Sturm über Mallorca - Michael Böckler - E-Book

Sturm über Mallorca E-Book

Michael Böckler

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  • Herausgeber: Knaur eBook
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2013
Beschreibung

Kay lässt es sich auf Mallorca mit gutem Wein, reichlich Essen und einer neuen Identität gutgehen. Doch der flüchtige Millionenbetrüger hat seine Rechnung ohne einen sturen Privatdetektiv, eine skrupellose Verbrecherorganisation und zwei neugierige Journalisten gemacht ...

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Michael Böckler

Sturm über Mallorca

Roman

Knaur e-books

Inhaltsübersicht

MottoLandkartePrefacio1. Kapitel2. Kapitel3. Kapitel4. Kapitel5. Kapitel6. Kapitel7. Kapitel8. Kapitel9. Kapitel10. Kapitel11. Kapitel12. Kapitel13. Kapitel14. Kapitel15. Kapitel16. Kapitel17. Kapitel18. Kapitel19. Kapitel20. Kapitel21. Kapitel22. Kapitel23. Kapitel24. Kapitel25. Kapitel26. Kapitel27. Kapitel28. Kapitel29. Kapitel30. Kapitel31. Kapitel32. Kapitel33. Kapitel34. Kapitel35. Kapitel36. Kapitel37. Kapitel38. Kapitel39. Kapitel40. Kapitel41. Kapitel42. Kapitel43. Kapitel44. Kapitel45. Kapitel46. Kapitel47. KapitelRegistro turistico

»Wer von uns hätte sich nicht dem egoistischen Traum hingegeben, eines schönen Tages seine Geschäfte, seine Gewohnheiten, seine Bekanntschaften und sogar seine Freunde im Stich zu lassen und sich auf eine verwunschene Insel zu begeben, um dort ohne Sorgen und Scherereien zu leben?«

 

George Sand, Paris 1842, »Ein Winter auf Mallorca«(Un Hiver à Majorque)

 

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Prefacio

Die folgende Geschichte spielt auf der Baleareninsel Mallorca. Sie hat aber nur zum Teil festen Boden unter den Füßen. So ist die Erzählung weitgehend eine Ausgeburt schierer Phantasie – wobei es die Realität an Anregungen nicht mangeln läßt. Und auch den Akteuren fehlt zeitweise besagter fester Boden unter den Füßen. Jedenfalls ziehen es die beiden Protagonisten vor, die meiste Zeit des Tages auf dem Wasser zu verbringen. Während sich um ihren Köpfen ganz langsam ein Sturm zusammenbraut, was nicht nur aufs Wetter zu beziehen ist, schippern sie nichtsahnend mit einer trägen Motoryacht rund um die Insel. Sie ankern in den schönsten Buchten, nächtigen in hübschen Häfen, unternehmen Landausflüge, haben ein Faible für gute Restaurants – und interessieren sich für die Geschichte Mallorcas. Wobei ein Hang zu abenteuerlichen Episoden und Gestalten unverkennbar ist. Auf diese Weise gerät ihre Bootsfahrt zu einem touristischen Erlebnis. Und genau das ist auch die erklärte Absicht der Erzählung. Mit fortlaufender Handlung kommen systematisch fast alle touristischen Highlights der Insel Mallorca ins Spiel: vom quirligen Nobelhafen Porto Portals bis zur majestätischen Kathedrale La Seu in Palma de Mallorca. Vom ehrwürdigen Kartäuserkloster in Valldemossa bis zur hüllenlosen Platja des Trenc. Von der ungewöhnlichen Romanze der George Sand mit Frédéric Chopin bis zum exzentrischen Erzherzog Ludwig Salvator, der gleichzeitig vielen Frauen und Männern in Liebe zugetan war. Von dem zarten Hefegebäck Ensaïmada bis zum deftigen Bauernbrot Pa amb oli. Die Erzählung, bei der es um die Verfolgung eines untergetauchten Wirtschaftskriminellen geht, um liebevolle Zuneigung und mörderischen Haß, um viel Geld und wenig Skrupel, diese Geschichte liefert einen Rahmen für Informationen über die Insel Mallorca.

Das Buch will gleichzeitig unterhaltsame Lektüre und touristischer Begleiter sein – eine andere, besondere Art von Reiseführer. Aus diesem Grund hat es auch einen touristischen Anhang mit ergänzenden und zusammenfassenden Informationen. Alle Namen, die in der Erzählung bei ihrer ersten Erwähnung kursiv geschrieben sind, lassen sich alphabetisch geordnet im »Registro turistico« nachschlagen. Wobei die Auswahl – zum Beispiel auch der Restaurants – rein willkürlich erfolgt. Das Buch hat nicht den Ehrgeiz, in irgendeiner Weise vollständig zu sein. Dieser ohnehin nur schwer zu erfüllende Anspruch bleibt den klassischen Reiseführern vorbehalten. Außerdem appelliert der Autor an den Entdeckungsdrang jedes einzelnen. Es lohnt sich: Mallorca hält viele Überraschungen bereit.

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1

Der steile Bug der Motoryacht tauchte tief ein und verschwand schließlich vollends in der großen schwarzen Welle, von deren Kamm Gischt sprühte. Gleichzeitig legte sich die weiße Yacht nach Steuerbord. Auf der Flybridge knatterten die blauen Fetzen des zerrissenen Sonnensegels im Sturm. Durch halbgeöffnete Fenster und Luken traten Sturzbäche von Meerwasser in die Kajüte und umspülten die braungebrannten Beine einer jungen Frau, die sich krampfhaft am Steuerstand festklammerte. Langsam stieg der Bug wieder aus der rauhen See auf. Jetzt rollte die Trawleryacht nach Backbord. Die beiden schweren Caterpillar-Schiffsdiesel stampften. Die automatischen Lenzpumpen arbeiteten gegen das eingedrungene Wasser an. Aus der Pantry flogen Gläser und Teller quer durch die Kajüte.

Führerlos trieb die sechsundvierzig Fuß lange Trawleryacht mit ausgekuppelten Motoren durch das Schwerwetter. Das Windmeßgerät zeigte deutlich über fünfzig Knoten an. Windstärke zehn bis elf. »Temporal huracanado« sagen die Spanier dazu: orkanartiger Sturm! Die Insel Mallorca, obgleich nur wenige Seemeilen entfernt, war durch die Gischt und den wolkenbruchartigen Regen längst nicht mehr zu sehen.

Verzweifelt hantierte Dana am Funkgerät, drückte wahllos Schalter und drehte an Knöpfen. Sie hatte das Mikrofon in der Hand und schickte immer wieder Hilferufe in den Äther. Nur: Welcher Kanal war für Notrufe reserviert? Kay hatte es ihr genau erklärt. Aber da war der Himmel über den Balearen noch blau gewesen, das Meer glatt wie ein Spiegel und das Campariglas in ihrer Hand gut gekühlt.

Wie, verdammt noch mal, wurden die Frequenzen eingestellt? Aus dem Lautsprecher kamen schrille Pfeiftöne, dann wieder hörte sie dumpfes Knattern. Dana dachte an Kay. Ihr Freund war über Bord gespült worden und trieb jetzt irgendwo draußen im aufgepeitschten Meer. Falls er nicht schon längst ertrunken war.

*

Der Sturm war mit einer unglaublichen Geschwindigkeit vor der Südostküste Mallorcas aufgezogen. Es war September und eigentlich schönstes Badewetter. Noch vor einer Stunde hatte die Sonne geschienen und die Stereoanlage an Bord der Yacht Präludien von Frédéric Chopin gespielt. Kay liebte die ebenso eleganten wie oft schwermütigen und leidenschaftlichen Kompositionen des Polen. Und er mochte die Geschichten, die sich um die Beziehung zwischen der exaltierten Schriftstellerin George Sand und dem bläßlichen Komponisten Frédéric Chopin ranken. Einen langen gemeinsamen Winter hatten sie einst auf Mallorca verbracht. Ein sonderbarer Aufenthalt, der gleichzeitig von Liebe und Abscheu, von Glücksgefühl und Krankheit geprägt war. Die Präludien, die aus den Bordlautsprechern der Trawleryacht klangen, waren denn auch auf Mallorca entstanden. Frédéric Chopin hatte sie vor eineinhalb Jahrhunderten im Kartäuserkloster von Valldemossa komponiert.

Der Bug hob und senkte sich gemächlich. Die sentimentalen Klänge Chopins perlten über das Deck. Kay saß mit hochgelegten Beinen hinter dem Steuerrad im Schatten des Sonnensegels. Dana gab ihm einen Kuß in den Nacken und ging unter Deck in die Gästekajüte. Dort legte sie sich auf das Bett und ließ sich von dem sanften Schaukeln der Aurore in einen tiefen Schlaf wiegen.

Aurore, so hatte Kay seine Yacht getauft nach dem eigentlichen Namen von George Sand: Baronesse Dudevant, geborene Amantine Aurore Lucile Dupin.

Dana war fest eingeschlafen, als sich der Himmel verfinsterte und die ersten Böen das Schiff trafen. Diese lokal begrenzten Stürme treten vor der Küste Mallorcas zwar selten, aber immer wieder einmal auf, vor allem im Spätsommer. Dann gibt es urplötzlich Windböen bis zu Orkanstärke, Blitz und Donner, schwere Niederschläge und einen gefährlichen Seegang. Keiner weiß so recht, wie diese Stürme entstehen. Deshalb lassen sie sich auch nicht vorhersagen.

An Land sorgt vor allem der sintflutartige Wolkenbruch für Verwüstungen. Auf See sind es die gewaltigen Sturmböen und die hochgehenden Wellen, die Yachties und Fischern zum oft tödlichen Verhängnis werden.

Meist ist der Spuk genauso schnell wieder vorbei wie er gekommen ist. Oft nach einer halben, spätestens nach einer Stunde lichtet sich der dichte Regenvorhang. Das letzte Grollen des Gewitters rollt über das Meer. Das Heulen des Sturms verliert sich im Nichts. Wie zum Hohn folgt dem Orkan plötzliche Windstille. Nur das aufgewühlte Meer erinnert an das vorangegangene Inferno.

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2

Erst vor zwei Wochen war die blonde Münchnerin Kay begegnet. In Porto Portals, der wohl exklusivsten Marina Mallorcas, nur wenige Kilometer südwestlich von Palma. Mit ihrer Freundin Eva saß die achtundzwanzigjährige Dana Mohnert in der Nachmittagssonne auf der Terrasse des Wellies, eines weithin bekannten Straßenrestaurants direkt an der palmengesäumten Uferpromenade. In Porto Portals, dem noblen Hafen von Portals Nous, kommt keine Langeweile auf. Da bollern schwere Motorräder an den Kneipen und Boutiquen vorbei. Diskomusik schallt über die Stege mit den Luxusschiffen. Zwischen die bunten Kleinwagen mischen sich teure Edelkarossen. Die Promenade wird zum Laufsteg der Eitelkeiten. Das Flanieren zählt zum Ritual.

Das ist nicht das Mallorca der Billigtouristen und Bettenburgen, das Mallorca mit dem negativen Image der Putzfraueninsel und des Teutonengrills. Es ist freilich auch nicht das Mallorca, das den Namen »Isla de la Calma« verdient, Insel der Stille. So hat vor rund hundert Jahren der katalanische Schriftsteller Santiago Rusiñol von der ruhigen Abgeschiedenheit auf Mallorca geschwärmt.

Insel der Stille – ein Mallorca, das es übrigens allem Fremdenverkehr zum Trotz noch gibt. Im Landesinneren und abseits der Ziele des Massentourismus. Dort verstecken sich malerische Fincas hinter stumpfgrünen, silbrig schimmernden Blättern von knorrigen Olivenbäumen, streicht im Januar der milde Wind durch ein Meer von weißen Mandelblüten, ziehen wie einst zu Zeiten George Sands Eselskarren über schmale Wege zwischen niedrigen Trockensteinmauern, legen sich die friedlichen Schatten von Pinien über die hektischen Sorgen des städtischen Alltags.

Porto Portals steht für ein anderes Mallorca. Ein Mallorca, das schon seit einiger Zeit die Schickimickis, die Promis und VIPs für sich entdeckt haben. Es muß eben nicht immer Saint-Tropez sein, Marbella oder Ibiza.

Danas schwarzhaarige Freundin Eva unterzog die Männer im Wellies einer ebenso systematischen wie kritischen Prüfung. Dana dagegen beobachtete amüsiert ihre Freundin. Sie wußte genau, was in Evas Kopf vorging. Im Unterschied zu Dana, die sich auf Mallorca einfach erholen und ihren Spaß haben wollte, war Eva ganz versessen darauf, im Urlaub einen reichen Mann kennenzulernen. Das trug ihr zwar regelmäßig Danas Spott ein, aber sie ließ sich von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Und letztlich machte Dana gute Miene zum Spiel. Sie ließ sich von Eva schon seit Tagen zu allen Plätzen schleppen, wo diese glaubte, erfolgreich ihre Netze auslegen zu können.

»Na, ist einer dabei?« fragte Dana fröhlich-spöttisch ihre Freundin.

»Was heißt, ist einer dabei?« entrüstete sich Eva und drückte energisch ihre Zigarette im Aschenbecher aus. »Das klingt ja ganz so, als wäre ich auf Aufriß.«

»Bist du doch auch, bist du immer«, machte sich Dana über die heftige Reaktion lustig. »Also, was sagt dein Röntgenblick? Sitzt hier irgendwo ein schwerreicher Industrieerbe, der nur darauf wartet, von meiner Freundin Eva verführt und vor den Traualtar geschleppt zu werden?«

»Du bist echt gemein. Nur weil du so arrogant bist und reiche Männer bis zum Beweis des Gegenteils für Hohlköpfe hältst, muß ich doch nicht mein Leben als arme, einsame Kirchenmaus verbringen.«

»Dir wird es noch gehen wie Marilyn Monroe in ›Wie angelt man sich einen Millionär‹«, sagte Dana lachend.

»Sicher nicht«, antwortete Eva. »Marylin war nur viel zu kurzsichtig, um den richtigen Mann mit Kohle aufs Korn zu nehmen.«

Dana rührte mit dem Löffel in ihrem Café con leche. Sie hatte lange blonde Haare, einen geschmeidigen, durchtrainierten Körper und schlanke, braune Beine. Dana war ausgesprochen selbstbewußt, mit einem Hang zur Überheblichkeit. Ein Charakterzug, der durch ihre akademischen Ambitionen verstärkt wurde. Zunächst hatte sie Philosophie studiert. Jetzt arbeitete sie an ihrer Doktorarbeit in Theaterwissenschaft. Dana liebte es, andere Leute aus der Fassung zu bringen. Aber auch ohne etwas zu sagen, verfügte sie über eine besondere Ausstrahlung. Vielleicht lag es an ihrer lässigen, selbstsicheren Art. Jedenfalls wurde sie von Männern nicht selten hingebungsvoll angestarrt. Aber den meisten fehlte der Mut, sie anzusprechen.

Evas Aufmerksamkeit wurde immer wieder von den kleinen Piepmätzen abgelenkt, die frech vor ihnen auf dem Tisch landeten. Dann schaute sie wieder einige Tische weiter, wo ein einzelner Mann saß, mit an der Brust aufgeknöpftem Hemd, die Haare mit Gel nach hinten gestrichen und eifrig mit dem Handy telefonierend.

Dana folgte Evas Blicken. Ihr abfälliger Kommentar ließ nicht lange auf sich warten: »Daß dieser Typ ein Vollidiot ist, sieht man doch von hier aus.«

»Du bist eine große Hilfe«, antwortete Eva.

Jetzt stand der Mann auf, um ins Restaurant zu gehen. Dabei mußte er an Evas und Danas Tisch vorbei. Während Dana gelangweilt in die Ferne schaute, stellte Eva flugs den Blickkontakt her. Mit dem Effekt, daß er die Stufe in der Terrasse übersah und der Länge nach hinschlug. Das Handy schlitterte scheppernd über den Steinboden.

»Wie ich schon sagte, ein Vollidiot«, sagte Dana, ohne den Gestürzten auch nur eines Blickes zu würdigen.

Vor ihnen fuhren mehrere Kabrios vorbei. Die Schranke zum Yachthafen ging hoch, und ein Porsche mit deutschem Kennzeichen kam heraus. Die Stereoanlage laut aufgedreht. Am Steuer ein dicker Glatzkopf mit einem selbstgefälligen Grinsen im Gesicht.

»Ich glaube, wir sind umzingelt«, sagte Dana. »Ich sehe nur noch Idioten!«

Plötzlich war Kay, den Dana und Eva vorher noch nie gesehen hatten, an ihrem kleinen Tisch aufgetaucht. Ohne lange zu fragen und wie selbstverständlich setzte er sich grußlos auf den freien Stuhl. Gleichzeitig stellte der Ober eine Flasche mallorquinischen Cava und drei Gläser auf den Tisch. Kay schenkte den Sekt ein, drückte die Gläser den verdutzten Mädchen in die Hände, hob sein Glas und sagte mit einem entwaffnenden Lächeln: »Salud! Ich hoffe, ihr habt nichts gegen meine Gesellschaft. Aber ich hatte plötzlich den sehnlichen Wunsch, mit euch auf den schönen Tag anzustoßen.«

Dana wußte nicht, warum, aber ohne die plumpe Anmache zu kommentieren, was eigentlich ihre Art gewesen wäre, folgte sie der Einladung und stieß mit Kay und ihrer Freundin an.

Sie rechnete damit, daß sich der Spender jetzt mit einer großen Selbstdarstellungsnummer lächerlich machen würde. Aber weit gefehlt. Kay machte es sich auf dem gespannten Leinen seines Stuhls bequem und schwieg.

Dana musterte ihr Gegenüber. Und wie sie es gerne tat, versuchte sie, eine Ähnlichkeit mit einer Hollywood-Größe vergangener Tage festzustellen. Das endete meist zum Nachteil ihrer Beobachtungsobjekte. Ihren schmachtenden Verehrer vom vergangenen Abend hatte sie mit der fortwährenden Anrede Oliver Hardy zur tragischen Witzfigur gestempelt und schier zum Wahnsinn gebracht. Da hatte ihr unbekannter Tischnachbar von heute entschieden bessere Karten. Sie fand, er sah aus wie ein braungebrannter Steve McQueen. Und Steve McQueen zählte immerhin zu ihren Favoriten. Ihr fiel der Film »Thomas Crown ist nicht zu fassen« ein, in dem McQueen einen reichen Bostoner Geschäftsmann spielte, der aus Langeweile eine Bank ausrauben ließ. Eine Versicherungsdetektivin, Faye Dunaway, kam ihm auf die Spur – und verliebte sich prompt in den Millionär. Aus purem Übermut und um sie auf die Probe zu stellen, plante Thomas Crown einen weiteren Coup. Jedenfalls machte er dem Filmtitel alle Ehre und war auch diesmal nicht zu fassen.

Ihr Visavis hatte einen ähnlich spöttischen Gesichtsausdruck wie Steve McQueen als Thomas Crown. Ein weiteres Detail stimmte: Er trug wie McQueen die Uhr am rechten Handgelenk. Allerdings hatte er einen Dreitagebart, was zu McQueens Zeiten noch nicht angesagt war. Und er war weit weniger korrekt gekleidet als der Gentleman-Gangster Thomas Crown. Aber das machte nichts.

Auch Eva unterzog Kay einer kritischen Betrachtung. Er sah irgendwie nett aus, fand sie. Zwar schon etwas älter, vielleicht Mitte Vierzig, aber durchaus anziehend. Typ Lebenskünstler. Mit einem entscheidenden Nachteil: Der aufgetischte Cava konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es dem Mann am nötigen Kapital fehlte. Die weißen Baumwolljeans hatten schon bessere Tage gesehen. Der dünne Pulli, den Kay mit hochgeschobenen Ärmeln auf der bloßen Haut trug, war vielleicht aus Kaschmir, aber wohl schon das Lieblingskleidungsstück seines Großvaters gewesen. Und die Plastikuhr taugte auch nichts. Finanzprüfung nicht bestanden, konstatierte Eva, die sich ihrer Analyse wie immer absolut sicher war. Der Mann war wahrscheinlich ein Aussteiger, lebte auf Mallorca, hatte vielleicht eine kleine Finca und malte Bilder, die keiner haben wollte. Die Kohle aus besseren Tagen reichte gerade, um ab und zu im Wellies mit einer Flasche Sekt auf Hasenjagd zu gehen.

Weder Kay noch Dana machten irgendwelche Anstalten, sich zu unterhalten. Waren die beiden zu stolz, oder was lief hier ab? fragte sich Eva. Schließlich wurde es ihr zu blöd, und sie plapperte einfach drauflos. Man konnte sich ja wenigstens miteinander bekannt machen. Da war wohl nichts dabei.

Dank Evas Initiative kam dann doch so etwas wie ein Gespräch zustande. Allerdings hatte Eva bald das Gefühl, daß sie dabei zunehmend eine Nebenrolle spielte. Auf eine ganz eigenartige Weise schienen sich Kay und Dana füreinander zu interessieren. Bahnte sich da etwas an?

Währenddessen ging Dana durch den Kopf, daß sie als junges Mädchen oft davon geträumt hatte, mit Steve McQueen auszugehen. Dana warf einen kurzen Blick hinüber zu ihrer Freundin. Sie kannte sie gut genug, um zu wissen, daß Eva mit Kay nichts im Sinn hatte. Prüfung nicht bestanden, dachte Dana. Kay war offenbar nicht der Ölprinz, nach dem Eva Ausschau hielt. Sie waren abends mit einer Clique aus Düsseldorf verabredet. Da war Eva eigentlich gut aufgehoben.

»Hast du heute abend schon etwas vor?« fragte Dana kurz entschlossen.

»Nein, warum?« antwortete Kay, ohne besonders überrascht zu wirken.

»Wenn du willst, können wir beide uns hier um neun Uhr im Wellies treffen. Du kannst mich zum Abendessen einladen.«

»Mit dem größten Vergnügen«, antwortete Kay. »Ich hoffe, deine Freundin hat nichts dagegen, wenn wir sie heute abend alleine lassen.«

»Schau ich so aus, als ob ich lange alleine bliebe?« antwortete Eva mit einer koketten Kopfbewegung.

»Da hast du recht, die Sorge ist unbegründet. Also, um neun Uhr an der Bar.«

Dana und Eva standen auf. Dana hauchte Kay mit der Hand einen flüchtigen Kuß zu. Dann hakten sich die beiden ungleichen Mädchen unter und ließen Kay am Tisch zurück.

»Was ist denn in dich gefahren?« fragte Eva ihre Freundin, als sie einige Meter weiter am Restaurant Esdi’s vorbeiliefen.

»Weiß ich auch nicht. Ich hatte plötzlich die Idee, mit Steve McQueen ausgehen zu wollen.«

»Du spinnst nicht schlecht. Deine Filmmanie bringt dich noch um deinen Verstand.«

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3

In der spanischen Hauptstadt Madrid hielt vor einem alten, klassizistischen Mietshaus ein Taxi. Ein vierschrötiger Mann in einer abgewetzten Lederjacke, in Jeans und Cowboystiefeln stieg aus. Er suchte am Klingelbrett den Namen José Gaudisto. Als zufällig die Tür aufging und einige spielende Kinder hinausliefen, betrat Sam Späth ohne zu klingeln das dunkle Treppenhaus. Er nahm den altertümlichen Lift, der wie ein großer verschnörkelter Käfig in einem vergitterten Schacht nach oben führte. Im vierten Stock lag gleich neben dem Aufzug die Eingangstür zu Gaudistos Wohnung. Sam hörte durch die Tür Musik. Nicht weniger als vier Sicherheitsschlösser waren in das Holz eingelassen. Sam schmunzelte. Es sah ganz so aus, als ob die Adresse stimmte. Nach dem Läuten wurde die Musik leise gedreht. Er hörte eine Stimme: »¿Quién es?«

Sam räusperte sich: »Können Sie zufällig auch Deutsch?«

»Kann ich. Wer sind Sie?«

Sam nahm den Kaugummi aus dem Mund, formte ihn zu einer Kugel und klebte ihn auf das Türschild aus Messing.

»Mein Name ist Frank N. Stein. Ich komme auf Empfehlung von Señor Bernardo.«

»Und was wollen Sie?«

»Etwas, das man nicht durch eine geschlossene Tür bestellt«, antwortete Sam mit einem gequälten Gesichtsausdruck.

»Wie wäre es mit einer Anzahlung?«

Sam fuhr sich mit dem Zeigefinger ins rechte Ohr: »Habe ich richtig gehört? Anzahlung?«

»Sie haben richtig gehört.«

»Ich glaub, mein Schwein pfeift.« Sam holte seine Brieftasche aus der Lederjacke, nahm einen Tausendmarkschein heraus und schob ihn unter der Tür durch. »Hier, reicht das fürs erste?«

»In Ordnung, das reicht. Augenblick, ich lasse Sie gleich herein.«

»Sehr gütig, Euer Durchlaucht«, gab Sam leise seinen Kommentar.

Er hörte, wie die Schlösser nacheinander entriegelt wurden, dann ging die Tür auf. Vor ihm stand in einem glitzernd roten Morgenmantel José Gaudisto. Sam war überrascht. Er hatte bei diesem Gewerbe eher einen alten klapprigen Herrn mit starker Brille und feingliedrigen Händen erwartet. José war aber wohl erst Ende Dreißig, ziemlich groß und breitschultrig.

Das machte die Sache nicht einfacher, dachte sich Sam. Kam hinzu, daß José eine Beretta in der Hand hielt, deren Mündung genau auf Sams Magen zielte.

Sam deutete lächelnd auf die Beretta: »Ich hoffe, das ist eine Wasserpistole.«

»Sehr witzig. Umdrehen, mit dem Gesicht zur Wand, Beine auseinander, Hände nach oben«, kommandierte José mit scharfer Stimme. Gleichzeitig schlug er mit dem Fuß die Wohnungstür zu.

Sam folgte den Anweisungen. José tastete ihn mit einer Hand schnell und routiniert nach Waffen ab. Fehlanzeige.

»Bien, Sie können sich wieder umdrehen. Verzeihen Sie diese Begrüßung, aber ich bin ein ausgesprochen mißtrauischer Mensch.«

»Tatsächlich? Das wäre mir überhaupt nicht aufgefallen.«

José hatte bereits für einen ausreichenden Sicherheitsabstand gesorgt. Seine rechte Hand mit der Beretta steckte jetzt in der Tasche des Morgenmantels.

Sam war um einen freundlichen Gesichtsausdruck bemüht. Obwohl ihm gerade klargeworden war, daß er bei José mit der sanften Tour nicht zum Ziel kommen würde. Bei diesem Kandidaten war vielmehr die Mentalität einer Planierraupe gefragt. Er beschloß, gleich auf den Punkt zu kommen.

»Señor Bernardo hat mir gesagt, daß Sie auf Ausweispapiere spezialisiert sind.«

José protestierte: »Das ist falsch. Ich handle mit Briefmarken.«

»Nun gut, Briefmarken, ich bin flexibel. Vielleicht kommen wir trotzdem ins Geschäft. Ich suche eine Briefmarke mit meinem Konterfei.« Sam freute sich über diesen Scherz und grinste breit. »Eine Marke der Vereinigten Staaten von Amerika, beste Qualität, von einem Original nicht zu unterscheiden. Ich brauche sie innerhalb von vierundzwanzig Stunden. Ich zahle den üblichen Preis.«

»Sie müßten mir diese Marke noch genauer beschreiben. Wie ist es um Ihre Liquidität bestellt?«

Sam nahm seine Brieftasche, fingerte weitere vier Tausendmarkscheine heraus, den ersten vermutete er in der linken Tasche des Morgenmantels, wedelte damit kurz in der Luft herum und steckte sie wieder ein. »Das wäre meine zweite Anzahlung. Den Rest gibt’s bei Übergabe.«

»Está bien, der Anblick gefällt mir«, sagte José, jetzt schon sehr viel aufgeschlossener. Der Spanier ging um den antiken Schreibtisch herum, der relativ dicht vor einer Wand stand, und setzte sich hinter dem Tisch auf einen hübsch geformten Jugendstilstuhl. Sam beobachtete, daß José die rechte Hand zu keinem Zeitpunkt aus der Tasche nahm. Dann taxierte Sam kurz den Schreibtisch, wobei es ihm weniger auf die Stilepoche ankam.

»Haben Sie als Vorlage für die Briefmarke ein Paßbild?« fragte José.

»Natürlich«, antwortete Sam. Er langte mit der linken Hand in die Innentasche seiner Lederjacke, beugte sich nach vorne, als ob er in seiner Jacke nach dem Bild fischen müßte, und stürmte urplötzlich mit tiefgebeugtem Kopf nach vorne. Ehe José seine Hand mit der Pistole aus der Tasche hatte, krachte Sam schon mit voller Wucht gegen den Schreibtisch, der auf dem Parkettfußboden nach hinten gegen die Wand schleuderte. José bekam die Schreibtischkante genau gegen den unteren Rippenbogen. Sein Kopf schlug nach vorne, der rechte Arm war eingeklemmt, und der filigrane Jugendstilstuhl splitterte. Sam packte den Kopf von José, schlug ihn mehrfach kurz und trocken mit dem Gesicht auf die feinziselierte Schreibunterlage. Dann ging er ruhig um den Tisch herum, griff sich José am immer noch eingeklemmten Arm, nahm ihm die Pistole ab und befreite ihn aus seiner mißlichen Lage. Dabei drehte er ihm den ohnehin schon lädierten Arm auf den Rücken.

»So, jetzt ist Schluß mit dem Briefmarkenscheiß. Was soll das Herumgerede? Du bist Paßfälscher, das wissen wir beide. Wenn du jetzt nicht genau tust, was ich sage, dann brauchst du in Zukunft einen Assistenten. Weißt du auch, warum? Weil dein Arm dann nämlich zu nichts mehr zu gebrauchen ist.« Sam grinste schief und bog den verletzten Arm noch ein Stück weiter nach oben.

Von José war nur leises Stöhnen zu vernehmen.

»Sag bloß, das tut weh? Tut mir leid, ich bin ab und zu etwas unbeherrscht.« Sam kicherte. Die Sache fing an, ihm Spaß zu machen. »Jetzt spitz deine Lauscher. Ich will nur eine Auskunft. Gib mir die Info, und mein Besuch ist schon beendet. Du hattest vor einigen Monaten einen Kunden aus Deutschland. Ich will wissen, auf welchen Namen und welche Nationalität du seinen neuen Paß ausgestellt hast. Und wann genau. Ich weiß nicht, wie er sich bei dir eingeführt hat. Aber ich habe einige Namen zur Auswahl. Und ich habe Fotos von ihm, die ich dir zeigen werde.«

José, der immer noch nach Luft schnappte und zudem aus der Nase blutete, protestierte. »Suéltame, cabrón! Laß mich los, du Arsch. Du kannst mich totschlagen. Die Namen meiner Kunden son sagrados, sind heilig.«

»Aber ich bin kein Heiliger, das ist dein Problem.«

José ließ sich nicht so schnell kleinkriegen. »Versteh doch. Diskretion ist die Grundlage meines Geschäfts. Wenn ich einen verpfeife, kann ich einpacken. Te enteras? Geht das in deinen Kopf rein?«

»Da bist du schief gewickelt«, antwortete Sam, »das geht nicht in meinen Kopf rein. Ich bin aus Prinzip begriffsstutzig.«

José holte mit dem freien Arm aus und stieß Sam den Ellbogen gegen den Brustkasten. Gleichzeitig versuchte er, sich aus der Umklammerung zu befreien.

Sam zeigte sich unbeeindruckt. »Was soll denn das werden? Dir geht’s wohl noch zu gut.«

Als er José mit dem Kopf gegen den Türstock rammte, sackte dieser nach unten weg.

»Okay, du Briefmarkensammler, du bekommst eine Auszeit«, kommentierte Sam trocken. »Vor der nächsten Runde mach ich eine Sightseeing-Tour durch deine Wohnung.«

Im Nebenzimmer entdeckte Sam hinter einem riesigen Gemälde von Joan Miró einen großen Wandsafe. »Das Bild hast du sicher auch gefälscht, Amigo, für meinen Geschmack eine ziemlich große Marke. Paßt ja auf keinen Brief.« Im nächsten Zimmer stand neben einem großen Farbkopierer der neusten Generation ein eingeschalteter Computer.

»Sehr freundlich«, meinte Sam und rieb sich die Hände. »Hoffentlich bist du als Buchhalter besser. Als Sparringpartner bist du jedenfalls eine Pfeife.«

Sam setzte sich an das Gerät und suchte in den gespeicherten Dateien herum. »Nichts dabei, alles Schrott. Nicht einmal ein anständiges Computerspiel.«

Sam stand wieder auf und ging zurück zu José, der immer noch regungslos auf dem Boden lag. Zunächst holte sich Sam seinen Tausendmarkschein zurück, der wie vermutet in der linken Tasche steckte. Dann fand er an einer Halskette den Safeschlüssel.

»It’s so easy«, summte Sam auf dem Weg zum Wandsafe. Er schwenkte den Miró weg, öffnete problemlos die Stahltür und durchwühlte den Inhalt. Neben einem ganzen Stapel von Formularen fand er alte und neuere Pässe verschiedenster Nationalitäten, ein Gerät zum Einschweißen von Kennkarten, einen Codenummernlocher, viele Stempel … »Briefmarkensammler, typisch Briefmarkensammler«, murmelte Sam. »Erstaunlich, was man heute dazu alles braucht. Was haben wir denn hier Hübsches?«

Sam hatte einige Disketten entdeckt, mit denen er zum Computer lief. Er ging sie systematisch durch. Nach kurzem Suchen schnalzte er zufrieden mit der Zunge. Die gefundene Namenliste sah ausgesprochen vielversprechend aus. Er klickte mit der Maus das Feld »Search« an, tippte hinter »Search for« den Namen Dr. Felix Reiter ein. Fehlanzeige. Okay, das war ja wohl klar.

Sam überlegte kurz, dann probierte er es mit Francis Baker. Wieder daneben. Letzte Chance: Viktor Stranitz. Diesen Namen hatte er von seiner Kontaktperson in der Schweiz, die ihm den Tip mit José gegeben hatte. Bingo. Wer sagt’s denn! Da stand in voller Schönheit alles, was Sam wissen wollte.

Sam notierte sich die Angaben auf seinem Block, dann steckte er die Diskette ein und ging zurück zu José, der langsam wieder zu sich kam. Sam packte ihn am Revers seines Morgenmantels und zog ihn am Türstock in eine sitzende Position.

»Hast du wieder auf Empfang geschaltet?« fragte Sam. José starrte ihn an, dann nickte er langsam.

»Da bin ich aber froh. Ich hab mir schon Sorgen gemacht. Deine Briefmarkensammlung habe ich übrigens vergeblich gesucht. Echt schade. Ich steh auf die blaue Mauritius.«

Sam zeigte José die Diskette. »Du hast ja eine tolle Buchführung. Kompliment. Ich hab mich sofort zurechtgefunden. Jetzt bin ich ein Stück klüger. Unser Freund hört also auf den Namen Kay Kaufmann. Nun sperr mal deine Augen auf. Ja, so ist’s brav. Ich habe hier ein paar Fotos. Du sagst mir jetzt, wie der Typ ausgesehen hat!«

Zur Aufmunterung tätschelte Sam Josés Gesicht.

»Du kannst dich doch hoffentlich an diesen Viktor Stranitz alias Kay Kaufmann erinnern?« fragte Sam.

Das folgende »Ja« war so leise, daß er es José fast von den Lippen ablesen mußte. Sam zog einen kleinen Stapel mit Porträtbildern aus seiner Jackentasche. Nacheinander hielt er sie José vor die Augen.

»Ese es, das ist er, so hat er ausgesehen«, hustete José und deutete auf ein Foto.

Sam sah auf die Rückseite, das Bild hatte die Nummer sieben.

»Gut gemacht. Siehst du, wir verstehen uns doch wirklich prächtig. Das hättest du einfacher haben können. Und weil wir jetzt so gute Freunde sind, gebe ich dir zum Abschied noch einen gutgemeinten Rat. Vergiß meinen Besuch. Das war Künstlerpech. Ich habe nichts gegen dich persönlich. Absolut nichts. Du bist mir sogar fast sympathisch. Also halt die Klappe, und vergiß, was ich wollte. Und merk dir vor allem eines: Wenn du mir je in die Quere kommen solltest, dann kriegst du wieder was auf deine Pappnase.« Sam kicherte ausgelassen und zielte mit dem Zeigefinger auf José. Dann krümmte er den Finger: »Peng!« Jetzt kicherte er nicht mehr. »Deine Diskette mit den Namen stecke ich ein. Diskretion ist Ehrensache.«

José schaute Sam mit glasigem Blick an.

Sam schüttelte in gespielter Verzweiflung den Kopf. Er leerte das Magazin der Beretta und warf José die Waffe vor die Füße. Dann verließ er die Wohnung. Während die Tür hinter Sam ins Schloß fiel, zog er seinen Kaugummi vom Türschild und steckte ihn wieder in den Mund.

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4

Gegen neun Uhr saß Dana im Wellies auf einem Sofa vor einem gußeisernen Ofen und nippte an einem Campari Orange. Wirklich bescheuert, dachte sie. Da sitze ich wie bestellt und nicht abgeholt und habe noch dazu selbst die Initiative ergriffen. Dabei kenne ich den Typen überhaupt nicht. Eva meint, er sei ein Aussteiger, dem langsam, aber sicher das Geld ausgeht. Sie könnte recht haben. Aber das sprach ja noch lange nicht gegen einen netten Abend.

Dana stellte ihr Glas ab und lehnte sich zurück in die weichen Kissen. Im Lokal war es relativ leer. Die Gäste drängten sich draußen auf der Terrasse. Sie gab sich einen Ruck. Was soll’s, ich bin im Urlaub. Außerdem bin ich Spezialistin auf dem Gebiet, Männern den Laufpaß zu geben.

»Hallo, schöne Frau.« Kay beugte sich über das Sofa und gab Dana einen Wangenkuß. »Ehrlich gesagt, habe ich nicht damit gerechnet, daß du wirklich hier auf mich wartest«, sagte er und ließ sich neben Dana in die Kissen sinken. »Ich dachte, der Sekt ist dir heute mittag zu schnell zu Kopf gestiegen und du hast dich in einem Augenblick geistiger Unzurechnungsfähigkeit mit mir verabredet.«

Da war er schon wieder, dieser spöttische Gesichtsausdruck, dachte Dana. »Meine Freundin Eva war derselben Ansicht. Wahrscheinlich habt ihr beide recht.«

»Kein Grund zur Sorge. Wir sollten diese Bewußtseinsstörung wie geplant bei einem Abendessen therapieren. Irgendwelche Präferenzen? Wir könnten hier bleiben und uns in den ersten Stock verziehen oder woanders hingehen?«

»Ich bin flexibel. Ob’s mir gefallen hat, sage ich hinterher.«

»Also, im Wellies waren wir heute schon. Ich schlage vor, daß wir rüber ins Tristan gehen, die kochen wirklich ganz ordentlich.«

Dana betrachtete Kay, dessen Outfit ähnlich schlampig war wie mittags. Das Tristan war ja nun wirklich das teuerste Lokal weit und breit. Nicht, daß ihr das etwas bedeutete. Aber offenbar war Kay für Überraschungen gut. Und das gefiel ihr durchaus.

»Aber ich muß dich warnen, ich habe einen mallorquinischen Bärenhunger.«

»Auf Mallorca gibt es meines Wissens keine Bären«, erklärte Kay mit nachdenklichem Gesichtsausdruck. »Dafür viele schwarze Schweine, für die Mallorca einst berühmt war. Geckos gibt es, Schafe, wilde Bergziegen, aber garantiert keine Bären.«

»Daran wird es hoffentlich nicht scheitern?«

»Wohl kaum. Das größte Tier auf Mallorca war in grauer Vorzeit eine sagenumwobene Antilopenart. Der Myotragus ist schon vor Jahrtausenden ausgestorben. Vielleicht könnte man dennoch von einem mallorquinischen Myotragushunger sprechen.«

»Da bin ich aber froh, daß wir dieses Problem gelöst haben«, sagte Dana mit einer hochgezogenen Augenbraue.

Kay war bereits aufgestanden und reichte ihr die Hand. Dana ließ sich aus dem Sofa ziehen. Sie liefen die wenigen Meter hinüber zum Tristan. Vorbei am Flanigan, an einigen Boutiquen und an einem Rondell mit einem Springbrunnen.

Das im Stil einer Hazienda gebaute Tristan liegt am Ende der palmengesäumten Uferpromenade direkt vor den teuersten und größten Megayachten. Auf der Terrasse des Tristan waren unter weißen Markisen die Tische elegant gedeckt. Kay wurde von den Obern herzlich begrüßt. Sie bekamen einen kleinen Tisch in der Ecke. Während Kay mit einem Ober die Menüfolge besprach, wurden ihnen bereits zwei Gläser Champagner serviert.

»Täuscht der Eindruck, oder bist du hier häufiger?« fragte Dana.

»Der Eindruck täuscht nicht. Ich habe eine kleine Schwäche für gepflegtes Essen. Ich hoffe, dir macht es nichts aus, diese Leidenschaft mit mir zu teilen?«

»Bleibt nur zu hoffen, daß du keine schlimmeren Leidenschaften mit mir teilen willst«, meinte Dana lachend.

Kay blieb die Antwort schuldig, hob das Glas und stieß mit ihr an.

Sie unterhielten sich über Danas Freundin Eva. Dana erzählte von ihrem Studium. Kay wollte wissen, was sie im Urlaub auf Mallorca bisher so getrieben hatten. Dana merkte, daß der Informationsfluß etwas einseitig war. Von sich selbst erzählte Kay nämlich nichts. Aber Dana hatte keine Lust, ihn direkt zu befragen. Das sähe dann doch zu sehr nach Neugier aus.

Der Ober servierte die Vorspeise: Parfait de hígado de pato con jamón de jabugo – Entenleber-Parfait mit Jabugo-Schinken. Er wünschte ihnen »bon profit«, guten Appetit, und entkorkte eine Flasche Wein.

»Ich hoffe, du trinkst Weißwein«, sagte Kay.

»Aber klar, am liebsten ein Glas zuviel!«

»Da bin ich aber mal gespannt. Also, hier im Tristan gibt’s sehr viel teurere Weine als unseren Tropfen. Aber dieser hat den Vorzug, daß er von der Insel kommt. Ist ein fruchtiger Muscat Miguel Oliver. Sollte schmecken. Die Weine dieser Bodega in Petra haben einen vorzüglichen Ruf. Es gibt mittlerweile wirklich guten Vino mallorquin. Ich trinke auch gerne einen Chardonnay von Jaume Mesquida aus Porreres. Oder einen Blanc de Blancs von José Ferrer in Binissalem. Kennst du Binissalem? Das ist der bekannteste Weinort auf Mallorca. Im Landesinneren, zwischen hier und Inca. Dort kommen einige der besten Weine Mallorcas her.« Kay roch am Korken, kostete den Wein und nickte.

»Früher hat es viel mehr ausgezeichneten Wein auf Mallorca gegeben. Der Name Banyalbufar, das ist ein Ort an der Westküste auf halbem Weg nach Deià, der ist arabischen Ursprungs und heißt eigentlich so etwas wie kleiner Weingarten am Meer. Da gab es einen Weißwein aus der Malvasiatraube. Der war so gut, daß er sogar an den Hof der aragonesischen Könige geliefert wurde. Wahrscheinlich haben den Malvasia schon viel früher die römischen Kaiser getrunken. Jedenfalls hat man vor Banyalbufar auf dem Grund des Meeres römische Amphoren gefunden.«

»Sag mal, woher weißt du das alles?« fragte Dana. »Das mit dem Myotragus und jetzt mit dem Wein. Das war ja ein profunder Vortrag. Ich bin beeindruckt. Arbeitest du beim Fremdenverkehrsamt?«

Kay lachte. »Da könnte ich mich ja mal bewerben. Vielleicht mach ich dort noch Karriere. Nein, im Ernst, ich hänge jetzt schon eine Zeitlang in dieser Gegend rum. Ich hab viel Zeit, und ich lese gerne. Also schmökere ich gerade in Büchern über Mallorca. Das ist viel interessanter, als ich erwartet hätte. Je mehr ich lese, desto mehr fasziniert mich die Insel. Und beim Wein ist es sowieso ganz einfach. Ich trinke nun mal gern ein Gläschen. Das habe ich offenbar mit dir gemeinsam. Übrigens bin ich mit meinem ›Vortrag‹ noch nicht fertig. Darf ich weitermachen?«

»Nur zu«, Dana schmunzelte, »es geht doch nichts über eine gebildete Konversation. Auch wenn ich mich in diesem Fall aufs Zuhören beschränke.«

»Ich muß doch bei unserem ersten gemeinsamen Essen einen guten Eindruck hinterlassen. Der wird ohnehin nicht von langer Dauer sein.«

»Das klingt ja wirklich vielversprechend.«

»Also, der Weinanbau auf Mallorca hat eine lange Tradition. Aber vor gut hundert Jahren wurden die Rebstöcke von der Reblaus vernichtet. Und dann kam lange Zeit gar nichts. Jedenfalls kein Wein, über den es sich lohnen würde zu reden. Erst heute versucht man wieder, an die alte Qualität anzuknüpfen. Dazu gehören die besagten Weine aus dem Gebiet bei Binissalem. Von der Gegend um Felanitx und Manacor, das ist im Südosten der Insel, da kommen auch sehr ordentliche Weine her: Chardonnay, Cabernet Sauvignon, Merlot. Also, um ein Fazit zu ziehen, man muß nicht verdursten.«

»Da bin ich aber beruhigt«, sagte Dana. »Was hältst du davon, wenn wir jetzt von der Theorie zur Praxis kommen und den Wein einfach trinken. Mit oder ohne Reblaus. Wenn er mir nicht schmeckt, kann ich ja immer noch eine Cola bestellen.«

Dana schnüffelte etwas am Glas, hielt es spaßeshalber gegen das Kerzenlicht und nahm dann einen Schluck.

»Schmeckt meiner Meinung nach deutlich besser als Cola«, meinte sie, »hat natürlich nicht ganz diesen vollmundigen Körper wie eine Cola, es fehlt das prickelnde Perlen und das klebrige Gefühl auf der Zunge. Aber davon abgesehen, wirklich nicht schlecht.«

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5

Im Büro der Frankfurter Detektei Lummer klingelte das Telefon. Heinz Lummer, der zu später Stunde noch über Akten brütete, nahm den Hörer ab.

»Hallo, Heinz, ich bin’s, Sam. Schön, daß du noch im Office bist.«

»Was soll daran schön sein?« antwortete Lummer mißlaunig. »Ich könnte mir was Schöneres vorstellen!«

»Was das wohl wäre? Aber lassen wir das. Jetzt halt dich fest, damit du nicht vor Begeisterung vom Stuhl fällst. Bist du soweit? Also, ich sehe gute Chancen, daß wir unseren Freund schnappen.«

»Was heißt gute Chancen?« raunzte Lummer, der bei seinen Mitarbeitern nicht gerade für seinen diskreten Charme berühmt war. »Mich interessieren keine Chancen, wir sind hier nicht im Spielkasino beim Roulette. Auf Chancen pfeife ich. Mich interessieren Resultate.«

Sam ließ sich von der aufbrausenden Art seines Chefs nicht beeindrucken. »Roulette wäre doch eine geile Sache, wenn man wüßte, wo die Kugel hinfällt, oder?«

»Und? Weißt du das vielleicht?« antwortete Heinz Lummer, jetzt schon etwas umgänglicher.

»Könnte sein«, spannte ihn Sam auf die Folter.

»Wie wär’s, wenn du mal zur Sache kämst. Welche Infos hast du? Schieß los!«

»Geschossen wird hier nicht. Wenn du zur Abwechslung mal in deine Mailbox schauen würdest, dann wüßtest du längst Bescheid. Ich hab dir eine E-Mail geschickt. Hübsch verschlüsselt, wie sich das gehört. Also schmeiß deinen elektronischen Sklaven an, und sieh nach.«

»Das ist ja nicht zu fassen. Warum kannst du es mir nicht jetzt am Telefon erzählen?« protestierte Lummer.

»Weil ich dir nun mal eine E-Mail geschickt habe. Deshalb. Außerdem muß ich aufs Klo. Und zwar dringend. Schau dir in der Zwischenzeit meine Message an. Ich melde mich gleich wieder.«

»Du kannst einen vielleicht nerven. Dann geh aufs Klo. Das nächste Mal überlegst du dir das vielleicht vorher. Und ruf sofort wieder an. Hast du verstanden, du elender Trüffelhund?«

»War doch meine Rede. Und danke für den Trüffelhund. Ich bin in der Hierarchie aufgestiegen. Das letzte Mal war ich noch ein Trüffelschwein. Bis dann.«

Heinz Lummer legte den Hörer auf und schaltete den Computer ein. Während der folgenden Startphase lehnte er sich zurück, legte seine Beine auf den Schreibtisch und faltete die Hände hinter seinem Nacken. Der grimmige Gesichtsausdruck wich rasch einem zufriedenen Lächeln. Sam Späth war zwar eine Nervensäge, aber sein bester Mann. Wenn Sam von »guten Chancen« sprach, dann waren die Chancen mit Sicherheit sehr gut. Seit fast zwei Jahren fahndeten sie jetzt auf der ganzen Welt nach Dr. Felix Reiter. Nachdem der Börsianer mit seinem Investmentfonds für Großanleger in die Pleite gerauscht und abgetaucht war, suchten das Bundeskriminalamt, Interpol, diverse private Detekteien und eine losgelassene Schar wildgewordener Journalisten nach dem Verschwundenen. Von dreihundert bis vierhundert Millionen Mark war die Rede, die Dr. Reiter vor seinem Untertauchen noch zur Seite gebracht haben sollte. Hinweise auf seinen Aufenthaltsort hatte es unzählige gegeben. Immer wieder wollte man ihn in Asien gesehen haben, dann in Florida, später in Paraguay, in Chile oder in einem anderen südamerikanischen Land. Lummer wußte, daß Sam Späth eine Spur verfolgte, die nach Spanien führte. Es sah ganz so aus, als ob Dr. Reiter nach der Methode Frechheit siegt direkt vor ihrer Nase herumspazierte.

Lummers Computer war soweit. Er nahm die Beine vom Tisch, beugte sich vor und klickte im Informationsmanager »Neue Post« an. Jetzt wurde das Modem initialisiert. Die nächste Pause. Die Warterei konnte ganz schön auf den Geist gehen. Und das alles nur, weil Sam aufs Klo mußte und auf E-Mails stand.

Lummer dachte an seinen Auftraggeber, ein großes deutsches Industrieunternehmen, das bei dem Crash von Reiters Investmentfonds mit einem dreistelligen Millionenbetrag zu Schaden gekommen war. Mindestens. So ganz genau wußte das niemand. Die laufenden Ermittlungen wurden angemessen honoriert. Die Jagd lohnte sich für Lummer auch dann, wenn das Wild nicht zur Strecke gebracht wurde. Sollte es seiner Detektei aber gelingen, Reiter hinter Schloß und Riegel zu bringen, dann wäre das ein Mega-Knüller. Die vereinbarte Provision wäre für Lummer gleichbedeutend mit einem Freifahrschein in den vorgezogenen Ruhestand.

Connected. Na endlich! Lummer fuhr mit der Maus hin und her. Jetzt war er am Ziel. Noch ein Klick. Wurde ja auch Zeit.

E-Mail von Sam Späth an Heinz Lummer

 

Hallo, Boß. Der Unterwelt-Tip mit dem Paßfälscher José in Madrid war Gold wert. Habe das verkannte Genie heute besucht. Ein trotziges Kerlchen. Dachte, er könnte mich verarschen. Dann ist der Ungeschickte über seinen Schreibtisch gestolpert und gegen einen Türstock gerannt. So ein Pech. Aber danach haben wir uns entschieden besser verstanden. Also: Vor sechs Monaten hat José für unseren Freund einen Paß auf den Namen Kay Kaufmann gefälscht. Ausgestellt am 18.10.94. Gültig bis zum 17.10.2004. Geburtsort: Bad Homburg. Geburtsdatum: 12.4.48. Nummer: 3478894213. Der Paß wurde am 20. März abgeholt. Hat der Idiot alles fein säuberlich auf einer Diskette gespeichert. José hat Dr. Felix Reiter auf dem Foto Nr. 7 wiedererkannt. Jetzt ist der Reiter fällig. Wir wissen, wie er aussieht, und wir kennen seine neue Identität. Er kann sich schon mal anschnallen. Seine Bruchlandung steht kurz bevor. Dann können wir seine Reste einsammeln und abliefern.

Ich finde den Typen.

 

Sam

Heinz Lummer stand auf und lief im Zimmer auf und ab. Sam Späth hatte eine ultraheiße Fährte, kein Zweifel. Die Trumpfkarte hatte gestochen. Vor einigen Monaten waren seine Leute dem flüchtigen Dr. Felix Reiter zum ersten Mal auf die Spur gekommen. In einer thailändischen Spezialklinik für plastische Chirurgie im Norden Bangkoks hatte sich Felix Reiter vor Jahresfrist einer gesichtschirurgischen Operation unterzogen. Seine damalige Identität: Francis Baker aus Colorado, USA. Die Thais verfügten über eine sehr gute Dokumentation. Bilder vor und nach der Operation. Kein Zweifel: Mr. Baker war Felix Reiter. Und seitdem hatten sie die Trumpfkarte in ihren Händen: ein Bild von Dr. Reiter nach der Gesichtsoperation. Am Computer in Frankfurt wurden verschiedene Varianten seines Gesichtes simuliert: mit kurzen Haaren, mit langen Haaren, mit Schnurrbart, Vollbart, Brille, keine Brille etc. In der Schweiz hatten sie dann über einen Anwalt, der für die Unterwelt arbeitete, den Tip mit José bekommen. Der Anwalt wußte auch zu berichten, daß Dr. Felix Reiter das Pseudonym Viktor Stranitz verwendete. Und jetzt hatte ihn dieser Paßfälscher erkannt. Foto Nr. 7.

Lummer setzte sich wieder an seinen Computer, rief die Reiter-Datei auf und suchte in der Bilddatenbank die Variante Nr. 7. Jetzt schaute ihm Dr. Felix Reiter alias Kay Kaufmann auf seinem Schreibtisch direkt in die Augen. Mit einem Dreitagebart und ohne Brille. Als Heinz Lummer das Bild jetzt betrachtete, fiel ihm auf, daß der gesichtsoperierte Felix Reiter einem verstorbenen amerikanischen Schauspieler ähnelte. Wie hieß er doch gleich? McQueen, richtig. Irgendwie sah Felix Reiter aus wie Steve McQueen. Das Telefon klingelte erneut.

»Hallo, Boß, hier spricht wieder der Trüffelhund. Wie hat dir die Lektüre gefallen?«

»Rutsch mir den Buckel runter mit deinen E-Mails. Wie war’s auf dem Klo? Geht’s dir jetzt besser?«

»Klar. Aber dir geht’s jetzt auch besser, gib’s zu.«

Heinz Lummer gab sich einen Ruck. »Hast recht. Deine Info hat mir gefallen, muß ich zugeben.« Und nach einem Zögern: »Gratuliere, gut gemacht.«

»Ein Lob! Habe ich richtig gehört, ein Lob? Ist ja irre.« Sam kicherte vergnügt vor sich hin.

»Jetzt schnapp bloß nicht gleich über. Wie geht’s weiter? Wo steckt der Kerl? Brauchst du Unterstützung? Soll ich dir noch ein paar Leute runterschicken?«

»Kollegen? Liebe Kollegen? Nein, danke. Die stehen doch nur im Weg herum. Alles Stümper und Versager. Nicht nötig. Der Trüffelhund und seine Spürnase kommen alleine klar. Sobald sich etwas Neues ergibt, gebe ich sofort Laut.«

»Dann laß dich nicht aufhalten.«

»Geht klar. Jetzt geh ich wieder schnüffeln. Wau, wau!« Sam hatte eingehängt.

Manchmal gingen Sams infantile Späße Heinz Lummer gehörig auf die Nerven. Heute abend freute er sich darüber – zeigten sie doch, daß Sam gut drauf war. Und das war jetzt am wichtigsten.

Heinz Lummer öffnete den Humidor auf dem Sideboard neben seinem Schreibtisch und entnahm ihm eine Havanna-Zigarre der größeren Bauart. Er präparierte das Prachtstück mit der gebotenen Sorgfalt, entzündete die Zigarre mit einem Holzspan und zog genüßlich den Rauch ein.

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6

Der gemeinsame Abend auf der Terrasse des Tristan gefiel Dana immer besser. Es machte Spaß, sich mit Kay zu unterhalten. Er konnte gut zuhören, wußte über viele Dinge Bescheid, hatte oft originelle Ansichten und war dann wieder ein glänzender Erzähler. Nach der Vorspeise gab es Gazpacho con Gambas. Dann Cigalas mallorquinas envueltas en patatas (mallorquinische Langusten im Kartoffelmantel) und Rodaballo salvaje (wilder Steinbutt). Danas Gefühl hatte nicht getrogen. Die Idee, mit Kay zum Essen zu gehen, war vielleicht unüberlegt, aber nicht verkehrt gewesen.

Als sich Kay schließlich die Rechnung geben ließ und aus der Hosentasche ein großes Bündel Geld, das von einem Gummi zusammengehalten wurde, zum Vorschein brachte, da mußte Dana unwillkürlich lachen. Ihr fiel wieder ihre Freundin Eva ein und ihr mittägliches Gespräch über den Film »Wie angelt man sich einen Millionär«. In der Schlußszene holt der vermeintlich arme, frisch vermählte Ehemann von Marylins Freundin Lauren Bacall ein großes Bündel mit Geldscheinen aus der Jacke und entpuppt sich als schwerreicher Industrieller. Worauf Marilyn Monroe, Lauren Bacall und Betty Grable geschockt vom Barhocker fallen. Ein Bündel Geldscheine beeindruckte heute niemanden mehr, das war schon richtig, eher schon die Tatsache, daß jemand bar bezahlt. Aber das Gesicht von Eva hätte sie jetzt trotzdem gerne gesehen.

Gegen Mitternacht fuhren sie mit dem Taxi nach Palma. Kay ließ den Wagen oberhalb des Parc de la Mar bei der hell angestrahlten Kathedrale La Seu halten. Während Kay den Fahrer bezahlte, stand Dana schon draußen und betrachtete den gotischen Bau. Aus dieser Perspektive sah die Fassade ungeheuer mächtig und eindrucksvoll aus. Dana legte den Kopf in den Nacken. Hoch oben sprangen seltsame Wesen aus dem Gemäuer. Hyänengleiche Geschöpfe, steinerne Löwen, Raubvögel und Drachengestalten. Fast konnte es einem unheimlich werden. Fehlte nur noch Quasimodo, der bucklige Glöckner von Notre Dame, wie er hinter einem Mauervorsprung vorspähte.

»So bekommst du noch eine Nackenstarre«, stellte Kay fest. Er faßte Dana an den Schultern und drehte sie behutsam weg von der Kathedrale hin zum Meer. Vor ihnen lag mit seiner hohen Wasserfontäne der Parc de la Mar. Dahinter die Uferstraße, die große alte Mole und die weite Bucht von Palma. Von links zog ein startender Jet seine blinkende Spur in den Nachthimmel. Draußen auf dem Wasser lag ein hell erleuchtetes Kreuzfahrtschiff.

Kay nahm Dana in den Arm. »Sieht schön aus, oder?« Und nach einer Pause: »Früher muß das noch eindrucksvoller gewesen sein. Da spülten die Wellen des Meeres direkt an diese Mauern. Das vor uns liegende Land wurde erst später aufgeschüttet.«

Einige Minuten später liefen sie am Almudaina-Palast vorbei die Treppen hinunter. Auf den steinernen Bänken knutschten Jugendliche. Über ihren Köpfen fächerten die Palmen im Wind. Unten angelangt, kamen sie zu einer kleinen Verkehrsinsel mit einem Denkmal auf einem hohen Sockel. Es zeigte einen bärtigen Mann mit einem großen Buch in der einen und einem Federkiel in der anderen Hand. Auf dem Sockel stand: La Ciutat de Mallorca a Ramón Llull.

»Weißt du, wer das war, dieser Ramón Llull?« fragte Dana. »Kommt der Typ in deinen Büchern auch vor? Sieht jedenfalls ganz schön streng aus, der alte Herr.«

»Wärst du vor rund sechshundert Jahren geboren, dann hätte dich dieser strenge Herr vielleicht verführt. Ramón Llull war als junger Mann ein bekannter Schürzenjäger.«

»Willst du mich veralbern? Ich bin zwar nicht mehr nüchtern, aber ich denke, auch vor sechshundert Jahren haben Playboys keine Mönchskutte getragen. Außerdem glaube ich nicht, daß die Mallorquiner einem Frauenverführer ein Denkmal setzen.«

»Das wäre doch nicht schlecht, irgendwie zeitgemäß. Aber du hast natürlich recht. Später ist dieser Ramón Llull in seinem Leben Mönch geworden, Philosoph, Missionar, Dichter – ich weiß nicht, was noch alles. Er war so eine Art Universalgenie. Aber sein Leben war wirklich filmreif.«

»Mach schon, erzähl mir kurz das Drehbuch. Ich stehe auf Filme. Aber mich interessiert vor allem sein Vorleben als Schürzenjäger.«

»Ich wollte eigentlich mit dir in einer Bar was trinken gehen und nicht die Lebensgeschichte von Ramón Llull erzählen.«

»Bitte, bitte«, versuchte es Dana erneut.

»Oh, du heiliger Lullus, was hast du mir angetan.«

»Bitte, bitte.«