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Vier Jahreszeiten herrschen über Leben, Tod und vor allem die Liebe. Im Frühling sprießt das Schicksal, im Sommer blüht es auf, im Herbst beginnt es zu welken, und im Winter liegt es unter einer Eisdecke begraben. Londons Uhren schlagen Mitternacht. Der Kalender weist den 13. Juli. Der Zeitpunkt der Verwandlung ist gekommen. Auf den Spuren der Vergangenheit träumt Angela Thorton von einer feurig romantischen Zukunft mit Andrew Knight. Wird sie sich die Finger am 'Feuer der Begierde' verbrennen? Ist ihr Lebensweg aus Enttäuschungen gepflastert? Droht das Chaos zu regieren? Oder stehen Sonne, Mond und Sterne in der gewünschten Konstellation?
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Seitenzahl: 249
Veröffentlichungsjahr: 2014
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Nicole Kolling
Tagebuch einer Hexe
Auf den Spuren der Vergangenheit - Band 2
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Titel
Widmung
Prolog
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
a primo ad extremum - von Anfang bis Ende
Epilog
Impressum neobooks
Nicole Kolling
Tagebuch einer Hexe
Auf den Spuren der Vergangenheit
Band 2
Roman
Dieser Romanist
DIR
persönlich gewidmet.
Wie schwer kann es sein, demGlückzu begegnen und es festzuhalten?
Wie schwer kann es sein, auf dieHoffnungzu bauen?
Wie schwer kann es sein, die wahreLiebezu finden?
Sind Glück, Hoffnung und Liebe wirklich nur von einerSeifenblaseumschlossen?
Lässt sich dasSchicksalaustricksen?
JULI
Angela Thorton glich einer steinernen Skulptur. Ihr Atem und Herzschlag wurden eins. Mit geschlossenen Augen stand sie da.Mut zum Leben. Ich nehme mein Schicksal an. Ich bin bereit.Drei Jahrzehnte geißelten sie Prüfungsängste. Selbst der Verfolgungswahn erwies sich in dieser besagten Nacht als Bagatellfall. Seit Minuten verharrte sie in der gleichen Position. Mit jeder weiteren Sekunde schwand die Seelenruhe. Die Spasmen des menschlichen Organismus wurden potenziert. Zeit und Verstand lehnten das Rauchen einer Friedenspfeife strikt ab.In der jetzigen Situation könnte ich Kassandras Beistand sehr gut gebrauchen.Der Erwartungshorizont war grenzenlos. Angela malte sich die abstrusesten Geschehnisse aus. Einen gravierenden Temperaturabsturz, einen Schneesturm mitten im Sommer, ein Erdbeben, eine Herde quicklebendiger Einhörner und Kobolde, die den Regenbogen hinunter in den Garten rutschten.
„Angie? Liebling ist alles in Ordnung?“
Seine Stimme. Diese melodischen Klänge würde ich unter Millionen heraushören. Ein Gemisch von Tönen, die nicht von dieser Welt stammen können.Angela spürte, wie eine kühle Hand die ihrige umspielte, dennochtraute sie sich nicht ein einziges Mal zu blinzeln.
„Wieso geschieht nichts? Andrew, was hat das zu bedeuten?“
Alle Augen waren auf das Geburtstagskind gerichtet. Es herrschte vollkommene Stille. Die nächsten Minuten verrannen. Hatten die Anwesenden Kassandras Prophezeiung missverstanden? Angela rief sich die Niederschrift der Urhexe ins Gedächtnis. Die geistige Anspannung galt vollends der Seherin.‚Die vom Himmel gesandte wird die schwarzen Schatten für alle Zeit vertreiben. Seid tapfer und übt euch in Geduld. Sie allein verfügt über diese Macht. Ihr reines Herz verbirgt den goldenen Schlüssel. Drei, eins, eins, drei, vier. Findet und schützt dieses zauberhafte Wesen. Die Erlösung wird der Dank eurer Mühen sein. Sie ist nicht allein. Die unerschütterliche Liebe zeugt von Einzigartigkeit. Ihr Gemahl und Seelenverwandter …’ Du wurdest ‚gestört’. Was wolltest du der Nachkommenschaft mitteilen? Kassandra, hilf mir. Bin ich wahrhaftig die Auserwählte? Wenn ja, zu was wurde ich auserwählt? Kassandra, bitte hilf mir. Ich flehe dich an. Bitte.Angela begann zu summen. Das Summen klang wie ein Chor aus Engelsstimmen. Selbst das Pfeifen des Windes wurde von ihrer Melodie übertönt. Der Himmel formte vier Wolken zu Instrumenten. Harfe, Cello, Flügel und Saxophone spielten voller Harmonie. Ein Donnergrollen ließ Angela erschaudern. Schwarze Wolken verdeckten die Sicht auf die strahlenden Lichter des Firmaments. Die Kräfte eines unbändigen von Wut gepackten Sturmes wussten die zärtliche Berührung des Liebespaares zu unterbinden. Der Boden unter Angelas Füßen verschwand. Durch eine unbekannte Macht gewann die Frau stetig an Höhe. Sie versuchte ihren inneren Frieden wiederzufinden, stillzuhalten, den bevorstehenden Ausbruch von Panik beiseitezuschieben. Die menschliche Gesinnungversuchte gegen das Unbekannte anzukämpfen. Angela wand sich vor Schmerzen, vor Weinen und Wimmern. Unbehagen ergriff vonihr Besitz. Ein Gefühl als hätte man sie verbrannt und gleichzeitig in Eiswasser ertränkt.Aus ‚dem Bann der schlafenden Schönheit’ zu erwachen, stellte ich mir wesentlich erträglicher vor.Das Gehör registrierte Stimmen. Neugierig öffnete sie die Augen. Das komplette Anwesen glich einer Miniaturausgabe. Sie legte den Kopf schief und betrachtete den geliebten Kirschbaum. Die Beschauung von Stamm und Krone teilte den Wirkmechanismus eines Laudanums. Obwohl zwischen dem hölzernen Riesen und der Erfindung des Alchemisten Paracelsus kein Zusammenhang bestand. Das Interesse galt dem wirren Flüstern der umliegenden Straßen.Wer sind all die Menschen? Weshalb schleichen sie zu solch später Stunde um unser Grundstück? Oh mein Gott, das sind Vampire. Eine Armee von Blutsaugern. Natürlich, der Schutzzauber hindert die Kreaturen daran, das Anwesen zu betreten. Wer ist die Frau in dem schwarzen Gewand? Der nächtliche Spaziergang fordert womöglich einen hohen Preis. Ihr Leben.Die Angst um die Sicherheit der Frau stand im Fokus und lenkte von den Gegebenheiten ab. Die Fremde fixierte die Hexe. Der bohrende Blick löste in ihr erneut ein Unbehagen aus.Sie ist keine Unschuldige. Die Kapuze verdeckt das Gesicht. Wer oder was ist sie?Der Kirschbaum erlangte wieder seine wahre Größe und Angelas Füße ertasteten den Rasen. Vierzehn Augen erspähten sie.
„Was ist los? Karen? Habt ihr einen Geist gesehen?“
„So ähnlich. Geht es dir gut?“
„Wenn ich den wundersamen Höhenflug außer Acht lasse, gibt es wirklich keinen Grund zur Klage. Bitte hört auf, mich derart anzustarren.“
Andrew streichelte zaghaft über ihre Wangen.
„Du glühst.“
„Die Ungewissheit trieb mich zuvor fast in den Wahnsinn. Mir geht es gut. Es ist lediglich der Nachbote meiner Anspannung. Nichts passiert. Alles beim Alten.“
„Daswage ich zu bezweifeln. Sieh selbst.“
Sie verstand die Aufforderung und folgte ihm ohne Widerrede ins Haus. Vor dem großen Wandspiegel im Eingangsbereich wiederholte er seine Worte.
„Sieh selbst.“
Die Hände der barfüßigen Frau wanderten vom Gesicht, über das Haar bis hin zur Kleidung. Sie traute ihren Augen nicht.
„Was hat das zu bedeuten? Wer ist diese Frau?“
„Angela Fiona Thorton.‚Die Hexe’ Angela Fiona Thorton.“
Sie blickte in ein Porzellangesicht. In Augen, so strahlend wie zwei grüne Topase. Der Glanz des platinblonden Haares umrahmte das Gesamtbild. Weiße Seide umhüllte den Körper und ein antikes weißes Medaillon schmückte den Hals. Sie wirkte wie eine Himmelserscheinung.
„Hey ihr beiden. Alles klar bei euch?“
Angela zuckte mit den Achseln.
„Bin ich eine Halluzinantin? Das ist eine Sinnestäuschung … Ethan, entschuldige, wir kommen.“
Sie folgte dem Hexer in den Garten.
„Da ist unsere Jubilarin. Liebes, lass dich drücken. Benutzt du ein neues Parfüm? Interessanter Duft.“
Das nennt sie ‚drücken’? Die Umarmung ähnelt eher einem Würgegriff.
„Karen,würdest du meine beste Freundin bitte kurz weiterreichen?Angie,gehören Frauen ab dreißig nicht zum alten Eisen?“
Angela nahm Angriffshaltung ein.
„Prinzessin Timothy, was hältst du von einer Wiederherstellung deiner Erinnerungen an unsere Trainingseinheiten?“
Er sprang zur Seite und wedelte mit einem Taschentuch.
„War nur ein Scherz. Ich hisse die weiße Flagge. Okay? Bitte verstehe mich jetzt nicht falsch. Aber … Was ist mit dir passiert? Du wirkst … Wie drücke ich mich gekonnt aus? ‚Jünger’ wäre das falsche Wort. Du wirkst ‚frischer’.Happy Birthday.“
Die Gratulanten schoben das Geburtstagskind von einem zum nächsten weiter. Grace, Ethan, Milli und Arthur stand die Erleichterung ins Gesicht geschrieben. Andrew räusperte sich.
„Freunde, dürfte ich kurz?“
Der Vampir hielt seine Hexe bei den Händen.
„Meine Angie, an dein neues Ich werde ich mich erst gewöhnen müssen.“
„Und ich mich erst.“
Sie löste den Griff und ging einen Schritt zurück.
„Dich enttäuscht mein Anblick?“
„Nein. Das darfst du nicht einmal denken.“
Er zog sie in seine Arme und küsste ihre Stirn. Von dieser Art der Zuneigung konnte Angela nie genug bekommen.Danke, dass ihr alle hier wart …Grace kicherte im Hintergrund. Mittels Gedankenübertragungbatsiebeide sofort um Entschuldigung.
„Ich wünsche dir ein erfülltes und glückliches Hexenleben.“
„Solange du mich durch das Leben begleitest, wird es das sein.“
Angela atmete tief ein und inhalierte Andrews Geruch.
„Genug gekuschelt. Die Torte wartet.“
Karen hielt ihr demonstrativ das Messer entgegen.
„‚Der süße Kuss der Hölle’. Erinnerst du dich?“
„In die Schokolade rührst du den Saft feuriger Chilifrüchte. Der flüssige Kern besteht aus Honig und einer Geheimzutat. Wie könnte ich diesen Gaumenschmaus je vergessen? Die überdimensionale Torte ist eine identische Kopie deiner Pralinenkreation. Der Schokoholiker dankt. Mein Dank gilt euch allen. Ich liebe euch.“
Die Gäste applaudierten. Ein charakteristisches Merkmal blieb. Tränen der Rührung gehörten weiterhin zu Angelas Wesen. Der eigentliche Grund der nächtlichen Feier und die ersichtlichen Spuren der Verwandlung gerieten bei der Junghexe völlig in Vergessenheit, bis Karen ihr das Handy entgegenstreckte und sie mit den Fakten konfrontierte. Angela sah in bewegten Bildern das komplette Ausmaß der Wandlung zur Hexe. Angstschauer liefen ihr über den Rücken.Das bin ich?Die schwebende Gestalt änderte in zyklischer Wiederkehr das Erscheinungsbild. Sie schimmerte in den Farben rot, gelb, grün und blau. Nach dem vierten Turnus wurde sie schwarz wie die Nacht und stürzte wie ein erloschener Komet zur Erde.
„Liebes, was für ein Spektakel. Wir trauten unseren Augen kaum. Wie fühlte sich die Metamorphose an?“
„Sehr seltsam. Astronauten müssen die Schwerelosigkeit derartig empfinden.“
Angela senkte den Kopf und starrte zu Boden.
„Liebling, was ist mit dir?“
„Auf die Schmerzen hätte ich jedoch gut und gerne verzichten können.“
Andrew griff sofort nach ihrer Hand.
„Schmerzen?“
„Zu Beginn war es ein Gefühl, als würde ich innerlich verbrennen und in der nächsten Sekunde brach ich auf einem zugefrorenen See ein. Ich traute mich nicht zu atmen und doch rang ich so sehr nach Luft.“
Was für ein abscheuliches Erlebnis.Grace streichelte ihren Rücken.Dringst du wieder unangemeldet in meine Gedankenwelt ein?
„Entschuldige.“
„Verblüffend. Diese Sicht der Verwandlung ist mir neu.“
„Arthur, unsere tapfere Hexe hat maßlos untertrieben. Ich konnte ihren Schmerz vorhin deutlich spüren. Entsetzlich …“
„Ich sagte doch bereits, ‚du glühst’.“
„Ich fühle mich wirklich bestens. Genug Schauermärchen. Die Verwandlung gehört der Vergangenheit an.“
Ich habe es überlebt und möchte Andrew keineswegs beunruhigen. Grace, sieh dir seinen gequälten Gesichtsausdruck an.
„Was wäre ein Geburtstag ohne Geschenke.“
Grace rettete die Situation mit einem gekonnten Ablenkungsmanöver und überreichte Angela einen Umschlag.Das Kuvert wurde nicht zugeklebt. Das war Absicht. Ich weiß, das Auspacken nimmt bei mir immer sehr viel Zeit in Anspruch. Meine Vorgehensweise hebt die Spannung. Meine Freunde kennen mich nur zu gut.
„Ein Gutschein für die Tanzschule? Ihr seid verrückt.“
„Hegst du nicht seit Jahren den Wunsch? Nach einem Prinzen für den Ball musst du nun nicht mehr Ausschau halten.“
„Milli, die Frau mit dem Elefantengedächtnis. Ich danke euch.“
Musikalische Klänge unterbrachen abrupt die Unterhaltung.
„Das ist doch mein …“
Angela drehte sich beherzt um und drückte die Hände auf den Mund.
„Das glaube ich jetzt nicht.“
Kopfschüttelnd erblickte sie Andrew. In eleganter Pose spielte er eine ihr unbekannte Komposition auf ihrem weißen Cello. Angela schritt auf ihn zu und lauschte mit Spannung bis zur letzten Note.
„In den Nächten konnte ich heimlich üben. Das Stück heißt ‚Schattenlicht’.“
„Du bist wunderbar.“
Angela litt an mangelndem Artikulationsvermögen. Andrew überreichte ihr einen hölzernen Gegenstand samt pendelndem Anhängsel.
„Was wäre eine Hexe ohne einen Besen? Damit keine Missverständnisse aufkommen, ich meine nicht den Tower des wunderschönen Städtchens Blackpool, sondern die Stadt der Liebe.“
„Paris?“
„Ein Romantikwochenende. Du bestimmst die Jahreszeit. Wäre der Winter nicht perfekt? Der Eiffelturm bei Schnee?“
Der Vampir war ein wahrer Romantiker. Ohne Josephs Mitwissen wurde aus Angela im Laufe der Zeit eine zwiegespaltene Gläubige. Das Thema Reinkarnation erweckte zunehmend das Interesse. In einem seiner vorherigen Leben musste der Freund ein Minnesänger gewesen sein. Mit Charme und Liederkunst reiste er von Stadt zu Stadt und in der Damenwelt blieben sicherlich unzählige flammende Herzen zurück. Andrews Schenkung wurde unterbrochen. Ein Fellknäuel zwischen seinen Füßen verlangte nach Aufmerksamkeit. Das Baby auf vier Pfoten sprang Angela in die Arme. Liebe auf den ersten Blick zwischen Mensch und Tier. Nicht nur die Besonnenheit der British Shorthair versetzte alle in Erstaunen. Das Kolorit von Fell und Augen durfte man keinesfalls unter Zufall verbuchen. Weiß stand für die Lieblingsfarbe. Nase, Tatzen, Ohren und Schwanz unterstrichen die Schokoladenschwäche. Die Bläue der Augen erinnerte an den Wohltäter.
„Er ist zwölf Wochen alt und ab heute der zweite Mann im Haus.“
Mit dem Kater bediente Andrew das zweite Hexenklischee. Angela tanzte mit ihrem Vampir und der Hexenfamilie ausgelassen dem Sonnenaufgang entgegen. Seit der Verwandlung hatten die Anwesenden jegliches Zeitgefühl verloren, denn wie sich herausstellte waren alle Uhren im Haus und an den Handgelenken der Partygäste um dreizehn Minuten und dreizehn Sekunden nach Mitternacht zum Stillstand gekommen. Das mystische Energiefeld traf die Schuld. Eine Reparatur schien im Vorfeld aussichtslos. Die Betroffenen nahmen das Malheur mit Humor. Jeder äußerte vorab den gleichen Geburtstagswunsch.Alle hatten meinetwegen extra Urlaub genommen. Das verfrühte Wochenende bietet somit genügend Zeit zum Ausschlafen.
„Kommt gut nach Hause.“
Angela schlenderte durch den Garten. Sie dachte über die ersten Maßnahmen als Hexe nach und daran, dass sie im Ernstfall gewappnet sein müsste. Um eigene Zauberelixiere kreieren zu können, benötigte sie daher schnellstmöglich einen geheimen Rückzugsort.Ich komme auch nicht umhin präparierte Pflöcke für die Vernichtung meiner Feinde anzufertigen.Dornen durchbohrten die Haut der Botaniker, ebenso sollten Pflöcke bei Vampiren immensen Schaden anrichten. Vor der Gedenktafel setzte sie sich ins Gras.
„Eine enge Vertraute musste ich in dieser Nacht missen. Rose, du fehlst mir. Ich hoffe, du bist wieder mit deiner Familie vereint. Andrew?“
Sie drehte rasch den Kopf.Was war das? Ich hätte schwören können, jemand legte soeben seine Hand auf meine Schulter. Der Schlafentzug trügt allmählich meine Wahrnehmung.Die Übermüdete schüttelte lachend den Kopf und lief zur Terrasse zurück. Aufräumarbeiten waren angesagt. Eine Berührung ihrer Stirn ließ sie zusammenzucken.
„Du glühst immer noch.“
„Musst du dich immerzu anschleichen? Im zunehmenden Alter sollten Menschen besser auf ihr Herz achten.“
Andrew geriet ins Stottern.
„Bitte entschuldige meinen schlechten Scherz. Die Sorge meines Leibarztes ist wahrlich unbegründet. So, alles aufgeräumt. Ich ziehe mich zum Kräftemobilisieren für wenige Stunden zurück.“
Schlaftrunken fiel Angela ins Bett. Eine Fremdstämmige suchte sie in den Träumen auf. Die Hexe kam der Aufforderung nach, ihr zu folgen. In der Dunkelheit eines Waldes verlor sie die Unbekannte aus den Augen. Ein Irrweg aus Bäumen und Sträuchern ließ sie verzweifeln. Das Gehirn sendete eine Botschaft aus, woraufhin die Gesichtsnerven einen leichten Schmerz verspürten.
„Komm endlich zu dir.“
„Andrew?“
„Das wurde auch langsam Zeit.“
„Was ist hier los?“
„Paraphrosyne.“
„Para-was?“
„Fieberwahn.“
„Bitte?“
„Geistige Verwirrtheit im Fieber …“
„Der medizinische Fachausdruck ist kein Fremdwort für mich. Hast du mich gerade geschlagen?“
Angela fielen die Augen zu.
„Hey, aufwachen. Hörst du?“
„Wo ist sie?“
„Wer?“
„Die schwarze Frau.“
„Du halluzinierst.“
„Milli? Wo kommst du auf einmal her?“
„Du bist lustig. Genügen dir vierundzwanzig Stunden Schlaf?“
„Bitte?“
„Kindchen, irgendetwas stinkt hier gewaltig zum Himmel. Der Auslöser für dein hohes Fieber ist wohl eindeutig die Verwandlung. Nur weshalb reagiert dein Körper auf diese Art und Weise darauf? Andrew,vierzig Kommasieben.“
„Das kann nicht sein. Ich friere.“
„Eine typische Reaktion des Körpers. Das Gehirn sendet dir lediglich ein falsches Signal. Ich erneuere die Wadenwickel und erhöhe die Dosis des fiebersenkenden Mittels.“
„Liebling?“
Angela streckte alle Viere von sich.
„Ich träumte von Milli und dir.“
„Neununddreißig Kommavier. Das war kein Traum, sondern Realität.“
„Ich bin richtig ausgehungert.“
Andrew legte das Thermometer beiseite und nahm neben seiner Patientin Platz.
„Kein Wunder, denn die Geburtstagstorte war deine letzte feste Nahrung. Heute ist Sonntag.“
„Sonntag? Aber Milli erwähnte vierundzwanzig Stunden Schlaf.“
„Hängenochdie Stunden eines zusätzlichen Tages und dieeiner ganzen Woche an, und du erhältst die korrekte Stundenzahl.“
„Bitte?“
„Es war eine Art ‚zweihundertsechzehnstündiger komatöser Schlaf’. Ich finde für das Phänomen leider keinen Fachterminus. Geht es dir gut?“
Angela nickte.Zweihundertsechzehn Stunden?
Das Hexenklischee auf vier Pfoten schmiegte sich an die Langschläferin. Die Schnurrhaare kitzelten im Gesicht.
„Dein Tapser braucht einen Namen. Wie wäre es mit ‚Bodyguard’?“
Die Futternäpfe um das Bett präzisierten seine Eingebung.
„Ich lasse dir ein Bad ein. Lust auf Lasagne? Die Frage konnte ich mir eigentlich sparen.“
Sie setzte sich auf.
„Ein blutiges Steak wäre jetzt genau das Richtige.“
Andrew riss eine Braue nach oben.
„Ein blutiges Steak? Gut, wie du wünschst.“
In der Wanne liegend startete sie einen Erklärungsversuch.Der menschliche Körper stieß nach der Verwandlung an seine Grenzen. Schließlich wurden die Kräfte drei Jahrzehnte in Zaum gehalten. Durchaus logisch und nachvollziehbar.Mit kreisenden Bewegungen wurde der Massageschwamm auf Wanderschaft geschickt. An den Armen entdeckte sie die Einstichstellen der Injektionsnadeln.Zweihundertsechzehn Stunden. Ich erwachte gerade noch rechtzeitig zum Sportspektakel des Jahres. Hätte ich doch um ein Haar die Sommerolympiade verschlafen. Dabei ist mein geliebtes London zum dritten Mal der Austragungsort.Angela wollte die trüben Gedanken zwanghaft mit Scherzen übertünchen.Was ist das?Sie streckte das linke Bein in die Luft und ertastete den Schönheitsfleck.Mein Schmetterling droht zu erfrieren.Es klopfte an der Badezimmertür.Bestimmt möchte er sicherstellen, dass ich nicht in der Wanne ertrunken bin. Ich halte ihn ganz schön auf Trab. Ständig ist er wegen mir in Sorge.
„Ich bin gleich so weit.“
Ein lauter Ruf gepaart mit Fröhlichkeit beschwichtigte seine Bedenken. Im Schlafzimmer beäugte Angela ihr Gegenüber im antiken Standspiegel.‚Dagegen‘ sah mein Haar zuvor strohig aus. Außerdem glänzte es golden und nicht silbrig. Eine Platinblondine? Okay. Wieso eigentlich nicht? Wenn im Leben einer Frau eine einschneidende Veränderung eintritt, wechselt sie erfahrungsgemäß die Frisur oder Haarfarbe. Der Bannbruch der schlafenden Schönheit gehört eindeutig dazu. Aber mein Gesicht …Sie trat näher heran.Wer es nicht besser weiß, könnte Schlangengift dahinter vermuten. Ob der Alterungsprozess auf Dauer ausgebremst ist? Wegen Andrew wäre es durchaus von Vorteil. Könnte ein Adonis eine gebrechliche ältere Dame lieben? Allein die Vorstellung. Widerlich.Angela schüttelte sich.
„Frierst du?“
Andrew tauchte hinter ihr auf.
„Alles bestens. Danke.“
Sie küsste ihn auf die Wange.
„Wo ist eigentlich ‚das Buch der Hexen’?“
Kaum stellte sie die Frage zu Ende, sauste es quer durch den Raum und landete in ihren Armen.
„Bist du etwa in Sorge um deine Kräfte? Du wirst noch früh genug herausfinden, über welche du verfügst. Komm, das Steak wartet.“
Der Katerversuchte im Schaukelstuhl den Schlafmangel auszugleichen.Wie das duftet.Am Esstisch lief ihr das Wasser im Mund zusammen.
„Weshalb erlernt ein Vampir das Kochen? Lass mich raten, früher war es deine Masche Frauen derart zu verführen.“
„Ich wurde nicht als Vampir geboren. Schon vergessen? Meine Freundin zieht ein Steak der heiß geliebten Lasagne vor?“
Die Merkwürdigkeit ihrer Essenswahl beschäftigte ihn.
„Bon appétit.“
„Danke. Übrigens, ich taufe das Buch auf den Namen ‚Sir Henry’.“
„Sir Henry?“
„Uh.“
Ein heftiger Schlag in die Magengrube überraschte die Hungrige. Besteck und Stuhl fielen zu Boden. Angela rannte ins Badezimmer, verriegelte die Tür und stürzte zur Toilette. Andrew rüttelte an der Türklinke und rief mehrfach ihren Namen.
„Entschuldige, aber wie alt ist das Fleisch?“
„Frisch vom Metzger.“
Sie öffnete die Tür.
„Den sollte man verklagen.“
Mit dem Zähneputzen nahm der Fäulnisgeschmack ab.
„Was ist mit deinen Augen?“
„Ich weiß, mit der Verwandlung wich das blaugrün einem hellgrün.“
„Ich möchte einer Absolventin der Kunstgeschichte keinesfalls in Sachen Farbenlehre widersprechen, aber als hellgrün würde ich die Farbe deiner Iris nicht bezeichnen.“
Sie trat vor den Spiegel.
„Pechschwarz? Wie ist das möglich?“
„Moment. Sieh doch. Deine Augen leuchten wieder hellgrün. Irgendwie unheimlich. Du solltest im Hexenbuch nachschlagen, ob Aufzeichnungen über solche Farbspiele existieren. Pardon, du solltest bei Sir Henry um Rat suchen.“
Sie ging zur Kommode und blätterte in den Seiten.
„Mal sehen … Allerlei Heiltränke, Zaubersprüche, Vampirvernichtung …“
Die Hexe zog mit den Zähnen an der Oberlippe.
„Nichts. Keine einzige Notiz.“
„Hör auf. Merkst du denn nicht, dass du bereits blutest.“
Die Zunge schmeckte den Lebenssaft. Angela sammelte die Futterschalen ein. In der Küche wurde eine tiergerechte Essecke eingerichtet. Der Kleine fand sofort Gefallen daran. Seine Raumausstatterin schlug die Hand gegen die Stirn.
„Mein Dad. Wir waren an meinem Geburtstag zum Kaffee eingeladen. Was hast du ihm erzählt?“
Andrew kratzte sich am Hinterkopf.
„Wie immer, nur das Nötigste. Du hättest dir am Vorabend einen hartnäckigen Virus eingefangen und müsstest dich auskurieren. Die Ansteckungsgefahr sei zu hoch. Er rief jeden Tag an. Wir mussten uns ständig andere Ausreden einfallen lassen und dich am Telefon verleugnen.“
Das Fieberthermometer bestätigte die körperliche Fitness. Nichts sprach gegen einen Überraschungsbesuch. Ein Widerspruchsgeist wäre ohnehin an akuter Dickköpfigkeit gescheitert. Selbst das Fahren ließ sich Angela nicht nehmen. Binnen weniger Minuten erreichten beide das frühere Zuhause. Joseph und Mathilda stürmten zum Wagen. Der Pastor fiel seiner Tochter um den Hals.
„Mein Kind. Wie geht es dir?“
„Dad, Sauerstoff.“
Das Armwedeln erbrachte den nötigen Abstand.
„Ich lasse mich doch nicht von einem Virus schikanieren.“
Die Typveränderung wurde zwar mit keinem Wort erwähnt, dennoch war das neue Ich zu offensichtlich. Zudemreflektiertenvier Augendie Verwunderung. Mathilda drückte ihre Ziehtochter.
„Lust auf Kirschtorte? Kommt herein.“
Die ehemalige Mitbewohnerin fand alles genauso vor, wie sie es verlassen hatte. Sie folgte der Haushälterin in die Küche.
„Joseph und ich schwärmen heute noch von dem Restaurant- und Musicalbesuch. Welch beeindruckende Inszenierung.“
Das tänzerische Wippen wurde eingestellt.
„Am nächsten Tag rief Andrew wegen einer weniger erfreulichen Nachricht an.“
Jedes weitere Wort wäre überflüssig gewesen. Die Sorgenfalten auf der Stirn sprachen Bände. Angela drückte Mathildas Hände.
„Alles gut.“
Mit dem Porzellan auf dem Tablett suchte sie schnell das Weite.Wie soll das Doppelleben künftig funktionieren? Ich kann und will beide nicht auf ewig belügen. Was mache ich mir hier überhaupt vor? Es gibt keinen anderen Ausweg. Die Wahrheit würden sie niemals verkraften. Die Pastorentochter ist in Wirklichkeit ‚eine Unzuchttreibende mit dem Teufel’. Beidem Gedankean Andrews Schilderungen aus der Vergangenheit wird mir ganz flau. Vielleicht liegt mir auch das Steak zu schwer im Magen.
„Liebling?“
Angela blickte zur Seite.
„Wir sind nur zu viert. Oder erwartest du noch jemanden?“
Die Gedankenversunkene deckte für sieben Personen ein und korrigierte sofort den Fehler. Bei Tisch beobachtete sie ihren Vampir.Wie lange musste er wohl üben, um ein solch exzellentes Schauspiel darzubieten? Unglaublich, wie genüsslich er den Kuchen isst. Dabei muss ihn die menschliche Nahrung anwidern. ‚Welche Blutgruppe darf es sein?’ Würde er diese Frage jetzt nicht viel lieber hören? Stattdessen liegt das zweite Stück auf seinem Teller. Mein armer Vampir.
„Deine neue Haarfarbe bemerkte ich sofort. Gefällt mir. Nein, es ist nicht bloß die Farbe. Weshalb verwundert mich dein Erscheinungsbild überhaupt? Von Jahr zu Jahr umgibt dich eine geheimnisvollere Aura.“
„Aura? Dad, seit wann beschäftigst du dich mit Esoterik?“
Joseph errötete.
„Beinahe hätte ich es vergessen.“
Er eilte zum Schrank und überreichte seiner Tochter ein Kuvert. Sie beäugte neugierig den Inhalt.
„Eine Fahrt mit dem Heißluftballon? Danke Dad.“
„Happy Birthday. Auf diese Weise siehst du dein geliebtes London mal aus der Vogelperspektive.“
„Eine ausgezeichnete Idee. Vielen Dank.“
Mathilda übergab ihr ein Holzkästchen.
„Vor Kurzem entdeckte ich einen kleinen Stand. Die nette Dame wandert mit ihren eigens kreierten Einzelstücken von Stadt zu Stadt. Ich hoffe, ihre Empfehlung trifft deinen Geschmack.“
Die Beschenkte öffnete die Schatulle.
„Die muss ein Vermögen wert sein. Erst recht der Anhänger. Ich danke dir von Herzen, aber ich kann die Schmuckstücke nicht annehmen.“
Mathilda löste das Akzeptanzproblem, indem sie die Kette der Ziehtochter stillschweigend um den Hals legte. Angelas Magen schlug urplötzlich Salto. Die Übelkeit war zurückgekehrt.Lass dir ja nichts anmerken. Lächle es einfach weg.
„Entschuldigt mich. Ich verschwinde kurz ins Bad.“
Die lässige Gangart war ein Blendwerk. Kaum erreichte sie die letzte Stufe im Obergeschoss, rannte sie ins Bad, verriegelte die Tür und stürzte zur Toilette. Zitternd und von Schwäche gezeichnet fand sie Halt am Rand des Waschbeckens. Während der Mundpflege starrte sie das Spiegelbild an.Was stimmt nicht mit dir?Sie blickte sich um.Was war das für ein Geräusch? Ein Glöckchen?Jemand klopfte gegen die verschlossene Tür. Mit flüsternder Stimme erkundigte sich Andrew nach seiner Freundin.
„Die anderen kannst du vielleicht täuschen, aber nicht mich.Los,öffne die Tür.“
Mit weit aufgerissenen Augen betrat er den Raum.
„Dein Anblick ist selbst für mich Furcht einflößend. Wieder diese pechschwarzen Augen? Lass uns sofort zu Ethan fahren. Er weiß sicherlich Rat.“
Angela versuchte abermals das große Unbekannte herunterzuspielen und winkte ab.
„Nebenwirkungen der Verwandlung. Das ist alles.“
Auf der Terrasse wurde das Schachbrett aufgebaut.
„Andrew, was hältst du von einer Partie?“
Angela nickte ihrem Freund auffordernd zu. Zum Dank erntete sie einen vorwurfsvollen Blick.
„Joseph, vielleicht bietet sich mir heute die Chance auf einen Sieg.“
Die Frauen spazierten währenddessen über das Grundstück.
„Kleines,hast du dich in deinem neuen Heim gut eingelebt?“
„Ja, bereits in der ersten Minute. Ist Andrew Knight nicht ein Traum von einem Mann?“
Mathilda seufzte und hakte sich bei ihr ein.Was war das? Wieder dieses Glöckchen.Im selben Moment schlich eine Katze durch das Gebüsch. Angela musste schmunzeln.Siehat sicherlich ein Glöckchen umhängen.Jubelrufe tönten aus dem Haus. Mathilda lachte laut auf.
„Wie es scheint ist heute Andrews Glückstag.“
Nach dem Schachmatt nahm das Paar von den Senioren Abschied und fuhr auf direktem Wege bei den Websters vorbei. Grace und Ethan erfreute es, die Junghexe wieder bei bester Gesundheit zu sehen. Andrew berichtete von dem seltsamen Phänomen.
„Ihre Augen waren beide Male nach der Nahrungsaufnahme pechschwarz, sagst du?“
Ethan lief im Zimmer auf und ab. Er rieb sich das Kinn.
„Ich kann euch leider nicht weiterhelfen. Das ist untypisch. Ich höre mich dennoch unauffällig um.“
Grace schlich sich in die Gedanken der Hexe.Könntest du in anderen Umständen sein?Angela riss die Augen auf.Nein, auf keinen Fall.Die Männer reichten einander die Hand.
„Ich danke dir mein Freund.“
Im Wagen dachte Angela über Graces Frage nach.Ein Kind? Der Vater ein Vampir und die Mutter eine Hexe? Welch eine verrückte Vorstellung.Sie blickte ihn an. Nach dem Kichern schoss ihr das Blut in die Wangen. Andrew runzelte die Stirn.
„Was ist?“
Er bog in die gigantische Einfahrt und griff lächelnd nach ihrer Hand.
„Ich glaube, ich kann Gedankenlesen. Du bist hungrig.“
Vor dem Haus warf er seine Liebste über die Schulter. Sein Verhalten war der Auslöser für eine Assoziation. Angelas Hirn meißelte ein Bildnis von Urzeitmenschen und Höhlen in Stein. In der nächsten Sekunde spürte sie einen weichen Untergrund. Die Finger ertasteten Seide. Ihre Herzfrequenz stellte einen neuen Rekord auf. Er hatte sie auf Federn gebettet.
„Zum Glückversuchst du mit Gedankenlesen kein Geld zu verdienen.“
Er beugte sich über die Spötterin und übersäte sie von den Lippen bis zum Dekolleté mit zärtlichen Küssen. Sie zog ihn näher heran. Die Liebkosungen wurden stürmischer. Mit jedem Wort entwich ihr ein leises Stöhnen.
„Andrew, so sehr ich ‚das’ auch herbeisehne, wir dürfen nichts Unüberlegtes tun.“
„Ich verstehe, nichts Unüberlegtes.“
Das Kribbeln in Angelas Körper war nicht zu bändigen und entfachte in ihr ein Flammenmeer. Das Verlangen erteilte den Befehl, dem Partner das Shirt zu entwenden.Dieser sinnliche Geruch.Sie ließ ihn die Nägel spüren. Auf der Rückenmuskulatur entstand abstrakte Kunst. Mit einer Hand strich sie über seinen Hintern und mit der anderen knöpfte sie ihm die Hose auf. Die Begierde nach diesem Vampir war zügellos. Sein Atem beschleunigte. Auch er brannte vor Wollust. Wie ein ausgehungertes Tierbegann sie an ihm zu knabbern. Er riss ihr das Oberteil vom Leib und umspielte die Schenkel unter dem kurzen Rock.
„Nimm mich Andrew.“
Die Leidenschaft sprach aus, was das Herz so sehr begehrte. Die letzten Kleidungsstücke fielen zu Boden. Die Liebenden wälzten sich in unbezähmbarer Ekstase in den Laken. Ein honigsüßer Duft lag in der Luft. Es war der heißblütige Wunsch nach Vereinigung beider nackter Körper. Nie zuvor kamen sie in den vollkommenen Genuss dieser innigen Umarmung und doch schrie die Sehnlichkeit die ganze Zeit danach. Angela krallte die Finger in die Kissen. Eine Symphonie der Gefühle beherrschte Mann und Frau. In Berauschtheit sank sie in seine Arme.
„Was war ‚das’? Schon mal was von Selbstbeherrschung gehört? Ich wusste wahrhaftig nicht, welches Raubtier in dir schlummert. Angie, du warst die Dominanz in Person. Du hast mir völlig den Kopf verdreht.“
Sie erstickte das Lachen an seiner muskulösen Brust.
„Nimm mich?“
Wegen Andrews gespieltem Entsetzen brachen beide in Gelächter aus. In der Nacht erwachte die Hexe alleine in ihrem Bett.Ich muss eingeschlafen sein. Er ist sicherlich auf der Jagd.Sie rollte sich zur Seite.Was für ein Erlebnis. Zum Glück ist er gerade nicht bei mir. Von einer sofortigen Wiederholung wäre ich keinesfalls abgeneigt.Angela biss in die Kissen.Was für ein Mann.Der Gedanke an das zuvor erlebte stahl ihr den Schlaf. Sie schlich in die Küche und kochte ihren Lieblingstee.Schritte.Flink drehte sie sich um und starrte in die Dunkelheit des Wohnzimmers. Ihre rechte Faust schoss nach vorne. Zeitgleich hörte sie ein Klirren und einen dumpfen Knall. Sie rannte nach nebenan und betätigte den Wandschalter. Das Licht zeigte das Unheil auf. Das Highboard lag zweigeteilt am Boden. Daneben verweilten unzählige Scherben. In dem Trümmerfeldversuchte sich jemand aufzurichten.
„Andrew?“
„Was hast du getan? Wolltest du mich umbringen?“
„Bitte?“
„Du schießt mit Energiebällen auf mich?“
„Energiebälle?“
Andrew ging mit einer klaffenden Wunde auf sie zu.
„Angie, ich habe dir nichts getan.“
Sie konnte genauestens beobachten, wie die Wunde am Bauch innerhalb von Sekunden verheilte.
„Das ist unglaublich.“
„Nein, ‚du‘ bist unglaublich. Eine deiner Kräfte hätten wir somit enttarnt. Komm, ich begleite dich nach oben. Das Chaos beseitigen wir bei Tageslicht.“
Kaum im Schlafzimmer angelangt, schlief die Hexe ein.
Die Morgensonne auf der Haut kitzelte sie wach. Andrew stand mit dem Rücken zu ihr am Fenster.
„Guten Morgen. Ich habe etwas völlig Verrücktes geträumt.“
„Lass mich raten. Von einem verwüsteten Wohnzimmer und einem verletzten Vampir?“
Angela sprang aus dem Bett, stürmte ins Erdgeschoss und rieb sich die Augen. Vor der Wand lagen ein Möbelstück und Unmengen an zerbrochenem Porzellan. Doch die auffälligsten Spuren zierten die Wand. Das Gemäuer war demoliert und mit Rissen versehen. Die Hexe schluckte.
„Es war kein Traum?“
Andrew stand hinter ihr.
„Blitzmerkerin. An deinen unkontrollierten Kräften wirst du noch hart arbeiten müssen.“
„Das passt ‚jetzt’ vielleicht nicht hierher, aber ‚arbeiten’ ist das richtige Stichwort. Ich möchte endlich wieder meine Arbeit aufnehmen. Ich möchte zurück in die National Gallery.“
Andrew erhob die Stimme.
„Das ist ein Scherz?“
Sofort setzte er seine Bedenken mit sanfteren Tönen fort, denn Angela verabscheute Bevormundungen.
„Du würdest innerhalb eines Augenaufschlages die Werke der außergewöhnlichsten Künstler der Kunstgeschichte zerstören und darüber hinaus deine wahre Identität preisgeben.“
„Du übertreibst maßlos.“
Sie küsste ihn auf die Wange.
„Keine Sorge, ich schaffe das. Mit der Zeitlerne ich ein perfektes Doppelleben zu führen. Ich bin kein Aufschubtyp. Morgen nehme ich meine Arbeit wieder auf. Nach Feierabend erkundige ich mich sogar in der Tanzschule nach den Kursen.“
„Du bist alt genug.“