Summer in the City - Alex Aster - E-Book

Summer in the City E-Book

Alex Aster

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Beschreibung

Das Drehbuch für einen großen Film zu schreiben, ist für Elle die Chance ihres Lebens. Das einzige Problem? Sie leidet seit Monaten an einer Schreibblockade, und die Deadline am Ende des Sommers rückt unaufhaltsam näher. Auf der Suche nach Inspiration zieht Elle für den Sommer zurück nach New York, wo der Film spielen wird. Dass ihr Nachbar ausgerechnet Parker Warren, der Tech-Milliardär ist, hat Elle nicht erwartet – und noch viel weniger, dass Parker sie bittet, über den Sommer sein Fake-Date zu spielen. Er braucht ihre Hilfe, um sein Image vor dem Verkauf seines Unternehmens zu verbessern und bietet Elle im Gegenzug an, sie für das Drehbuch der RomCom zu inspirieren. Ein Sommer. Eine Fake-Beziehung, von der sie beide profitieren, und keine Gefühle. Was kann da schon schiefgehen? Der Platz 2 »New York Times«-Bestseller bald auf Deutsch erhältlich!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 485

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Alex Aster

Summer in the City

Ein Deal, keine Gefühle

Roman

 

Übersetzt von Tanja Hamer

 

Über dieses Buch

 

 

Elle zieht für einen Sommer nach New York, um dort ihre Schreibblockade für das Drehbuch zu überwinden, das sie schreiben muss – dringend, denn die Deadline rückt näher. Womit sie nicht gerechnet hat? Dass sie Wand an Wand mit Parker Warren, dem Tech-Milliardär, leben wird. Auf den Elle alles andere als gut zu sprechen ist, nach ihrem Zusammenstoß vor einigen Jahren. Aber Parker ist fasziniert von der grummeligen Elle und schlägt ihr einen Deal vor: Um ihm mit seinem Image vor dem Verkauf seines Unternehmens zu helfen, spielt sie einen Sommer lang seine Freundin. Im Gegenzug führt er sie an die Orte aus, um die es in dem Film gehen soll. Eine Win-Win-Situation für beide – solange niemand sein Herz verliert …

 

 

Weitere Informationen finden Sie auf www.fischerverlage.de

Biografie

 

 

Alex Aster ist Nr. 1 »New York Times«- und internationale Bestsellerautorin. Vom »Forbes Magazine« wurde sie 2023 auf die »30 under 30«-Liste gewählt. Sie hat an der Universität von Pennsylvania Kreatives Schreiben studiert, lebt in New York und ist nie weit von einem Coffeeshop entfernt. Mit ihren Lesern tauscht sie sich jeden Tag über Instagram (@alexaster) und TikTok (@alex.aster) aus.

 

Tanja Hamer, Jahrgang 1980, hat ihr Anglistikstudium in Mainz absolviert und arbeitet seit 2012 als selbständige Übersetzerin. Sie lebt mit ihrer Familie in einem kleinen Dorf südlich von München.

Inhalt

[Widmung]

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Kapitel 32

Danksagung

Für meine Liebe – mit dir fühlt sich jeder Tag nach Sommer an

Kapitel 1

In New York City kann man jedes Wochenende einen Filmmoment erleben. Zum Beispiel bei Drinks in einer Rooftop-Bar, im Hintergrund die Skyline, die nur dafür da zu sein scheint, um auf dem viel zu stark bearbeiteten Foto zu glitzern, das du gleich posten wirst. Beim Abendessen kann es einem passieren, dass am Nachbartisch ein Promi sitzt, der sein Essen nicht anrührt und stattdessen schamlos über einen berühmten Schauspieler herzieht, so dass du dich fast an deinem Gin Tonic verschluckst. Und bei den Partys in den Penthäusern liegen die Drogen wie Süßigkeiten auf Marmortischen bereit, während es ein Hinterzimmer nur fürs Personal gibt und außerdem einen Yogaraum so groß wie dein Ein-Zimmer-Apartment.

Außer natürlich, du bist wie ich, und ein perfekter Freitagabend besteht weniger daraus, dich im berüchtigten Nachtclub Marquee in die Nähe eines Tisches zu mogeln, sondern eher darin, Netflix zu schauen, und zwar in einem alten T-Shirt, das einmal dem Exfreund deiner Mitbewohnerin auf dem College gehört hat. Einem Shirt, das du in einem schwachen Moment eingesteckt hast, weil du dich insgeheim nach ihm verzehrst wie nach deinem wöchentlichen Becher Ben & Jerry’s, bei dem du dir jedes Mal schwörst, nur ein paar Löffel zu essen und auch wirklich fest an deine Willenskraft glaubst, bis du schließlich unverhofft auf den Pappboden des Bechers triffst.

»Sorry!«

Ich schnappe nach Luft, als hätte ich einen Fausthieb in die Magengrube bekommen, weil eine junge Frau in Stilettos mit Absätzen dünn wie Stricknadeln mir auf den Fuß getreten ist.

Mir wurden die Weisheitszähne damals ohne Betäubung von einem Medizinstudenten entfernt.

Aber das hier tut mehr weh.

Gerade als ich kurz davor bin, mein komplettes Repertoire an Schimpfwörtern abzufeuern, während ich ernsthaft darüber nachdenke, ob man einen Pfennigabsatz verklagen kann, spüre ich eine beruhigende Hand auf meiner Schulter.

Penelope, meine beste Freundin und ehemalige Collegemitbewohnerin, die zwar einen sehr guten Geschmack hat, was Männer betrifft, aber einen weniger guten, wenn es um gelungene Abendgestaltung geht, seufzt und bedenkt mich mit dem mitleidigen Blick eines schon fast professionellen Partygängers, der auf einen Anfänger herabschaut. »Das ist der Grund, warum man niemals Peep-Toes anziehen sollte, wenn man in einen Club geht, Elle.«

Während mein Zeh pocht wie ein Herz, das kurz vor dem Kollaps ist, bringe ich gepresst hervor: »Ich besitze aber keine anderen High Heels. Und ich war noch nie in einem Club.«

Penelope starrt mich geschlagene zehn Sekunden entsetzt an, ehe sie die Stirn runzelt. »Weißt du, ich kann mich nicht entscheiden, welche dieser Aussagen ich tragischer finde.«

Ich werfe ihr einen genervten Blick zu. »Wir sind schon fast zwei Stunden hier. Gleich verwandele ich mich in einen Kürbis. Du hast noch eine Viertelstunde.«

Penelope hat es nur geschafft, mich von meiner flauschigen Kuscheldecke wegzulocken, weil sie mir versprochen hat, dass wir nur eine Stunde bleiben und uns dann bei dem Imbiss an der Ecke die legendären Pommes kaufen, die es dort erst nach Mitternacht gibt. Außerdem sollte es heute nichts Wildes werden. Irgendein Wirtschaftsmagazin hat den Club gemietet, um die Firmen zu feiern, die es auf die Liste der erfolgreichsten Start-ups geschafft haben. Penelope hat schon versucht, mit einem von den Typen ins Gespräch zu kommen. Er hat in die Firma ganz oben auf der Liste investiert: Atomic.

Genau genommen handelt es sich also um einen Geschäftstermin.

»Schon gut.« Sie nimmt meine Hand und legt sie auf die Ecke der Theke, wie ein Schiffskapitän, der sein Boot an einem Anlegeplatz vertäut. Die Marmoroberfläche ist genauso klebrig, wie ich es mir vorgestellt habe. »Bleib hier«, befiehlt sie. Dann fädelt sie sich nahtlos in die Menge ein, mit der Leichtigkeit von jemandem, der das dunkle, schwitzige Labyrinth der New Yorker Clubszene in- und auswendig kennt.

Ich höre nicht auf sie. Neben mir reibt sich ein Pärchen so heftig aneinander, dass ich mich frage, wann sich die Kleidung einfach auflöst und die beiden direkt zur Sache kommen. Und ob das an einem Ort wie diesem überhaupt auffallen würde. Ich versuche, mich so klein zu machen wie möglich, schütze meinen Körper, indem ich die Ellenbogen anlege, und stürze mich kopfüber in die Menge. Irgendwo muss es schließlich eine Toilette geben, wo ich meinen lädierten Fuß inspizieren kann.

Kaum hat die Menge mich eingesaugt, werde ich auch schon wieder ausgespuckt, allerdings in einer weitaus ruhigeren Ecke des Clubs.

Ruhiger – aber nicht wirklich leerer.

Vor der Toilette hat sich eine lange Schlange gebildet.

Nur eine Toilette? Ich runzele die Stirn. Ein Club dieser Größe hat doch bestimmt mehr als eine Toilette.

Ich entdecke einen Türsteher, der an der Wand lehnt und die Tanzfläche mit der Wachsamkeit eines Geheimdienstagenten abscannt.

»Ähm, Verzeihung, bitte?« Ich zupfe den Mann am Ärmel, der einen Bizeps umspannt, der breiter ist als mein Kopf. Ich muss das Zupfen zweimal wiederholen, ehe der Riese meine Anwesenheit überhaupt zur Kenntnis nimmt. Als er es tut, verengen sich seine Augen zu Schlitzen, und er mustert mich, als würde ich irgendeine Regel des Clubs verletzen.

Gibt es überhaupt Regeln in Clubs?

Habe ich eine gebrochen, indem ich ihn angesprochen habe?

Ich schlucke. »Gibt es – gibt es nur die eine?«, frage ich stockend und zeige auf die Toilette.

Er knurrt und nickt, und ich weiß, wann es ratsam ist, jemandem aus den Füßen zu gehen, also weiche ich vor ihm zurück und reihe mich in die Schlange ein.

Nach etwa fünf Minuten habe ich mich nicht einen Zentimeter vorwärts bewegt und beschließe, stattdessen die Taschenlampe meines Handys zu benutzen, um meinen Zeh zu untersuchen.

Ihm geht es gut. Was wirklich ein Wunder ist, denn ich hatte mit einem Loch darin gerechnet. Oder zumindest mit einem abgebrochenen Nagel.

Erleichtert seufze ich auf und werfe einen Blick auf die Uhr. Acht Minuten. Penelope hat acht Minuten.

»Amüsierst du dich?«

Die Stimme kommt von so weit über mir, dass ich gezwungen bin, den Blick zu heben – weit nach oben –, um zu sehen, wer die Frage gestellt hat. Noch ein Türsteher. Größer als der andere, in den gleichen schwarzen Klamotten.

Ich blinzele.

Ist es eine Regel, sich amüsieren zu müssen?

Ich verdrehe die Augen über mich selbst. Mach dich nicht lächerlich, Elle.

Obwohl … Vielleicht ist mein Gedanke gar nicht so falsch. Ich kann mir durchaus vorstellen, dass exklusive Clubs wie dieser hier, wo die Leute einen ganzen Block weit Schlange stehen um reinzukommen, jemanden rausschmeißen würden, weil er aussieht, als hätte er keinen Spaß. Wer will schon, dass die Stimmung so verdorben wird, oder? Vielleicht hat das Magazin auch strenge Anordnungen gegeben, den Abend für die ganzen vierzig- oder fünfzigjährigen Unternehmer, die sich auf der Tanzfläche drängen, den Ehering in der Hosentasche versteckt, so angenehm wie möglich zu machen.

Ich zucke innerlich mit den Schultern. Wen interessiert es? Ich bin hier eh weg, in genau – ich schiele auf mein Handy – sieben Minuten.

Also sage ich die Wahrheit. »Nö.«

Er zieht eine Augenbraue hoch, lässt den Blick über den Club schweifen und sieht mich dann offenbar ernsthaft erstaunt an. »Nö?«

Sehe ich aus wie eine, die all das – die von Alkohol klebrige Tanzfläche, meine langen dunklen Haare feucht von irgendeinem Drink, in das sie versehentlich getaucht wurden, Schweiß, der mir von der stickigen Hitze zwischen den Brüsten hinabrinnt – amüsant findet?

Interessant. Die Vorstellung, dass ich es geschafft habe, unter diese Menschen nicht aufzufallen, ist irgendwie schon fast aufregend. Dieses komplett Fremde, Wilde …

Der Türsteher sieht stirnrunzelnd zu mir runter.

Ich seufze. »Hör zu, wenn du mich rauswerfen willst, tu es einfach. Spar dir den Kommentar.«

Sein Stirnrunzeln verstärkt sich. »Dich rauswerfen?«

»Ja.« Ich wedele vor ihm herum. »Du bist doch einer der Türsteher, oder?«

»Du denkst, ich arbeite hier?«

Jetzt bin ich es, die die Stirn runzelt. »Tust du nicht?«

In seinen Augen blitzt etwas auf. Freude vielleicht? Er beugt sich zu mir, so nah, dass ich das Minzige in seinem Atem riechen kann. »Was hat mich verraten?«

Wie, ist er etwa so eine Art geheimer Sicherheitsdienst? Der sich unter die Gäste mischen soll?

Wow, Clubs sind echt seltsam.

Ich zucke möglichst gleichgültig mit den Schultern, um der Rolle des New Yorker Partygirls möglichst gerecht zu werden. Als wäre ich eine Fünfundzwanzigjährige, die in dunklen Ecken von Clubs mit fremden Männern redet. »Also, zum einen bist du so groß.«

Er scheint sich über meine Wortwahl zu amüsieren. Ich verdrehe die Augen.

»Du bist bestimmt einen halben Meter größer als ich. In High Heels. Und …« Ich deute auf seine Arme, die ich die ganze Zeit unbewusst angestarrt habe. Seine Schultern sind so breit, sie sehen aus wie Klippen. Und seine Arme, seine Oberarme in seinem … Ich räuspere mich. »Und dein Outfit. Dass du ganz in Schwarz bist.«

Er nickt langsam, als würde er darüber nachdenken.

»Wenn du nicht auffallen willst, solltest du das irgendwie anders anstellen«, sage ich voller Selbstbewusstsein. Jetzt spiele ich wirklich eine Rolle. Die von jemandem, die Fremden sagt, wie sie ihren Job zu machen haben.

Sein Mund verzieht sich zu einem Lächeln. Er beugt sich noch tiefer zu mir, bis sein Mund sich direkt vor meinem Ohr befindet. »Also, mal unter uns, das ist mein letzter Abend.«

»Ach, ja?«

Er nickt. »Und du könntest auch etwas unauffälliger sein.«

Ich ziehe die Augenbrauen zusammen. »Mit was denn?«

Er zuckt mit den Schultern. »Jeder kennt doch diese Mädchen, die an solchen Abenden in den Club kommen. Die sich vor der Toilette herumdrücken, wo es ruhiger ist … nur um sich dann an naive Tech-Millionäre ranzuschmeißen.«

Jetzt bin ich wirklich verwirrt. Und auf seltsame Weise fasziniert. Für wen hält sich der Kerl?

Er fährt fort. »Die solche Absätze« – sein Blick wandert an meinen Beinen empor – »und einen solchen Rock tragen.« Seine Augen gleiten über meinen Körper, und es ist, als würden sie ein Feuer auf meiner Haut entfachen. Hitze sammelt sich in meinem Bauch. Ich habe zwar ein paar Drinks intus – normalerweise trinke ich allerdings auch nichts Stärkeres als Penelopes Kombucha –, aber die Aufmerksamkeit ist noch viel berauschender. Wie lange ist es her, dass mich jemand so angesehen hat? Und wann habe ich zuletzt einen so kurzen Rock getragen, bei dem eine einzige falsche Bewegung dazu führen kann, dass ich meinen Slip präsentiere?

Es gibt noch einen Grund, warum ich zugestimmt habe, mit Penelope auszugehen. Das ist mein letzter Abend in New York City. Morgen werde ich an das andere Ende des Landes reisen. Und habe nicht vor zurückzukommen.

Deshalb habe ich auch zugestimmt, dieses Outfit zu tragen, nach Mitternacht noch unterwegs zu sein, das letzte Mal die Chance zu haben, einen Filmmoment zu erleben.

Sein Blick verweilt auf meiner Brust, ehe er schließlich meinem begegnet. Und die Intensität haut mich beinahe aus meinen schwindelerregend hohen High Heels. Pures Verlangen.

Als würde er ebenfalls nach einer letzten Chance auf seinen Filmmoment suchen.

Ich bin mir nicht sicher, wer sich als Erstes bewegt – aber plötzlich befinden wir uns im Treppenhaus. Und mein Rücken drückt sich an eine Wand. Wir atmen beide zu schnell, mein Hals ist nach oben gebogen, seiner nach unten.

So bin ich eigentlich gar nicht. Und er ist ein Fremder. Aber es ist das, was einem Filmmoment schon ziemlich nahe kommt, also packe ich sein Gesicht, und plötzlich treffen seine Lippen auf meine.

Es ist der Wahnsinn.

Sein Mund ist heiß an meinem Mund, an meinem Hals, meiner Brust, und dann hebt er mich hoch, mit einer Leichtigkeit, die mir den Atem verschlägt. Meine Beine umklammern ihn. Seine riesigen Hände umfassen meinen Po, er stößt seine Hüfte an meine, und mir tanzen Sterne vor den Augen.

Eine seiner Hände ist plötzlich unter meinem Shirt. Seine rauen Fingerspitzen streichen sacht über die Spitze meines BHs, dann schlüpft sein Daumen unter den Saum meines Slips, genau dort, wo …

Ich weiche zurück, und es ist, als wäre ich auf einen Schlag nüchtern. Vielleicht liegt es auch daran, dass es hier viel heller ist als im Club.

Denn ich kann ihn jetzt tatsächlich sehen, und er ist perfekt. Stechende grüne Augen. Dunkle Haare, die ein wenig zu lang sind, so dass sie sich um die Ohren locken. Wangenknochen wie die Facetten eines im Smaragdschliff geschliffenen Diamanten. Vermutlich eines dieser Models, die in Clubs arbeiten, um ihre Miete bezahlen zu können. Vielleicht ist es sein letzter Abend, weil er es endlich geschafft hat, einen guten Job zu ergattern.

»Was willst du?«, fragt er mit tiefer Stimme, die mich aus meinen Gedanken reißt.

Immer noch atemlos bringe ich hervor: »Was?«

Er ist ebenfalls außer Atem, aber seine Augen sind überraschend klar, als sie mich fixieren. Seine Hand kehrt zu meinem Bauch zurück, das Kratzen seiner rauen Finger lässt mich schaudern. »Ich will dich mit nach Hause nehmen«, sagt er mit Nachdruck, als würde er sichergehen wollen, dass ich jedes Wort verstehe, das aus seinem Mund kommt. »Was kann ich tun, um das zu erreichen?«

Er mustert wieder meinen Körper, als könnte er nicht anders. Ich folge seinem Blick und stelle fest, dass mein Rock nur ein Bündel aus Stoff ist, das um meine Mitte gewickelt ist. Ich schnappe nach Luft und sehe ihm in die Augen. Er wartet auf meine Antwort, blickt mir tief in die Augen.

»Was. Willst. Du?«

Meine Absätze klackern, als ich meine Beine von ihm löse und mich wieder auf die eigenen Füße stelle, wobei ich fast umkippe. Er hält mich fest, doch ich schiebe seine Hand beiseite. »Wie meinst du das, was ich will?«

Er zuckt mit einer Schulter. »Jeder will doch etwas.« Dass sich meine zunehmende Verärgerung auf meinem Gesicht abzeichnen muss, scheint ihn nicht zu beeindrucken. »Ich will dich.« Er deutet auf sich selbst. »Bin ich dir genug? Oder … gibt es da noch etwas?«

Einen Moment lang bin ich schockiert von seinen Worten. Fast hätte ich gelacht. Doch dann werde ich wütend.

»Du willst mich bezahlen?«

Er sieht mich verächtlich an. »Nein. Ich zahle nicht für Sex. Aber«, er seufzt, »wie wäre es mit einem Abendessen? Von mir aus auch ein Helikopterflug über die City?« Völlig ernsthaft fügt er hinzu: »Deshalb bist du doch hier, oder?«

Ich blinzele. Mir gefällt nicht, was er damit andeutet. Ich mag es nicht, dass er mich so darstellt, als wollte ich irgendetwas anderes von ihm als eine gute Zeit.

Ich muss an seine Worte von vorher denken. Welche Art von Frau ich bin. Eine, die wegen seines Geldes mit einem Mann ins Bett gehen würde?

»Also, darum geht es hier? Du denkst, du kannst dir die Zuneigung einer Frau erkaufen? Sie zu einem ausgefallenen Date ausführen, nur um sie ins Bett zu kriegen?«

Wieder zuckt er nur lässig mit der Schulter. »Ich kann mir alles kaufen.«

Ich sehe rot. Für wen hält sich der Kerl? »Offensichtlich nicht«, erwidere ich und reiße die Tür auf. Energisch stapfe ich zurück in den Club.

Der Filmmoment ist offiziell vorbei.

Das plötzliche Hämmern des Beats erschreckt mich, so dass ich in diesen dämlichen High Heels fast stolpere. Doch eine Hand schießt aus der Menge hervor und fängt mich auf. Penelope.

»Ich habe dich überall gesucht!«, ruft sie mit panischem Gesichtsausdruck, als wäre sie kurz davor gewesen mich als vermisst zu melden. »Was hattest du denn im Treppenhaus zu suchen?«

Die Tür hinter uns öffnet sich, und der Typ, an den ich gerade noch jede einzelne Faser meines Körpers gepresst habe, betritt den Raum.

Sie zieht die Augenbrauen so weit hoch, dass sie fast ihren Haaransatz erreichen. »… Mit dem Geschäftsführer von Atomic …?«

Ich blinzele. Drehe mich ganz langsam zu dem großen Mann um, dessen Kuss ich immer noch schmecken kann. »Dem was?«

Er wirkt unbeeindruckt. Zieht eine Augenbraue hoch. »Ändert das irgendwas?«

Fast tue ich etwas, das ich hinterher bereuen würde. Doch Penelope hält meine beiden Hände fest, so dass ich nur ganz nah an sein Gesicht kommen und ihm zuraunen kann: »Ich hoffe, diese Tech-Blase platzt bald und dein bescheuertes Start-up stirbt einen langsamen, qualvollen Tod.«

Wir hauen ab, bevor uns die echten Türsteher noch rausschmeißen. Und erst auf der Straße, unter den Lichtern von New York City um zwei Uhr nachts, einen Block entfernt von dem Pommesstand und weit genug weg von dem Ort, wo ich meine Würde gelassen habe, drehe ich mich zu Penelope um und sage: »Der Idiot denkt doch tatsächlich, ich wäre nur auf sein Geld aus.«

Kapitel 2

Zwei Jahre später

»Weißt du, heutzutage geht es ziemlich schnell, dass man eine Firma für ein paar Milliarden verkauft. Ich finde das nicht so wahnsinnig beeindruckend.«

Ich presse mein Handy so dicht ans Ohr, dass ich Penelope seufzen höre, obwohl die Stimme im Lautsprecher mich anweist, Gepäck und persönliche Gegenstände nicht unbeaufsichtigt zu lassen, während ein Kind auf seinem Roboterkoffer in einen Verkaufsständer kracht und die Flugbegleiterin am nächsten Gate die Fluggäste genervt auffordert, den Bereich für das Boarding erst zu betreten, wenn ihre Boarding-Gruppe aufgerufen wird.

»Versuch nur weiter, dir das einzureden, Elle«, sagt Penelope schließlich.

Mittlerweile ist es zwei Jahre her, doch der Anblick dieser grünen Augen, die mich vom gleichen Wirtschaftsmagazin anstarren, das damals diese Party im Club veranstaltet hat – vom Cover dieses Mal –, macht mich immer noch wütend. Er hat nicht einmal versucht, auf dem Foto freundlich zu wirken, sondern den Fotografen, genau wie mich jetzt, mit einer Apathie angestarrt, die darauf schließen lässt, dass er zu dem Fotoshooting gezwungen worden sein muss.

Die Schlagzeile darunter bringt mich dazu, mein Handy in tausend Stücke zerschmettern und allen hier unter Beweis stellen zu wollen, wie gut ich fluchen kann:

Atomic für 10 Milliarden Dollar an Virion verkauft!

»Sie nennen ihn schon den Milliardär-Bachelor«, fährt Penelope fort, während ich eine andere Zeitschrift vor das Cover mit ihm stelle, um ihn nicht mehr sehen zu müssen, und verlasse den Zeitungskiosk in Richtung Gate. Sie hat offensichtlich vergessen, dass sie ihn genauso sehr hassen soll wie ich.

Als ich ihr das sage, schnaubt sie nur. »Wir sind uns einig, dass er ein Vollidiot ist. Außerdem wirst du ihn doch sowieso nie wiedersehen, also wen kümmert’s?«

Mich, hätte ich gern erwidert, aber es ist sowieso schon erbärmlich, dass ich so lange schmolle. Er hat mich ja nur im Unklaren darüber gelassen, wer er ist, um mit mir ein paar Minuten im Treppenhaus rumzuknutschen und mir anschließend zu unterstellen, geldgeil zu sein. Keine große Sache.

Doch.

Für mich schon.

»Können wir über was anderes reden?«, fahre ich sie an. »Vielleicht darüber, wie sehr du mich vermissen wirst? Dass du keine Ahnung hast, was du machen sollst in L.A., während deine beste Freundin gezwungen ist, sich wieder in diesen nie endenden Strom an Menschen in New York City zu stürzen?«

Penelope lacht. »Also, erstens warst du diejenige, die damit angefangen hat. Mal wieder«, murmelt sie in sich hinein, ehe sie schnell fortfährt. »Und ja, Elle, ich weiß nicht, wie ich diese nächsten drei Monate ohne dich überleben werde. Ich werde bestimmt keine Sachen machen, denen du dich immer verweigerst, wie zum Strand zu gehen oder zur Promenade oder auf eine Wanderung. Oder praktisch alles, das voraussetzt, dass man die Jogginghose auszieht.«

Ich wünschte, wir würden facetimen, damit sie sehen könnte, wie finster ich sie anstarre.

»Oder … mit dem heißen Chirurgen abhängen, der die OP-Hose mit Tunnelzug trägt …«

Ich bleibe mitten im Terminal stehen und bekomme prompt ein paar Spritzer brühend heißen Kaffee auf meinem Ärmel, weil mich jemand von hinten anrempelt. »Er hat dich angerufen?«

Ich kann Penelope regelrecht vor mir sehen, wie sie grinst, ihr Knie an die Brust zieht und das Kinn darauf abstützt. »Er hat nicht bloß angerufen … er ist bei mir zu Hause aufgetaucht. Meinte, er hat Stunden gebraucht, meine Adresse herauszufinden.«

Ich lege den Kopf in den Nacken und blinzele. »Und …«

»Ja, Elle, es hat mir gefallen. Du weißt doch selbst am besten, dass verstörendes Verhalten nur dann wirklich verstörend ist, wenn …«

»Wenn man den Typ nicht attraktiv findet. Ich weiß, ich weiß. Wie bei Edward in Twilight, als er Bella beim Schlafen beobachtet.«

Eine Frau am Gate, an dem ich endlich angekommen bin, sieht mich schief an, und ich starre zurück, bis sie den Blick abwendet.

»Okay, und was ist dann passiert?«

Penelope seufzt. »Er hat mir Prosciutto und Prosecco gekauft, aus der Region in Italien, wo meine Familie herkommt – diese Information hat er auch irgendwo ausgegraben – und zum Schneiden sein eigenes teures Messerset verwendet!«

Ich zucke zusammen. »Okay, versteh das bitte nicht falsch, aber bist du dir sicher, dass er kein Serienkiller ist?«

»Er ist kein Serienkiller. Er gibt sich nur Mühe.«

»Ähm …«

Sie schnalzt mit der Zunge. »Keine Sorge. Ich habe ihn schon im Internet durchgecheckt. Bin allen seinen Exfreundinnen mit meinem Schattenprofil gefolgt. Habe ein Google Alert für ihn eingerichtet. Hab seine Identität bis zur Grundschule zurückverfolgt – er ist übrigens auf eine echt gute gegangen. Du weißt schon, das Übliche.«

Ich neige den Kopf und wechsele das Handy zum anderen Ohr. »Okay, bist du dir sicher, dass du kein Serienkiller bist?«

Der Kerl ist ziemlich sicher kein Serienkiller, und nicht nur, weil es statistisch gesehen immer nur etwa zwölf aktive Serienmörder auf dieser Welt gibt (dank der True-Crime-Podcasts, die mir beim Einschlafen helfen, weiß ich so etwas). Nein, ich kann so gut wie garantieren, dass er ein echt guter Kerl ist, was in L.A. mit der gleichen Sorgfalt und Vorsicht behandelt werden sollte, als hätte man es mit einer vom Aussterben bedrohten Spezies zu tun. Penelope hat die Angewohnheit, nur gute Kerle anzuziehen. Es ist schon fast unheimlich. Sie sagt, es liegt an ihren Sommersprossen, weil sie dadurch freundlicher wirkt. Keine Ahnung, ob das irgendwie wissenschaftlich belegt ist. Doch im Gegensatz zu anderen Leuten, die schon mit einem froh händchenhaltend davon in Richtung Sonnenuntergang gehüpft wären, erlaubt Penelope jedem nur eine Handvoll Monate mit ihr, ehe sie die Beziehung wieder beendet. Sie hinterlässt reihenweise gute Kerle mit gebrochenem Herzen und erwähnt sie mit keinem Wort mehr.

Sie ist schrecklich. Sie hat mal mit einem Mann Schluss gemacht, indem sie ihm per Lieferservice einen riesigen Cookie Cake mit traurigem Smiley darauf geschickt hat.

Sie ist meine beste Freundin, und ich würde alles auf dieser Welt für sie tun, um sie zu beschützen.

»Lustig«, meint Penelope. »Sie rufen gerade deine Boarding-Gruppe auf, Elle. Ich wünsch dir einen heißen Sitznachbarn und ein paar unvorhergesehene Turbulenzen!«

Damit legt sie auf.

Und ich steige schweren Herzens in ein Flugzeug, das mich ausgerechnet in die Stadt bringt, in die ich niemals wieder zurückkehren wollte.

Kapitel 3

Sommer in New York City ist die Hölle.

Es ist heißer als in meiner Heimatstadt in Südkalifornien, und diese Hitze wird noch dazu von hundert Meter hohen Spiegeln reflektiert, die dir die Sonnenstrahlen direkt ins Gesicht schießen. Die Reichen flüchten am Freitagnachmittag in die Hamptons, und die richtig Reichen kommen sogar erst im September zurück, wenn die Hitze sich verflüchtigt hat und es angenehm mild ist, quasi schon herbstlich.

Der Juni ist nicht so.

Als ich mit meinen Koffern in der Lobby des Gebäudes ankomme, bin ich schweißgebadet. Meine Haare sind strähnig und kleben mir am Gesicht, und mein hellgraues Loungewear-Set ist vom Schwitzen dunkelgrau.

Der Pförtner muss sich sichtlich beherrschen, nicht zusammenzuzucken.

»Oh, ja. Elle. Wir haben Sie schon erwartet. Lassen Sie mich Ihnen das Gepäck abnehmen.«

Ehe ich halbherzig darauf bestehen kann, die Koffer selbst zu tragen, hat er meine Sachen schon auf einen Gepäckwagen gehievt und ihn, zusammen mit mir, in einen Aufzug verfrachtet, der geräumiger ist als das Badezimmer in meiner Wohnung in Los Angeles.

Einer der obersten Knöpfe ist gedrückt.

Auf diesem Stockwerk gibt es nur zwei Wohnungen, und ich werde meinen Sommer in einer davon verbringen.

Ich schließe die Wohnungstür mit meinem Handy auf, wobei ich mir jetzt schon sicher bin, dass ich irgendwann mal nicht hineinkommen werde, weil ich es nicht geschafft habe, den Akku rechtzeitig aufzuladen. Fast wäre ich über die Türschwelle gestolpert.

Die Decken sind fünf Meter hoch. Die hintere Wand besteht aus einer kompletten Fensterfront und zeigt die Stadt so, wie ich sie noch nie gesehen habe. Da ist so viel davon, unverbaut, und so hoch über den Gebäuden, die normalerweise den Blick auf die Skyline versperren.

Das ist der reine Wahnsinn.

Alles ist relativ. Wir sehen die Dinge immer im Vergleich zu anderen Dingen. Das habe ich in dem Marketingkurs gelernt, in den mich Penelope im College geschleift hat. Fünfundzwanzig Dollar ist teuer für ein Mittagessen, aber nicht für ein Kleid. Zweihunderttausend Dollar ist eine Menge Geld für eine Hochzeit, aber nicht für ein Haus.

Diese Wohnung ist groß für ein Büro, für ein Restaurant.

Sie ist riesig für eine Wohnung, Punkt. Auch wenn sie nicht mitten in Manhattan liegen würde.

Mein Gepäck hat einen großen Teil der Wohnung ausgefüllt, die ich gerade verlassen habe. In dieser hier ist es nur ein winziges Häuflein im riesigen Wohnzimmer.

Wer braucht so viel Platz?, frage ich mich selbst, als ich weiter hineingehe und mich mit jedem Schritt kleiner und kleiner fühle.

Es ist einfach nicht praktisch. Dieses Zimmer allein braucht eine ganze Armee an Saugrobotern, um es sauber zu halten. Ich hoffe, dass es nicht zu meinen Aufgaben gehört, mich darum zu kümmern.

Homesitting während der Renovierung. Das ist alles. Für mehr bin ich nicht zuständig.

Ich lasse die Schultern kreisen und beuge mich mit einem beachtlichen – und für siebenundzwanzig besorgniserregenden – Knacken im Rücken nach unten, um meinen Laptop aus meiner Umhängetasche zu holen. Er schaut daraus hervor wie ein Baguette, wenn ich in irgendeinem Netflixfilm vorkommen würde, der in Paris spielt. Aber ich bin nicht in Paris.

Und nicht in einem Film.

Ich schreibe nur einen.

Vor mir sehe ich den leeren Bildschirm und tue mich schwer damit, ihn zu füllen; meine vom Flug müden Finger versuchen, Worte zu tippen: kleine Beobachtungen und Ideen, winzige Körnchen, von denen ich hoffe, dass sie zu filmreifem Popcorn aufploppen werden. Alles über eine Stadt, die ich hasse. Eine Stadt, die noch viel schlimmer stinkt, als ich es in Erinnerung hatte.

Wie auf ein Stichwort klingelt mein Telefon, und ich hole tief Luft, ehe ich meine Genervtheit in ein halbwegs akzeptables »Hey, Sarah« kanalisieren kann.

»Elle! Dein Sommer in der Stadt. Wie läuft es bisher?«

Ich starre auf die Uhr über dem Ofen. »Äh … ich bin gerade mal zwei Stunden hier.« Und eine davon habe ich in einem Uber verbracht, das gestunken hat, als würde ein Sandwich unter dem Sitz verrotten.

Sie lacht und seufzt dann wehmütig. »Ach, aber die Stadt sitzt doch gleich wieder wie ein alter Pulli, oder? So gemütlich, so passend.«

»Es sind über dreißig Grad im Schatten.«

Sarah lacht wieder, als wäre ich die lustigste Klientin, die sie hat, und nicht eine Drehbuchautorin, die eine strikte Keine-Comedy-Klausel in ihrem Vertrag stehen hat. Dann kommt sie zum Geschäftlichen. »Also … schon irgendwelche Ideen?«

Ich blinzele und bin kurz davor, das Ich bin gerade mal zwei Stunden hier zu wiederholen, aber Sarah ist eine der Topagentinnen bei CAA, und genau wie meine Regel, was Comedy angeht, habe ich auch eine strikte Keine-brotlose-Kunst-Regel.

»Noch nicht«, antworte ich und wende mich der besagten Stadt zu, die sich vor dem riesigen Fenster erstreckt. »Aber … mir fällt schon noch was ein. Das tut es immer.«

»Immer«, betont Sarah, und mir dreht sich der Magen um.

Weil ich seit fast einem Jahr nichts Bedeutungsvolles mehr geschrieben habe. Zum Glück ahnt sie davon nichts.

Und ich habe nur noch drei Monate Zeit, ein Drehbuch zu schreiben, das mein Leben verändern könnte.

Das in einer Stadt spielen soll, die ich hasse. Einer Stadt, von der ich dachte, dass ich ihr entkommen sei.

Sie legt auf. Kaffee – ich brauche Kaffee. Aus dem genau gegenteiligen Grund, aus dem man ihn normalerweise braucht.

Ich brauche ihn, um mich zu entspannen.

Ich zwinge mich, meinen Laptop einzupacken. Immerhin könnte mich auf dem Weg zum nächsten Blue Bottle Café die Inspiration überkommen. Dann verlasse ich die Wohnung, obwohl ich weiß, dass ich schrecklich aussehe.

Ehrlich gesagt laufe ich in New York City gern so rum. Wenn ich in Jogginghose unterwegs bin, werde ich wenigstens nicht blöd angebaggert oder von einem Barista zugetextet oder überhaupt angesehen. Und so mag ich es. Die wenigen Male, die ich mich noch für ein Dinner oder ein Meeting schick gemacht habe, hätte man meinen können, ich sei eine Würdenträgerin oder ein Reality Star oder eine Influencerin. Das Meer von New York hat sich vor mir geteilt: Plötzlich wurden mir die Türen aufgehalten. Der Verkäufer in der Feinkostabteilung, der sonst immer extrem unhöflich zu mir war, erkannte mich im Rock nicht mal, und ich musste ein paarmal meine Ohrstöpsel rausnehmen und »Was?« fragen, weil er mit mir plaudern wollte. Dabei geht es nicht einmal ums Aussehen, wie ich festgestellt habe, denn in New York gibt es Tausende junger Frauen, die hübscher sind als ich. Es ist fast so, als würden Männer eine Frau, die beschlossen hat, sich schick anzuziehen, ansehen und sofort denken, dass sie das nur für sie getan hat.

In den vergangenen zwei Jahren hat sich die Stadt verändert. Einige Geschäfte sind durch Social-Media-freundlichere, in Pastelltönen gestrichene Cafés ersetzt worden. Außengastronomie ist offensichtlich angesagt. Ich erkenne die Namen der gesunden Fast-Casual-Restaurants nicht, die mit Sicherheit in einem halben Jahr schon wieder vom nächsten Konzept abgelöst werden und dann vom nächsten und vom nächsten, wie eine endlose trendige Reinkarnation.

Ich bin wählerisch, was meine Cafés angeht.

Dabei geht es mir meistens nicht um den Kaffee (auch wenn eine gute Crema bestimmt nicht schadet). Es geht um die Dinge, die anderen Leuten vermutlich nicht so wichtig sind.

Die Pappbecher: Sie müssen stabil sein. Ich mag die Deckel, die so eine Transformer-Spitze haben, die die Trinköffnung bedeckt und wichtig aussieht, wie ein angemessener Hut für mein Getränk. Einer, der nicht unter meinem Mund zerknittert oder abfällt.

Der Gastraum: Ich mag Tische, die winzig genug sind, dass sich niemand dazusetzt, aber groß genug, um meinen Laptop, meinen Kaffee und das unausweichliche süße Teilchen darauf unterzubringen.

Das Gebäck: Ich mag Backwaren, die von kleinen Bäckereien stammen, die nicht riesige Ketten beliefern. Ich mag Abwechslung. Ein einzelner gefüllter Donut. Ein Muffin mit unklarer Geschmacksrichtung. Ein großes fluffiges Croissant, das ein bisschen aussieht wie ein Krebs.

Die Extras: Gerne auch noch Toast. Bagels. Granolamüsli. Joghurt.

Ich könnte mein gesamtes Leben in einem guten Café verbringen, nur mit meinem Geldbeutel und meinem Laptop. In einem zu arbeiten fühlt sich an wie Luxus, wie eine Collegeerfahrung, die ich beibehalten durfte. Einer der besten Seiten meines Jobs ist der, dass sich hinter der Drehtür eines Cafés immer mein Büro verbergen kann.

Da ich keines der Cafés hier in der Gegend kenne, beurteile ich die Läden anhand der Leute, die ich darin sehe.

Das in Schweinchenrosa gehaltene, mit dem Wort »Matcha« im Namen und einer Schlange aus Möchtegern-Influencern davor, die darauf warten vor einem winzigen Wandbild ein Foto zu machen, auf dem irgendwie Kaffee und Flügel vorkommen? Ich verzichte.

Das Loch in der Wand mit geschniegelten Wall-Street-Typen davor und To-go-Bechern, die ich schon im Supermarkt gesehen habe? Nein, danke.

Schließlich komme ich an eine klapprig aussehende Holztür. Die Fenster sind leicht verschmiert, und ich hätte es vermutlich für eine Bar gehalten, wenn nicht in diesem Moment eine Frau herausgetreten wäre, die ziemlich genau so aussieht wie ich gerade – Haare im Messy Bun, Jogginghose, Ohrstöpsel, Laptop unter dem Arm – mit der Crème de la Crème der Coffeeshop-Croissants in der Hand: Mandel mit Puderzucker bestäubt.

Bisher war es die Art von Tag, die ich am liebsten sofort vergessen würde, aber in dem Moment, als ich durch diese Tür gehe, fühle ich mich … mit meiner Welt im Reinen. Es duftet nach Kaffee, Sahne, Zucker und perfekt zubereitetem Tee. Ein Dutzend Tische sind im Café verteilt, das hohe Decken und sogar ein Oberlicht besitzt sowie Sofas und eine Auslage mit frischem Gebäck.

Ich bin zu Hause. Ich habe offiziell das Café gefunden, in dem ich mich in den nächsten drei Monaten hauptsächlich aufhalten werde, wobei ich hoffe, dass sie nicht allzu bald ein Foto von mir an die Tür hängen mit einem X darauf, weil ich einen ihrer Tische zu lange besetzt habe.

Das erste Mal kommt mir der Gedanke, dass es vielleicht gar nicht so schlimm ist, wieder in New York zu sein. Immerhin gibt es hier eine endlose Auswahl an Cafés.

Ich schreibe nicht, während ich an meinem neuen Lieblingstisch sitze, aber ich gehe alle meine E-Mails durch und meine To-do-Liste – tue praktisch alles, außer zu schreiben. Und plötzlich scheint die Welt ganz in Ordnung zu sein.

Bis ich das Café wieder verlasse, vollgestopft mit Kaffee und Backwaren, so dass ich mich schon selbst fühle wie ein Latte macchiato, und es anfängt zu regnen.

Zuerst ist es nur ein leises Nieseln. Ich gehe schneller. Es ist nicht schlimm, nur mein Dutt wird ein wenig feucht, und mein Kapuzenpulli bekommt ein paar Tropfen ab.

Dann, ohne Warnung, gibt es einen Wolkenbruch, und ich bin ihm schutzlos ausgeliefert.

Wie eine Mutter, die sofort an ihr Kind denkt, sorge ich mich um meinen geliebten Laptop und stecke ihn unter meine Kleidung. Notfalls würde ich ihn mit meinem Leben beschützen.

Ich renne, verliere fast ein Auge in einem Meer aus Regenschirmen, während mir der Regen um den Kopf peitscht, so dass mein Samthaarband dem Sturm zum Opfer fällt und mir die langen Haare nass am Gesicht kleben.

Als ich in der Lobby ankomme, bin ich dermaßen durchweicht, dass ich fast nicht reingelassen werde. Gerade als ich anfangen will, an die Glasscheibe zu hämmern, erkennt mich der Pförtner, und dieses Mal zuckt er wirklich zusammen, als ich triefend mit schmatzenden Schritten über den Marmorboden schlurfe.

Meine Haare hängen mir ins Gesicht, mein Laptop klebt an meinem Bauch, und zunächst bemerke ich gar nicht, dass noch jemand im Aufzug ist – übrigens kein bisschen nass –, bis wir gleichzeitig auf denselben Knopf drücken wollen und unsere Finger aneinanderstoßen.

Wir drehen uns zueinander um, und ich wäre am liebsten in der Pfütze zu meinen Füßen verschwunden.

Er ist es.

Der Mann vom Wirtschaftsmagazin. Der Mann aus den Nachrichten.

Der Mann, mit dem ich gar nicht so weit von hier entfernt in einem Treppenhaus rumgeknutscht habe.

Der Milliardär-Bachelor.

Parker Warren.

Ich sehe so hastig weg, dass ich mir fast sicher bin, dass er mein Gesicht nicht gesehen hat. Nicht, dass er mich erkennen würde. Er hat seit jener Nacht bestimmt mit Hunderten von Frauen etwas gehabt, wenn man der Presse Glauben schenken kann. Er hat praktisch auf der Homepage der Daily Mail gelebt, so viele Geschichten wie es über ihn und seine diversen Frauenbekanntschaften zu berichten gab.

Er drückt auf den Knopf zu meinem Stockwerk, und der Boden bewegt sich. Oder vielleicht bin das auch ich, möglicherweise werde ich gleich ohnmächtig.

Was macht er hier in diesem Gebäude?

Wieso fährt er in mein Stockwerk?

Öfter als ich zugeben würde, habe ich mir ausgemalt, wie es wäre, ihn eines Tages wiederzusehen. Ihm auf die Nase zu binden, dass er völlig falschlag mit allem, was er von mir gedacht hat. Vielleicht mit einem Academy Award für das beste Drehbuch in der Hand.

Niemals habe ich dabei ausgesehen wie ein Wischmopp.

Der Aufzug hält, und ich schieße heraus, mit gesenktem Kopf, in Richtung meiner Wohnung, so schnell, dass ich durch die Tür bin, ehe er auch nur einen Fuß in den Flur setzen kann.

Innen an die Tür gelehnt, schwer atmend, den teuren Holzboden voll tropfend höre ich, wie die Tür der anderen Wohnung auf dem Stockwerk geöffnet wird … und wieder geschlossen.

Er ist mein Nachbar.

Wenn das mal kein Filmmoment ist, denke ich.

Nur dass es sich dieses Mal um einen Horrorfilm handelt.

Kapitel 4

»In einem früheren Leben muss ich dem Karma ordentlich auf die Füße getreten sein«, sage ich zu Penelope am Telefon.

Sie ist zu sehr mit Lachen beschäftigt, um einen zusammenhängenden Satz herauszubringen. Immer wieder setzt sie an, bricht aber jedes Mal ab, mit einem Prusten, das an Ertrinken auf dem Trockenen oder eine schlecht dargestellte Hexe erinnert. Der einzige Grund, warum ich noch nicht aufgelegt habe, ist der, dass ich mit meiner Panik nicht allein sein will.

»Du …«

»Er war …«

»Dasselbe Stockwerk …«

Als sie es schließlich schafft, sich zu beruhigen, meint sie mit einem Seufzen. »Wow, Elle. Karma ist wirklich nicht dein Freund.«

»Hast du gerade Taylor Swift zitiert?«

»Natürlich habe ich das.« Sie summt vor sich hin. »Also, sieht er immer noch so lächerlich heiß aus?«

Ja. Er sieht immer noch aus wie ein Model oder ein Profisportler, nicht wie ein neunundzwanzigjähriges Tech-Genie, das gerade eine ganze Branche auf den Kopf gestellt und dann einen Multimilliardenabgang hingelegt hat. Kein Wunder, dass die Medien so fasziniert von ihm sind – von einer Titelgeschichte im Forbes Magazin bis zu einem ausführlichen Porträt in der Cosmopolitan, in dem es unter anderem um die Frage ging, warum er noch nie eine längere Beziehung hatte.

»Nicht wirklich«, antworte ich, in der Hoffnung, dass beim nächsten Mal, wenn ich ihn sehe, Karma vielleicht doch noch mein Freund geworden ist – ach, was sage ich, mein Verlobter – und dass er dann um vierzig Jahre gealtert ist und alle seine Haare verloren hat.

Penelope schnalzt missbilligend mit der Zunge. »Wenn ich dich nicht schon fast zehn Jahre kennen würde, hätte ich dir vielleicht geglaubt.«

»Wenn ich dich nicht schon fast zehn Jahre kennen würde, hätte ich schon nach dreißig Sekunden deines Erstickende-Hexe-Lachens aufgelegt.«

Das bringt sie noch viel mehr zum Lachen. Und sie klingt wirklich wie eine erstickende Hexe.

Penelope ist das Beste, was mir die Columbia beschert hat, und sehr wahrscheinlich der einzige Grund, warum ich meinen Abschluss geschafft habe. Nachdem ich aus persönlichen Gründen ein Semester ausgesetzt hatte, dachte ich daran, einfach … nicht nach New York zurückzukehren. Sie ist diejenige, die quer durchs Land nach Kalifornien geflogen ist, all meine Sachen gepackt und mich gezwungen hat, mit ihr zurückzukommen.

Also komme ich mit dem Lachen zurecht. Nein, ich liebe das Lachen – auch wenn ich ihr das nicht mal unter Folter gestehen würde.

Es ist interessant, wie Liebe alles, was ich sonst hassen würde, in meine Lieblingsfarben einfärbt.

»Penelope«, sage ich langgezogen. Sie hört auf zu lachen, weil sie sehr gut weiß, dass die Benutzung ihres ganzen Namens, mit allen vier Silben, bedeutet, dass es mir ernst ist. »Was soll ich tun?«

Sie seufzt. »Nichts, Süße. Ihr wohnt auf dem gleichen Stockwerk, aber wir wissen doch beide, dass du eine Einsiedlerin bist. Wenn überhaupt, verlässt du das Haus nur, um das nächstbeste Café mit deinem Konsum an Latte macchiato am Leben zu halten, also wirst du ihn vermutlich sowieso nie wieder treffen. Und wenn doch … Tu einfach so, als würdest du dich nicht an ihn erinnern.« Ein Moment der Stille entsteht. »Kann ich ehrlich zu dir sein?«

»Bist du doch immer.« Manchmal auch brutal ehrlich.

»Elle. Er weiß wahrscheinlich sowieso nicht mehr, wer du bist.«

Da ist sie wieder: Eine Nadel, die meine Lunge punktiert, die mir noch mehr dieses Gefühl gibt, dass es total albern ist, diesen Hass auf einen völlig Fremden zu verspüren.

Wenn ich versuche, der Sache auf den Grund zu gehen – was ich mit meinem Therapeuten schon etliche Male getan habe –, weiß ich, dass es daran liegt, dass er für all das steht, was ich hasse. Er hat mich nach meinem Aussehen beurteilt, als wäre es undenkbar, dass ich allein für mich sorgen könnte. Als bräuchte ich einen Mann für meinen Unterhalt, als wäre ich ein geldgieriger Blutegel.

Als könnte er sich niemals vorstellen, dass ich eine erfolgreiche Drehbuchautorin sein könnte, die, genau am Abend bevor wir uns begegneten, einen Vertrag für ein Drehbuch zu einem Film unterzeichnet hatte, der am Ende über eine halbe Million Dollar einspielen sollte.

Nein, er hat mich gesehen und angenommen, dass ich hinter seinem Geld her bin.

Vielleicht hätte mir das nicht so viel ausgemacht, wenn meine Mutter mich nicht dazu erzogen hätte, so verdammt unabhängig sein zu wollen. Wenn sie nicht zwei Jobs gehabt und gleichzeitig ihren Abschluss gemacht hätte, damit meine jüngere Schwester und ich weiterhin auf die bessere Schule gehen konnten, nachdem mein Dad uns verlassen hat. Wenn sie mir nicht von Kindesbeinen an eingetrichtert hätte, dass man sich nie auf irgendjemand anderen verlassen oder sich von jemandem kontrollieren lassen sollte, am allerwenigsten von einem Mann.

Wir sind stark, sagte sie immer zu uns. Wir können alles schaffen. Wir brauchen niemanden.

Also, was hat es mir gebracht, nun, da sie nicht mehr da ist?

Wenn ich an sie denke, bekomme ich sofort einen Kloß im Hals. Schnell reibe ich mit dem Daumen über meine Kette, den Anhänger, der an ihrer Brust gelegen hat. Die einzige Sache, die mir von ihr geblieben ist außer ihren weisen Ratschlägen.

Seit jenem Tag im Treppenhaus habe ich meinen gesamten Hass auf Parker Warren gerichtet. Ich habe ihn regelmäßig alle paar Wochen gegoogelt, als wäre es eine Sucht. Als wären wir in einer Art einseitigem Wettbewerb. Sein Gesicht zu sehen, an jene Nacht erinnert zu werden, hat mich angetrieben, mich motiviert, noch härter zu arbeiten. Besser zu sein. Mir selbst zu beweisen – und ihm, falls ich ihn je wiedersehen würde –, dass ich zu der Frau geworden bin, die meine Mutter großgezogen hat. Weil ich das Gefühl hatte, sie damit auf irgendeine Weise am Leben zu halten.

»Du hast recht«, sage ich, und es stimmt. Auch wenn ich ihn zwei Jahre lang als mentale Zielscheibe benutzt habe, erinnert er sich vermutlich überhaupt nicht mehr an mich. Unser Zusammentreffen hat gerade mal fünf Minuten gedauert. Die meisten Menschen haben viele Erinnerungen mit vielen Fremden. Die meisten Menschen erinnern sich nicht an diese Fremden.

Penelope wechselt das Gesprächsthema, ihre Stimme wirkt etwas zu lässig. »Also, mal zu was anderem. Hast du schon was …«

Geschrieben. Sie bricht ihren Satz ab, weil dieses Wort in den letzten Monaten bei uns zu Hause verpönt war, seit ich mit dieser Schreibblockade zu kämpfen habe.

»Nein. Aber ich bin ja gerade mal einen Tag hier. Ich bin mir sicher, die Inspiration kommt.«

Penelope stimmt mir zu. Und wenn ich sie nicht schon seit fast zehn Jahren kennen würde, würde ich ihr vielleicht sogar glauben.

 

Prokrastinieren macht mich erstaunlich produktiv. Ich nutze jede Ausrede, nicht vor der leeren Seite sitzen zu müssen – vor dem Cursor, der mich von der gemütlichen Weite seines Zuhauses anblinzelt, als wollte er sagen, ich sollte mich eigentlich bewegen, weißt du noch? –, und im Moment bedeutet das, Koffer auspacken.

Das Paar, für das ich die Homesitterin spiele, hat noch nicht wirklich in der Wohnung gewohnt. Sie befindet sich gerade in den letzten Zügen der Renovierung – was bedeutet, dass ich im Gegenzug für das kostenlose Wohnen ein paar der Arbeiten beaufsichtigen soll –, also ist der Großteil des Apartments bewohnbar. Die einzigen noch nicht fertiggestellten Bereiche sind das zweite Badezimmer – was für ein Luxus –, das große Schlafzimmer und ein Büro, das größer ist als mein Schlafzimmer zu Hause. Mein Zimmer ist das einzige, das schon vollständig möbliert ist, und der Ausblick aus dem Fenster geht auf eine tickende Turmuhr, das Empire State Building, und etwa ein Dutzend Feuerleitern und Wassertürme hinaus. Das Stockwerk befindet sich so weit oben, dass ich die Dächer der Stadt sehe, wie ein Riese, der den Kopf neigt, die Wolken um die Ohren, die Sonne im Nacken.

Als Penelope mir beim Packen half, sagte sie: »Elle, du wirst den Sommer in New York verbringen.«

Ich erwiderte: »Penelope, das weiß ich.«

Daraufhin nahm sie meinen Koffer und schüttelte den Inhalt aufs Bett. »Das sind nur Sweatshirts und Jogginghosen!« Sie seufzte. »Wir leben nun schon seit zwei Jahren in L.A., und ich habe dich noch nicht einmal in einem Kleid gesehen, geschweige denn in irgendetwas, das deiner Figur auch nur annähernd schmeichelt. Hast du eine Sonnenallergie? Befürchtest du, ich könnte dich dafür hassen, dass du trotz deiner täglichen Dosis an Crackern, Eis, Bagels und Latte macchiatos immer noch einen Pilates-Body hast?«

Ich verzog das Gesicht. »Pilates-Body?«

»Du weißt schon, was ich meine!«

Das wusste ich nicht, aber jetzt glaube ich zu verstehen, worauf sie hinauswollte. Meine Kleidung besteht nämlich ausschließlich aus Columbia-University-Joggingsachen – weil sie so weich sind wie ein Pyjama und dabei akzeptabel genug, um sie auch außerhalb meiner Schreibhöhle tragen zu können – oder Kaschmirpullis, die so viel Pilling aufweisen, dass man daraus einen eigenen neuen Pullover machen könnte, Yogahosen, die noch nie ein Yogastudio von innen gesehen haben, und Kuschelsocken. Zu Hause zu arbeiten, an meinem Laptop, mein ganzes Erwachsenenleben lang, hat dazu geführt, dass ich meine Kleidungsentscheidungen nur aufgrund von Gemütlichkeit getroffen habe und überhaupt nicht gemessen an ästhetischen Maßstäben.

Im ganzen Stapel befindet sich nur ein Kleid, und es gehört Penelope. Es ist außerdem so kurz und eng, dass es nur innerhalb der Mauern eines Nachtclubs Sinn ergeben kann. Sie muss es mir untergeschoben haben, zusammen mit einer winzigen roten Unterhose.

Ich verdrehe die Augen und stecke beides in den Schrank, absolut überzeugt, dass sie abgesehen von diesem hochwertigen California-Closets-Regalbrett nichts von New York sehen werden.

Ich gehe duschen, wobei ich drei verschiedene meiner Lieblingsseifen verwende, um den New-York-City-Regen abzuwaschen und jede verbleibende Erinnerung an die Person, die auf der anderen Seite der Wand wohnt. Als ich aus dem Bad komme, regnet es draußen immer noch leicht, und dunkle Wolken bedecken den Himmel. Von so weit oben sind sie gerade mal hüfthoch, als könnte ich das Fenster öffnen und hindurch kraulen.

Trostessen. Das ist es, was ich jetzt brauche. Nichts hilft an einem schlechten Tag besser als ein Cookies-and-Cream-Milkshake und ein Chicken-Sandwich zum Abendessen. Ich verputze mein Festmahl auf dem Wohnzimmerboden, wo einmal eine riesige Couch stehen wird, mein Laptop, auf dem ich mir In 90 Tagen zum Altar angemacht habe, vor mir.

Sogar ich erkenne, wie traurig das Bild ist.

Es ist meine erste Nacht in New York City. Wäre ich Penelope, würde ich jetzt in einem der exklusivsten Clubs tanzen, mit Schuhen, die mir vor Schweiß an den Fußsohlen kleben. Wäre ich meine kleine Schwester, würde ich in einer Kunstgalerie mit Ausdrücken wie »Postmodernismus« um mich werfen und Häppchen in kleinen Quadraten essen. Wäre ich die Hauptfigur aus meinem letzten Film, würde ich in der Mitte des Times Square im Sturm stehen, das Gesicht gen Himmel gerichtet, lächelnd, völlig sorgenfrei.

Aber ich bin ich, und so sieht für mich schon seit Jahren ein perfekter Abend aus.

Ich gehe ins Bett und frage mich, wie ich zulassen konnte, dass mein Leben so langweilig geworden ist – und warum mir das plötzlich auffällt.

Kapitel 5

Ich werde von Sirenen geweckt. Blitzenden Lichtern. Ich schlage ein Auge auf und frage mich, ob ich in einer Art Fiebertraum feststecke, ehe mir eine dünne moderne Roboterstimme die Anweisung gibt, mich zum nächsten Notausgang zu begeben. »Nicht den Aufzug benutzen. Das ist ein Feueralarm.«

Ich bin sofort auf den Beinen, mein Magen krampft sich zusammen. Vielleicht war das mit dem Milkshake und dem Chicken-Sandwich doch keine so gute Idee. Ich bekomme Panik, weil ich neurotisch bin und das eine meiner Horrorvorstellungen ist. Ohne darüber nachzudenken taste ich an mir herab, um zu sehen, was ich trage, anstatt einfach nach unten zu sehen. Ein Tanktop und Schlafshorts. Das müsste passen. Draußen sind es wahrscheinlich eh hundert Grad.

Die Roboterstimme drängt mich, meine Wohnung zu verlassen, und das will ich auch gerade tun, als ich noch einmal zurückrenne.

Mein Baby!

Ich schnappe mir meinen Laptop vom Küchentresen, klemme mir mein Handy unter die Achseln, schlüpfe in ausgelatschte Turnschuhe und stürze in den Flur hinaus.

Hier ist die Stimme noch lauter, genau wie die Sirene. Ich entdecke das Schild Notausgang an der Tür zur Feuertreppe, die ich mit der Schulter aufdrücke. Die Tür schlägt gegen etwas Festes …

Eine Person, die dahinter steht.

Nicht irgendeine Person.

Ich erstarre im Türrahmen, den Laptop an die Brust gedrückt, das Gesicht erhellt von der zweifellos nicht sehr schmeichelhaften flackernden Notbeleuchtung.

Er ist es. Parker.

Und wir sind wieder in einem Treppenhaus.

Elle, er weiß wahrscheinlich sowieso nicht mehr, wer du bist. Penelopes ernste Kein-Quatsch-Stimme erklingt in meinem Kopf, und sie hat recht. Selbst jetzt, wo ich nicht triefend nass bin vom Regen, ist in seinen Augen nicht die Spur eines Wiedererkennens zu sehen. Er fragt mich nicht, ob wir uns schon mal begegnet sind.

Stattdessen starrt er bloß meinen Laptop an und runzelt die Stirn.

»Hast du vor, den sechzig Stockwerke nach unten zu tragen?«

Sechzig? Ich habe völlig verdrängt, wie hoch oben wir sind. Ich lache auf, aber es klingt ein wenig wahnsinnig, besonders so, wie es von den Wänden des Treppenhauses widerhallt.

»Nein«, antworte ich und drücke die Tür wieder mit der Schulter auf. »Ich versuche lieber mein Glück mit dem Feuer.«

Er streckt blitzschnell den Arm aus und hält die Tür fest. »Du kannst nicht einfach in deine Wohnung zurückgehen.«

»Das ist bestimmt eh ein Fehlalarm.«

»Und was, wenn nicht?«

Genervt verschränke ich die Arme vor meinem Laptop. »Du hast doch auch noch hier rumgestanden, als würdest du überlegen, welche Möglichkeiten du hast, bevor ich dazugekommen bin.«

Er starrt mich an, und ich müsste lügen, wenn ich leugnen würde, dass es mir nicht ein leichtes Kribbeln im Bauch verursacht. Seine Augen sind auf unfaire Weise grün, eine Farbe, von der ich nicht dachte, dass sie so bei einem Menschen vorkommen kann. »Da du nun schon mal hier bist, kann ich dich nicht guten Gewissens wieder reingehen lassen. Für den Fall, dass es wirklich brennt.«

»Wie heldenhaft von dir. Hast du vor, mich die sechzig Stockwerke runterzutragen? Denn ich habe seit dem Sportunterricht in der zehnten Klasse kein Ausdauertraining mehr gemacht, also stehen die Chancen gut, dass die Treppen mich erledigen, bevor es das Feuer schafft.«

Sein Blick gleitet hastig über meinen Körper, dann sieht er mir wieder in die Augen. Und in diesem kurzen Moment wirkt es so, als ob … er mich abgecheckt hätte?

»Wirklich?«, erwidert er, halb gelangweilt, halb ungläubig.

Ich muss daran denken, was Penelope über meinen Pilates-Body gesagt hat, doch dann schüttele ich den Gedanken ab. Nein, er bewundert garantiert nicht meinen unspektakulären Körper in diesem Tanktop, das mir gerade doch etwas zu aufreizend erscheint, um es in der Öffentlichkeit zu tragen, und diese Shorts, die ich seit meinem ersten Jahr auf dem College besitze. Wahrscheinlich flirtet er einfach mit allem, das einen Puls hat, wenn man diesen Paparazzi-Fotos glauben kann, die ihn vor Clubs zeigen. Auf jedem dieser Foto hat er eine andere Frau im Arm.

Nicht, dass ich diese Artikel lesen würde.

Ich setze meine finsterste Miene auf und seufze. »Weißt du was? Ich habe dich gewarnt.« Damit schiebe ich mich an ihm vorbei und mache mich daran, die Treppe hinunterzusteigen.

Ich habe nicht gelogen. Meine körperliche Ertüchtigung der vergangenen Jahre bestand hauptsächlich daraus, sieben Schritte zu meiner Breville Kaffeemaschine zu gehen, fünf Schritte zum Bad und vier Schritte zu meinem Bett. Penelope hat mal die Health-App auf meinem Handy gecheckt und entsetzt ausgerufen: »Elle! Du bist diese Woche im Durchschnitt neun Schritte gegangen? Apple hält dich vermutlich für tot!«

Es geht treppab. Das kann nicht so schlimm sein.

Nach drei Absätzen beuge ich mich vornüber, schwer atmend, als wäre ich einen Marathon gelaufen. Ich bin mir schon sicher, dass er mich überholt hat und allein nach unten gegangen ist, aber als ich schließlich die Augen öffne, sehe ich ihn vor mir stehen, entspannt an die Wand gelehnt, als würde nicht immer noch die Sirene des Feueralarms plärren. »Das war wohl kein Scherz.«

Ich schüttele atemlos den Kopf. »Warum sollte ich einen Scherz darüber machen, einen Körper ohne Muskeln zu besitzen?«

Er starrt mich nur an, zwei stechend grüne Augen, die mich mustern, als wäre ich eine Programmzeile, die nur darauf wartet, entziffert zu werden. Dann streckt er die Hand aus.

Einen Moment lang denke ich, er will mir die Hand reichen oder mir anbieten, mich auf dem Rücken zu tragen oder etwas ähnlich Unvorstellbares, doch als ich ihn entsetzt anstarre, runzelt er nur die Stirn und sagt: »Dein Laptop.«

Ich presse ihn mir an die Brust und wende mich ab, als wollte er ihn mir klauen. »Nein.«

Er zieht die Augenbrauen hoch. »Nein?«

»Nein. Den kann ich schon selbst tragen.« Kann ich gar nicht. Das zusätzliche Gewicht macht diesen Abstieg für mich unerträglich.

Er sieht mich ungläubig an. »Denkst du, ich habe vor, ihn dir zu stehlen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Ich kenne dich ja nicht.«

Er lacht überrascht auf. Einen Moment später ist allerdings schon wieder der gewohnte lässige Ausdruck auf seinem Gesicht. »Ich habe selbst genügend Laptops. Auch wenn diese Sticker ganz niedlich sind …«

Sofort bereue ich die Dutzend verschiedener Illustrationen von Kaffee, die die Oberseite meines Laptops zieren.

»… brauche ich deinen wirklich nicht.« Er streckt wieder die Hand aus.

»Na schön.« Ich reiche ihm den Computer und füge hinzu: »Es hat jede Menge Verschlüsselungen und so, also, selbst wenn du wolltest, könntest du ihn nicht benutzen.«

Mein Laptop besitzt nichts dergleichen. Ich sollte ihn vermutlich wirklich besser sichern.

Unter seinem Arm sieht der Laptop lächerlich klein aus, wo er gerade noch fast meinen gesamten Oberkörper bedeckt hat. »Ist das so«, sagt er langsam, als könnte er meine Verschlüsselungen nicht eh innerhalb von fünf Sekunden knacken, wenn sie tatsächlich existieren würden. Er hat als Bester seines Jahrgangs in Stanford abgeschlossen, und war schon vorher so gut im Programmieren, dass die US-Regierung ihn angestellt hat, als er noch in der Highschool war.

Nicht, dass ich seine Wikipedia-Seite gelesen hätte oder so.

Wir gehen schweigend weiter, und ich bin beeindruckt von mir selbst, dass ich zehn weitere Stockwerke schaffe, ehe ich mich an die Wand lehne und mir die Seite halten muss. »Geh ohne mich weiter«, sage ich und meine es ernst. »Rette nur meinen Laptop. Da sind wichtige Dinge drauf.«

Er neigt den Kopf zur Seite. »Dann, schätze ich, solltest du es auch aus dem Treppenhaus raus schaffen, denn außer dir wird niemand in der Lage sein, deine vielen Verschlüsselungen zu knacken.«

Ich starre ihn genervt an. Dann stöhne ich auf. »IchhättedenMilkshakeunddasChickensandwichnichtessensollen.«

»War das ein normaler Satz?«

»Ich habe gesagt«, erkläre ich mit verzogenem Gesicht, »dass ich den Milkshake und das Chicken-Sandwich nicht hätte essen sollen.«

Er schweigt einen Moment lang. Dann: »Ich bin mir ziemlich sicher, dass man einen Milkshake trinkt und nicht isst.«

Ich schüttele den Kopf, die Hände immer noch in die Seite gepresst. »Nö. Ich esse Milkshakes mit dem Löffel. Das macht zehnmal mehr Spaß und man hat viel länger was davon.«

Ich spüre seinen Blick auf mir, auch wenn ich die Augen vor Schmerz zusammengekniffen habe. Der Krampf in meiner Seite fühlt sich an, als wäre ich mit einem gesamten Messerblock attackiert worden.

»Geh«, stöhne ich wieder. »Ernsthaft. Es wäre eine Schande, wenn die Anzahl an Milliardären von 2668 auf 2667 sinken würde.«

Eine Sekunde herrscht Stille. Zwei. »Du weißt, wer ich bin?«

»Natürlich tue ich das«, erwidere ich zähneknirschend, weil ich wieder daran erinnert worden bin, dass er sich nicht daran erinnert, mich schon mal getroffen zu haben. »Dein Gesicht ist auf allen Titelseiten.« Ich werfe ihm einen gequälten Blick über die Schulter zu. »Sorry, hätte ich mich in deiner Gegenwart verbeugen sollen? Dir zu deinem Verkauf gratulieren? Dir mein eigenes Start-up vorstellen, um deinen Rat einzuholen? Ich kenne mich bei so was nicht aus.«

Ich meine, seine Mundwinkel zucken zu sehen, aber nein, das muss eine Illusion gewesen sein, denn einen Moment später runzelt er schon wieder die Stirn. »Wie heißt du?«, fragt er fordernd.

»Warum?«

»Du kennst meinen Namen, da erscheint es mir nur fair, dass ich ebenfalls erfahre, wer die Person ist, neben der ich in diesem Treppenhaus sterben werde.«

Ich verdrehe die Augen. »Wir werden nicht sterben.«

Es ist kein Rauch zu riechen, und unter uns sind nur wenige Leute im Treppenhaus auszumachen, was wohl bedeutet, dass die meisten Bewohner beschlossen haben, in ihren Wohnungen zu bleiben. Wahrscheinlich sind sie schlau genug gewesen, den Pförtner unten anzurufen und zu fragen, ob es sich um einen Fehlalarm handelt.

»Ich heiße Elle.«

»Wie die Zeitschrift?«

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. »Du kennst die Elle?«

»Die haben mich da auf irgendeine blöde Liste geschrieben.«

Ich erinnere mich an die Liste, weil ich die Elle tatsächlich lese und weil, ja, ich jeden Artikel gelesenhabe, in dem er erwähnt wurde. Sie hatten ihn in die Liste der Begehrenswertesten Milliardär-Bachelor aufgenommen. Daher stammt vermutlich auch sein Spitzname.

»Los, komm schon, Elle«, sagt er. Mein verräterischer Körper erschaudert, als er meinen Namen sagt. »Tue es für dein Kind – ich meine, deinen Laptop«, fügt er hinzu und hält ihn in die Luft. Die freie Hand streckt er mir hin.

Einen Moment lang starre ich sie nur an. Ich erinnere mich noch an seine Worte in jener Nacht; ich muss daran denken, dass er nicht einmal mehr weiß, wer ich bin, nachdem mich unsere Begegnung jahrelang verfolgt hat.