte Jesse Karalynne in Tombstone kennen gelernt, als ihre Theatertruppe dort gastiert hatte. Wie ein verliebter Schuljunge hatte er sie überredet, die Truppe zu verlassen, und sie mitgebracht zur Rolling M, um dort mit ihm zu leben. Aber er hatte sie noch nicht geheiratet, weshalb also noch Hoffnung bestand, dass sie eines Tages erwachen würden und sie fort sein würde. Candace störte, dass Karalynne erwartete, bedient zu werden und sich weigerte, im Haushalt mitzuhelfen. Außerdem beschwerte sie sich über alles und lief die meiste Zeit halbnackt im Haus herum, bekleidet nur mit ihrer Unterwäsche und einem reichlich durchsichtigen Morgenrock.
Candace wandte sich zu ihr um, als sie den Raum betrat. Ihr rotes Seidennachthemd raschelte um ihre Füße, ihr rotes Haar war zu einer Kaskade von Locken aufgesteckt, die ihr über die eine Schulter fielen, und der tiefe Ausschnitt ihres Hemds ließ mehr von ihrer Brust erkennen, als selbst die Tanzmädchen der schäbigsten Saloons zu entblößen wagten.
»Wir haben Besuch, Karalynne«, sagte Brandon. »Warum ziehst du nicht dein Nachthemd aus und etwas Anständigeres an? Oder willst du einen weiteren Narren in die Falle locken?«
»Du mieser kleiner ...«
Plötzlich ging die Haustür auf.
Garth betrat den Raum als erster und schaute lächelnd Candace an. »Wir haben einen Gast zum Abendessen, Candace«, sagte er, während er seinen Hut abnahm und an den Haken an der Tür hängte. »Ich weiß, dass ich dir nicht Bescheid gegeben habe. Wird es ein Problem sein?«
»Natürlich nicht«, erwiderte sie und schaute fragend ihre Schwester an.
Brianne nickte, und Candace verspürte eine Welle der Erleichterung. Sie wandte sich zurück zu Garth. Er war sichtlich gealtert in den sieben Jahren, seit sie seine Frau war. Er war jetzt fünfzig, sein schwarzes Haar begann allmählich zu ergrauen, und er wurde dick. Als gutaussehend hätte man Garth Murdock auch schon in jüngeren Jahren nicht bezeichnen können. Solide, verantwortungsbewusst, gesund und stark – das waren Begriffe, die schon eher zu ihm passten. Aber keine Frau hätte ihn jemals als attraktiv bezeichnet.
»Je mehr, desto lustiger, nicht wahr, Candace?«, warf Jesse ein, der um Garth herum zu einem Stuhl gegangen war und sich gesetzt hatte. Lächelnd schaute er zu ihr auf, und Candace wunderte sich, wie schon so oft, dass Garth und Jesse Brüder waren. Sie waren verschieden wie Tag und Nacht, von ihrer Persönlichkeit und ihrem Temperament her der genaue Gegensatz. Jesse war groß, schlank und schlaksig, und obwohl er nur fünf Jahre jünger war als Garth, war sein Haar noch dunkel. Mit seinen scharfgeschnittenen Zügen und den whiskybraunen Augen würden viele Frauen ihn gewiss recht gutaussehend finden.
Selbst Candace hatte ihn, trotz ihres Altersunterschieds, einst attraktiv gefunden. Doch das war vor vielen Jahren gewesen, bevor sie Garth geheiratet und begriffen hatte, dass Jesse, obwohl er gut genug aussah, um einer Frau den Kopf zu verdrehen, im Hinblick auf Charakter und Persönlichkeit doch sehr zu wünschen übrigließ.
»Wo ist Karalynne?«, erkundigte er sich barsch, während er sich suchend umschaute und den Blick dann auf die Küche richtete, als erwarte er tatsächlich, dass sie dort war.
»Oh, sie ist eben noch hier rumstolziert, aber dann ging sie in ihr Zimmer, um sich noch ein bisschen zurechtzumachen«, sagte Brandon spöttisch. »Das ist ja sowieso alles, was sie außer schlafen und essen tut. Und ... na ja, was auch immer.« Achselzuckend bedachte er Jesse mit einem geringschätzigen Lächeln und ließ die Anspielung wie eine Herausforderung zwischen ihnen in der Luft hängen.
»Brandon, bitte«, sagte Candace scharf.
Der Fremde trat über die Schwelle und stellte sich neben Garth und Jesse, aber er legte weder seinen Hut noch seine Waffen ab, wie es andere Leute taten, wenn sie ein Haus betraten. Er strahlte etwas Dunkles, Finsteres aus, das sich im Zimmer auszubreiten schien und es zu verdüstern drohte.
Candace’ Puls raste. Sie hatte recht gehabt. Seine Augen waren schwarz – schwarz wie die Arizona-Wüste in einer mondlosen Nacht und mindestens genauso kalt.
»Kaltblütig wie eine durchgefrorene Klapperschlange.«
Sie hatte das einmal jemanden über einen Pistolero sagen hören, und als sie nun den Fremden ansah, begriff sie, was damit gemeint gewesen war. Halb verborgen zwischen den Falten ihres braunen Reitrocks ballten sich ihre Hände zu Fäusten. Obwohl sie plötzlich eine Angriffslust verspürte, die sie sich selbst nicht recht erklären konnte, konnte sie nicht bestreiten, dass er trotz des mehrtägigen Barts auf seinen Wangen, der Härte seiner Züge und der Eiseskälte seines Blicks der attraktivste Mann war, den sie je gesehen hatte.
Sein harter, dunkler Blick glitt über sie, doch wenn er irgendwo verweilte, dann nicht bewundernd oder anerkennend, sondern prüfend. Schließlich wandte er sich wieder von ihr ab und betrachtete genauso unbeteiligt Brianne, bevor er seinen Blick auf Brandon richtete und auch ihn einer kritischen Musterung unterzog.
Sie bemerkte sein Interesse an dem Rollstuhl, war aber überrascht, als sie für einen Moment lang so etwas wie Mitgefühl in seinen kalten dunklen Augen sah. So schnell, wie es erschienen war, war es jedoch wieder verflogen, woraufhin sie sich fragte, ob sie es sich nicht nur eingebildet hatte. Er wandte sich ihr wieder zu und schaute sie nun direkt an, und sie spürte, wie ihr der Atem stockte und Furcht ihr Herz noch schneller schlagen ließ. Es war, als blickte sie in einen leeren Raum ... in eine Höhle dunklen, emotionslosen makabren Nichts.
Garth nahm seinen Waffengurt ab und hängte ihn an den Haken neben der Tür. »Candace«, sagte er und brach das Schweigen, »das ist Range Connor. Ich habe ihn eingestellt, um unsere Interessen in dem Wasserrechts-Disput mit Hatchabee und den anderen Ranchern zu vertreten.«
Sie starrte den Fremden an. Range Connor. Sein Name schallte ihr durch den Kopf wie ein Unheil bringendes dunkles Echo. Ein kalter Schauder schlich sich über ihren Rücken, ein langsames, eisiges Frösteln. Es gab vermutlich keinen Mann und keine Frau westlich des Mississippi, die noch nichts von Range Connor gehört hatten. Er war ein Mann, der bekannt für seinen Umgang mit todbringenden Waffen war, die nicht unbedingt Pistolen oder Colts sein mussten, obwohl sie das meist waren. Sie erinnerte sich, einmal gehört zu haben, er habe mehr Männer getötet, als ein Mensch Finger und Zehen hatte. Es hieß, dass er seine Dienste all jenen zur Verfügung stellte, die jemanden aus dem Wege schaffen und sich nicht selbst die Hände schmutzig machen wollten, und dass er genauso wenig nach dem Wer oder Warum fragte, als wenn es darum ginge, einen Baum zu fällen.
Einige Männer schworen, er sei die Ausgeburt des Teufels. Andere behaupteten, er sei der Teufel selbst.
Als sie ihn jetzt aus der Nähe sah, von Kopf bis Fuß in Schwarz gekleidet, mit Augen, deren Schwarz mit der Finsternis der Nacht rivalisierte und deren Blick so kalt war, dass er sie erschauern ließ, war Candace sich mit einem Mal ganz sicher, dass Range Connor, was immer auch die Wahrheit über ihn sein mochte, zumindest ein Verwandter Satans war.
Was hatte er auf der Rolling M zu suchen? Dieser beunruhigende Gedanke ließ sie nicht mehr los, aber sie zwang sich, ihre Angst zu unterdrücken, und setzte ein höfliches Lächeln auf.
Garth wandte sich an Range. »Connor, das ist Candace, meine Frau.«
Sie sah die dunkle Braue, die er hochzog, und den abschätzenden Blick, der nun in seine Augen trat, gefolgt von einem anderen, den sie bereits kannte – die meisten Fremden schauten sie so an, wenn sie erfuhren, dass sie Garth Murdocks Frau und nicht seine Tochter war. Warum heiratet eine Frau jemanden, der mindestens doppelt so alt ist wie sie selbst?
Candace straffte die Schultern. Sie antwortete nie auf diese Frage und würde es auch jetzt nicht tun.
»Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Mr. Connor.« Sie hoffte, dass ihr Tonfall nicht verriet, dass die Begegnung mit ihm und die Sorge, warum er überhaupt gekommen war, so ungefähr das Unangenehmste waren, was ihr seit langem widerfahren war. »Wir können in ein paar Minuten essen.«
Range nickte. »Danke, Ma’am.«
Seine Stimme war tief, und sein Tonfall wie kein anderer, den sie je zuvor gehört hatte, weil er nämlich genauso dunkel war wie alles andere an ihm. Dunkler als die Nacht. Aber er war auch weich wie warmer Honig und zugleich rau wie Kies, der über eine seidene Decke rutschte. Nicht kalt, nicht warm. Wie oft mochte der bloße Tonfall seiner Stimme Furcht und Entsetzen in einem Mann geweckt und ihm eine Vorstellung der Ewigkeit gegeben haben, die er noch nicht bereit zu sehen war?
Oder wie oft mag er in einer Frau schon Leidenschaft geweckt haben?, ließ eine leise innere Stimme sich vernehmen. Candace versteifte sich, schockiert über sich selbst. Solch lasterhafte Gedanken hatte sie noch nie gehabt. Sein Blick begegnete ganz plötzlich ihrem, und sie hatte das schreckliche Gefühl, dass er wusste, was sie gerade gedacht hatte.
»Und das ist Brandon, Candace’ Bruder.« Garth trat zurück und gab Range den Blick auf Brandon frei, der nach wie vor beim Fenster saß.
Er nickte ihrem Bruder flüchtig zu und wandte sich dann wieder ab.
»Wenn Sie sich ein bisschen frisch machen möchten, Mr. Connor«, sagte Candace, »wir haben dort drüben einen Raum dafür.« Sie wies auf den Waschraum, der sich ans Esszimmer anschloss.
Er nickte und wandte sich zur Tür, die sie ihm zeigte.
Candace floh in die Küche, weil sie nicht verstand, wieso sie immer noch so misstrauisch war. Garth hatte die Anwesenheit des Fremden erklärt, und das hätte ihr genügen müssen. Doch irgendetwas ließ ihr keine Ruhe. Etwas, das ihr sagte, dass Garth und Range Connor logen.
»Warum bist du so plötzlich hinausgelaufen?«, fragte Brianne, als sie kurz darauf auch in die Küche kam.
»Ich wollte nur das Essen auf den Tisch bringen«, erwiderte Candace ungehalten, während sie Platten und Schüsseln bereitstellte. Aber sie bereute ihren schroffen Ton sofort.
Garth saß wie immer am Kopfende des Tischs, und Candace sah zu ihrer Bestürzung, dass Range Connor auf der Bank rechts von ihr saß. Schweigend nahm sie ihren Platz ein.
»Oh, ich komme zu spät«, sagte Karalynne überflüssigerweise, als sie in den Raum stolzierte und ihren federbesetzten Fächer schwenkte. Alle schauten auf, als sie eintrat und auf den Tisch zuging. Sie blieb stehen und starrte Range an. »Oh, es sitzt jemand auf meinem Platz.« Ihre blauen Augen weiteten sich, und sie schlug kokett die langen Wimpern nieder.
Range schickte sich an, sich zu erheben.
»Oh, bleiben Sie ruhig sitzen, schöner Mann«, säuselte sie. »Für jemanden, der wie Sie aussieht, würde ich fast alles aufgeben.«
Jesse schaute zu ihr auf. Seine Augen blickten zornig, aber als Range ihn ansah, gelangte er zu dem Schluss, dass der Mann nicht eifersüchtig, sondern bloß besitzergreifend war.
»Das ist Range Connor, Karalynne. Er arbeitet für Garth.« Jesse stand auf, um ihr Platz zu machen. »Setz dich hierher.« Es klang mehr wie ein Befehl als wie ein Angebot.
Range nickte ihr zu. »Miss Karalynne.«
Candace fragte sich, ob dieses ausgefallene, mehrfarbige Kleid, das Karalynne nun trug, in Wirklichkeit nicht vielmehr ein Theaterkostüm war. Der Rock sah wie eine willkürliche Mischung roter, gelber und blauer Organdyrüschen aus, die mit schwarzer Spitze abgesetzt waren. Dazu gehörte ein leuchtendrotes Mieder mit einem sehr gewagten Ausschnitt, der mit schwarzer und weißer Perlenstickerei eingefasst war. Die gerüschten kurzen Ärmel an den Schultern waren purpurrot, und um den Hals trug sie ein zitronengelbes Samtband.
Karalynne lächelte. »Range Connor.« Sie schnurrte seinen Namen buchstäblich. »Ich habe schon von Ihnen gehört, mein Lieber.« Sie legte ihre Hände um die Taille und atmete tief ein, schob sich eine rote Locke aus der Stirn und tänzelte zum Tisch hinüber.
Range erhob sich. »Ich setze mich woanders hin.«
Karalynne winkte ab und ging, Jesse ignorierend, weiter. »Seien Sie nicht albern, Mr. Connor. Ich werde mich einfach neben Brandon setzen.«
»Ich Glücklicher«, murmelte Brandon.
Candace schaute Garth an. Er würde keinen Mann einstellen, um jemanden zu töten. Das konnte sie nicht glauben. Range Connor war wegen der Streitigkeiten um die Wasserrechte hier. Um die Rolling M zu beschützen, falls einer ihrer Nachbarn unangenehm werden sollte, das war alles. Genau wie Garth gesagt hatte.
»Sind Sie hier aus der Gegend, Mr. Connor?« Candace wandte sich ihm zu, als sie ihm eine Schüssel Erbsen reichte. Wenn sie Brandon, Karalynne oder Jesse die Unterhaltung überließ, würde womöglich Streit am Tisch ausbrechen. Und darauf konnte sie verzichten.
»Nein, Ma’am.«
Sie runzelte die Stirn, weil sie sofort spürte, dass er nicht so leicht zum Reden zu bringen sein würde. »Nun, da ich weder einen Südstaaten- noch einen Ostküstenakzent bei Ihnen höre, frage ich mich, woher Sie kommen? Aus dem mittleren Westen vielleicht?«
Er zuckte die Achseln. »Von überallher, würde ich sagen. Ich bleibe nicht sehr lange an einem Ort.«
»Hör auf, den Mann mit Fragen zu belästigen, Candace«, sagte Garth.
Das verstimmte Range. Er beantwortete nicht gerne Fragen, aber noch weniger gefiel ihm, dass Garth seine Frau vor allen anderen herumkommandierte. Es kam dem wahren Anlass seines Hier seins viel zu nahe. Doch während er noch überlegte, wie er ihren Fragen ausweichen sollte, ohne allzu unhöflich zu sein, kam ihm plötzlich der Gedanke, dass sie ihm möglicherweise nützlich sein könnte. »Ich hatte nie einen Grund, mich irgendwo daheim zu fühlen«, sagte er und war zum ersten Mal seit langer, langer Zeit wieder bemüht, ein wenig Freundlichkeit in seinen Ton zu legen.
»Wo leben Ihre Eltern, Mr. Connor?«
»Sie sind tot.«
»Oh.« Sie reichte ihm eine Schüssel mit gedünsteten Karotten. »Das tut mir leid.« Sie lächelte.
»Wieso denn?«, warf Karalynne ein und lachte. »Du kanntest sie doch gar nicht.«
Ohne Karalynne zu beachten, wandte Range sich Candace zu und fixierte sie mit einem langen Blick aus jenen dunklen Augen, bei deren Anblick sie plötzlich wünschte, sie könne vom Tisch aufspringen und sich in ihrem Schlafzimmer verschanzen. Aber diesmal war es nicht die Kälte in diesen unergründlich dunklen Augen, die ihr Angst einjagte, sondern etwas anderes, das sie nicht einmal benennen konnte. Dennoch spürte sie es und wusste instinktiv, dass es etwas war, das sie nicht fühlen dürfte und nicht fühlen wollte.
»Es ist lange her, Ma’am«, sagte er schließlich. »Eigentlich erinnere ich mich kaum noch an sie.«
Die Lüge kam ihm mühelos von den Lippen. Was seinen Vater anging, stimmte es sogar. Aber seine Mutter würde er für den Rest seines Lebens nicht vergessen.
Aus irgendeinem Grund, den sie sich nicht erklären konnte, ahnte Candace, dass er log.
Range hatte seinen Hut abgenommen, als er sich an den Tisch gesetzt hatte, aber nicht seinen Waffengurt abgelegt. Sie warf nun einen Blick darauf, als er seine Position auf der Bank veränderte und der Gurt ihren Oberschenkel streifte. Sie dachte, dass er ihn wahrscheinlich nur höchst selten abnahm und dass seine Waffen, falls er es doch tat, stets griffbereit in seiner Nähe lagen.
Als Brandon noch laufen konnte, hatte auch er immer eine Waffe getragen, aber nur zu seinem Schutz. Range Connor hingegen trug seine zur Bedrohung und benutzte sie, um für Geld zu töten ...
»Waren Sie vorher schon einmal in Arizona, Mr. Connor?«, fragte Brianne.
»Vor langer Zeit.«
»Und um wen zu töten wurden Sie hier eingestellt?«, fragte Brandon.
Candace schaute überrascht auf und fuhr herum, um ihrem Bruder einen vorwurfsvollen Blick zuzuwerfen.
Brianne hielt den Atem an.
Jesses Mund klappte vor Überraschung auf.
Garth lief rot an vor Empörung, und er warf Brandon einen vernichtenden Blick zu, aber Brandon ignorierte sie alle und starrte Range weiterhin vielsagend an.