Tatort Lehrerzimmer - Hans-Werner Lücker - E-Book

Tatort Lehrerzimmer E-Book

Hans-Werner Lücker

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Oberstudienrätin Sabine Neudahl hat als Gymnasiallehrerin den für sie falschen Beruf gewählt – ganz im Gegensatz zu ihrem engagierten und dynamischen Kollegen und Oberstufenleiter Michael Wagner. Und dennoch sind die Geschicke des ungleichen Paares auf vielfältige – bisweilen konfliktreiche und tragische – Weise miteinander verbunden. In diesem Spannungsfeld werden der Lebensraum Schule und die Charaktere der Protagonisten bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 166

Veröffentlichungsjahr: 2023

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über das Buch

Oberstudienrätin Sabine Neudahl hat als Gymnasiallehrerin den für sie falschen Beruf gewählt – ganz im Gegensatz zu ihrem engagierten und dynamischen Kollegen und Oberstufenleiter Michael Wagner.

Und dennoch sind die Geschicke des ungleichen Paares auf vielfältige – bisweilen konfliktreiche – Weise miteinander verbunden.

In diesem Spannungsfeld werden der Lebensraum Schule und die Charaktere der Protagonisten bis in den letzten Winkel ausgeleuchtet.

Auch wenn mich meine Erfahrungen aus knapp vierzig Jahren im Schuldienst beim Schreiben inspiriert haben, so sind doch alle Personen, Ortsangaben und Handlungen frei erfunden.

Hans-Werner Lücker im August 2023

Über den Autor

Hans-Werner Lücker, geboren 1953, ist pensionierter Gymnasiallehrer mit den Fächern Mathematik, Physik und Informatik. Er widmet sich seit fünfzehn Jahren dem Schreiben.

Nachdem er sich zunächst vorwiegend mit der Lyrik beschäftigte, hat er sich in seinen letzten Büchern der erzählenden Literatur zugewandt.

Eine in Bildern festgehaltene Aufstellung seiner bisher erschienenen Werke befindet sich am Ende dieses Buches.

Hans-Werner Lücker

Tatort Lehrerzimmer

Roman

Ich freue mich über eine Rückmeldung auf meiner Facebook-Autorenseite:

www.facebook.com/hanswernerluecker

© 2023 Hans-Werner Lücker

ISBN:

978-3-347-99227-6 (Paperback)

 

978-3-347-99228-3 (Hardcover)

 

978-3-347-99229-0 (e-Book)

Umschlagfoto: Hans-Werner Lücker

Druck und Distribution im Auftrag:

tredition GmbH, Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH, Abteilung "Impressumservice", Heinz-Beusen-Stieg 5, 22926 Ahrensburg, Deutschland.

Inhalt

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

1. Ein Tag im Dezember

Jeden Morgen

Höllenfahrt

Im Lehrerzimmer

Die Englischstunde

Besuch im Oberstufenbüro

2. Schicksalswochen

Abschied

Wieder im Dienst

Auf Dünnem Eis

Unter vier Augen

Doppelter Deal

3. Enttäuschungen

Beim Hausarzt

Aber lassen wir das

Hilferufe

Tiefkühlpizza

Eine Affäre?

4. Elternsprechtag

Wetten, dass …?

Die Schule füllt sich

Die Mittagspause

Das Ende im Lehrerzimmer

5. Der Schlussstrich

Die Ankunft der Kraniche

Dicke Luft

Zu Besuch

SOKO „Empore“

Die Handtasche

Tatort Lehrerzimmer

Cover

Titelblatt

Urheberrechte

1. Ein Tag im Dezember

5. Der Schlussstrich

Tatort Lehrerzimmer

Cover

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

32

33

34

35

36

37

38

39

40

41

42

43

44

45

46

47

48

49

50

51

52

53

54

55

56

57

58

59

60

61

62

63

64

65

66

67

68

69

70

71

72

73

74

75

76

77

78

79

80

81

82

83

84

85

86

87

88

89

90

91

92

93

94

95

96

97

98

99

100

101

102

103

104

105

106

107

108

109

110

111

112

113

114

115

116

117

118

119

120

121

122

123

124

125

126

127

128

129

130

131

132

133

134

135

136

137

138

139

140

141

142

143

144

145

146

147

148

149

150

151

152

153

154

155

156

157

158

159

160

161

162

163

164

165

166

167

168

169

170

171

172

173

174

175

176

177

178

179

180

181

182

183

184

185

186

187

188

1. Ein Tag im Dezember

Jeden Morgen

„Puh, it‘s raining cats and dogs!“, flucht Sabine Neudahl, als sie an einem frühen Dezembermorgen das Gartentor öffnet und mit kurzen, schnellen Schritten zur Haustüre eilt.

Ihr Begleiter hat allerdings noch etwas dagegen. Er schnüffelt in aller Seelenruhe an seinem Lieblingsexemplar unter den Holzpalisaden, die die gepflegten Vorgartenbeete einsäumen.

„Leo, nun komm endlich!“ Die Frau im Regencape zieht mit einem kräftigen Ruck an der Hundeleine, während sie mit der freien Hand den Schlüssel ins Türschloss steckt.

Der schon betagte Boxerrüde trottet durch die Pfützen auf den im Licht der Straßenlaterne blaugrün glänzenden Bodenplatten aus Carat seiner Besitzerin hinterher.

„So ist es gut!“ Frau Neudahl tätschelt den klitschnassen Kopf ihres vierbeinigen Freundes.

„Du bist ein braver Hund.“

Sie erlaubt sich einen kurzen Seufzer, bevor sie in die Diele tritt. „Wenn ich dich nicht hätte!“

Jeden Morgen dreht die Lehrerin vor dem Frühstück mit ihrem Hund die für beide obligatorische Runde durch die Felder hinter dem Neubaugebiet der kleinen Westerwaldgemeinde.

Jeden Morgen geht sie dabei in Gedanken den vor ihr liegenden Unterrichtstag durch, den sie am Gymnasium der Kreisstadt zu absolvieren hat.

Und jeden Morgen beschwört sie die Vorstellung, sie hätte ihre Englischstunden schon hinter sich gebracht.

„Guten Morgen!“ Die Heimkehrerin greift in der Küche die Teekanne von der Anrichte und setzt sich zu ihrem Ehemann an den Frühstückstisch.

Friedrich Neudahl blättert, ohne den Blick von der Tageszeitung in seinen Händen abzuwenden, eine Seite um und brummt ein kaum vernehmbares „Morgen“.

Leo tapst in die Küche, schaut in die Runde und schafft es tatsächlich, dass die Speisenden ihr Schweigen unterbrechen.

„Dein Hund versaut mit seinen Dreckspfoten den gesamten Fliesenboden.“ Der Hausherr lässt die Zeitung auf seinen Schoß sinken. Sichtlich ungehalten blickt er über die Ränder der Lesebrille seine Frau an, während die Fingerspitzen der rechten Hand auf die Tischplatte tippen.

„Er hat eben auch Hunger!“ Die Gescholtene springt trotzig auf, um den Napf vor dem Heizkörper unterm Küchenfenster mit Leos Lieblingsfutter zu füllen. Der Boxer widmet sich auch gleich mit sabberndem Maul dem leckeren Angebot.

„Ja – friss schön, mein Lieber!“ Sabine setzt sich wieder an den Tisch und hüstelt mehrmals nervös, ehe sie entschlossen ihre Worte an den Mann hinter der Zeitung richtet.

„Warum musst du eigentlich immer betonen, dass Leo mein Hund ist?“

Der Angesprochene faltet ebenso langsam wie akkurat die Zeitung zusammen und legt sie neben sich auf einen leeren Stuhl.

„Auf eine rhetorische Frage kannst du keine Antwort von mir erwarten.“ Und wieder trommeln seine Fingerspitzen auf die Tischplatte.

„Außerdem muss ich jetzt los.“ Unvermittelt steht er auf und geht in Richtung Küchentür. „Ich habe noch eine Besprechung mit meinem Stellvertreter.“

Aus den Augenwinkeln registriert er die aufkommenden roten Flecken am Hals und im Gesicht seiner Frau, die außer einem „Aber, aber …“ zu keinem weiteren Wort fähig ist.

Oberstudiendirektor Friedrich Neudahl hat keine Lust auf die leidigen Diskussionen.

Die Diskussion über den ihm lästigen Boxerhund, den seine Frau vor fünf Jahren mit in die spät geschlossene Ehe brachte.

Die Diskussion über eine Fahrgemeinschaft, wenn doch beide – zwar an verschiedenen Gymnasien – in der gleichen Stadt ihren Schuldienst leisten.

Und letztlich die Diskussion rund um das Thema „Belastung im Beruf“, das seine Frau die letzte Zeit umtreibt. Wenn er mit seinen 64 Jahren noch erfolgreich eine Schule leiten kann, so sollte sie doch als 50-Jährige fähig sein, ihre schon auf die halbe Stundenzahl reduzierte Stelle am Nachbargymnasium locker zu bewältigen.

Friedrich hat sich in der Diele Mantel und Aktentasche gegriffen und steckt noch einmal seinen Kopf durch den Türspalt in die Küche.

„Ich sag dann mal tschüss, Sabine.“ Ganz ohne Verabschiedung will er das Haus nun doch nicht verlassen.

„Vielleicht kannst du dich wenigstens in deinen Religionsstunden etwas entspannen.“ Dabei bemüht er sich, einen etwas freundlicheren und fast versöhnlichen Ton anzuschlagen.

Die Frau am Frühstückstisch ringt um Fassung. „Du solltest eigentlich wissen, dass ich seit drei Jahren nur noch in Englisch eingesetzt bin.“

Ihre schrille Stimme droht sich zu überschlagen. „Warum hörst du mir denn nie zu?“

Der Ehemann schüttelt verständnislos den Kopf und murmelt auf dem Weg durch die Diele vor sich hin: „Und schon wieder eine rhetorische Frage!“

Die unschuldige Haustür fällt krachend ins Schloss.

 

Höllenfahrt

„Du musst dich auf den Straßenverkehr konzentrieren!“ Sabine Neudahl erschrickt, ihre eigene Stimme zu hören, als sie ihren weißen Golf Cabriolet über die schmale und kurvenreiche Landstraße durch das enge Flusstal in Richtung Kreisstadt lenkt.

„Jetzt führe ich schon Selbstgespräche“, ermahnt sie sich und versucht, aus ihrem Gedankenkarussell zu steigen – umsonst.

Wie gerne säße sie bei diesem Regen und dazu noch Dunkelheit jetzt in der Audi-Limousine ihres Mannes, der die ihm seit Jahrzehnten vertraute Strecke im Schlaf fährt.

Als sie vor fünf Jahren nach der Sommer-Hochzeit in das feudale Wohnhaus einzog, erschien ihr die Entfernung zur Schule mit 25 Kilometer als Nebensache.

Immerhin hatte sie, die eine Ehe – womöglich sogar noch mit Familiengründung – für sich längst abgeschrieben hatte, in Friedrich Neudahl einen „Mann von Welt“ gefunden.

So sahen es jedenfalls damals ihre Eltern, die – immer besorgt um das Beste für ihre Tochter – sie zu diesem Schritt drängten.

„Du Idiot! Kannst du nicht abblenden?“

Das Fernlicht eines entgegenkommenden SUVs lässt den Puls der Oberstudienrätin in die Höhe schnellen.

Sie kann den rechten Fahrbahnrand der engen Straße nicht mehr deutlich erkennen, nimmt den Fuß vom Gaspedal und tritt kurz auf die Bremse.

Im Rückspiegel registriert sie, dass der Fahrer im Wagen hinter ihr bedrohlich nah aufgefahren ist und nach mehrmaligem Betätigen der Lichthupe nun mit seinem Gefährt an der Stoßstange des Golfs klebt.

Das ist zu viel für die Frau am Steuer. Die sich anbahnende Panikattacke ist nicht mehr aufzuhalten. Der sich weiterhin bedrohlich steigernde Pulsschlag treibt ihr die Röte ins Gesicht. Mit zitternden und schweißnassen Händen hält sie sich am Lenkrad fest und versucht das Dröhnen in ihrem Kopf zu bekämpfen, indem sie fortlaufend „Gleich ist es vorbei!“ laut herunterbetet.

Wie oft hat sie sich in ihrem Leben schon dieser Beschwörungsformel bedienen müssen, um angsterfüllte Momente und Situationen irgendwie überstehen zu können.

Nur so gelang es ihr beispielsweise die Schimpftiraden zu ertragen, wenn sie ein zwar für ihre Begriffe passables, aber in den Augen ihres Vaters grottenschlechtes Schulzeugnis mit nach Hause gebracht hatte.

Auch wäre sie während eines Auftritts als jugendliche, doch wenig talentierte Klavierspielerin beim Weihnachtskonzert der Musikschule am liebsten im Erdboden versunken. Auf Einladung der Mutter war dazu noch die gesamte Verwandtschaft angereist.

Selbst im Erwachsenenalter plagten sie Panikattacken weiterhin.

So erwies sich die schriftliche Abiturprüfung für Sabine als regelrechtes Martyrium, das mit einem niederschmetternden Ergebnis endete: Ihren Berufswunsch Tierärztin musste sie aufgrund des Numerus Clausus in den Wind schreiben.

Das stattdessen zügig aufgenommene Lehramtsstudium, zu dem der Vater sie auf die ihm eigene kompromisslose Art „überredet“ hatte, absolvierte sie fast ohne Probleme.

Aber eben nur fast – weil Sabine in den erforderlichen Schulpraktika das Auftreten vor der Lerngruppe kaum ertragen konnte. Sie versteckte ihre Aufregung hinter einer maskenhaften Mimik und legte eine gespielte Strenge an den Tag.

Beides half ihr mehr schlecht als recht, auch die anschließende Referendarzeit zu überstehen. Und niemand wollte ihr sagen, was sie selbst im Innersten spürte. Du bist für den Lehrerberuf eigentlich vollkommen ungeeignet.

Schon längst ist der Wagen hinter ihrem Golf verschwunden und auch der Regen hat aufgehört, als sich Pulsschlag und Atemfrequenz der Fahrerin allmählich wieder normalisieren.

Wie hast du dich denn wieder angestellt? Sabine fällt in ein hysterisches Lachen und schaut kurz zur Beifahrerseite, als wolle sie sich vergewissern, ob nicht doch ihr Vater neben ihr sitzt. So oft hatte sie in der Kindheit sich von ihm diesen Satz anhören müssen.

An der großen ampelgesteuerten Kreuzung hinter dem Ortseingangsschild der Kreisstadt staut sich der morgendliche Berufsverkehr mal wieder besonders lang.

Sabine nutzt die Wartezeit dazu, um im Spiegel der heruntergeklappten Sonnenblende ihre frisch gefärbte dunkelblonde Kurzhaarfrisur zu richten und das Rot auf ihren Lippen zu erneuern.

Die Autoschlange bewegt sich ein Stück vorwärts, ehe die Ampel wieder einen Stopp gebietet.

Hoffentlich komme ich nicht zu spät! Ein Blick auf ihre goldene Armbanduhr – das Hochzeitsgeschenk ihrer Eltern – könnte eigentlich die immer noch nervöse Golffahrerin beruhigen.

Stattdessen stöbert sie mit fahrigen Bewegungen in der Handtasche auf dem Beifahrersitz und fischt daraus ihr Rouge.

„Mist!“ Die geöffnete Puderdose ist auf ihren Schoß gefallen und hat dort sandfarbene Spuren hinterlassen.

Hektisch wischt Sabine mit dem rechten Handrücken über die Unfallstelle, was sich allerdings als schlechte Idee erweist: Sie reibt so erst recht die Farbe in den hellgrauen Stoff ihrer Hose.

Die Aktion hinterlässt zentral zwischen Bund und Schritt einen unübersehbaren braunen Fleck auf dem eleganten Beinkleid.

Die Fahrzeugkolonne rollt wieder nach vorne und auch der weiße Golf schafft es, in der Grünphase über die Kreuzung zu gelangen.

„Ich könnte ausflippen“, schimpft die Frau am Steuer vor sich hin, während sie die letzten Kilometer bis zur Schule zurücklegt.

„So kann ich unmöglich vor die Klassen treten.“

Auf dem Lehrerparkplatz fährt Sabine so dicht vor die Schranke, dass sie deren an einem seitlich stehenden Stahlpfosten angebrachtes Schloss durch das geöffnete Wagenfenster mit der Hand erreichen kann.

Aber wo ist jetzt der verdammte Schlüssel? In ihrer Handtasche kann sie ihn nicht finden.

Sollte ich den etwa in meinen Mantel gesteckt haben? Der aber liegt im Kofferraum.

„Guten Morgen, Frau Neudahl. Kann ich Ihnen behilflich sein?“ Ohne eine Antwort abzuwarten betätigt der Mann, dessen Wagen mit laufenden Motor hinter dem Golf wartet, mit seinem Schlüssel den Öffnungsmechanismus der Schranke.

Die Gefragte stottert ein leises „Da … da… danke“, ohne verhindern zu können, dass ihre Wangen erröten. Wie so häufig, wenn ihr Michael Wagner – der Oberstufenleiter des Gymnasiums – begegnet.

Gott sei Dank ist es noch dunkel!, denkt sie sich und lenkt ihr Auto auf den schon nahezu voll besetzten Parkplatz.

Es bereitet ihr Mühe, den Wagen in eine der wenigen verbleibenden Lücken zu rangieren. Immer wieder muss sie zurücksetzen, um einen neuen Versuch starten zu können. Mal gerät sie an der rechten Seite – mal an der linken – zu dicht an die benachbarten Fahrzeuge.

Und dann würgt sie auch noch den Motor ab – just in dem Moment, als neben der Fahrertür Herr Wagner erscheint.

„Warten Sie einen Moment. Ich weise Sie ein“, verkündet er durch das noch immer heruntergefahrene Seitenfenster.

Sabine Neudahl nickt stumm, obwohl ihr Blick Ich mag das nicht! zu sagen scheint.

Im Scheinwerferlicht ihres Wagens platziert sich der Kollege, schultert mit dem langen Tragegurt seine Schultasche und fordert die Frau am Steuer mit einer Handbewegung auf, den Motor wieder zu starten.

Die starrt gebannt auf die Daumen des Helfers, die ihr die erforderlichen Lenkbewegungen signalisieren.

„Geschafft!“ Michael Wagner zwängt sich durch die schmale Lücke zum Nachbarwagen an der Fahrertür vorbei.

„Dann noch einen schönen Tag, Frau Kollegin!“

Und wie geschafft ich heute Morgen bin!, denkt sich die Angesprochene, während sie im Rückspiegel dem Mann mit der sportlichen Figur hinterherschaut.

„Hat der jetzt etwa den Kopf geschüttelt?“ Der empörten Stimme folgt ein hysterisches Lachen.

„Das werde ich dich spüren lassen, mein Lieber!“

Es dauert eine Weile, bis sich Sabine über den Beifahrersitz aus ihrem Cabriolet ins Freie gerettet hat.

 

Im Lehrerzimmer

Es herrscht schon ein reges Treiben im Lehrerzimmer des Prinz-Maximilian-Gymnasiums. Die meisten der anwesenden Lehrkräfte halten an den jeweils mit sechs Sitzplätzen ausgestatteten Tischen ihren Morgenplausch.

Die ehemalige Aula des im 19. Jahrhundert erbauten Schulgebäudes ist beim Umbau zum Lehrerzimmer in der Bausubstanz erhalten geblieben. So wirkt der altehrwürdige Marmorboden zwar etwas kühl, aber die großen Fenster an der Südwest-Seite erhellen angenehm den Raum. Seine enorme Höhe hat man dazu genutzt, an der gegenüberliegenden Wand eine Empore zu errichten, auf der die Lehrerbibliothek und die Computerarbeitsplätze untergebracht sind.

Dort oben – über den Köpfen der anderen Lehrkräfte – sind einige Kolleginnen und Kollegen noch damit beschäftigt, Arbeitsblätter auszudrucken oder Emails zu checken, bevor der Schulgong auch sie zum Unterricht rufen wird.

An den ersten beiden Tischen vor der Eingangstür unterhalten sich lebhaft die Mitglieder der Fachschaft Mathematik.

Auch Michael Wagner hat sich zu ihnen gesellt, obwohl er hier keinen – wie für die anderen üblich – Stammsitzplatz hat. Als Oberstufenleiter verfügt er nämlich über ein eigenes Büro – samt einer seinem Verwaltungsbereich zugeordneten Sekretärin.

Seit seiner Beförderung auf die Funktionsstelle vor einem Jahr ist es ihm besonders wichtig, in persönlichem Kontakt mit den Fachkollegen zu bleiben – und dies nicht nur in dienstlichen Belangen.

Heute wird zwar zunächst über mögliche Änderungen des vom Oberstufenbüro entworfenen Kursarbeitsplans diskutiert, aber dann kommt beim Gespräch über den zu Beginn des zweiten Schulhalbjahres im Februar anstehenden Elternsprechtag unter den Anwesenden Heiterkeit auf.

„Als ich noch jung und unerfahren war“, berichtet Michael Wagner der Runde, „habe ich den Schülern meines Mathe-Grundkurses aus einer Laune heraus gesagt, sie sollten ihre Mütter vor dem Sprechtag noch zum Friseur schicken.“

„Das würde heute schon unter Diskriminierung von Frauen fallen“, stellt Kollegin Graf fest. „Ich hätte dir damals als Mutter aber gründlich die Leviten …“

„Warte ab!“, unterbricht sie der Gescholtene. „Es geht ja noch weiter.“ Er streicht seine Hand mit gespreizten Fingern durch den für einen 53-Jährigen noch dichten und kaum ergrauten dunkelblonden, kurz geschnittenen Haarschopf.

„Als die Klassenelternsprecherin – eine schon etwas ältere Frau aber auch Dame in Person – mit frisch gestylter betonharter Haarsprayfrisur vor mir saß …“ Der Erzählende schaut in die Runde, als wolle er sich der Aufmerksamkeit der Kollegen vergewissern.

„Da sagt die doch tatsächlich: ‚Also, Herr Wagner, ich war nicht beim Friseur. Aber Sie hätten dies mal besser getan!‘ “

Sein Zusatz „Ich hatte damals noch ziemlich lange Haare“ geht im Gelächter der Zuhörer unter. Just in diesem Moment öffnet sich hinter ihnen die Lehrerzimmertür.

Kollegin Neudahl hat den Raum betreten und ist sichtlich irritiert über die heitere, fast alberne Stimmung am Tisch der Mathematiker.

Hat der Wagner etwa über mich und mein Missgeschick auf dem Parkplatz gelästert?

In stocksteifer Körperhaltung geht sie mit schnellen Schritten zur Treppe, die auf die Empore führt.

Hoffentlich spricht mich niemand an! Hoffentlich spricht mich niemand an! Hoffentlich …

Eigentlich ist ihr gedankliches Herunterbeten der Beschwörungsformel überflüssig, denn keine der anwesenden Personen scheint von der Frau im dicken Wintermantel Notiz zu nehmen. Und das hat seine Gründe.

Nach der Hochzeit mit dem Leiter ihrer bisherigen Schule ließ sich Sabine Neudahl auf Wunsch ihres Mannes an das Nachbargymnasium versetzen.

Und wie das so in einer Kleinstadt häufig ist, kochte es schon in der Gerüchteküche, bevor die Englischlehrerin von ihrem neuen Chef dem Kollegium vorgestellt wurde.

So eilte ihr der Ruf voraus, sie sei arrogant – regelrecht unnahbar – und habe sich den um viele Jahre älteren Oberstudienrektor nur geangelt, um sich selbst aufzuwerten. Dabei sei sie fachlich alles andere als eine Koryphäe.

Natürlich bekam Sabine das schon in den ersten Tagen an der neuen Schule zu spüren. So zogen einige Damen der Fachschaft Englisch alle Register auf der Skala der Feindseligkeiten von demonstrativer Nichtbeachtung bis hin zur offenen Ablehnung.

Die Krönung der Geschmacklosigkeit leistete sich ein im Kollegium als Lästermaul berüchtigter Biologielehrer.

Er stand in der Küchenecke, schlürfte lautstark aus seinem rotweißen FC-Köln-Becher kohlrabenschwarzen Kaffee. Dabei musterte er die ihm noch unbekannte Frau im eleganten Hosenanzug, die neben ihm sich zögernd und unsicher nach einem sauberen Trinkgefäß umsah.

„Suchen Sie etwas?“, blaffte er sie an. Ohne eine Antwort abzuwarten, fügte er mit einem grunzenden Lachen hinzu: „Sicher den Verstand, den sie verloren haben!“