Subjektive Theorien zum Selbstverständnis der Rolle als Schülerberater / in an Heilstättenschulen - Jürgen Bauer - E-Book

Subjektive Theorien zum Selbstverständnis der Rolle als Schülerberater / in an Heilstättenschulen E-Book

Jürgen Bauer

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Beschreibung

Diplomarbeit aus dem Jahr 2008 im Fachbereich Pädagogik - Heilpädagogik, Sonderpädagogik, Note: 1,0, Universität Salzburg (Kultur- und Gesellschaftswissenschaftlichen Fakultät, Fachbereich Erziehungswissenschaft), Sprache: Deutsch, Abstract: In der vorliegenden Untersuchung wird die Rolle der SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen unter Verwendung des Dialog-Konsens-Verfahrens nach dem Forschungsprogramm "Subjektive Theorien" mit Hilfe der Subjektiven Theorien von SchülerberaterInnen an Heilstätten- und Klinikschulen untersucht. Die Ideen und Bilder, die die Untersuchungspersonen über ihre Tätigkeiten im Kopf haben, werden mit Hilfe der Struktur-Lege-Methode visualisiert und im Anschluss kodiert, ausgewertet und interpretiert. Als Basis dient ein Telefoninterview, das die vier Teilkonstrukte "Förderliche/hemmende Aspekte in der Schülerberatung", "Schullaufbahnberatung", "Abgrenzung der Beratung / Grenzziehung zwischen Beratung und Therapie (Rollenkonflikt)" und "Koordination der einzelnen Berufsgruppen und deren Funktion im Hinblick auf fließende Kommunikation" untersucht. Die Subjektiven Theorien werden aufgrund der geringen Zahl der SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen in Österreich mit Hilfe von zwei SchülerberaterInnen an österreichischen Heilstättenschulen und zwei SchülerberaterInnen an Klinikschulen im süddeutschen Raum erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schülerberatung an diesem so speziellen Schultyp als notwendig erachtet wird und in der täglichen Arbeit mit den erkrankten Kindern und Jugendlichen ihre Relevanz hat. Die SchülerberaterInnen nehmen klar dazu Stellung, dass sie sich nicht als Konkurrenz zu den TherapeutInnen sehen und auch nicht als solche wahrgenommen werden. Weiters gelingt es ihnen, förderliche und hemmende Aspekte der Schülerberatung an Heilstättenschulen klar zu benennen und die sich daraus entwickelnden kontrastierenden Handlungstypen klar zu unterscheiden. Die Wichtigkeit der Schullaufbahnberatung, als Teilaspekt der Schülerberatung, wird ebenso klar aufgezeigt und anhand von Beispielen belegt. Somit zeigt sich, dass mit Hilfe der Subjektiven Theorien die Rolle der SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen nicht nur erstmalig aufgezeigt, sondern gestärkt werden kann. Die Funktion der SchülerberaterInnen an diesem Schultyp wird als positiv und notwendig erachtet.

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Dank

Für die vielen fachlichen Inputs, die Anregungen, die Zeit, der entgegenbrachten Motivation und die Unterstützung bei der Erstellung der vorliegenden Masterarbeit danke ich meiner Betreuerin Frau Mag.a Dr.in Angela Gastager, meinen KollegInnen an der Heilstättenschule Salzburg, wobei hier namentlich speziell Frau Mag.a Dr.in Gabriele Wick und Frau Dipl.-Päd. Christina Sammern zu nennen sind, die maßgeblich bei der Untersuchung mitgearbeitet haben und bei Frau Dipl.-Päd. Astrid Daschil für die Korrekturarbeit. Speziell möchte ich Frau Martina Mlekus für ihre Hilfe und die Motivation danken. Mein Dank gilt auch den vier Untersuchungspersonen, ohne die diese Arbeit nicht möglich gewesen wäre. Ein spezieller Dank gilt Herrn Sonderschullehrer Michael Klemm, Frau Ramona Brodbeck und Herrn Dipl.-Päd. Andreas Radner für die Unterstützung und den Gedankenaustausch. Bedanken möchte ich mich auch beim interdisziplinären Team der Psychosomatikstation und dem Team der Kinder- und Jugendmedizin im Landeskrankenhaus Salzburg, sowie bei den LeiterInnen und KollegInnen der Heilstättenschulen Österreichs, die meine Anfragen beantwortet haben, allen voran bei der Leiterin der Heilstättenschule Salzburg Fr. SD Dietlinde Schöberl. Mein Dank gilt auch dem Leiter der Abteilung Schulpsychologie-Bildungsberatung MinRat Mag. DDr. Franz Sedlak und seinem Mitarbeiter Dr. Gerhard Krötzl.

Ein spezieller Dank gilt meiner Frau Mag.a Angelika Bauer-Prieger und meinem Sohn Lukas, die mich oft entbehrt haben, mir den Rücken frei gehalten und mich immer auf das Neue motiviert haben. Ohne die Unterstützung meiner Eltern Herbert und Margarete Bauer wäre die Absolvierung dieses Studiums nie möglich gewesen. Vielen Dank für eure mentale und monetäre Unterstützung!

Jürgen Bauer

Vorwort

„‚Die Leute‛, sagte der kleine Prinz, ‚schieben sich in die Schnellzüge, aber sie wissen gar nicht, wohin sie fahren wollen. Nachher regen sie sich auf und drehen sich im Kreis…‛“ (Saint-Exupéry de, 1992, S. 78). Wie oft passiert es, dass es uns so geht, wie es de Saint-Exupéry es den kleinen Prinzen sagen lässt? Fahren wir nicht oft einfach in die eine oder andere Richtung, ohne das Ziel zu kennen? Gerade wenn es um die berufliche Zukunft geht, scheint diese Tendenz trotz Berufsorientierung und –beratung anzuhalten. Kinder und Jugendliche erträumen sich nicht selten ihren Traumberuf und die damit verbundene Schul- und Berufsausbildung. Unerwartet und aus heiterem Himmel erkranken manche von ihnen schwer, manche auch chronisch. Die Erkrankung macht ihnen einen Strich durch die Lebensplanung, so mancher Traum wird zerstört. Doch wer kann hier helfen? Es sind viele kleine Schritte, nicht unbedingt ein Wechsel in den Schnellzug, der in die entgegen gesetzte Richtung fährt. Vielmehr können ein langsameres Tempo und der entsprechende Fahrplan der erste Schritt zum Ziel sein. Auf diesem Weg werden erkrankte Kinder und Jugendliche von einer Zahl Erwachsener begleitet. Einen Teil des Weges gehen die SchülerberaterInnen an Heilstätten- und Klinikschulen.

Um dem Genderaspekt Rechnung zu tragen, werden in der vorliegenden Arbeit beiderlei Geschlechter angeführt, wobei der Begriff SchülerInnenberatung in den Erlässen nicht existent ist und daher der gängige Begriff Schülerberatung verwendet wird, allerdings die Beratung von Kindern und Jugendlichen beiderlei Geschlechts impliziert. Aus Gründen der Formulierung und Grammatik muss im Text wie auch im Interviewleitfaden stellenweise von der Schreibweise „Innen“ abgewichen werden. An dieser Stelle wurden beide Formen angeführt.

Schlüsselwörter:

Zusammenfassung

In der vorliegenden Untersuchung wird die Rolle der SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen unter Verwendung des Dialog-Konsens-Verfahrens nach dem Forschungsprogramm „Subjektive Theorien“ mit Hilfe der Subjektiven Theorien von SchülerberaterInnen an Heilstätten- und Klinikschulen untersucht. Die Ideen und Bilder, die die Untersuchungspersonen über ihre Tätigkeiten im Kopf haben, werden mit Hilfe der Struktur-Lege-Methode visualisiert und im Anschluss kodiert, ausgewertet und interpretiert. Als Basis dient ein Telefoninterview, das die vier Teilkonstrukte „Förderliche/hemmende Aspekte in der Schülerberatung“, „Schullaufbahnberatung“, „Abgrenzung der Beratung / Grenzziehung zwischen Beratung und Therapie (Rollenkonflikt)“ und „Koordination der einzelnen Berufsgruppen und deren Funktion im Hinblick auf fließende Kommunikation“ untersucht. Die Subjektiven Theorien werden aufgrund der geringen Zahl der SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen in Österreich mit Hilfe von zwei SchülerberaterInnen an österreichischen Heilstättenschulen und zwei SchülerberaterInnen an Klinikschulen im süddeutschen Raum erfasst. Die Ergebnisse zeigen, dass die Schülerberatung an diesem so speziellen Schultyp als notwendig erachtet wird und in der täglichen Arbeit mit den erkrankten Kindern und Jugendlichen ihre Relevanz hat. Die SchülerberaterInnen nehmen klar dazu Stellung, dass sie sich nicht als Konkurrenz zu den TherapeutInnen sehen und auch nicht als solche wahrgenommen werden. Weiters gelingt es ihnen, förderliche und hemmende Aspekte der Schülerberatung an Heilstättenschulen klar zu benennen und die sich daraus entwickelnden kontrastierenden Handlungstypen klar zu unterscheiden. Die Wichtigkeit der Schullaufbahnberatung, als Teilaspekt der Schülerberatung, wird ebenso klar aufgezeigt und anhand von Beispielen belegt. Somit zeigt sich, dass mit Hilfe der Subjektiven Theorien die Rolle der SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen nicht nur erstmalig aufgezeigt, sondern gestärkt werden kann. Die Funktion der SchülerberaterInnen an diesem Schultyp wird als positiv und notwendig erachtet.

Inhaltsverzeichnis

 

Dank

Vorwort

Zusammenfassung

1 Fragestellung

2 Schultyp Heilstättenschule

2.1 Stellenwert der Heilstättenschule innerhalb der Heilpädagogik

2.2 Allgemeine Hinführung

2.3 Definition

2.4 Konzepte der Heilstättenschule

2.4.1 Allgemeines

2.4.2 Historischer Hintergrund

2.4.3 Gesetzliche Grundlagen

2.4.4 Organisation und Unterrichtsformen

2.4.5 Aufgaben und Ziele

2.4.6 HeilstättenlehrerInnen-Ausbildung

2.4.7 Standorte

2.4.8 Interdisziplinäre Zusammenarbeit

2.5 Zusammenfassung und Ausblick

3 Schülerberatung

3.1 Beratung

3.1.1 Definition

3.1.2 Ziele

3.1.3 Beratungskompetenz

3.1.4 Beratungsgespräch

3.1.5 Pädagogische vs. psychologische Beratung

3.1.6 Abgrenzung zur Therapie

3.1.7 Praktische Aspekte der Beratung

3.1.8 Beratung an Heilstättenschulen

3.2 Konzepte der Schülerberatung

3.2.1 Grundsatzerlass

3.2.2 Aufgaben und Ziele

3.2.3 Gesetzliche Grundlagen

3.2.4 Organisation

3.2.5 Zusammenarbeit mit Beratungsdiensten

3.2.6 Qualifikation, Aus- und Weiterbildung

3.2.7 Fachliche Betreuung und Schulaufsicht

3.2.8 Spezielle Situationen an Heilstättenschulen

3.3 Aufgaben und Wahrnehmung der unterschiedlichen Rollen

3.3.1 Rolle als LehrerIn

3.3.2 Rolle als BeraterIn

3.4 Zusammenfassung und Schlussfolgerung

4 Subjektive Theorien der SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen und ihre Rolle

4.1 Konstrukt „Das Selbstverständnis der Rolle als SchülerberaterIn an Heilstättenschulen“

4.2 Teilkonstrukte

4.2.1 Förderliche/hemmende Aspekte in der Schülerberatung

4.2.2 Schullaufbahnberatung

4.2.3 Abgrenzung der Beratung / Grenzziehung zwischen Beratung und Therapie (Rollenkonflikt)

4.2.4 Koordination der einzelnen Berufsgruppen und deren Funktion im Hinblick auf fließende Kommunikation

4.3 Rollenkonflikt

4.4 Ansatz der Subjektiven Theorien

4.4.1 Subjektive Theorien

4.4.2 Dialog-Konsens-Verfahren

4.4.3 Interview

4.4.4 Strukturlegemethode

4.5 Zusammenfassung

5 Hypothesen

6 Methoden

6.1 Untersuchungspersonen

6.2 Beschreibung der Durchführung / Untersuchungsbedingungen

6.2.1 Voruntersuchung

6.2.2 Interviews

6.2.3 Strukturlegetechnik

6.2.4 Inhaltsanalyse

7 Ergebnisse

7.1 Ergebnisse zur Hypothese 1

7.2 Ergebnisse zur Hypothese 2

7.3 Ergebnisse zur Hypothese 3

7.4 Ergebnisse zur Hypothese 4

7.5 Ergebnisse zur Hypothese 5

7.6 Ergebnisse zur Hypothese 6

8 Diskussion

8.1 Allgemeine Diskussion der Ergebnisse

8.2 Resümee

8.3 Prognose

8.4 Fazit

Literatur

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

Anhang

A. UNESCO Charta für Kinder im Krankenhaus

B. FRIEDRICH’SCHE Charta an Heilstättenschulen

C. Grundsatzerlass Schülerberatung ASO

D. Interviewprotokolle

E. Liste vorstrukturierter Elemente

F. Strukturbilder

G. Excel-Matrizen

H. Detailauswertungen zur Hypothese 5

 

1 Fragestellung

In der folgenden Arbeit wird mit Hilfe des Konzepts der Subjektiven Theorie das Selbstverständnis der Rolle als SchülerberaterIn an Heilstättenschulen erforscht. Als Schülerberater an der Heilstättenschule Salzburg gehe ich davon aus, dass die Funktion der SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen unumgänglich ist. Freilich könnte man die Betrachtung anstellen, ich müsse von diesem Selbstverständnis und meiner Rolle überzeugt sein, würde ich mich sonst ja selbst in dieser Funktion „wegrationalisieren“. Vielmehr geht es mir jedoch nicht darum, eine Position, ein „Amt“, eine Funktion, eine Rolle im System zu besetzen, sondern aufzuzeigen, dass die Tätigkeiten und somit auch die Rolle nicht nur wichtig, sondern letztendlich notwendig ist. Den Ausgangspunkt der Subjektiven Theorien haben diese in der Frage, was die Untersuchungspersonen, in diesem Fall SchülerberaterInnen an Heilstättenschulen, durch den Kopf geht, wenn sie sich mit der Schülerberatung und Schullaufbahnberatung befassen (vgl. Gastager, 2003, S. 100). Die Frage, ob die Schülerberatung an diesem doch so speziellen Schultyp notwendig ist, lässt sich im Prinzip ganz einfach klären. Einige KollegInnen und Schulleiterinnen der Heilstättenschulen in Österreich sind der Meinung, dass die Funktion von den SchülerberaterInnen an den Herkunftsschulen übernommen werden kann und soll, andere wiederum nehmen die gegenteilige Position ein. Auch ich gehöre mit großer Überzeugung zu der Gruppe, die sich für die Rolle als Schülerberater einsetzt. Die Subjektive Theorie, dass die Rolle der Schülerberaterin bzw. des Schülerberaters eine immens wichtige ist, soll erforscht werden. Dafür ist es notwendig, einige Grundbegriffe zu erläutern. So erscheint es mir wichtig, neben den Begriffen der Beratung und insbesondere der Schülerberatung auch näher auf heilpädagogische Aspekte in ihrer Vielfalt und der speziellen Schulform der Heilstättenschulen einzugehen.

2 Schultyp Heilstättenschule

 

Wenn ich gefragt werde, wo ich unterrichte und die Antwort, „In der Heilstättenschule.“, gebe, ernte ich überraschte, ungläubige und teils verwirrte Blicke. Die Heilstättenschule ist den meisten Menschen nicht bekannt. Auch wenn ich Kontakt mit LehrerInnen aus Regelschulen habe, stelle ich fest, dass auch viele meiner KollegInnen diesen Schultyp nicht kennen. Dies ist kein unbekanntes Phänomen:

 

Wer den Begriff 'Krankenhausschule' zum ersten Mal hört, verbindet mit dem Unterricht in einer Klinik nach unseren Erfahrungen meist recht unrealistische Vorstellungen. Manchen überrascht die Tatsache, daß Patienten mit einer sehr ernsten, lebensbedrohlichen Krankheit (z.B. Leukämie, bösartigem Tumor) zeitweise mit recht gutem Erfolg am Unterricht teilnehmen können. Nicht so sehr die Schwere der Erkrankung gibt hierbei den Ausschlag als vielmehr die augenblickliche Verfassung des Patienten. Selbst schwerkranke Schüler können nach Schulunterricht verlangen. (Bergmann, 1980, S. 34)

 

Die Heilstättenschule orientiert sich an den Bedürfnissen ihrer SchülerInnen. „Der schulpflichtige Patient, der einen längeren Klinikaufenthalt durchstehen muß, braucht daher seine eigene Schule: Die Krankenhausschule. Sie bietet ihm die besondere Chance, auch im Krankenhaus sein Recht auf Bildung wahrnehmen zu können.“ (Bergmann, 1980, S. 9) Die Krankenhausschule, Klinikschule, Schule für Kranke oder Heilstättenschule, wie sie in Österreich genannt wird, stellt einen ganz besonderen Schultyp dar. Sie ermöglicht es, Kindern und Jugendlichen, die stationär in einem Krankenhaus aufgenommen werden, Unterricht zu erfahren. Es gibt auch Formen, wo SchülerInnen von zu Hause die Heilstättenschulen besuchen, wenn es eine Tagesambulanz gibt. Dieser spezielle Schultyp besitzt vielfältige Aufgaben, auf die in der Folge eingegangen wird. Eines sei hier aber vorweggenommen: „Neben allen Sorgen, welche die Krankheit verursacht, haben schulpflichtige Patienten und ihre Eltern oft auch Befürchtungen in schulischer Hinsicht.“ (Bergmann, 1980, S. 10) Die Krankheit steht zwar im Vordergrund, dennoch geht es um die Absolvierung der Schulpflicht und um den positiven Abschluss der jeweiligen Schulstufe. Diese Sorgen können mit Hilfe dieses Schultyps ausgeräumt werden. Klar ist, dass Unterricht nur dann zuzumuten ist, wenn es, in Absprache mit dem ÄrztInnen- und Pflegeteam, die Situation der jeweiligen PatientIn zulässt (vgl. Bergmann, 1980, S. 10). Darum ist die Heilstättenschule, Schule für Kranke, Krankenhausschule, Klinikschule oder wie immer sie auch in den jeweiligen Ländern genannt wird, so speziell. Nicht nur, dass die SchülerInnen besondere Bedürfnisse haben, auch die LehrerInnen müssen über die jeweiligen Bedürfnisse informiert sein. Dies verlangt einen intensiven Informationsaustausch im interdisziplinären Team. Die Schule holt aber auch ein Stück weit Alltag in die Klinik:

 

Ein guter, am Patienten orientierter Unterricht läßt manchen Schmerz vergessen, wirkt Ängsten entgegen und stärkt das Selbstbewußtsein. Dadurch wird er von sich aus den Gesundungsprozeß beschleunigen und – sekundär – einer Art Therapie gleichkommen. (Bergmann, 1980, S. 10)

 

Im Folgenden wird versucht, die Heilstättenschule in den großen Bereich der Heilpädagogik einzuordnen.

 

2.1 Stellenwert der Heilstättenschule innerhalb der Heilpädagogik

 

Um die Positionierung der Heilstättenschulen innerhalb der Heilpädagogik erfassen zu können, muss zunächst erläutert werden, wie Heilpädagogik definiert wird, welchen Stellenwert sie in der Pädagogik bzw. der Erziehungswissenschaft einnimmt und welche Aufgaben sie hat.

 

Kobi definiert Heilpädagogik wie folgt: „Heilpädagogik umfasst Praxis, Erforschung/Reflexion, Theorie und Lehre der Erziehung und Bildung in beeinträchtigten Erziehungs- und Bildungsverhältnissen.“ (Kobi, 1977, S. 5)

 

Kobi gliedert die Heilpädagogik in drei Bereiche (vgl. ebenda):

 

 Allgemeine Heilpädagogik

 

 Spezielle Heilpädagogik

 

 Heilerziehung

 

In der Allgemeinen Heilpädagogik werden die Grundfragen behandelt. Die Spezielle Heilpädagogik beschäftigt sich mit den Behinderungsformen und die Heilerziehung mit den unterschiedlichen Aufgabenfeldern.

 

Asperger spricht von fünf Disziplinen der Heilpädagogik:

 

Mit der Entwicklung der Heilpädagogik ging es etwas anders als mit anderen Wissenschaftsgebieten, die sich durch Spezialisierungen von einzelnen „Mutterwissenschaften“ abspalteten, wie etwa die Kinderheilkunde von der Inneren Medizin. Hier sind es vielmehr fünf Wissenschaften, welche die Quellströme der heilpädagogischen Lehre bilden: zwei ärztliche Sondergebiete, die Psychiatrie und die Kinderheilkunde, dann die Psychologie, die Sozialwissenschaft und die Pädagogik. (Asperger, 1956, S. 1)

 

Asperger weist darauf hin, dass keine der oben angeführten Wissenschaften das Wesen der Heilpädagogik voll umfasst (vgl. ebenda). Kobi versucht die Begriffe Heilpädagogik und Heilerziehung möglichst eng und genau zu erfassen: „Heilpädagogik bezeichnet den theoretisch-wissenschaftlichen, Heilerziehung den praktisch-methodischen Aspekt jenes Spezialgebietes der Pädagogik (Erziehungswissenschaft), auf welchem wir uns mit gestörten, beeinträchtigten oder gefährdeten Erziehungsverhältnissen befassen. Was im Einzelfall als Beeinträchtigung gilt, ist von sozialen und individuellen Normvorstellungen abhängig.“ (Kobi, 1977, S. 6) Somit wird klar, dass sich die Heilpädagogik als Wissenschaft versteht, wohingegen die Heilerziehung als praktisches Tun zu verstehen ist. Plaute und Theunissen setzen sich Jahre später mit dem Begriff Heilpädagogik auseinander und betrachten ihn im Licht der Erziehungswissenschaft:

 

Bis zum heutigen Tag ist „Heilpädagogik“ eine umstrittene, oberste Fachbezeichnung. Deswegen existieren mehrere Parallelbegriffe wie Sonderpädagogik, Behindertenpädagogik, spezielle Pädagogik, Integrationspädagogik oder – neuerdings wieder – Rehabilitationspädagogik. Ihr gemeinsamer Bezugspunkt ist die Theorie und Praxis der Erziehung, Bildung und Förderung von Menschen, die als behindert, verhaltensauffällig oder entwicklungsgestört beschrieben und bezeichnet werden. (Plaute & Theunissen, 1995, S. 25)

 

Kobi beschäftigt sich mit dem Begriff der Heilerziehung und definiert diesen wie folgt:

 

Heilerziehungbezeichnet jene Sparte der Erziehungspraxis, welche sich mit Kindern und Jugendlichen beschäftigt, die in ihrer Erziehbarkeit und Bildbarkeit dauernd oder über längere Zeit beeinträchtigt sind. Heilerziehung umfasst ferner die Arbeit mit Eltern, die von vornherein oder vis-à-vis der Problematik eines behinderten Kindes ihrer Erziehungsaufgabe nicht gewachsen sind. (Kobi, 1955, S. 15)

 

Die Erziehbarkeit wie auch die Bildbarkeit sind durch Krankheit und Krankenhausaufenthalt zum Teil beeinträchtigt. Dennoch ist es möglich, die jungen PatientInnen dahingehend zu unterstützen. Ganz so dramatisch, wie es Kobi ausdrückt, kann die Aussage, dass die Eltern eines behinderten oder auch chronisch kranken Kindes ihrer Erziehungsaufgabe nicht gewachsen seien, wohl nicht gesehen werden. Dass diese aber einer Unterstützung und Begleitung bedürfen, darauf ist noch genauer einzugehen. Zuvor sind die Begriffe Gesundheit, Krankheit und ihre Formen sowie der Begriff „krank sein“ noch differenzierter zu betrachten.

 

Es gibt eine Vielzahl von Definitionen der Begriffe Gesundheit und Krankheit: „Gesundheit bezieht sich auf den allgemeinen Zustand von Leib und Seele, auf deren Unversehrtheit und Vitalität. Gemeint ist nicht lediglich die Abwesenheit von Krankheit oder Verletzung, sondern vielmehr die volle Funktionsfähigkeit aller Teile des Körpers.“ (Zimbardo, 1995, S. 567)

 

Krankheit kann man im Hinblick auf die oben dargestellten Definitionen so kennzeichnen: Krankheit ist dann gegeben, wenn der Zustand des vollkommenen körperlichen und/oder geistigen und/oder sozialen Wohlbefindens nicht gegeben und/oder ein Gebrechen irgendeiner Art vorhanden ist. In dieser Arbeit geht es nicht darum, sich mit dem Entstehen, also den Ursachen der Krankheit, zu beschäftigen. Wohl aber spielt die Dauer einer Krankheit eine entscheidende Rolle. Wir unterscheiden zwischen akuter und chronischer Krankheit. Ist die Zahl der chronisch erkrankten Kinder wirklich so groß? Laut Kimmig, Ärztin an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am UKT (Universitätsklinikum Tübingen), sind etwa 10 – 15% der Kinder im Schulalter chronisch krank und etwa die Hälfte dieser Kinder und Jugendlichen dadurch im Schulalltag auch beeinträchtigt (vgl. Kimmig, 2006). Chronisch krank zu sein, bedeutet, dass die Krankheit unter Umständen langwierig, unheilbar und somit bis zum Lebensende besteht oder im schlimmsten Fall ungünstig im Sinne von lebensbedrohlich, also infaust ist. In diesem Fall ist mit einem Ableben zu rechnen. „Chronische Krankheit und Behinderung sind keine vorübergehenden Zustände.“ (Leyendecker & Lammers, 2001, S. 15) Was das für Kinder und Jugendliche zu bedeuten hat, kann man sich vorstellen. Ein „normales“ Leben, eine unbeschwerte Kindheit und Jugend ist nicht möglich. Dass dieser Zustand auch Auswirkung auf die weitere Lebensplanung, also die Schul- und Berufslaufbahn haben wird, scheint unbestritten.

 

Eine Person ist krank, wenn die oben angeführte Definition zutrifft. Man darf nicht vergessen, dass Kinder und Jugendliche relativ häufig erkranken, denkt man an die typischen Kinderkrankheiten oder einen grippalen Infekt. Allerdings sind die Erkrankten normalerweise nach relativ kurzer Zeit wieder fit, besuchen die Schule und können auch wieder ihrem gewohnten Freizeitverhalten nachgehen.

 

In der vorliegenden Arbeit werden nicht nur somatische, sondern auch psychosomatische und psychische Erkrankungen betrachtet, wobei nicht speziell, sondern nur bei Bedarf auf die Krankheitsbilder eingegangen wird.

 

Es wird also vielmehr der Aspekt der Krankenpädagogik betrachtet, deren Aufgaben Schmitt im Hinblick auf schulische Belange folgendermaßen beschreibt:

 

Sonderpädagogische Aufgaben schulischer Krankenpädagogik sind

 

1. nachweisbar aus der Wahrnehmung der psychischen Verfassung kranker Kinder und Jugendlicher,

2. begründbar durch den Auftrag der Integration kranker Kinder und Jugendlicher und

3. beschreibbar als interdisziplinär vernetzte individuelle Hilfe für kranke Kinder und Jugendliche. (Schmitt, 1998, S. 185)

 

Polzer beschreibt die Aufgabe der Krankenpädagogik so: „Krankenpädagogik zielt in keinem Falle auf ein moralisierend geleitetes Umerziehen oder Bessermachen. Es geht beim Umgang mit kranken Schülern um das innere Mitvollziehen des bisweilen ins Existentielle reichenden Leidensprozesses.“ (Polzer, 1997, S. 45) Nicht selten handelt es sich um PatientInnen, deren Leben massiv eingeschränkt ist oder die lebensbedrohlich erkrankt sind.

 

Auch Schierer, die Leiterin der Wiener Heilstättenschule, umschreibt Pädagogik bei Krankheit:

 

Pädagogik bei Krankheit, eingebettet in die Sonderpädagogik, hat sich zur Aufgabe gemacht, Kinder, die in risikoreichen Lebensumständen eine Zeitlang verharren, in ihrem Lernen und Verhalten zu stärken. Dabei war nie die Defizitorientierung handlungsbestimmend, sondern immer die Orientierung auf die Kompetenz: Von den HeilstättenlehrerInnen ist festzustellen, womit sich das Kind gerne beschäftigt, woran es Freude hat. Verbale und nonverbale Ausdrucksmöglichkeiten sind zu fördern und dadurch Lern- und Verhaltensleistungen zu optimieren, bzw. das gesamtpersönliche Potential auszuschöpfen. Die Heilstättenschule agiert mit dem Ziel, altersangemessene Fähigkeiten zu entwickeln, freizulegen und zu fördern. (Schierer, 2006, S. 1)

 

Somit muss an dieser Stelle auch die Frage gestellt werden, wer die Zielgruppe der Schülerberatung an Heilstättenschulen ist. Es handelt sich dabei um SchülerInnen, die ihre Pflichtschulzeit noch nicht erfüllt haben und stationär in einem Krankenhaus aufgenommen werden. Dies kann aber nicht verallgemeinert werden. Heilstättenschulen in Österreich werden als Sonderschulen geführt und gehören zu den Pflichtschulen. Somit ist es gesetzlich geregelt, dass nur jene SchülerInnen unterrichtet werden, die ihre Schulpflicht noch nicht erfüllt haben. Es gibt bereits ein Pilotprojekt, das den Unterricht von nicht mehr schulpflichtigen Jugendlichen ermöglicht. Auch in Salzburg wird an dieser Lösung gearbeitet. An den Schulen für Kranke bzw. an Klinikschulen in Deutschland können aufgrund einer anderen gesetzlichen Regelung SchülerInnen bis zur 13. Schulstufe unterrichtet werden.

 

Gegenstand der Heilpädagogik ist aber nicht das Kind allein oder dessen Beeinträchtigung, sondern vielmehr die beeinträchtigten Erziehungsverhältnisse. Diese beeinträchtigten Erziehungsverhältnisse sind nicht nur im einzelnen, sondern auch im Gesellschaftsganzen zu betrachten (vgl. Kobi, 1977, S. 6). Somit zeigt sich, dass bereits vor rund 30 Jahren ein für die vorliegende Fragestellung relevanter systemischer Ansatz verfolgt wurde und eine klientenzentrierte Ausrichtung nicht ausschließlich im Vordergrund stand. Auf die unterschiedlichen Beratungsansätze wird zu einem späteren Zeitpunkt noch näher eingegangen.

 

Die Heilstättenschule nimmt also einen relativ kleinen Bereich in der Heilpädagogik ein. Dennoch beschreiben auch Freud und Bergmann in ihrem Buch „Kranke Kinder“, dass es im Rainbow-Krankenhaus in South Euclid, einem Vorort von Cleveland täglich zwei Stunden Unterricht in kleinen Gruppen gab (vgl. Freud & Bergmann, 1972, S. 9). Unterricht von kranken Kindern und Jugendlichen an Kliniken scheint m. E. somit ein wichtiger, wenn auch einer Wandlung unterstehender Faktor im Bereich der Heilpädagogik zu sein.

 

2.2 Allgemeine Hinführung

 

Krankheit, insbesondere Krankenhausaufenthalte, sind nicht immer ganz einfach zu ertragen. Aber besonders für Kinder und Jugendliche sind Krankenhausaufenthalte prägend. Sie werden aus ihrer gewohnten Umgebung, aus dem sozialen Umfeld und aus ihrem Alltag herausgerissen und können je nach Schwere der Erkrankung und Aufenthaltsdauer länger nicht in ihr gewohntes Umfeld zurückkehren. Zum gewohnten sozialen Umfeld kann neben der Familie, der Freundeskreis, aber auch die Schule dazugezählt werden. „Das wichtigste soziale Umfeld für Kinder und Jugendliche ist die Schule. Es kann deshalb in den therapeutischen Überlegungen nicht unberücksichtigt bleiben, mit welchen schulischen Rückkoppelungen das kranke Kind oder der kranke Jugendliche möglicherweise konfrontiert sein werden.“ (Pfeiffer, 1998, S. 14) Wobei m. E. die Familie als wichtige Stütze nicht außer Acht gelassen werden darf. Ein stationärer Aufenthalt bedeutet aber nicht nur eine Belastung durch das veränderte Umfeld, sondern für schulpflichtige Kinder und Jugendliche, außer in Ferienzeiten, ein Fernbleiben vom Unterricht. Kurzfristig kann das für PatientInnen als angenehm empfunden werden. Je nach Krankheitsbild, wie etwa bei Schulphobie oder Mobbing wird die neue Lebenssituation ohne Schule sogar als befreiend empfunden. Klar ist, dass die Kinder und Jugendlichen über kurz oder lang unter Umständen nicht nur ihre sozialen Kontakte verlieren bzw. diese eingeschränkt werden, sondern ein Lerndefizit meist vorprogrammiert ist. Versäumte Lerninhalte und Leistungsfeststellungen hinterlassen oft nicht nur Wissenslücken und sorgen beim Wiedereinstieg in den Unterricht für Stress, sondern gefährden fallweise die Versetzung der SchülerInnen bzw. führen zur Umstufung in den Leistungsgruppen. Das schulische Fortkommen ist neben der psychischen wie auch physischen Belastung eine weitere Belastung, die Kinder und Erziehungsberechtigte in dieser Phase tragen (vgl. L. Bauer, 2001).

 

„Jetzt ist das arme Kind krank und dann soll es auch noch lernen oder gar eine Schularbeit schreiben!“ Immer wieder werde ich als Heilstättenlehrer mit solchen oder ähnlichen Aussagen konfrontiert. Kranke Kinder sollte man doch erst gesund werden lassen, bevor sie wieder mit Schule und Lernen konfrontiert werden. Das mag auf den ersten Blick auch stimmen, vor allem, wenn ein Kind z. B. an einer Grippe erkrankt ist und ein paar Tage später der gewohnte Alltag wieder seinen Platz hat. Bergmann schreibt über den Krankenhausunterricht: „Natürlich ist Schulunterricht im Krankenhaus nur zu verantworten, wenn ständig die persönliche Situation des Patienten berücksichtigt wird. Dabei sind die sonderpädagogischen Aspekte einzubeziehen und der Bildungs- und Wissensvermittlung überzuordnen.“ (Bergmann, 1980, S. 10) Klemm und Lebherz sehen die Schule unter folgendem Blickwinkel:

 

Sie ist für die Betroffenen ein Ort der Normalität, ein wichtiger Ort sozialer Kontakte außerhalb der oft engen Familienbande und sie vermittelt Zukunftsperspektiven. Daher wollen auch bei schwerer langwieriger Erkrankung Kinder und Jugendliche – das verstehen Erwachsene oft nicht – weiter Unterricht haben, sei es in der Klinik, durch Hausunterricht oder möglichst häufigen Schulbesuch. (Klemm & Lebherz, 2007, S. 18f)

 

Niethammer, der ehemalige geschäftsführende Direktor der Universitäts-Kinderklinik Tübingen, sagt in einem Interview mit Pfeiffer auf die Aussage, dass sie erstaunt sei, wie wichtig die Schule für kranke Kinder sei, Folgendes:

 

Dies hat aus meiner Sicht mehrere Aspekte. Erstens sind die Kinder, aber auch ihre Eltern durch die Krankheit stark verunsichert. Sie suchen nach Stabilität. Und dabei hilft Schule. Im Gegensatz zu den meisten Eltern, die eher abwartend Schulfragen als zunächst zweitrangig beiseite schieben, wollen fast alle Kinder den Kontakt zu ihrer Klasse rasch wieder herstellen. Schule ist zweitens oft das einzige Stück Normalität und Kontinuität, das aus dem Leben vor der Krankheit in die Klinik hereingeholt werden kann. Damit bekommen die Kinder vermittelt, dass wir an ihre Zukunft glauben. (Pfeiffer, 1998, S. 69)

 

Ertle geht noch einen Schritt weiter. Für ihn spiegelt die Schule und der Unterricht innerhalb der Klinik nicht nur ein Stück weit Realität wider, sondern trägt auch maßgeblich zur Genesung bei (vgl. Ertle, 1997, S. 12). Auch Bergmann schließt sich dieser Meinung an: „Ein guter am Patienten orientierter Unterricht läßt manchen Schmerz vergessen, wirkt Ängsten entgegen und stärkt das Selbstbewußtsein. Dadurch wird er von sich aus den Gesundungsprozeß beschleunigen und – sekundär – einer Art Therapie gleichkommen.“ (Bergmann, 1980, S. 10)

 

Volk-Moser beschreibt den Wert von Unterricht und Schule für kranke Kinder und speziell im Zusammenhang mit einem onkologischen Patienten: „Für Stefan, den krebskranken Jungen, ist Schule gut, sie gewährt den Kontakt nach draußen, zum normalen Leben. Unterricht bringt Abwechslung und Zukunft in den von Krankheit und Therapie beherrschten neuen Alltag. Unterricht garantiert den Fortbestand des Alltags.“ (Volk-Moser, 1997, S. 70) Diese Kinder haben das Gefühl, dass so lange Unterricht noch stattfindet, kann es noch nicht so schlimm um sie stehen. Schiffmüller beschreibt in seinem Artikel „Krebskranke Kinder und Schule – ein persönlicher Zugang“ wie er als krebskranker Jugendlicher den Klinikunterricht empfunden hat so:

 

Aufgrund den (der, Anm: JB) Belastungen der Therapie war ich in dieser Zeit in meiner Bewegungsfreiheit eingeschränkt. Ansonsten ging es mir relativ gut. Durch das Lernen konnte ich meine Krankheit für eine kurze Zeit vergessen, und ich hatte teilweise wieder normalen Alltag. Ferner hatte ich ein konkretes Ziel für die Zeit nach der Krankheit. Ein weiterer wichtiger Aspekt war, daß ich durch das Lernen gefordert wurde. Daß ich trotz der Belastungen zu mehr fähig bin, als ich mir zugetraut hatte, war eine Erfahrung, die mir während der Genesung sehr viel half. (Schiffermüller, 1997, S. 116)

 

Diese Zeilen schildern das Erleben der Kinder und Jugendlichen sehr eindrucksvoll, doch welche Kinder werden in Heilstättenschulen unterrichtet und warum? Kinder und Jugendliche bis zur 9. Schulstufe sind schulpflichtig. Da sie aber nicht wie ihre KlassenkameradInnen in die Schule gehen können, kommt die Schule zu ihnen. (vgl. L. Bauer, 2001) Allerdings gibt es nicht nur die Schulpflicht, sondern auch das Recht auf Bildung. Die Schulpflicht ist in Österreich gesetzlich im Schulpflichtgesetz 1985 geregelt. Nicht zu vergessen ist aber auch das Recht auf Bildung. Dieses ist in der UNESCO Charta festgehalten, auf die weiter unten eingegangen wird.

 

Wie schon erwähnt, ist es den SchülerInnen nur in den seltensten Fällen möglich, während eines stationären Aufenthalts ihre Herkunftsschule zu besuchen. Daher ist es notwendig, dass ihnen dennoch die Möglichkeit eines Schulbesuchs gegeben wird. Es geht darum, dass sie wie oben beschrieben, ein Stück weit Alltag erleben, den Kontakt zur Herkunftsschule nicht verlieren und wie Wienhues sagt, geht es beim Lernen nicht nur um Wissenserweiterung und –erwerb, sondern Lernen als der Inbegriff der kindlichen Arbeit (vgl. Wienhues, 1983, S. 52f). Hier spielt die Heilstättenschule a. m. S. eine entscheidende Rolle. Unter Berücksichtung des individuellen Befindens und mit Rücksprache des behandelnden Arztes/der behandelnden Ärztin werden die PatientInnen, sofern sie schulpflichtig sind, beschult. Die Beschulung wird auf die Bedürfnisse des Kindes abgestimmt und kann am Bett, im Zimmer oder in einem Klassenraum durchgeführt werden. Im Folgenden werden die Ziele des Unterrichts an Heilstättenschulen erläutert:

 

Ganz allgemein können für die Zielsetzung von Krankenhausunterricht folgende Feststellungen getroffen werden: Je nach Aufgabenstellung und Arbeitsweise einer Klinik oder Station hat der Krankenhausunterricht eine entsprechende Zielsetzung, vom Nachhilfeunterricht bis zum Haupttherapiefaktor (bei isolierten Schulschwierigkeiten). Durchgehend sind folgende Aufgabenstellungen anzutreffen:

 

1. Der Krankenhausunterricht soll Schulversäumnisse kompensieren und einem Stillstand oder einer Regression im Bereich der psychischen und geistigen Entwicklung entgegenwirken.

2. Durch eine intensive Lehrer-Schüler-Beziehung und – wenn möglich – durch eine Gruppenbeziehung soll die Isolierung des Kranken durchbrochen bzw. einer solchen zuvorgekommen werden. Ein Stück ‚vertrauten Alltagslebens und Arbeitslebens‛ soll auch in der Klinik Geborgenheit vermitteln und die ‚Besonderheit der Krankenhausumgebung‛ nicht überwältigend erscheinen lassen.

3. So soll der Unterricht auch einerseits von Krankheit und Therapiebemühungen ablenken und einem ‚sich in sich selbst und seine Probleme Verkriechen‛ zuvorkommen, andererseits aber gerade die aktive Auseinandersetzung mit der Krankheit, ihren jetzigen und späteren möglichen Folgen und der Krankenhaussituation ermöglichen, allerdings von ‚bekanntem Boden‛ aus, unter Mitwirkung von Lehrern und Mitschülern. (Wienhues, 1983, S. 111f)

 

Anselmann-Seydler konnte in ihrer Untersuchung die Ziele des Krankenhausunterrichts verifizieren und kam zum Schluss, dass dieser dem Heben des Selbstwertgefühls, dem Abbau von Langeweile, Passivität, Resignation und Regression, sowie dem Abbau und der Vermeidung von Schulangst dient, weiters Lerndefizite reduziert und die Diagnose und Therapie unterstützt (vgl. Anselmann-Seydler, 1988, S. 74).

 

Über die Ziele des Heilstättenunterrichts hinaus wird im nächsten Kapitel eine Definition bzw. eine genaue Beschreibung für diesen Schultyp formuliert.

 

2.3 Definition

 

Eine eigentliche Definition der Heilstättenschule gibt es nicht. Vielmehr gibt es aber eine Beschreibung, die das Credo dieses seltenen und sich nach und nach etablierenden Schultyps charakterisiert. Eine Charakterisierung lautet:

 

Die Heilstättenschule mit dem Auftrag, bei Krankheit pädagogisch zu wirken, hat die Aufgabe, die Kinder zu stärken und der Benachteiligung entgegenzuwirken – sowohl während der Phase des Spitalsaufenthalts, als auch während der Phase des Hausunterrichts. Sie sollte auch aktiv werden können bei der Unterstützung chronisch kranker Kinder im Regelschulwesen. (Schierer, 2006, S. 1)

 

Diese Beschreibung der Direktorin der Wiener Heilstättenschule skizziert sehr präzise, welche Aufgaben diese so „besondere“ Schule hat. Das Konzept wird im Folgenden dargestellt.

 

2.4 Konzepte der Heilstättenschule

 

Im folgenden Kapitel wird auf die Institution Heilstättenschule eingegangen, um einen detaillierten Eindruck von dieser spezifischen und oftmals unbekannten Schulform zu vermitteln und um einen Einblick in das Arbeitsfeld der SchülerberaterInnen zu gewähren.

 

2.4.1 Allgemeines

 

Wie schon im Kapitel 2.2 beschrieben, hat die Heilstättenschule viele verschiedene Aufgaben. Als eine „besondere Schule für besondere Kinder mit besonderen LehrerInnen“, wie dies im Folder der Heilstättenschule Salzburg (2007) zu lesen ist, soll diese Einrichtung auch verstanden werden. Innerhalb eines Krankenhauses bzw. einer Kinderklinik ist die Schule je nach Organisationsform ein Fremdkörper, was bedeutet, dass diese Schulen in Österreich keine Privatschulen der Kliniken, sondern öffentliche Schulen sind. An Heilstättenschulen werden Kinder und Jugendliche unterrichtet, die stationär aufgenommen werden. Da sich aber aus wirtschaftlichen Gründen die Liegezeiten stark verkürzen und die Notwendigkeit der Beschulung aus pädagogischer wie auch aus therapeutischer Sicht gegeben ist, gibt es immer öfter auch Schulformen, an denen ambulant betreute SchülerInnen unterrichtet werden. Gerade im psychiatrischen Bereich ist dies der Fall. Die Kinder und Jugendlichen wohnen zu Hause, werden ambulant medizinisch und therapeutisch betreut und besuchen den Unterricht an der Heilstättenschule.

 

2.4.2 Historischer Hintergrund

 

Die Entwicklung der Heilstättenschulen in Österreich reicht bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück, wie folgende Aussage zeigt:

 

Schon am Anfang des 20. Jahrhunderts haben Frauen in Schweden auf privater Basis und unentgeltlich begonnen, Kinder in Krankenhäusern schulisch zu betreuen. Bald haben Ärzte erkannt, dass sich diese Unterstützung vorteilhaft auf das Befinden ihrer Patienten auswirkt und haben die offizielle Einführung des Unterrichts im Krankenhaus erwirkt. (Felmayer, 2001, S. 7)

 

In der Literatur wird oft von Hilfsschulen gesprochen. Diese sind die Vorläufer der Allgemeinen Sonderschulen. Die Heilstättenschulen wurden an Hilfsschulen oder Körperbehindertenschulen angeschlossen (vgl. ebenda).

 

Bernart schreibt, dass es sich bei Hilfsschulen zumeist um Schulen für entwicklungsgehemmte oder entwicklungsgestörte Kinder handelt (vgl. Bernart, 1961, S. 5). Allerdings sah er bereits eine Trendwende und beschreibt die Aufgabe des Hilfsschullehrers/der Hilfsschullehrerin im Beobachten der SchülerInnen und nicht im reinen Stoff vermitteln (vgl. Bernart, 1961, S. 12). Anselmann-Seydler findet in ihrer Untersuchung über die Rolle des Lehrers im Krankenhaus heraus, dass sich das Krankenhausteam von den PädagogInnen Hilfen für die Diagnose und Therapie erhofft. Dies soll durch gezielte Unterrichtsbeobachtungen erfolgen (vgl. Anselmann-Seydler, 1988, S. 35). Hier wird eine weitere Aufgabe der KlinikpädagogInnen angesprochen. Die LehrerInnen sind neben der Vermittlung von Inhalten angehalten, gezielte Beobachtungen durchzuführen. Die Beobachtungen werden einerseits bei den Besprechungen und Visiten im interdisziplinären Team mitgeteilt und anderseits im pädagogischen Bericht, der der Herkunftsschule übermittelt wird, festgehalten. Kobi schreibt über die Aufgaben der LehrerInnen:

 

Der Lehrer erfährt ein Kind (im Unterschied zum Arzt) über längere Zeitspannen und in einer ganzheitlicheren Art. Negative Auswirkungen von Therapien und Restriktionen auf Verhalten, Stimmung und Leistungsfähigkeit sind daher sorgfältig zu registrieren und als ein für alltäglich sich aufdrängende Kurskorrekturen wichtiges Datenmaterial dem Arzt zu melden. (Kobi, 1977, S. 46)

 

Somit wird m. E. klar, dass HeilstättenlehrerInnen als fixer Bestandteil im interdisziplinären Team verankert sein müssen. Die Grundaufgaben sind seit den Hilfsschulen gleich geblieben, was nicht bedeutet, dass die Aufgaben als solche nicht erweitert worden sind.

 

Auch heute finden wir in Österreich noch das Modell, dass einzelne Heilstättenklassen an Sonderschulen angeschlossen sind. Sind mehrere Heilstättenklassen vorhanden, können diese als Heilstättenschule geführt werden (vgl. Jonak & Kövesi, 2003, S. 250).

 

Im Mai 1988 wurde bei der 1. Europäischen „Kind im Krankenhaus“ Konferenz in Leiden (NL) die UNESCO Charta für Kinder im Krankenhaus verabschiedet. In einem, m. E. wichtigsten Punkt, wird in der Charta darauf hingewiesen, dass Kinder das Recht auf Schulbildung auch während eines Krankenhausaufenthaltes haben (vgl. UNESCO Charta für Kinder im Krankenhaus, 1988) Die Charta ist im Anhang (vgl. Anhang A) zu finden.

 

Natürlich werden von Außenstehenden oft Bedenken geäußert, dass die kranken Kinder auch noch Unterricht bekommen bzw. mit diesem belastet werden. „Jetzt sollten sie doch erst mal wieder ganz gesund werden.“ Mit diesen oder ähnliche Aussagen wird man als HeilstättenlehrerIn durchaus konfrontiert. Aber Unterricht ist ein Stück weit Alltag und innerhalb der Schule befinden sich die Kinder und Jugendlichen in einer „spritzenfreien“ Zone, sofern es sich nicht um Kinder mit Diabetes mellitus (Zuckerkrankheit) handelt. Volk-Moser beschreibt dies so: „Unterricht garantiert den Fortbestand des Alltags.“ (Volk-Moser, 1997, S. 70). Und wie oben erwähnt, sind die PatientInnen nicht nur schulpflichtig, sondern haben auch das Recht auf Unterricht. Allerdings ist hier wesentlich, dass der Unterricht in Abhängigkeit ihres Gesundheitszustandes und mit Rücksprache der behandelnden ÄrztInnen durchgeführt wird. Somit kann es durchaus sein, dass aus medizinischen Gründen ein Unterricht, egal in welcher Form auch immer, nicht oder nur (zeitlich) eingeschränkt möglich ist. Wichtig scheint jedoch, dass durch die Möglichkeit des Unterrichtsbesuchs die Chancengleichheit gegenüber gesunden Kindern gewahrt wird.

 

Friedrich weist in § 4 seiner Charta, die im Anhang B abgedruckt ist, darauf hin, dass die SchülerInnen durch die Zuwendung der LehrerInnen ein Stück weit Alltag erleben. In § 6 fordert er, dass die Kinder bestmöglich auf den Wiedereinstieg in ihre Herkunftsschulen vorbereitet werden müssen(vgl. Friedrich’sche Charta der Heilstättenschulen, 1999). Somit erwähnt Friedrich a. m. S. wohl zwei ganz entscheidende Aufgaben der Heilstättenschule: Einerseits geht es darum, dass versäumter Unterrichtsstoff individuell aufbereitet und mit dem Kind erarbeitet wird, um den Wiedereinstieg in den eigenen Klassenverband ohne größere Probleme zu ermöglichen. Einen ganz wesentlichen Punkt stellt die Tatsache dar, dass die SchülerInnen durch den Besuch der Schule den Alltag, den sie auch außerhalb des Krankenhauses erfahren, in der Klinik erleben. Die Schule ist ein Teil ihres Lebens und während des stationären Aufenthalts oftmals auch ein Teil der Therapie und weniger eine Belastung (vgl.Friedrich’sche Charta der Heilstättenschulen, 1999).

 

2.4.3 Gesetzliche Grundlagen