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Tom Cain

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Beschreibung

Er hat noch nie einen Fehler gemacht. Bis heute ...

00.19 Uhr. Ein Mercedes fährt vor dem Ritz in Paris ab.

00.25 Uhr. Der Wagen verunglückt in einem Tunnel.

03.37 Uhr. Drei Menschen werden für tot erklärt.

03.38 Uhr. Samuel Carver begreift, dass man ihn reingelegt hat.

Samuel Carver ist ein Killer. Für geheime Regierungskreise lässt er Terroristen und Verbrecher von der Bildfläche verschwinden. Samuel glaubt, im Auftrag der Gerechtigkeit zu handeln - bis zu dem Tag, als er in Paris ein Attentat verüben soll. Er kennt die wahre Identität seines Opfers nicht und tappt in eine Falle. Als bekannt wird, wen er tatsächlich getötet hat, verbreitet sich die Nachricht rund um den Globus, denn es ist ein Mitglied der englischen Königsfamilie. Und plötzlich ist Samuel Carver der meistgesuchte Mann der Welt ...

Der fulminante Auftakt der explosiven Action-Thriller-Reihe - für Fans von James Bond, Jason Bourne, Clive Cussler oder Lee Child.

Der nächste Auftrag für Samuel Carver: Survivor.

beTHRILLED - mörderisch gute Unterhaltung!


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Seitenzahl: 535

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Inhalt

Cover

Tom Cain bei beTHRILLED

Über dieses Buch

Über den Autor

Titel

Impressum

Vorbemerkung

Vorspiel

Zehn Tage später

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Sonntag, 31. August

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Montag, 1. September

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Dienstag, 2. September

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Mittwoch, 3. September

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Samstag, 6. September

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Tom Cain bei beTHRILLED

Die Samuel-Carver-Reihe:

Band 1: Target

Band 2: Survivor

Band 3: Assassin

Band 4: Collateral

Band 5: Collapse

Über dieses Buch

Er hat noch nie einen Fehler gemacht. Bis heute ...

Samuel Carver ist ein Killer. Für geheime Regierungskreise lässt er Terroristen und Verbrecher von der Bildfläche verschwinden. Samuel glaubt, im Auftrag der Gerechtigkeit zu handeln – bis zu dem Tag, als er in Paris ein Attentat verüben soll. Er kennt die wahre Identität seines Opfers nicht und tappt in eine Falle. Als bekannt wird, wen er tatsächlich getötet hat, verbreitet sich die Nachricht rund um den Globus, denn es ist ein Mitglied der englischen Königsfamilie. Und plötzlich ist Samuel Carver der meistgesuchte Mann der Welt ...

beTHRILLED – mörderisch gute Unterhaltung!

Über den Autor

Tom Cain ist Journalist und wurde für seine Arbeit mit vielen Preisen ausgezeichnet. Er hat jahrzehntelang für bekannte Zeitungen und Zeitschriften in den USA und Großbritannien geschrieben und als investigativer Journalist über Finanzskandale an der Wall Street berichtet. In seinen Action-Thrillern um den fiktiven ehemaligen Geheimagenten Samuel Carver kombiniert er packende Spannung mit realen Ereignissen wie den Tod von Prinzessin Diana oder die Finanzkrise um die Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers.

Tom Cain

TARGET

Thriller

Aus dem Englischen von Angela Koonen

Digitale Erstausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Für die Originalausgabe:

Copyright © 2007 by Tom Cain

Titel der englischen Originalausgabe: »The Accident Man«

Originalverlag: Bantam Press

Für diese Ausgabe:

Copyright © 2008/2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Guter Punkt GmbH Co. KG

unter Verwendung von Motiven © OSTILL/iStock/Getty Images Plus; aga7ta/iStock/Getty Images Plus; alptraum/iStock/Getty Images Plus;

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-1748-9

www.be-thrilled.de

www.lesejury.de

Vorbemerkung

Die Anregung zu diesem Buch gaben wirkliche Ereignisse sowie die weltweiten Reaktionen und fortgesetzten Spekulationen, die sich darum rankten. Wo es mir relevant erschien, war ich bestrebt, die bekannten Fakten zu berücksichtigen. Dennoch handelt es sich hier ausdrücklich und unzweideutig um ein rein fiktionales Werk. Ich behaupte mit keinem Wort, eine Verschwörung zu enthüllen, die bisher irgendwie geheim gehalten oder unterdrückt worden wäre. Ein Enthüllungsjournalist oder ein Kriminalbeamter stellt die Frage, was passiert ist, und setzt Ermittungs- und Untersuchungswerkzeuge ein, um die Tatsachen aufzudecken. Als Romanschreiber gebrauche ich jedoch meine Vorstellungskraft und antworte auf eine ganz andere, nämlich die hypothetische Frage: »Was wäre wenn ...?«

Tom Cain

Vorspiel

Die Hitze lastete auf der Nachtluft, und leise Wellen leckten träge über den Kiesstrand.

Auf dem Holzsteg war ein Wächter postiert, aber es war nach zehn, und kein Mond stand am Himmel über der Adria. Darum sah der Mann mit der AK-47 nicht, wie Samuel Carver unter der Wasseroberfläche heranschwamm, hörte ihn nicht auftauchen und nahm nicht wahr, dass Carver sich direkt unterhalb von ihm befand.

Langsam und leise glitt Carver zum Strand hin, wo das Wasser flach war. Er zog Maske, Schwimmflossen und die Weste aus, an der sein Atemgerät befestigt war. Maske und Schwimmflossen klammerte er an die D-Ringe der Weste. Dann legte er die Sachen ins Wasser und ließ sie auf den Grund sinken.

Carver hatte zwei wasserdichte Taschen um die Oberschenkel geschnallt. Aus einer nahm er ein aufgerolltes Paar Neoprenslipper, die er sich an die Füße zog. Dann verschloss er die Tasche wieder. Er wartete, bis der Hubschrauber zu hören war, ehe er sich zum Fuß der Leiter bewegte, die am hinteren Ende des Anlegers ins Wasser führte.

Carver zählte auf typisch menschliche Eigenheiten. Sobald der Hubschrauber über ihnen war, würde der Mann nach oben schauen. Jeder täte das, besonders, wenn der Boss sich an Bord des Hubschraubers befand. Als die Rotorblätter zu ihrem klatschenden Crescendo übergingen, öffnete Carver die zweite Tasche und entnahm ihr eine gewöhnliche, tiermedizinische Betäubungspistole. Er ließ das Licht der Scheinwerfer über sich hinwegschweifen. Dann holte er tief Luft, packte die erste Sprosse und zog sich hinauf.

Carver kam flach auf den Bohlen zu liegen und schaute zu dem Wächter, der nach wie vor zu der Bell 206 Jetranger hinaufsah, die vierhundert Meter entfernt auf der Stelle schwebte, um dann auf dem privaten Heliport der Villa zu landen. Der Rücken des Wächters gab ein perfektes Ziel für Carvers Betäubungspfeil ab. Carver spurtete ein paar Schritte und fing den Sturz des Mannes ab, sodass der Bewusstlose lautlos auf die Bohlen glitt. Carver zog den Pfeil heraus und warf ihn ins Wasser. Dann drang er auf das Grundstück vor, um sich für seine Aufgabe vorzubereiten.

Samuel Carver löste sehr üble Unfälle aus, denen noch üblere Leute zum Opfer fielen. Sein gegenwärtiges Ziel war ein dreiundvierzig Jahre alter Mann albanischer Abstammung namens Skender Visar. Visars Geschäfte wurden offiziell als Menschenhandel bezeichnet, aber Carver zog eine traditionellere Berufsbezeichnung vor. Seiner Ansicht nach war der Albanier ein Sklavenhändler.

Visar verschiffte Menschen als Containerladung aus China, Afrika und den ehemaligen kommunistischen Staaten Osteuropas. Die Männer schickte er als Vertragsarbeiter auf Felder und in Ausbeutungsbetriebe, wo sie Arbeit leisteten, die man im Westen als menschenunwürdig betrachtete. Er kaufte Frauen aus Familien, die so arm waren, dass sie die eigenen Kinder für Geld hergaben. Dann machte er sie durch Schläge gefügig, setzte sie auf Drogen und beutete sie in den Bordellen, Bars und Massagesalons aus, die er in Europa und den Vereinigten Staaten besaß. Nur wenige Sklaven lebten länger als zwei, drei Jahre, aber Visar störte das nicht. In dieser Zeit holten sie ihm die Kosten für den Erwerb, Transport und den erbärmlich mageren Unterhalt hundertfach wieder rein, und in ihren Herkunftsländern gab es noch Tausende von ihnen.

Die Sklaverei war ein Wachstumszweig der Kriminalität; seine Profite reichten zunehmend an die aus dem Waffen- und Drogenhandel heran. In mancherlei Hinsicht war dieses Geschäftsmodell cleverer. Eine Pistole oder ein Gramm Kokain ließ sich nur einmal verkaufen. Eine Sexsklavin verkaufte man zehnmal pro Nacht. Aber leichtes Geld weckte auch harte Konkurrenz. Visar litt unter einem berufsbedingten Verfolgungswahn, hielt ständig nach Feinden Ausschau und war auf alles mögliche gefasst, was seine Position bedrohen könnte, egal ob real oder eingebildet.

Er gönnte sich gerade einen Kurzurlaub auf seiner Sechzig-Meter-Jacht und kreuzte mit seiner Familie vor der dalmatinischen Küste, als er hörte, dass einer seiner engsten Mitarbeiter, Ergon Ali, versucht hatte, mit der Konkurrenz ins Geschäft zu kommen. Die Information war falsch, absichtlich untergeschoben, aber sie hatte den gewünschten Effekt.

Visar schickte vier Mann nach Berlin in den Stripclub, der Ali als Operationsbasis diente. Sie schlugen Ali mit dem Kolben einer Mossberg-Pumpgun bewusstlos, packten ihn in den Kofferraum eines S-Klasse-Mercedes, pumpten ihn voll Heroin und fuhren auf die Autobahn in Richtung Süden. Vierzehn Stunden später kamen sie in Split an, jenem kroatischen Badeort, der schon den römischen Kaisern zur Sommerfrische gedient hatte.

Visars Männer verpassten Ali eine neue Dosis, um ihn ruhigzustellen; dann fuhren sie ihren Mercedes auf die Fähre zur Insel Hvar, wo er neben einem Campingbus voll australischer Studenten stand, die auf Europarundreise waren. Die Männer verbrachten die dreistündige Überfahrt am Fährausschank und tranken mit den Aussies ein Bier nach dem anderen. Der Einzige, der außer ihnen an der Theke saß, war ein bärtiger Mann mit einem abgenutzten Panamahut und einem Fernglas um den Hals, der sein Kännchen Tee in die Länge zog und ein Vogelbuch studierte.

Als Visars Männer bei der Villa ankamen, warfen sie Ergon Ali gefesselt und geknebelt in den Keller. Sie wollten die Zeit ihres Bosses nicht vergeuden; darum verbrachten sie den Rest der Nacht und den ganzen nächsten Tag damit, den Mann, der bislang ihr Freund gewesen war, zu schlagen, unter Wasser zu tauchen und mit Elektroschocks zu traktieren. Erst als sie glaubten, dass er kurz vor dem Zusammenbruch stand, riefen sie Skender Visar an und informierten ihn darüber, dass für seine Ankunft alles vorbereitet sei. Als Visar auflegte, drehten sich bereits die Rotorblätter des Hubschraubers. Visar machte sich auf den Weg, um Ergon Alis Befragung ihrem Ende zuzuführen ... und Samuel Carver wartete auf ihn, ohne jedes ornithologische Interesse.

Carver hockte im Dunkeln an der Seite des Heliports. Visar und seine Leibwächter waren schon zum Haupthaus gegangen, wo Ergon Ali sein Schicksal erwartete. Der Pilot blieb noch ein paar Minuten, um seine Maschine abzuschalten und zu überprüfen; dann ging er ebenfalls den Weg hinauf. Carver wartete, bis er sicher war, dass sich niemand mehr in der Nähe aufhielt, und schließlich schlich er über den Platz zum Hubschrauber.

Die Bell 206 ist das Arbeitspferd der Lüfte. 1967 wurde sie zum ersten Mal in Betrieb genommen und seitdem kaum verändert. Sie hat einen langen Ausleger, an dessen Ende der Heckrotor sitzt und zwei Finnen wie Haifischflossen senkrecht nach oben und unten abstehen. Dieser Heckstabilisator ist mit vier quadratisch angeordneten Schrauben befestigt.

Carver zog sich die Handschuhe an, nahm den verstellbaren Schraubenschlüssel heraus und löste die beiden unteren Schrauben. Dann sägte er sie mit einer Minisäge an, um sie erheblich zu schwächen. Schließlich schraubte er sie wieder ein, wobei er sorgfältig darauf bedacht war, sie nicht abzubrechen. Als Nächstes entfernte er das obere Paar. Diese beiden sägte er unter dem Kopf ab. Die Gewindestifte steckte er in die Oberschenkeltasche; die Köpfe setzte er mit Haftstrips auf die Schraublöcher. Wer den Hubschrauber zentimetergenau inspizierte, würde entdecken, was Carver getan hatte; aber bei der oberflächlichen Kontrolle durch einen müden Piloten kurz vor dem Start würde sein Werk nicht auffallen.

In Gedanken ging Carver die ganze Prozedur noch einmal durch, um sich zu vergewissern, dass alles Nötige erledigt war; dann ging er zurück zum Anleger. Als der Wächter aus seinem Schlaf erwachte, war Samuel Carver längst weg.

Ergon Ali brauchte lange zum Sterben und beteuerte bis zuletzt seine Unschuld und Loyalität. Als Skender Visar wieder an Bord des Hubschraubers war, dämmerte es bereits. Er war müde und in Gedanken versunken, denn er fürchtete einen kostspieligen Bandenkrieg und fragte sich, wer der nächste Verräter sein würde. Er wollte zurück auf die Jacht. Sein Pilot hatte kein Verlangen, ihn noch mehr zu verärgern; darum beeilte er sich mit den Startvorgängen und ließ die Bell so schnell wie möglich abheben.

Sie waren acht Kilometer weit gekommen, als die Vibrationen begannen. Der Pilot sagte sich, dass er umkehren solle, aber er wusste, Visar würde das nicht erlauben; deshalb erhöhte er die Geschwindigkeit und hoffte, den Flug möglichst schnell hinter sich zu bringen.

Als der Hubschrauber beschleunigte, strömte die Luft umso schneller um die Stabilisierungsflossen und drückte sie hin und her. Da die oberen Schrauben fehlten, wirkten die angesägten wie ein Scharnier, und die Flossen begannen zu schlagen. Je schneller der Pilot flog, desto stärker schlugen sie aus.

Beim Abheben hatte der Abstand zwischen Flossen und Heckrotor etwa fünfunddreißig Zentimeter betragen. Mit jedem Ausschlagen wurde er geringer. Die Flossen kamen den Rotorblättern immer näher, bis sie sie mit einem metallischen Kreischen streiften und den Rotor augenblicklich blockierten wie der Besenstiel ein Speichenrad.

Bei dem plötzlichen Ruck rissen die Rotorblätter ab. Die angesägten Schrauben brachen wie Salzstangen, und das ganze Leitwerk stürzte, im Licht der aufgehenden Sonne glänzend wie Kupfer, in die Adria.

Der Hubschrauber drehte sich mit zunehmender Schnelligkeit um die eigene Achse. Skender Visar, der bei vielen menschlichen Seelen die Aufsicht über einen erniedrigenden Tod geführt hatte, reagierte auf seinen eigenen bevorstehenden Untergang mit einem raubtierhaften Geheul. Doch der Pilot schaltete einfach den Motor ab, sodass sich die Hauptrotorblätter von selbst weiterdrehten wie die Flügel einer Windmühle.

Für einen kurzen Moment war das Gleichgewicht wiederhergestellt. Der Rumpf hörte auf, sich zu drehen. Visar grinste kläglich, um seine Feigheit zu verschleiern. Der Pilot setzte einen Notruf ab und forderte Hilfe an. Eine Bell 206 Jetranger sinkt im Autorotationsflug mit 27 km/h. Mit einem erfahrenen Piloten in der Kanzel sind die Überlebenschancen gut, selbst bei einer Landung auf dem Wasser. Aber Carver hatte noch auf etwas anderes gesetzt.

Der Heckrotor wird von einer Antriebswelle getrieben, die vom Motor am Heckausleger entlang verläuft. Die Kraft kann ohne Getriebegehäuse nicht auf den Rotor übertragen werden. Dieses Gehäuse besteht aus einem schweren Metallstück und sitzt am Ende des Heckauslegers, wo es auch als Gegengewicht zu Kabine und Motor dient.

Als der Heckrotor abriss, riss er auch das Getriebegehäuse aus seiner Verankerung, sodass es am beschädigten Ende des Auslegers herabbaumelte. So blieb es zehn bis fünfzehn Sekunden lang, während die Schwerkraft daran zog und der Wind es hin und her schleuderte. Dann gab die Verbindung mit der Antriebswelle nach, und das Gehäuse stürzte ebenfalls ins Meer.

Ohne das Gegengewicht geriet die Jetranger gänzlich aus dem Gleichgewicht. Im einen Moment sah der Pilot noch in den Himmel, im nächsten blickte er auf Wasser, und der Hubschrauber hatte aufgehört, ein funktionierendes Luftfahrzeug zu sein. Er verwandelte sich in einen Metallsarg mit Sichtfenster, der auf das wogende Wasser zustürzte. Der Pilot hörte nur noch das Brausen der Luft und den Todesschrei von Skender Visar.

Samuel Carver war fest eingeschlafen, als der Menschenhändler starb. Stunden zuvor war er zu dem gemieteten Motorboot zurückgeschwommen, das er hinter der Landzunge der Bucht festgemacht hatte, an der Visars Villa stand.

Er schälte sich aus dem Taucheranzug, trocknete sich ab und zog sich ein Paar Jeans und ein weites Baumwollhemd über, bevor er sich auf den Weg machte. Er kehrte an den Touristenort auf Hvar zurück, wo er ein Zimmer hatte, vertäute das Boot und nahm in einem Restaurant am Strand ein spätes Abendessen zu sich. Zu den gegrillten Meeresfrüchten bestellte er eine kalte Flasche Posip Cara, den frischen Weißwein von der Nachbarinsel Korcula. Er aß an einem Tisch auf der Terrasse und betrachtete die vorbeiflanierenden Mädchen. Dann ging er wie ein normaler Tourist in sein Hotel zurück, wünschte dem Portier eine gute Nacht und legte sich schlafen.

Am nächsten Morgen frühstückte Carver frische Brötchen und süßen schwarzen Kaffee, bevor er auscheckte und bar bezahlte. Als einer von vielen anonymen Sommerurlaubern bestieg er eine Fähre nach Italien, zum Hafen von Pescara. Dort kaufte er sich eine Zugfahrkarte, bei der das Vorzeigen von Ausweispapieren nicht verlangt wurde und Barzahlung nichts Ungewöhnliches war, sodass seine Reise keine Spuren hinterließ.

Carver reiste Erster Klasse. Er las ein Buch, in dem es nicht um Vögel ging, schloss sich der Unterhaltung an, wenn die Mitreisenden in Plauderstimmung waren, und nahm unterwegs zwei kleine Mahlzeiten ein. Er tat alles, um nicht daran zu denken, was er getan hatte.

Zehn Tage später

1

Der Mann lächelte vor sich hin, als er in das nussbaumgetäfelte Zimmer ging, und genoss nach der sengenden Augusthitze die Kühle der Klimaanlage. Er schob die Sonnenbrille auf das schüttere schwarze Haar, das millimeterkurz geschnitten war. Auch das Halbdunkel empfand er als erholsam. Die Völker des kalten, düsteren Nordens mochten ja glücklich sein, wenn sie sich in den Sommerferien ihre milchweiße Haut rot braten ließen; aber er war unter dieser Sonne geboren. Darum fürchtete er ihre Kraft und suchte mittags den Schatten auf.

Er hatte nur ein paar Minuten Zeit für sich. Bald würde man ihn draußen zurückerwarten, wo unter weißen Markisen, die im Mittelmeerwind flatterten, von den Dienern der Mittagstisch gedeckt wurde. Der Mann ging durch das Zimmer und spürte den dicken, weichen Teppich unter den nackten, olivbraunen Füßen. Seine Jeans und das T-Shirt waren schlicht, aber teuer – Armani, nicht Levi’s. Am Arm trug er eine Rolex. Solche Dinge waren selbstverständlich für ihn. Sein ganzes Leben hatte er in dem Kokon verbracht, den das Geld der Reichen für ihre Kinder schafft.

Doch bei allen Privilegien trug ererbter Reichtum das Stigma des Unverdienten. Für Außenstehende war er nicht mehr als ein Playboy, ein Parasit, der sich vom Besitz seines Vaters ernährte. Er hatte vor, das zu ändern. Schon sehr bald würde die Welt davon sprechen, was er getan hatte. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als er an das Kommende dachte. Er drückte den Kurzwahlknopf mit einer Londoner Nummer.

»Wir müssen reden«, sagte er in den Hörer. »Halte dich für Montag bereit. Ich habe wichtige Neuigkeiten, gute Neuigkeiten über ...« Er zögerte, suchte nach den richtigen Worten, weil vielleicht jemand mithörte. »Sagen wir: über unseren gemeinsamen Freund.«

Die Diskretion des Mannes war erfolglos. Sein Gespräch wurde von den riesigen Antennenkuppeln aufgefangen, die im rauen Yorkshire bei Menwith Hill verstreut stehen, wo Echelon, das globale Überwachungssystem unter Verwaltung der amerikanischen National Security Agency, den täglichen Telefonverkehr abhört.

Von dort ging ein Signal über einen Satelliten im Orbit zur NSA-Zentrale in Fort Meade in Maryland. Cray-YMP-Superrechner mit fast drei Billionen FLOPs pro Sekunde siebten das endlose vielsprachige Geplapper durch. Wie Goldschürfer klaubten die Cray-Rechner die Nuggets aus dem Strom. Sie suchten nach bestimmten Stimmen, Wörtern oder Sätzen, um sie zur weiteren Ermittlung auszusondern.

Die gesammelten Informationen wurden auch an das britische Government Communications Headquarters, allgemein bekannt unter dem Kürzel GCHQ, am Rand von Cheltenham in Gloucestershire, geschickt. Dort zogen noch mehr Computer noch mehr Informationen aus dem menschlichen Datenstrom.

Diese wiederum wurden an das Verteidigungsministerium, das Außenministerium, die Strafverfolgungsbehörden und die Nachrichtendienste weitergegeben. Fiona Towthorp, eine attraktive, sommersprossige Frau von vierzig Jahren, arbeitete als Nachrichtenauswerterin im GCHQ. Sie hatte ein Detail entdeckt, das für ihre Arbeitgeber von Wert war. Als sie den Telefonhörer abnahm, wählte sie eine Nummer, die nichts mit der Regierung Ihrer Majestät zu tun hatte.

Die Verbindung war auf einem Niveau verschlüsselt, das nicht einmal Echelon zu dekodieren vermochte. Dieses Telefonat konnte nicht abgehört werden. Ein Mann meldete sich mit »Konsortium«.

»Ich habe eine Nachricht aus der Abteilung Firmenkommunikation«, sagte Towthorp. »Es gibt da etwas, das der Vorsitzende erfahren sollte.«

Towthorp wurde sofort durchgestellt.

2

Sie kamen Carver am Morgen abholen. Er hatte den Anruf in der Nacht erhalten, als er eben die Gaslampe ausdrehen wollte, das einzige Licht in seiner karg möblierten Berghütte.

»Carver«, sagte er in das GSM-Telefon, das schrill Beachtung verlangt hatte, und gab sich keine Mühe, seinen Ärger zu verbergen.

Es gab keine einleitenden Floskeln von der Stimme am anderen Ende der Leitung, die im breiten Estuary-Dialekt redete. »Wo sind Sie?«

»Im Urlaub, Max. Nicht bei der Arbeit. Das wissen Sie ja wohl.«

»Ich weiß, was Sie tun, Carver. Ich weiß nur nicht, wo Sie es tun.«

»Na so was. Es muss wohl einen Grund geben, warum ich es Ihnen nicht gesagt habe.«

»Ich habe vielleicht einen Auftrag für Sie.«

»Nein.«

Max ignorierte das. »Hören Sie, innerhalb der nächsten zwölf Stunden werde ich es erfahren. Wenn es dazu kommt, sorgen wir dafür, dass sich die Urlaubsunterbrechung für Sie lohnt – verlassen Sie sich drauf. Drei Millionen Dollar, US-Dollar, auf das übliche Konto. Danach können Sie richtig lange Ferien machen.«

»Ich verstehe«, sagte Carver. »Und wenn ich ablehne?«

»Dann würde ich Ihnen raten, im Urlaub zu bleiben und nicht zurückzukommen. Die Entscheidung liegt bei Ihnen.«

Carver störte die Drohung nicht. Er wollte seinen besten Kunden nicht verlieren. Damit verdiente er sein Geld. Das war es, was er am besten konnte. Und egal wie oft er auch darüber nachdachte aufzuhören, er wollte einfach nicht, dass ein Konkurrent seine Arbeit übernähme. Eines Tages, vielleicht schon bald, würde er sich zurückziehen, aber nach seinen Bedingungen und zu einem Zeitpunkt, den er selbst bestimmte.

»Neuseeland«, sagte er.

Er verfluchte sich selbst, als er auf ›Auflegen‹ drückte und das Telefon auf den nackten Holztisch neben dem Metallbett mit der Segeltuchbespannung legte, wo er den Schlafsack ausgebreitet hatte.

Samuel Carver besaß das schlanke, geschmeidige Aussehen eines ausgebildeten Kämpfers. Seine dunkelbraunen Haare waren kurz. Zwölf Jahre bei den Royal Marines hatten ihm ein wettergegerbtes Gesicht beschert, und seine kräftige dunkle Stirn, die eine Konzentrationsfalte teilte, zeugte von grimmiger Entschlossenheit. Doch die klaren grünen Augen legten nahe, dass seine körperliche Stärke von einer ruhigen, kühlen Intelligenz beherrscht wurde.

Carver versuchte, sein Tun mit Vernunftgründen zu rechtfertigen, indem er es als eine Form der Seuchenbekämpfung ansah: unerfreulich, aber notwendig. Nach dem Visar-Auftrag hatte er wie immer nach einem Ort gesucht, um auszuspannen und einen Gedanken von sich fernzuhalten, den er nicht mochte: dass jede weitere Tötung, ganz gleich, wie viele Menschenleben dadurch gerettet wurden, ganz gleich, wie schlüssig sie zu rechtfertigen war, seine Seele ein klein wenig mehr auffraß.

Carver war am anderen Ende der Welt gelandet, im Süden Neuseelands, in den Two-Thumb-Bergen. Die Two Thumbs stammten noch aus der Zeit von Pangäa, wo die Kontinente noch eins gewesen waren und die beiden Gipfel zur selben Bergkette wie die Anden und die kalifornischen Sierras gehört hatten. Seitdem waren die Gebirge mehrere tausend Meilen weit auseinandergedriftet. Ansonsten hatte sich nicht viel verändert. Es gab keine Nachtclubs oder Restaurants, keine Zimmermädchen und weder Zeitungen noch Fernseher. Es gab auch keine Lifte, Skilehrer und Idiotenhügel. Für Carver genau das Richtige.

Er hatte die völlige Einsamkeit gesucht und ein Leben, das auf das Einfachste reduziert war. Er wollte den Schatten des Todes mit roher Geschwindigkeit und körperlicher Anstrengung loswerden, bei leerem Himmel, blendendem Sonnenschein und einer Luft, die so kalt und rein war wie Wodka aus dem Eisfach. Carver hatte sich seit einer Woche nicht rasiert. Gewaschen hatte er sich auch nicht viel. Wahrscheinlich stank er wie ein Rhinozeros. Aber warum sollte ihm das nicht egal sein? Es war schon lange her, seit er für jemanden hatte gut riechen wollen.

Der Hubschrauber kam von Osten her in den ersten blassen Sonnenstrahlen, bevor der letzte Stern untergegangen war. Carver sah ihn weit weg zwischen dem blauschwarzen Himmel und dem Puderzuckerschnee. Packen war nicht nötig. Unter seiner Skijacke trug Carver einen schwarzen Nylongeldgürtel. Die Fächer enthielten vier verschiedene Reisepässe mit je zwei dazu passenden Kreditkarten. Außerdem hatte Carver ein Ersatztelefon und zwanzigtausend Dollar in bar. Gold Cards waren ja gut und schön, aber Carver musste nirgendwohin, wo die US-Lappen nicht genommen wurden.

Schnee wirbelte durch die Luft, als der Hubschrauber fünfzig Meter entfernt landete. Carver sah zu, wie er aufsetzte. Verdammt noch mal, schon wieder eine Bell. Ihm schoss das Bild von der abstürzenden Jetranger durch den Kopf, und er meinte, das Entsetzen beinahe selbst zu erleben. Eine Sekunde lang schloss Carver die Augen und brummte: »Reiß dich zusammen.« Dann zog er den Jackenreißverschluss ein Stück auf und näherte sich dem Hubschrauber mit lockerem Gang, aber wachsam.

»Morgen!«, schrie der neuseeländische Kopilot über das Rattern der Rotorblätter hinweg. Er streckte den Arm raus und zog Carver an Bord. »Es hieß, wir sollen Sie entweder aufklauben oder umbringen. Freut mich, dass Sie Punkt A angekreuzt haben.«

Das Lächeln des Kopiloten war breit, erreichte aber nicht seine Augen.

Carver grinste zurück und machte das Spiel mit. »Freut mich auch«, schrie er. »Sie wären womöglich verletzt worden.« Er ließ sich in seinen Sitz sinken, schnallte sich an, setzte das Headset auf und seufzte. So viel zum Thema Urlaub. Carver hatte nicht mal Zeit gehabt, eine anständige Tasse Kaffee zu trinken, und steckte schon wieder knietief in der Scheiße.

Er rieb sich die Stirn. Eine Woche lang war er nur Ski gefahren und hatte geschlafen. Eigentlich hätte er jetzt ausgeruht und frisch sein sollen; stattdessen fühlte er sich todmüde.

Keine zwei Stunden später saß Carver in einer nagelneuen Gulfstream V, die von Christchurch aus nach Nordosten auf gut zwölftausend Meter stieg und in Richtung des 5800 Seemeilen entfernten Los Angeles flog. Die Gulfstream war das Geschäftsflugzeug mit der größten Reichweite, aber über Kalifornien würde es bereits im Gleitflug sein. Es würde nur kurz zwischenlanden, um aufzutanken und eine neue Crew an Bord zu nehmen; dann würde es nach Europa weiterfliegen.

Es gab eine Duschkabine an Bord. Carver duschte, rasierte sich und zog sich einen weichen grauen Trainingsanzug an, den er von einer Stewardess bekam. »Ich hoffe, es ist die richtige Größe. Man hat mir Ihre Maße gegeben«, sie hielt kurz inne, »aber ob etwas passt, weiß man erst, wenn man es anprobiert hat.«

Die Stewardess war eine hübsche Brünette mit großen braunen Augen, weichen Lippen und einem glänzenden Pferdeschwanz. Sie redete mit der neuseeländischen Eigenart, am Satzende die Stimme zu heben, sodass jede Feststellung wie eine schmeichlerische Frage klang. Jetzt stand sie vor Carver mit eingeknickter Hüfte, was zur Folge hatte, dass sich der dunkelblaue Stoff ihres engen, knielangen Rockes über die Oberschenkel spannte. Sie sah ihn abschätzend an, lächelte aber, als würde es sie glücklich machen, was sie sah. Entweder gefiel er ihr wirklich, oder in ihrer Arbeitsplatzbeschreibung stand etwas von erweiterten Serviceleistungen, die sie von der durchschnittlichen Saftschubse unterschieden. Carver erwog die zweite Möglichkeit. Er und sie arbeiteten für Leute, die glaubten, alles kaufen zu können. Er war gekauft. Sie wahrscheinlich auch.

»Wie heißen Sie?«, fragte er.

»Candy.«

Carver musste unwillkürlich lachen. Sie nannte sich sogar wie eine Stripperin. Aber dann überraschte sie ihn. Sie wurde rot.

»Ich heiße wirklich so. Das ist die Kurzform von Candace.«

Carver erkannte, dass er die dritte Möglichkeit übersehen hatte. Candy war einfach nur ein nettes Mädchen, das den Arbeitstag mit einem kleinen Flirt aufhellen wollte. Normale Leute taten so etwas. Verdammt noch mal, was für ein zynischer Mistkerl er doch geworden war. Wann hatte sich das entwickelt? Dumme Frage, er wusste es ganz genau. Tatsächlich konnte er es sogar auf die Minute genau sagen. Plötzlich merkte er, dass er die Kiefer verkrampfte und mit den Zähnen knirschte, wofür er nicht die geringste Erklärung hatte. Es war noch viel zu früh für die Anspannung, die seinem tödlichen Tun normalerweise vorausging. Das hier war etwas anderes, eine Botschaft seines Unterbewusstseins, die er nicht entschlüsseln konnte – vielleicht weil er nicht wollte.

Carver hatte während der vergangenen Jahre versucht, nicht allzu tief in sich hineinzusehen. Er verkaufte sich das als grundlegenden, militärischen Pragmatismus. Konzentriere dich auf das Nächstliegende; mach dir über die Dinge Gedanken, auf die du Einfluss nehmen kannst; alles andere kannst du außer Acht lassen. Jetzt stand eine junge Frau vor ihm, und Carver konnte Einfluss auf seine schlechten Manieren nehmen. Er und Candy würden die kommenden vierundzwanzig Stunden in derselben Metallröhre stecken. Da war gegenseitige Höflichkeit das Mindeste.

Carver schüttelte den Kopf, um ungebetene Gedanken loszuwerden.

»Tut mir leid«, sagte er. »Das war daneben.«

»Machen Sie sich keine Gedanken. Kann ich Ihnen irgendetwas bringen? Etwas zum Frühstück vielleicht? Einen Kaffee?«

»Ja, das wäre prima. Vielen Dank.«

Zehn Minuten später wurden die Einzelheiten über die Zielperson gefaxt.

Name: Ramzi Hakim Narwaz

Nationalität: Pakistani (Mutter Französin)

Alter: 41

Körpergröße: 182 cm

Körpergewicht: 86,4 kg

Die Zielperson stammt aus einer der reichsten Familien Pakistans, wurde an der Le-Rosey-Schule in der Schweiz erzogen, wohnt in Paris und ist in den höheren Gesellschaftskreisen Europas zu Hause. Sie ist verheiratet (Frau Yasmina stammt aus reicher libanesischer Familie), hat einen Sohn, Yusuf, trinkt Alkohol, aber selten im Übermaß. Hin und wieder Partydrogen. Regelmäßig, aber diskret außerehelicher Verkehr, wie für die reichen, verwestlichten Männer typisch.

Dieser Lebensstil ist nur Fassade. Die Zielperson, die hochintelligent ist und eine schlechte Vater-Sohn-Beziehung hat, wurde während des Studiums an der London School of Economics in den verschiedenen Moscheen im Nordosten Londons von den Mullahs radikalisiert. In der Folge wurde die Zielperson ein aktives und zunehmend einflussreiches Mitglied im wachsenden Netz islamistischer Terrorzellen.

Die Überwachung der Telekommunikation durch US-Geheimdienste, koordiniert von der von CIA und FBI getragenen Anti-Terror-Einheit mit dem Kodenamen Alex, bestätigt regelmäßigen Kontakt zwischen der Zielperson und Terrorverdächtigen, darunter die Konsojaya-Gründer Wali Khan Amin Shah und Riduan Isamuddin (alias Hambali), der in Nairobi in Kenia wohnende Wadih el-Hage und mehrere Mitverschwörer der von Manila aus gesteuerten »Operation Bojinka«, bei der zwölf amerikanische Verkehrsflugzeuge gesprengt werden sollten.

Die jüngsten Bewegungen auf den Konten der Zielperson weisen auf größere als die üblichen Aktivitäten hin. Es ist davon auszugehen, dass die Zielperson einen terroristischen Großanschlag in Europa plant, nahezu sicher in Großbritannien. Dieser Anschlag steht kurz bevor – wahrscheinlich geht es eher um Tage als um Wochen. Aus abgehörten Telefonaten ist zu schließen, dass er seine Familie, die in Südfrankreich Urlaub macht, innerhalb der nächsten 24 Stunden verlassen und nach Paris zurückkehren wird.

Es besteht eindeutig Gefahr sowohl für militärisches Personal als auch für Zivilisten, wenn die Zielperson ihre Aktivitäten fortsetzt. Darum ist sie für einen sofortigen Einsatz ausgesucht worden.

Kurz danach kam ein zweites Fax. Darin teilte man Carver mit, dass anderthalb Millionen Dollar auf sein Nummernkonto bei der Wertmüller Maier Privatbank in Genf telegraphisch überwiesen worden seien. Wer auch immer seine Auftraggeber waren – und Carver hegte kein großes Verlangen, das herauszufinden, genauso wenig wie er ihnen allzu gut bekannt sein wollte  –, sie zahlten stets pünktlich und ohne Abzug.

Max rief noch einmal an, als das Flugzeug den amerikanischen Westen überquerte.

»Und wo sind Sie jetzt?«

»Eine halbe Stunde von L.A. entfernt«, antwortete Carver. »Der Pilot drückt auf die Tube. In gut zehn Stunden sollte ich am Boden sein.«

»Gut, das heißt also um 7 Uhr 30 mitteleuropäischer Zeit. Vor Mitternacht erwarten wir nicht viel Bewegung; das ist also in Ordnung. Aber da ist noch etwas, das Sie vorher aus der Welt schaffen müssen.«

Carver war etliche tausend Kilometer weit entfernt und sprach über Satellitentelefon; doch sein Ärger kam erstklassig durch. »Das soll wohl ein Scherz sein. Zwei Aufträge? Beide improvisiert? Sie halten mich wohl für lebensmüde.«

»Keine Sorge. Der zweite ist reine Routine«, erwiderte Max. »Er dient der Sicherheit, falls der erste Schlag danebengehen sollte. Unser Freund hat eine Zweitwohnung, die er für geheime Treffen benutzt – persönliche und berufliche, wenn Sie mir folgen können. Wenn er sich bedroht fühlt, benutzt er sie als sicheren Unterschlupf. Und Sie werden einen unsicheren daraus machen, klar? Keine Sorge, wir haben den Kode des Alarmsystems. Es ist wirklich einfach.«

Carver seufzte. Es war egal, womit man sein Geld verdiente. Am Ende ließ man sich von jedem Brötchengeber denselben Mist gefallen. Er hörte zu, während Max das kleine Liebesnest beschrieb, wo Ramzi Hakim Narwaz gern seine geheimen Geschäfte führte. Dieser islamische Terrorist nahm seine Tarnung als dekadenter Apostat wirklich ernst. Seine Vorstellung war geradezu oskarreif.

Ein paar Minuten später kamen Grundriss und Schaltplan der Narwazschen Wohnung durchs Fax. Carver brauchte eine halbe Stunde, um sich einen Plan auszudenken. Als Max das nächste Mal anrief, hatte Carver die Ausrüstungsliste parat. Er zählte Transportmittel, Waffen, Sprengstoffe, Zeitzünder, Zündkapseln und sonstige Ausrüstung auf; dann kam er zu den Einzelheiten.

»Ich brauche eine kleine Büchse Schmieröl, irgendein 3-in-1, außerdem ein halbes Dutzend kleine Gefriertüten mit Verschluss, eine einfache schwarze Reisetasche, eine Stirnlampe mit Gummiband, eine Schere mit 7,5 cm Keramikklinge, Schraubenzieher, Drahtschere, eine Rolle Gaffer-Tape, eine Flasche Jif-Reiniger, ein paar dünne Latexhandschuhe und einen Mars-Riegel.«

»Wozu brauchen Sie denn einen Mars-Riegel?«

»Zum essen. Ich nasche gern. Und wo wir gerade davon reden ... warum nicht auch eine Pizza?«

Max bemühte sich noch nicht einmal, seinen Sarkasmus zu verbergen. »Wie Sie wollen, Mann. Soll’s ein besonderer Belag sein?«

»Ist mir scheißegal«, antwortete Carver. »Es geht mir um die Schachtel. Wenn ich’s mir recht überlege, vergessen Sie’s. Ich besorge sie selbst. Ich werde etwas Anständiges zu essen brauchen.«

3

Carvers Flugzeug landete auf dem Flughafen Le Bourget, ein paar Kilometer nordöstlich von Paris, und rollte bis in einen Privathangar. Als Carver am Fuß der Treppe ankam, reichte ihm ein Wartungsingenieur einen Umschlag und eine große Tragetüte. In dem Umschlag lagen ein Parkschein, auf dem die Stellplatznummer notiert war, der Schlüssel einer Honda und der zu einem Schließfach im Terminal. Die Tragetüte enthielt Kleidung. Carver ging damit ins Flugzeug zurück und zog sich um.

Schwarze Cargohose, schwarzes T-Shirt, schwarze Nylonfliegerjacke, schwarze Trainingsschuhe, schwarzer Helm. Dieses Jahr war Schwarz ein Muss. Der Rest des Verlangten befand sich in einem Rucksack in dem Schließfach. Er war genauso schwarz wie alles andere.

Das Motorrad, das Carver im Parkhaus erwartete, war eine Honda XR400 ohne Herstellerzeichen, eine Enduro, die eher für zerfurchte Feldwege als für Asphaltstraßen gebaut war. Sie sah mager und langbeinig aus wie ein Windhund. Für Carvers Zwecke war sie ideal. Wenn die Operation schiefging und er sich schnell aus dem Staub machen musste, wollte er eine Maschine, die fahren konnte, wo der Polizei mit ihren Wagen und schweren Motorrädern eine Verfolgung schwerfallen würde.

Fünf Minuten, nachdem er den Flughafen verlassen hatte, hielt Carver bei einer Pizzabude und bestellte eine zum Mitnehmen. Während die Pizza gebacken wurde, ging er mit seinem Rucksack auf die Toilette. Es gab zwei kleine WC-Kabinen und ein Waschbecken. Carver packte die Pistole aus, die er in der Aufstellung genannt hatte, eine SIG-Sauer P226 mit einem Browning-Colt-Verschluss ohne Sicherungshebel. Im Magazin befanden sich zwölf Hohlspitzpatronen Cor-Bon 9 Millimeter 115 grain +P.

Die SIG wurde von britischen Sonderkommandos bei der Terrorismusbekämpfung und Undercover-Einsätzen benutzt. Carver hatte sie bei zahllosen militärischen Operationen benutzt und war seitdem dabei geblieben. Wie immer baute er sie jetzt auseinander, prüfte sie und setzte sie wieder zusammen. Dafür brauchte er weniger als eine Minute. Zunächst war das eine grundlegende Vorsichtsmaßnahme, um sich zu vergewissern, dass die Waffe funktionierte. Aber es war auch ein Ritual, bei dem er seine Gedanken auf das Kommende richtete wie ein Athlet, der an den Start geht und das Ziel ins Auge fasst.

Als Nächstes verstöpselte Carver das Waschbecken. Er griff in den Rucksack, holte die Dose 3-in-1 heraus und goss das Öl ins Becken. Dann nahm er einen kleinen Quader grauer Modelliermasse aus dem Rucksack. Es war C4, Plastiksprengstoff. Carver tauchte das C4 ins Becken und begann, ihn zu kneten wie ein Bäcker seinen Teig, um das Öl mit der Plastikmasse zu verbinden. Am Ende erhielt er einen klebrigen, geschmeidigen Kitt.

Für sich genommen war das Zeug ungefährlich. Es ließ sich in jede erdenkliche Form bringen und an jede Oberfläche kleben. Man konnte es in kleine Plastiktüten stecken, wie Carver es jetzt tat. Dazu teilte er die Masse in vier gleiche Teile. Man konnte darauf schlagen, eine Flamme daran halten, sogar Kugeln hineinjagen, ohne dass etwas passierte. Aber mit einer Sprengkapsel und einem Zeitzünder versehen entstand plötzlich eine Bombe.

Sobald die gefüllten Tüten im Rucksack verstaut waren, nahm Carver den Reiniger und verteilte ihn im Waschbecken, um die Ölspuren und C4-Rückstände zu beseitigen. Er drehte das Wasser voll auf, spülte alles weg und warf die Flasche in den Abfall. Es roch noch leicht nach Öl und Plastik. Carver versprühte das Frischluftspray in dem winzigen Raum; dann landete auch die Dose im Abfall. Als er den Waschraum verließ, wartete ein Mann vor der Tür. Carver zuckte entschuldigend mit den Schultern, hielt sich die Nase zu und murmelte: »Pardon.«

Er holte seine Pizza ab und aß die Hälfte auf dem Parkplatz. Den Rest warf er in einen Mülleimer. Die Schachtel behielt er, stieg auf die Honda und fuhr nach Paris hinein.

Die Wohnung befand sich auf der Ile St. Louis, einer der beiden Seine-Inseln, die praktisch mitten im Zentrum lagen. Auf der Straße waren viele Touristen unterwegs, um die entspannte Kleinstadtatmosphäre der Insel und den warmen Spätsommerabend zu genießen. Sie schlenderten umher, blieben vor Schaufenstern stehen oder lasen die Speisekarten an den zahlreichen Restaurants und Cafés.

Carver parkte das Motorrad und stieg ab, wobei er den Helm aufbehielt und den Pizzakarton in die Hand nahm. Wer ihn nur flüchtig ansah, würde einen Pizzalieferanten sehen. Nur ein sehr aufmerksamer Beobachter würde bemerken, dass Carver sich ein Paar Latexhandschuhe übergestreift hatte, während er auf die Tür des Hauses zuging, das aus dem 18. Jahrhundert stammte und in dem Ramzi Narwaz seine Liebschaften unterhielt. Ein paar Sekunden Arbeit mit einem Dietrich brachten Carver ins Haus.

Er sah sich kurz um; dann lief er den Hausflur entlang zur Hintertür, die auf einen kahlen Hof hinausging, wo eine Reihe Mülltonnen an der Mauer stand. Gleich gegenüber führte ein Durchgang auf die Parallelstraße. Erleichtert, dass es mehr als einen Ausgang gab, trennte sich Carver von der Pizzaschachtel und ging wieder ins Haus.

Die Wohnung lag im obersten Stock; es ging etliche Treppen weit nach oben. Auch diesmal waren die Schlösser kein Hindernis. Carver betrat die Diele, die am anderen Ende ein Fenster hatte, das vom Boden bis zur Decke reichte. Draußen war es fast dunkel, aber die Straßenlampen spendeten genug Licht, dass Carver noch etwas sehen konnte.

In dem Moment, da die Tür aufging, schaltete sich der Alarm ein, der von einem gewöhnlichen Magnetkontakt ausgelöst wurde. Carver hatte dreißig Sekunden lang Zeit. Schaffte er es nicht, den Alarm bis dann auszuschalten, würde automatisch die Polizei verständigt werden. Gleich links neben der Tür hing ein kleiner Tastenblock an der Wand, wie es die Pläne versprochen hatten. Der Kode, den Max genannt hatte, stimmte. Das Piepsen hörte auf.

Voraus lag ein kurzer Gang mit Schränken, links eine Tür zu einer winzigen Küche. Carver wandte sich nach rechts den Schränken zu und öffnete einen. Wintermäntel hingen darin. Dahinter befand sich ein weißer Metallkasten, der Herz und Gehirn des Alarmsystems enthielt. Carver nickte zufrieden und schloss den Schrank wieder.

Am Ende des Ganges gelangte man in einige offene Wohnräume. Die hatten mehr Klasse, als Carver angesichts ihres Besitzers und der Art ihrer Nutzung erwartet hätte. Da gab es keine blitzenden Glas-Chrom-Tische, keine verspiegelten Decken oder halbpornographischen Bilder. Stattdessen helle Wände, einen antiken Esstisch, auf dem eine Vase mit frischen Blumen stand, und drei große cremefarbene Sofas um einen Perserteppich. Ansonsten bestanden die Böden aus blankem Holz, das sich in Form von Balken an der Decke wiederholte. In eine Wand war ein Kamin eingelassen, daneben Bücherregale mit einer Hi-Fi-Anlage, ein paar Reihen Bücher und einer kleinen Sammlung Kristallvasen, Schalen und Skulpturen. Aus den gegenüberliegenden Ecken blinkten ihn zwei Infrarot-Detektoren an, die einen Einbrecher erfassen sollten, wenn er durchs Fenster einstieg.

Carver stellte den Rucksack auf den Boden, nahm die Stirnlampe heraus, schnallte sie sich um den Kopf, damit er die Hände frei hatte, und sah sich die Hi-Fi-Anlage genauer an. Dann klopfte er dahinter gegen die Wand, um sich zu vergewissern, dass sie massiv war, und nickte befriedigt.

Schließlich wandte er sich dem Rucksack zu und holte den Schraubenzieher und drei rechteckige Plastikkästchen von der Größe eines Taschenbuchs heraus, die an den langen Seiten leicht gebogen waren.

Das waren M-18 Claymores, Schützenminen, die man fernzünden konnte. Sie enthielten ein Kilo Plastiksprengstoff, umhüllt mit 700 kleinen Stahlkugeln. Die Außenhülle bestand aus Styropor und Fiberglas.

Carver nahm die Anlage aus dem Regal, schraubte die Rückseiten der Lautsprechergehäuse ab und schnitt die Lautsprecher heraus. Dann setzte er die Claymores in die Gehäuse, schraubte sie wieder zu und stellte sie an ihren alten Platz zurück. Beim Einschalten würden die tödlichen Kugeln in einem Bogen in den Raum und durch die dünne Küchen- und Flurwand geschossen werden. Jeder, der ihnen im Weg stand, würde in mundgerechte Happen zerteilt. Carver steckte Schraubenzieher und Drahtschere in die Außentasche am Hosenbein und begutachtete sein Werk.

Die Verwandlung war nicht zu bemerken. Wenn Narwaz seine Anlage in der ersten Minute nach Betreten der Wohnung einschaltete, mochte er misstrauisch werden, weil aus den Lautsprechern kein Ton kam. Allerdings hätte er dann auch gerade erst einen Mordanschlag überlebt. Er würde nicht in der Stimmung für Musik sein.

Carver arbeitete ohne Hast, aber in einem gleichmäßigen Tempo, das ihn schnellstmöglich aus der Wohnung bringen würde, ohne dass ihm achtlose Fehler unterliefen. Er nahm den Rucksack und ging aus dem Wohnraum durch den Flur und über die Eingangsdiele zum Schlafzimmer. Auch hier helle Wände, Holzboden, bodenlange Fenster und Vorhänge. Hier gab es nur einen Bewegungsmelder. Das Bett war das extravaganteste Stück in der Wohnung: ein wunderschönes viktorianisches Messinggestell mit glänzenden Querstangen und gedrehten Knäufen.

Carver wollte weitergehen, als ihm am Fußende etwas ins Auge fiel. Er richtete die Lampe darauf und fand eine kleine Reisetasche. Sie hatte ein Vuitton-Muster.

Die Tasche war offen und halb voll mit weiblichen Kleidungsstücken. Daneben lag eine kleine, glänzende Chanel-Tüte. Eine weiße Jeans lag neben einer kurzen Jeansjacke auf der Tagesdecke. Beim Bett stand ein Paar Leinenslipper passend in Weiß. Carver ging um das Bett herum und zu einer Tür, die ins benachbarte Bad führte. Auf dem Bord über dem Waschbecken standen zwei Taschen, eine mit Make-up, die andere, größere mit Shampoo, Bodylotion und ähnlichen Utensilien.

Die Entdeckung riss ihn aus seiner glatten, selbstzufriedenen Routine. Max hatte ihm nicht gesagt, dass Narwaz mit einer Freundin hier sein würde. Sie war offensichtlich angekommen, hatte sich umgezogen und war ausgegangen. Wenn sie jetzt bei Narwaz war, würde sie mit ihm sterben. Carver zog sein Telefon hervor und wählte eine britische Mobilfunknummer.

»Sie haben nichts von der Frau gesagt.«

»Wozu? Das ändert nichts an dem Auftrag.«

»Für mich schon. Ich bin hergekommen, um einen gefährlichen Terroristen auszuschalten. Die Freundin hat nichts damit zu tun. Sie wissen, dass ich keine Unbeteiligten umbringe, Max.«

Carver hörte ein Lachen am anderen Ende der Leitung.

»Natürlich tun Sie das. Sie wollen es sich nur nicht eingestehen. Der Albanier – hat der seinen Hubschrauber etwa selbst geflogen? Er hatte einen Piloten, Carver.«

»Der Pilot wusste, was er tat. Er wurde bezahlt.«

»Na und? Das Täubchen etwa nicht? Sehen Sie, es spielt keine Rolle, ob die Zielperson die Freundin, den Chauffeur, den Leibwächter oder die ganze Familie bei sich hat. Es kümmert mich nicht, ob er die Tambourmajorinnen der Dagenham Diamonds in seine Bude zu einer Party einlädt. Wir pusten sie allesamt weg. Dieser miese Bastard will einen heiligen Krieg vom Zaun brechen. Es stehen Millionen Menschenleben auf dem Spiel. Also muss er verschwinden. Kollateralschäden sind nicht unser Problem.«

Carver schwieg. Er hatte während seines Militärdienstes gegen blutige Diktatoren gekämpft, die Kriege verloren hatten und an der Macht geblieben waren. Er hatte psychopathische Terroristen gejagt, die sich irgendwie zu friedliebenden Politikern verwandelt hatten, per Handschlag in der Downing Street und lächelnd auf dem Rasen des Weißen Hauses begrüßt wurden. Er und seine Männer hatten zahllose alte Frachter und Fischerboote voller Drogen und Waffen geschnappt, aber das hatte nicht das Geringste bewirkt. Niemand zahlte für seine Taten, und sie wurden von keiner Regierung daran gehindert.

Jetzt war er in der Lage, es den Schurken mit gleicher Münze heimzuzahlen. Carver glaubte, die Welt mit seiner Arbeit ein wenig besser und sicherer zu machen. Manchmal gerieten Leute in die Schussbahn. Das war der Preis für seine Arbeit. Stets verdrängte er die Zweifel aus seinem Bewusstsein und verschloss sie in demselben mentalen Verlies, wo schon so viele Skrupel, Ängste und Erschütterungen weggesperrt waren.

Max brach das Schweigen. »Sind Sie noch dran? Wenn Sie nämlich zu dem Job nicht bereit sind, dann sagen Sie es jetzt. Ich kann es mir nicht leisten, dass die Sache vermasselt wird.«

»Ich sag Ihnen was, Max. Kommen Sie doch her; marschieren Sie durch die Vordertür, und warten Sie sechzig Sekunden. Stellen Sie doch selbst fest, ob ich bereit bin.«

»Das hört sich schon mehr nach Ihnen an. Einen Moment lang habe ich geglaubt, Sie könnten es verlernt haben. Sie haben es doch nicht verlernt, Carver, oder? Ich fange an, mir Sorgen zu machen.«

»Lecken Sie mich doch am Arsch.«

Carvers Ton war aggressiv und selbstgefällig. Im Stillen fragte er sich jedoch, ob Max vielleicht Recht hatte. Konnte er es nicht mehr? Im Sinne von ganz normaler Befähigung lautete die Antwort zweifellos nein. Er hielt sich in Form, warf sein Geld nicht für Drogen oder Scheidungen aus dem Fenster und gehörte nicht zu den militärischen Relikten, die in den Pubs von Hereford und Poole saßen, um anderen alten Soldaten, die sich genauso verloren fühlten wie sie selbst, pathetisch und überzogen ihre Kriegserlebnisse zu erzählen. Nein, er hatte seine Befähigung für die Aufträge nicht verloren. Aber vielleicht verlor er den Geschmack daran.

Carver hatte schon vor langer Zeit festgestellt, dass seine Stärke nichts mit Muskeln, Schusswaffen oder Sprengstoffen zu tun hatte. Sie lag in seinem Verstand und seiner Beobachtungsgabe, in seiner Willenskraft und in seiner Überzeugung. Irgendwo in ihm gab es einen Zorn und eine Trauer, die er sich nie ganz eingestanden, die ihn aber stets angetrieben hatte. Wenn dieser Treibstoff zur Neige ging, wenn die Willenskraft einmal nachließ ... nun, was dann?

Dieser Auftrag könnte durchaus sein letzter sein. Also sollte er ihn lieber gut erledigen. Und ihn überleben.

Die dritte Mine wanderte ins Schlafzimmer an die Wand am Kopfende und wurde mit Kissen verdeckt. Die Tasche der Frau stand dabei rechts neben ihm. Carver roch den schwachen Duft, der von ihren Sachen aufstieg. Er fragte sich, ob sie über ihren Geliebten Bescheid wusste. Verfolgte sie dieselben Ziele? Oder war sie nur eine junge, hübsche Frau, die sterben würde, weil sie sich von einem reichen Mann hatte verführen lassen?

»Himmel nochmal!«, murmelte er. »Konzentrieren!« Carver hatte noch drei Vorrichtungen zu verteilen: die Gefrierbeutel mit dem C4. Einen klebte er in den Spülkasten der Toilette und steckte einen kleinen Funkdetonator hinein. Die zweite Tüte mit Detonator kam in einen der Hängeschränke in der Küche. Die Claymores würden zwar bis dahin vordringen, aber er wollte sich nicht darauf verlassen. Zu viele Leute hatten schon einen Anschlag überlebt, weil die Bombe doch nicht so stark gewesen war wie angenommen. Für ein zuverlässiges Ergebnis musste man von zwei Seiten töten.

Der letzte Beutel samt Sprengkapsel wurde unter einer Konsole in der Diele angebracht. Jedes Zimmer der Wohnung war nun todbringend. Jetzt musste Carver die Bomben nur noch hochjagen.

Er kehrte zu seinem Rucksack zurück und nahm ein Plastikgerät heraus, das wie ein Miniradio aussah. Unten hingen zwei Drähte heraus; oben war eine ausziehbare Antenne, ein Schalter und eine rote Kontrolllampe. Carver ging an den Garderobenschrank, öffnete den Kasten des Alarmsystems und hing sein Gerät an die Anschlüsse des Türsensors. Dann schaltete er es ein. Das rote Lämpchen fing an zu blinken: Das Gerät war in Bereitschaft.

Sobald das Alarmsystem aktiviert wurde, würde sich die Anlage einschalten. Jede Unterbrechung im Überwachunsschaltkreis wie etwa das Öffnen der Wohnungstür würde einen Schalter betätigen und den Sechzig-Sekunden-Auslöser aktivieren. Aber der ließ sich im Gegensatz zu dem Alarm nicht abstellen. Die Eingabe des Kodes in den Tastenblock würde nichts ändern. Der Zeitzünder zählte die Sekunden herunter und schickte sein tödliches Signal an die Sprengsätze.

Die Falle war aufgestellt. Carver nahm die Stirnlampe ab und verstaute sie zusammen mit der übrigen Ausrüstung wieder im Rucksack. Er ging noch einmal alles durch und vergewisserte sich, dass alles so war, wie er es vorgefunden hatte, und nichts liegengeblieben war. Beim Hinausgehen schaltete er den Alarm wieder ein. Wenn zum nächsten Mal jemand durch die Tür trat, würde die ganze Wohnung hochgehen.

Unten im Hausflur wandte sich Carver zur Hintertür und betrat den Hof. Er stellte den Rucksack ab und nahm alles heraus, was er für den Rest der Operation brauchen würde, samt einer schwarzen Mülltüte. Die öffnete er, um den Rucksack mit dem verbliebenen Inhalt hineinzustecken; dann lief er die Straße hinunter und steckte die Tüte in der Seitengasse neben einem Bistro in eine Mülltonne, wo er sie unter eine Lage Restaurantabfälle stopfte.

Carver kehrte zu seinem Motorrad zurück. Unterwegs rief er Max an.

»Die Wohnung ist erledigt. Wo wollen Sie mich jetzt haben?«

Er bekam seine Instruktionen und vergewisserte sich noch einmal über jeden Schritt der Operation. Seine schwachen Momente waren fürs Erste jedenfalls vorbei. Jahre geistiger Disziplin hatten dafür gesorgt, dass Carver sich allein mit den technischen Details seiner Arbeit befasste und jedwedes menschliche Gefühl verdrängte.

4

Knappe anderthalb Kilometer von Narwaz’ Wohnung entfernt gingen zwei Männer unter falschem Namen in einem Gebäude mit falschen Besitzurkunden ihrer Arbeit nach. Einen kannte Carver unter dem Namen Max. Sein Gesicht hatte das gefurchte, halb verhungerte Aussehen eines Jockeys oder Rolling Stone. Seine stahlgrauen Haare waren millimeterkurz. Er trug eine randlose Brille, einen anthrazitfarbenen Anzug, ein weißes Leinenhemd und eine hellbraune Strickkrawatte.

Seine krasse Modernität passte nicht in die unmittelbare Umgebung. Er hatte soeben den Salon eines Stadthauses aus dem achtzehnten Jahrhundert betreten, das verschwenderisch und extravagant eingerichtet war. Es hatte über drei Meter hohe Decken, einen Marmorkamin, antike Möbel, Perserteppiche und eine Ahnengalerie mit schweren Goldrahmen. Überformatige Bildbände und Hochglanzmagazine stapelten sich dekorativ auf den Beistelltischen. Wer diese Innenausstattung gewählt hatte, wollte die Pracht einer vergangenen Zeit wachrufen. Da war kein Vorhang, Lampenschirm oder Sesselbezug, an dem keine Fransen oder Quasten baumelten.

Max schaute sich angewidert um. Die Wohnung sah wie ein blödes Museum aus. Er lenkte seine Aufmerksamkeit auf den älteren Mann in beiger Kordhose, grünem Pullover und hellblauem Button-Down-Hemd, der mit einem Glas Whisky in der Hand am Kamin stand. Der Mann war kräftig gebaut und setzte Fett an, da die Zeit, die Schwerkraft und ein Mangel an Sport ihren Tribut forderten.

»Ich habe Nachricht von Carver, Sir.«

Der Firmentitel dieses Mannes lautete ›Operationsvorstand‹. Einige Mitarbeiter nannten ihn O.D. Wenn er den Eindruck von Freundschaft vermitteln wollte, sagte er: »Nennen Sie mich Charlie.« Aber Max zog das ›Sir‹ vor. Er war mit seinen Bossen noch nie gern vertraulich geworden – sonst nahmen sie sich noch Freiheiten heraus. Immer nett und höflich bleiben, dann wusste jeder, woran er war.

»Wie kommt er voran?«, erkundigte sich der O.D. Er klang müde. Er strich sich durchs Haar und über den Hinterkopf. In den vergangenen zwei Tagen hatte er kaum drei Stunden geschlafen. Sie hatten unter Druck gearbeitet und zu viele Kurven geschnitten.

Max fragte sich, ob der alte Mann noch für solche Operationen geeignet war. »Gut«, sagte er. »Aber es gibt da eine Sache ... Sieht aus, als hätte er einen plötzlichen Anfall von Gewissen gehabt.«

»Tatsächlich? Wieso?«

»Er hat sich Sorgen gemacht, dass unbeteiligte Leute umkommen könnten.«

Der O.D. lachte, riss sich aber sofort wieder zusammen, als er Max’ missbilligenden Gesichtsausdruck sah. »Verzeihung«, sagte er. »Anscheinend macht sich die Anstrengung bemerkbar. Aber Sie sehen sicher die Ironie dabei.«

»Ja, natürlich.«

»Gut, sind die Russen an ihrem Platz?« Der O.D. stieß einen kurzen frustrierten Seufzer aus. »Es gefällt mir ganz und gar nicht, wenn wir bei solch einer Aufgabe neue Leute einsetzen. Der Chairman hat mir allerdings versichert, dass sie phantastisch seien. Er muss es wissen.«

»Sie sind in Position«, antwortete Max, »und die Überwachungsteams sind bereit. Sobald etwas zu sehen ist, werden wir sofort handeln können.«

»Ausgezeichnet«, sagte der O.D. »Warten wir, dass die Show beginnt.«

5

Mitternacht war eine Viertelstunde vorbei. Samuel Carver hatte die Honda zwischen den Schenkeln und wartete darauf, dass es losging. Er blickte nach unten auf das schwarze Metallrohr, das hinter seinem rechten Bein an die Maschine geklemmt war. Es sah aus wie eine normale Taschenlampe mit langem Griff, wie sie von der Polizei und Sicherheitsdiensten benutzt wurde. Stattdessen handelte es sich jedoch um einen mobilen Diodenpumplaser, der auch Blender genannt wurde. Nachdem er als nicht tödliche Waffe für die amerikanische Polizei entwickelt worden war, war er von Spezialeinsatzkräften auf der ganzen Welt begeistert übernommen worden. Er emittierte einen grünen Laserstrahl auf einer Wellenlänge von 532 Nanometern. Sein Spitzname war allerdings irreführend. Wenn einem der Strahl in die Augen schien, wurde man nicht nur geblendet. Man war danach vollkommen handlungsunfähig.

Ein grüner Laserstrahl machte jeden, der hineinsah, orientierungslos, verwirrt und zeitweilig bewegungsunfähig. Das menschliche Gehirn konnte die schiere Lichtmenge nicht verarbeiten, die durch die optischen Nerven strömte. Daher reagierte es wie jeder überlastete Computer: Es stürzte ab.

Ob Nacht oder Tag, Regen oder Sonne, ein Blender war für einen Unfall genau das Richtige.

Es war nur noch eine Sache von Sekunden. Carver hatte sich an der Ausfahrt einer Unterführung positioniert, die unter einer Uferstraße an der Nordseite der Seine verlief. Wenn er den Kopf ein wenig nach rechts drehte, konnte er über den Fluss auf die leuchtende Spitze des Eiffelturms sehen, die in den Nachthimmel stach. Es waren noch einige Vergnügungsdampfer auf dem Wasser. Wäre Carver im geringsten interessiert gewesen, er hätte die Liebespaare Arm in Arm an der Reling stehen und auf die Lichter der Stadt schauen sehen. Doch er musste an andere Dinge denken. Carver schaute zur anderen Seite der Unterführung. Ihn interessierte nur der Verkehr.

Es war so weit. Carver atmete tief durch, senkte die Schultern, entspannte die Muskeln und ließ den Kopf kreisen, um den Nacken zu lockern. Dann sah er wieder auf die Straße.

Mehrere hundert Meter entfernt entdeckte er einen schwarzen Mercedes. Er fuhr schnell – viel zu schnell.

Hinter dem Wagen erschien der Grund für seine hohe Geschwindigkeit. Er wurde von einem Motorrad gejagt, das dröhnend hinter ihm herjagte wie eine angriffslustige Wespe. Der Mann auf dem Sozius hielt eine Kamera, mit der er sich zur Seite beugte und seine Blitzlichter abfeuerte, ohne auf die eigene Sicherheit zu achten. Er sah ganz nach einem Paparazzo aus, der seinen Hals für einen exklusiven Schnappschuss riskierte.

Schöner Beruf, dachte Carver, während er dem Raserteam bei der Arbeit zusah. Er ließ den Motor an und machte sich fahrbereit.

Einen Moment lang stellte er sich die Passagiere in dem Wagen vor, wie sie ihren Fahrer drängten, sich von den schonungslosen Verfolgern abzusetzen.

Alles lief nach Plan. Carver rollte bergab auf die Straße zu, die aus dem Tunnel kam.

Als er die Einmündung zur Tunnelstraße erreichte, tauchte aus der Unterführung ein fünftüriger grauer Citroën BX auf. Carver ließ ihn vorbei und bemerkte zwei Araber auf den Vordersitzen. Ein weiterer Wagen fuhr vorbei, ein Ford Ka. Carver steuerte sein Motorrad in die Straßenmitte.

Er kreuzte auf die andere Seite der Fahrbahn; dann wendete er die Honda, fädelte sich in den Verkehr und schoss hundert Meter voran zur Ausfahrt der Unterführung. Dort standen eine Reihe Pfeiler in der Straßenmitte, die das Tunneldach stützten und die beiden Fahrspuren voneinander trennten. Carver hielt am letzten Pfeiler an und griff nach dem Blendlaser.

Dabei fiel ihm etwas auf.

Am Tunneleingang erschien ein alter weißer Fiat Uno. Er fuhr die vorschriftsmäßigen fünfzig Stundenkilometer und war somit nur halb so schnell wie der Wagen und das Motorrad, das hinter diesem herraste.

Carver kniff die Augen zusammen, als er den Laser aus seiner Jacke hervorzog. Ärgerlich zuckte er mit den Mundwinkeln. Das gehörte nicht zum Plan.

Der Mercedes und das Motorrad näherten sich dem weißen Kleinwagen mit halsbrecherischer Geschwindigkeit. Es lagen noch hundert Meter zwischen ihnen ... fünfzig ... zwanzig ...

Der Mercedes brauste auf der rechten Spur hinter den Fiat und scherte nach links zum Überholen aus. Dem Motorradfahrer blieb keine Wahl. Er musste andersherum überholen und sich zwischen den Fiat und die Tunnelwand quetschen. Ohne ihn zu streifen, schoss das Motorrad durch die Lücke und auf die freie Bahn.

Der Mercedes hatte dieses Glück nicht. Der vordere Kotflügel auf der Beifahrerseite erfasste den Fiat von hinten, krachte in dessen Rücklichter und zerbeulte das dünne Blech.

Durch den Tunnel hallte das Motorengeheul, das Klirren der Plastiksplitter, der blecherne Knall des Zusammenstoßes. Doch unter dem Helm fühlte sich Carver isoliert, unbeeinträchtigt von dem Chaos, das auf ihn zuraste.

Er konnte beobachten, wie der Fahrer des Mercedes versuchte, ein Schleudern seines Fahrzeugs zu verhindern. Der Kerl war gut. Der Wagen fing sich wieder. Jetzt kam er auf Carver zu.

Carver stand so still wie ein Matador, der dem herangaloppierenden Stier entgegensieht. Er hob den Laser und zielte auf die Windschutzscheibe. Dann drückte er den Schalter.

Das Licht leuchtete augenblicklich auf. Ein Strahl überbrückte die rasch kleiner werdende Entfernung zwischen Carver und dem anbrausenden Mercedes. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, dann war der Lichtstrahl wieder verschwunden; aber der Schaden war angerichtet.

Der Mercedes schlingerte nach links. Irgendwo tief im instinktiven Gehirnteil des Fahrers musste ein Alarmsignal ertönt sein. In dem verzweifelten Versuch, den Wagen zum Halten zu bringen, trat er das Bremspedal durch.

Er hatte keine Chance. Der zwei Tonnen schwere Wagen krachte gegen einen der Mittelpfeiler; die rasende Fahrt endete in plötzlichem Stillstand. Die Motorhaube knautschte zusammen, genau so wie sie sollte, um dem Aufprall etwas von seiner Wucht zu nehmen.

Doch da war zu viel Geschwindigkeit, zu hohes Gewicht, zu viel Wucht im Spiel. Der zerdrückte Mercedes prallte von dem Pfeiler ab und schleuderte auf die Straße zurück. Schließlich blieb er in der Mitte der Straße stehen, mit der Front gegen die Fahrtrichtung.

Vorne sah er aus wie ein Matchboxauto, das von einem Baseballschläger getroffen worden war, denn Kühlerhaube und Motorraum waren U-förmig eingedrückt. Die Windschutzscheibe war zersplittert, ebenso alle anderen Scheiben. Das linke Vorderrad war nach außen verbogen, das Rad auf der anderen Seite in die Karosserie geschoben. Über den Vordersitzen war das Dach aufgerissen und in den Innenraum gedrückt. Der Druck von vorn und von oben hatte alle vier Türen geöffnet.

Aus dem Wagen kam kein Lebenszeichen. Carver wusste, dass die Chancen minimal waren, einen solchen Aufprall zu überleben. Aus den Augenwinkeln heraus sah er ein Auto in der Gegenrichtung an sich vorbei und in den Tunnel fahren.

Der Fiat kam aus der Unterführung. Carver sah kurz das Entsetzen des Fahrers. Dann fiel ihm noch etwas auf: ein Hund auf dem Beifahrersitz. Er ließ die Zunge heraushängen und hechelte zufrieden. Die Zerstörung, die hinter ihm verschwand, bedeutete ihm nichts.

Carver klemmte den Laser wieder an den Motorradtank. Er war versucht, zu dem Unfallwrack zu gehen und zu prüfen, ob die Zielperson tot war, aber das hatte nur wenig Sinn. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass jemand den vernichtenden Aufprall überlebt hatte, gab es nichts, was Carver hätte tun können, ohne der Polizei eine Spur zu hinterlassen. Und selbst wenn Ramzi Hakim Narwaz noch am Leben sein sollte, würde er in nächster Zeit keine Terrorpläne mehr schmieden.

Es war Zeit, sich aus dem Staub zu machen. Am anderen Ende des Tunnels waren ein paar Fußgänger zu sehen, die herüberspähten und sich nicht entscheiden konnten, ob sie zu den Verunglückten hinlaufen sollten oder nicht. In der Ferne hörte Carver Motorräder brummen, die sich rasch näherten. Die Leute würden Kameras bei sich haben. Ihnen würden Polizei, Notarzt und Feuerwehr folgen.

Wenn sie eintrafen, wollte Carver nicht mehr da sein. Er musste verschwinden, bevor jemand auf die Idee kommen konnte, dass das kein gewöhnlicher Verkehrsunfall gewesen war. Carver drehte um hundertachtzig Grad und fuhr die Ausfahrt aus dem Alma-Tunnel hinauf.

Sonntag, 31. August

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Das andere Motorrad hielt zweihundert Meter weit entfernt auf der Avenue de New York, direkt unter dem neoklassizistischen Gebäude des Palais de Tokyo, in dem das Museum der modernen Künste untergebracht ist.

Grigori Kursk auf der Ducati M900 Monster stellte die Füße auf den Boden und schob das Visier hoch. Er hatte ein räuberisches Grinsen im Gesicht, und in den Augen brannte der gierige Hunger eines Mannes, für den das Töten nicht nur ein Beruf, sondern ein Zwang war – ein Zwang, den er befriedigen würde, ob er nun dafür bezahlt wurde oder nicht.

Kursk drehte sich zu seinem Sozius um, der soeben die Kamera in einer der beiden Packtaschen verstaute. »Hast du das gesehen?«, krächzte er auf Russisch. »Hast du das Gesicht des Fahrers gesehen? Der jämmerliche Bastard wusste gar nicht, was er tun sollte. Jetzt ist er französische Pastete!«

Er schwieg eine Sekunde, dann kam er zum Geschäftlichen, und seine Stimme wurde ruhiger. »Gut, das war so einfach, wie ich es versprochen habe. Jetzt lass uns fahren und die andere Hälfte des Geldes holen.«

»Aber mach schnell, es ist höllisch unbequem hier hinten«, erwiderte sein Mitfahrer. »Ich habe die Knie an den Ohren.«

Kursk lachte. »Ha! Ich dachte, das gefällt dir!« Er wandte sich wieder dem Lenker zu und fuhr ein paar Meter weiter, bis er eine Lücke zwischen den parkenden Autos gefunden hatte, die für das Motorrad groß genug war. Er stellte sich so hin, dass er aus der Kurve blicken und das andere Ende des Tunnels sehen konnte.

Der Russe nahm ein Nachtsichtgerät aus der Brusttasche seiner Lederjacke und hielt es ans rechte Auge. Er suchte nach dem Mann, der dort mit einem Motorrad gestanden hatte. Kursk wusste nur zwei Dinge über ihn: Er war bei den britischen Spezialkräften gewesen, und er war sein nächstes Ziel.

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