Synergetisch beraten im beruflichen Kontext - Christiane Schiersmann - E-Book

Synergetisch beraten im beruflichen Kontext E-Book

Christiane Schiersmann

0,0
21,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Aufbauend auf die Problemlösetheorie sowie die Theorie der Selbstorganisation (Synergetik) wird in diesem Buch ein Modell für die Gestaltung und Analyse von Beratungsprozessen entworfen. Um die Komplexität eines Beratungsprozesses zu reduzieren, Veränderungsprozesse sichtbar zu machen und diese als gestaltbar wahrnehmen zu können, benötigen Berater sowie Ratsuchende eine ungefähre Vorstellung vom Gesamtverlauf. Hierzu bietet es sich an, Beratung mit Unterstützung einer internetbasierten Software, dem synergetischen Navigationssystem (SNS), durchzuführen. Diese dient sowohl der Selbstreflexion der Ratsuchenden als auch dem Monitoring von Beratungsverläufen. Wie das Vorgehen in der Beratungspraxis konkret gestaltet werden kann, wird ausführlich anhand eines Fallbeispiels aus der Karriereberatung verdeutlicht. Ein Glossar, das die wichtigsten theoretischen Begrifflichkeiten praxisorientiert erklärt, rundet den Band ab. Das Buch wendet sich insbesondere an professionelle Berater, Coaches, Trainer, Supervisoren, Personalentwickler sowie Wissenschaftler.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Christiane Schiersmann

Johanna Friesenhahn

Ariane Wahl

Synergetisch beraten im beruflichen Kontext

Selbstorganisation sichtbar machen

Systemische Praxis

Band 6

Synergetisch beraten im beruflichen Kontext

Prof. Dr. Christiane Schiersmann, Johanna Friesenhahn, M.A., Ariane Wahl, M.A.

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Günter Schiepek, Prof. Dr. Wolfgang J. Eberling, Dr. Heiko Eckert, Dr. Matthias Ochs, Prof. Dr. Christiane Schiersmann, Dipl.-Psych. Rainer Schwing, Prof. Dr. Dr. Peter A. Tass

Prof. Dr. Christiane Schiersmann, geb. 1950. 1968–1973 Studium der Erziehungswissenschaft, Soziologie, Germanistik und Politikwissenschaft in Kiel und Göttingen. Promotion 1977. 1976–1985 wissenschaftliche Assistentin an der Universität Münster. 1990 Habilitation. 1985–1990 stellvertretende bzw. kommissarische Leiterin des Forschungsinstituts Frau und Gesellschaft in Hannover. Seit 1990 Professorin am Institut für Bildungswissenschaft an der Universität Heidelberg (Schwerpunkt Weiterbildung und Beratung).

Johanna Friesenhahn, M.A., geb. 1986. 2006–2011 Studium der Bildungswissenschaft, Psychologie und Soziologie, mit Zusatzstudium Personal- und Organisationsentwicklung in Heidelberg. Seit 2011 akademische Mitarbeiterin der Arbeitseinheit Weiterbildung und Beratung am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg. Tätigkeit als Studiengangkoordinatorin und Dozentin im berufsbegleitenden Masterstudiengang „berufs- und organisationsbezogene Beratungswissenschaft“ sowie freiberuflich als Coach und Trainerin.

Ariane Wahl, M.A., geb. 1968. 1987–1990 Studium der Betriebswirtschaftslehre in Mannheim. Ausbildung zur staatlich geprüften Dolmetscherin und Übersetzerin. Anschließend mehrjährige Tätigkeit in verschiedenen Branchen der freien Wirtschaft im In- und Ausland. Berufsbegleitendes Masterstudium der Beratungswissenschaft an der Universität Heidelberg. Seit 2004 freiberufliche Beraterin für Akademiker, Fach- und Führungskräfte mit dem Schwerpunkt Berufliche Orientierung. Seit 2012 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Bildungswissenschaft der Universität Heidelberg.

Copyright-Hinweis:

Das E-Book einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar.

Der Nutzer verpflichtet sich, die Urheberrechte anzuerkennen und einzuhalten.

Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG

Merkelstraße 3

37085 Göttingen

Tel.: +49 551 99950 0

Fax: +49 551 99950 111

E-Mail: [email protected]

Internet: www.hogrefe.de

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2015

© 2015 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN_PDF 978-3-8409-2608-2; E-Book-ISBN_EPUB 978-3-8444-2608-3)

ISBN 978-3-8017-2608-9

http://doi.org/10.1026/02608-000

Nutzungsbedingungen:

Der Erwerber erhält ein einfaches und nicht übertragbares Nutzungsrecht, das ihn zum privaten Gebrauch des E-Books und all der dazugehörigen Dateien berechtigt.

Der Inhalt dieses E-Books darf von dem Kunden vorbehaltlich abweichender zwingender gesetzlicher Regeln weder inhaltlich noch redaktionell verändert werden. Insbesondere darf er Urheberrechtsvermerke, Markenzeichen, digitale Wasserzeichen und andere Rechtsvorbehalte im abgerufenen Inhalt nicht entfernen.

Der Nutzer ist nicht berechtigt, das E-Book – auch nicht auszugsweise – anderen Personen zugänglich zu machen, insbesondere es weiterzuleiten, zu verleihen oder zu vermieten.

Das entgeltliche oder unentgeltliche Einstellen des E-Books ins Internet oder in andere Netzwerke, der Weiterverkauf und/oder jede Art der Nutzung zu kommerziellen Zwecken sind nicht zulässig.

Das Anfertigen von Vervielfältigungen, das Ausdrucken oder Speichern auf anderen Wiedergabegeräten ist nur für den persönlichen Gebrauch gestattet. Dritten darf dadurch kein Zugang ermöglicht werden.

Die Übernahme des gesamten E-Books in eine eigene Print- und/oder Online-Publikation ist nicht gestattet. Die Inhalte des E-Books dürfen nur zu privaten Zwecken und nur auszugsweise kopiert werden.

Diese Bestimmungen gelten gegebenenfalls auch für zum E-Book gehörende Audiodateien.

Anmerkung:

Sofern der Printausgabe eine CD-ROM beigefügt ist, sind die Materialien/Arbeitsblätter, die sich darauf befinden, bereits Bestandteil dieses E-Books.

Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Einführung

2 Verständnis arbeitsweltbezogener Beratung

2.1 Systemisches Konzept von Beratung

2.1.1 Beratung als Interaktionsprozess zwischen dem Ratsuchenden-System und dem Berater-System

2.1.2 Organisationale und gesellschaftliche Kontexte des Beratungsprozesses

2.2 Abgrenzung von Beratung gegenüber Psychotherapie

2.2.1 Gemeinsamkeiten von Beratung und Psychotherapie

2.2.2 Graduelle Differenzen zwischen Beratung und Psychotherapie

3 Beratung als Lösung von Problemen unter Beachtung von Selbstorganisationsprozessen

3.1 Problemlösetheorie

3.2 Theorie der Selbstorganisation (Synergetik)

3.3 Generische Prinzipien und Prozessphasen als Bezugspunkte für die Gestaltung von Beratungsprozessen

3.3.1 Konzeptionelle Verortung der generischen Prinzipien

3.3.2 Beschreibung der generischen Prinzipien in Bezug zu Phasen

Stabilitätsbedingungen für Veränderungsprozesse schaffen (gP 1)

Synchronisation herstellen (gP2)

Das System und dessen Muster identifizieren (gP 3)

Sinnbezug herstellen/Visionen und Ziele entwickeln (gP 4)

Energetisierung ermöglichen/Kontrollparameter identifizieren (gP 5)

Fluktuationsverstärkungen anregen (gP 6)

Symmetriebrechung unterstützen (gP 7)

Stabilisierung neuer Muster unterstützen (gP 8)

3.4 Rahmenmodell für die Gestaltung und Analyse von Beratungsprozessen

4 Synergetisches Navigationssystem – Beratung mit Unterstützung einer internetbasierten Software

4.1 Gründe für den Einbezug von Software in die Beratung

4.2 Nutzen des SNS in der Beratung

4.3 Struktur und inhaltliche Ausgestaltung des Prozessreflexionsbogens (PRB)

4.3.1 Theoretische Begründung der allgemeinen prozessbezogenen Items

Bedürfnis nach Orientierung und Kontrolle

Bedürfnis nach Lustgewinn und Unlustvermeidung

Bindungsbedürfnis

Bedürfnis nach Selbstwerterhöhung

Motivationale Items

Bedürfnisübergreifende, handlungsorientierte Items

4.3.2 Bezugspunkte für bereichsspezifische Items

4.3.3 Generierungsprozess anliegenspezifischer Items

Ressourceninterview

Systemmodellierung

Ziel-Ressourcen-Assessment

4.4 Optionale Fragebögen für den Einsatz des SNS in der Beratung

4.5 Technische Grundlagen des SNS

Einführung in die technische Nutzung des SNS für den Ratsuchenden

Technische Auswertungsmöglichkeiten

Darstellung der Messrohwerte und Faktoren in Zeitreihen

Komplexitäts-Resonanz-Diagramme (KRD)

Kommentarfunktion

4.6 Reflexionsgespräche über die SNS-Daten

Ziele des Reflexionsgesprächs

Datengrundlage für das gemeinsame Gespräch

Auswahl der Auswertungsverfahren

Zeitpunkt und zeitlicher Umfang der Reflexion

Konzept des Beratenden

5 Fallbeispiel zur Erprobung des SNS

5.1 Beratungsverständnis

5.2 Falldokumentation

5.2.1 Anliegensklärung

Einbindung des SNS in die Beratung

5.2.2 Wertearbeit

Kurvenverläufe

5.2.3 Stabilisierung und Arbeit mit Motivatoren

Kurvenverläufe

Reflexion der Beraterin

5.2.4 Inkongruenzerleben

Stuhlarbeit

Kurvenverläufe

Reflexion der Beraterin

5.2.5 Focusing

Kurvenverläufe und Reflexion

5.2.6 Lebenslauf

Kurvenverläufe und Reflexion

5.3 Gesamtreflexion des Falles

6 Anwendungsfelder und Erfahrungen mit dem Einsatz des SNS – Ausblick und Fazit

6.1 Spektrum der Anwendungsfelder des SNS

Einsatzfeld: Coaching und Beratung von Akademikern, Fach- und Führungskräften

Einsatzfeld: Praxisprojekt im Masterstudiengang Beratungswissenschaft

Einsatzfeld: Schulfach Glück an einem Berufskolleg

Einsatzfeld: Teamentwicklung

Einsatzfeld: Beratung und Coaching von Lehrern und Führungskräften

Einsatzfeld: Erprobung eines Qualitätsentwicklungsrahmens (QER) zur Umsetzung von Qualitätssicherungsmaßnahmen in Beratungseinrichtungen

6.2 Allgemeine Erfahrungen mit dem Einsatz des SNS

6.2.1 Positive Effekte für Ratsuchende, Beratende und Forscher

6.2.2 Rahmenbedingen des Einsatzes des SNS in der Beratung

Literatur

Glossar

Sachregister

|7|1 Einführung

Unsere Gesellschaft ist durch raschen Wandel geprägt. Personen sowie Organisationen sind mit Unsicherheit, Unvorhersagbarkeit, Vieldeutigkeit und Paradoxien bei der Gestaltung der individuellen beziehungsweise organisationalen Zukunft konfrontiert. Angesichts dieser Situation gewinnt Beratung als Unterstützungsangebot für den Umgang mit der gestiegenen Komplexität an Bedeutung. Allerdings stellt der Aspekt, wie Beratung wirkt und wie sich die dadurch angestoßenen Veränderungsprozesse wirklich vollziehen, noch weitgehend eine Blackbox dar. Die Theorie der Selbstorganisation, die Synergetik, nimmt diese Prozesse in den Blick. Auf der Basis dieser Theorie wurden von Haken und Schiepek (2010) sogenannte generische Prinzipien entwickelt, die den Selbstorganisationsprozess der Veränderung unterstützen. Darüber hinaus wurde ein internetbasiertes Softwareprogramm, das Synergetische Navigationssystem (SNS), entwickelt, mit dessen Hilfe es möglich ist, den realen, nicht linearen Veränderungsprozess zu dokumentieren, zu analysieren und zu reflektieren. Das Instrumentarium wurde bislang vor allem in der (stationären) Psychotherapie erprobt (vgl. Schiepek, Eckert & Kravanja, 2013). Ziel dieser Veröffentlichung ist auf einer allgemeinen Ebene, den Ansatz der Synergetik, insbesondere aber den Transfer dieses Instruments auf die Beratung zu diskutieren und erste Erfahrungen damit zu dokumentieren. Der Einsatz des SNS bietet Möglichkeiten zur Gestaltung, Analyse und zum Monitoring eines Beratungsprozesses, die das herkömmliche Vorgehen bereichern, ohne die Face-to-Face-Beratungspraxis zu ersetzen.

Die Autorinnen beziehen sich dabei auf das Feld der arbeitsweltbezogenen Beratung: Hierzu werden sowohl individuumszentrierte Formate (z. B. Berufs- und Karriereberatung, Coaching, Supervision) als auch organisationsbezogene (z. B. Team-, Organisationsentwicklungsberatung) gezählt. Im Zentrum dieser Publikation stehen die individuumszentrierten Formate, organisationsbezogene werden dennoch an der einen oder anderen Stelle mit reflektiert, denn alle Überlegungen dieses Bandes gelten im Prinzip auch für diesen Bereich. Im Kapitel 2 wird dementsprechend das zugrunde gelegte Verständnis professioneller Beratung und dessen Abgrenzung gegenüber Psychotherapie erläutert.

Angesichts der gesellschaftlichen Herausforderungen sowie den daraus resultierenden Beratungsanliegen stellt aus Sicht der Autorinnen ein lineares Paradigma, das einfache Ursache-Wirkungs-Ketten identifiziert, keine adäquate Grundlage mehr für Erklärungs-, Entscheidungs- und Veränderungsstrategien dar. Vielmehr liegt die Orientierung an einem systemischen Paradigma nahe, das die Suche nach Zusammenhängen, Mustern und Wechselwirkungen statt nach monokausalen Erklärungen in den Mittelpunkt rückt. Es kann aber nicht mehr von „der“ Systemtheorie gesprochen werden. Vielmehr bestehen vielfältige Varianten (z. B. auf der Basis der Familientherapie, der personbezogenen Systemtheorie oder soziologischer Ansätze). Daher ist für die Argumentation in diesem Band eine Spezifikation erforderlich (vgl. Kap. 3). Ausgewählt werden die systemisch gefasste Problemlösetheorie sowie die Theorie der Selbstorganisation (Synergetik) als Metatheorien für die Beratung.

Eine nicht normativ, sondern systemisch konzipierte Problemlösetheorie erleichtert den Umgang mit komplexen Sachverhalten, insbesondere die Planung und Gestaltung des |8|Veränderungsprozesses von einer (unerwünschten) Ausgangssituation zu einem erwünschten Ziel. Ein solcher Bezug erscheint hilfreich, weil Beratende sowie Ratsuchende trotz einer letztlich nicht prognostizierbaren Entwicklung auf einer groben Ebene eine ungefähre Vorstellung beziehungsweise ein vorläufiges Bild vom Gesamtverlauf benötigen, um die Komplexität eines Beratungsprozesses zu reduzieren und diesen als gestaltbar wahrnehmen zu können. Die Theorie der Synergetik untersucht die konkreten, nicht linear verlaufenden Selbstorganisationsprozesse von physikalischen, biologischen sowie sozialen Systemen. Setzt man beide Metatheorien in Verbindung zueinander, so lässt sich Beratung als Förderung des Problemlösens unter Beachtung der Selbstorganisationsprozesse verstehen. Dieser theoretische Rahmen umfasst eine konzeptionelle Begründung dafür, bei der Ausgestaltung eines Beratungsprozesses auf vielfältige Methoden und Verfahren aus den unterschiedlichen „Beratungs- oder Therapieschulen“ zurückgreifen zu können.

Um die nicht linearen, komplexen Verläufe eines Veränderungsprozesses detailliert erfassen zu können, ist es gerade in der Beratung wichtig, auch Informationen über dessen Entwicklung zwischen den Beratungssitzungen zu dokumentieren. Das Synergetische Navigationssystem (SNS), bietet die Möglichkeit dazu. Das SNS dient der konkreten Erfassung und Analyse von Selbstorganisationsprozessen und damit der Selbstreflexion und dem Monitoring von Beratungsverläufen. Dieses Instrument ermöglicht es – so die Begründer (vgl. Schiepek, 2008, S. 1144) – durch die Turbulenzen der Selbstorganisation zu navigieren, daher der Name. Der Einsatz des SNS in der Beratung erfordert Modifikationen gegenüber der Nutzung in der Psychotherapie. Dies wird im Kapitel 4 erläutert. Basis des Einsatzes des SNS in der Beratung bildet der Prozessreflexionsbogen (PRB), der regelmäßig (möglichst täglich) vom Ratsuchenden ausgefüllt wird. Ausführlich wird die Konstruktion und theoretische Fundierung dieses eigens für die Beratung entwickelten Selbsteinschätzungsbogens erläutert. Als theoretische Basis dient die Konsistenztheorie Grawes (2000), die auf der Beschreibung von Grundbedürfnissen aufbaut. Eine Besonderheit gegenüber herkömmlichen starren Fragebögen besteht darin, dass die standardisierten Items beim konkreten Einsatz diese Bogens um bereichs- sowie anliegenspezifische Items ergänzt werden sollten. So kann die jeweils individuelle Situation der Ratsuchenden aufgegriffen werden.

Neben der konzeptionellen Ausgestaltung von Fragebögen werden die technische Basis des SNS und verschiedene visualisierte Auswertungsmöglichkeiten der erfassten Zeitreihen dargestellt. Die Eingabe von Daten kann mit jedem internetfähigen PC oder Smartphone erfolgen, d. h. flexibel und ohne Ortsanbindung. Zentral für die Einbindung des SNS in Beratungsprozesse sind regelmäßige gemeinsame Reflexionsgespräche von Beratendem und Ratsuchendem. So können die Kurvenverläufe der Items interpretiert, Fluktuationen und Übergänge zwischen Mustern sichtbar und bewusst gemacht und konkrete nächste Schritte vereinbart werden.

Kapitel 5 illustriert den Einsatz des SNS anhand eines ausführlichen Fallbeispiels einer Karriereberatung (Coaching). An diesem Beispiel wird gezeigt, wie das SNS konkret in den Beratungsprozess eingebunden und der Entwicklungsprozess sichtbar gemacht werden kann. Das Kapitel 6 gibt einen Ausblick auf weitere bereits erprobte Nutzungsmöglichkeiten dieser Software und bilanziert die Erfahrungen für das Anwendungsgebiet der arbeitsweltbezogenen Beratung. Im Anhang findet sich schließlich ein Glossar, das die wichtigsten theoretischen Begrifflichkeiten der Synergetik erklärt.

|9|2 Verständnis arbeitsweltbezogener Beratung1

Der Beratungsbegriff wird sehr diffus verwendet und ist nicht geschützt. Daher wird in diesem Kapitel zunächst der dieser Publikation zugrunde gelegte Beratungsbegriff erläutert. Anschließend wird das Verständnis professioneller Beratung der Interventionsform Therapie gegenübergestellt. Letzteres erscheint zum einen notwendig, weil die im weiteren Verlauf diskutierten Konzepte und Verfahren zum Teil vorrangig in der Psychotherapie entwickelt bzw. bislang dort erprobt wurden. Da ein zentrales Ziel dieser Publikation darin besteht, diese auf die Beratung zu übertragen, ist es wichtig zu klären, welche Übereinstimmungen bzw. Differenzen sich in Bezug auf diese beiden Interventionsformate hervorheben lassen. Zum anderen wird an verschiedenen Stellen auf Ergebnisse aus der Psychotherapieforschung zurückgegriffen, da die empirische Beratungsforschung noch in den Anfängen steckt. Auch in Bezug auf diesen Transfer ist es wichtig, sich Klarheit zu verschaffen über die Spezifik dieser Interventionsformen.

2.1 Systemisches Konzept von Beratung

Im Mittelpunkt der folgenden Überlegungen steht die professionelle Beratung – ohne damit alltägliche Beratungssettings (z. B. beim Friseur, beim Kauf eines Lippenstiftes, bei der Taxifahrt, in der Kneipe) gering zu schätzen. Aber selbst bei dieser Eingrenzung umfasst Beratung ein sehr breites Spektrum von der Rechtsberatung über die Schuldnerberatung, Erziehungsberatung, Suchtberatung, Karriereberatung bis zur Organisationsberatung, um nur einige Beispiele zu nennen.

Zunächst ist klarzustellen, dass im Folgenden die Prozessberatung (im Gegensatz zur Experten- oder reinen Fachberatung) fokussiert wird, d. h. Beratung, bei der die subjektive Reflexion von Sachverhalten im Vordergrund steht gegenüber der Informationsvermittlung – die gleichwohl bei Beratung auch immer eine Rolle spielt. Von Beratung sprechen wir erst dann, wenn die Interaktion die Reflexion von Sachverhalten im Sinne eines subjektiv bedeutsamen und damit reflexiven Lernens beinhaltet. Eine weitere Eingrenzung besteht darin, dass die folgenden Ausführungen auf arbeitsweltbezogene Formate fokussieren. Die Begrenzung auf ein Feld erscheint deswegen sinnvoll, weil Beratende neben einer relativ feldunabhängigen Kompetenz zur interaktionellen Gestaltung des Beratungsprozesses immer auch Wissen über das jeweilige Feld und die zielgruppenspezifischen Anliegen benötigen. Gleichwohl lassen sich die folgenden Überlegungen auch auf andere Bereiche der Beratung in der Lebenswelt übertragen.

Die berufsbezogene bzw. arbeitsweltbezogene Beratung umfasst in unserem Verständnis sowohl personenbezogene als auch organisationsbezogene Beratungsanlässe bzw. Beratungsformate wie die Abbildung 1 veranschaulicht. Zu ersteren zählen unter anderem Angebote der Bildungs- und Berufsberatung, der Supervision und des Coaching von Füh|10|rungskräften, zu letzteren unterschiedliche Facetten der Organisationsberatung, die sich auf Teams, Abteilungen oder eine gesamte Organisation beziehen kann.

Abbildung 1: Systemisches Kontextmodell arbeitsweltbezogener Beratung (in Anlehnung an Schiersmann & Thiel, 2012, S. 18)

Die in Kapitel 1 bereits eingeforderte Orientierung an einem systemischen Gesamtkonzept schlägt sich bereits in der Art der Definition von professioneller Beratung nieder, deren zentrale Aspekte im Folgenden skizziert werden.

2.1.1 Beratung als Interaktionsprozess zwischen dem Ratsuchenden-System und dem Berater-System

Im Sinne eines systemischen Verständnisses ist davon auszugehen, dass das Beratungssystem aus zwei unterschiedlichen Teilsystemen, nämlich dem des Ratsuchenden und dem des Beratenden besteht. Bei der personenbezogenen Beratung handelt es sich bei den Ratsuchenden i. d. R. um eine Person oder (bei einem Gruppensetting) um mehrere Personen, wobei es dann ebenfalls um die je individuellen Anliegen geht. Die Ratsuchenden bringen sich mit ihrer Biografie, ihren Einstellungen und Erfahrungen sowie ihren lebens- und arbeitsweltlichen Kontexten (Familie, Freunde, Beruf) in den Beratungsprozess ein. Bei der Beratung von (Teilen von) Organisationen umfasst das Ratsuchenden-System verschiedene Personen und Akteursgruppen eines größeren sozialen Systems. Hier bilden z. B. Teams, Abteilungen oder Projektgruppen das Ratsuchenden-System |11|ebenfalls mit den jeweiligen Organisationsbiografien und Organisationskulturen sowie den Einflüssen der Umwelt auf die Organisation.

Das Zusammenspiel der beiden Teilsysteme mit ihren jeweiligen Kompetenzen in einem Interaktionsprozess konstituiert das Beratungssystem, das den Beratungsprozess gestaltet. Der Beratende bringt professionelle Kompetenz in den Prozess ein. Aber ebenso verfügt der Ratsuchende über Ressourcen im Sinne von Erfahrungen, Kompetenzen und Zielvorstellungen, deren Stärkung das Ziel des gemeinsamen Prozesses ist. Es handelt sich folglich um eine Interaktion auf gleicher Augenhöhe, wenngleich mit unterschiedlichen Ressourcen. Professionelle Beratung impliziert ein explizites Beratungssetting, das unter anderem eine systematische Auftragsklärung mit Kontrakt, die Vorstellung von einer Verlaufsstruktur seitens des Beratenden sowie die Transparenz des Vorgehens beinhaltet. Gemeinsam stellen der Beratende und der Ratsuchende eine für den Beratungsprozess tragfähige Beziehung her, klären Ziele, identifizieren Motive und Ressourcen für den Veränderungsprozess, entwickeln Lösungswege, planen und begleiten die Umsetzung. Auf die konkrete Ausgestaltung dieses Prozesses gehen wir im Kapitel 3 näher ein.

2.1.2 Organisationale und gesellschaftliche Kontexte des Beratungsprozesses

In den Beratungsprozess fließen organisationale und gesellschaftliche Kontexte ein, auf die die Beratung wiederum auch zurückwirkt. Dieser Sachverhalt wird jedoch in vielen Beratungskonzepten nicht oder nur rudimentär berücksichtigt. Der organisationale Aspekt betrifft sowohl das Selbstverständnis und die Rahmenbedingungen der Organisation, die Beratung anbietet, als auch die organisationalen Kontexte des Ratsuchenden. In der personenbezogenen Beratung spielt es auf der einen Seite z. B. eine Rolle, ob es sich um eine freiwillige Karriereberatung (z. B. durch einen freiberuflich tätigen Beratenden) oder eine Beratungspflicht im Zusammenhang mit Leistungen öffentlicher Stellen (z. B. der Arbeitsagentur) handelt. Auf der anderen Seite könnte z. B. für eine Strategie zur beruflichen Weiterentwicklung wichtig sein, welche Karrierewege die Organisation, in der der Mitarbeiter arbeitet, vorsieht. Bei der organisationsbezogenen Beratung betrifft der organisationale Kontext ebenso das Selbstverständnis und das Aufgabenspektrum des Beratungsanbieters sowie die Art der zu beratenden Organisation, z. B. die Größe, Organisationsform (Profit oder Non-Profit), Branche, Marktposition oder Unternehmenskultur.

Beratung ist ebenso in weitere gesellschaftliche Kontexte eingebunden. Beratungsanlässe resultieren i. d. R. aus der Wechselwirkung zwischen individuellen, organisationalen und gesellschaftlichen Entwicklungen, d. h. arbeitsmarktpolitischen, ökonomischen oder rechtlichen Aspekten. Für die arbeitsweltbezogene Beratung spielen gegenwärtig unter anderem Megatrends wie die Globalisierung, die Technologisierung, die Entwicklung von einer Industrie- zu einer Dienstleistungs- bzw. Wissensgesellschaft, die Veränderungen der Arbeits- und Betriebsorganisation, die demografische Entwicklung, die zunehmende Interkulturalität, das Konzept des lebenslangen Lernens, die Individualisierung von Bildungs- und Berufsverläufen eine Rolle. Mit der Dimension des gesellschaftlichen Kontexts von Beratung ist aber ebenso die Stellung bzw. Wertschätzung angesprochen, die eine Gesellschaft dem Phänomen Beratung entgegenbringt. Dies betrifft z. B. die |12|Frage, ob die Inanspruchnahme von Beratung eher als Reaktion auf persönliche oder organisationale Defizite wahrgenommen wird oder aber als selbstverständliche reflexive Begleitung von Veränderungsprozessen.

2.2 Abgrenzung von Beratung gegenüber Psychotherapie

Historisch gesehen hat sich die Interventionsform Beratung zu großen Teilen aus der Psychotherapie entwickelt (vgl. Beck, Brückner & Thiel, 1991, S. 11 ff.), praktisch zum Teil auch aus der Sozialarbeit bzw. -pädagogik (vgl. Schäffter, 2009). Fragt man nun nach einer Abgrenzung zwischen Beratung und Therapie, so erweist sich dieses Unterfangen als nicht ganz einfach, und es stellt sich die grundsätzliche Frage, wie sinnvoll eine solche Trennung ist (vgl. Bamberger, 2010, S. 49; Borg-Laufs, 2004, S. 636). Es lassen sich zunächst zumindest die folgenden Gemeinsamkeiten betonen, denen anschließend graduelle Differenzen gegenübergestellt werden.

2.2.1 Gemeinsamkeiten von Beratung und Psychotherapie

Theoretische Grundlagen. Zunächst ist in Erinnerung zu rufen, dass es sich bei vielen Therapie- bzw. Beratungsschulen um praktische Anwendungsfelder allgemeiner wissenschaftlicher Theorien handelt. Beispielsweise bildet die Lernpsychologie die Grundlage sowohl der Verhaltenstherapie als auch der (kognitiv-)behavioralen Beratung. Rogers (2004) betont als Begründer des personzentrierten Ansatzes, dass die von ihm entwickelten Merkmale einer hilfreichen Beziehung für alle Kommunikationsformen geeignet und hilfreich sind. Die systemische (Familien-)Therapie basiert ebenso wie die systemische Beratung auf allgemeinen systemtheoretischen Axiomen sowie den kommunikationstheoretischen Überlegungen von Bateson (1981, 1995) und Watzlawick et al. (1969, 2000). Die systemischen Beratungsansätze haben sich dann wiederum etwas später aus den therapeutischen Ansätzen ausdifferenziert. Beratung und Therapie stimmen folglich in Bezug auf die theoretischen Bezugspunkte – „schulspezifisch“ – weitgehend überein (vgl. Boeger, 2009, S. 14).

Ziele. Ebenso lassen sich bei beiden Interventionsformaten ähnliche Ziele konstatieren, die in den einzelnen Ansätzen etwas unterschiedlich akzentuiert werden, aber doch im Prinzip auf die Stärkung der Ressourcen zur Problembewältigung ausgerichtet sind – häufig auch als Hilfe zur Selbsthilfe formuliert. So sehen z. B. Vertreter der Verhaltenstherapie bzw. -beratung (vgl. z. B. Schmelzer, 1999) – um nur ein Beispiel zu nennen – sowohl Beratung als auch Therapie als systematischen Lern- und Veränderungsprozess, durch den die Ratsuchenden zu eigenständigem Problemlösen und zur Selbststeuerung befähigt werden sollen.

Gestaltung des Interaktionsprozesses/Methodeneinsatz. Ebenso ist nicht zu übersehen, dass die Prozessgestaltung in der Beratung und der Psychotherapie große Gemeinsamkeiten aufweist (vgl. Boeger, 2009, S. 14): Nahezu alle Beratungs- und Therapiekonzepte orientierten sich an Phasenmodellen, die eher im Detail differieren. Ebenso lassen sich für den jeweiligen Ansatz typische Gesprächsstile oder andere methodische „Werkzeuge“ identifizieren, die gleichermaßen in der Therapie wie in der Beratung ein|13|gesetzt werden. So werden in der Verhaltensberatung sowie Verhaltenstherapie z. B. operante Methoden, Verfahren zur rationalen Disputation, Reflexion, Problemlösetraining, Entspannungstechniken oder auch Konfrontationstechniken genutzt (vgl. Borg-Laufs, 2004, S. 636 f.). Im personzentrierten Konzept gelten die Grundhaltungen des Beratenden bzw. Therapeuten (Einfühlendes Verstehen, Wertschätzung, Kongruenz) für beide Settings. Gleichermaßen spielen zirkuläre Fragen oder andere Methoden, die einen Perspektivwechsel hervorrufen sollen, in der systemischen Beratung sowie Therapie eine zentrale Rolle.

Freiwilligkeit der Inanspruchnahme. I. d. R. werden sowohl Beratung als auch Therapie freiwillig aufgesucht. Eine hohe Motivation und Veränderungsbereitschaft stellt einen wesentlichen Faktor für einen erfolgreichen Veränderungsprozess dar. Sowohl Beratung (z. B. von Arbeitslosen) als auch Therapie (z. B. bei strafrechtlichen Delikten) kann aber auch (staatlich) verordnet werden.

Beziehung zwischen Beratenden und Ratsuchenden bzw. Therapeut und Klient. Manche Autoren gehen davon aus, dass sich die Beziehung zwischen den Interaktionspartnern bei Beratung anders gestaltet als in der Therapie. In diesen Fällen wird in der therapeutischen Beziehung ein größeres Machtgefälle zwischen Therapeut und Klient angenommen als in der Beratung (vgl. Brem-Gräser, 1993, S. 9). Diese Differenz dürfte sich jedoch je nach spezifischem Konzept relativieren bzw. es wird ihr dezidiert widersprochen in all den Fällen, in denen keine grundsätzliche Differenz zwischen Beratung und Therapie gesehen wird.