Superdroge Arbeit - Jan Schäfer - E-Book

Superdroge Arbeit E-Book

Jan Schäfer

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Beschreibung

Superdroge Arbeit ist das Work Life Balance Buch für Führungskräfte und Gutverdiener wie Anwälte, ITler, Ärzte, Lehrer, Banker und Richter. Wir arbeiten 40 Stunden. Wir ackern, leisten und verdienen viel Geld – und haben trotzdem nichts vom Leben. Jan Schäfer zeigt in diesem provokanten Work Life Balance Buch, warum Vollzeitarbeit eine Droge ist, die unser Leben auf Standby stellt. Dabei legt er schmerzhaft offen, warum wir uns jeden Tag mit Leistungsdruck und Stundenwahnsinn betäuben – und so Freunde, Familie, Liebe und Interessen links liegen lassen. Superdroge Arbeit ist ein emotionaler Wachmacher. Ein Teilzeit Arbeit Ratgeber in ein freieres Leben. Jan Schäfer zeigt in drei Phasen, wie wir einen Arbeitsentzug erfolgreich meistern und so ein Burnout vermeiden. Dabei erklärt er anhand von geschichtlichen Entwicklungen, Anekdoten, Studien, Gesetzen, Rechtsprechung und Praxisaufgaben, welche Faktoren uns im Hamsterrad gefangen halten, wie wir uns daraus befreien und ein erfüllteres Leben führen.

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SUPERDROGE

ARBEIT

 

JAN SCHÄFER

SUPERDROGE ARBEIT

WARUM GANZ DEUTSCHLAND SÜCHTIG IST

– UND WIE DU CLEAN WIRST

 

Self-published

Münster

Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehme ich für deren Inhalte keine Haftung, da ich mir diese nicht zu eigen mache, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweise.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.de abrufbar.

© 2022 Jan Schäfer

Tom-Rink-Straße 6, 48153 Münster

Instagram: dasmachtjan

http://www.dasmachtjan.de

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung und Motiv: Rehder & Companie

Satz: Rehder & Companie

Fotocredit Portraitfoto auf Buchrücken: Max Kruggel

Printed in Germany

Inhalt

Betäubt

PHASE 1: STUNDENÜBERDOSIS

Schuften und Träumen – oder: Wie wir früher gelebt haben

Schwing den Hammer, ich will Brot!

Hallo acht Stunden!

Man wird doch wohl noch träumen dürfen!

180 Grad: Der Ofen ist aus!

Versicherung, Prestige und Porsche – oder: Warum wir heute so leben

Das Eltern(anti)vorbildgeschwür

Der Geld-Glück-Irrtum

Das Lebenslückentrauma

Von bedeutungslosen Jobs mit wichtig klingenden Namen

Das Karriere-Missverständnis

Die Lüge der Unternehmen

Die Freizeit-Illusion

Der Selbstoptimierungszwang

Der „Magst-Du-Deinen-Job-arbeitest-Du-40-Stunden-Tumor“

I am a piece of work!

Das „Das ist-halt-so-Syndrom“

Der gefährliche Faulpelzstempel

Der Sicherheitswidersinn

Der Irrglaube des richtigen Zeitpunkts

Hallo Kultur des Scheiterns?

Die Lüge vom Rentenparadies

Die Nebenwirkungen der Stundenüberdosis

Wo kommen wir denn da hin?

Bye-bye Feierabend: Aufhebung der Tageshöchstarbeitszeit

Die bittere Pille: Microdosing

Alles Karoshi, oder was?

PHASE 2: ARBEITSENTZUG

Let’s talk!

Mit Recht zu Teilzeit

Hier bin ich und das will ich!

Hallo, Münchhausen, mein Name!

What the stuff!?

Der selbstständige Entzug

PHASE 3: CLEAN

Hilfe, ich habe frei!

Die etwas andere To-do-Liste

Huch, das wusste ich noch gar nicht!

Bitte, gerne, danke!

Hallo liebe Liebenden!

Fun Business

Chill mal, Alter!

Die Live-Life-Formel

Exit

Anhang

Literatur

Anmerkungen

Betäubt

Die Nadel sitzt. Fast beiläufig, neben Rührei und Toast schießt Du Dir Deinen allmorgendlichen Drogencocktail in die Vene. Ein mächtiges Konglomerat aus Leistungsdruck und Stundenwahnsinn. Betäubt! Von Montag bis Freitag. Manchmal sogar am Wochenende. Ein Fix, der Dich jeden Tag aufs Neue mindestens acht Stunden von Deinem Leben abhält. Sprechen wir es aus:

Du bist ein Junkie.

Du hast richtig gehört. Du bist arbeitssüchtig. Richtig abhängig. Vielleicht weißt Du das. Vielleicht hast Du aber auch keinen blassen Schimmer. Ich helfe Dir gern auf die Sprünge: Wenn Du 40 Stunden die Woche arbeitest, bist Du süchtig. Du bist ein Drogi, der seine Spritze braucht. Abhängig vom Fix Deines Bildschirmleuchtens, der OP-Saal-Leuchtröhre oder der DAX-Tafelanzeige.

Wie ein echter Junkie lässt Du den Rest Deines Lebens links liegen: Freunde, Liebe, Familie, Sport, Reisen und Lesen glimmen auf kleinster Flamme. Ein kümmerliches Leuchten wie der letzte Funken eines abgerauchten Crack-Joints. Du trottest als Alltags-Zombie durch Nine to Five. Rotierst als Roboter zwischen Anweisungen, Aufgaben und Arschlöchern, ohne Sinn und Verstand. Am Wochenende ertränkst Du dann Dein letztes Fünkchen Hoffnung auf Persönlichkeit und ein Leben in einer überteuerten Flasche Wein. Und all das nicht, weil Dir Dein täglicher Schuss tatsächlich ein Hoch beschert, sondern…ja, warum eigentlich?

Vielleicht, weil Du über die Jahre Deines komatösen Daseins längst vergessen oder verdrängt hast, ob Du Deinen täglichen Fix überhaupt magst. Vielleicht, weil Du glaubst, dass 40 Stunden „normal“ sind. Ganz sicher aber, weil Du auf Deiner Stirn tätowiert hast:

Vollzeitarbeit ist die absolute Wahrheit.

Damit ist jetzt Schluss. Es ist Zeit für eine Revolution. Und das hier ist Dein Manifest. Das geht an alle Gutverdiener dieses Landes. An alle Anwälte, Ärzte, ITler, Banker, Richter, PRler und Unternehmer. An alle Menschen in Jobs mit gutem Geld. Dieses Manifest ist der Stinkefinger für Vollzeit. Für Arbeit, die Dir manchmal Spaß macht, oft aber auch tierisch auf den Senkel geht. Weil 40 Stunden einfach zu viel sind – und Dein restliches Leben auf Standby schalten. Sind wir ehrlich:

Wer Vollzeit arbeitet, hat die Kontrolle über sein Leben verloren.

Ich spreche dabei nicht von Künstlern oder Menschenrechtlern, die jeden Tag aufwachen und nichts anderes tun wollen als das, was sie jeden Tag tun. Das sind die Berufenen: frei und selbstbestimmt, sinnstiftend für sich selbst. Die morgens vergessen zu frühstücken, weil sie in Uganda einen kleinen Jungen mit Zahnschmerzen behandeln wollen. Die vergessen haben zu schlafen, weil sie sich in einer nächtlichen Mal-Orgie verloren haben. Die an nichts anderes denken können und ihre Arbeit vollkommen bewusst vor Familie, Freunde und den Rest ihres Lebens stellen.

Nein, ich spreche von Dir. Du magst Deine Arbeit. Du hältst Deine Arbeit für Deine Pflicht. Eigentlich. Manchmal kommt der Zweifler in Dir durch, der sich montags schon auf Freitag freut – und Sonntag bereits kein Bock auf Montag hat. Du bist der Lemming: angepasst und fremdgesteuert, im sinnfreien Trott. Warum Du trotzdem jede Woche von vorne bis hinten durchmachst, nennt Deutschland „Fleiß“. Ich nenne es eine gesellschaftlich verabreichte Sucht – und damit das Kind beim Namen.

Dieses Buch ist daher Deine Therapie und Deine Kur. Dein Weg zu mehr Zeit für Dich und das, was Dir wirklich wichtig ist. Ein emotionaler Wachmacher, der Dich aus Deinem Corporate-Koma oder Behördenschlaf holt.

Die gute Nachricht vorweg: Es ist nur zum Teil Deine Schuld, dass Du ein Mitläufer bist, der nach den Regeln anderer lebt. Wahrscheinlich weißt Du gar nicht, dass Du clean sein kannst. Wie Du clean sein kannst. Um Dein Leben aus dem Junkie-Standby in den Live-Modus zu schalten – und so Deinem Dasein wieder mehr Sinn zu geben.

Dein wichtigstes Werkzeug dafür ist Dein Verstand – bereits stark eingeschläfert von der Superdroge Arbeit. Es gibt jedoch Hoffnung. Ein Licht am Ende des Indoktrinierungstunnels. Mach Dich bereit, für Dich fest verankerte, vermeintlich unabänderliche Gesetze zu ignorieren – und Deine eigenen zu schreiben. Mach Dich bereit, Deine Denkweise zu revolutionieren. Das klingt verrückt, ist es aber nicht. Verrückt ist es einzig und allein, 40 Jahre lang 40 Stunden die Woche Anweisungen zu folgen. Denen Deines Chefs oder denen des Geldes.

Bin ich ein ambitionierter Unternehmer, der schon fünf Firmen gegründet hat und nebenbei ein Manifest zur Arbeitswelt schreibt? Nein. Bin ich ein kleiner Sheldon Cooper, der die Matrix sehen kann? Nein. Ich bin durchschnittlich intelligent, mag Urlaub und gutes Essen. Vielleicht so wie Du. Ich bin ganz gut in meinem Job, aber auch kein Ernest Hemingway oder Steve Jobs. Grundsolide würde ich sagen. Durch die Zusammenarbeit mit über 100 Unternehmen habe ich als selbstständiger PR- und Werbetexter jedoch tiefe Einblicke in die Denk- und Arbeitsweise von Arbeitgebern und Arbeitnehmern erhalten. Mir ist daher bis ins Knochenmark bewusst, warum ganz Gutverdiener-Deutschland Vollzeit arbeitet, ohne dass es das wirklich will. Und ich weiß, wie Du weniger Stunden arbeiten und so zufriedener und ausgeglichener werden kannst. Wieder mehr Du. Dafür verkaufe ich Dir keine neunmalklugen Steuertipps. Keine kopfschmerzbereitende Minimalismus-Anleitung und auch keine wahnwitzigen Tricks, die Dich mit nur vier Stunden Arbeit eine Yacht in der Karibik finanzieren lassen. Nein, dieses Buch ist bodenständig. Ein reiner Realist. Dein Therapeut für Dein Leben im Hier und Jetzt. Genau da, wo Du bist, kannst Du clean und frei sein. Denn: Wenn ich das kann, kannst Du das auch. Wer will, der kann. So einfach ist das.

Bis dahin wird es kein leichter Weg für Dich. Du wirst den Kopf schütteln, die Augen aufreißen und mir den Vogel zeigen. Und manchmal sicher auch den Mittelfinger. Ich werde an Deinen Glaubenssätzen rütteln und Deine Arbeitsnaturgesetze umschmeißen. Ich werde Deine Welt so schütteln, dass es etwas weh tun wird. Also halt Dich gut fest! Machst Du mit und hältst Du durch, wirst Du erkennen, dass Du so leben kannst, wie Du es willst. Mit mehr in der Sonne sitzen, morgens einfach mal liegen bleiben, ein gutes Buch lesen, stundenlang Musik hören und vollkommen sinnvoll nichts tun. Außerhalb des Vollzeit-Drogensumpfs – und innerhalb Deiner eigenen Wohlfühlzentrale. Hast Du einmal diesen gedanklichen Schalter umgelegt, bist Du den wichtigsten Schritt gegangen. Du hast es dann selbst in der Hand, Deinen Entzug in der Praxis anzugehen und clean zu werden – und Dir ein freieres und selbstbestimmteres Leben zu schaffen.

Damit Du mit dieser Erleuchtung nicht im Dunkeln tappst, erklärt Dir dieser Ratgeber auch, welche Wege Dir unser System zur Verfügung stellt, um Deinen Entzug von der Superdroge Arbeit erfolgreich durchzuziehen. Ich zeige Dir dafür in Deiner Drogi-Zelle offene Türen, die Du bisher als Mauern wahrgenommen hast. Türen, die Dich in eine neue Welt treten lassen. Eine Welt, in der Du erkennst, wie sich nüchtern und klar anfühlt. Du musst dann nur noch die Schwelle zur Freiheit übertreten. Ein letzter Schritt und Du bist clean. Bist Du bereit?

Anmerkung: Alle Episoden in diesem Buch sind exakt so passiert, wie ich sie schildere. Wenn es nicht meine eigenen Erlebnisse, sondern die von Freunden, Bekannten oder Mitarbeitern meiner Kunden waren, habe ich lediglich ihre Namen abgeändert.

PHASE 1: STUNDENÜBERDOSIS

 

Schuften und Träumen – oder: Wie wir früher gelebt haben

Du sitzt in der Drogen-Scheiße. Richtig tief drin. Damit Du weißt, wie Du da überhaupt hineingeraten bist, lohnt ein Blick in Deine Vergangenheit. Als Du noch nicht zu dieser Welt gehörtest, an der Nabelschnur hingst oder breiartige Häufchen in plüschweiche Windeln gemacht hast. Eine kleine Geschichtsstunde wird Dir zeigen, warum Du heute täglich acht Stunden arbeitest. Und nicht sechs oder vier. Oder zwei. Warum Du eigentlich nur zum Suchti werden konntest. Dein Benefit: Nach diesem kurzen Rausch durch die (Arbeits-)Zeit weißt Du endlich, warum Du überhaupt den lieben langen Tag das tust, was Du tust – und Du siehst, was Du eigentlich tun könntest.

Schwing den Hammer, ich will Brot!

Früher glaubte eigentlich jeder daran, dass alles gut wird. Weniger Arbeit, mehr freie Zeit. Selbst – und jetzt halt Dich fest – Politiker und Ökonomen strebten ein Leben abseits der Schufterei für alle an. Kein Wort von Fleiß, Produktivität, Vollgas und Konkurrenzkampf. So ging der US-amerikanische Gründungsvater Benjamin Franklin im 18. Jahrhundert davon aus, dass vier Stunden Arbeit pro Tag bald ausreichen würden.1 Der Rest der Zeit sollte ein reines Lotterleben rund um Theater, Triebe und Branntwein sein. Nach dem Motto: Work smart, chill hard.

Die Realität war von diesem verlockenden Motto jedoch weit entfernt. Statt sich Gedanken darüber zu machen, in welcher Position auf der Couch der Alkohol wohl am besten schmeckt, schwangen die Menschen unentwegt ihren Hammer, um Brot auf den Tisch zu bringen. Der Gedanke an freie Zeit oder den Kauf von Luxusartikeln wie feinen Gewürzen waren selbst in der hinterletzten Ecke des Denkapparats der Arbeiter nicht zu finden. Nein, hier ging es ums nackte Überleben. „Friss oder stirb“, nur irgendwie anders. Benjamin Franklins Motto „Work smart, chill hard“ wirkte damit so abgehoben, dass selbst der größte Optimist darüber nur die Nase rümpfen konnte.

Die industrielle Revolution holte dann selbst den Träumer Franklin zurück auf den Boden der Tatsachen – noch bevor sich die Arbeiter überhaupt mit seiner Idee anfreunden konnten. Ab jetzt standen mancherorts – auweia – 70-Stunden-Wochen auf der Arbeitsagenda. Ohne Urlaub und ohne Wochenende. Auch für Kinder. Was eine Wendung! Bester Stoff für eine Dystopie aus Hollywood – ohne Happyend.

Hallo acht Stunden!

Mitten in diesen Stundenwahnsinn brachte der britische Philosoph John Stuart Mill Mitte des 19. Jahrhunderts optimistischen Wind in die Oberstübchen der Arbeiter. Seine Prognose: Die Moneten würden sich bald unter unseren Kopfkissen stapeln. Und mit einer kleinen goldenen Nase wäre es für uns das Beste, wenn wir möglichst viel frei machen würden. Mehr Geld für mehr frei. Klingt plausibel, oder? Sein Plan schien durchdacht: Lasst uns Technologien erfinden, die unsere Arbeitswoche so weit herunterschrauben, dass Dienstag oder Mittwoch der neue Freitag wird. Ganz so weit war die Arbeitswelt dann wohl doch noch nicht. 1856 kam aber Australien zu ein bisschen Besinnung: Wofür 50.000 Kilometer Küste, Sand und Strand vor der Tür, wenn man jeden Tag nur den Hammer schwingt und im Dunkeln todmüde ins Bettchen fällt? Das neue Credo: Acht Stunden Arbeit sollten reichen. Das gefiel wohl dem einen oder anderen Staatslenker, so dass einige Länder fortan im Schnitt unter die 60-Stunden-Marke kamen. Wow! Das hatte Wirkung. Die Leute wurden optimistisch. Der irische Dramatiker und Nobelpreisgewinner George Bernard Shaw ließ sich im Rausche dieser Entwicklung in 1900 zu der Prognose hinreißen, dass wir im Jahr 2000 nur noch zwei Stunden pro Tag arbeiten würden. Good one, George! Dieser Gedanke stieß den Strippenziehern der Wirtschaft aber sauer auf. Sie hatten während der industriellen Revolution an dicken, fetten Geldsäcken geschnuppert – und sie wollten diese weiter in ihrem Geldspeicher stapeln. Noch weniger Arbeit würde jedoch bedeuten, weniger McMoneysack und mehr dumme Gedanken und Schabernack auf den Straßen.2

Immerhin Deutschland zeigte sich etwas nachsichtig und verkürzte im selben Jahr seine Arbeitszeit auf zehn Stunden pro Tag – bei sechs Arbeitstagen die Woche. Als dann in den USA Henry Ford die Kapitalismusbühne betrat, sollte die Arbeitszeit noch ein klitzekleines Stückchen in Richtung der utopischen Vorstellung von George Bernard Shaw rücken. Der gute Henry meißelte 1926 die Fünf-Tage-Woche in Stein. Seine Strategie: Mehr schaffen in kürzerer Zeit. Henry, unser Held und Samariter? Weit gefehlt! Herr Ford wollte lediglich, dass sich seine Arbeiter am Wochenende erholen, damit sie am Montag wieder voller Elan am Fließband stehen konnten. Und: Sie sollten nicht nur in das Licht seiner Fabrikröhren starren, sondern auch seine Autos kaufen. Und ein Arbeiter, der keine freie Minute hat, kommt einfach nicht auf die Idee, sich einen heißen Schlitten zuzulegen. Der Plan war genial: Henry Ford wollte eine untrennbare Korrelation aus Arbeit und Konsum kreieren, die die Arbeiter dort hielt, wo er sie am liebsten sah: am Fließband. Am laufenden Band. Das Hamsterrad war geboren.

Man wird doch wohl noch träumen dürfen!

Trotz Vergangenheit bleibt der Mensch auch in der Zukunft dumm. Das gilt heute genauso wie früher. Daher ging es munter weiter mit wilden Prognosen zur Arbeitszeit. Der britische Ökonom John Maynard Keynes sagte 1930 in seinem Aufsatz „Economic Possibilities for our Grandchildren“ voraus, dass wir 2030 nur noch 15 Stunden die Woche knechten werden.3 Er glaubte wie John Stuart Mill an einen rapiden technologischen Fortschritt. Und: dass wir bis dahin genug von schicken Autos und fancy Designerstühlen haben werden. Konsumsatt. Das Erstaunliche: Seine Prognose stammt aus einer Zeit, in der sich Menschen eher mit einem leeren Teller herumplagten. In einer politischen Zeit, die ungefähr so stabil war wie der Südsudan heute. Damit reiht sich Keynes brav in die Wunschträume von George Bernard Shaw ein. Denn: Zwar ist 2030 noch ein paar Jährchen hin. Ich sehe derzeit jedoch niemanden, der das rotierende Hamsterrad stoppen könnte.

Auch Pearl Harbour und Hitlers Hurensöhne konnten diesen festen Glauben an mehr freie Zeit nicht verdrängen. So gab Ami-Vize Richard Nixon 1956 an, dass es in baldiger Zukunft eine Vier-Tage-Woche geben würde.4 Da rauschte sicherlich ein euphorisches „Hooray!“ von L.A. bis New York. Und weiter gings: In den 60ern prognostizierte ein Bericht des US-amerikanischen Senatsausschusses, dass im Jahr 2000 (also vor über 20 Jahren!) die Arbeitswoche nicht mehr länger als 14 Stunden sein würde. Inklusive sieben Wochen Urlaub. Da hatte wohl jemand eine Pille LSD zu viel. In welchem Fahrwasser sich diese Vorhersagen bewegten, zeigt auch eine Prognose des Science-Fiction-Autors Isaac Asimov. Dieser ging davon aus, dass wir im Jahr 2014 fliegende Autos und Städte unter Wasser haben würden. Das ist bisher jedoch – so zumindest meine Wahrnehmung – eher Videospielen, den neuesten Hollywood-Schinken oder vielleicht seinen eigenen Romanen vorbehalten. Diese dürfte der gute Isaac aber sicher nicht gemeint haben. Du glaubst, mehr falsch kann man gar nicht liegen? Dann pass jetzt gut auf! Der Autor sagte auch voraus, dass die Seelenheilkunde 2014 besonders gefragt sein würde, weil die Menschen nicht mit der ganzen, ihnen aufgezwungenen Freizeit umgehen könnten. Und jetzt kommt der Clou: Psychische Probleme machen unserer heutigen Gesellschaft tatsächlich immer mehr zu schaffen. So fand beispielsweise die Techniker Krankenkasse in ihrem Gesundheitsreport 2020 heraus, dass die meisten Krankheitsfehltage im Jahr 2019 auf Erkrankungen mit Diagnosen von psychischen Störungen zurückzuführen sind. Satte 18,8 Prozent aller Fehltage im Job ließen sich dabei Problemen mit der Psyche zuschreiben.5 Die Ursache dafür ist jedoch alles andere als ein Überfluss an Freizeit. Im Gegenteil: Workload, Zeitdruck und Überstunden zehren an unseren Nerven und bescheren unserer Psyche eine Schwindelattacke. Glückwunsch, Orakel Asimov! Komplett danebengelegen.

Die Aussicht auf einen an der Klatsche durch zu viel Freizeit hielt die Gesellschaft jedoch nicht davon ab, weiter darauf zu hoffen, bald endlich ohne vom Chef auferlegte Pflichten durch einen Montag gehen zu können. Und siehe da: Deutschland war wohl von der Strategie des Fließband-Henrys angetan und fing 1965 nach und nach an, am 40-stündigen Hamsterrad zu drehen. Anfang der 90er nahm unser Land dann Kurs auf das über Jahrhunderte prognostizierte Arbeitsschlaraffenland, als die IG Metall in Westdeutschland tatsächlich teilweise die 35-Stunden-Woche durchsetzen konnte. Wohoo!

180 Grad: Der Ofen ist aus!

Mitte der 90er war dann jedoch plötzlich Schluss mit lustig. Weniger Arbeiten war out. Alle glorreichen Prognosen, hart erkämpften Arbeitszeitverkürzungen und jegliches Bemühen geschundener Arbeitskräfte für die Katz. Einfach so. Deutschland knallte 1994 ein Arbeitszeitgesetz auf den Schreibtisch, das Dir bis heute acht Stunden Schuften pro Tag „ermöglicht“.6 Das kannst Du in § 3 des Arbeitszeitgesetzes nachlesen. Ein Gesetz, das sogar zehn Stunden Knechten pro Tag erlaubt, wenn Du innerhalb von sechs Monaten einen Durchschnitt von acht Stunden täglich nicht überschreitest. Damit sitzt Du heute in einem Hamsterrad, das Dich ungefähr so schwindelig dreht wie in den 60ern. Denn bereits damals hieß es ja schon: Acht Stunden pro Tag sind genug. Zwar leistete in den 60ern der eine oder andere Arbeiter mehr Überstunden als Du heute. Dennoch kannst Du ruhig mal die Augen aufreißen, wenn die Arbeitszeitgeschichte seit den 60er Jahren mehr oder weniger stillsteht.

Nach all den Jahrhunderten und der Kraft, mit der Menschen für weniger Arbeit und mehr freie Zeit gekämpft haben, hätte man daher am 6. Juni 1994 einen so großen Aufschrei erwarten können, dass Helmut Kohl die Ohren abgefallen wären. Man hätte durchaus eine kleine Revolution erwarten können, die den Schweiß und das Blut unserer Vorfahren gewürdigt und so die Arbeitszukunft weiter dahingetrieben hätte, wo Menschen sie seit Jahrhunderten sehen wollen. Aber Pustekuchen. Höflich und brav haben sich Angestellte seitdem in ihr Büro gesetzt und das getan, was Vater Staat, Onkel Schröder und Mutter Merkel von ihnen verlangen.

Was eine Kehrtwende! Wieso? Weshalb? Warum? Immer noch acht Stunden! Und alle machen mit? Du hast es schwarz auf weiß: Wenn wir der Arbeitszeitgeschichte und dem Willen von Jahrhunderten von Arbeitstätigen folgen würden, würdest Du jetzt maximal 35 Stunden die Woche betäubt im Hamsterrädchen Deine Runden drehen. Vielleicht wärst Du mittlerweile auch schon bei 30 Stunden angekommen. Das hieße: Du könntest bereits jeden Donnerstagnachmittag entspannt bei einem Käffchen mit Freunden oder Deiner Familie in der Sonne sitzen, endlich den Keller ausmisten oder auf dem Weg nach Barcelona, Paris oder Wien für ein langes Wochenende sein. Aber nein. Du sitzt weiter bis Freitagabend in Deiner Kammer und strampelst Dir einen ab. Eierst weiter wie ein Junkie den Wünschen Deines Chefs und den Fuffis in Deinem Portemonnaie nach, ohne – und jetzt kommt was Verrücktes – dass Du das machen müsstest. Denn: Das Arbeitszeitgesetz macht die 40-Stunden-Woche zwar zur Norm der Arbeitswelt. Daran halten musst Du Dich trotzdem nicht. Was hält Dich also im Hamsterrad? Was lässt Dich jeden Morgen immer und immer wieder ins Büro fahren und etwas tun, das Du oftmals satthast? Warum stellst Du Deine Vorstellungen vom Leben, die Dich als Persönlichkeit auszeichnen, jeden Tag aufs Neue hinten an? Wieso streichst Du jeden Tag aufs Neue Deine Wünsche statt Arbeitsaufgaben von der To-Do-Liste? Wieso ignorierst Du immer wieder das, was Du eigentlich liebst? Oder kurz gesagt: What. The. Fuck?

Versicherung, Prestige und Porsche – oder: Warum wir heute so leben

Irgendetwas ist passiert, dass Du weiter da bist, wo Menschen vor über 50 Jahren auch schon waren. Irgendwas lässt Dich denken, dass Du damit trotzdem im Hier und Heute lebst. Dich jeden Tag aufs Neue freiwillig ins Laufrad stellen lässt, das Henry Ford so schwungvoll angestoßen hat. Jetzt geht es ans Eingemachte. Sitzt Du gut? Darum bist Du arbeitssüchtig:

Das Eltern(anti)vorbildgeschwür

Ich stehe vor dem Philosophiekurs der 6b eines Gymnasiums in Münster. Ich soll heute den Lehrern, Programmierern und Anwälten von morgen erklären, warum ich glaube, dass weniger arbeiten besser für uns ist. Bevor ich überhaupt anfangen kann, schallert mir bereits die erste Frage entgegen:

„Herr Schäfer, Herr Schäfer, was ist ihr Lieblingsfußballverein?“

Ich brauche einige Takte, um mich von Bayern und Dortmund gefühlvoll (unter tatkräftiger Mithilfe des Lehrers) zum Thema Arbeit und Freizeit heranzutasten. Genau das ist das derzeitige Thema des Kurses, was mir die Ehre erweist, den kleinen Rackern meinen Senf mitzugeben. Die Kleinen löchern mich mit Fragen, die sie vorher brav erarbeitet haben. Als der kleine Niklas dann gegen Ende der Stunde feststellt, dass er nicht wüsste, warum er später mehr arbeiten sollte, als er für ein ordentliches Leben braucht, taucht ein dickes Fragezeichen über meinem Kopf auf: Wann überschreiten wir eigentlich die Schwelle, dass wir glauben, 40 Stunden sind gut, viel arbeiten heißt fleißig und mehr Geld ist immer besser? Wann befestigen wir diesen Glauben in unserem unschuldigen Verstand und leben ihn bis zur unsäglichen Müdigkeit am Freitagabend oder dem Gefühl von Burnout am Montagmorgen?

Papa ist schuld! Irgendwie. Als Teil der Generation X und Y bekommen wir bereits als kleine Scheißer mit, dass irgendjemand der Familie ja unsere ganzen Windeln bezahlen muss. Das wäre eigentlich ok, wenn sich diese Elterngenerationen mit Windeln, Brei und Bleibe zufriedengegeben hätten. Mit etwas, wovon die Menschen vor gar nicht allzu langer Zeit bloß geträumt haben. Das haben viele Mamis und Papis aber nicht. So trugen und tragen deutsche Mittelständler damals und heute Poloshirts für 70 Euro und stellen sich ein zweites, drittes und viertes Auto vor ihr schmuckes Vorstadthäuschen. Angetrieben von der Material- und Perspektivlosigkeit ihrer Eltern, die dank World War 1 und 2 einen eher holprigen Lebensweg nehmen mussten, wollen sie möglichst viel Sicherheit. Mehr Geld und mehr Dinge. Damit sie – was auch immer in Zukunft kommen mag – auf der sicheren Seite stehen. Für dieses Lebensgefühl können sie natürlich nur wenig. Denn: Sie haben von ihren Eltern gelernt, dass sie die Chance haben, ein ordentliches Stück Brot auf den Tisch zu bringen. Das müssen ihre Eltern ihnen nicht unbedingt bewusst mitgegeben haben. Diese haben so viel Trümmer, Tod und Elend miterlebt, dass sie das nie komplett verarbeiten konnten. Das hatte Auswirkungen auf ihre Psyche. So haben sie all die schrecklichen Erfahrungen unbewusst an ihre Nachkommen – also an Deine Eltern – weitergegeben. Dafür hat sich Dein Opa nicht einen kleinen Hitler-Schnurrbart stehen lassen. Vielmehr haben Deine Großeltern mit ihrer Sprache und ihrem Verhalten unbewusst ihr Trauma in die Wiege Deiner Eltern gelegt. Das heißt: Deine Eltern dürfen sich tief drinnen noch mit unverarbeiteten Erfahrungen ihrer Eltern herumschlagen. Das trifft natürlich nicht auf jeden zu. Forschungen gehen aber davon aus, dass 60 Prozent der damaligen Kriegskinder traumatisiert sind und diese Traumata zum Teil an die nächste Generation weitergegeben haben.7 Deine Eltern hatten daher vielleicht schon immer das Gefühl, dass es nie genug Sicherheiten im Leben geben kann.

Damit nicht genug. Deine Eltern könnten – und jetzt kommt etwas, dass Du vielleicht eher in einem Roman von Philip K. Dick vermutet hättest – die Traumata und damit auch das Lebensgefühl ihrer Eltern ein Stückchen weit vererbt bekommen haben. Das ist kein Sci-Fy-Humbug, sondern Wissenschaft. Traumatische Erlebnisse oder Stress können das Verhalten einer nächsten Generation erheblich beeinflussen. Das nennt sich transgenerationale Epigenetik. Das heißt nicht, dass Deine Mama Albträume hatte, wie Adolf Hitler plötzlich zum Abendessen vor der Tür stand. Nein, es heißt, dass Deine Großeltern den ganzen Kriegsstress molekular auf Deine Eltern übertragen haben könnten. Sie tragen die Erfahrungen ihrer Eltern dann sozusagen in ihrer DNA. Klingt verrückt, ist aber so. Das kann sogar so weit gehen, dass selbst Du diese Traumata noch in Deine DNA gelegt bekommen hast. Extremer Stress kann bis zur dritten Nachfolgegeneration weitergegeben werden. Davon geht Professor Dr. Alon Chen, Direktor des Max-Planck-Instituts für Psychiatrie, aus.8

Deine Eltern haben Dir daher entweder ihren bereits von ihren Eltern vererbten Stress und das Bedürfnis nach Sicherheit und Wohlstand wiedervererbt. Oder sie haben ihren Drang nach einem warmen, kuscheligen Plätzchen in der Gesellschaft im Rausche ihres neu erlangten Wohlstandes maßlos überinterpretiert. Sie haben ein Streben nach materiellem Reichtum und ein unausgewogenes Verständnis von Arbeit entwickelt und Dir in die Wiege gelegt. Ob nun vererbt oder überinterpretiert, das Resultat ist dasselbe: Du hast es als normal befunden, dass Papa tagsüber immer weg war. Fandest nichts komisch daran, dass Papa schon wieder einen neuen Flitzer hatte. Doch damit nicht genug. Selbst heute – im Rausche ihres Wohlstandes – skandieren viele Eltern noch „Arbeit macht stolz!“, während sie ihren burnoutgetränkten Verstand langsam richtig Grabkammer tragen. Vielleicht haben Mama und Papa Dir auch Wirtschaftsparolen wie „Aus Dir soll doch was werden!“ und „Willst Du gar nichts erreichen?“ verbal auf Deine Stirn tätowiert. Fein dosiert in den richtigen Momenten kann Dich das sicher in die richtige Spur lenken. Dann, wenn Du Dich als 14-jährige Rotznase gerade eher für Super Mario, Zaranoff und die Schenkel der schüchternen Lisa als für Anwesenheit im Mathekurs interessierst. Dir jedoch selbst mit Mitte 20 oder 30 noch regelmäßig elterliche Erfahrungswerte, die heute so veraltet sind wie der modische Unterwäschegeschmack Deiner Oma, mitzugeben, reitet Dich genau in den Drogensumpf, in dem Du derzeit bewegungslos festhängst. Vollkommen betäubt auf der Arbeitsdroge. Festgetackert im Hamsterrad.

Was viele Eltern nicht verstehen: Du lebst heute ein ganz anderes Leben als sie damals. Mit Uni-Abschluss und Moneten in der Tasche führst Du ein Dasein mit Abermillionen von Optionen in Freizeit und Beruf. Mit Entscheidungen, die Dich zwischen einem Job als Anwalt und Staatsanwalt wählen lassen. Mit Entscheidungen, ob Du einen Skinny Soja Latte oder doch einen Cold Brew zum Frühstück willst. Was sie dabei vergessen: Du brauchst keine 40 Stunden Arbeit, um in diesem Wohlstand leben zu können. Um Dir täglich Biobrot auf den Tisch zu stellen, jeden Samstag eine teure Flasche Schnaps zu kaufen und jedes Jahr nach Bali zu fliegen. Du könntest auch mit 20 Stunden Schuften in einem Luxus leben, den sich Deine Oma und Dein Opa nicht einmal vorstellen konnten. Das geht in die Köpfe Deiner Eltern jedoch nur selten rein. Denn: Sie glauben, wenn Du schon einmal den Goldesel in Dein Wohnzimmer geholt hast, dann solltest Du auch dafür sorgen, dass er so viel scheißt, wie es nur geht. Um Dich finanziell abzusichern – und allen Leuten zu zeigen: Yes, I can!

Diese Denke hast Du – bewusst oder unbewusst – übernommen. Mit den richtungsweisenden Parolen im Hinterkopf und der steten Abwesenheit Deiner Eltern, oder zumindest Deines Papas, hast Du von klein auf gelernt, dass die Welt so tickt. Sie steckt in Dir, so dass Du heute den lieben langen Tag mit einem eisernen, kapitalistischen Rohrstock hinter Deinem Goldesel stehst und ihm kräftig den Allerwertesten verhaust – und der nächste Taler aus ihm herausplumpst.

Das ist Dir viel zu metaphorisch? Und findest Du irgendwie auch eklig? Na gut, im Alltag sieht das dann vielleicht eher so aus:

Ich sitze mit Jonas in einem Café im Prenzlauer Berg. Diese entspannte Ecke am Helmholtzplatz, wo junge Schauspieler, Latte-Mamis und grasverkaufenden Späti-Besitzer zusammenkommen, um Fünfe gerade sein zu lassen. Es ist Samstagmorgen, die Sonne scheint, angenehme 20 Grad und ein Cappuccino vor der Nase, der mich innerlich Barista-Freudensprünge vollführen lässt. Nach rund einer Stunde schaut Jonas – Promotionsstudent in Geschichte – immer wieder auf die Uhr.

„Bist Du verabredet?“, frage ich ihn, während ich im herrlichen Schaum meines Koffeins rühre.

„Ich muss an den Schreibtisch“, ist seine knappe Reaktion.

Ich hake nach und verweise vorsichtig darauf, dass er ja schon die ganze Woche von acht bis acht am Schreibtisch saß.

„Ich kann ja jetzt hier nicht den ganzen Tag rumsitzen. Mein Papa hat auch immer Vollgas geackert, um dahin zu kommen, wo er jetzt ist.“

„Im Ruhestand?“, schiebe ich zögernd ein.

Jonas sagt: „Es steckt einfach in mir, das genauso zu machen“.

Nicht jeder ist natürlich so reflektiert wie Jonas und weiß, dass das, was ganz Deutschland so unbarmherzig antreibt, oftmals in der Elterngeneration verankert ist. Es zeigt aber, wie tief verwurzelt das Gefühl nach stetiger Pflicht und Arbeit mittlerweile in uns drinsteckt. Selbst an einem solchen Samstag, der für ein Entspannen nicht besser geeignet sein könnte, klettert die sich sogar noch in der Ausbildung befindliche Generation freiwillig ins Hamsterrad. Jonas ist mit seiner Promotion dabei noch ein harmloses Beispiel. Der Durchschnitt ist weitaus schlimmer: Abiturienten stecken mit 17 ihr Eins-Nuller-Abitur in die Tasche, rutschen nahtlos in einen Bachelor und knallen dort ein Seminar ans nächste, um dann mit 20 ihr Leben mit einem Berufsleben zu tauschen, das meinen lässt, sie arbeiten sich um ihr Leben. Ob das nun bewusst wie bei Jonas oder unbewusst passiert, spielt keine Rolle. Das Ergebnis bleibt dasselbe: Papa ist schuld. Papa hat Dich angestupst, Dich in Richtung Laufrad zu bewegen. Papa hat Dir das Gefühl gegeben, dass Dich Arbeit stolz macht und Dir ein besseres Leben beschert – egal, wie gut Dein Leben eigentlich schon ist.

Aber ich will gar nicht nur in die betuchte Mittelklasse treten. Mit zu wenig Geld und ohne Z4 und 5er BMW vor der Haustür können Mum und Dad genau dasselbe in Dir hervorrufen wie der Papa bei Jonas. Können es Dir in Teenagertagen einimpfen, dass Du viel Arbeit, Geld und Dinge brauchst.

Selin wächst in einer Kleinstadt in NRW auf. Drei Zimmer, Küche, Bad. Mit fünf Leuten auf 60 qm. Mama und Papa haben gerade so viel Geld, dass sie Tochter, Tochter und Sohnemann durchs Abitur bringen können. Danach muss sich Selin Bafög, Stipendium und Arbeitsfleiß besorgen, um durch das Jura-Studium zu rauschen und in den Beruf zu starten. Selin liebt ihre Heimat und wohnt noch immer dort. Wie ihre Eltern möchte sie ihre Kinder jedoch nicht großziehen. Sie will sich, ihre Eltern und ihre zukünftigen Kinder stolz machen. Dafür arbeitet sie. Mittlerweile ist sie Richterin und schuftet sechs Tage die Woche zentnerweise Akten weg. Den Sprung raus aus der 60-qm-Wohnung hat sie längst gemacht. Sie wohnt jetzt mit Ehemann auf stolzen 100 qm, mit 2 Autos vor der Tür. Kein Kredit, keine Schulden und Cash auf der hohen Kante.

---ENDE DER LESEPROBE---