Sturmland - Die Kämpferin - Mats Wahl - E-Book

Sturmland - Die Kämpferin E-Book

Mats Wahl

4,4

Beschreibung

Schweden 50 Jahre in der Zukunft: Verheerende Stürme haben ganze Landstriche verwüstet. Und Schnee fällt schon seit Jahren nicht mehr. Stattdessen färbt ein feiner Sand alles blutrot. Die meisten Menschen sind in die Städte gezogen. Bei den wenigen Familien auf dem Land herrscht ein Klima der Angst. Eines Tages taucht Elins Tante Karin auf dem Hof der Familie auf. Nach ihr wird im ganzen Land gefahndet, denn sie gilt als Terroristin des Untergrunds. Am nächsten Tag wird Elin verhört und verschleppt, doch ihr gelingt die Flucht. Der zweite Teil des düsteren, erschreckend realistischen Zukunftsepos des großen schwedischen Erzählers Mats Wahl.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 441

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
4,4 (16 Bewertungen)
10
2
4
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Die Natur ist aus den Fugen, das Land vom Sturm verwüstet, ein feiner Sand färbt alles blutrot. Die 16-jährige Elin lebt mit ihrer Familie auf dem Land, Überfälle und Regierungskontrollen sind an der Tagesordnung, jeder Schritt wird überwacht. Überraschend taucht Elins Tante Karin auf. Ihr Besuch gefährdet alle, denn Karin ist die Anführerin des Untergrunds. Nach ihr wird im ganzen Land gefahndet. Tatsächlich wird Elin kurz darauf von der Regierung verhört und verschleppt. Sie kann fliehen und macht sich auf einen langen lebensgefährlichen Weg nach Hause.

Hanser E-Book

Mats Wahl

STURMLAND

Die Kämpferin

Aus dem Schwedischenvon Gesa Kunter

Carl Hanser Verlag

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel Blodregn: Krigarna bei Natur & Kultur, Stockholm.

Zitat auf Seite 15: Stevie Smith, Not Waving but Drowning, aus:New Selected Poems, New Directions Publishing Corporation, 1988

Songtext auf Seite 157/158: Nat Burton:The White Cliffs of Dover, 1941

Zitat auf Seite 159: Winston Churchill, Rede vor demBritischen Unterhaus vom 4. Juni 1940

Zitat und Songtext auf Seite 160: Ross Parker/Hughie Charles:We’ll meet again, 1939

Zitat auf Seite 163: Oscar Wilde: De Profundis, 1895–1897

Zitat auf Seite 345: Njals Saga: Die Saga von Njal und dem Mordbrand,herausgegeben und übersetzt von Hans-Peter Naumann, Wien 2011 (LIT Verlag)

Abdruck mit freundlicher Genehmigung

Zitat auf Seite 350: Taira no Kanemori: Bambuflöjten,aus dem Schwedischen von Gesa Kunter

ISBN 978-3-446-25225-7

© Mats Wahl, 2014

Alle Rechte der deutschen Ausgabe:

© Carl Hanser Verlag München 2016

Umschlag: init | Kommunikationsdesign, Bad Oeynhausen

Piktogramme: Thinkstock, getty images

Satz im Verlag

Unser gesamtes lieferbares Programm und viele andere Informationen finden Sie unter www.hanser-literaturverlage.de

Erfahren Sie mehr über uns und unsere Autoren auf www.facebook.com/HanserLiteraturverlage oder folgen Sie uns auf Twitter: www.twitter.com/hanserliteratur

Datenkonvertierung E-Book: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

1

Sie reiten von Liden aus nach Norden. Als sie den Ripsee vor sich liegen sehen, zügelt Vagn das Pferd. Er dreht sich im Sattel zu ihnen um.

»Der sieht kalt aus.«

Folke zuckt mit den Schultern, Elin reitet an ihn heran und gibt ihm einen Klaps zwischen die Schulterblätter. Sie trägt gelbe Handschuhe und vom See bläst ein Wind herauf, der die Wangen rot färbt.

Als sie fast unten am Seeufer angelangt sind, nähert sich ihnen von Westen ein Hubschrauber. Die drei Reiter zügeln die Tiere und reden beruhigend auf sie ein, während die Maschine dicht über ihren Köpfen hinwegfliegt.

Folkes Pferd trippelt ein paar Schritte zur Seite. Er beugt sich vor und flüstert dem Tier ins Ohr. Doch dann ist der Hubschrauber schon über dem See, steigt höher und verschwindet über den Hügeln auf der Nordseite. Die Pferde beruhigen sich. Sie reiten hinunter zum Sandstrand, dorthin, wo Elin und Vagn schwimmen gelernt haben. Der Strand ist so klein, dass es eng wird, als die drei Pferde nebeneinanderstehen.

Folke steigt ab, während Vagn und Elin sitzen bleiben. Vagn streicht seinem Pferd mit der behandschuhten Hand über den Rücken, während Elin etwas in ihren Jackentaschen sucht.

»Armer Folke, nur weil die Schneeglöckchen ihre Köpfe hervorstrecken, ist noch längst kein Badewetter.«

Folke hockt sich ans Ufer und hält die rechte Hand ins Wasser. Er hat den Kragen der Jacke hochgeschlagen und trägt eine Lederkappe mit herunterhängenden Ohrenklappen.

»Ist es warm?«, fragt Vagn.

»Nicht am Ufer«, antwortet Folke.

»Vielleicht weiter draußen«, mutmaßt Vagn.

Im Sattel sitzend schlingt Elin die Arme um ihren frierenden Oberkörper, während Folke die Jacke auszieht und Pullover, Schuhe, Strümpfe sowie Hose und lange Unterhose ablegt. Schließlich hat er nur noch die Kappe auf dem Kopf. Elin zieht die Handschuhe aus und fischt eine fingerbreite Mutter aus der Jackentasche. Sie bindet eine Schnur daran und knotet an das andere Ende der Schnur einen Korken. Als sie den Knoten geprüft hat, dreht sie sich zu Folke um:

»Bist du bereit?«

Er nickt, nimmt die Kappe ab und gibt sie ihr. Elin wirft die Mutter samt Korken und Schnur hinaus aufs Wasser. Ein Stück vom Ufer entfernt versinkt alles mit einem gluckernden Geräusch.

»Du hast nicht weit genug geworfen«, rügt Vagn.

»Wo er gelandet ist, ist das Wasser tief genug«, behauptet Elin.

»Du hast trotzdem nicht weit genug geworfen.«

»Er muss tauchen. Das genügt.«

»Du hast nicht weit genug geworfen.«

»Ich bin nicht so gemein wie du.«

»Vielleicht ist es ja weiter draußen wärmer«, sagt Vagn und lacht.

Während sie reden, watet Folke tiefer ins Wasser, bis zu der Stelle, wo nach dem Versinken von Mutter und Korken keine Ringe mehr auf der Oberfläche sichtbar sind, und taucht ab. Nach einer Weile kommt er wieder hoch, prustet und streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Er macht ein paar Schwimmzüge Richtung Ufer, bis er Grund unter den Füßen hat.

»Hast du die Mutter?«, fragt Elin.

Folke watet an Land, öffnet die Hand und reicht Elin die Mutter mit Korken und Schnur. Sie nimmt sie entgegen, steckt sie zurück in die Jackentasche und setzt ihm die Kappe auf den Kopf.

»Dir ist dein Schwanz abhandengekommen«, feixt Vagn. »Er ist kleiner als der Fingerhut unserer Mutter.«

Folke zittert vor Kälte und Elin sieht an ihm hinab. Da hören sie einen Kugelhagel von der anderen Seite der Hügel und sie drehen sich zu dem Geräusch um.

»Wildschweine«, sagt Vagn, während Folke sich mit dem Handtuch abtrocknet, das Elin ihm gereicht hat.

Als sie auf den Hof reiten, kommen Hubschrauber von Norden und fliegen so niedrig, dass es aussieht, als würden sie mit dem Windrad kollidieren. Unter der dröhnenden Maschine hängt das Netz, in dem die toten Wildschweine liegen, einer der Wildschweinkörper blutet noch immer. Als der Hubschrauber über den Hackklotz hinwegfliegt, fällt ein Schwall Blut herunter und landet neben der Axt. Es sieht aus, als wäre dort einem Huhn gerade der Kopf abgeschlagen worden. Den zerschundenen toten Menschenkörper zwischen den Schweinen entdeckt niemand.

2

Elin hat Gerda im Arm und ihre Wangen sind noch gerötet, als sie leise in das Zimmer des Alten schlüpft und sich zu ihm auf die Bettkante setzt. Das Baby beginnt zu weinen, Elin knöpft das Hemd auf, macht die Brust frei und Gerda verstummt. Der Alte öffnet die Augen und legt eine Hand auf Elins Oberschenkel.

»Bist du draußen gewesen?«

»Wir sind zum Ripsee geritten. Folke musste tauchen. Er hat eine Wette verloren.«

»Um was habt ihr gewettet?«

»Dass ich länger den Atem anhalten kann als er.«

Der Alte verzieht den Mund, doch nicht so weit, dass es als Lächeln bezeichnet werden kann. Er ist unrasiert und blass.

»Gerda scheint Hunger zu haben.«

»Sie hat immer Hunger.«

»Das hattest du auch immer.«

»Wie fühlst du dich?«

»Müde.«

»Brauchst du irgendetwas?«

»Die Fernbedienung.«

Elin streckt sich danach und reicht sie dem Alten, der auf ein paar der Tasten drückt. Auf der Bildwand erscheint ein Klavierspieler.

»Wer ist das?«

»Kempff. Guck dir seine Augen an. Er sieht die beiden Weltkriege. Seine Trauer ist endlos.«

Der Alte schließt die Augen und drückt Elins Oberschenkel. Er ist sehr schwach und sein Griff ist nicht besonders fest.

»Tut dir was weh?«

»Nein.«

»Hast du etwas von Åke bekommen?«

»Nur das, was ich vorher schon hatte.«

»Möchtest du allein sein?«

»Bleib doch noch ein Weilchen hier sitzen.«

Sie sitzt noch eine Weile bei Frans am Bett. Als sie die Brust wechselt und das Kind an die andere legt, öffnet der Alte die Augen, und als das Kind zur Ruhe gekommen ist und nicht mehr strampelt, schließt er sie wieder.

Nachdem Gerda fertig getrunken hat, schlafen sowohl das Kind als auch der Alte. Elin schaltet leiser und die Beethovensonate mit dem Schwarz-Weiß-Bild des gealterten Gesichts und dem nahezu bewegungslosen Körper am Flügel wird erneut abgespielt. Sie steht auf, geht in die Küche und zieht die Tür hinter sich zu. Vagn, Folke und Åke sitzen am Tisch. Sie trinken Tee und essen Mandelgebäck. Elin setzt sich neben Vagn und wendet sich dem Onkel zu.

»Wie geht es ihm?«

»Er ist sehr müde«, antwortet Åke. »Das Herz macht es vermutlich nicht mehr sehr lange.«

»Und er will nicht ins Krankenhaus gehen?«

Åke schüttelt den Kopf. Vagn steht auf und holt eine Tasse für seine Schwester.

Elin zieht ein Stück Decke über den Kopf des Kindes.

»Sie sieht zufrieden aus«, sagt Åke, den Blick auf Gerda gerichtet.

Elin lächelt.

»Gerda ist immer zufrieden.«

Åke und Folke stehen auf.

»Jetzt müssen wir nach Hause.«

Lisa kommt aus ihrem Zimmer.

»Hola!«, ruft Åke.

»Buenas tardes«, antwortet Lisa.

Åke und Folke gehen ins Arbeitszimmer, wo sich Gunnar und Anna an ihren Computern gegenübersitzen und Wertpapiere kaufen und verkaufen. Anna trägt einen Pyjama und hat ungewaschene Haare.

Åke bleibt in der Tür stehen und Folke stellt sich neben ihn. Er ist einen halben Kopf größer als der Vater.

»Ich habe ihm schmerzstillende Mittel und Schlaftabletten für die Nacht gegeben, aber ich glaube nicht, dass es ihm schwerfallen wird zu schlafen.«

Anna erhebt sich, Gunnar lehnt sich im Stuhl zurück und legt die Hände in den Nacken. Anna geht zu Åke und umarmt ihn.

»Wie lange hat er noch?«

»Eine Woche, einen Monat oder ein paar Stunden. Es kann jederzeit passieren.«

Anna umarmt Folke.

»Schön, dich zu sehen. Es ist viel zu lange her seit …«

Sie beendet den Satz nicht.

Gunnar streckt den Arm aus und winkt.

»Wiedersehn, Åke, und danke! Wiedersehn Folke!« Er wendet sich im Stuhl sitzend um, richtet den Monitor und tippt etwas auf der Tastatur. Die Hunde begleiten die Gäste nach draußen.

3

Lisa steht auf dem Hof und hält eine Puppe im Arm. Sie sieht zu, wie Gunnar den Korb auf dem Sulky befestigt und die Pferde davorspannt.

Anna tritt mit Gerda im Arm aus dem Haus und Elin und Vagn kommen aus dem Stall dazu. Elin reitet auf Black und Vagn sitzt auf Kille. Der Himmel leuchtet blau und niemand ist schwarz gekleidet.

Gunnar schließt die Tür ab und steigt in den Sulky. Lisa setzt sich zwischen Gunnar und Anna. Gerda liegt in Annas Armen, eingewickelt in eine himbeerfarbene Decke.

Sie brechen auf und Elin reitet neben Vagn, beide lachen über etwas, das Lisa zu verstehen versucht.

Als sie unten am Sicherheitsweg ankommen, erwacht Gerda und schreit. Elin steigt ab, Anna steigt aus dem Sulky und reicht ihr das Kind. Während Anna einen Fuß in den Steigbügel stellt und sich in Blacks Sattel schwingt, nimmt Elin nun im Sulky Platz.

Gunnar versucht vergeblich, eine Verbindung zur Verkehrsbehörde aufzubauen.

»Die Leitung ist tot.«

Elin und Vagn versuchen nun auch beide, mit ihren Mobilen die Verkehrsbehörde zu erreichen, aber es passiert nichts.

Von oben aus der Kurve bei Wongs kommt ein Wagen, der von zwei Pferden gezogen wird. Auf dem Kutschbock sitzt Tor aus Målgårn, hinter ihm fünf seiner Enkel. Nach ihm kommt sein ältester Sohn Hammar mit seiner Frau Lina und drei Hunden. Die beiden Wagen halten vor der Familie aus Liden. Lina kämmt ihre langen Haare. Hin und wieder pflückt sie eine Haarsträhne aus dem Kamm, die sie auf den Asphalt fallen lässt.

»Unser Beileid«, sagt Tor und er und Anna blicken einander an. »Frans war ein feiner Kerl.«

Zu Gunnar gewandt sagt er: »Seit gestern Abend gibt es keine Verbindung. Wir versuchen es zu ignorieren. Kommt mit, hier können wir nicht stehen bleiben.«

Gunnar sucht Annas Blick.

»Können wir nicht in Schwierigkeiten kommen?«

»Es passiert schon nichts«, verspricht Tor.

»Versuchen wir’s«, sagt Gunnar, schnalzt und treibt die Pferde an. Die Pferde setzen sich in Gang. Als sie auf der asphaltierten Straße ankommen, guckt Gerda die Mutter an.

»Sie hat wieder Hunger«, sagt Elin und öffnet die Jacke.

»Wird deine Milch nie leer?«, fragt Lisa und legt sich die Puppe an die Brust. »Meine Milch auch nicht. Ich habe mehrere Liter davon.«

Und dann erzählt sie der Puppe vom Großvater.

Elin wickelt den Deckenzipfel enger um Gerdas Kopf.

Der Redner, der eine Ansprache am Grab hält, macht seine Sache gut. Bei der Treppe vom Gemeindehaus machen die Beerdigungsgäste einen Abstecher zu der Schonung vor Grusvalds Haus.

Dort liegt ein abgestürzter Beobachter. Seine Flügel haben eine Spannweite von vier Metern, er hat ein breites Heck und sieht aus wie ein heruntergefallener Blechadler mit drei Kronen auf der verbeulten Nasenpartie.

Grusvald erzählt mit lauter Stimme, wie er ihn vom Küchenfenster aus gesehen hat, wie das Flugobjekt dann immer tiefer und in immer engeren Kreisen sank und wie er dachte, dass es auf den Hof stürze.

»Aber dann flog er wieder hinauf, ungefähr auf Höhe der Fahnenstange. Einen Moment sah es aus, als würde er weitersteigen, bevor er dann in die Schonung sackte, krachend durch die Zweige brach und landete. Das Militär war innerhalb einer Stunde hier. In den Nachrichten haben sie nichts dazu gesagt. Auch nicht in den Lokalnachrichten. Da bringen sie doch sonst alles. Als Kohlen-Nilssons Katze Junge bekommen hat, lief es auf der Bildwand. Genauso als Flicken-Lisa hundert Jahre alt wurde, da waren es fünf Minuten mit Interview und allem. Aber wenn ein Militärflugzeug hinter meiner Scheune vom Himmel fällt, sagt niemand ein Wort.«

Es folgt Gemurmel und viel Gerede auf dem Weg zum Gemeindehaus. Als sie eintreten, packen Tollnilsar und Grusvald ihre Instrumente aus und stimmen sie. Es wird Bier ausgeschenkt und Schnaps in kleinen hohen Gläsern, dazu gibt es Knäckebroträder und Teller mit gebeizter Forelle auf den mit Tischtuch gedeckten Tischen an der Tür sowie hinten im Saal.

Jemand öffnet ein Fenster und sagt, so viele Leute hätten sie im Gemeindehaus nicht mehr gehabt, seit Rune aus Skattfalle zu Grabe getragen wurde, und das sei immerhin bald zehn Jahre her.

Tollnilsar und Grusvald spielen Lieder, die sie gemeinsam mit Frans früher auf Hochzeiten und Begräbnissen gespielt haben. Zwischen den Liedern erwähnen sie etwas, das Frans getan oder gesagt hat.

»Er konnte die Geige unterm Kinn geklemmt haben und dabei erzählen und lachen«, sagt Grusvald und blickt in den Saal. »Er winkte mit den Händen, stach mit dem Bogen in die Luft und die Geige blieb da, wo sie saß. Manchmal passierte es, dass die Leute anfingen zu weinen, wenn er zu spielen begann. Er war ein Spielmann, wie man ihn heute nur noch selten trifft.«

Danach erzählt Tollnilsar, der dabei war, als Frans Reichsspielmann wurde. Anschließend spielen sie einige der Lieder, die Frans selbst geschrieben hat. Nach dem ersten sagt Grusvald, dass niemand, der tanzen will, sich genieren muss, eine größere Ehre könne man einem Spielmann gar nicht erweisen, als auf seiner Beerdigung zu tanzen.

Einige junge Mädchen sehen sich um und versuchen herauszufinden, ob das, was über das Tanzen gesagt wurde, ernst gemeint ist. Vagn geht auf eines von ihnen zu und fordert es auf. Sie tanzen einen Walzer, den Frans für Grusvalds Hochzeit geschrieben hat. Das Mädchen hat rote Wangen und tanzt den Walzer sehr gut. Folke fordert Hammars Frau mit den langen Haaren auf und sie tanzen fast noch besser. Ein paar Leute flüstern, dass Hammar diese Art Tanz wohl nur ungern sehen wird.

Kurze Zeit später wird das Geigenspiel beendet und die Menschen stehen in Trauben und unterhalten sich darüber, was mit der Regierung geschehen wird.

»Sie können die Festung jeden Moment stürzen«, sagt Valdemar Hanson, der im Gemeinderat sitzt und eine Schwägerin im Reichstag hat. »Dass ihre Drohnen abstürzen, ist ein gutes Zeichen.«

Lisa zeigt den Kindern von Målgårn ihre Puppe und erzählt von ihrer zweiten, die die Wildschweine geholt haben, als sie sie draußen vergessen hat.

Dann bemerkt Lisa die hochschwangere Frau in weißer Strickjacke und geblümtem Kleid, die sich mit Elin unterhält. Lisa nimmt Elins Hand und betrachtet mit offenem Mund Ida Torsons Bauch.

»Jeden Moment«, sagt Ida. »Es wird ein Junge. Er soll Harald heißen oder vielleicht Gunnar.«

»Harald«, wiederholt Elin. »Ja, natürlich.«

»Gerdas Papa hieß Harald«, informiert Lisa.

»Ich weiß«, sagt Ida und streicht Lisa über das Haar. »Ich bin Haralds Schwester.«

Lisa ist sprachlos.

»Viel Glück!«, sagt Elin, als Idas Mann Vidar dazukommt und sich neben seine Frau stellt. Er ist außergewöhnlich breitschultrig und hat ein breites Kinn, aber dem Gerede der Leute zufolge ist er liebenswürdig. Er betrachtet Gerda, lächelt und legt den Kopf schief.

»Sieht aus wie ein kleiner Torson.«

»Bald kommt noch einer dazu«, sagt Ida und legt die Hände auf den Bauch, als müsste sie das Ungeborene festhalten.

»Er tritt«, sagt sie. Lisa blickt zu ihr auf.

Das Mädchen legt eine Hand auf Idas Bauch, und als es spürt, wie das Kind tritt, strahlt es über das gesamte Gesicht.

Der Kaffee und die Torten werden hereingetragen, zwei Tische zusammengeschoben und auf den Tisch ein Stuhl gestellt, auf dem Elin Platz nimmt. Vagn reicht ihr die Gitarre und es wird still im Saal. Gerda liegt ruhig in Annas Armen.

»Frans hat mir das Gitarrespielen beigebracht«, sagt Elin mit kräftiger, klarer Stimme. »Er hat mir gezeigt, wie man spielt, als ich noch nicht einmal den Gitarrenhals umfassen konnte, und er hat mir die Griffe gezeigt, während ich auf seinem Schoß saß. Ihm verdanke ich es, dass ich Gedichte so mag, und er war es, der gesagt hat, dass ich das eine mit dem anderen verbinden soll. Vor einem Jahr hat er mir diesen Text hier gezeigt und ich habe die Musik dazu geschrieben. Er hat gesagt, dass ich es auf seiner Beerdigung spielen soll.«

Sie beugt sich über die Gitarre, und während sie singt, senkt Anna den Kopf und küsst Gerda auf die Stirn.

Nobody heard him, the dead man,

But still he lay moaning:

I was much further out than you thought

And not waving but drowning.

Poor chap, he always loved larking

And now he’s dead

It must have been to cold for him his heart gave way,

They said.

Oh, no, it was too cold always

(Still the dead one lay moaning)

I was too far out all my life

And not waving but drowning.

Anschließend brechen die Leute auf. Die Nachmittagskälte breitet sich unter dem immer blauer strahlenden Himmel aus. Elin nimmt Gerda auf den Arm und geht zum Friedhof. Sie geht an Frans’ Grab vorbei und weiter zu der Stelle, wo Harald liegt. Gerda gluckst vor sich hin und streckt ihre Finger nach dem Gesicht der Mutter aus.

Haralds Grab hat einen Stein aus Granit bekommen, so groß wie ein Zehnlitereimer. Elin streicht dem Kind über den Kopf und steht eine Weile da. Dann kehrt sie zum Gemeindehaus zurück, legt das Kind in Annas Arme und steigt in den Sattel. Sie reitet vor den anderen nach Hause, ohne sich umzusehen.

4

Lisa kriecht unter die Decke und Anna sitzt auf der Bettkante.

»Warum lebt man?«, will das Mädchen wissen.

Anna hält einen Moment inne, bevor sie antwortet. Lisa wird ungeduldig und wiederholt die Frage:

»Warum lebt man?«

»Weil man geboren wurde.«

»Aber warum wurde man geboren?«

»Weil die Menschen Kinder haben wollen.«

»Warum wollen sie das?«

Anna streicht ihr über die Wange.

»Weil es schön ist mit Kindern.«

Lisa runzelt die Stirn.

»Du und Papa konntet doch nicht wissen, ob es schön mit mir werden würde.«

»Nein, das stimmt.«

»Und manchmal bin ich nicht nett.«

»Das stimmt auch.«

Lisa lächelt.

»Und manchmal bist du nicht nett.«

»Das stimmt wirklich.«

Lisa schweigt eine Weile, bevor sie weiterspricht:

»Glaubst du an Gott?«

»Nein.«

»Glaubt Elin an Gott?«

»Ich glaube nicht.«

»Und Vagn?«

»Vagn glaubt nicht an Gott.«

Lisa schweigt wieder. Dann fragt sie weiter:

»Wenn da jemand ist, der alles bestimmt, warum sollte er dann wollen, dass es Wildschweine gibt?«

»Das sind Fragen, die man denen stellen muss, die an Gott glauben.«

»Kennen wir jemanden?«

»Nicht, dass ich wüsste. Der Pfarrer, der Großvater begraben hat, natürlich, aber den kennen wir kaum.«

»Warum wollte Großvater von einem Pfarrer begraben werden, wenn er nicht an Gott geglaubt hat?«

»Vielleicht, weil es ihm richtig vorkam.«

»Wie kann es einem richtig vorkommen, von einem Pfarrer begraben zu werden, wenn man nicht an Gott glaubt?«

»Ich weiß nicht, was er dachte.«

»Du hättest ihn fragen müssen.«

»Es gibt vieles, was ich hätte fragen sollen.«

»Da war ein alter Mann, der gesagt hat, dass Großvater ein Weiberheld war.«

»Was war das für ein Mann?«

»Er war groß und trug eine Kappe und mit dem einen Auge stimmte was nicht. Es war, als ob das Augenlid runterhing.« Lisa legt den Zeigefinger auf ihr rechtes Augenlid und zieht es herunter. »Weißt du, wer das war?«

»Ja«, antwortet die Mutter.

»Warum hat er gesagt, dass Großvater ein Weiberheld war?«

»Ich weiß es nicht.«

»Was ist ein Weiberheld?«

»Jemand, der Frauen mag.«

»Ist Papa ein Weiberheld?«

»Das glaube ich nicht.«

»Aber er mag dich.«

»Das stimmt. Vielleicht ist er also doch ein Weiberheld.«

»Wie alt werde ich sein, wenn du stirbst?«

»Keine Ahnung.«

»Aber ungefähr.«

»Das kann man nicht wissen.«

»Warum nicht?«

»So ist das Leben. Wir wissen morgens nicht, was bis zum Abend passieren wird.«

»Wusste Großvater, dass er sterben wird?«

»Ja.«

»Hatte er Angst?«

»Ich glaube nicht.«

»Jetzt liegt er unter der Erde.«

»Ja.«

»Schade, dass ich nicht an Gott glaube.«

»Warum?«

»Wenn ich an Gott glauben würde, könnte ich daran glauben, dass Großvater und ich uns im Himmel wiedertreffen. Wir könnten jeder auf seiner Wolke sitzen und er könnte mit den Engeln singen. Er wäre doch bestimmt auch im Himmel Spielmann geworden. Könnte ich heute Nacht sterben?«

»Das ist nicht anzunehmen.«

»Woher weißt du das?«

»Ich weiß gar nichts, aber es ist einfach unwahrscheinlich.«

»Also glaubst du nicht, dass ich heute Nacht sterbe?«

»Ich bin sicher, dass du in ungefähr acht Stunden aufwachen wirst, und dann wirst du dich hinsetzen, um ungefähr zwanzig spanische Vokabeln zu lernen, und du wirst die Bildwand anschalten und mit all deinen Freunden in all deinen Sprachen sprechen.«

»Ich kann Schwedisch, ein bisschen Englisch und ein kleines bisschen Spanisch.«

»Und außerdem kannst du auf den Händen gehen, Gleichungen lösen und auf Black reiten.«

»Und ich bin erst acht.«

»Genau. Und wenn man erst acht ist, muss man um diese Uhrzeit längst schlafen.«

Lisa lacht.

»Sag Papa, dass er noch kommen und mich in den Arm nehmen soll.«

5

Draußen vor dem Fenster ist es dunkel und Gerda und Lisa schlafen. Anna, Gunnar und Elin sitzen am Küchentisch, auf den Vagn eine Teekanne und einen Teller mit Mandelgebäck stellt.

»Es war eine schöne Beerdigung«, sagt Gunnar und sieht seine Frau an.

Sie nickt.

»Morgen früh werde ich den Stein bestellen.«

»Was wollte er darauf haben?«

»Den Namen und das Datum.«

Vagn gießt ihnen Tee ein und Anna nimmt einen Mandelkeks, beißt die Hälfte ab und gibt Elin den Rest. Die wendet das Gebäckstück in der Hand, als würde sie überlegen, was sie damit machen soll.

»Lisa hat gefragt, warum man lebt«, erzählt Anna.

Elin steckt den Keks in den Mund.

»Die Beerdigung hat natürlich Fragen aufgeworfen.«

»Habt ihr Hammars Gesicht gesehen, als Lina getanzt hat?«

Vagn zerkleinert seinen Keks sorgfältig mit mahlenden Kiefern, als ob er ihn zu Pulver verarbeiten wollte. Anna nickt und nimmt noch einen Mandelkeks. Elin kommt ihr rasch zuvor:

»Den kannst du selbst essen.«

Anna beißt die Hälfte ab, schluckt und gibt den Rest an Vagn, der den Keks in den Mund stopft, während der Dackel mit dem Schwanz wedelt, und der Jämthund sabbernd bettelt.

Gunnar legt den Kopf schief und sieht seine Frau an.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!