Tagebuch der Apokalypse 3 - J.L. Bourne - E-Book

Tagebuch der Apokalypse 3 E-Book

J.L. Bourne

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Beschreibung

Der Kampf ums Überleben geht weiter

Die Erde, in naher Zukunft. Nach einer mysteriösen Infektionsepidemie, die sich von China aus weiter in die USA ausgebreitet hat, haben sich die Menschen der Vereinigten Staaten in fleischfressende Zombies verwandelt. Unter den wenigen Überlebenden ist ein Mann namens Kilroy. Aufgrund seiner Erfahrung bekommt er nun einen streng geheimen Auftrag: Zusammen mit einer Handvoll Elitekämpfern wird er mit einem U-Boot nach China geschickt, um den Patienten 0 ausfindig zu machen und zu evakuieren. Eine Mission auf Leben und Tod beginnt …

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Seitenzahl: 523

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Das Buch

Die Erde, in naher Zukunft. Nach einer mysteriösen Infektionsepidemie, die sich aus China weiter in die USA ausgebreitet hat, haben sich die Menschen der Vereinigten Staaten in fleischfressende Zombies verwandelt. Unter den wenigen Überlebenden ist ein Mann namens Kilroy. Als ehemaliger Marineoffizier hat er sich zur Küste des Golfs von Mexiko durchgeschlagen, wo er mit einigen anderen auf den Flugzeugträger USS George Washington evakuiert wird. Aufgrund seiner Kenntnisse über den Überlebenskampf unter den Monstern bekommt er nun einen streng geheimen Auftrag: Zusammen mit einer Handvoll Elitekämpfern wird er mit einem U-Boot nach China geschickt, um den Patienten 0 ausfindig zu machen und zu evakuieren. Es besteht der Verdacht, dass es sich dabei nicht um einen Menschen handelt. Eine Mission auf Leben und Tod beginnt …

Der Autor

J. L. Bourne, geboren in Arkansas, arbeitet hauptberuflich als Offizier der U.S.-Marine und widmet jede freie Minute dem Schreiben. Seine Romanserie »Tagebuch der Apokalypse« ist inzwischen zur weltweiten Zombie-Kultserie avanciert.

Weitere Informationen erhalten Sie unter:

www.jlbourne.com

@HeyneFantasySF

twitter.com/HeyneFantasySF

www.heyne-magische-bestseller.de

Titel der amerikanischen Originalausgabe

DAY BY DAY ARMAGEDDON – SHATTERED HOURGLASS

Deutsche Übersetzung von Ronald M. Hahn

Deutsche Erstausgabe 08/2013

Redaktion: Sven-Eric Wehmeyer

Copyright © 2012 by J. L. Bourne

Copyright © 2013 der deutschen Ausgabe

und der Übersetzung by

Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Animagic, Bielefeld

Satz: C. Schaber Datentechnik, Wels

ISBN: 978-3-641-12831-9

Anmerkung des Autors

Wenn Sie bis hierher gekommen sind, haben Sie wahrscheinlich auf den Seiten der ersten beiden »Tagebuch der Apokalypse«-Romane einige Zeit in meiner postapokalyptischen Welt zugebracht. Zuallererst möchte ich Ihnen – den leidenschaftlichen Fans – dafür danken, dass Sie eine weitere Fahrkarte für den Zug mit dem Nonstop-Service gelöst haben, der die trostlosen Landschaften des Untoten-Armageddon durchfährt.

Lehnen Sie sich zurück und bereiten Sie sich auf das vor, was der letzte Teil des Zyklus sein könnte. Das hier, Sie werden es bald merken, ist völlig anders.

Obwohl man diese Geschichte am besten genießt, wenn man sie in ihrer Reihenfolge liest, möchte ich jene Leser, für die dieser Band der Erste ist, schnell auf den Stand der Dinge bringen.

Hier die Zwei-Minuten-Version:

Band 1 dieser Trilogie hat uns ausführlich mit der Innenwelt eines Militäroffiziers bekannt gemacht, der sich für das neue Jahr vornahm, ein Tagebuch zu führen. Er ist seinem Vorsatz treu geblieben und hat Tag für Tag den Untergang der Menschheit aufgezeichnet. Dabei haben wir erfahren, dass sich sein Leben, das sich anfangs nicht von unserem Leben unterschied, langsam veränderte und er, ums blanke Überleben kämpfend, gezwungen war, übermächtigen Horden von lebenden Toten entgegenzutreten. Wir sahen ihn bluten, wir sahen ihn Fehler machen, und wir wurden Zeugen seiner Entwicklung.

Nachdem unser Held und sein Nachbar John in Band 1 der Trilogie zahlreiche Irrungen und Wirrungen überstanden haben, verschlägt es sie in eine regierungseigene Atomraketen-Abschussbasis bei San Antonio, Texas. Auf einem Bootsdock am Golf von Texas finden sie zeitweilig Sicherheit und fangen bald darauf ein schwaches Funksignal auf.

Eine Familie von Überlebenden – ein Mann namens William, seine Frau Janet und beider Töchterchen Laura, die als einzige Bewohner ihrer Gemeinde übrig geblieben sind – hat Zuflucht auf einem Dachboden gefunden, wo sie von Scharen von Untoten belagert wird, die ihr ans Leder wollen. Nach einer wunderbaren Rettungsaktion schließt sich die Familie um des Überlebens willen unserem Helden an. Bei der Suche nach Proviant in der Umgebung begegnet unser Held einer Frau namens Tara, die in einem kaputten, von Untoten umlauerten Auto gefangen ist.

Alle finden schließlich Obdach in der verlassenen Raketenabschussbasis, die von ihrer längst toten Mannschaft »Hotel 23« getauft wurde. Doch ihr Zusammenschluss ist vielleicht zu wenig in einer toten Welt, an einem gnadenlosen postapokalyptischen Ort, an dem eine simple Schnittverletzung, von Millionen wandelnder Untoten ganz zu schweigen, einen leicht töten und zu einem weiteren Bestandteil der riesigen Untoten-Bevölkerung machen kann.

Manche Menschen werden von den Umständen zum Schlimmsten getrieben …

Urplötzlich wird Hotel 23 von einer Plünderer-Bande überfallen. Diese glaubt, leichtes Spiel zu haben, und geht gnadenlos gegen die Bewohner des Stützpunktes vor, um sie zu töten und ihren Besitz zu übernehmen. Den Überlebenden gelingt es am Ende von Band 1 knapp, den Stützpunkt zu halten und den Angreifern eine deutliche Abfuhr zu erteilen.

In Tagebuch der Apokalypse 2 begegnet unser Held in Texas Überresten einer Militäreinheit. Als letzter bekannter Offizier auf dem Festland findet er sich bald als Kommandant der Truppe wieder und nimmt Verbindung mit dem amtierenden Marinechef auf einem atombetriebenen Flugzeugträger auf, der im Golf von Mexiko stationiert ist.

Außerdem findet er einen handgeschriebenen Brief der Familie Davis, die sich auf einem abgelegenen Flugplatz versteckt. Diesen kann man mit einer Propellermaschine von Hotel 23 aus erreichen. Die Rettungsaktion führt zur Evakuierung der Familie Davis, bestehend aus einem Jungen namens Danny und seiner höchst kompetenten Großmutter, der Fliegerin Dean.

Nachdem die Marineeinheit unserem Helden einen funktionsfähigen Scout-Hubschrauber überlassen hat, sucht er mit seinen Leuten in einem Gebiet nördlich von Hotel 23 nach Ressourcen. In der zweiten Hälfte der Geschichte wird er zum Opfer einer Hunderte von Kilometern von der Basis entfernten katastrophalen Bruchlandung, die er erheblich verletzt als Einziger überlebt.

Trotz großer Proviantknappheit marschiert er nach Süden. Bald gerät er in Kontakt mit Remote Six, einer geheimnisvollen Gruppierung mit unbekannten Motiven, die alles unternimmt, um ihn zum Stützpunkt Hotel 23 zurückzubringen. Später stolpert er über den afghanischen Scharfschützen Saien. Über Saiens Vergangenheit ist nur wenig bekannt, und sein geheimnisvolles Verhalten lässt ihn noch unheimlicher wirken. Anfangs trauen sich beide Männer nicht über den Weg, doch Saien und unser Held raufen sich irgendwann zusammen und kehren schließlich unter den wachsamen Augen von Remote Six zum Hotel 23 zurück.

Remote Six befiehlt unserem Protagonisten, den in der Abschussbasis noch vorhandenen nuklearen Sprengkopf auf den Flugzeugträger abzufeuern. Er ignoriert den Befehl, was einen hochtechnologischen Vergeltungsschlag gegen Hotel 23 zur Folge hat: Remote Six wirft einen als Projekt Hurrikan bekannten Schallspeer ab, der Scharen von Untoten in die Region lockt, in der unser Held lebt.

Die Schallwaffe wird schließlich vernichtet, doch zu spät.

Eine kilometerhohe, von einem sich nähernden Untotenheer erzeugte Staubwolke macht eine Notevakuierung unerlässlich. Eine wüste Schlacht im Golf von Mexiko ist die Folge, wo der Flugzeugträger USS George Washington wartet, um die Überlebenden an Bord zu nehmen.

Kurz nach der Ankunft unserer Hauptfigur an Bord treffen Anweisungen der Notregierung ein: der Marschbefehl zu einer Begegnung mit dem Schnell-U-Boot USS Virginia,das in den Gewässern Westpanamas steht.

Das Ziel? China. Der Auftrag? Blättern Sie weiter und finden Sie es heraus. Aber zuvor …

Verrammeln Sie die Türen. Und schauen Sie nach, ob sie auch wirklich abgeschlossen sind.

J. L. Bourne

www.jlbourne.com

Eins

1. November – Panama, Kampfgruppe Sanduhr

Chaos. Hundert Prozent. Die Szenerie unter uns ähnelte einem Gebiet nach einem Hurrikan der Stärke 5 oder einem Luftbombardement. Die vielen Bauten an der Wasserstraße erinnerten noch an die Launen der Elemente und wiesen deutliche Anzeichen von schleichendem Verfall und Vernachlässigung auf. Der Dschungel begann die Kanalregion zurückzuerobern. Bald würde er jeden Beweis dafür ausradieren, dass der Mensch diesen Kontinent vor einem Jahrhundert geteilt hatte.

Seelenlose Gestalten gingen dort um. Sie waren auf der Suche und reagierten auf das Feuern toter Synapsen.

Ein nur mit einem Mechaniker-Arbeitshemd bekleideter Leichnam schlurfte dort herum. Der Mechaniker war seinem Tod in Form der Gewehrmündung eines panamaischen Soldaten begegnet – damals, als es im ganzen Land noch die Sperrstunde gegeben hatte. Kurz nach der Durchlöcherung seines Herzens und dem Absinken seiner Körpertemperatur war er ein Es geworden, nunmehr gesteuert von dem Mysterium, durch das Tote reanimiert wurden. Die Anomalie (so nannte man es) hatte sich rasch durch das Nervensystem des Mechanikers verbreitet und die Schlüsselbereiche der Sinnesanatomie verändert. Sie hatte sich im Gehirn verankert, replizierte sich aber nur in jenen Bereichen, in denen der Urinstinkt sich entwickelt und in äonenlanger Evolution via DNS und elektrochemischen Weichen abgelegt hat. Auf dem Weg der Selbstreplikation und Infektion hatte die Anomalie im Gehörgang kurz angehalten. Sie hatte auf mikroskopische Weise die physische Struktur der Innenohrknöchelchen verändert und den Gehörsinn verstärkt. Die Augen waren ihre letzte Haltestelle. Einige Stunden nach der Reanimation vervollständigte die Anomalie die Replikation und ersetzte bestimmte Zellstrukturen im Augeninneren, was zu einer rudimentären Kurzstrecken-Wärmeempfindlichkeitsgabe führte, die die aufgrund des Ablebens verminderte Sehfähigkeit ausglich.

Der Exmechaniker verharrte und legte den Kopf schief. In der Ferne hörte er ein ihm vertraut erscheinendes Geräusch – ein Nanosekundenblitz akustischer Wahrnehmung. Dann war es verschwunden und vergessen. Das Geräusch wurde wieder lauter, erregte das Geschöpf, ließ es sabbern. Eine durchscheinende graue Flüssigkeit tröpfelte über sein Kinn und fiel auf sein nacktes skelettdünnes Bein. Der Mechaniker tat einen Schritt in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Die offenen Sehnen seines Fußes spannten sich und bewegten die kleinen Fußknochen. Die Kreatur spürte, dass das lauter werdende Geräusch nicht natürlichen Ursprungs, weder Wind noch Regen war. Solche Geräusche ignorierte das Wesen normalerweise. Sein Schritt wurde schneller. Es erreichte einen kleinen Hain aus dicht stehenden Dschungelbäumen. Als die Kreatur das Wäldchen betrat, zuckte eine Schlange hervor, klatschte gegen totes Fleisch und ließ zwei kleine Löcher in der kaum noch vorhandenen Unterschenkelmuskulatur zurück. Die Kreatur beachtete sie nicht, sondern schleppte sich weiter voran, bis sie beinahe wieder aus dem Wäldchen heraus war. Ein Chor verdammter Seelen erklang dröhnend aus allen Richtungen, als das Ding auf die Lichtung stürzte.

Auf der Seite des Panamakanals, auf der der Mechaniker sich befand, bellten zweihunderttausend Untote zum Himmel hinauf. Ein grauer Militärhubschrauber fegte mit hundert Knoten über ihnen dahin. Er folgte dem Kanal nach Südosten. Der Mechaniker reagierte instinktiv auf den Motorenlärm und hob die Arme in die Luft, als könnte er den großen Vogel vom Himmel reißen und kalt verzehren. Vor Hunger halb wahnsinnig folgte er dem Hubschrauber, ohne den Blick von ihm abzuwenden. Nach zehn Schritten stolperte er über den Rand des Kanals und fiel ins Wasser.

Der sich dahinschlängelnde Panamakanal bestand längst nicht mehr aus schlammigem braunem Wasser, auf dem durchreisende Schiffe fuhren. Nun blockierten aufgeschwemmte Leichen den einst geschäftigen Wasserweg. Mehrere dieser abscheulichen Gestalten bewegten sich, denn Hitze, Luftfeuchtigkeit und das von Moskitolarven wimmelnde Gewässer hatten sie noch nicht aufgelöst. Die massierten Horden auf der einen Kanalseite brüllten und ächzten angesichts ihrer untoten Doppelgänger auf der anderen Seite so laut, dass es selbst über den breiten Graben hinweg zu hören war.

Vor der Anomalie war die Welt auf den Dow-Jones-Index, die von der Regierung gefälschten Arbeitslosenzahlen, den Goldnettopreis, die Währungsschwankungen und die weltweite Schuldenkrise fixiert gewesen. Heute hätten die wenigen Überlebenden bei einem Dow von 1000 Punkten und 80 Prozent Arbeitslosigkeit gejubelt. Es wäre immerhin etwas gewesen.

Die Zustände am Boden hatten sich seit dem ersten dokumentierten Anomaliefall in China steil nach unten entwickelt. Am Anfang der Krise hatte der überlebende Teil der amtierenden US-Regierung beschlossen, die größten Städte des Kontinents mit Raketen zu beschießen, »um die Untoten davon abzuhalten, die lebende Bevölkerung der Vereinigten Staaten weiter zu eliminieren oder ihre diesbezüglichen Fähigkeiten zumindest einzuschränken«. Man hatte die Städte mit Atomraketen beschossen. Viele Untote hatte der Prozess auf der Stelle ausgelöscht, doch der Kompromiss hatte sich als Katastrophe erwiesen. Die Untoten außerhalb der vergleichsweise engen Explosionszonen waren dermaßen mit Alpha-, Beta- und Gammapartikeln bestrahlt worden, dass alle Bakterien ausradiert wurden, die sie vielleicht irgendwann hätten verfaulen lassen. Nun, vermutete die Wissenschaft, konnten die Untoten noch Jahrzehnte weiterleben.

Vereinzelt hatten jedoch auch Menschen überlebt, und da und dort existierte noch so etwas wie militärische Führung. Genau in diesem Moment lief ein Unternehmen an, um die Kette der Ereignisse offenzulegen, die die Menschheit an den Rand des Abgrunds und vielleicht sogar darüber hinaus gebracht hatten.

Hinter verschlossenen Türen redete man über die Möglichkeit, eine wirkungsvolle Massenvernichtungswaffe gegen die Untoten zu entwickeln, denn es gab nicht genügend Schusswaffenmunition oder menschliche Finger, um die auf dem Planeten noch vorhandenen Abzüge betätigen zu können. Und hinter deutlich dickeren verschlossenen Türen sprach man über andere, noch ruchlosere Dinge.

Der Hubschrauberpilot, die Backentasche voll mit Kautabak, schrie den hinter ihm sitzenden Passagieren zu: »Drei-Null-Minuten bis zur Landung auf der USS Virginia!«

Die Bordkommunikation hatte schon vor Monaten ihren Geist aufgegeben. Momentan reichte sie gerade noch zur Verständigung zwischen dem vorn sitzenden Piloten und dem Kopiloten.

Der Pilot war, wie sein grauer Schopf, seine tiefen Krähenfüße und seine alte zerknautschte Air-America-Mütze verrieten, über sechzig Jahre alt. Der Mann auf dem Sitz des Kopiloten gehörte nicht zur Flugmannschaft, sondern nur zu der Einheit, die auf dem Einsatzbefehl des Piloten unter Kampfgruppe Sanduhr lief.

Piloten waren seit einigen Monaten knapp. Die meisten gingen bei Aufklärungsflügen drauf. Die noch vorhandenen flugfähigen Militärmaschinen bestanden aus vielen Tausend komplizierten beweglichen Teilen und mussten allesamt dringend inspiziert und gewartet werden, sonst würden sie bald als äußerst kostspielige Rasendartpfeile enden. Der alte Pilot schien es zu genießen, dass neben ihm jemand saß, der mit ihm sterben würde, wenn etwas in die Hose ging. Was nicht selten vorkam.

Sein schreckhaft wirkender Nebenmann war sich seiner Umgebung offenbar nur allzu bewusst. Er trug ein mehr als eng sitzendes Riemengeschirr, hielt sich mit einer Hand an der Luke fest und begutachtete nervös die Hauptwarntafel und die Instrumente des Hubschraubers. Er warf einen Blick nach unten. Sie flogen niedrig und schnell. Eine optische Täuschung im Cockpit brachte den Hubschrauber beinahe auf eine Höhe mit beiden Kanalrändern. Die Kreaturen schrien und schlugen um sich, wenn sie ins Wasser fielen, konnten aber den ohrenbetäubenden Motorenlärm nicht übertönen. Der Mann im Kopilotensitz füllte die Lücken widerwillig mit seiner Fantasie und hörte die Gesänge der Toten von unten. Eine hartnäckig andauernde posttraumatische Belastungsstörung, die er sich während der Ereignisse des vergangenen Jahres zugezogen hatte, drängte sich in seinem Bewusstsein nach vorn. Er schlug instinktiv auf seine Seite, tastete nach seinem Gewehr und bereitete sich auf den nächsten Absturz vor.

Dem Piloten fiel dies auf, und so quäkte er in sein Headset: »Hab gehört, was Ihnen passiert ist. Ihre Kiste ist am Arsch der Welt abgestürzt.«

Der Nebenmann schaltete sein Headsetmikro ein. »So was in der Art.«

»Sie haben gerade den Lautsprecher eingeschaltet«, brummte der Pilot. »Wenn Sie mit mir reden wollen, drücken Sie den Schalter nach unten. Wenn Sie mit der Welt reden wollen, nach oben.«

»Oh, Verzeihung.«

»Machen Sie sich keine Sorgen. Vermutlich hat es ohnehin niemand gehört. Nur die Dinger in der Umgebung. Da unten sind jetzt ’ne Menge Piloten zu Fuß unterwegs. Diese Ausflüge werden von einem zum anderen Mal gefährlicher. Unsere Kisten gehen aus dem Leim, und wir haben keine Ersatzteile … Was haben Sie früher gemacht?« Der alte Knabe musste in sein Mikro schreien, um die vernachlässigten Motoren zu übertönen.

»Ich bin Offizier.«

»Welche Preisklasse?«

Der Nebenmann verharrte kurz, dann sagte er: »Ich bin Lieutenant bei der Navy … ähm … ich meine, Commander.«

Der Pilot lachte und sagte: »Was denn nun, mein Sohn? Zwischen Lieutenant und Commander ist ja doch ’ne Menge Platz.«

»Ist ’ne lange und langweilige Geschichte.«

»Das bezweifle ich, mein Sohn. Was haben Sie früher bei der Marine gemacht?«

»War Flieger.«

»Teufel auch! Wollen Sie die Kiste hier für den Rest der Reise übernehmen?«

»Nein, danke. Ich bin nicht gerade der beste Hubschrauberkapitän.«

Der Pilot musste kichern. »Als ich kleine Starrflügler über Laos flog – da waren Sie noch nicht geboren –, wusste ich auch noch nicht, wie man diese Dinger fliegt.«

Der Nebenmann begutachtete die untoten Massen am Boden und murmelte: »Ich glaube, Laos haben wir nie überflogen.«

Der alte Knabe sagte lächelnd: »Wir auch nicht. Aber wie, glauben Sie wohl, sind all die Phoenix-Scharfschützen so nahe an die Vietnamesen-Bonzen rangekommen? Indem sie Bolzenschussgeräte hundert Kilometer durch den Dschungel geschleppt haben? Scheiße … Wenn Sie glauben, dass die Phoenix-Truppe nur in Vietnam aktiv war, hab ich da unten am Strand von Panama eine Immobilie, die ich Ihnen verhökern kann!«

Die beiden Männer lachten so laut, dass sie den klopfenden Rhythmus der sich über ihnen drehenden Rotorblätter übertönten. Der Nebenmann griff in seinen Tornister, entnahm ihm ein Päckchen Kaugummi, das aus einer Militärration stammte, und bot dem Piloten die Hälfte an.

»Nein, danke, das Zeug wirkt sich nicht gut auf meine Dritten aus, und ich hab kein Kukident mehr. Wen haben Sie da eigentlich mitgebracht?«

Der Nebenmann musterte den alten Knaben mit gerunzelter Stirn. »Die haben Ihnen wohl gar nichts erzählt, was? Der Typ, der wie ein Araber aussieht, ist ’n Freund von mir. Die anderen sind vom Sondereinsatzkommando. Beziehungsweise von dem, was davon noch übrig ist.«

»Sondereinsatzkommando, hm?«

»Yeah, die können vermutlich allerhand, was man ihnen nicht ansieht. Ich weiß nicht genau, ob ich Ihnen noch mehr erzählen darf … Und um ehrlich zu sein: Viel mehr weiß ich eigentlich auch nicht.«

»Verstehe. Sie wollen ’n alten Mann im Dunkeln lassen.«

»Nein, so ist es nicht. Es ist …«

»Ich mach nur Witze. Keine Sorge. Zu meiner Zeit musste ich auch schon mal ’n Geheimnis für mich behalten.«

Die Rotorblätter ratterten eine Weile vor sich hin, bis der Pilot mit einem faltigen Finger nach vorn auf den Horizont deutete und sagte: »Da ist der Pazifik. Die Koordinaten der Virginia stehen auf dem Klemmbrett. Können Sie die vielleicht mal eingeben?«

»Kein Problem.«

Nach Eingabe der Koordinaten änderte der Pilot den Kurs um einige Grad nach Steuerbord und flog sein Ziel an.

»Wie heißen Sie, mein Sohn?«

»Mein Freund da hinten nennt mich Kilroy. Oder kurz Kil. Und Sie?«

»Ich bin Sam. Ist mir ’ne Freude, Sie kennenzulernen, wenn wir uns vielleicht auch nie wiedersehen.«

»Tja, Sam, Sie verstehen es, einem Mann Mut zu machen.«

Sam griff hoch, tippte auf die Scheibe der oberen Anzeigetafel und sagte: »Sie kennen doch die Risiken, Kilroy. Kein Schwanz weiß, wo Sie mit dem kleinen schwarzen U-Boot hinfahren. Wohin es auch fährt, Sie können jede Wette eingehen, dass es da ebenso gefährlich ist wie bei uns am Boden. Es gibt keine sicheren Gefilde mehr.«

Zwei

Ein Flugzeugträger der Vereinigten Staaten, eines der letzten verblassenden Symbole der einstigen militärischen Stärke des Landes. Es gab zwar noch andere, aber die hatten schon vor Monaten an Küsten Anker geworfen und waren nun sich selbst überlassen. Ein Flugzeugträger wurde sogar als Reserve-Atomkraftwerk betrieben und versorgte die schrumpfenden, auf Inseln liegenden militärischen Außenstationen und einige abgelegene Küstenstreifen mit Gigawatt. Der Träger, dem sie sich näherten, war früher unter dem Namen USS Enterprise bekannt gewesen. Nun hieß er jedoch Marinereaktorstandort III. Ein kleines Kontingent von Kraftwerksingenieuren war alles, was von der ehemals fünftausend Mann starken Besatzung zurückgeblieben war. Doch nicht alle diese Kolosse lagen hier. Eine Handvoll stählerner Riesen hatte, als der Alarm ertönt war und die Zivilisation zusammenbrach, in Übersee festgesessen. Die USS Ronald Reagan lag auf dem Grund des Gelben Meeres. Der Hauptteil der Mannschaft war untot und trieb nach wie vor durch die finsteren Zonen ihres nassen Grabes. Am Anfang hatte man noch Schuld zuweisen und mit Ambossen um sich werfen können – wenigstens so lange noch Menschen dagewesen waren, die werfen konnten. In vertraulichen Mitteilungen tratschte man darüber, die USS Ronald Reagan sei wenige Tage nach dem Auftreten der Anomalie aufgrund simultaner Angriffe mehrerer dieselbetriebener nordkoreanischer U-Boote versenkt worden. Genaues wusste freilich niemand. Die USS George HW Bush war zuletzt verendet in hawaiianischen Gewässern gesichtet worden. Beobachter eines in der Nähe befindlichen amerikanischen Zerstörers hatten gemeldet, dass es an Deck nur so von Untoten wimmelte. Nun war das Schiff ein treibendes Mausoleum und würde es auch bleiben, bis eine brutale Welle oder ein Supertaifun es ebenfalls zu Poseidon hinabschickte.

Einige überlebende Seeleute der restlichen Flugzeugträger waren gerettet und auf der USS George Washington konzentriert worden, die im Golf von Mexiko weiter aktiven Dienst tat. Die amerikanische Militärdiaspora existierte noch.

Die zwanzigtausend Tonnen schwere USS George Washington durchpflügte den Golf und hielt zehn Meilen vor der verseuchten Küste Panamas ihren Patrouillenkurs bei. Die Regierung bestand weiterhin fort. Ihre Primärbefehle waren klar und präzise: Patient Null um jeden Preis bergen.

Admiral Goettleman, Kommandant der Kampfgruppe Sanduhr und amtierender Chef der Marine, saß beim Frühstück in seiner Kabine und schaute sich das bordeigene Kabelfernsehen an. Der letzte Countdown lief seit einer guten Woche pausenlos. Er musste wohl mal mit jemandem darüber reden. Oder sollte er es einfach laufen lassen? Vielleicht gefällt es der Mannschaft, sich einen Flugzeugträger anzuschauen, der in die Vergangenheit geschleudert wird und so die Chance erhält, den Geschichtsverlauf zu verändern.

Ein lautes Klopfen an der Tür kündete ihm den CIA-Mann Joe Maurer an, der seit dem Beginn dieses Schlamassels seine rechte Hand war.

»Guten Morgen, Admiral«, sagte Joe gut gelaunt, wenn auch leicht zynisch.

»Morgen, Joe«, sagte der Admiral. »Sind unsere Jungs schon auf der Virginia?«Er verzehrte den letzten Bissen seines Eipulvers.

»Sie werden in Kürze dort sein, Sir. Der Funker meldet, dass sie sich über dem Pazifik befinden und nun auf das Signal der Virginia konzentrieren.«

»Ich wäre kein Admiral, wenn ich mir keine Sorgen übers Wetter machen würde. Hat der Kopter irgendwelchen üblen Mist gemeldet?«

»Nein, Sir. Ruhige See, klare Sicht. Ich nehme an, dass die heute Glück haben.«

»Einiges von diesem Glück müssten wir uns aufsparen können. Die Kampfgruppe Sanduhr hat noch einen verdammt weiten Weg vor sich. Ich habe ein verdammt ungutes Gefühl, wenn ich daran denke, wie das alles enden könnte. Ich habe Sie zwar schon hundertmal gefragt, aber ich tu’s noch mal: Was glauben Sie? Erzählen Sie mir aber keinen Scheiß. Sagen Sie die Wahrheit.«

»Zuerst müssen sie dort überhaupt ankommen, Admiral. Angenommen, sie überleben die Fahrt nach Pearl, den Kunia-Auftrag auf Hawaii und die lange Fahrt zum Gelben Meer … dann steht ihnen das Schlimmste noch bevor. Auf der ganzen Welt sind die Lichter ausgegangen, und seit dem letzten Winter haben wir keinen Pieps mehr aus irgendeiner militärischen Region Chinas aufgefangen. Das Land liegt in völliger Finsternis. Wir haben keine HF-Funker, um den Frequenzbereich zu überwachen. Wir können ihre Funksprüche aber auch überhört haben und wissen deshalb nichts. Wir sind außerdem knapp an Leuten, die Chinesisch sprechen. Wenn unsere Jungs was empfangen haben, haben wir vielleicht fünf Mann an Bord, die es übersetzen können. Gehen wir mal davon aus, dass die Kampfgruppe es über den Pazifik und zum Bohai-Meer schafft und den Fluss rauffahren kann. Was passiert dann? Sie wissen doch, wie übel es auf dem amerikanischen Festland aussieht. Vor einem Jahr hatten wir etwa dreihundertzwanzig Millionen Einwohner. Kinetische Unternehmen haben zwar einige Kreaturen ausgeschaltet, aber weitergeholfen haben uns die Raketen auch nicht gerade.«

Während Admiral Goettleman Joes Kommentar lauschte, wanderten seine Gedanken kurz in die Vergangenheit zurück – und zu dem Beschluss, die Ballungsgebiete mit Raketen zu beschießen. Damals war sogar er damit einverstanden gewesen. Er hatte auf der Brücke seines Schiffes das Jubeln seiner Mannschaft gehört, als die nächtlichen Feuerbälle den Himmel erhellten und die ins Ziel genommenen Küstenstädte hatten erbeben lassen. Teufel auch, selbst er hatte in die Hände geklatscht und gejubelt. Die riesigen Atompilze hatten sich sehr stark von denen unterschieden, die er aus den Archivaufnahmen kannte. Alle Farben des Spektrums hatten sich in dem Stängel unter der riesigen Pilzkappe gezeigt. Große blaue Blitze hatten wild in der senkrechten Mauer aus städtischen Trümmern, Staub und menschlichen Überresten gezuckt.

»Macht die Untersuchung der New-Orleans-Exemplare irgendwelche Fortschritte?«, fragte Goettleman.

»Tja, Sir, Sie haben ja gelesen, was auf dem Kutter Reliance passiert ist. Wir haben Luftaufnahmen der Funkaufklärung mit guten Geolocs von vielen Hundert Funksprüchen aus New Orleans und anderen beschossenen Städten, über die ich Sie ins Bild setzen kann. Zu den Funksprüchen kam es nach den Detonationen. Sämtliche Informanten weisen darauf hin, dass diese Scheißkerle auch in gemäßigter Anzahl kaum aufzuhalten sind. Sie haben mehr geistige Funktionen und sind beweglicher und schneller. Nicht nur Bisse oder Kratzer von denen können jemanden töten, sondern ebenso die hohe radioaktive Strahlung, die sie abgeben. Dies trifft auch auf die Dammweg- und Innenstadt-Exemplare zu.«

»Und ich hatte auf etwas Positives gehofft«, sagte Goettleman ziemlich traurig.

»Wir haben noch Antrieb, Frischwasser und ein wenig Nahrung, Sir.«

Der Admiral zwang sich zu einem Lächeln. »Na, das ist ja auch was.«

Joe trank etwas und hustete. Dann sagte er: »Die Männer in dem Kopter da, die gleich in den Teich springen, wissen nicht mal, auf was wir sie ansetzen.«

»Sie werden’s bald erfahren. Darum kümmert sich der Nachrichtenoffizier der Virginia.«

»Wir haben zwar schon darüber gesprochen, Sir, aber mein Standpunkt hat sich nicht geändert. Hätten wir den Männern etwas erzählt, könnte es da und dort zu Komplikationen führen. Patient Null könnte ihnen, vorausgesetzt sie finden ihn überhaupt, vielleicht gar nicht als bergungswürdig erscheinen. Vielleicht betrachten sie ihn nur als Zeit- und Materialverschwendung.«

»Patient Null ist vielleicht der einzige Schlüssel, den wir haben, um diesen Schlamassel zu entwirren, Joe. Ich bin bereit, ein Multi-Milliarden-Dollar-Unterseeboot und jeden Mann an Bord für diese Möglichkeit zu opfern … und dann ist da noch die Technik.«

Joe trat an die Bar und schenkte sich einen weiteren Fingerbreit ein. »Hinter uns liegen siebzig Jahre Technik ohne große Sprünge, wenn man mal von Stabilität, geringfügiger Beobachtbarkeit, einfachen Magnetschwebebahnen und Lasern absieht. Es hat Jahrzehnte gedauert, unsere lachhaften und klobigen Improvisationen umzubauen. Außerdem … Was bringt die Technik gegen sieben Milliarden aufrecht gehende Raubtiere?«

»Das sind triftige Argumente, aber was gibt’s sonst noch?«

»Wir könnten Überlebende einsammeln und zu einer Insel fahren, Admiral. Wir können die Insel befestigen und den Rest unseres Lebens etwas sicherer verbringen als hier.«

»Wir sollen unser Land aufgeben? Es den Zombies überlassen?«

»Bei allem gebührenden Respekt, Sir, aber auf dem Kontinent ist außer Millionen dieser Dinger nichts mehr. Viele von denen sind so verstrahlt, dass sie nicht mehr verfaulen. Selbst wenn keiner von ihnen der Strahlung ausgesetzt gewesen wäre … Die Analytiker prophezeien, dass sie noch locker zehn Jahre auf den Beinen bleiben werden und auch danach noch eine Gefahr sind. Man kann überhaupt nicht einschätzen, wie lange sie noch herumlaufen. Manche Experten gehen von dreißig Jahren und mehr aus.«

Der Admiral blickte durch Joe hindurch auf die Wand hinter ihm. Er wirkte wie in Trance, als er es wiederholte.

»Dreißig Jahre. Dreißig Jahre. Mein Gott.«

»Solange wir keinen koordinierten Zangenangriff an beiden Küsten fahren und jeden Mann, jede Frau und jedes Kind ausrotten, werden wir den amerikanischen Kontinent in absehbarer Zeit nicht zurückerobern. Falls überhaupt. So sieht die Lage aus. Wir haben es mit etwas zu tun, das nicht nur Tote infiziert, sondern auch Lebende. Wir haben es alle. Die einzigen Menschen, die keine Überträger der Anomalie sind, sind die armen Hunde in der Internationalen Raumstation. Von denen haben wir seit Wochen keine Nachricht mehr erhalten.«

Der Blick des Admirals wanderte von Joe fort zu einem hellen Eckchen seiner Kabine, in der ein sehr altes Gemälde gut sichtbar an der Wand hing. Es zeigte General Washington. »Was würde General Washington wohl jetzt tun?«

»Er würde den Mount Vernon vermutlich mit dem Säbel in der einen und der Knarre in der anderen Hand verteidigen und dabei ordentlich fluchen. Und wenn es ganz schlimm kommt, würde er am Ende sicher auch noch handgreiflich werden.«

»Genau, mein Sohn. Genau.«

Drei

Kampfgruppe Phoenix

Im hinteren Teil der C-130 saß das vier Mann starke Sondereinsatzkommando. Man flog 22000 Fuß über Südosttexas hinweg. Die Männer schauten das Licht neben der Frachtluke an, zurrten an den Fallschirmgurten und wünschten sich, das Licht würde zu blinken aufhören. Durch das O2-System der Maschine atmeten sie reinen Sauerstoff ein, bemüht, den Stickstoff aus ihrem Blut zu entfernen und vielleicht eine potenziell tödliche Hypoxie zu vermeiden. Sie waren fünf Minuten draußen.

Absprünge aus Flugzeugen waren den Männern zwar nicht fremd, doch in einer kalten und dunklen Nacht, sechs Kilometer über infiziertem Gebiet und ohne Boden- oder Luftunterstützung war es ihnen nicht ganz geheuer. Angesichts dieser Umstände konnte man sich auch nicht einreden, dass alles in Ordnung war und gut ausgehen würde. Die Männer schlotterten so heftig, dass sie Probleme hatten, sich mit der Halteleine zu verbinden. Es hatte nichts mit dem Sprung zu tun. Es hatte damit zu tun, was passierte, wenn Füße, Knie, Hintern, Rücken und Schultern den Aufschlag eines Drei-Meter-pro-Sekunde-Sprungs absorbierten, sobald sie den Boden berührten. Viele ihrer Kameraden hatten ähnlich notwendige Sprünge absolviert, um an lebenswichtige Dinge oder Informationen heranzukommen, die fürs Überleben der verbliebenen US-Zivilbevölkerung und der Infrastruktur entscheidend waren. Manche Springer organisierten Dinge wie Insulinformeln, Handbücher und Apparaturen; andere wurden in Heimwerkermärkte geschickt, um nach mit Lithiumbatterien betriebenen Handwerkzeugen Ausschau zu halten. Manche waren auf verlassenen Feldern, manche in hoch verseuchten Gebieten auf Hausdächern gelandet. Viele waren in die wartenden Arme von Untoten gesprungen oder hatten sich bei der Landung nur ein Bein gebrochen. Was sie gezwungen hatte, selbst gemachte Selbstmordkapseln zu schlucken – Pillen, die nicht immer so wirkten wie geplant.

Fliegenden Infrarotkameras zufolge waren viele Männer noch am Leben gewesen, als die Kreaturen sie entdeckten, wenn auch gelähmt und vom Gift verlangsamt. Welche Ironie … Jeder Springer packte seinen Fallschirm eigenhändig und kochte sich seine Kapseln selbst. Man dachte nur ungern darüber nach.

Wie zum Beispiel der Mann, der von seinen Kameraden Doc genannt wurde. Vor einem Jahr hatte Doc noch im afghanischen Gebirge Sand und 7.62-mm-Munition gefressen und hochwertige Ziele gejagt. Vor dem weltweiten Truppenrückruf. Nur 35 Prozent der über den Globus verteilten Streitkräfte hatten es, bevor die Scheiße losging, in die Heimat zurückgeschafft. Doc und Billy Boy, sein langjähriger Freund und SEAL-Kumpel, waren als Letzte aus den südlichen Provinzen Afghanistans rausgekommen. Sie hatten sich verbissen über Pakistan ans Arabische Meer durchgeschlagen. Dort hatten sie eine Passage auf dem Versorgungsschiff USNS Pecos bekommen, das vor der Küste lag. Sie hatten an dem Tag eine lange Strecke schwimmen müssen.

Nun saß Doc schaukelnd auf einem Frachtnetz neben Billy Boy und dem C-130-Scheißhausvorhang. Er trug ein kotzgrünes David-Clark-Headset und lauschte dem, was die Piloten vorne im Cockpit laberten.

Der Pilot betätigte sein Mikro und sagte zum Kopiloten: »Die Typen da hinten haben Mumm, was? Die springen im Dunkeln einfach in die Scheiße runter.«

»Würde lieber tot umfallen, als mich für so’n Scheiß freiwillig zu melden. Dass wir in diese Todesfalle fliegen, ist schon scheißgefährlich genug. Wie viele Jungs haben wir in den letzten drei Monaten verloren? Vier? Fünf?«

»Sieben.«

»Scheiße. Sieben? Wir haben noch nie einen gefunden, der abgesprungen ist. Ob noch irgendeiner von den armen Hunden irgendwo da unten lebt und auf der Flucht ist?«

»Hoffentlich.«

»Ja, hoff ich auch, Mann.«

»Kann ich mal ’ne Inertialpositionsprüfung haben?«, unterbrach Doc das Getratsche.

Das interne Kommunikationssystem der Flugleitung rauschte. »Hast noch zwei Minuten Zeit, Doc.«

»Verstanden, Zentrale. Wenn ihr einen geschützten Rückweg zur Basis findet, hört ihr wieder von uns.«

Da es überall an Personal mangelte, mussten die vier Männer des Sondereinsatzkommandos ohne Rausschmeißer in den Wind hinaus. Während sie gegenseitig ihre Schirme überprüften, drückte Doc den Aktuator auf der Frachtrampe und erlaubte es der eisigen Luft der mittleren Höhe, in den Frachtraum vorzudringen.

Nachdem er einen Blick auf seine Armbanduhr geworfen hatte, schaute er Billy Boy an – kurz bevor das Licht über ihnen aufhörte zu blinken. Als Billy Boy sich durch die Luke in den offenen Himmel über Texas zog, war die Luft dünn und kalt. Hawse und Disco, die beiden restlichen Angehörigen der Kampfgruppe Phoenix, waren als Nächste dran. Hawse war zum Team gestoßen, nachdem er eine besonders haarige Flucht aus D. C. überlebt hatte. Disco, ein Delta-Operator, war neu in der Gruppe. Er war Doc zugewiesen worden, der einen Mann in den hoch radioaktiven Zonen von New Orleans verloren hatte.

Doc sah Hawse durch die Luke verschwinden und schaltete das Mikro ein, um eine Verbindung zur Flugleitung zu bekommen. »Letzter Mann in zehn Sekunden draußen.«

Er warf das Headset zum Anfang der Röhre hin und schlurfte zur Luke zurück, dem Portal und Einwegfahrstuhl in die Hölle. Als er auf die kilometertief unter ihm liegende Landschaft blickte, sichtete er winzige Pünktchen. Sie kündeten von Bränden, waren aber kein klarer Beweis dafür, dass das Stromnetz noch existierte. Es war stockdunkel. Als er aus der Frachtluke in die Nacht hinaussprang, dachte er an die unaufhaltbaren Massen der abscheulichen Kreaturen am Boden. Der Fallschirm entfaltete sich und riss ihn aus seinen Gedanken.

Doc prüfte sein Kehlkopfmikro und rief in den Wind hinein: »Billy?«

»Gleich hier, Doc.«

»Disco?«

»Am Leben, Boss.«

»Hawse?«

»Bin hier, verflucht.«

»Na schön«, grunzte Doc ins Mikro. »Alle Mann zackzack zwei-neunzig, Brille auf, Infrarotlicht an. Versuchen wir mal, uns zu finden.«

Durch die Nachtsichtbrille konnte Doc unter sich die Erdkrümmung sehen. Er war weit über zehntausend Fuß hoch, und je tiefer er sank, umso deutlicher spürte er den subtilen Beginn von Sauerstoffmangel. Unter normalen Umständen hätte er bei einem Sprung aus dieser Höhe eine Sauerstoffflasche mitgenommen. Doch das war ein Luxus der Vergangenheit. Doc hoffte, dass sein Team in der Maschine vor dem Sprung aus dieser Höhe eine ordentliche Nase voll Sauerstoff eingeatmet hatte, um einige Nebenwirkungen zu vermeiden.

Er warf einen Blick auf den an seinem Handgelenk befestigten Kompass und sah unter sich ein schwaches Aufblitzen. Dann noch eins, an einer anderen Stelle.

»Ich sehe zwei Glühwürmchen. Blitzt einer von euch?«

»Disco blitzt.«

»Billy blitzt.«

Doc fauchte verärgert vor sich hin und sagte dann leicht aufgebracht: »Verdammt noch mal, Hawse. Was hast du für’n Scheißproblem?«

»Ähm … Ich … ähm … kann mein Glühwürmchen nicht finden.«

»Hast du deinen Kompass, Blödmann?«

»Yeah, ich bin auf zwei-neunzig. Ich lass meine Taschenlampe ein paarmal aufblitzen. Falls ich dich anbrenne, weißt du, dass ich es war.«

»Lieb von dir, Hawse.«

»Dachte mir, dass es dir gefällt.«

Doc suchte sein Blickfeld ab und prüfte seinen Höhenmesser. Achtzehntausend Fuß. »Ich sehe dich, Hawse. Schalt die Lampe aus. Du machst unsere Brillen kaputt.«

»Gebongt, Mann«, sagte Doc. Und dann: »Wie hoch biste?«

»Ungefähr siebzehn. Warum?«

»Ich hab siebzehneinhalb.«

»Ach, leck mich doch, Hawse.«

Die Männer setzten ihren Fallschirmflug fort. Die Temperatur stieg spürbar an, und zwar um je 3,5 Fahrenheit pro 300 Meter. Bei fünfzehntausend Fuß verlangte Doc eine Hypoxieprüfung.

»Siffprüfung.«

»Disco: oben.«

»Billy: oben.«

»Hawse: oben.«

»Weitermachen, Jungs. Wir haben noch ungefähr zwölf Minuten, bevor wir landen. Die Aufklärung sagt, der Schwarm hat sich ein Stück nach Westen bewegt – in Richtung dessen, was noch von San Antonio übrig ist. Das bedeutet aber nicht, dass wir da unten in einem Urlaubsgebiet mit Palmen landen. Ihr könnt jede Wette eingehen, dass die Krallen der Toten schon nach euren Ärschen greifen, bevor ihr auch nur dazu kommt, die Fallschirmgurte loszumachen. Geht also schon vorher ran. Die M-4er fest gepackt, aufgesteckt, schallgedämpft und Laser eingeschaltet.«

Die Männer sprachen zwar nicht darüber, aber als sie zur Erde hinabfielen, waren sie wie versteinert und malten sich die grässlichsten Dinge aus.

Angenommen, wir fallen genau in einen Schwarm rein? Klatschzack, mitten in ein Untotenheer, das sich kilometerweit in alle Richtungen erstreckt.

Keine Ausbildung der Welt, keine Fronterfahrung konnte einen Menschen auf so etwas vorbereiten.

Als ihre Stiefelsohlen bei zehntausend waren, sagte Doc: »Sifftest.«

»Disco noch hellwach.«

»Billy auf den Beinen.«

»Hawse friert.«

»Sag das noch mal, Hawse.«

»Ich stiere«, sagte Hawse langsam. »Ich meine, ich friere.«

Doc ratterte die medizinischen Standardfragen runter. »Wir haben noch acht Minuten bis Fuß unten, Hawse. Sag mal das Alphabet auf, aber von hinten.«

Hawse nuschelte irgendwie komisch: »Na, hör mal.«

»Los, mach«, sagte Doc hartnäckig.

»Verstanden. Z, Y, W … Scheiße, Mann. Tut mir leid. Kann ich nicht.«

»Hawse, du leidest an Sauerstoffmangel. Wir sind unter zehntausend. Bis wir an Deck sind, musst du wieder okay sein. Disco … Billy … schnappt ihn euch, sobald ihr die Fallschirme los seid.«

»Verstanden«, meldete Disco schnell.

»Alles klar«, sagte Billy. »Moment mal, aber woher wissen wir, wo er ist? Hawse hat doch sein Glühwürmchen vergessen.«

»Ja, stimmt«, fauchte Doc zurück. »Hawse, schalt deinen Infrarot-Laser ein. Sonst finden wir dich nicht. Wenn du an Deck bist, schwing ihn rum, sobald du aus den Gurten raus bist.«

Keine Antwort.

»Hawse!«, schrie Doc. »Bestätige, verdammt noch mal!«

»Verschtannn«, lallte eine weit entfernte Stimme.

Fünftausend.

»Sifftest.«

»Disco fiebert.«

»Billy auf den Beinen.«

Doc meldete nervös über Funk: »Wir müssen so schnell wie möglich zu ihm hin. Wir sind unter fünftausend. Ich kann sie schon riechen. Vier Minuten!«

Disco und Billy sagten wie aus einem Mund: »Verstanden!«

Sie strengten sich an, um nach Anzeichen auszuschauen, die besagten, dass die Kreaturen vielleicht ihre Landezone besetzt hatten. Sie waren noch nicht niedrig genug, um den Grund mit Feldstechern in allen Einzelheiten zu erkennen.

Die Brillen versorgten sie lediglich mit der Illusion von Tiefenwahrnehmung. Die Regeln lauteten: Richte den Blick fest auf den Horizont, drück die Knie leicht durch, warte nicht auf den Aufschlag. Während der letzten dreißig Meter wurden Varianten dieser Regeln unbewusst wiederholt. Der Gestank der Kreaturen war überwältigend, als sie in die finstere Senke des Ödlandes der Untoten hinabsanken.

Disco war zuerst am Boden. Er erholte sich sofort, schaute nach Gefahren aus und befreite sich von seinem Fallschirm. Man musste davon ausgehen, dass Hawse aufgrund von Sauerstoffmangel wahrscheinlich besinnungslos oder benommen war. Obwohl er das Team sehr oft auf die Palme brachte, wurde er allgemein respektiert. Immerhin war er heil aus der Bundeshauptstadt rausgekommen. Und was noch wichtiger war: Niemand hätte sich über die Meldung gefreut, dass einer von ihnen draufgegangen war. Und jetzt schon gar nicht.

Als Disco nach oben griff, um den Bildverstärker seiner Brille zu justieren, klatschte Billy Boy fluchend sechs oder sieben Meter entfernt von ihm leise auf den Boden. Doc schlug zehn Sekunden später auf. Sie formierten sich rings um Disco und blickten in alle Richtungen, um Hawses Infrarot-Laser zu suchen. Sie sahen nichts. Dann lockte sie der Mündungsblitz eines schallgedämpften Gewehrs nach Westen ins Gelände.

Irgendwo unterhalb von dreihundert Metern war Hawse ohnmächtig geworden, ohne zu erkennen, dass er genau auf eine hohe Fichte zutrieb. Sein Fallschirm hatte mit einem lauten Knacks einen Ast erwischt. Er blieb einige Minuten benommen in der Luft hängen, bis eine Kreatur anfing, in seinen linken Kampfstiefel zu beißen. Die knochigen Hände des wandelnden Leichnams griffen nach Hawses Bein. Sein Gewehr hing in einem schrägen Winkel an ihm, sodass er gezwungen war, den Schuss auf ziemlich linkische Weise abzugeben. Nachdem er sich beinahe den eigenen Fuß durchlöchert hatte, zermatschte seine dritte Kugel das Gehirn des Angreifers, der wie ein nasser Sack zu Boden fiel.

Hawse schaltete den Infrarot-Laser ein und schwenkte ihn herum. Nach einer Minute entdeckte er, dass er beim Abstieg seinen Ohrstöpsel verloren hatte. Er tastete nach der transparenten Strippe, fand sie und stopfte sich das Ding wieder ins Ohr.

»Ich seh seinen Laser«, hörte er Doc sagen. »Sieht aus, als wäre er auf ’nem Hügel. Wir schwärmen aus, zwanzig Meter. Ich nehm die Mitte. Billy, geh auf sechs Uhr.«

Disco bestätigte den Befehl.

»Sechs«, erwiderte Billy über Funk.

Funkdisziplin war in dieser toten Welt König. Hawse hätte sich nur im äußersten Notfall in das Gespräch gemischt. Die Männer wussten schon aufgrund des Knackens im Unterholz, dass sie nicht allein waren. Sie brachten die fünfzig Meter, die sie von dem an der Fichte hängenden Hawse trennten, hinter sich.

In Docs Ohr knisterte Billy Boys Stimme. »Nasen sieben und neun, dreißig Meter, Stärke fünf.«

Fünf Untote befanden sich dreißig Meter hinter dem Baum.

»Mach sie kalt, Billy«, befahl Doc.

Das Geräusch von Billys schallgedämpftem Bleispucker klang wohltuend in ihren Ohren.

»Nasen eliminiert«, meldete Billy.

Als sie an den Ort kamen, an dem Hawse auf sie wartete, sahen sie ihn an dem Baum hängen – mit angestrengt bis zum Brustkorb hinaufgezogenen Beinen.

»Was soll der Scheiß, Hawse?«, fragte Doc kopfschüttelnd.

»Ich bin ohnmächtig geworden, Mann«, erwiderte Hawse. »Und als ich zu mir kam, kaute das da an meinem Stiefel.« Er deutete auf den Leichnam. »Also mach mich nicht an.«

»Schneid ihn ab, Disco«, befahl Doc.

»Mit Vergnügen.«

Disco bestieg den hohen Baum, bis er die Schnüre kappen konnte und Hawse mit einem dumpfen Klatschen zu Boden fiel. Er landete nur einen Meter von dem Leichnam entfernt.

»Disco, du Arsch«, sagte Hawse. »Ich hätte dem Ding da voll in die Fresse fallen können. Hör mit dem Scheiß auf.«

»Ist doch nix passiert. Sei mal nicht so zickig.«

»Du bist zahlenmäßig leicht unterlegen, Mann«, fügte Doc, an Disco gewandt, scherzend hinzu.

»Könnte sein«, gab Disco ironisch, doch durchaus ernst gemeint zurück, »aber ein Delta-Operator an einem Tag entspricht drei Fröschen.«

»Okay, genug der Zärtlichkeiten«, sagte Doc. »Holen wir unsere Schirme und verschaffen uns einen Überblick über das Gelände, um rauszukriegen, wie weit wir sind.«

Die drei anderen Männer bestätigten seinen Befehl.

Billy zückte Landkarte und Kompass. Er markierte die Absprungstelle auf der Karte und notierte den während seines Sprungs herrschenden Wind anhand der Richtung des Rauches in den noch immer brennenden Gegenden. Er präzisierte und lokalisierte ihre Position abseits von nahen Landschaftsmarkierungen, bis alle Anwesenden mit ihm übereinstimmten.

»Wir müssen gut fünf Kilometer nordnordwestlich hopsen, um den Eingang zu erreichen, Doc«, sagte Billy.

»Weniger, als ich dachte.«

Sie sammelten die Fallschirme ein, verstauten sie in einem großen Müllbeutel, der zu ihrer Ausrüstung gehörte, und markierten ihre Lage auf den Landkarten. Die Schirme würden sie später noch brauchen, aber sie waren es nicht wert, dass man sie jetzt in den Tornister packte und als zusätzliches Gewicht mitschleppte. Schnelligkeit war das Gebot der Stunde. Wurde man tagsüber in dieser Gegend erwischt, ging es übel aus.

Vier

Tara lag auf dem Bett und starrte zur Decke hinauf. Es war ungefähr so wie damals auf dem College. Da hatte sie auch durch manchen langweiligen Dozenten hindurchgeschaut. Mann, war das lange her. Die rechteckigen Leuchtstofflampen wechselten zu Rot. Ihre Koje wiegte sich leicht, als das Schiff sich seinen Weg durch die wogende See bahnte.

Die lauten Glocken des über ihrer Tür befestigten PA-Lautsprechers zwangen sie zu erneuter Konzentration. Irgendein Mannschaftsangehöriger hatte ihn Eins MC genannt. Er stand auf ihrer Liste zu lernender Dinge. Sie musste noch viel verinnerlichen. Ihr Freund war erst vor ein paar Tagen gegangen. Man hatte Hotel 23 erst vor einer Woche evakuiert. Es kam ihr viel länger vor. Allmählich verwischte sich alles.

Im Kopf hörte Tara noch immer den Lärm der Heulboje. Eine Dämonenbande aus der Hölle hätte ihr nicht mehr Angst einjagen können. Zwar glaubte sie nicht, dass die Hölle so aussah, wie die Kirche oder Gruselromane sie beschrieben, aber eine echte Hölle hatte sie an dem Tag gesehen, an dem sie aus Hotel 23 geflohen waren.

Man hatte sie zusammen mit Dean, Janet, Laura und den anderen in einen Hubschrauber geschoben. Laura hatte Annabelle, Johns weißes Hündchen, vor Angst fest an sich gedrückt. Als sie den Ort verlassen hatten, der für kurze Zeit ihr Zuhause gewesen war, hatte niemand gewusst, was auf sie zukam.

Saien hatte sie in die Maschine geschoben und beruhigend gesagt: »Mach dir keine Sorgen. Ich passe auf Kil auf. Bei mir ist er sicher. Nun mach schon!«

Die Schnappschüsse von den Kämpfen am Hotel 23 bis zum Flug an den Golf, den sie erst vor wenigen Tagen erreicht hatten, spukten noch immer in ihren Erinnerungen und Träumen herum. Der Hubschrauber war über dem Grundstück geschwebt, und sie hatte nach und nach etwas ausgemacht, was wie eine Million Untote aussah. Bis sie dann deutlich erkennbar waren. Nichts als der Tod hatte sich bei Hotel 23 ein Stelldichein gegeben. Die Überlebenden waren in militärischen Konvois geflohen, aber auch in Personenkraftwagen und Lastern. Sogar zu Fuß. Nur die Frauen und Kinder hatte man ausgeflogen.

Tara erinnerte sich lebhaft an die auf die Horden feuernden Marinesoldaten. Sie hatten die Untoten unverzüglich in Massen zerlegt. Sie erinnerte sich an das Geschützfeuer, die in alle Richtungen fliegenden verfaulenden Gliedmaßen. Manche Schüsse hatten in ihren Augen wie Laserstrahlen ausgesehen. Die Soldaten hatten Tausende an der Untotenfront niedergemäht. Trotzdem waren die Legionen hinter den Gefallenen einfach weitermarschiert, als störte das Stahlgewitter sie nicht.

Es waren zu viele gewesen, um sie aufzuhalten.

Der Hubschrauber war nach Süden geflogen. Dort hatte sie den ersten Blick auf die USS George Washington geworfen: ein Pünktchen am Horizont. Es war mit jeder Sekunde, in der sie dem Schiff näher kamen, größer geworden.

Ein Mann namens Joe Maurer hatte sie gestern eingehend befragt. Man hatte sie freundlich gebeten, alles zu erzählen, angefangen bei dem Wagen, in dem sie Monate zuvor festgesessen hatte und aus dem sie gerettet worden war. Joes Frage, wie sie so lange in einem Auto hatte überleben können, war ihr leicht peinlich gewesen.

Richtig errötet war sie bei der Frage: »Wie sind Sie zur Toilette gelangt?«

Es hatte nicht nur an ihrer Verschämtheit gelegen. Bei dieser Frage war auch schlagartig ihre Angst zurückgekehrt. Die monströsen Kreaturen fielen ihr ein. Sie hatten ihr beim Schlafen und beim Weinen zugeschaut. Sie hatten ihr beim Fluchen zugeschaut. Und als sie sie angespuckt hatte. Sie hatten ihr sogar zugeschaut, als sie sich in einen großen McDonald’s-Kaffeebecher erleichtert hatte. Gott sei Dank waren sie zu schwach und zu dämlich gewesen, um die Scheiben des Wagens mit Steinen einzuschlagen wie in anderen Fällen, die sie gesehen hatte. Sie hatten nur mit blutigen, eitrigen Armstümpfen, den Resten ihrer Hände und sogar mit den Köpfen gegen die Scheiben geschlagen. Einer der Belagerer hatte sich bei dem Versuch, sie durch die Seitenscheibe zu beißen, die Zähne in seinem faulenden Maul ausgeschlagen. Sie gehorchen einem Urtrieb, hatte sie gedacht.