Tausendundeine Nacht - Muhsin Mahdi - E-Book

Tausendundeine Nacht E-Book

Muhsin Mahdi

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Beschreibung

Diese Neuübersetzung von Tausendundeine Nacht macht erstmals die älteste arabische Fassung der berühmten orientalischen Erzählsammlung auch deutschen Lesern zugänglich. Die Übersetzerin Claudia Ott führt uns mit einer Frische und Ungezwungenheit durch das Labyrinth der kunstvoll verwobenen Erzählfäden, daß man meint, Schahrasad selbst zu hören. Nicht mehr ein europäischer Orientalismus spricht durch Tausendundeine Nacht zu uns, sondern endlich der Orient selbst.Die nächtlichen Erzählungen von Schahrasad, mit denen sie ihren königlichen Gatten verzaubert und so ihre Tötung immer wieder aufschiebt, entführen den Leser in die Welt der Basare und Karawansereien, der weisen Kalifen und verschlagenen Händler, der vornehmen Damen und klugen Ehefrauen, der mächtigen Zauberinnen, Dschinnen und bösen Dämonen. Sie berichten von erotischen Vergnügen und harten Schicksalsschlägen. Wie kein anderes Werk ist Tausendundeine Nacht Inbegriff eines romantischen, exotischen Orientbildes. Dieses Orientbild geht allerdings nicht unmittelbar auf Tausendundeine Nacht zurück, sondern wurde seit dem 18. Jahrhundert von Europäern in die verschiedenen Übersetzungen und Sammlungen hineingetragen. Zudem wurden die Erzählungen dem europäischen Geschmack angepaßt, indem die zuweilen derbe Ausdrucksweise und unverblümte Erotik des Originals durch einen biederen Märchenstil ersetzt wurden. Nachdem Muhsin Mahdi 1984 die weitaus älteste Handschrift aus dem 14./15. Jahrhundert ediert hat, ist es jedoch möglich, die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht in einer von allen Übermalungen, Ausschmückungen und Prüderien der letzten Jahrhunderte freien Form kennenzulernen.

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Tausendundeine Nacht

Nach der ältesten arabischen Handschriftin der Ausgabe von Muhsin Mahdierstmals ins Deutsche übertragenvon Claudia Ott

 

 

 

 

 

Verlag C.H.Beck

Zum Buch

Die nächtlichen Schilderungen von Schahrasad, mit denen sie den grausamen König Schahriyar verzaubert und so ihre Hinrichtung immer wieder aufschiebt, entführen den Leser in die Welt der Basare und Karawansereien, der weisen Kalifen und verschlagenen Händler, der vornehmen Damen und klugen Ehefrauen, der mächtigen Zauberinnen und bösen Dämonen. Diese Neuübersetzung von „Tausendundeine Nacht“ macht, dreihundert Jahre nachdem das Werk durch Antoine Galland in Europa bekannt wurde, erstmals die älteste arabische Fassung in deutscher Sprache zugänglich. Frei von allen europäischen Übermalungen, Ausschmückungen und Prüderien der letzten Jahrhunderte lädt diese Ausgabe ein, die wahrscheinlich berühmteste Geschichtensammlung der Welt neu zu entdecken.

„Mal dramatisch, mal komisch, mal erotisch – immer jedoch von höchster Poetizität. Claudia Otts Übersetzung ist, zum Lesen wie zum Hören, ein wunderschönes Buch.“ Friedrich Niewöhner, Süddeutsche Zeitung

„Tatsächlich hat die Übersetzerin eine hervorragende Arbeit geleistet, in Präzision und Nähe zum Original mit keiner anderen Übersetzung zu vergleichen, dabei zeitgenössisch und stilsicher im Ton.“ Stefan Weidner, Frankfurter Allgemeine Zeitung

„Lieben Sie orientalische Märchen? … Dann haben Sie ein wunderbares Lese-Fest vor sich, denn jetzt können Sie Tausendundeine Nacht, eine der berühmtesten Erzählungssammlungen der Weltliteratur, neu entdecken.“ Martin Tofern, Die Zeit

„Eine Hymne an die Macht des Erzählens, an die Macht der Literatur.“ Joachim Sartorius, Literaturen

Über die Übersetzerin

Claudia Ott, Arabistin, Übersetzerin und Musikerin, gehört international zu den führenden Kennern der Welt von Tausendundeine Nacht. Sie hat in Jerusalem und Tübingen studiert, an den Universitäten von Berlin und Erlangen gelehrt und geforscht und unterrichtet jetzt an der Universität Göttingen. Für das vorliegende Werk wurde sie u.a. mit dem Johann-Friedrich-von-Cotta-Preis ausgezeichnet. Aufsehen erregte auch ihre Entdeckung und Übersetzung des ältesten Manuskripts von 101 Nacht (Manesse, 2012). 2016 erschien mit dem «Glücklichen Ende» von Tausendundeine Nacht bei C.H.Beck die Welturübersetzung der Kayseri-Handschrift mit den letzten 123 Nächten und dem Ende der Rahmenerzählung – das glückliche Ende eines Kultbuchs der Weltliteratur.

Inhalt

Vorrede zu Tausendundeine Nacht

Die Geschichte von König Schahriyarund Schahrasad, der Tochter seines Wesirs

Der betrogene Ifrit

Der Esel, der Stier, der Kaufmann und seine Frau

Der Kaufmann und der Dschinni

Die Geschichte des ersten Alten

Die Geschichte des zweiten Alten

Der Fischer und der Dschinni

König Yunan und der Arzt Duban

Der Kaufmann mit dem Papagei

Der Königssohn und die Ghula

Die Geschichte des verzauberten Königs

Der Träger und die drei Damen

Die Geschichte des ersten Bettelmönchs

Die Geschichte des zweiten Bettelmönchs

Der Neider und der Beneidete

Die Geschichte des dritten Bettelmönchs

Die Geschichte der ersten Dame, der Hausherrin

Die Geschichte der zweiten Dame, der mit den Schlagspuren

Die drei Äpfel

Die beiden Wesire Nuraddin von Ägypten und Badraddin von Basra

Der Bucklige,der Freund des Kaisers von China

Die Geschichte des christlichen Maklers:Der junge Mann mit der abgehackten Hand und die Dame

Die Geschichte des Küchenchefs:Der junge Mann aus Bagdad und die Sklavin Subeidas, der Gemahlin des Kalifen

Die Geschichte des jüdischen Arztes:Der junge Mann aus Mosul und die ermordete Dame

Die Geschichte des Schneiders:Der hinkende junge Mann aus Bagdad und der Friseur

Die Geschichte des Friseurs

Der erste Bruder, der bucklige Schneider

Der zweite Bruder: «Plappermaul», der halbseitig Gelähmte

Der dritte Bruder: «Fakfak», der Blinde

Der vierte Bruder, der einäugige Fleischer

Der fünfte Bruder, der mit den abgeschnittenen Ohren

Der sechste Bruder, der mit den abgeschnittenen Lippen

Nuraddin Ibn Bakkar und die Sklavin Schamsannahar

Die Sklavin Anis al-Dschalis und Nuraddin Ibn Chakan

Dschullanar vom Meer und ihr Sohn, König Badr

König Kamarassaman und seine Söhne al-Amdschad und al-Asad

Anhang

Karte zur Welt von Tausendundeine Nacht

Nachwort

Erläuterungen zu Transkription und Aussprache

Personenverzeichnis

Glossar

Nachweis der Kalligraphien und Ornamente

Zur aktuellen Auflage

Im Namen Gottes, des Gnädigen, des BarmherzigenAuf Ihn traue ich

Lob sei Gott, dem gütigen König, dem Schöpfer aller Kreatur und aller Menschen, der den Himmel aufgespannt hat ohne Säulen und die Erde als Lagerstätte ausgebreitet hat, der die Berge zu Pflöcken gemacht hat und Wasser quellen ließ aus dem leblosen Fels, der die Völker von Thamud, Ad und Pharao, des «Herrn der Pflöcke», zugrunde richtete. Ihn lobe ich, Ihn, den Erhabenen, für Seine rechte Leitung, die Er uns erwiesen hat, und danke Ihm für Seine Wohltaten, die nicht in Zahlen zu ermessen sind.

Unserem großzügigen, hochgebildeten und vornehmen Publikum sei hiermit kundgetan, dass dieses köstliche und sehnlich erwartete Buch mit der Absicht geschrieben wurde, einem jeden nützlich zu sein, der darin liest. Hier finden sich höchst lehrreiche Lebensgeschichten, dazu wunderbare Gedanken für Menschen von hoher Bildung. Man kann die Kunst der Rede aus ihnen ebenso lernen wie eine lückenlose Geschichte der Könige seit dem Anbeginn der Zeiten. Ich habe es «Das Buch von Tausendundeiner Nacht» genannt. Dieses Buch erzählt auch prachtvolle Lebensgeschichten, durch die jeder, der sie hört, Menschenkenntnis erwirbt, so dass ihn keine Hinterlist mehr treffen kann. Darüber hinaus wird dem Zuhörer Erholung und Freude zuteil in Zeiten des Kummers über die Zeitläufte, die zu bösen Taten verführen wollen, doch Gott, der Erhabene, leitet uns auf die rechte Bahn.

Die Geschichte von König Schahriyar und Schahrasad, der Tochter seines Wesirs

Der Erzähler und Verfasser spricht: Man hat erzählt – doch Gott allein kennt das Verborgene, und nur Er weiß, was einst wirklich geschah in den längst vergangenen Geschichten der Völker –, dass es in alter Zeit, als noch die Könige der Sasaniden herrschten, im Inselreich von Indien und China zwei Könige gab. Sie waren Brüder. Der ältere hieß Schahriyar, der jüngere Schahsaman. Schahriyar, der ältere der beiden, war ein gewaltiger Ritter und ein kühner Held, an dessen Feuer man sich besser nicht zum Wärmen setzte, dessen Kriegstrommel niemals verstummte und der auf keine Blutrache verzichtet hätte. Er herrschte über die entferntesten Länder und über alle Menschen. Die Länder waren ihm ergeben und seine Untertanen ihm gehorsam. Seinem Bruder Schahsaman gab er das Land von Samarkand als Königreich und setzte ihn dort als Sultan ein. Während jener dort lebte, blieb er in Indien und China wohnen. Das ging so zehn Jahre lang. Dann ergriff Schahriyar Sehnsucht nach seinem Bruder, dem jüngeren König. Er schickte ihm seinen Wesir – der Wesir aber hatte zwei Töchter: Schahrasad hieß die eine, Dinarasad die andere – und ließ ihm sagen, er solle sich auf den Weg machen und zu ihm kommen. Der Wesir rüstete sich zur Reise. Tage- und nächtelang war er unterwegs, bis er Samarkand erreichte. Schahsaman hörte von seiner Ankunft im Lande Samarkand. Mit einer Abordnung seiner vornehmsten Gefolgsleute ritt er ihm entgegen, saß von seinem Pferd ab, umarmte ihn und fragte, was es Neues gebe von seinem Bruder, dem großen König Schahriyar. Jener teilte ihm mit, es gehe ihm gut und er habe ihn gesandt, um ihn zu sich zu bitten. Schahsaman fügte sich seinem Befehl. Er ließ für den Wesir ein Lager aufschlagen außerhalb der Stadt und schaffte dorthin alles, was jener benötigte: Lebensmittel, Zelte und Einrichtung sowie Futter für die Tiere. Dann ließ er eine Menge Vieh für ihn schlachten und bot ihm alles an, was seine Vorratskammern bargen, überdies Geld, Pferde und Kamele. Zehn Tage lang erfüllte er seine Gastgeberpflichten. Währenddessen machte er sich selbst zur Reise fertig und übertrug einem seiner Kämmerer die Regierungsgeschäfte. Dann zog er, mit allem Notwendigen für die Reise versehen, aus der Stadt hinaus. Er verbrachte die Nacht bei dem Wesir des Bruders. Gegen Mitternacht aber kehrte er noch einmal in die Stadt zurück und begab sich zu seinem Palast, um seiner Frau Lebewohl zu sagen. Als er den Palast betrat, fand er seine Frau schlafend, und neben ihr lag ein anderer Mann. Es war einer von den Bediensteten in der Küche. Die beiden hielten einander eng umschlungen. Als Schahsaman dies sah, verdunkelte sich vor seinen Augen die Welt. Kopfschüttelnd stand er eine Weile vor dem Lager. «Und das, wo ich noch nicht einmal abgereist bin!», sprach er zu sich selbst. «Ich bin ja noch kaum aus meiner Stadt! Wie wird es erst zugehen, wenn ich mich auf die Reise gemacht habe zu meinem Bruder nach Indien? Und was wird nach meinem Tode hier geschehen? Nein, nein, auf die Frauen ist kein Verlass!» Und er geriet in unbezwingbare Wut. «Bei Gott!», empörte er sich. «Da bin ich nun schon König und Herrscher von Samarkand, und dann widerfährt mir das! Meine Frau betrügt mich, und diese Schande hier kommt über mich!» Noch einmal wuchs sein Zorn, er zog sein Schwert, erschlug die beiden – nämlich den Koch und seine Frau –, schleifte sie an den Füßen zum Palast hinaus und warf sie in den Wallgraben hinab. Dann eilte er wieder hinaus vor die Stadt zum Wesir des Bruders und ordnete den sofortigen Aufbruch an. Nun wurden die Trommeln geschlagen, und alles machte sich auf den Weg. Doch im Herzen des Königs Schahsaman brannte ein Feuer, das sich nicht ersticken ließ, und eine Flamme, die sich nicht unterdrücken ließ, wegen der Schmach, die er erlitten hatte durch seine Frau, die ihn betrogen hatte mit einem dahergelaufenen Koch, der als Küchenjunge bei ihm diente. Sie reisten schnell und ohne Unterbrechung, Tage und Nächte hindurch, zogen durch Wüsten und öde Gelände, bis sie endlich das Land des Königs Schahriyar erreicht hatten und der König ihnen zum Empfang entgegenkam. Sobald sein Auge auf sie fiel, schloss er seinen Bruder in die Arme, zog ihn in seine Nähe, nahm ihn gastfreundlich auf und ließ ihn in einem Palast, der seinem eigenen unmittelbar benachbart war, Wohnung nehmen. König Schahriyar hatte nämlich in einer Gartenanlage zwei große prachtvolle und majestätische Paläste er rich ten lassen. Der eine war für Gäste bestimmt, in dem anderen wohnte er selbst mit seinem Harem. Seinen Bruder Schahsaman ließ er in dem Palast für Gäste absteigen, nachdem zuvor die Diener dort geputzt, gewischt, Teppiche ausgelegt und die Fenster, die auf den Garten hinausblickten, geöffnet hatten. Den ganzen Tag über blieb Schahsaman bei seinem Bruder. Für die Nacht begab er sich in den ihm zugewiesenen Palast, um dort zu schlafen und früh am nächsten Morgen wieder seinen Bruder aufzusuchen. Doch sobald er alleine war und darüber nachdachte, welches Grauen er mit seiner Frau erlebt hatte, seufzte er schwer, verriet aber keinem Menschen sein Geheimnis, sondern verbarg es kummervoll. «Warum musste gerade mir dieses entsetzliche Unglück zustoßen?», fragte er sich und begann zu hadern und vor Selbstmitleid krank zu werden. «Kein Mensch», so dachte er, «hat jemals so etwas erlebt!» Sein Gemüt wurde wie von Maden zerfressen. Er aß wenig, wurde blass, durch den Kummer veränderte sich sein ganzer Zustand, und so ging es immer weiter bergab mit ihm, bis sein Körper völlig abgemagert war und seine Hautfarbe gänzlich verändert aussah. Der Autor der Geschichte spricht: Als König Schahriyar sah, wie sein Bruder von Tag zu Tag verfiel und vor seinen Augen immer schmaler und schwächer wurde, eine gelbliche Hautfarbe annahm und sein gesamtes Aussehen veränderte, vermutete er, die Trennung und Entfernung von seinem Königreich und seiner Familie setzten ihm zu. «Diese Umgebung tut meinem Bruder nicht gut», sprach er zu sich selbst. «Ich will ihm ein schönes Geschenk machen und ihn dann wieder in sein Land zurückschicken.» Und der Sultan begann seinen Bruder Schahsaman mit Geschenken zu überhäufen. So ging es einen Monat lang. Dann rief König Schahriyar seinen Bruder zu sich. «Du musst wissen, mein Bruder», sprach er zu ihm, «dass ich vorhabe, frei wie die Gazellen umherzustreifen und auf eine Jagd zu ziehen, die zehn Tage dauern wird. Wenn ich zurückgekehrt bin, werde ich dich für deine Heimreise herrichten. Hast du Lust, mit mir auf die Jagd zu gehen?» – «Lieber Bruder», erwiderte jener, «meine Brust ist wie eingeschnürt und mein Gemüt beklommen. Lass mich, und ziehe du auf die Jagd, mit Gottes Segen und Seiner Hilfe!» Als Schahriyar seines Bruders Worte hörte, glaubte er, er habe Heimweh und wäre deshalb betrübt. Da er ihn nicht weiter bedrängen wollte, ließ er ihn allein und zog mit seinem Hofstaat und seinen Soldaten in die Wüste hinaus, wo sie das Wild zur Jagd einkreisten. Der Autor der Geschichte spricht: Wie aber erging es unterdessen Schahsaman? Nach dem Aufbruch seines Bruders Schahriyar saß er im Palast und schaute aus dem Fenster auf den Garten hinaus. Er betrachtete die Vögel und die Bäume, dachte an seine Frau und was sie ihm angetan hatte, zeigte offen seinen Kummer und seufzte schwer. Der Erzähler spricht: Während er so in Gedanken, seiner Qual und seinem Unglück versunken in den Himmel starrte, dann wieder auf den Garten blickte und seinen müden, abwesenden Blick dort schweifen ließ, sah er plötzlich, wie im Palast seines Bruders die geheime Tür geöffnet wurde. Heraus kam die Herrin, die Gemahlin seines Bruders. Zwischen zwanzig Sklavenmädchen, zehn weißen und zehn schwarzen, stolzierte sie daher, als ob sie eine Gazelle mit schwarz-weißen Augen wär’. Schahsaman konnte sie beobachten, ohne dass sie ihn bemerkten. Sie bewegten sich bis unter den Palast, in dem sich Schahsaman befand – immer noch so, dass sie ihn nicht sehen konnten. Sie glaubten wohl, er wäre mit dem Bruder auf die Jagd gezogen. Direkt vor dem Palast setzten sie sich nieder und legten die Kleider ab. Doch was war das? Zehn von ihnen waren schwarze Sklaven, und die zehn anderen waren hellhäutige Mädchen, obgleich sie alle Mädchenkleidung getragen hatten! Jetzt fielen die zehn Männer über die zehn Mädchen her. Die Herrin aber rief: «Masud! Masud!», worauf ein schwarzer Sklave aus dem Wipfel eines Baums zur Erde sprang, mit einem Satz bei ihr war, ihre Waden hob, sich zwischen ihre Oberschenkel warf und sie beschlief. Und so sah es nun aus: Die zehn lagen auf den zehn, Masud auf der Herrin, und bis zum Mittag hörten sie nicht auf damit. Als sie endlich ihr Geschäft beendet hatten, erhoben sich alle, wuschen sich, die zehn männlichen Sklaven schlüpften wieder in die Mädchenkleider und mischten sich unter die zehn Mädchen, so dass jeder, der sie sah, sie für zwanzig Sklavenmädchen halten musste. Masud aber sprang über die Gartenmauer nach draußen und verschwand. Die Sklavenmädchen nahmen ihre Herrin in die Mitte und wandelten zurück zu der Geheimtür des Palastes. Sie traten ein, schlossen die geheime Tür hinter sich und gingen ihrer Wege. Der Überlieferer erzählt: Alles das spielte sich unter König Schahsamans Augen ab. Der Autor der Geschichte spricht: Als Schahsaman sah, was die Frau seines Bruders, des älteren Königs, da trieb – er hatte ja beobachtet, was sie taten, und hatte sich dieses ungeheuerliche Laster und das sündhafte Treiben im Palast seines Bruders eingehend angesehen: Zehn schwarze Sklaven in Mädchenkleidern schliefen vor seinem Palast mit seinen eigenen Mätressen und Konkubinen, und auch seines Bruders Frau mit dem Sklaven Masud hatte er nicht aus den Augen gelassen –, da wich all sein Kummer und seine ganze Schwermut von ihm. «So also steht es um uns», dachte er bei sich. «Mein Bruder ist König über die ganze Welt, die gesamte Erde in ihrer Länge und Breite steht unter seiner Gewalt, und da stößt ihm so etwas zu! Unter seiner Herrschaft! Mit seiner Frau und seinen Konku binen! In seinem eigenen Haus spielt sich eine solche Katastrophe ab! Ist dieses Grauen nicht noch viel schlimmer als das meine? Ich glaubte, ich allein und kein anderer wäre vom Unglück verfolgt, aber jetzt erkenne ich, dass alle Menschen Opfer dieses Unglücks sind! Bei Gott, mein Unglück ist leichter zu ertragen als das Unglück meines Bruders!» Und er wunderte sich und verfluchte die Zeit, die niemanden mit ihren lasterhaften Prüfungen verschonte. Seinen eigenen Kummer vergaß er, und über sein Unglück tröstete er sich schnell hinweg. Dann wurde das Nachtmahl aufgetischt. Er aß, heißhungrig und mit gutem Appetit, und als man ihm den Wein kredenzte, trank er ihn gierig aus. Alles, was sein Gemüt zuvor beschwert hatte, klärte und entfernte sich, er aß und trank wieder, genoss sein Leben und lauschte mit Entzücken schöner Musik. «Jetzt bin ich nicht mehr der Einzige, der von diesem Unglück betroffen ist», dachte er bei sich, «da geht es mir gut.» Die folgenden zehn Tage verbrachte er mit Essen und Trinken. Dann kam sein Bruder, König Schahriyar, von der Jagd zurück. Schahsaman begrüßte ihn freudig, erhob sich zu seinen Ehren und lachte ihm strahlend ins Gesicht. Sein Bruder, König Schahriyar, beteuerte, wie sehr er ihn vermisst habe. «Bei Gott, mein Bruder», sagte er, «weil du nicht dabei warst, habe ich nur widerwillig diese Reise unternommen. Ich hätte mir so sehr gewünscht, du wärst dabei gewesen!» Es wird berichtet: Sein Bruder dankte ihm und leistete ihm bis zum Abend Gesellschaft. Das Essen wurde aufgetragen, und die beiden aßen und tranken. Auch Schahsaman aß und trank mit großem Appetit. Der Autor der Geschichte spricht: Von nun an aß und trank Schahsaman. Sein Kummer und seine Sorgen waren verflogen, sein Gesicht rötete sich, sein Lebensmut erwachte aufs Neue, das Blut strömte in seinen Adern, seine gesunde Farbe kehrte zurück, er nahm an Gewicht zu, kurz, er war wieder ganz der Alte, ja sogar mehr als das. König Schahriyar bemerkte wohl, wie es um seinen Bruder stand. Er beobachtete seine Genesung und machte sich in seinem Herzen darüber Gedanken. Als er eines Tages mit ihm allein war, sprach er zu ihm: «Mein lieber Bruder Schahsaman, ich möchte, dass du mir einen Wunsch erfüllst, den ich in meinem Inneren hege, und damit eine Last von meinem Herzen nimmst. Ich will dich etwas fragen, und du sollst mir darauf eine ehrliche Antwort geben.» – «Und was wäre das, mein Bruder?», fragte jener zurück. «Ich habe dich gesehen bei deiner Ankunft und zu Beginn deines Aufenthalts bei mir», sagte er, «damals bist du von Tag zu Tag vor meinen Augen schmaler geworden, bis sich dein Gesicht völlig verändert hatte, deine Hautfarbe nicht mehr zu erkennen und dein Lebensmut geschwunden war. Dein Zustand hat sich nicht gebessert, und ich habe vermutet, du wärest krank vor Heimweh nach deinem Königreich und deiner Familie. Deshalb habe ich mich zurückgehalten und dich nicht danach gefragt und habe meinen Kummer, der immer größer wurde, je mehr ich dich abmagern und krank werden sah, die ganze Zeit über vor dir verborgen. Dann bin ich auf die Jagd gezogen, und als ich zurückkam, stellte ich fest, dass du inzwischen völlig gesund geworden warst und deine alte Farbe wiedergewonnen hattest. Ich bitte dich, erkläre mir das! Warum bist du zu Anfang bei mir krank geworden, und was ist der Grund für deine plötzliche Genesung? Erzähle es mir, und verheimliche mir nichts!» Es wird berichtet: Als Schahsaman König Schahriyars Rede gehört hatte, senkte er den Kopf und blickte zu Boden. «Verehrter König», sagte er dann, «den Grund, warum ich wieder gesund geworden bin, kann ich dir nicht verraten. Bitte verschone mich mit dem Gedanken daran!» Der Sultan war über die Worte seines Bruders höchst erstaunt. In seinem Herzen begannen Feuer aufzuflackern. «Doch, du musst es mir sagen!», verlangte er. «Aber erzähle mir erst einmal den ersten Grund.» Der Autor der Geschichte spricht: Da berichtete ihm Schahsaman, was ihm am Vorabend seiner Abreise von seiner Frau zugefügt worden war, vom Anfang bis zum Ende. «Als ich dann bei dir wohnte, o König der Zeit», schloss er seinen Bericht, «musste ich ständig an das schreckliche Unglück denken, das ich erlebt hatte, und immer, wenn ich daran dachte, überfielen mich Kummer, Schwermut und Sorgen. Darum wurde ich krank, das ist der Grund.» Nach diesen Worten verstummte er und schwieg. Der König schüttelte den Kopf, als er diesen Bericht hörte. Er war maßlos erstaunt über die Arglist der Frauen und sprach ein Stoßgebet, dass Gott ihn vor ihrer Bosheit beschützen möge. Dann wandte er sich wieder seinem Bruder zu: «Bei Gott, mein lieber Bruder, du hast sie glücklich umgebracht, deine Frau und diesen Kerl dazu, und jetzt verstehe ich auch, warum dich Kummer und Sorgen befallen haben und du krank geworden bist. Dafür bist du entschuldigt. Ich glaube nicht, dass jemals ein anderer als du etwas so Schreckliches erleben musste. Wäre mir das zugestoßen, bei Gott, ich hätte nicht weniger als hundert oder tausend Frauen umgebracht, und das hätte mir noch nicht genügt! Ich wäre ganz bestimmt verrückt und geisteskrank geworden. Gott sei Dank, dass du deinen Kummer und deine Trauer vergessen konntest. Und jetzt erzähle mir, was es ist, das dich deinen Kummer vergessen ließ und dir deine Gesundheit zurückgebracht hat!» – «Ich bitte dich, o König, verschone mich damit!», sagte sein Bruder. «Es muss aber sein!», erwiderte er. «Ich befürchte», gab jener zu bedenken, «dass dich dadurch noch größerer Kummer und noch schwerere Sorgen befallen werden als die meinen!» – «Aber warum denn das, mein Bruder?», fragte der König und setzte noch einmal hinzu: «Ich bestehe darauf, die Geschichte zu hören!» Der Autor der Geschichte spricht: Da berich tete er ihm, was er vom Fenster des Palastes aus gesehen hatte, und schilderte ihm die schrecklichen Ereignisse, die sich in seinem Palast abgespielt hatten, vom Anfang bis zum Ende, nämlich: wie zehn schwarze Sklaven, als Sklavinnen verkleidet, sich bei Tag und Nacht mit seinen Konkubinen und seinem Harem der Liebe hingaben. Das alles hier noch einmal zu wiederholen, wäre überflüssig. «Als ich dein Unglück sah», schloss er seinen Bericht, «habe ich meinen eigenen Kummer sofort vergessen und zu mir selbst gesagt: ‹Da ist mein Bruder König über die ganze Welt, und es passiert ihm solch ein Unglück in seinem eigenen Haus!› All die Sorgen, die mich belastet hatten, waren verflogen. Ich habe mich erholt und konnte wieder essen und trinken. Das ist der Grund dafür, dass ich vergnügt bin und meine gesunde Farbe wiederhabe.» Der Autor der Geschichte spricht: Als König Schahriyar die Worte seines Bruders hörte, geriet er in heftige Wut. Fast hätte er Blut geschwitzt. «Bruder», sagte er, «ich kann das, was du sagst, nicht glauben, bevor ich es nicht mit eigenen Augen gesehen habe.» Und sein Zorn wuchs immer mehr. «Wenn du dir dein Unglück mit deinen eigenen Augen ansehen willst, um mir Glauben zu schenken», sagte Schahsaman zu ihm, «dann rüste dich noch einmal zu einem Jagdausflug. Ich werde mit dir und deinen Truppen aufbrechen. Sobald wir außerhalb der Stadt sind, lassen wir unsere Zelte, das Lager und die Truppen allein und schleichen uns heimlich – nur du und ich – wieder in die Stadt. Du kommst mit mir in meinen Palast, und am nächsten Morgen wirst du es mit eigenen Augen sehen!» Der Autor der Geschichte spricht: Da erkannte der König, dass sein Bruder, der andere König, die Wahrheit gesprochen hatte. Er ließ die Truppen sich zum Aufbruch rüsten und verbrachte diese Nacht bei seinem Bruder. Als Gott den nächsten Morgen grauen ließ, bestiegen die beiden ihre Pferde, auch die Soldaten saßen auf, und alle zogen zur Stadt hinaus. Die Diener waren schon vorausgeeilt und hatten draußen vor der Stadt die Wohnzelte und das Empfangszelt aufgeschlagen. In diesem Lager ließen sich der Sultan und die Truppen nieder. Sobald die Nacht hereinbrach, ließ der König seinen obersten Kämmerer zu sich kommen, befahl ihm, sich auf seinen Platz zu setzen und für die Dauer von drei Tagen keinem aus der Truppe den Zutritt zur Stadt zu erlauben. Die Soldaten stellte er unter seinen Oberbefehl. Nun verkleideten er und sein Bruder sich, betraten unter dem Schutz der Nacht die Stadt, begaben sich zu dem Palast, in dem Schahsaman wohnte, und legten sich dort schlafen. Früh am nächsten Morgen setzten sie sich ans Fenster des Palastes und schauten hinaus in den Garten. Sie saßen und unterhielten sich miteinander, bis das Morgenlicht heraufzog, der Tag hell wurde und die Sonne aufgegangen war. Als sie hinüberblickten zur Geheimtür des Palastes, hatte sich diese gerade geöffnet. Heraus kam König Schahriyars Gemahlin zwischen zwanzig Sklavenmädchen, und alle schritten, wie sie es gewohnt waren, unter den Bäumen hindurch bis unter den Palast, in dem die beiden sich befanden. Sie legten ihre Frauenkleider ab und – siehe da! Es waren zehn schwarze Sklaven, die machten sich über die zehn Mädchen her und trieben ihr schmutziges Spiel mit ihnen. Was aber tat die Herrin? «Masud!», rief sie, und noch einmal: «Masud!», und plötzlich sprang vom Wipfel eines Baums ein schwarzer Sklave, landete auf dem Boden, war mit einem Satz bei ihr und fragte: «Was hast du, Mädel? Ich bin es, Saadaddin Masud!» Die Herrin lachte laut und ließ sich auf den Rücken fallen, der Sklave bestieg sie und tat seine Arbeit. Genauso trieben es die anderen Sklaven. Am Ende standen die Sklaven auf, wuschen sich, zogen die Kleider, die sie getragen hatten, wieder an, mischten sich unter die Mädchen, und dann begaben sich alle wieder zurück in den Palast und verriegelten die Tür. Masud sprang von der Gartenmauer auf die Straße und ging seiner Wege. Der Autor der Geschichte spricht: Als Sultan Schahriyar gesehen hatte, was seine Frau und seine Sklavinnen da trieben, geriet er außer sich. «Vor dieser bösen Welt ist niemand sicher!», empörte er sich. «Und so etwas spielt sich in meinem Palast und unter meiner Herrschaft ab! Wehe über die Welt und das Schicksal! Das ist wirklich eine gewaltige Katastrophe!» Dann wandte er sich an seinen Bruder. «Willst du mir folgen in dem, was ich vorhabe?», fragte er ihn. «Ja», erwiderte der. «Dann steh auf», sagte er, «wir sagen unserer Königsherrschaft Ade und ziehen aufs Geratewohl in die Welt hinaus. Finden wir jemanden, dessen Unglück noch gewaltiger als unseres ist, so kehren wir zurück. Wenn nicht, streifen wir durch die Länder und werden kein Verlangen mehr nach Königsherrschaft haben.» – «Was für eine gute Idee!», lobte Schahsaman. «Ich stimme dir voll und ganz zu.»

Der betrogene Ifrit

Der Überlieferer erzählt: Daraufhin verließen die beiden den Palast durch eine Geheimtür, zogen auf einem anderen Weg hinaus und machten sich auf die Reise. Bis zum Einbruch der Nacht wanderten die beiden Brüder, dann legten sie sich bekümmert schlafen. Früh am nächsten Morgen zogen sie weiter. Wieder wanderten sie den ganzen Tag lang. Endlich gelangten sie auf eine mit Pflanzen und Bäumen reich bewachsene Wiese am Ufer des salzigen Meeres. Dort setzten sie sich, um über das Unglück zu sprechen, welches über sie hereingebrochen war. So redeten sie gerade miteinander, als plötzlich aus der Mitte des Meeres ein Schrei und grässliches Gebrüll aufstieg. Die beiden zitterten vor Angst und glaubten, der Himmel sei auf die Erde gestürzt. Das Wasser des Meeres aber teilte sich, und eine schwarze Säule erhob sich aus ihm und wuchs immer höher und höher, bis sie die Wolken des Himmels berührte. Schahriyar und Schahsaman sprangen vor Angst auf die Füße, rannten davon, kletterten auf einen hohen Baum, versteckten sich darin und hielten sich in seinem Blätterwerk verborgen. Nun schauten sie wieder zu der schwarzen Säule hinüber und – o Schreck! Sie watete durch das Wasser und bewegte sich quer über das Meer auf sie zu! Als die Säule das Ufer erreicht und die Wiese erklommen hatte, schauten sie wieder hin. Da war aus der Säule ein schwarzer Ifrit geworden, der trug auf seinem Kopf eine große Truhe aus Glas mit vier stählernen Schlössern daran. Der Ifrit stieg aus dem Wasser, ging über die Wiese und ließ sich nirgendwo anders nieder als gerade unter dem Baum, auf dem die beiden Könige saßen. Nachdem er sich niedergelassen hatte, stellte er die Glastruhe vor sich auf die Erde, zog vier Schlüssel hervor und öffnete die Schlösser der Truhe. Heraus holte er eine wunderschön gebaute junge Frau, ein Mädchen von vollkommener Gestalt mit einem lieblichen Lächeln und einem Gesicht, so schön wie der Vollmond. Die hob er aus der Truhe, setzte sie unter den Baum, blickte sie an und sagte zu ihr: «Du Herrin aller Edelfrauen, du meine Beute, die ich in ihrer Hochzeitsnacht geraubt habe, ich möchte ein wenig schlafen.» Dann legte der Ifrit seinen Kopf in den Schoß des Mädchens, streckte die Beine aus, bis sie ins Wasser reichten, und schlief schnarchend und schnaufend ein. Das Mädchen aber hob den Kopf zu dem Baum und sah sich um. Da fiel ihr Blick zufällig auf König Schahriyar und König Schahsaman. Sogleich fasste sie den Kopf des Ifrit und legte ihn auf die Erde. Dann erhob sie sich, stellte sich unten an den Baum und machte den beiden Männern Zeichen: «Kommt herunter zu mir, aber vorsichtig!» Als die beiden erkannten, dass sie von ihr bemerkt worden waren, bekamen sie es mit der Angst zu tun. Sie flehten sie an und baten sie inständig, beim Herrn des Himmels, dass sie nicht hinuntersteigen müssten. Aber sie sagte: «Doch, ihr müsst zu mir herunterkommen!» Die beiden bedeuteten ihr durch Zeichen: «Dieser, der da schläft, ist doch ein Menschenfeind! Bei Gott, lass uns in Frieden!» – «Ihr müsst unbedingt herunterkommen», verlangte sie. «Wenn ihr nicht zu mir heruntersteigt, wecke ich den Ifrit und lasse ihn euch töten!» Erneut winkte sie ihnen herunterzukommen und ließ nicht von ihnen ab. Schließlich stiegen sie ganz vorsichtig vom Baum herab, bis sie vor ihr standen. Da legte sie sich auf den Rücken, öffnete ihre Schenkel und sagte: «Vereinigt euch mit mir, und befriedigt meine Lust, sonst wecke ich den Ifrit, damit er euch tötet!» – «Um Gottes willen, Herrin, nur das nicht!», erwiderten die beiden. «Wir sind doch jetzt völlig verängstigt und verschreckt vor diesem Ifrit, bitte erlass uns diese Sache!» Aber das Mädchen sagte wiederum: «Kein Weg führt daran vorbei!», bedrängte sie und sprach den folgenden Schwur: «Bei Gott, der den Himmel aufgespannt hat! Tut ihr es nicht, dann wecke ich meinen Gatten, den Ifrit, und befehle ihm, euch beide zu töten und hier im Meer zu versenken!» Weil sie nun so hartnäckig darauf bestand, konnten sie nicht länger Widerstand leisten und beschliefen sie, erst der ältere, danach der jüngere. Als sie fertig waren und wieder aufstanden, sagte sie zu ihnen: «Gebt mir eure Ringe!», zog zwischen ihren Kleidern ein Säckchen hervor, öffnete es und schüttete den Inhalt aus. Achtundneunzig Ringe fielen da heraus in verschiedenen Farben und Formen. «Wisst ihr, was das für Ringe sind?», fragte sie. «Nein», war die Antwort. Sie sagte: «Alle Besitzer dieser Ringe haben mit mir geschlafen, und von jedem, der mir zu Willen war, habe ich mir einen Ring genommen. Jetzt habt auch ihr beiden mit mir geschlafen, also gebt mir eure Ringe, damit ich sie zu den anderen Ringen tun kann und das Hundert voll wird. Nun haben mich einhundert Männer geliebt, und das diesem gehörnten, dreckigen Ifrit zum Trotz, der mich in dieser Truhe eingesperrt und mit vier Schlössern eingeschlossen hat. In der Tiefe dieses wogenden, tosenden Meeres, wo die Wellen aufeinanderschlagen, hält er mich gefangen und eingeschlossen, weil ich eine tugendhafte Jungfrau bleiben soll. Aber er wusste nicht, dass es das Schicksal anders wollte und nichts das Schicksal aufhalten kann. Wenn eine Frau etwas will, kann sich ihr niemand verweigern!» Als die beiden Könige Schahriyar und Schahsaman die Rede des Mädchens hörten, wunderten sie sich sehr. «O Gott, o Gott!», riefen sie und neigten sich vor Entzücken. «Es gibt keine Kraft und keine Stärke außer bei Gott, dem Allmächtigen! Wahrhaftig, der Koran hat recht: ‹Die Tücke von euch Weibern ist ungeheuerlich!›» Damit zog jeder von ihnen seinen Ring ab und übergab ihn ihr. Sie nahm beide Ringe und tat dann alle Ringe wieder in das Säckchen. Dann wandte sie sich ab, setzte sich wieder neben den Ifrit, nahm dessen Kopf auf ihren Schoß, genau wie zuvor, und machte ihnen Zeichen: «Verschwindet und geht eurer Wege, sonst wecke ich ihn auf!» Der Autor der Geschichte spricht: Da zogen sie sich eilends zurück und machten sich wieder auf den Weg.

«Schahsaman, mein Bruder», wandte sich Schahriyar an seinen Bruder, «jetzt sieh dir dieses Unglück an! Es ist, weiß Gott, schlimmer als das unsrige! Er ist ein Dschinni und hat ein Mädchen von ihrer Hochzeitsnacht weg entführt, in seine gläserne Truhe gesperrt, mit vier Schlössern gesichert und in den Fluten dieses Meeres versenkt. Er meinte wohl, so könne er sie vor dem Schicksal und der Vorsehung abschirmen. Aber hast du nicht gesehen? Mit achtundneunzig Männern hat sie schon geschlafen, und wir beide, ich und du, haben das Hundert vollgemacht. So komm, mein Bruder, lass uns zurückkehren in unsere Königreiche und unsere Städte. Hinfort wollen wir niemals wieder eine Frau heiraten. Ich aber werde dir zeigen, was ich zu tun vorhabe!» Der Autor der Geschichte spricht: Sie machten auf den Fersen kehrt und gingen auf demselben Weg zurück, den sie gekommen waren. Bis tief in die Nacht hinein waren sie unterwegs, erreichten beim Morgengrauen des dritten Tages ihr Lager, schlüpften in ihre Zelte und nahmen wieder ihren königlichen Thron ein. Die Kämmerer, Höflinge, Emire und Wesire traten vor König Schahriyar, und der erließ Gebote und Verbote und teilte großzügig Ehrenkleider und Geschenke aus. Dann befahl er, in die Stadt zurückzukehren. Er begab sich in seinen Palast und befahl seinem Großwesir – dem Vater der beiden schon erwähnten Mädchen Dinarasad und Schahrasad –: «Nimm meine Frau, diese hier, und töte sie!» Mit diesen Worten ging er selbst zu ihr hinein, legte ihr Fesseln an, übergab sie dem Wesir, und dieser führte sie hinaus und richtete sie hin. Dann zog König Schahriyar sein Schwert aus der Scheide, stürmte in seinen Palast und seine Gemächer, tötete alle seine Sklavinnen und Dienerinnen und nahm andere an ihrer Stelle. Und nun tat er vor sich selbst ein Gelöbnis: Er werde in Zukunft nur noch für eine einzige Nacht heiraten und seine Ehefrau am nächsten Morgen töten, um vor ihrer Bosheit und Arglist in Sicherheit zu sein, denn «auf der ganzen Welt», so stellte er fest, «gibt es keine einzige anständige Frau!» Danach rüstete er seinen Bruder Schahsaman für die Reise aus und schickte ihn, beladen mit Geschenken, Kostbarkeiten, Geld und vielem anderem, in sein Land zurück. Dieser nahm Abschied von ihm und machte sich auf den Weg in sein Land. Der Autor der Geschichte spricht: Schahriyar nahm Platz auf seinem Thron und befahl seinem Wesir – dem Vater der beiden Mädchen –, er solle ihn mit einer der Töchter der Emire verheiraten. Jener ging hin, erbat sich eine von den Töchtern der Emire als Braut für ihn, und König Schahriyar vollzog mit ihr die Ehe und tat, wozu er Lust verspürte, bis er fertig war. Sobald der nächste Morgen graute, befahl er seinem Wesir, die Frau zu töten. In der folgenden Nacht nahm er ein anderes Mädchen, die Tochter eines seiner Offiziere, vereinigte sich mit ihr und gab am Morgen darauf seinem Wesir den Befehl, sie hinzurichten. Der wagte nicht, ihm zu widersprechen, und richtete sie hin. Dann nahm er, in der dritten Nacht, die Tochter eines Kaufmanns in der Stadt, schlief mit ihr bis zum Morgen, befahl dem Wesir, sie zu töten, und der tat’s. Der Erzähler spricht: Von nun an nahm sich Schahriyar Nacht für Nacht ein neues Mädchen, eine von den Kauf mannstöchtern oder den Mädchen aus dem einfachen Volk, verbrachte mit ihnen die Nacht und ließ sie früh am nächsten Morgen töten. Das ging so lange, bis es kaum noch Mädchen gab, die Mütter alle miteinander weinten, Frauen, Väter und Mütter in Aufruhr gerieten, den König laut verfluchten und Übelstes auf ihn herabwünschten, sich vor dem Schöpfer des Himmels über ihn beklagten und Hilferufe schickten zu Dem, der jede Stimme hört und keine Bitte abweist. Der Überlieferer erzählt: Nun hatte der Wesir, der stets die Mädchen töten musste, selbst zwei Töchter: eine ältere mit Namen Schahrasad; die jüngere hieß Dinarasad. Schahrasad, die ältere der beiden, hatte viele Bücher, Werke der Literatur und Weisheitsschriften gelesen, auch Werke der Medizin studiert. Sie wusste Gedichte auswendig herzusagen und las mit Vorliebe Überlieferungen zur Geschichte vergangener Zeiten. Alle berühmten Zitate waren ihr bekannt, dazu die Sprüche weiser Richter und Könige, kurzum: Sie war klug, verständig, weise und gebildet, hatte gelesen und studiert. Der Autor der Geschichte spricht: «Lieber Vater», sprach diese eines Tages, «ich habe einen geheimen Plan, in den ich dich einweihen möchte.» – «Und was wäre das?», erkundigte sich ihr Vater. «Ich möchte», sagte sie, «dass du mich mit dem König Schahriyar verheiratest. Entweder gelingt es mir, alle Welt vor ihm zu retten, oder ich sterbe und gehe zugrunde, dann ergeht es mir nicht anders als all denen, die schon gestorben und zugrunde gegangen sind.» Als der Wesir hörte, was seine Tochter da sagte, wurde er wütend. «Du dumme Gans!», schimpfte er. «Weißt du denn nicht, dass König Schahriyar geschworen hat, mit keinem Mädchen mehr als eine Nacht zu verbringen und es am nächsten Morgen umzubringen? Wenn ich dich zu ihm führe, wird er eine Nacht lang mit dir schlafen, und am Morgen danach wird er mir befehlen, dich zu töten! So muss ich dich am nächsten Morgen mit meiner eigenen Hand töten, da ich ihm nicht zuwiderhandeln kann.» – «Doch, du musst mich zu ihm führen, Vater, es führt kein Weg daran vorbei!», bekräftigte sie und fügte hinzu: «Dann soll er mich eben töten!» – «Was ist in dich gefahren, dass du dich so in Lebensgefahr begeben willst?», wollte er wissen. «Lieber Vater», fing sie erneut an, «du musst mich unbedingt zu ihm führen, das ist mein letztes Wort, und ihm folgt eine entschlossene Tat!» Ihr Vater, der Wesir, geriet in Zorn. «Mein Töchterchen», sagte er, «kennst du denn nicht das Sprichwort: ‹Wer die rechte Tat nicht kennt, schnurstracks in sein Verderben rennt› und: ‹Wer die Folgen nicht bedenkt, der kriegt vom — Schicksal nichts geschenkt›? Auch wird in dem geläufigen Sprichwort gesagt: ‹Ich saß ruhig immerzu, doch meine Neugier ließ mir keine Ruh’.› Ich fürchte, dir wird es genauso ergehen, wie es dem Esel und dem Stier mit dem Bauern ergangen ist.» – «Was haben denn der Esel und der Stier mit dem Bauern erlebt?», wollte sie wissen. Und er erzählte:

Der Esel, der Stier, der Kaufmann und seine Frau

Du musst wissen, dass es einmal einen reichen Kaufmann gab, der viel Geld besaß, zahlreiche Arbeiter bei sich beschäftigte, Vieh und Kamele im Stall hatte und mit seiner Frau eine große Schar Kinder in die Welt gesetzt hatte. Er lebte auf dem flachen Land und betrieb Ackerbau. Der Kaufmann verstand die Sprache der Tiere: die der Haustiere ebenso wie die der wilden Tiere. Dies war ein Geheimnis, das ihn, wenn er es preisgäbe, sein Leben kosten würde. Sämtliche Tiersprachen beherrschte er, erzählte aber keinem Menschen davon, weil er fürchtete, sonst sterben zu müssen. Bei ihm im Haus lebten ein Stier und ein Esel, die nahe beieinander an ihre Futterkrippen angebunden waren. Eines Tages saß der Kaufmann neben seiner Frau, und vor ihm spielten seine Kinder. Wie er so zu dem Stier und dem Esel hinüberblickte, hörte er den Stier zum Esel sagen: «He, Abu l-Yaksan, du hast es gut! Du darfst dich ausruhen, wirst noch dazu gepflegt, bei dir wird ausgemistet und frisches Stroh gestreut. Immer bedient dich jemand! Gesiebtes Getreide und frisches, kühles Wasser stellen sie dir hin. Mich dagegen jagen sie um Mitternacht schon auf den Acker, schnallen mir etwas auf den Nacken, das sie ‹Joch› nennen, und den Pflug dahinter, und dann arbeite ich den ganzen lieben langen Tag hindurch und pflüge den Boden. Mir wird mehr zugemutet, als ich ertragen kann, dazu muss ich noch Schläge einstecken vom Bauern und seiner Peitsche. Meine Seiten sind schon wundgescheuert, mein Nacken schält sich, und doch lassen sie mich von einer Nacht bis zur nächsten arbeiten! Nachts bringen sie mich in den Kuhstall, werfen mir Bohnen vor, die noch mit Erde beschmutzt sind, und kleingehackte Spreu. Die ganze Nacht muss ich in Mist und Jauche stehen, während du, hübsch ausgemistet und frisch eingestreut, gestriegelt, gefüttert, sauber und mit gutem Heu versorgt, ausgeruht dastehst. Nur selten kommt es vor, dass unser Herr, der Kaufmann, eine Erledigung zu machen hat, weshalb er sich auf dich setzen muss, und dann auch gleich wieder zurück kehrt. Mit anderen Worten: Du bist ausgeruht, und ich bin müde; du darfst schlafen, ich muss die ganze Nacht arbeiten!» Nachdem der Stier geendet hatte, drehte sich der Esel zu ihm um. «He, Baghnus», antwortete er, «wer dich einen dummen Ochsen genannt hat, der hat nicht unrecht! Denn du, du Vater aller dummen Kühe, hast weder List noch Hintersinn noch irgendeinen bösen Gedanken in dir. Offen zeigst du, wie ehrlich du es meinst, strengst dich aufrichtig an und bringst dich fast selbst um, nur um einem anderen das Leben möglichst angenehm zu machen. Hast du denn nicht gehört, dass das Sprichwort sagt: ‹Wem es an Erfolgen mangelt, sich hastig durch sein Leben hangelt›? Du rennst mit dem ersten Gebetsruf hinaus aufs Feld, quälst dich, pflügst und steckst dazu noch Schläge ein, und wenn der Bauer dich an der Futterkrippe festbinden will, stampfst du noch, stößt mit deinen Hörnern um dich, schlägst mit dem Huf aus und erhebst ein unglaubliches Gebrüll, bis sie dir die Bohnen hinwerfen, die du dann gierig frisst. Du musst es anders machen! Wenn sie dir das Futter bringen, dann friss nichts davon, sondern schnuppere nur daran, und rühre es nicht an. Begnüge dich mit dem gehäckselten Heu und Stroh. Wenn du das tust, wirst du eher Erfolg haben, und es wird dir mehr nützen. Du wirst sehen, welche Ruhe du dann genießen wirst!» Es wird berichtet:Als der Stier die Rede des Esels gehört hatte, erkannte er, dass der Esel ihm einen guten Rat gegeben hatte. Er dankte ihm in seiner Sprache, wünschte ihm Segen und dass Gott es ihm mit Gutem vergelten möge. «Mögest du vor allem Bösen bewahrt bleiben, Abu l-Yaksan», wünschte er ihm, froh darüber, dass ihm der Esel so aufrichtig geraten hatte. Das alles, meine Tochter, spielte sich unter den Augen und Ohren des Kaufmanns ab, und dieser verstand alles, was der Esel und der Stier geredet hatten. Als am nächsten Tag der Bauer zum Haus des Kaufmanns kam, den Stier herausholte, vor den Pflug spannte und antrieb, da arbeitete und pflügte der Stier nicht wie sonst. Der Bauer schlug ihn, doch der Stier verstellte sich mit Hinterlist – denn er hatte sich die Ratschläge des Esels zu Herzen genommen – und ließ sich zu Boden fallen. Der Bauer prügelte auf ihn ein. Der Stier rappelte sich auf, um gleich wieder zusammenzubrechen, und fuhr auf diese Weise fort, bis die Nacht gekommen war und der Bauer ihn zurück ins Haus führte. Er band ihn an der Futterkrippe fest, und der Stier verzichtete aufs Brüllen, schlug auch nicht mit den Hufen aus, weder nach vorne noch nach hinten, und hielt sich von der Krippe fern. Der Bauer wunderte sich darüber. Was war nur mit dem Tier los? Er brachte ihm Bohnen und anderes Futter, aber der Stier schnupperte nur daran, zögerte und legte sich weit weg vom Futter schlafen. Grummelnd und brummelnd schlief er in der Streu und im Stroh bis zum Morgen. Dann kam der Bauer wieder und fand die Futterkrippe randvoll mit Bohnen und gehäckseltem Stroh. Kein bisschen fehlte, nichts hatte sich verändert. Den Stier sah er daliegen, er hatte den Bauch aufgebläht, hielt die Luft an und streckte alle Beine von sich. Der Bauer wurde betrübt. Mitleid ergriff ihn. «Bei Gott, er war schon gestern ge schwächt. Er konnte einfach nicht mehr», sprach er zu sich selbst. Dann ging er zu dem Kaufmann. «Mein Gebieter», meldete er, «der Stier hat heute Nacht sein Futter nicht gefressen. Überhaupt nichts hat er angerührt!» Der Kaufmann, der ja schon wusste, was geschehen war, entgegnete dem Bauern: «Geh zu dem Esel, dem hinterlistigen Schlaukopf, spanne ihn vor den Pflug, und lass ihn tüchtig arbeiten. Er soll den Stier würdig vertreten!» Der Bauer ging hin, holte den Esel heraus, spannte ihn vor den Pflug und trieb ihn aufs Feld, wo er ihn schlug und drangsalierte, bis er pflügte wie der Stier. Er prügelte so lange auf ihn ein, bis seine Rippen wundgescheuert waren und sein Hals sich schälte. Erst als die Nacht kam, führte er ihn zurück nach Hause. Der Esel konnte kaum noch seinen Vorderhuf oder Hinterhuf heben. Seine Ohren hingen schlaff herab. Wie aber war es dem Stier ergangen? Der hatte den Tag über schlafend dagelegen und sich ausgeruht. Er hatte sein Futter gefressen und das Wasser gesoffen, danach wieder geruht und sich erholt. Dem Esel hatte er den ganzen Tag lang Gottes Segen gewünscht und seinen guten Rat, den er ihm gegeben hatte, gelobt. Als der Esel an diesem Abend zu ihm hereinschlich, sprang der Stier hoch und stellte sich aufrecht vor ihm hin. «Einen wunderschönen guten Abend wünsche ich dir, lieber Abu l-Yaksan!», begrüßte er ihn erfreut. «Bei Gott, du hast mir einen so großen Dienst erwiesen, dass ich es gar nicht beschreiben kann. Mögest du immer von gutem Erfolg gesegnet sein und allezeit so freundlich bleiben. Gott soll es dir mit Gutem vergelten, Abu l-Yaksan!» Der Esel aber gab ihm keine Antwort, weil er so wütend auf ihn war. «Das alles habe ich mir durch meinen dummen Plan selbst eingebrockt!», murrte er für sich. «Mir geht es, wie das Sprichwort sagt: ‹Ich saß ruhig immerzu, doch meine Neugier ließ mir keine Ruh’.› Nun muss ich ihn irgendwie überlisten, damit er sich wieder so verhält wie zuvor. Sonst überlebe ich das nicht!» Und er wankte zu seiner Futterkrippe und streckte sich aus, während der Stier ihm schnaubend Segen wünschte.

«Genauso wirst du, meine Tochter, an deinem eigenen Plan zugrunde gehen. Darum setze dich hin, sei still, und stürze dich nicht selbst ins Verderben. Diesen guten Rat gebe ich dir, weil ich dich herzlich liebe!» «Mein lieber Vater», entgegnete Schahrasad, «es führt kein Weg daran vorbei, dass ich zu diesem Sultan gehe und du mich ihm als Geschenk anbietest.» – «Tu’s nicht!», warnte sie der Vater. «Doch, ich muss es unbedingt tun!», be kräftigte sie. Da sagte er: «Wenn du dich jetzt nicht beruhigst, dann mache ich mit dir dasselbe, was der Kaufmann, dem das Ackerland gehörte, mit seiner Frau gemacht hat!» – «Und was hat er mit seiner Frau gemacht, mein lieber Vater?», fragte sie.

Du musst wissen – erzählte er weiter –, dass, nachdem der Esel mit dem Stier all das erlebt hatte, der Kaufmann und seine Frau beim Mondenschein hinausgingen zum Stall. Da hörte er den Esel zum Stier in seiner Eselssprache sagen: «Und was wirst du morgen tun, du Vater aller Ochsen? Höre auf mich! Wenn dir der Bauer das Futter bringt, was tust du dann?» – «Ich werde nichts anderes tun als das, was du mir geraten hast!», erwiderte der Stier. «Davon weiche ich nicht ab. Wenn er mir das Futter bringt, verstelle ich mich, tue, als ob ich krank wäre, lege mich hin und blähe meinen Bauch auf.» Der Esel schüttelte den Kopf. «Nein, das darfst du nicht tun!», sagte er. «Weißt du, was ich unseren Herrn, den Kaufmann, habe sagen hören?» – «Was denn?», wollte er wissen. «Er hat gesagt», fuhr der Esel fort, «‹Wenn der Stier sein Futter nicht frisst und nicht aufstehen will, dann rufe den Metzger, der soll ihn schlachten, sein Fleisch an die Armen verteilen und aus seiner Haut einen Lederteppich machen.› Jetzt habe ich Angst um dich, und meine Religion gebietet mir, dir einen guten Rat zu geben. Also: Wenn dein Futter kommt, friss alles auf und sei wieder munter und gesund, sonst schlachten sie dich und ziehen dir die Haut ab!» Der Stier ließ einen lauten Furz fahren und stieß ein Klagegebrüll aus. Da richtete sich der Kaufmann auf und lachte schallend über das, was er von dem Esel und dem Stier erfahren hatte. «Worüber lachst du denn?», fragte ihn seine Frau. «Machst du dich etwa über mich lustig?» – «Aber nein!», erwiderte er. «Dann sage mir, warum du so gelacht hast!», verlangte sie. «Das kann ich dir nicht sagen», entgegnete er, «weil ich Angst habe, dieses Geheimnis – nämlich, was die Tiere in ihrer Sprache reden – zu offenbaren. Ich kann es nicht», wiederholte er. «Was hindert dich daran, es mir zu sagen?», fragte sie. «Dann müsste ich sterben», erwiderte er. «Du lügst, bei Gott!», entgegnete ihm seine Frau. «Das ist nur eine faule Ausrede! Bei Gott, dem Herrn des Himmels, schwöre ich: Wenn du mir nicht verrätst und erklärst, worüber du gelacht hast, will ich nicht länger mit dir zusammenleben. Ich bestehe darauf, dass du es mir sagst!» Mit diesen Worten trat sie ins Haus, brach in Tränen aus und hörte bis zum Morgen nicht auf zu weinen. «Wehe dir! Sage mir, warum du heulst!», verlangte der Kaufmann. «Bitte Gott um Vergebung, und lass das ewige Fragen! Lass mich in Ruhe damit!» – «O nein, ich muss es wissen!», bekräftigte sie. «Und ich lasse mich nicht davon abbringen!» Endlich wurde der Kaufmann der Sache überdrüssig. «Muss es denn wirklich unbedingt sein?», fragte er und erklärte ihr nochmals: «Wenn ich dir sage, was ich von dem Esel und dem Stier gehört habe und was mich zum Lachen gebracht hat, muss ich sterben!» – «Ich bestehe aber darauf!», wiederholte sie. «Dann musst du eben sterben.» – «Dann rufe deine Familie zusammen», sagte er, und sie rief ihre beiden Töchter, ihre ganze Familie, ihre Mutter und ihren Vater. Auch einige Nachbarn gesellten sich dazu. Der Kaufmann ließ sie wissen, dass sein letztes Stündlein geschlagen habe. Da brachen alle miteinander in Tränen aus. Die Großen weinten mit den Kleinen, alle seine Kinder heulten, auch alle Landmänner und Ackerbauern und die gesamte Dienerschaft. So wurde um ihn Totenklage gehalten. Dann ließ er zuverlässige Zeugen bestellen, und als diese eingetroffen waren, setzte er ein Testament auf, in dem er seiner Frau das ihr zustehende Erbteil vermachte und seine Kinder als Erben einsetzte. Er schenkte seinen Sklavinnen die Freiheit und nahm von seiner Familie Abschied. Alle um ihn herum weinten. Selbst die Zeugen brachen in Tränen aus. Seine beiden Schwiegereltern wandten sich eindringlich an seine Frau. «Lass davon ab!», flehten sie sie an. «Wenn dein Mann nicht sicher wüsste, dass er sterben muss, sobald er sein Geheimnis lüftet, würde er sich ganz gewiss nicht so verhalten!» – «Nein», entgegnete sie, «ich verzichte nicht darauf.» Da weinten wieder alle und hielten ihre Totenklage. Nun, meine Tochter Schahrasad – fuhr der Wesir in seiner Erzählung fort –, hielten sie in ihrem Hause fünfzig Hennen und einen Hahn dazu. Wie nun der Kaufmann so in Gedanken dasaß, traurig darüber, dass er diese Welt, seine Familie und seine Kinder für immer würde verlassen müssen, sogar schon drauf und dran war, sein Geheimnis zu verraten und auszusprechen, da hörte er auf einmal einen Hund, der bei ihm im Hause lebte, in seiner Sprache mit dem Hahn sich unterhalten. Der Hahn aber schlug währenddessen mit den Flügeln, besprang flatternd eine Henne, befriedigte sie, stieg ab und hüpfte auf das nächste Huhn. Der Kaufmann erfasste genau, was der Hund redete. «Verehrter Hahn», hörte er ihn in seiner Tiersprache sagen, «du hast aber wenig Schamgefühl! Wer dich einmal erzogen hat, der hat vollständig versagt! Schämst du dich nicht, an einem Tag wie heute so etwas zu tun?» – «Was ist denn heute für ein besonderer Tag?», fragte der Hahn. «Weißt du denn nicht», sagte der Hund zu ihm, «dass heute Totenklage gehalten wird um unseren Herrn und Besitzer? Seine Frau besteht darauf, dass er ihr sein Geheimnis offenlegt, doch er muss sterben, sobald er es verrät. Siehst du? Da sind sie gerade dabei. Gleich wird er ihr die Sprache der Tiere erklären. Wir trauern schon allesamt um ihn. Und du schlägst mit den Flügeln, bespringst die eine und steigst von der anderen ab. Schämst du dich denn überhaupt nicht?» «Du Tölpel, du Narr!», hörte der Kaufmann den Hahn antworten. «Dann ist unser Herr aber sehr dumm, obgleich er immer so klug tut. Er hat nur eine einzige Frau und weiß nicht, wie er mit ihr umgehen soll!» – «Was soll er denn mit ihr tun?», fragte der Hund. «Er soll einen Knüppel aus Eichenholz nehmen», sagte der Hahn, «mit ihr in die Vorratskammer gehen, die Tür verriegeln und sie so lange prügeln, bis er ihr Arme und Beine gebrochen hat und sie laut ausruft: ‹Ich will nicht mehr, dass du es sagst, ich will keine Erklärungen mehr!› Er soll sie schlagen, bis sie fast ihr Leben aushaucht und ihm nie wieder so im Wege stehen kann. Täte er das, hätte er seine Ruhe und könnte weiterleben und auf die Totenklage verzichten. Aber er versteht ja nichts davon!» Da, meine Tochter Schahrasad, als der Kaufmann hörte, was der Hund und der Hahn miteinander redeten, erhob er sich eiligst, ergriff einen Knüppel aus Eichenholz, schob seine Frau in eine Vorratskammer, ging auch selber mit hinein, verriegelte die Tür und ließ auf ihre Flanken und auf ihre Schultern Schläge niedersausen. Er prügelte sie immer weiter, und sie schrie um Hilfe und rief laut: «Nein, Nein! Ich werde nie mehr etwas von dir wissen wollen! Lass mich los! Lass mich los! Ich frage dich nie wieder irgendetwas!», so lange, bis er endlich müde wurde, die Tür aufschloss und die Frau reumütig herauskam. Da waren alle froh, und die Totenklage verwandelte sich in ein Freudenfest. Er aber hatte gelernt, wie man die richtigen Entschlüsse fasst.

«Willst du nun ebenfalls auf deinem Willen beharren, damit ich mit dir ebenso verfahre, wie es der Kaufmann mit seiner Frau getan hat?» – «Bei Gott», war ihre Antwort, «ich werde nicht davor zurückstehen. Diese Geschichten können mich von meinem Plan nicht abbringen. Wenn du willst, kannst du mir noch viele solcher Geschichten erzählen; es wird doch damit enden, dass ich, wenn du mich dem König Schahriyar nicht zuführst, allein und hinter deinem Rücken zu ihm gehe und ihm erzähle, du hättest mich einem wie ihm vorenthalten wollen und wärest knauserig gewesen gegen ihn mit meinesgleichen.» – «Bestehst du tatsächlich immer noch darauf?», fragte sie der Wesir. «Jawohl», erwiderte sie. Der Autor der Chronik spricht: Als der Wesir nun nicht mehr weiterwusste und nachdem alle seine Mühen vergeblich gewesen waren, begab er sich zum Sultan Schahriyar, trat zu ihm ein, küsste vor ihm den Erdboden und berichtete ihm von seiner Tochter und dass er sie ihm in dieser Nacht zum Geschenk machen werde. Der König war erstaunt. «Hochverehrter Wesir», sagte er, «wie kann es sein, dass du mir deine Tochter anbietest? Du weißt doch selbst, dass ich, bei Gott und bei dem, der den Himmel aufgespannt hat, den nächsten Mor gen nicht anbrechen lassen werde, ohne dir zu befehlen, sie zu töten. Und wenn du sie nicht tötest, bringe ich dich um!» – «Verehrter Sultan», erwiderte er, «das habe ich ihr auch gesagt und es ihr klarzumachen versucht. Aber sie hat kein Ohr für meine Einwände. Es ist ihr Wunsch, in dieser Nacht bei dir zu sein.» Da freute sich der König. «Geh und ordne ihre Sachen», sagte er zu ihm. «Sobald die Nacht anbricht, führe sie zu mir.» Der Wesir zog sich zurück und überbrachte diese Botschaft seiner Tochter. «Möge Gott mich nicht betrüben durch die Trennung von dir!», setzte er hinzu. Schahrasad freute sich über die Maßen und machte gleich sich selbst und alles, was sie brauchte, hübsch zurecht. Dann ging sie zu ihrer jüngeren Schwester Dinarasad. «Liebe Schwester», sagte sie zu ihr, «merke dir gut, was ich dir jetzt auftrage. Sobald ich beim Sultan bin, werde ich nach dir schicken. Wenn du dazukommst und siehst, dass der König seine Lust befriedigt hat, dann sage zu mir: ‹Ach, Schwester, wenn du nicht schläfst, so erzähle mir eine Geschichte!› Ich werde euch dann etwas erzählen, und das wird der Grund für meine Rettung und für die Rettung dieses ganzen Volkes werden. So werde ich den König von seinem grausamen Verhalten abbringen!» – «Einverstanden», antwortete Dinarasad. Dann kam die Nacht. Der Wesir nahm Schahrasad und führte sie zu dem großen König Schahriyar. Der zog sie auf sein Lager und wollte mit ihr spielen, aber sie brach in Tränen aus. «Warum weinst du?», erkundigte er sich. «Ich habe eine Schwester», schluchzte sie, «der möchte ich diese Nacht noch Lebewohl sagen. Sie soll Abschied von mir nehmen, noch ehe der Morgen graut.» Da ließ der König nach ihrer Schwester schicken, und Dinarasad kam, legte sich unter das Bett und schlief ein. Als die Nacht schon fortgeschritten war, erwachte Dinarasad, wartete geduldig, bis der König seine Lust an ihrer Schwester gestillt hatte und alle wach lagen. Dann räusperte sich Dinarasad. «Ach, Schwester», sagte sie mit einem Seufzer, «wenn du nicht schläfst, so erzähle uns doch eine deiner schönen Geschichten, damit wir uns unsere Nacht damit vertreiben können und ich dir dann noch vor dem Tagesanbruch Lebewohl sagen kann. Denn ich weiß nicht, was morgen mit dir geschehen wird.» – «Erlaubst du, dass ich erzähle?», fragte Schahrasad den König Schahriyar. «Einverstanden», sagte der. Und Schahrasad freute sich und sagte: «Dann höre zu!»

 

 

 

Die erste Nacht

aus der Geschichte von Tausendundeiner Nacht, ein aufregendes Abenteuer

Schahrasad sagte:

Der Kaufmann und der Dschinni

Die Leute behaupten, o glücklicher König und Herr des rechten Urteils, dass es einmal einen Kaufmann gab, der reich und wohlhabend war und ein großes Vermögen und viele Sklaven besaß. Er hatte eine ganze Anzahl Frauen und Kinder, außerdem Bürgschaften und Kredite im ganzen Land. Eines Tages zog er aus, um in ein anderes Land zu reisen. Er bestieg also ein Reittier und packte unter sich eine Satteltasche mit saurem Gemüse und Datteln als Wegzehrung. Dann reiste er Tage und Nächte, bis Gott ihn wohlbehalten am Ziel seiner Reise ankommen ließ. Dort erledigte er seine Geschäfte, o glücklicher König, und machte sich dann auf den Rückweg in sein Land und zu seiner Familie. Er reiste drei Tage lang. Am vierten Tag kam eine große Hitze auf, die die Erde völlig versengte. Da er nun vor sich eine Plantage sah, ritt er auf diese zu, um dort Schatten zu suchen. Er gelangte an einen Nussbaum, unter dem eine frische Quelle sprudelte. An der Quelle ließ er sich nieder, band sein Tier fest, lud die Satteltasche ab und entnahm ihr etwas von dem eingelegten Gemüse, das er als Wegzehrung dabeihatte, sowie einige Datteln. Er begann, die Datteln zu verspeisen, und warf die Dattelkerne nach rechts und links von sich, bis er fertig war. Dann stand er auf, reinigte sich und betete. Als er sich beim Gebet zum Gruß umblickte, bemerkte er einen alten Dschinni. Seine Füße standen auf der Erde, sein Kopf aber ragte in die Wolken, und in seiner Hand hielt er ein gezücktes Schwert. Der Dschinni kam heran, bis er dicht vor ihm stand. «Steh auf, damit ich dich töte mit diesem Schwert, so wie du meinen Sohn getötet hast!», brüllte er ihm entgegen. Als der Kaufmann die Worte des Dschinnis hörte und ihn sah, fürchtete er sich, und die Angst kroch in ihn hinein. «Mein Herr», sagte er, «um welcher Schuld willen möchtest du mich töten?» – «Ich töte dich», war die Antwort, «weil du mein Kind getötet hast.» – «Wer hat dein Kind getötet?», entgegnete er. «Du hast mein Kind getötet!», polterte der Dschinni. «Bei Gott, ich habe dein Kind nicht getötet!», sagte der Kaufmann. «Wann und wie soll denn das geschehen sein?» Da sagte der Dschinni: «Hast du nicht hier gesessen und aus deinem Reisesack Datteln herausgenommen und hast begonnen, die Datteln zu essen, und dabei die Dattelkerne nach rechts und links weggeworfen?» – «Ja», erwiderte der Kaufmann, «das habe ich getan.» – «Dann hast du also meinen Sohn ermordet», wiederholte der Dschinni, «denn als du die Dattelkerne nach rechts und links von dir warfst, kam gerade mein Sohn vorbeispaziert, da hat ihn ein Dattelkern getroffen und getötet. Und jetzt muss ich dich töten!» Der Kaufmann flehte: «Mein Herr, tu’s nicht!» – «Doch, ich muss es tun, so wie du mein Kind ermordet hast!», sagte der Dschinni. «Wird nicht Mord mit Mord gerächt?»