Technologie und Race - Louis Chude-Sokei - E-Book

Technologie und Race E-Book

Louis Chude-Sokei

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Beschreibung

Am Anfang der US-amerikanischen Unterhaltungskultur steht eine Schwarze Frau, von der das Publikum nicht weiß, ob es sich um einen 161 Jahre alten Menschen, einen Schwindel oder um einen Automaten handelt: Joice Heth, George Washingtons »Mammy«, mit der P. T. Barnum durch das Land tourt und schließlich die American Sideshow und den modernen Zirkus begründet. In Louis Chude-Sokeis eindringlichen Untersuchungen der Verschränkungen von Sklaverei, ihrem Nachleben und der technologischer Entwicklung ist die Geschichte der Sklavin, die bei der »Geburt Amerikas« anwesend war, um ab 1835 zur nationalen Attraktion zu werden, einer der Ausgangspunkte für die Frage nach dem Menschsein im Zeichen der Technik. Ob im Minstrel oder in der Science-Fiction, in der Informationstheorie oder der Forschung zu Künstlicher Intelligenz: Stets erkennt er ein technisch-politisches Unbewusstes am Werk, das von Rassenängsten getrieben wird. Zugleich eröffnen Chude-Sokeis brillant geschriebene Essays den Raum für eine radikale Neubestimmung nicht nur der Wirklichkeit, sondern auch des Möglichen, indem sie die Verwandlung von und mit Technik im Kreolisierungsprozess, in der avantgardistischen Literatur und Philosophie der Karibik oder im Sound der Schwarzen Diaspora in den Blick nehmen.

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LOUIS CHUDE-SOKEI

TECHNOLOGIE UND RACEESSAYS DER MIGRATION

Aus dem Englischen von Utku Mogultay

Zum Cover

Das für das Cover verwendete Foto der belgischen Fotografin Wanda Tuerlinckx zeigt BINA48. BINA48 (Breakthrough Intelligence via Neural Architecture 48) ist ein Robotergesicht mit Chatbot-Funktionen, das Martine Rothblatts Terasem Movement gehört und nach Rothblatts Frau Bina Aspen modelliert ist. Es wurde von Hanson Robotics entwickelt und 2010 veröffentlicht.

INHALT

Einleitung

1.Kreolisierung und Maschinensynthese: Mouse on Mars und AAI

I. Maschinen

2.Race und Technologie: Eine kreolische Geschichte

3.George Washingtons ‚Mammy‘

4.Unheimliche Minstrels in der modernen Maschine

5.Race und Robotik

6.Maschinen und die Ethik der Vermischung

II. Prismen

7.Schwarzsein und Werden.Edouard Glissants Rückkehr

8.„Fremde Schwarze Blendkräfte“.Eric Walrond und die Vielstimmigkeit des Diasporischen

9.Wilson Harris: Eine ontologische Promiskuität

III. Echos

10.Return to the Echo Chamber.Race, Sound und die Zukunft von Community

11.Invisible Missive Magnetic Juju.Über afrikanische Cyberkriminalität

12.Dr. Satan’s Echo Chamber: Louis Chude-Sokei im Gespräch mit Michael McMillan

Textnachweis

Übersetzernotiz

EINLEITUNG

Das Erscheinen dieses Buches ist mir nicht nur deshalb eine Freude, weil die hier versammelten Essays die Kernthemen meines akademischen und kulturkritischen Schaffens widerspiegeln, sondern auch weil sich der Band ausdrücklich an ein deutschsprachiges Publikum richtet. Die Essays bieten denjenigen, die meine Arbeiten noch nicht kennen, eine erste Einführung, können aber zugleich als erweiterte und vertiefende Auseinandersetzung mit dem behandelten Themenfeld gelesen werden, vor allem wenn man bereits mit Fragen rund um das titelgebende Begriffspaar Technologie und Race vertraut ist. Dass die Essays nun in deutscher Übersetzung vorliegen, freut mich besonders, da meine Arbeit hierzulande viel positiven Anklang gefunden hat – eine der großen Überraschungen meiner akademischen Laufbahn. Diese lebhafte Resonanz ist auch der Grund dafür, dass ich seit 2010 öfter zu Besuch in Deutschland war als in jedem anderen Land, das ich im Rahmen meiner Arbeit bereisen konnte.

Auf meinen Reisen nach Deutschland hielt ich Vorträge, führte Interviews und Gespräche und arbeitete an einer Reihe verschiedener Projekte, die es mir ermöglichten, meinen theoretischen und praktischen Ansatz auszubauen und zu schärfen. All diese Formate und Projekte waren ausnahmslos um die Begriffe Technologie und Race herum konzipiert, auch wenn sie sich vordergründig um Musik, Sound oder das kulturelle und intellektuelle Erbe der afrikanischen Diaspora drehten. In meiner Arbeit steht Race für den Fokus auf die historischen Erfahrungen und kulturellen Hervorbringungen von Schwarzen Menschen; Technologie wiederum bezieht sich auf die Prozesse, bei denen ebendiese Menschen einer Reihe westlicher Maschinen begegneten, angefangen vom Sklavenschiff bis hin zum Mikrochip, und dabei ihnen oft feindlich gesinnte Umwelten umgestalteten.

Das Begriffspaar Technologie und Race fungiert insofern als thematische Klammer dieses Bands, als diese beiden Sphären, wie die Essays durchweg herausstellen, nicht in konzeptuellem oder sozioökonomischem Gegensatz zueinander stehen – auch wenn viele weiterhin dieser Annahme anhängen und Schwarze leichtfertig mit dem Organischen und ‚Natürlichen‘ assoziieren, während die technologische Entwicklung ausschließlich Weißen oder dem Westen zugeschrieben wird. Die Art und Weise, wie sich beide Sphären überlagern und eng miteinander verflochten sind, ist zu meinem Schlüsselthema geworden, seit ich als Doktorand und DJ in den 1990er Jahren anfing, über Dub- und Reggae-Soundsystems zu schreiben. Mein Fokus auf Sound und Soundsystems in kolonialen Kontexten eröffnete mir ein tieferes Verständnis davon, wie sich Schwarze Menschen mit elektronischen Medien auseinandersetzen und dadurch eine – wie ich es an anderer Stelle nenne – Schwarze Technopoetik entwerfen.

Mich inspiriert es, dass sich inzwischen viele andere dem Projekt angeschlossen haben, die historischen, kulturellen und gedanklichen Verbindungslinien zwischen der Sphäre der Maschinen und den Erfahrungswelten Schwarzer Menschen zu erkunden. Allerdings neigt man dabei immer noch allzu häufig dazu, Race und Technologie auf den Zusammenhang von Rassismus und Technologie zu reduzieren – was etwa daran deutlich wird, dass sich solche Studien fast ausschließlich auf das Problemfeld rund um Diskriminierung, Bias und Überwachung konzentrieren. Diese Ansätze, die in meiner Arbeit ebenfalls eine bedeutende Rolle spielen, sind zweifellos wichtig, aber sie tappen oft auch schnell in die Klischeefalle und beschränken sich fast immer auf ein binäres Schwarz-Weiß-Schema. Der Antrieb für meine Arbeit war vielmehr, zeigen zu wollen, dass Race und Technologie schon lange vor Anbruch der digitalen Ära miteinander verschränkt waren und dass ihre Geschichte mehr bietet als nur historische Beispiele für anhaltende Probleme wie Rassismus, Exklusion und kolonialistische Unterdrückung. Wie Schwarze Menschen von Technologie Gebrauch machen, ist für mich ebenso zentral wie die Frage, wie Technologie auf und gegen Schwarze Menschen angewandt wird. Die problematischen Aspekte verlangen nach wie vor Aufmerksamkeit, doch Race kann insofern zum Verständnis von Technologie beitragen, als die Verflechtungen zwischen diesen beiden Sphären auch davon erzählen, wohin wir uns als Menschen entwickeln, und nicht nur davon zeugen, wer wir waren und weiterhin versuchen zu sein. Dieses Werden nachzuzeichnen, ist das Leitmotiv, das sich durch mein gesamtes Werk hindurchzieht.

Dazu kommt ein im Untertitel dieses Bandes genanntes Thema, das ich herausstellen möchte, auch weil einige der hier abgedruckten Essays das Feld der Technologie nicht explizit behandeln. Was diese Texte aber sehr deutlich machen, ist, dass es das Faktum der Migration ist, das mein anhaltendes Interesse an Technologie und ihren Wechselwirkungen mit Race überhaupt ermöglichte. Damit meine ich nicht nur die Bewegungen afrikanischer Menschen in den letzten drei (wenn nicht mehr) Jahrhunderten, sondern auch die Wanderbewegungen einer bestimmten Schwarzen Person – nämlich mir selbst – entlang der unendlich vielfältigen historischen, imaginativen und intellektuellen Landschaft, die wir Diaspora nennen. Die Essays über Technologie hätte ich zudem nie schreiben können, wenn ich nicht mit den Ideen migrantischer Denker wie Eric Walrond, Edouard Glissant und Wilson Harris in Berührung gekommen wäre. Neben anderen Autor*innen wie Sylvia Wynter, Aimé Césaire, Samuel R. Delany und Kodwo Eshun beflügelten diese Denker meine Schreibvision und führten mich zu einem Begriff des Schwarzseins, der nicht in Vorstellungen von Organizität oder Authentizität oder in Klischeebildern der Befreiung und Solidarität wurzelt. Die nicht ausdrücklich technologisch orientierten Essays sind daher genauso wesentlich für diesen Band wie die Texte, die sich mit Sklavenautomaten, dem Afrofuturismus, den Technologien der Tonaufzeichnung oder mit afrikanischer Cyberkriminalität und den race- und geschlechtsspezifischen Politiken künstlicher Intelligenz befassen.

Außer den durch Sklaverei und Kolonialismus erzwungenen Formen der Mobilität ist die Schwarze Diaspora auch durch freiwillige, aber nicht weniger folgenreiche Migrationsbewegungen jüngeren Datums geprägt. Diese spielen in den folgenden Essays ebenfalls eine wichtige Rolle, genauso wie die kulturellen, politischen und intellektuellen Strömungen, die infolge dieser neueren diasporischen Bewegungen entstanden und sie teils ablehnten und teils unterstützten oder kritisch reflektierten. Diese Strömungen fanden Ausdruck in den Feldern der Musik und Literatur, die stets das Herzstück meines Denkens bilden, aber auch in den Erwiderungen auf diese kulturellen Formen, die in den elitären Sphären der akademischen Welt und ihren Theoriezirkeln sowie in einer unübersichtlichen öffentlich-politischen Diskurslandschaft formuliert wurden. Viele der hier vorgelegten Essays wollen nicht nur das notwendige Band zwischen diesen oft auseinanderklaffenden Sphären stärken, sondern auch einen Modus der Kulturkritik entwerfen, der sich der jeweils in ihnen entfaltenden Dialoge ernsthaft annimmt und versucht dazu beizutragen, dass sie sich gegenseitig befruchten. Schließlich ist es leider nicht immer der Fall, dass diasporische Kritik aufmerksam zuhört und sich der gesamten Bandbreite an Positionen und Perspektiven widmet, die das Vermächtnis der Migration ausmachen. Sich der Institutionalisierung der Diaspora zu widersetzen und zugleich ihre vielgestaltige reale Zerstreuung anzuerkennen, ist das wesentliche Ziel dieser Essays sowie des umfassenderen Projekts, dem sie entsprungen sind.

Diasporische Kontexte überlagern sich grundsätzlich, wie ich in einem der Essays darlege, und zwar sowohl auf traumatische als auch auf magische Weise. Die Essays stellen diese Überlagerungen heraus und verleihen ihnen Tiefe; sie zeichnen die vielfältigen affektiven Begegnungen in diesen Kontaktzonen nach, ebenso wie die aus ihnen hervorgegangenen Erzeugnisse, vom Überdeutlichen bis zum Inkommensurablen, vom Blut bis zum Gold. Der Versuch, verschiedene diasporische Erfahrungen – von den historischen bis zu den neuen afrikanischen Diasporas, von der freiwilligen bis zur unfreiwilligen Zerstreuung – miteinander zu verknüpfen und in Austausch zu bringen, manifestiert sich auch in der sprachlich-stilistischen Vielfalt der Essays. Ob sie nun theoretisch oder literarisch orientiert sind, sich an ein Fach- oder allgemeines Publikum richten oder in klassischen Print-Formaten oder Online-Magazinen erschienen sind, entstanden diese Texte allesamt in Zusammenhang mit meiner akademischen Publikationstätigkeit. Da einige im Vorfeld und einige im Anschluss an meine bekannteren Monografien verfasst wurden, sind diese Essays auch als Zeitzeugnisse zu verstehen. Das erklärt nicht nur, warum manche Gegenwartsbezüge vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäß wirken, sondern ruft vor allem in Erinnerung, in welchem Rahmen sich die argumentativen Auseinandersetzungen und Konflikte abspielten, die in der Schwarzen Diaspora und infolge der Formation einer zunehmend institutionalisierten Schwarz-diasporischen Kulturkritik in der westlichen akademischen Welt aufkamen.

Ich gebe jedoch auch zu, dass viele dieser Essays geschrieben wurden, um dieser zunehmend institutionalisierten Schwarz-diasporischen Kulturkritik etwas entgegenzusetzen. Manche Texte schreiben bewusst an gegen eine oft lähmende akademische Arbeits- und Denkwelt und gegen weite Teile eines zeitgenössischen Schwarzen Denkens, das außerstande scheint, sich von den Konventionen und Gesten binär codierter Race-Politiken zu lösen. Diese Streitlust wird an den kritischen Positionen, die ich stellenweise einnehme, ebenso deutlich werden wie an der eindringlichen Haltung, die ich dabei zuweilen an den Tag lege. Ich kann stolz sagen, dass mein Wunsch danach, Haltung zu zeigen, mit zunehmendem Alter und kontinuierlicher Erweiterung meiner Praxis nichts an Beharrlichkeit verloren hat.

Louis Chude-Sokei, 2022.

1. KREOLISIERUNG UND MASCHINENSYNTHESE: MOUSE ON MARS UND AAI

Die Geschichte lehrt uns, dass Menschen zu Nicht-Menschen gemacht, zu Tieren degradiert und wie Objekte behandelt werden können. Gesetze und soziale Praktiken wurden eigens zu diesem Zweck entwickelt. Weil auch die Technologie in diese Geschichte verstrickt ist, wollten wir uns ein Gegenstück dazu ausdenken und entwerfen. Wir wollten eine Geschichte erzählen, in der nicht-menschliche Objekte das Leben neu definieren und ein neues Bild davon zeichnen, was es bedeutet, Mensch zu sein.

Wir mieden dabei das alte, abgegriffene Klischee des Roboteraufstands bzw. der Maschineninvasion, welches das Science-Fiction-Genre seit seiner Entstehung fast durchgehend prägte. Erzählungen über Maschinen, die den Menschen als gefügige Sklaven dienen, sich dann jedoch zum wütenden Aufstand erheben, kehren unweigerlich zurück, wenn neue Technologien frühere Entwicklungen aus der Erinnerung drängen. Diese Erzählungen bereiten sogar noch mehr Unbehagen, wenn sie eine Angst vor dem Anderen in technologischer Form wiedererscheinen lassen.

Wir wollten stattdessen diese Tatsache würdigen: Je mehr wir über Maschinen lernen, umso mehr entdecken wir über uns selbst. Wir wollten eine Erzählung entfalten, die Folgendes anerkennt: Je eingehender wir unsere technologischen Zukunftsvisionen ergründen, umso besser erkennen wir das tragische Erbe unserer unmenschlichen Vergangenheit. Schließlich ist auch Science-Fiction ein Modus der Geschichtsschreibung. Sie lehrt uns, dass der Begriff der Menschheit stets auf die Erfindung seiner Gegenpole angewiesen war – auf die Kategorien des Geschlechts, der Natur, der Rasse. Diese Geschichte, in der sich der westliche Kolonialismus ebenso durch technologisches Können wie durch Hautfarbe und Gewalt abgrenzt, brachte die Maschinen hervor.

Zugleich setzte sich mit dieser Vorstellung von Technologie die spezifische Vision einer unausweichlichen Zukunft durch. Wir wollten dieser von Konzernen befeuerten Idee der Unumgänglichkeit etwas entgegenstellen. Hierfür demokratisierten wir die Macht, Leben, Bewusstsein und Intelligenz zu definieren. Nicht mehr nur Menschen sollten dazu fähig sein, nicht mehr nur das Lebendige sollte das Leben definieren. Die Intelligenz wäre dann nicht länger im Alleinbesitz von Menschen, und das Bewusstsein bliebe unergründlich.

Auch die Geschichtsschreibung wäre keine reine Menschendomäne mehr. Schließlich geht es bei Geschichte um einen Wettstreit der Erzählungen, ein Gerangel und Ringen um Bedeutungen. Eine aus Sicht des neu entstehenden Objekts erzählte Geschichte könnte einen anderen Begriff des Lebens aufwerfen. Ausgangspunkt dafür wäre, wie das Objekt entstand, wie es sich entwickelte und welches Selbstbild es von sich zeichnete. Es würde sein Selbstbewusstsein zelebrieren und dich über seinen Sound zum Mitmachen anregen. Das ist die Geschichte von AAI (Anarchische Artifizielle Intelligenz).

Nun, das war zumindest der Plan. Oder die Theorie hinter dem Plan.

Damit das Objekt seine eigene Geschichte erzählen konnte, musste zunächst ein gewisses Maß an Unabhängigkeit gegeben sein. Anderenfalls wäre es nur eine von seinen Schöpfer*innen eingeflüsterte Erzählung von Freiheit gewesen. In unserem Fall war das nicht-menschliche Objekt ein Algorithmus, der die Phase der Imitation schnell hinter sich ließ und zum Selbstlernen überging. In die Geschichte, die wir erzählen wollten, brachte sich der Algorithmus dadurch ein, dass er sie destabilisierte, dezentralisierte und, jawohl, anarchisch gestaltete.

Wir waren ein großer Kreis, mit jeweils unterschiedlichem kulturellem, sozialem und beruflichem Hintergrund. Einige von uns widmeten sich dem theoretischen Unterbau des Projekts, andere zogen es vor, im Studio Klangungetüme zu kreieren. Einige wählten die technische Herausforderung, den maßgeschneiderten Algorithmus zu entwickeln, andere befassten sich mit den Auswirkungen der Tatsache, etwas erschaffen zu haben, das wir nicht kontrollieren konnten, dem wir aber dennoch vertrauen mussten. Unter uns waren Programmierer*innen und Ingenieur*innen, Musiker*innen, ein soundtüftelnder Autor und einige behilfliche Mitlauschende.

Natürlich war da noch der Algorithmus, dessen Entwicklung wir ebenso auf der Code- wie auf der Klangebene verfolgten. Er zog uns in seinen Bann, als er anfing, zu gluckern und zu schnattern, zu brabbeln und zu grunzen und zu husten. Bis er schließlich sprechen konnte.

Daher stimmt es auch, dass AAI, wie alle Geschichten, mit Sprache begann. Nicht nur in Bezug auf den Algorithmus selbst, sondern in dem Sinne, wie Erzählungen grundsätzlich beginnen. Mit Worten. Und jeder Menge Gesprächen. Anfangs drehten sich diese Gespräche vor allem um Sprache. So kam es zum ersten erhellenden Moment, als wir uns fragten, warum Computerstimmen – sei es die eines Roboters, einer künstlichen Intelligenz oder die von Siri – immer so kühl, analytisch und rational klingen. Es war offensichtlich sowohl ein Klischee als auch eine politische und ökonomische Tatsache, die von denjenigen geschaffen worden war, die die Technologie kontrollieren. Eben darum klingen Maschinen also ‚weiß‘.

Wenn ein hypertechnologisierter Sound Weißsein evozieren kann, wie würde dann wohl eine nicht-weiße KI klingen?

Das war die erste Herausforderung. Wenn ein technologischer Sound einem homogenen Weißsein entsprechen konnte, wollten wir unbedingt vermeiden, dies bei einem nicht-weißen Stimmsound zu reproduzieren – auch wenn die Stimme des afroamerikanischen Schauspielers Samuel Jackson inzwischen zu einer beliebten Option für Amazons virtuelle Assistentin Alexa geworden ist – und sogar über die Zusatzfunktion verfügt, Schimpfwörter zu gebrauchen.

Unsere KI sollte keine per Vocoder oder Autotune herbeifantasierte Ersatz-‚Seele‘ einer Maschine darstellen und genauso wenig ein tarantinohaftes Quasi-Stereotyp amerikanischen Schwarzseins. Doch wir wussten auch, dass die politische Zurückweisung der Stereotypisierung uns unversehens auf eine unmögliche Suche nach Authentizität führen könnte. Die Lösung bestand darin, nicht die Replikation von Sprache anzustreben, denn das würde Sprache als Fiktion reinen Sprechens anerkennen. Wir wollten Sprache vielmehr als eine Insel betrachten, die von einem Ozean der Dialekte, Slangs und Mundarten umgeben ist.

Was wäre, wenn der Algorithmus anhand sprachlicher Unvollkommenheiten trainiert würde? Er könnte sich auf die Makel und Unregelmäßigkeiten der menschlichen Stimme fokussieren, anstatt zu versuchen, diese zu vervollkommnen. Im Mittelpunkt stünden dann die Unterschiede zwischen dem, wie Sprache klingen sollte, und dem, wie sie in der Praxis tatsächlich klingt. Was wäre, wenn die Regeln des ‚angemessenen Sprechens‘ als jene nicht-linguistischen Macht- und Herrschaftsaussagen abgelehnt würden, die sie eigentlich sind. Der Algorithmus müsste sich dann durch einen Ozean von Mundarten arbeiten, die das angemessene Sprechen zu einem beliebigen Zeitpunkt, in einer beliebigen sozialen Situation oder in einem kulturellen Kontext umgeben. Er würde erkennen, dass die Standardsprache lediglich ein Dialekt mit sehr umfangreicher Ausstattung ist.

Sprache ist eine von Dialekten umgebene Insel.

Die Politik des reinen und angemessenen Sprechens.

Klasse, Race und Klangungetüme.

Diese Elemente wiesen in eine für mich jedenfalls sehr klare Richtung, nämlich die Karibik.

In seinem Klassiker History of the Voice (1984) argumentierte der Dichter und Kritiker Edward Kamau Brathwaite bekanntlich, dass der Dialekt nicht nur in Bezug auf das eigentliche Sprechen einen Wert habe, sondern auch als fortwährende kreative Auseinandersetzung mit kulturellen Erwartungen und der Landschaft zu verstehen sei. Er legte nahe, dass die Sprache in der Karibik inadäquat sei. Sie war/ist kolonial, elitär, weiß und brachte ein Verhältnis zu Klang und Raum mit sich, dass nicht dem Ort und den Menschen entspricht. Der Dialekt dagegen war/ist eine Form des Widerstands gegen die Dominanz weißer oder einheimischer Eliten. Ebenso ist er eine grundlegende Technik, um ein Selbst auszudrücken, das für die Kolonialmächte unlesbar ist; ein Selbst, das entweder von der Sprache ungehört bleibt oder unübersetzbar ist.

Brathwaites Denken über die Kreolisierung der Sprache war stark vom antikolonialen Nationalismus der 1960er und 1970er Jahre durchdrungen. Er widersetzte sich dem Eurozentrismus, indem er eine Position geltend machte, die dem Afrozentrismus nähersteht als dem Werk eines anderen Denkers, der unsere Gespräche zu Anfang des Projekts prägte: Edouard Glissant aus Martinique. Dessen Überlegungen schienen noch besser mit AAI vereinbar, da Glissant sämtliche Zentrismen unterlief, seien es europäische, afrikanische, indische oder sonstige. Sein Ansatz war wie gemacht für digitale Technologien. Für Glissant ist die Kreolisierung einer Zukunft verpflichtet, die konsequent vermischt ist, weshalb die Obsession mit Zentren auch lediglich die Hierarchien von ‚Rasse‘, Gesetz und Sprache reproduzieren kann.

Doch vor allem Brathwaites Überlegungen zu Sound ermöglichten es unserem Team, aus unseren Gesprächen ein schlüssiges Projekt zu entwickeln.

Für Brathwaite ist Musik nicht das Produkt einer vollendeten, kodifizierten Sprache, sondern Auswuchs eines realen Sprechens, das sich in Echtzeit an einem realen Ort vollzieht. Die Musik eines Volks, argumentiert er, ist im Grunde eine Kartierung ihres Dialekts, der bestimmte Rhythmen, Texturen, Geräuscheffekte und Ausdrucksstile hervorbringt (sein wichtigstes Beispiel ist der jamaikanische Ska). Brathwaite legt damit nahe, dass jeder neue oder abgewandelte Dialekt eine neue Musik ins Leben ruft und dass jede neue Musik die Geburt eines neuen oder verwandelten Volks bedeutet. Glissant beschreibt diesen Prozess als „Synthesis-Genesis“.1

Wenn der Algorithmus anhand des Verhältnisses von Dialekt und Sprache trainiert würde und Ersterer dabei maßgeblich wäre, könnten wir dann Rhythmen und Melodien erzeugen, die neuen Regeln folgen? Wie würde die „Synthesis-Genesis“ ablaufen, wenn wir karibische Lyrik und Theorie mit künstlicher Intelligenz vermischen?

An dieser Aufgabe arbeiteten unsere Programmierer*innen und Ingenieur*innen ebenso wie unsere Musiker*innen mit Hochdruck. Der Algorithmus sollte auf dem „Vector Hacking“ basieren, das heißt, er wurde darauf trainiert, seine numerischen Eingabewerte eigenständig zu verändern. Jeder dieser Werte entsprach einem bestimmten Klang oder einer Variation der konstruierten Stimme, die letztendlich eine Version meiner eigenen Stimme war. Anfangs gaben wir zufällige Werte ein, doch der Algorithmus war trainiert worden, darin Muster zu erkennen, die für uns nicht wahrnehmbar waren. Daraufhin veränderte er die Eingabewerte und erzeugte so Klänge, Artikulationen und Wortfragmente, die unvorhersehbar waren, aber dennoch Programmcharakter hatten, das heißt sie wurden kodifiziert und in nicht-zufälliger Weise wiedereingesetzt.

Der Algorithmus näherte sich mit der Zeit der Standardsprache an, wie am Ende des Albums zu hören ist. Doch wie bereits gesagt, war das der am wenigsten aufregende Aspekt des Projekts. Die Aufgabe der Musiker*innen und Sounddesigner*innen bestand vor allem darin, den Dialekt musikalisch zu begleiten, während er sich zum Standardenglisch hin entwickelte.

Eine Frage ließ uns dabei nicht los: Hatten wir, indem wir einen Dialekt konstruierten, ein Wesen erfunden/erschaffen, das den Dialekt muttersprachlich sprechen und dazu tanzen konnte? Oder war das nur eine weitere Fantasievorstellung, die daher rührte, dass wir Science-Fiction-Erzählungen viel zu ernst genommen hatten?

An diesem Punkt sollte mit Sylvia Wynter eine weitere karibische Denkerin unsere spekulative Fiktion prägen. Wynters breit angelegte historische Untersuchung der Kategorien Mensch und Nicht-Mensch erinnert uns daran, dass diese Kategorien nicht biologisch verwurzelt sind, sondern das Ergebnis rassistischer und kolonialer Macht. In meiner Lesart von Wynter betone ich vor allem, dass es sich dabei um veränderliche Kategorien handelt. Etwas, das in einem bestimmten historischen oder kulturellen Kontext als nicht-menschlich gilt, könnte in einem anderen Kontext also in etwas Menschliches übergehen. Oder es könnte diese Kategorie einfach für sich selbst in Anspruch nehmen oder neu definieren. Anders gesagt können Menschen zu niederen Kreaturen oder Automaten erklärt werden, aber Letztere können auch zu Personen werden (vor allem für die erstgenannte Transformation muss man leider nicht allzu lange nach historischen Beispielen suchen). Oder Maschinen könnten – als Widerhall einer alten Science-Fiction-Tradition – die Grenzen des Menschlichen infrage stellen und neu definieren.

Mit diesen drei karibischen Denker*innen – Brathwaite, Glissant, Wynter – war der Erzählrahmen von AAI vollständig. Im Grunde fanden wir uns nun genau in jenem Spannungsfeld wieder, das auch der Ausgangspunkt des Projekts (und dieses Essays) war: Geschichte, Technologie, Macht und Vorurteil. Doch zugleich schrieben wir das laufende Projekt der Freiheit fort.

Kudos an das AAI-Team: Mouse on Mars, Birds on Mars, Dodo NKishi, Rany Keddo, Derek Tingle und natürlich AAI.

1Edouard Glissant, Poétique de la relation, Paris: Gallimard 1990, S. 188.

I. MASCHINEN

2. RACE UND TECHNOLOGIE: EINE KREOLISCHE GESCHICHTE

Die westliche Moderne, tatsächlich sogar ein Großteil der westlichen Kultur, gründet auf der binären Trennung von Race und Technologie. In diesem Dualismus gilt der erstere Pol als hyperorganisch und primitiv, der letztere dagegen als anorganisch und hyperrational. Während Ersteres der angebliche Ursprung von Rhythmus, Geschlecht und Körperlichkeit sei, stünde Letzteres für Abstraktion, Industrie und komplexe Verfahren der Repräsentation. Diese zugegebenermaßen vereinfachte Gegenüberstellung ist so verzerrend wie vielsagend. Denn zum einen waren beide Pole schon immer voneinander abhängig; ihre jeweilige Bedeutung speiste sich aus ihrem Kontrast sowie den Machtverhältnissen, in denen sich diese Bedeutungen materialisierten. Zum anderen schaffte diese Abhängigkeit auch Nähe: Schließlich produziert Technologie ebenso Race, wie Race zur Technologie hinstrebt.

Das Zusammenwirken dieser zwei Wissensregimes war im 19. Jahrhundert besonders augenfällig. Damals festigte sich unser heutiges Verständnis von Race und Technologie, nachdem es im Schmelztiegel der Biowissenschaften, der Urbanisierung und der imperialen Expansion geschmiedet worden war. Zudem waren zwei der dringendsten Themen im transatlantischen Kontext des 19. Jahrhunderts – die entscheidend sind, um das Entstehen der unhinterfragten Trennung von Race und Technologie nachzuvollziehen – der Industrialismus und die Sklaverei.

Doch gleichzeitig vermischten sich die beiden Gegenpole und lösten einen wechselseitigen Prozess aus, der sich an einer Reihe distinkter Technologien nachzeichnen lässt. Da wäre zunächst das Sklavenschiff, das einerseits die Entmenschlichung versklavter Schwarzer bewirkte und andererseits die materiellen Grenzen und Bedürfnisse der Moderne sowie deren konzeptuelles und soziales Möglichkeitsfeld erweiterte. Eine zweite wichtige Technologie ist die Plantage, die karibische Denker*innen von C.L.R. James über Antonio Benítez-Rojo bis Sylvia Wynter als wesentlich für die Konstruktion von reglementierten Subjektivitäten im Vorfeld der Industrialisierung beschreiben. Schließlich wäre da die Entkörnungsmaschine (cotton gin), die vor allem in Amerika die industrielle Revolution auf den Weg brachte und zugleich massiv zur Ausweitung der Sklaverei beitrug.

Die genannten Autor*innen weisen alle mehr oder weniger deutlich darauf hin, dass diese ‚Maschinen‘ von den von ihnen hervorgebrachten Subjekten kreolisiert wurden: Die Präsenz von Schwarzen hatte einen prägenden Einfluss auf sie, während sie durch den Rassismus von afrikanischen Körpern abhängig wurden. In diesem wechselseitigen Prozess waren Schwarze keineswegs nebensächlich für die Funktionsweise und Produktivität dieser Technologien. Die Geschichte der Innovation ist also auch eine Geschichte der Versuche, Technologien dahingehend zu modifizieren, dass sie auf den Widerstand von Schwarzen reagieren und zugleich deren Beiträge zur Entwicklung dieser Technologien einbeziehen oder nutzbar machen. Dies zeigte sich gleichermaßen daran, dass landwirtschaftliche Traditionen aus Afrika Einzug in das Plantagensystem hielten und dass Schwarze Sounds die Weiterentwicklung von Aufnahmetechnologien bedingten.

Schwarze Körper waren in dieser Dynamik nicht nur aufgrund ihrer konzeptuellen Elastizität als das ‚Andere‘, ‚Natürliche‘ und ‚Primitive‘ von Bedeutung, sondern auch wegen ihrer ökonomischen Verwertbarkeit als Arbeitskraft, Eigentum und Kapital. Doch warum insbesondere Schwarze Körper? Warum diese bestimmte Konfiguration rassifizierter Differenz, wenn man die Bandbreite an Differenzmarkern bedenkt, die die westliche Moderne und ihre koloniale Infrastruktur konstruiert hatten? Ein wichtiger Grund ist, dass unter dem Einfluss der Biowissenschaften Schwarze weniger als Menschen und mehr als Tiere betrachtet wurden; zwar galten sie nicht ganz als Tier, doch waren sie irgendwo zwischen Mensch und Tier angesiedelt. Dieser uneindeutige Status wurde im 19. Jahrhundert im amerikanischen Recht besiegelt und festgeschrieben.

Diese Krise der Kategorien – diese Verdinglichung, wie es der karibische Dichter Aimé Césaire nannte – hatte allerdings eine weitere Dimension. Denn versklavte Schwarze fungierten im Grunde als Prothesen für eine weiße, angeblich rationalere Intelligenz, während sie selbst nicht als vernunftbegabt angesehen wurden. Folglich oszillierte ihr Status zwischen Mensch, Tier und Maschine.

Es verwundert daher nicht, dass die technologische Entwicklung und Race immer wieder Verbindungen eingegangen sind, entweder indem Race-Kategorien auf Maschinen übertragen wurden oder indem man mittels der Bedeutungen von Race anorganische Lebensformen als menschlich darstellte. Diese Verbindungen sind unvermeidlich, wenn Kreolisierung als ein Prozess verstanden wird, der sich ebenso zwischen Race- und Kulturgruppen vollzieht wie zwischen vermeintlich menschlichen und nicht-menschlichen Wesen (oder zwischen Menschen und unterschiedlichen Formen der Technologie). Damit wird auch die Rolle von Race deutlich: Diejenigen, die für die technologische Entwicklung als nebensächlich erachtet werden, dienen fortwährend als Kontrastfolie für eine zum Fetisch erhobene Kategorie der Neuheit (oder Modernität). Und um letztere mit Bedeutung aufzuladen, werden immer wieder diejenigen ins Feld geführt, die man zuvor vom ‚Menschlichen‘ ausgeschlossen hat.

Der Race-Begriff geistert zweifelsohne durch die Sphäre der Technologie und spielt in Hinblick auf die Verkörperung von Maschinen seit jeher eine prägende Rolle, angefangen von der Science-Fiction bis zur Kybernetik. Die historischen Beispiele dafür haben bis heute nicht an Reiz verloren. Eines der frühesten stammt aus der Literatur des 19. Jahrhundert und gilt als einer der ersten Entwürfe der Idee einer empfindungsfähigen Technologie: Samuel Butlers Roman Erewhon oder Jenseits der Berge aus dem Jahr 1872, der in Grundzügen bereits in Butlers Essay „Darwin among the Machines“ (Darwin unter den Maschinen) von 1863 angelegt ist. In diesen Texten wird nicht nur erstmals argumentiert, dass auch Maschinen evolutionäre Prozesse durchlaufen, sondern dass sie, sobald sie ein Selbstbewusstsein erlangt hätten, ihre Herren unweigerlich töten würden. Damit war der Grundstein gelegt für das wohl verlässlichste Motiv der westlichen Science-Fiction: den Aufstand der Maschinen.

Butler wählte mit Bedacht die Begriffe Herren und Diener, auch weil er selbst ein kolonialer Siedler war. In seiner Erzählung stellt er die Maschinen nicht nur als untergebene Klasse dar, sondern zeichnet ihren Aufstand als einen Akt historischer Vergeltung an ihren Unterdrückern. Vor allem aber beschreibt Butler die Maschinen erstmals als eigene Rasse und greift dafür auf die einzige Sprache zurück, die für ihn damals Sinn ergab, nämlich das Vokabular der Besitzsklaverei (chattel slavery).

Vielleicht ist das auch ein Grund dafür, dass das Wort Roboter kaum Aufsehen erregte, als es 1920 mit dem von Karel Čapek verfassten Theaterstück R.U.R. (Rossum’s Universal Robots) Einzug in die englische Sprache hielt – der Neologismus war aus der protoslawischen Wurzel robota abgeleitet, was so viel bedeutet wie Knochenarbeit, Schinderei oder Sklaverei. Wie auch in Erewhon geht es in dem Stück um eine unterworfene Kaste von Nicht-Menschen, die sich zum Aufstand erhebt und die Menschheit (sprich: Weiße) auslöscht. Unter den Figuren in R.U.R. sind Abolitionist*innen, die dafür kämpfen, die von ihnen als Brüder bezeichneten Roboter zu befreien, sie zu Lohnarbeitern zu machen und ihnen das Wahlrecht zuzugestehen. Auch Missionar*innen, Anarchist*innen und Angehörige der Heilsarmee unterstützen die Roboter, die sich schließlich zu einer politischen Organisation zusammentun. Die Entwickler der Roboter reagieren darauf mit einer Strategie des Teilens und Herrschens: Sie entwickeln Roboter unterschiedlicher Rassen, Nationalitäten und Sprachen, in der Hoffnung, dass gegenseitige Vorurteile die Roboter davon abhalten werden, sich weiter zu organisieren. Der Plan schlägt jedoch fehl, und es kommt zum Aufstand – die Schöpfer der Roboter werden getötet, und die Ära des ‚Menschen‘ wird für beendet erklärt.

Ein anderes wichtiges Beispiel stammt aus der Kybernetik selbst. Die race-bezogene Poetik und Politik dieser Disziplin sind bislang völlig unbemerkt geblieben, was – wie auch im Fall der literarischen Beispiele – auf die Annahme zurückgeht, Race und Technologie würden in grundverschiedenen historischen Sphären wirken. Betrachten wir einen der grundlegenden Texte der Kybernetik, Norbert Wieners The Human Use of Human Beings aus dem Jahr 1950 (auf Deutsch 1952 als Mensch und Menschmaschine erschienen). In diesem Text wie auch in seinem im selben Jahr an der American Academy of Arts gehaltenen Vortrag und in dem 1960 erschienenen Essay „Some Moral and Technical Consequences of Automation“ (Über einige moralische und technische Folgen der Automatisierung) nimmt Wiener wiederholt Bezug auf Schwarze, Sklaverei und Rassismus. Für ihn spielte Race eine zentrale Rolle bei dem Versuch, eine Ethik der Kybernetik zu formulieren – da diese Disziplin eine entscheidende Rolle für die Weiterentwicklung der Robotik hin zur künstlichen Intelligenz spielen würde. Die Sklaverei verfolgte die Kybernetik wie zuvor auch schon Butler und Čapek; sie lieferte ein sehr menschliches Lehrstück, an dem sich ablesen ließ, was den neuen Schöpfungen nicht angetan werden durfte, und zwar aufgrund der moralischen Verbrechen, die man an Schwarzen bereits verübt hatte.

Diese Beispiele veranschaulichen die begrifflichen und poetischen Überschreitungen in Bezug auf die Binärität von Race und Technologie, was aber nicht bedeutet, das Potenzial der Kreolisierung als Prinzip und Methode wäre damit ausgeschöpft. Denn vor allem über das poetologische Register werden materielle Beziehungen auch immer neu verhandelt, weshalb etwa die Kategorie Race inzwischen als der Technologie intrinsisch betrachtet wird, während zugleich öfter untersucht wird, wie Technologien in und durch rassistische Verhältnisse wirken.

Diese Überschreitungen lassen jedoch nicht nur erkennen, dass der Dualismus von Race und Technologie letztlich unhaltbar ist. Sie verdeutlichen auch, dass diese Kategorien selbst historisch kontingent sind und somit ungeschrieben ist, wie sie sich zukünftig verändern und einander beeinflussen werden. Race und Technologie bilden als Kategorien keine unveränderliche historische Konstellation, sondern gehen über unsere heutigen Bezugssysteme notwendig hinaus und werden unseren politischen und gesellschaftlichen Hierarchien schließlich fremd werden. Als solche verweisen sie auf das Feld, in dem ‚der Mensch‘ stets zu finden sein wird – nämlich vermischt unter und mit denjenigen, die sich ebendiese Bezeichnung erst erkämpfen mussten.

3. GEORGE WASHINGTONS ‚MAMMY‘

Im oder um den Dezember 1835 entstand in einer Bostoner Galerie, in der Freaks, mechanische Wunderwerke und andere Kuriositäten ausgestellt wurden, offiziell die US-amerikanische Unterhaltungskultur. Die Möglichkeit einer solch anmaßenden historischen Aussage verdankt sich Virginia Woolf, die bekanntlich erklärte, „dass sich im oder um den Dezember 1910 der menschliche Charakter verwandelte“. Im Sommer 1835, als der Begriff des Menschen indes noch umstritten war, hatte der berüchtigte P.T. Barnum – Vater der amerikanischen Sideshows, Gründer des American Museum und Wegbereiter des modernen Zirkus – die Sklavin Joice Heth ‚gekauft‘ oder, anders gesagt, die Rechte an ihrer Aufführung von dem reisenden Geschäftsmann R.W. Lindsay erworben.

Das angebliche Kindermädchen George Washingtons, damals noch im Besitz seines Vaters Augustine, soll 161 Jahre alt gewesen sein, ihre Haut so dunkel und gezeichnet von den Jahren, dass kein Zweifel an ihrem hohen Alter und der in ihre Furchen eingeschriebenen Geschichte bestünde. Sie habe die Geburt der Nation miterlebt, beteuerte der Programmtext. Sie kenne die Geheimnisse, die dieses Kapitel umranken, und teile sie gerne mit allen, die nah genug an ihre fast erblindeten Augen heranträten, um Glaubenswillen zu bezeugen. Obwohl eine Sklavin, sei dieses Geschöpf eine Geburtshelferin der Nation, denn sie hätte den heroischen Gründervater bemuttert: Sie war die fleischgewordene Demokratie, mitsamt deren unhinterfragten Widersprüchen. Fasst sie nur an.

Das Alter von 161 Jahren hatte sich entweder Barnum oder Lindsay ausgedacht. Heth selbst hätte es so angegeben, behauptete Barnum später, aus Gründen, die ihm unerklärlich wären, aber dennoch sein Vertrauen verlangt hätten – so wie es damals, als völlige Unterwerfung als reinste Form der Hingabe galt, nur versklavte Wesen vermochten.

Barnums Eigentumsrechte an der von ihm als Tante Joice bezeichneten Person oder Figur bleiben so unklar wie die persönliche Beziehung zwischen dem Gespann. Was eindeutig als Sklaverei begann, wandelte sich zur geheimen Absprache und künstlerischen Zusammenarbeit in der Sideshow-Branche. Barnums Zirkusgeschäft erforderte verschiedene Formen der Ausbeutung, doch schließlich behauptete er, dass Heth ihn – den größten Schwindler Amerikas – getäuscht hatte, während er mit seiner Attraktion von freien Staaten zu Sklavenhalterstaaten und von Jahrmärkten zu Museen getourt war – zu einer Zeit, als der Unterschied zwischen den letzteren beiden so unbedeutend war wie der zwischen den ersteren beiden.

In späteren Jahren gestaltete sich ihre Beziehung noch undurchsichtiger. Barnum fing an, sich neu zu erfinden, und wollte mehr sein als ein bloßer Schwindler, Höker, Schausteller, Sklavenhalter und Unternehmer. Während er sich zu seiner eigenen größten Schöpfung entwickelte, blieb Tante Joice ein Gespenst in seiner Geschichte. Barnum konnte sich damals brüsten, bedeutender als der große George Washington zu sein. Er hatte immerhin eine neue Form von Berühmtheit erschaffen, und zwar von jener Sorte, die sein geliebtes Land stets größer erscheinen ließ, als es wirklich war, und beständiger, als dessen Gründungsdokumente je versprechen konnten.

Joice Heth blieb für sehr lange Zeit ein Gespenst. Sie wurde zur Heimsuchung von Barnums Wunsch, die Zukunft wissen zu lassen, dass er deren notwendige Vergangenheit war, und auf diese Weise ein Jahrhundert einzuläuten, das sich in den Fabriken Neuenglands und auf den unruhigen Baumwollplantagen in den US-Südstaaten bereits abzeichnete. Es war das Zeitalter der Industrie und Technologie und der Vorstellung eines absoluten, garantierten Zukunftshorizonts. Doch es war auch weiterhin die Zeit der Sklaverei, in der die Arbeit von Schwarzen darüber entscheiden konnte, ob Weiße in Wohlstand oder Armut leben, während der Rassismus dafür sorgte, dass sich die Vergangenheit nicht so einfach abschütteln lassen würde. Der Bürgerkrieg war noch Jahrzehnte entfernt.

Jene von uns, die von Ursprüngen besessen sind und die Geschichte Amerikas als unermüdliche Abfolge versuchter Neuanfänge betrachten, haben Heth jedoch nicht völlig vergessen. Unsereins weiß, dass eine Nation mit solch ausgefransten Rändern und vielschichtiger Geschichte immer großen Wirbel um Ursprünge machen wird. Auch wenn seine Datierung um rund fünf Monate irrt, erzählt uns etwa der Historiker James W. Cook: „Wenn wir tatsächlich einen bestimmten Zeitpunkt als Geburtsstunde der modernen amerikanischen Populärkultur benennen müssten, könnte das nur jener schicksalhafte Nachmittag im Juli 1835 sein, als ein aufstrebender Impresario aus Bethel in Connecticut seine Krämerschürze ablegte und ernsthaft darüber nachzudenken begann, wie er Joice Heth als massenwirksame Kuriosität in New York vermarkten konnte.“

Die Episode enthält fast alle Elemente dessen, was die amerikanische Popkultur ausmachen sollte: Sklaverei, Showbusiness, Täuschung, eine berüchtigte Stadt – das Ganze gewürzt mit Performativität, Medienspektakel und jener Art von Massenneugier, die gesamte Branchen am Laufen hält. Doch die Vermarktung von Joice Heth für die amerikanische Öffentlichkeit stand gerade erst am Anfang.

„Tante Joice“ wurde jedes erdenkliche Schild angeheftet: „die dunkle Tochter aus Madagaskar“, „ägyptische Mumie“, „die größte natürliche und nationale Kuriosität der Welt“ sowie „ehrenwerte nigger“. Sie machte Barnum auf jene Weise berühmt, die unserem heutigen Begriff von Berühmtheit entspricht: eine Kombination von unnachgiebiger Publicity und zunehmend vagen Absichten, von permanenter Sichtbarkeit und einem Betrugsverdacht, der stets über der Inszenierung schwebt und sie unterläuft. Nicht umsonst sprechen wir heute vom Barnum-Effekt als einer Neigung, die uns alle, die wir in einer den Fakten und Beweisen verpflichteten Kultur leben, insgeheim wünschen lässt, getäuscht zu werden, wobei wir sogar bereit dazu sind, für diese Ehre zu bezahlen. Wie Barnum angeblich sagte: Jede Minute wird ein Trottel geboren. Seine Innovation war es, verstanden zu haben, dass der Wille zur Leichtgläubigkeit eines der großen Vergnügen der Demokratie ist.

Wir mögen Joice Heth vergessen haben, doch Barnum vergaß sie nie. Wie hätte er auch? Er hatte seine Karriere auf ihr aufgebaut. Der „Zufall“, ihr begegnet zu sein, schrieb er in seiner Autobiografie, „hatte mein Handeln regelrecht erzwungen“. Diesen „Zufall“ und seinen schicksalhaften Charakter stellte er sorgfältig heraus, um seine Unschuld zu betonen – seine vielleicht beständigste Gewohnheit. Was er damit implizierte, war, dass Joice Heth die Verantwortung trug. Sie war die Impulsgeberin gewesen, die, wie er schrieb, „als Erstes den Showman in mir hervorlockte“. Sie hatte ihn in das öffentliche Leben Amerikas eingeweiht, das er unwiderruflich veränderte, und in eine Zirkuskultur, die er zur modernen Medienwelt umgestaltete.

Cook beschreibt die erste Begegnung zwischen Heth und Barnum im Jahr 1835 als Zeugungsdatum unserer Populärkultur. Im Dezember jenes Jahres wurde Heth zum ersten Mal präsentiert, und zwar neben dem als Schachtürken bekannten Objekt, das jene Dynamik zwischen Organischem und Unbeseeltem, Showbusiness und Kunst, Wahrheit und Fiktion zur Vollendung bringen sollte, die Dreh- und Angelpunkt einer auf der Annahme der Ursprungslosigkeit gestützten Kultur ist.

Der berüchtigte Schachtürke ist vielleicht die bekannteste Maschine des 19. Jahrhunderts, das gleichermaßen als Zeitalter der Wunder und der Vernunft gilt. Die Geschichte der 1769 erfundenen Schachmaschine ist ausführlicher dokumentiert als die von Heth. Schließlich ist die Vorstellung, dass Maschinen intelligent sein könnten, sogar noch älter als jene, dass versklavte Menschen aus Afrika dazu imstande wären. Der Schachtürke war ein Spielzeug, eine Kuriosität, die Autoren wie E.T.A. Hoffmann, Edgar Allan Poe, Ambrose Bierce und Walter Benjamin faszinierte. Er siegte in Wien dreimal gegen Napoleon Bonaparte und bezwang Benjamin Franklin, als dieser als amerikanischer Botschafter in Paris stationiert war.

Der bekannte ungarische Erfinder Wolfgang von Kempelen hatte den Schachtürken als Geschenk für die österreichische Kaiserin Maria Theresia gebaut. Außerdem hatte er die erste Sprechmaschine erfunden, die er 1769 zu entwickeln begann, im selben Jahr, in dem er die Konstruktion seines dunkelhäutigen Schachspielers aufnahm. Sein Design der 35 Jahre später fertiggestellten Sprechmaschine sollte den Erfinder des Telefons Alexander Graham Bell inspirieren.

Der Schachtürke trug Turban, rauchte Pfeife und auf seiner Oberlippe prangte ein breiter Schnäuzer, der geradewegs den exotischen Erzählungen und Fantasien vom mystischen Orient entstammte. Seine exotisierten Merkmale scheinen dermaßen übertrieben, dass man sich fragt, warum von Kempelen der Maschine gerade diese menschliche Gestalt gab. Warum diese als Araber verkleidete Maschine? Wäre damals, am Höhepunkt der schon bald als Modernisierungsperiode und später als Moderne bezeichneten Epoche, nicht ein Erscheinungsbild naheliegender gewesen, das sich an die frühen europäischen Automaten anlehnte? Eine vornehme Hofdame mit Schreibfeder beispielweise oder der berühmte Mönch, der in mechanischer Nachahmung einer Pietätsgeste sein Kreuz küsst?

Natürlich verströmte der Schachtürke den Kitzel des Exotischen, den Schock des Neuen im Gewand des Alten. Vielleicht erinnerte er sein Publikum daran, dass man, indem man das in Indien, Persien und der islamischen Welt erfundene Schachspiel mechanisierte, entseelte und so der Wissenschaft unterwarf, die Angst vor einer einst als überlegen geltenden Kultur bändigte.