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Superhelden im Film E-Book

Peter Vignold

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Beschreibung

Der anhaltenden Diversifizierung des Superheld*innen-Genres in Film und TV geht eine Umbruchsphase voraus, in deren Fokus eine kritische Neuverhandlung von Männlichkeit(en) steht. Peter Vignold nähert sich diesem Umbruch aus einer gender- und medienkulturwissenschaftlichen Perspektive, die filmische Männlichkeit als Resultat medienästhetischer Prozesse begreift. Er interpretiert Marvels »Infinity Saga« als Geschichte von Vätern und Söhnen, die im symbolischen Tod des Patriarchats aufgeht. Im Fokus der Betrachtung steht der Film Iron Man und dessen Konstruktion als filmhistorisches Museum der Männlichkeiten, das sich aus der Geschichte Hollywoods speist.

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Peter Vignold

Superhelden im Film

Zur post-patriarchalen Utopie des Marvel Cinematic Universe

Die erste Fassung der vorliegenden Publikation ist 2022 von der Fakultät für Philologie an der Ruhr-Universität Bochum als Dissertation angenommen worden

Gutachterinnen: Prof. Dr. Astrid Deuber-Mankowsky, Prof. Dr. Henriette Gunkel, Datum der Disputation: 30.11.2022.

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-ShareAlike 4.0 Lizenz (BY-SA). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell, sofern der neu entstandene Text unter derselben Lizenz wie das Original verbreitet wird.

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Erschienen 2023 im transcript Verlag, Bielefeld

© Peter Vignol

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Umschlagabbildung: Jan Meininghaus

Lektorat: Len Klapdor, Bochum

Druck: Majuskel Medienproduktion GmbH, Wetzlar

https://doi.org/10.14361/9783839468210

Print-ISBN: 978-3-8376-6821-6

PDF-ISBN: 978-3-8394-6821-0

EPUB-ISBN: 978-3-7328-6821-6

Buchreihen-ISSN: 2702-9247

Buchreihen-eISSN: 2703-0466

Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier mit chlorfrei gebleichtem Zellstoff.

Inhalt

 

 

Einleitung: Was war der Superheldenfilm?

TEIL I: Die maskuline Ästhetik des Marvel Cinematic Universe

»Is this a man?«: IRON MAN (2008)

APOCALYPSE NOW, BIRTH OF A NATION und die Ästhetik des Auteurs

Militainment

»Back in Black«

Der symbolische Tod und die Wiedergeburt des Tony Stark

»Genius, Billionaire, Playboy, Philanthropist«

Der Apogee-Film

Citizen Stark

Tony Stark, Bachelor-Playboy

»Is this a man?« – IRON MAN als Filmmuseum historischer Männlichkeiten

›Randian Hero‹ im neuen kalten Krieg: IRON MAN 2 (2010)

Der neue kalte Krieg

Der ›Randian Hero‹ und die Ästhetisierung libertärer Ideologie

Mr. Stark goes to Washington

Abwesende Väter und vergiftete Söhne

TEIL II: Der Tod des Patriarchats

Der Tod des Patriarchen: CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR (2016)

Rogers Shrugged

Citizen Stark Revisited

Das Spektakel der digitalen Verjüngung

Das Ödipale Drama des Tony Stark

Symbolische Stiefbrüder

Vom Scheitern toxischer Männlichkeit: AVENGERS: INFINITY WAR (2018)

Der grausame Vater: Thanos

Tony Stark in der ›Man Box‹

Evolution eines werdenden Vaters

Der Tod des Patriarchats: AVENGERS: ENDGAME (2019)

De-Feminized Fanedit

»The son becomes the father«

Thanos als patriarchale Exekutive

Der mediatisierte Patriarch

14 Millionen Wege zu sterben, oder: Die post-patriarchale Utopie

TEIL III: Die post-patriarchale Utopie des Marvel Cinematic Universe

Rock is dead: SPIDER-MAN: FAR FROM HOME (2019)

Der Superheld im postfaktischen Zeitalter

Die ›John Hughes-Ästhetik‹

Die scheiternde Ästhetik des Schulfernsehens

Hard Rock als kommodifizierte Ästhetik

Neue Männer braucht das Land: BLACK WIDOW (2021)

MTV, Grunge und die infiltrierte Montage

Grausame Väter, nutzlose Väter

»Smile!« - Taskmaster und sexualisierte Gewalt

BLACK WIDOW als feminist Bond

Narrative Abkürzungen: THE HANDMAID’S TALE

Die ökonomische Realität der post-patriarchalen Utopie

Ausblick: Was ist der Superheld:innenfilm?

1 Dezentralisierung des ›klassischen Superhelden‹

2 Die Grenzen der Zielgruppenexpansion

3 Performative Gender-/Sexualitätspolitiken

4 Hypermaskulinität / toxische Männlichkeit

5 Genrehybrid vs. Polymorphes Genre

6 Hegemoniale Männlichkeit und post-patriarchale Utopie

7 Der unvermeidliche Backlash

Versuch eines Schlussworts

Quellenverzeichnis

Abbildungsnachweis

Danksagung

Einleitung: Was war der Superheldenfilm?

 

Was war der Superheldenfilm? scheint intuitiv nicht die klügste Frage zu sein, die sich in den frühen 2020er Jahren über das bis dahin dominante Hollywood-Filmgenre des 21. Jahrhunderts formulieren ließe. Dies wird umso deutlicher in der Zeit nach den umfangreichen, pandemiebedingten Kinoschließungen und dem zeitweiligen Erliegen nahezu sämtlicher Filmproduktionen. Nachdem das von den während der Pandemie eingeführten Day-and-date-releases1 verwöhnte Publikum anfänglich noch sehr zögerlich in die Kinosäle zurückkehrte und selbst potentielle Blockbuster wie das vielfach verschobene 25. James Bond-Abenteuer NO TIMETO DIE (2021, Cary Joji Fukunaga) und THE MATRIX RESURRECTIONS (2021, Lana Wachowski) hinter den Umsatzerwartungen zurückblieben,2 konnte lediglich der von Columbia Pictures/Sony und Marvel Studios/Walt Disney gemeinsam produzierte Superheldenfilm SPIDER-MAN: NO WAY HOME (2021, Jon Watts) mit einem weltweiten Gesamteinspielergebnis von mehr als 1,8 Milliarden US-Dollar wieder an vorpandemische Zeiten anknüpfen.3 Die in cinephilen ebenso wie professionellen Kreisen teilweise sehr hitzig geführte Debatte über den kulturellen Wert von Superhelden-Blockbustern – Sind sie schuld am Verschwinden von Independent Movies und Mid-Budget-Dramen aus den Kinos?4 Ruinieren sie die Filmindustrie?5 Werden sie den Weg des Western gehen?6 Sind sie überhaupt Kino oder nur Freizeitparks?7 – tritt über den Verlauf der Pandemiejahre 2020-2022 in eine Phase ein, in der es mal wohlwollend, mal zähneknirschend zum nahezu alleinigen Verdienst der Superheldenfilme von Marvel Studios erklärt wird, dass überhaupt noch Menschen ins Kino gehen.8 Auch wenn sich am Ende des Kinojahres 2022 mit seinen Milliardenerfolgen AVATAR: THE WAYOF WATER (2022, James Cameron), TOP GUN: MAVERICK (2022, Joseph Kosinski) und JURASSIC WORLD: DOMINION (2022, Colin Trevorrow) auf der einen und prominenten Flops wie Sony Pictures’ MORBIUS (2022, Daniel Espinosa) und dem von der Warner-Tochter DC Films (inzwischen umbenannt in DC Studios) produzierten Dwayne »The Rock« Johnson-Starvehikel BLACK ADAM (2022, Jaume Collet-Serra) gezeigt hat, dass Superhelden zumindest vorübergehend keine Alleinherrschaft mehr über die weltweiten Kinokassen ausüben, hinterlässt beispielweise der Ende Januar 2023 von Warner Bros. Discovery vorgestellte Acht-bis-Zehn-Jahres-Plan für DC Studios unter neuer Leitung von James Gunn und Peter Safran nicht den Eindruck, dass hier ein baldiges Ende in Sicht ist.9 Kurz, trotz eines spürbaren Einknickens der Umsatzkurve deutet nicht viel darauf hin, dass der Superheldenfilm bereits mit solch gravierenden Abnutzungserscheinungen zu kämpfen hat, die eine Frage in der Vergangenheitsform rechtfertigen würden.

Dass ich diese Frage dennoch stelle, ist nicht als Polemik oder Provokation zu verstehen, sondern richtet den Blick auf einen Paradigmenwechsel in Hollywood, der das populäre Filmgenre direkt betrifft. Dieser zeigt sich beispielhaft in einem Interview mit Victoria Alonso, bis Frühjahr 2023 Vize-Präsidentin der zum Walt Disney-Konzern gehörenden Marvel Studios, die mit dem Marvel Cinematic Universe (MCU) die kommerziell erfolgreichste Filmfranchise der Filmgeschichte produzieren. Nachdem Alonso bereits in der Vergangenheit immer wieder betont hat, für wie wichtig sie Diversität vor und hinter der Kamera bei der Produktion großer Entertainmentfranchisen hält, erklärte sie die lange Ära des »long-established standard of white male superheroes«10 mit dem Erscheinen von AVENGERS: ENDGAME (2019, Joe Russo, Anthony Russo), dem Abschlussfilm der von Marvel Studios zwischen 2008 und 2019 produzierten, 23-teiligen Infinity Saga,11 für beendet. Ihre Aussage bezieht sich nicht allein darauf, dass am Ende des Films, »the biggest movie in recent history, a towering cinematic pseudo-conclusion to an 11-year franchise and a box-office-shattering blockbuster behemoth«,12 einen der männlichen Protagonisten der langlaufenden Filmserie der Leinwandtod ereilt und ein anderer in den Ruhestand geht. Sie ist der Hinweis auf die bereits in vollem Gange befindliche Diversifizierung des Marvel-Portfolios, die mit der 2021 begonnenen Phase 4 des Marvel Cinematic Universe eine neue Qualität erreicht. Zwischen weiblich zentrierte Filmen und Serien wie WANDAVISION (2021, Matt Shakman), BLACK WIDOW, (2021, Cate Shortland) und SHE-HULK: ATTORNEYAT LAW (2022, Jessica Gao), den PoC-Ensembles in SHANG-CHIANDTHE LEGENDOFTHE TEN RINGS (2021, Destin Daniel Cretton) und ETERNALS (2021, Chloé Zhao), einem Schwarzen Captain America in THE FALCONAND THE WINTER SOLDIER (2021, Kari Skogland) und dem BLACK PANTHER-Sequel WAKANDA FOREVER (2022, Ryan Coogler), Marvels erster muslimischer Superheldin MS. MARVEL (2022, Bisha K. Ali), der ersten gleichgeschlechtlichen Onscreen-Beziehung (in ETERNALS) und einem retroaktiven Coming-out in LOKI (2021, Michael Waldron) ist der ›klassische Superheld‹ – cismännlich, weiß,13 heterosexuell, US-amerikanischer Protestant14 – mit HAWKEYE (2021, Jonathan Igla), SPIDER-MAN: NO WAY HOME, DOCTOR STRANGEINTHE MULTIVERSEOF MADNESS (2022, Sam Raimi) und THOR: LOVEAND THUNDER (2022, Taika Waititi)15 in Phase 4 des MCU deutlich in den Hintergrund getreten. Für ein Genre, das ganz grundsätzlich als mediale Artikulation spezifisch männlicher Ermächtigungsfantasien verstanden wird,16 bleibt eine Verschiebung wie diese nicht ohne Konsequenzen. Im konkreten Fall des Marvel Cinematic Universe, das dieses Genre über den Verlauf der 2010er Jahre entscheidend geprägt hat, bedeutet dies eine mit der Diversifizierung des Studio-Portfolios eingehergehende Deprivilegierung weißer Cisheteromännlichkeit nicht nur auf der Ebene der Repräsentation, sondern auch auf den Ebenen Narration und Ästhetik. Marvel Studios’ Infinity Saga thematisiert und narrativiert den mit der Diversifizierung des MCU einhergehenden Umbruch und setzt mit der diegetischen Realisierung einer post-patriarchalen Utopie die Prämisse für eine Genreevolution: vom Superheldenfilm zum Superheld:innenfilm.

Der Begriff Superheld:innenfilm signifiziert in diesem Zusammenhang mehr als den Einsatz inklusiver Sprachpraxis zwecks Sichtbarmachung der vom generischen Maskulinum verdeckten Vielfalt geschlechtlicher Identität. Ihm geht es nicht allein darum, die vergleichsweise marginalisierten weiblichen Superhelden wie Black Widow, Captain Marvel, Wonder Woman, Batgirl oder Supergirl als Teile eines Genres sichtbar zu machen, das weiterhin um männliche Charaktere, Perspektiven und Erfahrungen zentriert ist, oder als Superheldinnen von diesem abzugrenzen.17 Ich setze ihn gezielt ein, um eine Transformation des Genres des Superhelden hervorzuheben, das in seiner gegenwärtigen Ausprägung nicht mehr die männlich-weiße Perspektive privilegiert, sondern sich entlang intersektionaler Differenzkategorien organisiert.18 Die in ab 2021 in Phase 4 eingeführten »new superheroes in an expanding assortment of genders, ethnicities, ages, and sexual orientations«19 sollen »the world outside our windows«,20 akkurater repräsentieren als die Filme der Phasen 1-3 (2008-2019) dies noch getan haben. So ergab eine Art ›Volkszählung‹ im Wirtschaftsmagazin Forbes im Jahr 2019, dass das MCU zu 61% von weißen, überwiegend männlichen Charakteren bewohnt werde, darunter befänden sich »[m]any of the franchise’s most important characters«.21 Bis mit BLACK PANTHER (2017, Ryan Coogler) der erste Schwarze Superheld einen gleichnamigen Film erhält, sind Schwarze Superhelden wie Falcon (Anthony Mackie) und War Machine (Terence Howard/Don Cheadle) Side-Kicks der weißen Titelcharaktere Captain America (Chris Evans) und Iron Man (Robert Downey Jr.); Schauspier:innen in der »African American/Black category« konstituieren bis 2017 lediglich elf Prozent.22 Ähnlich verhält es sich im MCU mit der Repräsentation weiblicher Figuren, die KC Moore als »misrepresentation« bezeichnete: »They function as Love Interests: from the script right down to their ridiculous, tight-fitting costumes«.23 Mit CAPTAIN MARVEL (2019, Anna Boden, Ryan Fleck) ist erst elf Jahre nach Beginn der Infinity Saga zum ersten Mal eine weiße Superheldin in der Titelrolle eines MCU-Films zu sehen. Die Abweichung vom Standard des männlich-weißen Superhelden, so stellt es sich im MCU lange dar, kann entweder Gender oder race betreffen, jedoch nicht beides gleichzeitig.24 Das deutlich diversere Line-up von Phase 4 legt nah, dass diese Idee inzwischen etwas ausgereifter ist – statt auf den fast ausschließlich cis-heteromännlich-weißen Superhelden liegt der Fokus nun auf der Repräsentation gesellschaftlicher Vielfalt und den unterschiedlich situierten Perspektiven von Marvels neuen Superheld:innen.

Dennoch, mit dem Begriff Superheld:innenfilm möchte ich nicht allein dem Umstand Rechnung tragen, dass das MCU »reflective of a more inclusive culture« geworden ist, sondern ebenso dem, dass sich die Diversifizierung des Marvel-Portfolios längst als ein robustes Geschäftsmodell erwiesen hat. Inklusion und Diversität sind in diesem Zusammenhang längst keine Option mehr, sondern das entscheidende feature, das den zeitgenössischen Superheld:innenfilm vom klassischen Superheldenfilm unterscheidet. Die Filme und Serien der Phase 4 des MCU folgen diesbezüglich einem Weg, den die von Marvel Entertainment produzierten Comics (sowie eine Reihe teilweise kurzlebiger TV-/Streamingserien von Marvel Television) bereits vor Jahren eingeschlagen sind.25 Vor diesem Hintergrund sollte ersichtlich sein, dass der Zeitpunkt geeignet scheint, am konkreten Beispiel des MCU rückblickend die Frage zu stellen: Was war der Superheldenfilm?

Was war der Superheldenfilm?

Diese Frage nimmt weniger das Genre selbst als die Obsoleszenz des Standards des männlich-weißen Superhelden innerhalb des Genres in den Blick.26 Dabei geht es nicht um den Verlust einer quantifizierbaren Überlegenheit auf Ebene der Leinwandrepräsentation durch einen Zuwachs an weiblichen/PoC-Figuren. Es geht vor allem um die narrativen und ästhetischen Konsequenzen einer solchen Deprivilegierung weißer Männlichkeit. Jeffrey A. Brown versteht Superhelden als Repräsentationen dessen, was Raewyn Connell als hegemoniale Männlichkeit bezeichnet,27 einem gesellschaftlich privilegierten »way of being a man«, der die Spitzenposition der symbolischen Geschlechterhierarchie konstituiert und auf diesem Wege den Erhalt patriarchaler Machtstrukturen legitimiert.28 Ebenso arbeiten, so argumentiert Brown an anderer Stelle, auch nicht-weiße, nicht-männliche Superheld:innen regelmäßig am Erhalt des hegemonialen Status des männlich-weißen Superhelden mit.29 Dieser Repräsentationslogik könnten sich selbst Genre-Parodien nicht entziehen, solange sie sich an die stilistischen Konventionen des Genres hielten.30 Yann Roblou hält diesem Argument, das auf ein Verständnis von Superhelden als Artikulation eines Bedürfnisses der Remaskulinisierung der USA nach den Anschlägen des 11. September 2001 hinausläuft,31 bereits 2012, dem Erscheinungsjahr des ersten AVENGERS-Films, entgegen, dass das von den Anschlägen verursachte kulturelle Trauma nicht nur die Idee einer gesicherten Nation, sondern auch das Konzept hegemonialer Männlichkeit als fundamentalem nationalem Mythos in entscheidender Weise kompromittiert hat. Wenn auch Superhelden seit ihren ersten Auftritten in Comics »hyperbolically masculine«32 in Erscheinung getreten seien, sind sie dennoch nicht zuletzt aufgrund ihrer fantastischen Fähigkeiten auch als »freaks«33 wahrnehmbar. Superhelden sähen zwar aus wie Männer, doch»their super attributes forbid them to fully realize their capacity to be men«.34Roblou endet auf der Frage, ob die fiktionale Figur des Superhelden in paradoxer Weise »›real‹ masculinity« konstituiere,

at a time when the culturally constructed phenomenon of gender roles is, once again, questioned, challenged and debated, or do the superheroes manifest a marginalized masculinity? A possible answer lies in the argument that, since they have become a cornerstone of popular culture, it is a necessity for each generation to redefine the superhero according to its needs, not unlike masculinity […].35

Ohne den imaginären Dialog zwischen Brown und Roblou vertiefen zu wollen, wird in der Widersprüchlichkeit der Aussagen deutlich, dass sich der Superheld bezüglich der von ihm aufgeworfenen Fragen über Männlichkeit nicht ohne Weiteres essenzialisieren lässt, auch wenn zahlreiche auffällige Gemeinsamkeiten entlang der als gängig verstandenen Genrekonventionen geradezu dazu einladen. Deutlicher wird hier, dass sich entlang der fiktionalen Figur des Superhelden in Film und Fernsehen ein komplexes, mitunter dialektisches Spannungsfeld aufbaut, innerhalb dessen ihre Betrachtung perspektivabhängig zu widersprüchlichen Schlüssen führen kann. In diesem Spannungsfeld repräsentiert der Superheld die aktuelle Konfiguration hegemonialer Männlichkeit ebenso, wie er in seiner Otherness als marginalisierte Männlichkeit auf die Krise dieses Konzepts selbst hinweist, das als nationaler Mythos über keine Tragfähigkeit mehr verfügt.

Zehn Jahre nach dem Erscheinen von Roblous Aufsatz ist die politische Situation in den USA eine andere. In seiner vierjährigen Amtszeit hat der von zahlreichen politischen Kommentator:innen als Kleptokrat, Oligarch, Rassist und mitunter auch als Faschist bezeichnete 45. US-amerikanische Präsident Donald J. Trump in den Vereinigten Staaten zahlreiche progressive Politiken der vorangegangenen Obama-Administration, teilweise per Dekret, rückgängig gemacht und die Freiheiten verschiedener Bevölkerungsgruppen massiv eingeschränkt.36 Gleichzeitig formieren sich in dieser Zeit so viele soziale Protestbewegungen wie seit den 1960er Jahren nicht mehr, die aus verschiedenen Richtungen kommend Rassismus, Sexismus, Homophobie, Transphobie und weitere Diskriminierungsformen als gesellschaftliche Probleme anklagen, die nicht auf individueller Ebene operieren, sondern institutionell verankert sind. Die Wahl des Demokraten Joe Biden zu Trumps Amtsnachfolger entschärft die angespannte Situation nur unwesentlich, bevor die USA mit massiven Einschränkungen reproduktiver Rechte und einem massiven Roll-out unverhohlen transfeindlicher Gesetzgebungen in eine Phase eintreten, in der die gesellschaftlichen Kämpfe um the culturally constructed phenomenon of gender roles eineneue Intensität erreichen.

Zwei Begriffe werden im hier entstehenden Diskurs um die Forderung nach sozialer Gerechtigkeit zentral: white supremacy und Patriarchat. Unter white supremacy versteht die Critical Race Theory die rassistische soziale, politische und kulturelle Konstruktion weißer Menschen gegenüber Schwarzen bzw. People of Color als überlegen und von daher dazu legitimiert, dominante gesellschaftliche Positionen zu besetzen.37 »Whiteness«, ein aus der Kolonialgesetzgebung des späten 17. Jahrhunderts stammendes Konzept der Unmarkiertheit, »at various times signifies and is deployed as identity, status, and property, sometimes singularly, sometimes in tandem«.38Das Konzept Patriarchat, wörtlich väterliche Herrschaft, ist über seine Funktion als »an essential tool in the analysis of gender«39 hinaus zu einer Art Mantelbegriff geworden, der jegliche Art institutionalisierter männlicher Dominanz in der sozialen Ordnung denotiert. Ute Gerhard versteht darunter »die Bezeichnung für ein Gesellschaftssystem, in dem Frauen von Männern bzw. Vätern unterdrückt, kontrolliert und repräsentiert werden«.40

Die hegemoniale Qualität patriarchaler Ideologie und ihrer repressiven Ordnung, so argumentiert Kate Manne, ist dabei von der legitimierenden Funktion des Sexismus ebenso abhängig wie von ihrer Durchsetzung durch Misogynie.41 An der Intersektion von white supremacy und Patriarchat ist die soziale Konstruktion des weißen Mannes (präziser: des weißen, heterosexuellen cis Mannes – die Liste der als ›unmarkiert‹ zu lesenden Zuschreibungen ließe sich fortsetzen) lokalisiert, die beide repressiven Ideologien gleichermaßen repräsentiert und hieraus auf Kosten marginalisierter Gruppen Privilegien zieht. In dem hieraus entstehenden Diskurs werden Alte weiße Männer, so beispielsweise der programmatische Titel eines 2019 erschienenen Buchs,42 der Unsichtbarkeit und Unmarkiertheit des normativen Standards entrissen und problematisiert. Das Problem mit diesen ›alten weißen Männern‹ sei, so fasst es Autorin Sophie Passmann zusammen, dass sie über Macht verfügen und diese um keinen Preis verlieren wollen. Die von den unterschiedlichen Protestbewegungen geforderte Entmachtung der ›alten weißen Männer‹ wird aus deren Perspektive als Bedrohung empfunden, die es aktiv aufzuhalten gilt. Trumps reaktionäre, rassistische, misogyne, LGBTQIA+-feindliche Politiken während seiner Amtszeit können als ein sehr plakativer Ausdruck dieses reaktionären Backlash verstanden werden, mit dem sich ein ›alter weißer Mann‹ gegen den drohenden Machtverlust zur Wehr setzt und von wütenden weißen Männern komplizenhafte Unterstützung erfährt.43

Im Spannungsfeld der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und der oppositionären reaktionären Kräfte sind auch die Superheld:innen Marvels, so Brown, in einen »civil war that has increasingly split Americans along political and ideological lines in the twenty-first century«44 verwickelt worden. So erzielte BLACK PANTHER, der erste MCU-Film mit einem Schwarzen Superhelden in der Titelrolle, Kassenrekorde und wurde nahezu widerspruchslos als kulturelles Phänomen zelebriert, das neue Möglichkeitsräume für Schwarze Repräsentation auf der Leinwand geöffnet hat.45 Gleichzeitig wurde der Film Zielscheibe eines von der Alternativen bzw. Neuen Rechten in sozialen Medien organisierten Review Bombings.46 Diese verfolgen nicht nur das (häufig scheiternde) Ziel, den von »toxic fan practices«47 dieser Art betroffenen Filmen (ebenso wie andere Unterhaltungsmedien) durch eine Überflutung mit negativen Nutzer:innenkritiken auf dem Weg der Beeinflussung eines kritischen Konsens in letzter Konsequenz finanziell zu schaden. Wie Anastasia Salter und Bridget Blogett,48 vor allem aber Simon Strick in seiner aufschlussreichen Untersuchung der Affektpolitiken des reflexiven Faschismus,49 überzeugend darlegen, geht es hierbei in erster Linie darum, rechte Perspektiven in den kulturellen Diskurs einzuschleusen und auf diesem Umweg zu politischer Teilhabe zu gelangen.

Ohne die von Roblou in Aussicht gestellte Redefinition des Superhelden50 an die erfüllte Bedingung eines Generationswechsels binden zu wollen, wird anhand der Aufstellung der vierten Phase des MCU ersichtlich, dass diese Redefinition in vollem Gange ist. Diese Redefinition geschieht nicht in einem kulturellen Vakuum, sondern korreliert mit politischen ebenso wie gesellschaftlichen Prozessen. Die kulturelle Dominanz des Superhero Blockbuster im 21. Jahrhundert, so Felix Brinker, drückt sich nicht nur in Ticketverkaufszahlen aus, sondern auch »in the wealth of cultural activity that clusters around new releases«.51 Dazu gehört neben verschiedenen Anschlusskonsumaktivitäten vor allem die gesteigerte Diskursproduktion. Der populäre Diskurs über Superhero Blockbusters»fills the gaps between releases with a constant coverage of production news, speculation about upcoming films, and the celebration or critical dissection of earlier ones«,52 ist darüber hinaus jedoch auch regelmäßig politisiert. Wie bereits weiter oben erwähnt, sind die Filme des Marvel Cinematic Universe wiederholt in den Fokus einer Kritik geraten, die ihre Privilegierung von Whiteness, ihren Sexismus, aber auch die tendenzielle Queerfeindlichkeit des wiederholten Queerbaitings im lange Zeit strikt heteronormativen MCU problematisiert.53 Diese kritischen Auseinandersetzungen enden regelmäßig auf der Forderung nach mehr Diversität und inklusiverer Repräsentation im MCU: »Marvel has to do better«.54

Die gegenwärtig zu beobachtende Diversifizierung des MCU-Portfolios ist in diesem Sinne weniger als kreativer Vorstoß zu verstehen, als sie auf ein konkret artikuliertes Begehren reagiert. Marvel Studios langjährige Vize-Präsidentin Victoria Alonso hat nie ein Geheimnis daraus gemacht, dass es sich hierbei aus Sicht des Studios nicht nur um ein soziokulturelles Projekt, sondern eine schlichte Frage des Geldes handele. Den Forderungen nach mehr Diversität in weltweit spielenden Entertainmentfranchisen nicht nachzukommen, sei gleichbedeutend mit »leaving money on the table«.55

Die Art und Weise, in der das populäre Genre des Superhero Blockbuster, hier exemplarisch das Marvel Cinematic Universe, kulturelle Verschiebungen registriert und sichtbar macht, erinnern an Rüdiger Suchslands Metapher des Kinos als »Seismograph im Spiel der Bilder« im Zusammenhang mit seiner Kracauer-Lektüre. In seiner psychologischen Geschichte des Weimarer Kinos der 1920er Jahre, Von Caligari zu Hitler,56 fragt der Filmhistoriker und -theoretiker Siegfried Kracauer, inwieweit der deutsche Film aus der Zeit zwischen den Weltkriegen auf der Leinwand bereits ankündigt, »was keine zehn Jahre später im Nationalsozialismus Realität wurde«.57 Kracauer »ging davon aus, dass Filme – als das modernste Medium und als Produkt eines Teams, das sich an eine potentiell breite Publikumsmasse richtet – besser als andere Künste [als] ein Seismograph für das Unbewusste des gesellschaftlich Ganzen dienen können«.58 In seinen Filmessays59 bündelt Rüdiger Suchsland Kracauers Thesen in der Leitfrage: Was weiß das Kino, was wir nicht wissen?60Diese Frage sei immer auch relevant für das aktuelle Kino:

Wir hätten Gefahren erkennen können, wenn wir uns bereits vor zehn Jahren gefragt hätten, warum auf einmal so viele Unternehmerfiguren im US-Kino die Macht ergreifen und mal als amoralische Hasardeure wie in »Wall Street« und »The Game«, mal als Schurken wie in »The Dark Knight« und mal als Superhelden wie »Iron Man« die Welt zum Spielball machen. Mit Kracauer könnten wir ein Buch schreiben: »Von Joker zu Trump«.61

Suchslands von Kracauer abgeleitete Frage ist nicht die Leitfrage der folgenden Analyse, kann möglicherweise jedoch als ihr moralisches Rückgrat bezeichnet werden. Mindestens lauert sie im Hintergrund, um in geeigneten Momenten herbeizitiert zu werden. Wie sich insbesondere in der Betrachtung von IRON MAN 2 (2010, John Favreau) zeigen wird, liegt Suchsland mit seinem Zusammendenken des ersten MCU-Superhelden und der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten nicht falsch. Die Frage nach dem uns verborgenen Wissen des Kinos formuliert in diesem Sinne kein primäres Erkenntnisinteresse meiner Arbeit, bildet aber dennoch den Rahmen, in dem ich mich entlang der Frage »Was war der Superheld?« im weitesten Sinne mit dem populären Filmgenre des Superhero Blockbuster im Übergang vom Superheldenfilm zum Superheld:innenfilm auseinandersetze. Lokalisiert an der Intersektion von Superheld und Männlichkeit möchte ich am konkreten Beispiel von Tony Stark alias Iron Man nachvollziehen, welche Tendenzen einer Redefinition von superheroischer Männlichkeit sich anhand dieser über den Verlauf von elf Jahren in zehn Filmen erscheinenden Figur ausmachen lassen. Anders als essentialistische oder generalisierende Definitionsversuche des männlichen Superhelden bzw. des männlich zentrierten Superheldengenres es nahelegen, lässt sich die Figur mit der Tagline ›Genius, Billionaire, Playboy, Philanthropist‹ nicht auf einen als stabil zu verstehenden Männlichkeitsentwurf herunterbrechen, den sie kontinuierlich repräsentiert bzw. bruchlos aufführt. Stattdessen ist sie Dreh- und Angelpunkt eines sich über den Verlauf der 23-teiligen Infinity Saga aktualisierenden Männlichkeitsdiskurses. Der von IRON MAN (2008, Jon Favreau) bis zum Leinwandtod der Figur in AVENGERS: ENDGAME (2019) über verschiedene Binnenserien des MCU62 hinweg entwickelte Character Arc Tony Starks baut die Figur in einer Weise auf, die es Kommentator:innen wie Brown allzu leicht macht, sie als Repräsentation hegemonialer Männlichkeit im filmischen Diskurs des Genres zu deuten. Mit seinem Leinwandtod, so werde ich argumentieren, wird in der Geschlechterordnung des MCU jedoch nicht nur eine erneute Neuaushandlung der dominanten Position hegemonialer Männlichkeit fällig. Vielmehr steht hier die Legitimation des Konzepts hegemonialer Männlichkeit an sich zur Disposition: In der mit Phase 4 realisierten post-patriarchalen Utopie des Marvel Cinematic Universe ist hierfür kein Platz mehr vorgesehen. Vor dem Hintergrund von Diversität als dem Geschäftsmodell hinter der Redefinition des Superhelden als Superheld:in beginnt die unwahrscheinliche Frage »Was war der Superheldenfilm?« also auf überraschende Weise Kontur anzunehmen. Sie wird sehr konkret, bezieht man sie auf Tony Stark/Iron Man, mit dessen Filmdebüt im Jahr 2008 das Marvel Cinematic Universe seinen Anfang nimmt. Der von Robert Downey Jr. in zehn Filmen dargestellte Erbe eines milliardenschweren Rüstungstechnologiekonzerns und Entwickler einer waffenfähigen, fliegenden Rüstung, die ihn zu einer »Ein-Mann-NATO«63 macht, ist der zentrale Protagonist der Infinity Saga.64

Marvel Studios erste eigene Filmproduktion IRON MAN, die am 14. April 2008 in Sydney ihre Premiere feierte und zwei Wochen später in den US-Verleih ging, gilt heute neben SUPERMAN – THE MOVIE (1978, Richard Donner) als einer der Meilensteine des Genres, sowohl in seiner Funktion als narrativer Startpunkt einer bis heute laufenden transmedialen, multilinearen Seriennarration im Kino, Fernsehen und später auch Streamingdiensten, als auch als von aufwändigen Spezialeffekten getragenes audiovisuelles Spektakel, das die im Zuge der Bewerbung von SUPERMAN Ende der 1970er Jahre deklarierte Versprechung »You will believe a man can fly« auf den neusten Stand der Technik bringt. Der Film spielte weltweit 585,5 Millionen US-Dollar ein und beförderte den zu diesem Zeitpunkt aufgrund andauender Suchtprobleme von Hollywood-Studios größtenteils gemiedenen Schauspieler Robert Downey Jr. zurück ins Rampenlicht. In den folgenden Jahren kehrte er neun Mal in die Rolle zurück,65 erhielt dafür Gagen in zweistelliger Millionenhöhe und war für einige Jahre der bestbezahlte Schauspier in Hollywood.66 Für Regisseur Jon Favreau, bis dahin in Fachkreisen als Nebendarsteller, Produzent und Drehbuchautor, aber auch als Regisseur des Indie-Hit MADE (2001) oder familienfreundlicher Filme wie der Weihnachtskomödie ELF (2003) bekannt, bedeutete der Film den ersten Schritt zu einer Karriere als Regisseur und Produzent prestigeträchtiger Technik-Showcases der Walt Disney Studios, wie der im STAR WARS-Universum angesiedelten Serie THE MANDALORIAN (2019–, Disney+) oder der aufwändig produzierten Live Action-Remakes von THE JUNGLE BOOK (2016) und THE LION KING (2019). Kevin Feige, der um die Jahrtausendwende als Assistent von Marvel-Vizepräsident Ike Perlmutter an Filmsets hauptsächlich in (unverbindlich) beratender Funktion anwesend war, steigt einige Jahre nach der Akquise durch die Walt Disney Corporation zum Präsident von Marvel Studios und hauptverantwortlichem Produzent aller bisherigen MCU-Filme auf.67 Zu Beginn der 2020er Jahre gilt er als »unquestionably the most successful modern producer at the worldwide box office«,68 dessen Filme mehr Tickets verkauft haben als die lukrativen Franchisen von Kathleen Kennedy (JURASSIC PARK/JURASSIC WORLD, seit 2015 STAR WARS), David Heyman (HARRY POTTER), Jerry Bruckheimer (PIRATESOFTHE CARIBBEAN, BAD BOYS) und Neal H. Moritz (FAST & FURIOUS).

IRON MAN ist die Geschichte des Ingenieurs und Rüstungsunternehmers Anthony Edward ›Tony‹ Stark, der nach einer Waffendemonstration in Afghanistan von einem Bombensplitter getroffen wird und in Gefangenschaft gerät. Gemeinsam mit dem entführten Physiker Yinsen (Shaun Toub) konstruiert er eine bewaffnete Rüstung, mit der ihm die Flucht gelingt. Zurück in Kalifornien entwickelt er weitere flugfähige, besser bewaffnete Rüstungen, mit denen er als »person of mass destruction«69 sowohl das Interesse des Militärs als auch der Konkurrenz auf sich zieht. So kommt es im dritten Akt zu einer Konfrontation zwischen Stark und seinem Geschäftspartner und Ersatzvater Obadiah Stane (Jeff Bridges), der Starks Technologie kopiert hat, um ihn aus dem Geschäft zu drängen.

Wie das berühmte Vorbild Bruce Wayne alias Batman von Bob Kane und Bill Finger (ab 1939, DC Comics) verfügt Tony Stark über keine übernatürlichen Fähigkeiten, sondern kann sich aufgrund seiner ökonomisch privilegierten Stellung als alleiniger Erbe des milliardenschweren Rüstungskonzerns seines Vaters Howard sowie seines als überragend gerahmten Intellekts behaupten. Während Batman, der wie Stark seine maskierten Aktivitäten hinter der Fassade eines hedonistischen Junggesellen verbirgt, seinen Intellekt als ›the world’s greatest detective‹ instrumentalisiert, steckt der Rüstungserbe sein Wissen und seinen Verstand in die Erforschung und Konstruktion futuristischer Waffensysteme, erst für die US-Armee, dann für sich selbst. Ursprünglich ist Tony Stark, der 1963 in der Anthologiecomicreihe Tales of Suspense debütiert, »very much a product and an icon of the Cold War«,70 einer Ära, in der sich die Beziehungen zwischen Wissenschaft, dem Militär und der Regierung der USA radikal ändern71 und der »Amerikanische Antikommunismus«72 ein Ausmaß annimmt, das der Historiker und Politologe Bernd Greiner als »extrem« bezeichnet.73 Die Figur sollte all das repräsentieren, so erinnert sich ihr Schöpfer Stanley Martin Lieber alias Stan Lee in späteren Interviews, was die jugendliche Leser:innenschaft der frühen 1960er Jahre nahezu geschlossen ablehnte: den Vietnamkrieg, das Militär, die Rüstungsindustrie und eine Politik, die das Profitieren am Krieg ermöglicht, kurz das, was der 34. US-Präsident Dwight D. Eisenhower in seiner Abschiedsrede am 17. Januar 1961 als den military-industrial complex bezeichnet hat.74

Zahlreiche Kommentator:innen haben immer wieder auf die politische Dimension der Marvel-Mythologie hingewiesen, die Genres der Fantastik wie die Science Fiction, Fantasy und gelegentlich auch den Horror integriert, mit derselben Regelmäßigkeit jedoch immer wieder auch auf realweltliche politische Ereignisse und Diskurse Bezug nimmt und diese in fiktionalisierter Form in ihre Narrationen einspeist.75 So entwirft beispielsweise Jason Dittmer ausgehend von Captain America, der auf der sehr prominent gewordenen Titelseite von Captain America Comics #1 aus dem Dezember 1940 Adolf Hitler einen Kinnhaken verpasst, die Definition des nationalistischen Superhelden, den er vom prosozialen Superhelden, er nennt hier als Beispiel Superman, abgrenzt:

It is, admittedly, a thin line that separates Captain America from Superman: the latter fights for »truth, justice, and the American way« and has his origins in an American immigrant narrative. Still, Superman is generally a prosocial hero, fighting for the American people (among others) rather than for America as an abstract idea. Captain America, on the other hand, was written as a super-soldier created by the U.S. government and later sees himself as the living embodiment of the American Dream (rather than a tool of the state). When you add in the star-spangled uniform and the name, the comparison is not even close anymore.76

Dittmer bezieht sich hier auf die (überwiegend männlichen) Superheld:innen, die sich durch ihren Namen (z.B. Captain America, Captain Britain, Union Jack), ihr Kostüm und/oder ihre Mission explizit als »representative and defender of a specific nation-state«77 identifizieren. Der nationalistische Superheld wird somit zu einer Verkörperung des Nationalstaats (nation-state), sein Körper selbst produziert den Staat als »a ›hard‹ masculine shell protecting the ›soft‹ feminine nation«.78 Ist der Superheld bzw. die Superheld:in weder in Comic oder Film, noch in anderen Medien unabhängig von Gender zu denken,79 tritt dies in der Vereinigung von Staat und der Nation in der medialen Performativität des maskulin-muskulösen Körpers des nationalistischen Superhelden besonders sichtbar zu Tage.

Obwohl der multi-hyphenate Tony Stark vor diesem Hintergrund viel deutlicher in die Kategorie des prosozialen Superhelden fällt, dessen Mission sich in seinem mehrfach geäußerten Wunsch nach ›Weltfrieden‹ (in seinen Worten: »peace in our time«) artikuliert,80 machen Bradford Wright und später Terence McSweeney überzeugende Argumente dafür, Iron Man als »the most political of Marvel’s superheroes«81 zu verstehen. Darüber hinaus wurde Tony Stark/Iron Man sehr unterschiedlich interpretiert. Mit seiner von einem Miniaturreaktor betriebenen Rüstung erinnert er Evdokia Stefanopoulou ebenso wie Dan Hassler-Forest an »the cyborg as described by Donna Haraway«.82 Jan Grue sieht die Figur aufgrund ihrer Origin Story in ein mind-over-matter-Narrativ eingebunden, innerhalb dessen Tony Starks Iron Man-Rüstung viel mehr als Prothese zu verstehen ist. Nachdem Stark bei einer Explosion fast ums Leben kommt und fortan auf Technologie angewiesen ist, um die in seinem Brustkorb befindlichen Bombensplitter an dem Eindringen in sein Herz zu hindern, ist es seinem überragenden Intellekt zu verdanken, dass er – vergleichbar mit einer siegreichen Paralympionik:in – das körperliche Handicap in kürzester Zeit zu überwinden lernt: »[…] the brain which has mastered the secrets of science is also capable of mastering its new body«. Tony Stark, so Grue, ist in diesem Sinne als ablenationalist supercrip zu verstehen.83Supercrips seien für die repressive Ideologie des Ablenationalismus zentral »because of their ability to succeed through supreme individual effort«, welcher es ihnen erlaube, die Limitierungen einer individualisierten Beeinträchtigung hinter sich zu lassen,84

not only because they are disabled, but because their most significant struggles are about achieving and protecting normality at all costs. It is by doing so that they become productive, valued members of society. […] The best one can aspire to is to be able-disabled; to be an exemplar.85

In meiner Analyse von IRON MAN und IRON MAN 2 im ersten Teil dieser Arbeit möchte ich einen im Gegensatz zu diesen an Repräsentation interessierten Untersuchungen einen Zugriff auf die Figur vorschlagen, der Fragen der Ästhetik in den Vordergrund rückt. Hier geht es mir nicht darum, anhand einer Figur zu einer essenziellen Definition von Männlichkeit oder männlichen Superhelden zu gelangen, um diese als repräsentativ für das gesamte Genre zu positionieren. Stattdessen werde ich mit einem enggeführten Blick auf eine Figur und zwei Filme die verschiedenen Ebenen filmischen Ausdrucks identifizieren, die an der medialen Konstruktion und Artikulation von Männlichkeit beteiligt sind. In diesem Sinne geht es nicht darum, die Frage »Was für ein Mann ist Tony Stark« zu beantworten, sondern zu fragen, wie die Filme selbst diese Frage beantworten. Eine Art, auf die IRON MAN und IRON MAN 2 diese Frage immer wieder neu beantworten, ist die intertextuelle Referenz in Form zumeist indirekter Filmzitate, präziser gesagt die zitierende Wiederaufführung ästhetischer Strukturen, in die konkrete filmhistorische Männlichkeitsentwürfe eingeschrieben sind. Vor diesem Hintergrund betrachte ich beide Filme durch die Linse der von ihnen aufgerufenen Filme wie z.B. APOCALYPSE NOW (1979, Francis Ford Coppola), THE FOUNTAINHEAD (1949, King Vidor) und besonders CITIZEN KANE (1941, Orson Welles), die für das Verständnis der filmischen Männlichkeitskonstruktion Tony Stark essenziell sind. Bereits in diesem Zusammenhang nähere ich mich ebenfalls der Figur Howard Stark, dem Erfinder und Rüstungsunternehmer, der seinem Sohn den milliardenschweren Konzern Stark Industries vererbt hat. Howard Stark spielt in der bisherigen Beschäftigung mit dem MCU kaum eine bzw. eine nur untergeordnete Rolle, ganz so, wie es Stella Bruzzi in Bringing Up Daddy für die Auseinandersetzung mit der filmischen Figur des Vaters im Allgemeinen feststellt.86 Eine eindringlichere Beschäftigung wird jedoch demonstrieren, dass die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Tony und Howard Stark für das Verständnis des ›Ödipalen Dramas‹ der Infinity Saga und des Komplexes der post-patriarchalen Utopie des MCU von zentraler Bedeutung ist.

Das ›Ödipale Drama‹ steht im Fokus des zweiten Teils, in dem ich mich den drei zentralen Filmen der dritten Produktionsphase widme: CAPTAIN AMERICA: CIVIL WAR (2016, Joe Russo, Anthony Russo), AVENGERS: INFINITY WAR (2018, Joe Russo, Anthony Russo) und AVENGERS: ENDGAME. Können die insgesamt zwölf Filme der Phasen 1 und 2 als narrative Aufbauarbeit verstanden werden,87 lassen diese drei Filme die von den einzelnen Binnenserien entwickelten Handlungsstränge in steigender Intensität kulminieren. CIVIL WAR beginnt mit dem Tod von Howard Stark, der in einer Rückblende gezeigt wird, und thematisiert die Umstände seines Todes, deren Klärung gravierende, das gesamte MCU betreffende Konsequenzen nach sich ziehen. Vor diesem Hintergrund schlage ich vor, die drei Filme weniger auf ihre Qualitäten als monumentale Spezialeffektspektakel über superheroische Weltenretter:innen an der Intersektion von Fantasy und Science Fiction hin zu untersuchen, sondern als Aktualisierung des ›Ödipalen Dramas‹ zu lesen, das Stella Bruzzi als die essentielle Struktur des Familienmelodrams der 1950er Jahre identifiziert. In meiner Lektüre dieser drei Filme gehe ich deshalb der Frage nach, wie sich diese über den Weg der Referenzierung dieser klassischen Erzählstruktur und ihrer spezifischen Ausdeutung im US-Kino der 1950er Jahre als kritische Reflexion über Männlichkeit und Vaterschaft verstehen lassen. Aus dieser Perspektive kann deutlich werden, dass CIVIL WAR den Tod des Patriarchen Howard Stark als narrative Prämisse installiert, die schließlich in AVENGERS: ENDGAME die Narrativierung des Tods des Patriarchats ermöglicht. Dieser wiederum ist die Bedingung für die Realisierung der post-patriarchalen Utopie des Marvel Cinematic Universe in Phase 4.

Der Begriff der post-patriarchalen Utopie mag auf Anhieb möglicherweise ebenso überhöht wie vage klingen, ist aber vielleicht gerade aufgrund dieser Eigenschaften gut geeignet, um den aktuellen Status der Repräsentationspolitik des MCU zu reflektieren, wenn nicht gar des Superheld:innenfilmgenres an sich. Was darunter zu verstehen ist und vor allem, was dies bedeutet, dem widme ich mich im dritten Teil. In diesem betrachte ich den Übergang zwischen der dritten und vierten Phase, der mit insgesamt 17 zwischen 2021 und 2022 erschienenen Kinospielfilmen, Streamingshows und sogenannten TV-Specials bislang umfangreichsten, sowohl was die kumulative Gesamtlaufzeit betrifft, als auch die Veröffentlichungsfrequenz der Titel. In diesem Teil betrachte ich die beiden Filmen, die das Ende der dritten und den Beginn der vierten Phase markieren: SPIDER-MAN: FARFROM HOME und BLACK WIDOW, die mit einem für Marvel Studios ungewöhnlich hohen, pandemiebedingten zeitlichen Abstand von eineinhalb Jahren erschienen sind. Beide Filme fokussieren unterschiedliche Perspektiven: die eines weißen, männlichen Teenagers aus Brooklyn in einer Welt voller Erwachsener, sowie die einer in Russland geborenen weißen Frau, die als Kind entführt und zu einer Spionin und Auftragskillerin ausgebildet wurde, einer sogenannten Black Widow. Was beide Filme eint, ist ihre radikale Absage an Vaterfiguren, die im Fokus meiner Betrachtung steht. Es soll in diesem Teil also nicht in erster Linie darum gehen, Repräsentationen in der zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Buches noch laufenden und damit unvollständigen Phase 4 des MCU auf den Grad ihrer Diversität zu untersuchen. Es geht hier darum, die narrative, vor allem aber ästhetische Grundlange zu erforschen, die einen solchen Wandel auf Ebene der Repräsentation ermöglicht. Der Begriff des Superheld:innenfilms, so werde ich hier argumentieren, denotiert keineswegs, dass Männlichkeit keine Rolle mehr spielt, er beinhaltet jedoch eine kritische Reflexion darüber, was Männlichkeit abseits eines überkommenen patriarchalen Idealtyps sein kann, oder nicht sein sollte.

Anstelle eines zusammenfassenden Fazits schließe ich mit einem Ausblick in Form einiger Thesen über den Superheld:innenfilm, in denen ich versuche, die anhand der Auseinandersetzung mit dem Marvel Cinematic Universe gewonnen Erkenntnisse mit aktuellen Beispielen abzugleichen, die im Hauptteil des Buchs keine Berücksichtigung finden konnten. Im direkten Vergleich mit Genreeinträgen konkurrierender Studios zeigt sich, dass sich verschiedene am Beispiel der Marvel-Filme aufgezeigte Bewegungen auch in anderen Franchisen beobachten lassen. Die Ausführungen zu den einzelnen Thesen sind kursorisch gehalten und mitunter eher an neuen Fragen interessiert als an definitiven Antworten. Sie lassen jedoch deutlich werden, dass sich Elemente dessen, was ich als post-patriarchale Utopie charakterisiere, auch über die Grenzen des Marvel Cinematic Universe hinaus bereits konventionalisiert haben. Dies kann und will jedoch nicht mehr sein als eine Momentaufnahme. Es ist zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Zeilen nur zu erahnen, ob und wie sich die hier konstatierte post-patriarchale Utopie des Marvel Cinematic Universe auf lange Sicht artikulieren wird, welche darstellerischen Möglichkeitsräume sie für das Genre als Ganzes erschafft, vor allem aber, als wie nachhaltig sie sich herausgestellt haben wird, sobald sie sich mit dem stets unvermeidlichen Backlash konfrontiert sieht.

Wenn also, wie ich hier behaupte, in Phase 3 der Infinity Saga eine Abkehr von der bisher betriebenen Normalisierung bzw. Naturalisierung weißer Cisheteromännlichkeit als unsichtbarem, unhinterfragtem Standard des superheroischen Genres betrieben wird, zugunsten ihrer kritischen Evaluation und der darauffolgenden Delegitimierung, wie sind diese Abkehr-, Evaluations- und Delegitimierungsprozesse dann zu verstehen? Wo lässt sich in denen um superheroische weiße Männer zentrierten Effektspektakeln eine Kritik an weißer Männlichkeit lokalisieren, die für das Genre als essenziell zu verstehen ist? Bevor diese Frage sinnvoll beantwortet werden kann, geht ihr die Frage voraus, was genau denn überhaupt kritisiert, evaluiert, delegitimiert wird, und wovon sich abgewandt wird. Es schließt sich die Frage an, welche Konsequenzen aus dieser Abkehr resultieren. Ich werde versuchen, diese drei Fragen in den drei Teilen dieser Arbeit zu beantworten.

Beginnen werde ich mit einer Reihe theoretischer Überlegungen an der Intersektion von Superheld und Männlichkeit. In diesen wird deutlich werden, dass ich der Heterogenität meines Gegenstands mit einer ebensolchen Heterogenität verschiedener theoretischer Perspektiven begegne, zwischen denen ich im Verlauf meiner Analyse wechsele, wenn es der Gegenstand nahelegt. Im Sinne der hier eröffneten Problemstellung kann es nicht darum gehen, das Marvel Cinematic Universe bzw. die Infinity Saga aus einer konstanten, unidisziplinären Perspektive, wie bspw. der Genretheorie in den Blick zu nehmen. Es scheint mir deutlich produktiver, einerseits vom Gegenstand ausgehend zu fragen, andererseits die Widersprüche der bisherigen Beforschung des Superhelden in Comic, Film und Fernsehen produktiv zu machen, um auf diese Weise Spannungen identifizieren und tote Winkel einsehen zu können. Der transdisziplinäre Zugriff auf Film unter Anleitung einer gender-medienkulturwissenschaftlich situierten Fragestellung positioniert diese Arbeit in einem Zwischenraum, von dem aus sie an Arbeiten aus der Filmwissenschaft, den American Cultural Studies, den Gender Studies bzw. der Gender-Medienwissenschaft, der kritischen Männlichkeitsforschung, aber auch einer Reihe weiterer Disziplinen anknüpft, ohne sich deren jeweiligen Paradigmen in dogmatischer Weise zu verpflichten. Dies kann als Inkonsistenz und damit als Schwäche dieser Arbeit kritisiert werden, ich hoffe jedoch, die Produktivität eines flexibleren Zugriffs, wie ich ihn hier betreibe, demonstrieren zu können. Nichtsdestoweniger gibt es Konstanten, die das theoretische und methodische Programm dieser Arbeit leiten. Dies ist erstens die Frage nach den Mitteln der Produktion von filmischer Männlichkeit in der Infinity Saga. Um diese Frage beantworten zu können werde ich, zweitens, die Infinity Saga als filmischen Diskurs über Männlichkeit verstehen, an dessen Produktion nicht nur Narration, Charakter und filmische Repräsentation beteiligt sind, sondern filmischer Ästhetik eine entscheidende, häufig jedoch unterbeleuchtete Rolle zukommt. Ästhetik ist für diese Analyse auch deshalb von zentraler Bedeutung, weil die Filme der Infinity Saga über den Weg der Reinszenierung einschlägiger filmästhetischer Strategien filmhistorische Männlichkeitsentwürfe wiederaufführen. Daher verfügt diese Arbeit ungeachtet ihrer methodischen Vielfalt zwischen Diskursanalyse und Close Readings die methodische Konstante der transparenten Lektüre ästhetischer Remakes, die den referenzierten Film hinter dem Film ins Visier rückt. Ich werde diese Methodik am Ende der nun folgenden theoretischen Überlegungen an einer Reihe von Beispielen herleiten, bevor ich ihre Produktivität über den Verlauf der gesamten Arbeit an Schlüsselszenen der Infinity Saga demonstriere.

Ich beginne meine Überlegungen mit einer kurz gehaltenen Kritik an bisherigen Theoretisierungen der Intersektion von ›Superhelden‹ und ›Männlichkeit‹. In diesen entsteht häufig ein essentialistisches Verständnis des hypermaskulinen Superhelden, der diesem zufolge ein konservativ-hegemoniales Männlichkeitsbild mit Wurzeln in faschistischer Ideologie repräsentiert und in spezifischer Weise binär vergeschlechtlichte Identifikationsprozesse in Gang setzt. Ich möchte dieser Lesart Alternativen gegenüberstellen, die den Fokus weniger auf vermeintliche Homogenität denn auf die Multiplizität superheldenhafter Männlichkeitsentwürfe legt, die im Marvel Cinematic Universe bzw. der Infinity Saga miteinander interagieren. Weiterhin geht es mir darum, die Konstruktionsbedingungen dieser Männlichkeitsentwürfe in Form der Frage in den Fokus zu rücken, welche Rolle Medien, Medialität und mediale Performativität bei der Ausdifferenzierung des hypermaskulinen Ideals des Live-Action Superhelden spielen.

Superhelden/Männlichkeiten

In welcher Relation stehen ›Superheld‹ und ›Männlichkeit‹? Diese Frage ist nicht neu, sie steckt bereits im Namen des Genres und seines bekanntesten Protagonisten Superman, und sie zieht sich – mal mehr, mal weniger implizit – durch die Versuche, des Phänomens ›Superheld‹, ob in Comic oder Film, definitorisch habhaft zu werden. »The superhero genre, as the name implies, is a male-focused genre«,88 stellt Peter Coogan für das Medium Comic fest. Jeffrey A. Brown bemerkt ganz ähnlich: »As his very name makes clear, Superman is the ultimate masculine ideal of the twentieth century«.89Die Relation zwischen ›Superheld‹ und ›Männlichkeit‹ scheint nicht nur dem Sujet geschuldet bzw. ein intrinsischer Zusammenhang zu sein. Vielmehr ist sie ein Hinweis darauf, dass Genre-Konventionen immer auch in einem konstitutiven Wechselverhältnis mit konkreten Gender-Konfigurationen stehen.90Ein ›klassischer Superheld‹ der formativen Jahre des Golden Age of Comics definiert sich, so argumentiert Véronique Sina in Comic. Film. Gender. (2016) im Anschluss an Mila Bongco (2000), u.a. »durch die Inszenierung eines ganz bestimmten Männlichkeitsbildes, welches nicht nur den Besitz besonderer Superkräfte, sondern auch einen gestählten, vor Kraft strotzenden muskulösen Körper sowie besondere mentale Fähigkeiten umfasst«.91 Eine Codierung als white, anglo-saxon protestant (WASP) und seine normative Heterosexualität, so Sina, komplettieren das »hegemoniale Männlichkeitsbild des klassischen Superhelden«.92Comic-Superhelden seien nach Brown immer schon »a wish-fulfilling fantasy for young men« gewesen,93 in der sich »being male and masculine«,94 so ergänzt Mila Bongco, in der Effizienz manifestiere, mit der ein Superheld Muskeln und/oder Verstand in der Konfliktlösung einsetzt. Dieses ›Männlichkeitsbild‹ repräsentiert, so scheint es Konsens zu sein, ein »highly visible example of the hypermasculine ideal«,95 eine »übersteigerte Männlichkeit«,96 die »sich nicht nur in körperlichen Attributen und athletischen Anlagen, sondern insgesamt auch in ihrer Handlungsfähigkeit«97 äußert. Der ›hypermuskuläre‹ Körper mit seiner ihm attestierten »ability to communicate masculinity without an act – via the obvious overpresence of masculine signifiers«,98 steht dabei regelmäßig im Fokus der Betrachtung.99

Als Voraussetzung für die Erlangung des hypermaskulinen Superheldenkörpers wird ein transformativer Prozess erkannt, »the typical superhero transformation from wimp to he-man«, eine »Metamorphose«,100 die »zwischen zumindest zwei differenzierbaren Identitäten des Protagonisten [vermittelt]«.101 Brown spricht in diesem Zusammenhang von einer ›male duality‹ zwischen einer durch den Superheldenkörper repräsentierten ›phallischen Maskulinität‹102 und dem machtlosen Alter Ego des ›feminisierten Mannes‹103 – eine Dualität, die er im Anschluss an Klaus Theweleits Männerphantasien als in faschistischer Ideologie begründet identifiziert:

This myth of idealized masculinity, which is still incredibly pervasive, remains dependent upon the symbolic split between masculinity and femininity, between the hard male and thesoft other. And in the misogynistic, homophobic, and racist view of this ideology, the despised other that masculinity defines itself against conventionally includes not only women but also feminized men.104

Bezogen auf die Live-Action Superheld:innenfilme der Nachjahrtausendwende stellen Suzanne Kord und Elizabeth Krimmer fest, dass auch diese »centrally concerned with concepts of masculinity«105 sind. Die anhand der Comics identifizierte Konzeptionierung des hypermaskulinen, weißen, heterosexuellen Superhelden wird auch in den Filmen wiederentdeckt und scheint zu suggerieren, es handle es sich bei ihnen um eine schlichte Fortführung desselben in einem anderen Medium. So entdeckt beispielsweise Brown in den Modern Superheroes in Film and Television der ersten fünfzehn Jahren nach der Jahrtausendwende erneut eine »preoccupation with masculinity«106 in Form einer Privilegierung männlich-fokussierter Erzählungen. Das in diesen Filmen (und TV-Serien) valorisierte männliche Ideal findet er in nahezu identischer Konfiguration in den zugrunde liegenden Comics aus den 1940er bis 1960er Jahren vor.107 Dass diese konservativ codierten, in den USA zur Zeit des Zweiten Weltkriegs und während der Ära des Kalten Krieges besonders populären Comicfiguren nach der Jahrtausendwende auf der Kinoleinwand und im Fernsehen eine Renaissance in solchem Umfang erleben, wird dabei häufig als Reaktion auf einen Bedarf an neuen Helden nach den Anschlägen vom 11. September 2001 verstanden.

9/11 und die ›Remaskulinisierung Amerikas‹

So wie der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs als ein wesentlicher, begünstigender Faktor für die Popularität US-amerikanischer Superheld:innencomics und die rasche Expansion einer überschaubaren Comicheft-Branche in eine regelrechte Industrie betrachtet wird,108 werden die nach der Jahrtausendwende in steigender Frequenz produzierten Live-Action-Superheldenfilme mit den Anschlägen auf New York City und Washington, D.C. am 11. September 2001 in Verbindung gebracht.Der US-amerikanische, ›die Welt‹ rettende Held, der sich mit Mut, Entschlossenheit und übermenschlichen Fähigkeiten einer äußeren Bedrohung von irrationaler Größe entgegenstellt, repräsentativ vertreten in der »post-September 11 resurrection of the superhero genre, particularly in film, is a direct response to the feelings of helplessness and terror that Americans experienced in the days and years following the attack«.109 Ganz in diesem Sinne betrachtet auch Jeffrey A. Brown das Genre als einen Weg, das kulturelle Trauma 9/11 symbolisch zu adressieren und den Gefühlen der Verletzlichkeit ein fiktionales Korrektiv gegenüber zu stellen.110 »As icons of morality and justice, and as fictional symbols of American superiority«, so fasst er es in The Modern Superhero in Film and Television zusammen, »superheroes appeal to very specific cultural needs in an era when everything seems unstable«.111 Das insbesondere die zu dieser Zeit zahlreich erscheinenden Origin Stories konstituierende Transformationsnarrativ einer Maskulinisierung des Superhelden betrachtet er als symptomatisch für »a larger project of remasculinizing the nation itself after the foundational belief in America’s superiority and invulnerability was shattered«.112

Wie bereits in seinen vorhergegangenen Auseinandersetzungen mit Comic-Superhelden ist auch in Browns Analyse der post-9/11-Superheldenfilme der Aspekt der maskulinen Transformation und das ihm eingeschriebene, männlich codierte Identifikationsangebot zentral: »The fantasy of the superhero transformation seems to be a specifically male ideal. Superhero films present a very narrow definition of masculinity within a narrative designed to foster viewer identification with the character’s empowerment.«113Die Idee einer dem Genre zentral zugrunde liegenden männlichen Selbstidentifikation bezieht er von Umberto Eco, der 1964 mit »Il Mito di Superman« (dt: ›Der Mythos von Superman‹ in Apocalittici e integrati) eine der ersten kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit der Figuration des Superhelden im Medium Comic vor dem Hintergrund einer Massenkultur vorlegt. In dieser stellt Eco am konkreten Beispiel der Transformation des bebrillten Anzugträgers Clark Kent in Superman fest: »[T]hrough an obvious process of self-identification, any accountant in any American city secretly feeds the hope that one day, from the slough of his actual personality, there can spring forth a superman who is capable of redeeming years of mediocre existence.«114Zur Formulierung seines Arguments greift Brown auf kanonische »theories of gender-aligned identification in film studies« zurück, als deren Ausgangspunkt regelmäßig, so auch bei ihm, Laura Mulveys Überlegungen zur filmischen Produktion von sexueller Differenz entlang von Blickarchitekturen in »Visuelle Lust und narratives Kino«115 dienen. Prominentester Vertreter dieser Richtung ist Steve Neale, dessen Artikel »Masculinity as Spectacle« das von Mulvey etablierte Paradigma der Zuschauer:innenidentifikation entlang einer (biologisch begründeten) sexuellen Differenz fortführt und dabei den männlichen Körper und dessen filmische Repräsentation in den Fokus der Betrachtung rückt.116 Diese Filmbilder von spektakulären Männerkörpern böten, so Neale, dem männlichen Publikum die Möglichkeit einer narzisstischen Identifikation mit maskulinen Allmachts- bzw. Kontrollfantasien. Gleichzeitig wirken als männlich verstandene Aktivitäten (Sport, Folter, Gewalt, etc.), in denen diese idealisierten Körper erscheinen, deren fetischisierender Objektifizierung bzw. deren Reduktion auf ein Blickobjekt als Spektakel sexuellen Begehrens (der zugrunde liegenden binären Logik folgend: deren Feminisierung) entgegen.117

Das moderne Superheld:innenfilmgenre, so Brown, perpetuiere in diesem Sinne eine traditionelle Konzeption von Maskulinität, die sich eng am dominanten Männlichkeitsideal der westlichen Kultur – »strong, powerful, resourceful, smart, and triumphant«118 – orientiert und dieses ins Extreme überzieht. Er schlussfolgert hieraus:

[T]he extreme version of masculinity modeled by cinematic superheroes is a clear example of what [Raewyn] Connell (1987) describes as »hegemonic masculinity« in that it serves not just as a standardized ideal but represents a pattern of characteristics and practices that allows misogyny to remain intact.119

In einem Echo seiner vorherigen Rückbindung des hypermaskulinen Superheldenkörpers an faschistische Ideologie konstatiert er schließlich, »[t]he dominant mainstream superhero film genre then can be seen as conservative, even downright misogynistic, not just in its on-screen depiction of genders but via its ideological influence on viewers«.120Diese Dynamik, so weiter, werde von parodistischen Genreeinträgen wie SUPER (2010, James Gunn) oder KICK-ASS (2010, Matthew Vaughn) – keineswegs konterkariert oder gar subvertiert, sondern verstärkt:

That the parodic nature of both Kick-Ass and Super allows their heroes to offer up a supposedly more »realistic« and extreme version of the traditional superhero fantasy where any wimp can become an all-powerful hero, reinforces the hegemony of ideal masculinity to a far greater degree than even mainstream superhero films can. Under the guise of mocking superhero films Kick-Ass and Superactually open up the fantasy of achieving masculine ideals as something that every man, no matter how far from being super he is, is capable of achieving.121

Terence McSweeney ist in dieser Hinsicht etwas zuversichtlicher. Auch für ihn steht die Emergenz des Superheldenfilms nach der Jahrtausendwende im Zusammenhang mit der Forderung einer Remaskulinisierung »of both the individual and the nation«,122 worunter Peggy Noonan die Rückkehr Amerikas zu einer »more traditional brand of masculinity which [Noonan] saw embodied in the figure of John Wayne«123 versteht. Die in den Narrativen des MCU, »which centralise the experiences and heroism of white heterosexual men«,124 erscheinenden Körper von Tony Stark, Thor, Captain America, etc. versteht er als »richly symbolic significatory systems pregnant with meaning and association just as Wayne’s and [Sylvester] Stallone’s were to the discourse of their own respective eras«. Stelle man in Rechnung, so McSweeney, dass

like the majority of popular American films, the superhero is created and embedded within capitalist, corporate-owned enterprises, it should come as no surprise that the genre habitually adopts and inculcates dominant ideological perspectives on issues of race, gender and sexuality.125

Im MCU identifiziert er diese dominanten ideologischen Perspektiven in der narrativen Privilegierung weißer, heterosexueller, hypermaskuliner Männer gegenüber nicht-weißen bzw. weiblichen Figuren, die er als zwar präsent, aber »undoubtedly secondary characters by quite some margin« beschreibt, »and, in the case of women, they are frequently defined by their vulnerability«.126Er stellt jedoch fest, dass »the MCU heroes can be seen to display a more unstable and variegated depiction of masculinity, althoughno less hegemonic«.127 In diesem Sinne demonstrieren die Marvel-Filme,

how Captain America’s more traditional brand of masculinity is updated to encompass, at the same time, variations of the modern, more sensitive new man archetype; or how Thor has been shown to both embody aspects of what Susan Jeffords (1994) called the hard-bodied hero, but also present a vulnerability and empathy not connected with this more traditional model.128

Er situiert diese ›Koordinatenverschiebung‹ vor dem Hintergrund eines sich seit den 1990ern in die 2000er fortsetzenden, ideologisch motivierten Diskurses einer Krise dominanter hegemonialer maskuliner Modi.129 Dieser Diskurs habe jedoch nicht zu einer Limitierung des Spektrums männlicher Ausdrucksformen, sondern zu einer Öffnung »in the way that it offered a freedom from some of the constraints imposed on what Western culture had hitherto defined as what constitutes a ›real man‹«130 geführt:

So, while Anthony Easthope might be correct to argue that, »men live in the dominant version of masculinity ... they themselves are trapped in structures that fix and limit masculine identity. They do what they have to do« […], the characterisations of many of the heroes in the MCU are demonstrative of trends in contemporary American film that offer men a much wider range of complexities than were ever offered before, or have ever been offered to women.131

Ungeachtet dieser neuen Angebote sieht er die weißen, heterosexuellen Männlichkeiten im MCU nach wie vor im Zentrum einer Krise »[which] becomes part of the formative constituents of what defined masculinity in the first decades of the new millennium on the cinema screen and in Western culture at large«.132

Obwohl Brown und McSweeney insofern voneinander abweichen, dass McSweeney Superhelden-Männlichkeit nach der Jahrtausendwende eine gesteigerte Flexibilität zugesteht, bildet für beide das dominante Modell einer hypermaskulinen, ergo hegemonialen Männlichkeit die zentrale Referenzgröße. Bei beiden ist die Privilegierung dieses Modells im zeitgenössischen Superheld:innenfilm Ausdruck einer dominanten (sprich: weißen, heteronormativen, patriarchalen) Kultur und steht im direkten Zusammenhang mit einer Krise der Nation, die sich mit dem Diskurs einer Krise der Männlichkeit verwebt. Während der männlich-weiß-heterosexuelle Superheld in Browns Argument jedoch als Beantwortung dieser Krise zu verstehen ist, wird er in McSweeneys Lektüre viel deutlicher zum diskursiven Austragungsort der Aushandlungsprozesse und Verschiebungen, denen Männlichkeit in einer sich permanent aktualisierenden Legitimationskrise laufend unterworfen ist.133 Beide Analysen werden in ihrem Zusammenspiel besonders gewinnbringend, insofern sich an den Gemeinsamkeiten und Unterschieden in ihren Argumentationen bereits die interne Verschiebung abzeichnet, die sich in einem kurz nach Erscheinen beider Bücher prominenter werdenden Diskurs der Diversifizierung des MCU bzw. des Superheld:innengenres offen zur Schau stellt. Die Konzeptionierung des Superhelden als kulturellem Krisenbarometer ist insofern produktiv, als sie die verstärkte Produktion und Zirkulation von Live-Action Superheld:innen nach der Jahrtausendwende über das ästhetisch-ökonomische Argument der gesteigerten Nachfrage nach qualitativ hochwertigeren Comicfilmen hinaus zu erklären vermag. Ich möchte dennoch auf zwei Punkte der hier versammelten Argumentationen eingehen, die in anderen Zusammenhängen auf Kritik gestoßen sind: die Analyse von Männlichkeit im Film auf Grundlage eines an Körperdarstellungen gebundenen Identifikationsparadigmas, sowie den hier zu beobachtenden Einsatz des Konzepts ›hegemonialer Männlichkeit‹.

Superhelden, Männlichkeit und die ›maskuline Ästhetik‹

Stella Bruzzis ästhetische Poetik eines ›Men’s Cinema‹ beginnt mit einer pointierten Kritik an einer verbreiteten ›automatischen Schlussfolgerung‹, »that the sum total of ›masculinity in film studies‹ is ›the representation of men in films‹«.134 Spezifisch gilt ihre Kritik einer Theorieschule filmwissenschaftlicher Auseinandersetzung mit Männlichkeit, in der Laura Mulveys »Visual Pleasures and Narrative Cinema« und Steven Neales »Masculinity as Spectacle« zu »automatic reference points for later criticism«135 geworden sind.

Konkret kritisiert Bruzzi, dass Männlichkeit im Film jahrzehntelang hauptsächlich aus einer Perspektive heraus analysiert wird, die Laura Mulveys als Gründungstext der feministischen Filmtheorie verstandenen Essay »Visual Pleasure and Narrative Cinema« und die von ihr gesetzten Schwerpunkte auf sexuelle Differenz, Repräsentation und Narration sowie ihre Prioritäten Identifikation, Schauen und Spektakel zum Ausgangspunkt weiterführender Argumentationen erheben. Der Körper wird damit zur zentralen Referenzgröße nahezu sämtlicher weiteren kritischen Auseinandersetzungen mit Männlichkeit im Film. In diesem Sinne habe Mulveys Aufsatz »for all its brillance«136 nicht nur Türen geöffnet, sondern auch geschlossen:

On the one hand, the scope of the essay itself has, over time, been reduced, for example through the relative marginalization of its status as a feminist polemic and manifesto, as feminism became secondary to the interpretation of narrative through psychoanalysis and, in particular, a series of gendered binary oppositions (male/female; active/passive; subject/object and so on). On the other hand, the overwhelming attraction of Mulvey’s schema has, in turn, closed down alternative ways of interpreting gender operations in mainstream, principal Hollywood, films, so that subsequent writing on gender and film has nearly always taken as its starting point ›Visual Pleasure and Narrative Cinema‹, and has almost just as frequently taken its terms as read.137

Die Thesen aus Mulveys einflussreichem Aufsatz wurden in den folgenden Jahrzehnten immer wieder aufgegriffen, diskutiert und erweitert. Trotz der Limitationen hinsichtlich seines unflexiblen, binären Verständnisses von Geschlecht und sexueller Differenz, liegt der Text in seiner ursprünglichen Form zahlreichen Argumentationen anschließender Untersuchungen zugrunde, und damit auch die ihm eingeschriebene Annahme, dass »gender and sexual difference on screen are understood via the analysis of representation and image, and that there remains a necessary conflation between patriarchy/men/images of men«.138

Als für dieses Problem symptomatisch erachtet Bruzzi Steven Neales Analyse heterosexueller Männlichkeit in Masculinity as Spectacle: Reflections on Men and Mainstream Cinema, die ebenfalls Mulveys Essay als argumentativen Referenzpunkt und Framework nutzt. Ausgangspunkt ihrer Kritik ist Neales Konstruktion des male spectator und der von ihm besetzten Subjektposition als ebenso objektiv existent wie dessen naturalisierte, verpflichtende Identifikation mit Bildern von Männern.139 Mit derselben Selbstverständlichkeit führt Neale seine Diskussion von Männlichkeit entlang von Fragestellungen der Repräsentation und geschlechtsabhängiger Identifikation (gendered identification), wobei er den schon bei Mulvey angelegten Heterosexismus eines binären Modells sexueller Differenz übernimmt:

›Feminised‹ or ›feminization‹ as terms are put in inverted commas or italicised by Neale as if we are meant simply to accept this actually quite problematic conflation of gender identities. Ultimately, Neale endorses the basic premises of ›Visual Pleasure‹ and falls back on traditionally heterosexist formulations of sexual difference.140

Als Alternative zu diesem körperfokussierten Repräsentations-/Identifikationsschema entwickelt Bruzzi eine Perspektive, die Männlichkeit als Produkt/Effekt einer spezifischen, ›maskulinen Ästhetik‹ (darunter fasst sie das Zusammenspiel von Filmstil und Mise-en-Scène) versteht, die in »multi-identified audiences«141 einen Prozess der »quasi-identification«142 auszulösen vermag, den sie als »fluid, instinctual and not necessarily gendered in a limiting way« beschreibt. ›Men’s cinema‹, das mit ›Kino der Männlichkeiten‹ möglicherweise treffender übersetzt ist als mit ›Männerkino‹, setzt demnach einen Akt der Identifikation in Gang

with a sort of symbolic masculinity […] as opposed to a literal representation of a man. This symbolic abstraction of ›masculinity‹ on to style and mise en scène problematises and destabilises that representational image fixity and […] forces gendered binaries into crisis. With this triangular structure, the two binaries would be the men on the screen and the multi-identified audiences who enjoy and respond to men’s cinema, while the third dimension is the style and the surface of the film, invested with both the symbolic meaning of masculinity and the spectator’s unfixed desires and instinctual responses to the nebulous and ambiguous characteristics.143

Das Superheld:innenfilmgenre als ›Men’s Cinema‹

Vor dem Hintergrund der festgestellten Annahme einer Fokussierung des Superheld:innenfilmgenres auf männliche Körper und Erfahrungen bildet Bruzzis Konzeptionierung eines ›Men’s Cinema‹ einen produktiven Ansatzpunkt für ein Nachdenken über die mediale/ästhetische Hervorbringung des cismännlich-weißen Superhelden, aber auch darüber hinaus für die Frage, ob/wie sich die ästhetische (Re-)Produktion der nicht-cismännlichen, nicht-weißen Superheld:in von dieser unterscheidet.