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Andreas Kollender

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Beschreibung

Johann Georg Forster ist siebzehn, als er mit James Cook am 13. Juli 1772 den Hafen von Plymouth in Richtung Tahiti verlässt. Die Reise in der engen Kabine der Resolution, mitten unter den Seeleuten und Forschern der Expedition, führt in unbekannte Welten. Für kurze Zeit wird aus Georg Teori, wie ihn die Eingeborenen der Südsee nennen. Das größte Abenteuer seines Lebens macht ihn zum Mann, zum Wissenschaftler und zum freiheitlichen Humanisten, der sein Jahrhundert prägt.

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Über dieses Buch

Johann Georg Forster ist siebzehn, als er mit James Cook am 13. Juli 1772 den Hafen von Plymouth in Richtung Tahiti verlässt. Für kurze Zeit wird aus Georg Teori, wie ihn die Eingeborenen der Südsee nennen. Das größte Abenteuer seines Lebens macht ihn zum Mann, zum Wissenschaftler und zum freiheitlichen Humanisten, der sein Jahrhundert prägt.

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Andreas Kollender (*1964) studierte in Düsseldorf Germanistik und Philosophie. Er reiste in Europa, Asien, Nordafrika und Mittelamerika, verdiente sich sein Geld als Kellner in Szenekneipen und lebt seit 1995 als freier Autor in Hamburg.

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Dieses Buch gibt es in folgenden Ausgaben: Taschenbuch, E-Book (EPUB) – Ihre Ausgabe, E-Book (Apple-Geräte), E-Book (Kindle)

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Andreas Kollender

Teori

Die Geschichte des Georg Forster

Roman

E-Book-Ausgabe

Unionsverlag

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Impressum

Die Erstausgabe erschien 2000 im Deutschen Taschenbuch Verlag, München.

© by Andreas Kollender 2000

© by Unionsverlag, Zürich 2022

Alle Rechte vorbehalten

Umschlag: John Cleveley der Jüngere / Francis Jukes, The view of Huaheine, one of the Society Islands in the South Seas

Umschlaggestaltung: Martina Heuer

ISBN 978-3-293-30844-2

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Version vom 13.06.2022, 21:50h

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Inhaltsverzeichnis

Cover

Über dieses Buch

Titelseite

Impressum

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Inhaltsverzeichnis

TEORI

1 – Kennen Sie Tahiti?«, fragte der Fremde2 – Das eine Ende der Stelling lag auf den …3 – Georg stand an der Reling und blickte zwischen …4 – Am Abend des 28. Juli wurden die Resolution …5 – Am 30. Oktober, dreieinhalb Monate nach der Abreise …6 – Am 26. März fuhr die Resolution in die …7 – Im Charlottensund fanden sie die Adventure. Sie schoss …8 – Zum ersten Mal seit der Ankunft der Resolution …9 – Georg hatte versucht, seine Vorstellungen und Erwartungen an …10 – Ich denke, in diesem Augenblick setzte ich mich …11 – Georg fühlte sich immer noch schwach, ging aber …12 – Vorräte und Frischwasser waren aufgefüllt und dem König …13 – Die Adventure kam nicht. Die Resolution lag allein …14 – Am 11. März 1774 sichteten sie die Osterinseln15 – Am nächsten Tag liefen sie aus und steuerten …16 – Mit voll beladenem Schiff ließ Cook nach Westen …17 – Es war der gleiche Mist wie bei uns« …18 – Er stand mit Hodges an der Heckreling …NachwortQuelle

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Über Andreas Kollender

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1

Kennen Sie Tahiti?«, fragte der Fremde.

Ich blickte auf und sah ihm in die Augen. An seinem Tisch war der letzte freie Platz im Wirtshaus gewesen, und ich hatte den Mann gefragt, ob ich mich zu ihm in die Nische setzen dürfe. Er hatte genickt, ein wenig gelächelt und aus dem Fenster in den Regen gesehen. Ich hatte ihn nicht weiter beachtet und nachgesonnen über die Ereignisse der letzten Tage.

Als ich im Januar 1794 von Deutschland nach Paris aufbrach, zur Revolution, ahnte ich weder, in welche Hölle ich geraten, noch dass ich diesen Fremden kennenlernen würde. Ich irrte seit sechs Tagen durch Kälte und Schneematsch und sah Tod und Angst, unsichere Augen und Blut auf den Steinen. Ich sah Leiterwagen durch brodelnde Menschenmassen gefahren werden, und auf den Wagen standen dicht an dicht Frauen und Männer jeden Alters, Greise und Vierzehnjährige, die zur nächsten Guillotine gebracht wurden. Die Reise in die Revolution hatte sich schon Minuten nach meiner Ankunft als eine Reise in den Tod offenbart.

Auf der letzten Seite meines Notizbuches, dieses Buches, um dessentwillen ich hier war, vermerkte ich Fragen. Die Körper und die Köpfe zum Beispiel. Wurden sie miteinander in die Massengräber vor der Stadt geschmissen, oder wurden die aufgeweichten roten Körbe unter den Guillotinen woanders entleert als die Karren mit den Rümpfen? Andere Fragezeichen markierten die Linie zwischen der Rue des Moulins, wo ich mich billig eingemietet hatte, und der Place de la Revolution, weil ich genau wissen wollte, welcher Weg von meiner Pension zum nächsten Fallbeil führte. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit hatte ich untereinandergeschrieben, eingekringelt und mit einem großen Fragezeichen versehen. Ganz unten auf der letzten Seite meines Journals stand:

Warum gegen das Leben, warum für den Tod?

Und in all dem Kopfabschlagen und Entsetzen die Worte des Fremden: Kennen Sie Tahiti?

Er hatte hohle Wangen, und sein Haar war im Nacken zu einem Zopf gebunden. Der Kragen des weißen Hemdes war braun, die blaue Jacke abgewetzt. Der Fremde wirkte wie ein alter Mann, zäh und hager, der nicht akzeptieren will, dass er gebrechlich geworden ist. Seinen Augen entging keine Bewegung im Wirtshaus, kein Schrammen eines Stuhles auf dem Holzboden, kein Knall, wenn ein Weinkrug auf einen Tisch gesetzt wurde, und wenn er mich ansah, war sein Blick fest und stark. Es war ein Blick, dem man auswich. Des Fremden Brauen waren gehoben, als wolle er jeden Moment einen listigen Scherz machen über das Leben vor dem Hintergrund fallender Köpfe. Er nahm die Weinflasche hoch oben heim Hals und goss nach, und es sah aus, als rinne der Wein zwischen Daumen und Zeigefinger hervor.

Ob ich auch noch Wein wolle. »Der Braten ist gut, oder? Die Köche machen sich alle selbstständig. Früher haben sie für die Ausbeuter arbeiten müssen. Für wen sie heute arbeiten, ist noch nicht klar. Im Paris dieser Tage kann man gut und billig essen. Trotz allem. Aber sagen Sie: Kennen Sie Tahiti?«

Er lächelte, als er den Namen der Insel aussprach. »Ich kenne Tahiti«, sagte er. »Ich bin um die Welt gesegelt. Und ich war auf Tahiti.« Er trank vom Wein, senkte den Blick, hob ihn wieder, hatte einen neuen Gedanken gefasst und deutete mit dem Kinn in die Mitte des Gasthauses. Ich sah mich über die Schulter um und betrachtete die vier Männer, auf die der Fremde wies. Sie aßen Fleisch aus einer schwarzen Form, die in der Mitte ihres Tisches dampfte, und sie hatten Weinkrüge vor sich stehen. Sie lachten mit vollem Mund, winkten den Schankmädchen und drohten ihnen mit fettigem Zeigefinger, wenn sie nicht schnell genug nachfüllten.

»Henker«, sagte der Fremde. »Die Herren der Revolution. Die Henker bekommen in Paris drei Mahlzeiten pro Tag und Wein, so viel sie wollen. Fleißige Männer, vor allem jetzt, da Robespierre ihr Auftraggeber ist. Manchmal sehe ich Kinder in Blutlachen spielen.« Er lehnte sich zurück, hustete und sah wieder aus dem Fenster. »Ich bin deutscher Revolutionär«, sagte er. »Ein Widerspruch in sich beinahe. In Deutschland sind hundert Dukaten auf meinen Kopf ausgesetzt, ein bisschen wenig für meinen Geschmack. Die Frauen und Männer, mit denen ich in Mainz einen Freistaat gegründet habe, werden dort massakriert. Ich bin Abgesandter der Mainzer Republik. Ich war Abgesandter. Zurück kann ich nicht …« Er redete nicht weiter. Jedes Mal, wenn er das Weinglas losließ, fuhr er mit Zeige- und Mittelfinger über eine unebene Stelle in der Tischplatte.

»Hätte damals der Krieg zwischen Russland und den Türken nicht begonnen, wäre ich noch einmal in die Südsee gesegelt. Es war eine Expedition von fünf Schiffen geplant. Fünf Schiffe. Kapitän Grigory Ivanowitsch Mulowsky hatte mit mir über die Expedition geredet. Wir freundeten uns an. Und dann kam wieder das Töten dazwischen. Die Zarin sagte die Expedition ab. Ich erfuhr das am 7. Dezember 1787, ich erinnere mich nur zu genau an diesen Tag. Töten statt forschen. Ich kenne das gut.«

Er verschränkte die Arme vor der Brust und schüttelte den Kopf. »Ich für mein Teil werde nach Indien gehen, um weiter zu forschen. Seit die Preußen Mainz im Juli von General Custine zurückerobert haben, bin ich ohnehin ein Mann ohne Land. Den rheinisch-deutschen Freistaat, der mich im März letzten Jahres nach Frankreich geschickt hat, um den Anschluss an die Französische Republik zu erwirken, gibt es nicht mehr. Es war ein kurzes Vergnügen.« Er fuhr sich mit ausgestrecktem Zeigefinger quer über die Kehle.

»Ich werde wieder fremde Kulturen ergründen und menschliche Verhaltensweisen aufschreiben und vergleichen. Die besten Bücher sind die, in denen kommentarlos geschildert wird, wie andere Menschen leben und denken. Georg Forster mein Name.«

Ein Hustenkrampf schüttelte ihn. Er presste sich ein Tuch vor den Mund, schnappte nach Luft, gurgelte, hustete wieder und tupfte sich die Lippen ab. Er bat um Verzeihung, murmelte etwas von skorbutischem Rheuma, von Antarktis und Hungersnot an Bord und wiederholte noch einmal seinen Namen. »Georg Forster.«

Ich wusste, wen ich vor mir hatte. Das ganze gelehrte Europa kannte Georg Forster. Und seit er sich offen zu den Zielen der Revolution bekannt und in der Mainzer Republik die Regierungsarbeiten angenommen hatte, die das Volk ihm anvertraute, hasste das gelehrte Europa ihn. »Sie segelten mit Cook«, sagte ich.

»Ja, mit Cook. Der ist auch schon vierzehn Jahre tot. Auf Hawaii erschlagen. Der gute Cook hätte sich nicht immer so erregen sollen, wenn die Insulaner mal ein Besteck klauten. Seine Wutanfälle haben ihn das Leben gekostet. Ein so besonnener Mann.« Er hob die Brauen und kratzte sich am Scheitel. »Ein meist besonnener Mann, müsste ich sagen. Haben Sie mein Reisebuch gelesen? Wer etwas auf sich hält, hat mich gelesen.«

»Natürlich habe ich es gelesen.«

Er hustete wieder und trank gierig vom Wein. »Ich war sehr jung«, sagte er. »Das dürfen Sie bei der Lektüre nicht vergessen. Kommen Sie mich besuchen. Ich kann Ihnen Ereignisse der Reise schildern, die nicht bekannt geworden sind. Aber eilen Sie. Ich weiß nicht, wann sich eine Möglichkeit nach Indien ergibt. Oder sonst wohin. Ich muss jetzt in den gottverfluchten Konvent. Kommen Sie übermorgen in das Haus der holländischen Patrioten. Dort wohne ich.«

Er setzte eine Kappe auf und verabschiedete sich. Ich sah ihm hinterher, wie er zwischen den Tischen zur Tür ging und für die Schankmädchen zur Seite trat, wenn die sich mit überladenen Tabletts ihren Weg bahnen mussten. Er öffnete die Tür, schlug den Kragen hoch und verschwand im Regen. Ich betrachtete die Stelle auf der Tischplatte, die er mit Zeige- und Mittelfinger gestreichelt hatte. Es war ein in kleinen Buchstaben eingeritztes Wort. Ich ging um den Tisch herum und setzte mich auf Forsters noch warmen Platz. Das Wort war ein Name: Therese. Schräg darunter war ein zweites Wort eingeritzt, dann aber durchgestrichen worden. Soweit ich es entziffern konnte, lautete es: Teori.

Als ich zwei Tage später die Kammer betrat, lag Forster voll bekleidet im Bett. Im Winterlicht, das durch die Fensterluke floss, sah Forster weiß aus und hatte schwarze Augenringe. Eine Landkarte lag auf seinem Schoß. Das Zimmer war eng und dunkel. Das Schreibpult vor dem Fenster war überfüllt mit Papierstößen. Abgebrannte Kerzen hatten Wachs über die Blätter vergossen und mit der Tischplatte verklebt. Skizzen von fremdländischen Waffen und Pflanzen hingen an den Wänden. An der Decke über dem Bett hing der Scherenschnitt eines Dreimasters unter vollen Segeln, und ich stellte mir vor, wie Forster jede Nacht vor dem Einschlafen als Letztes dieses Schiff ansah.

Er bot mir Wein und trank selbst aus einer Flasche. Ich nahm ein Glas vom Schreibpult und goss ein, räumte den Stuhl von Manuskripten frei und setzte mich. Forster hatte sich auf die Ellenbogen gestützt.

»Sie fragen sich, wer Therese ist? Meine Frau. Mutter meiner Töchter, der toten wie der lebendigen. Ein großes Glück, dass ich Therese noch nicht kannte, als ich mich auf der Resolution einschiffte. Meine Liebe zu ihr hat mich von keiner Reise abgehalten. Aber sie hat das Reisen schwerer gemacht. Das Heimweh wuchert, wenn ein Mann eine Frau zurücklässt. Reisen«, sagte er, »ist immer ein Streit mit sich selbst. Die Fahrt mit Cook war allumfassend. Eine Weltreise. Eine irgendwo wartende Liebe wäre zu viel gewesen. Ich habe Therese kürzlich in der Schweiz getroffen, wegen der Scheidungsformalitäten. Das ist eine andere Geschichte, die ich vielleicht eines Tages schreiben werde. Es ist immer gut, Schreibpläne im Kopf zu haben.«

Er ließ die Landkarte zu Boden gleiten und setzte sich auf. »Wie oft ist gestern das Beil gefallen, was meinen Sie? Hundertmal? Das ist keine Seltenheit im großen Kampf um Freiheit und wie die Worte alle heißen. Die Einsamkeit des Sterbenden ist viel schrecklicher als der Tod. Können Sie sich die Einsamkeit eines Matrosen vorstellen, der auf dem Weg nach Tahiti unbemerkt über Bord gefallen ist, der schreit und sein Schiff davonsegeln sieht? Um ihn herum Tausende Seemeilen Wasser und die kleiner werdende Silhouette des Schiffes. In ihm das gnadenlos funktionierende Gehirn. Er macht ein paar Züge, und das Hirn weiß, dass es nicht mehr die geringste Chance gibt.« Er hob den Zeigefinger. »Und andererseits: Das Glück des Mannes, der an der Brust einer Insulanerin liegt. In der Südsee hat Eros leichte Arbeit. Großer Himmel«, sagte er, »wohin bin ich damals gereist?«

Er stand auf, drückte sich die Hände ins Kreuz und sah aus dem Fenster.

2

Das eine Ende der Stelling lag auf den Steinen der Kaimauer, das andere in der Pforte des Schiffes. Zwischen Schiff und Stein schwappte ein Spalt braunen Wassers. Die Stelling wippte unter Georgs Schritten und schwang seinem Fuß nach. Georg betrat das Deck der Resolution. Er atmete tief ein, wollte die Arme ausbreiten und tanzen vor Freude, blieb aber mit angespannten Schultern stehen und wurde von einem Matrosen angestoßen, der ein Fass zu einer Ladeluke rollte. »Du stehst im Weg, Bürschchen«, sagte der Mann. Er rotzte Schleim über die Reling ins Wasser zwischen Bordwand und Kaimauer. Überall an Deck wurden Kisten getragen, Fässer gerollt, und Uniformierte riefen Befehle und wiesen mit gebieterischen Zeigefingern. Eine Kette von Männern warf sich kleine Säcke zu, der letzte Mann in der Kette reichte die Säcke in eine Luke hinab. Ein Sack platzte auf. Musketenkugeln prasselten auf die Planken und rollten zwischen den Füßen der Männer über das Deck. Ein Matrose sammelte sie Stück für Stück wieder auf, rieb sie an seiner Weste blank und ließ sie durch die hohle Hand in einen neuen Sack gleiten. Schweiß juckte in Georgs Achseln. Er spürte sein Herz bis in den Hals hinein schlagen.

Jemand sagte seinen Namen, und Georg wandte sich um. Ein schlaksiger Mann in Leutnantsuniform lächelte zu ihm herab. »Leutnant Clerke, Erster Offizier der Resolution. Sie sind Georg Forster, nicht wahr?« Georg nickte. »Ich begrüße Sie herzlich an Bord, junger Mann. Ihr Vater besichtigt bereits Ihre Kabine. Wo haben Sie sich noch herumgetrieben, wenn ich fragen darf?«

Georgs Vater war augenblicklich an Bord gestürmt, als die Kutsche gehalten hatte. Georg hatte zugesehen, wie die Seekisten auf den Kai gestellt wurden, und er hatte den Kutscher bezahlt und sich bei ihm bedankt. Dann hatte er sich in ein dunkles Wirtshaus gesetzt und die Resolution in der Sonne betrachtet. Wenn er an der Stelle durchs Fenster sah, an der die Scheibe in den Rahmen überging und dicker wurde, wellte die Scheibe die Bordwand und verformte die Masten zu Schlangenlinien.

Georg räusperte sich. Er sei noch … fort gewesen, sagte er. Seine Wangen wurden heiß.

Clerke lächelte. Vor solch einer Reise sei es normal, nervös zu sein, sagte er. Er deutete auf die hölzerne Schreibunterlage, die Georg unter dem Arm trug. »Das Wichtigste haben Sie gleich bei sich. Das ist sehr gut. Für Ihr Alter sollen Sie schon einiges gesehen haben.«

Georg nickte. Er sei mit dem Vater im Auftrag der Zarin in Russland gewesen, an der Wolga, um dort die deutschen Siedlungen zu inspizieren. Danach sei die ganze Familie von Deutschland nach England übergesiedelt.

»Für die nächsten Jahre wird das hier Ihre Heimat sein«, sagte Clerke. Er streckte das Kinn vor und wies mit beiden Zeigefingern auf die Bodenplanken.

Georg sah vom Achterdeck aus zum Bugspriet, er sah an den Masten hinauf in den Himmel und ließ die Takelage seinen Blick auf und ab führen. Kanonen standen fest vertäut hinter geschlossenen Luken. Über die Stelling kamen unaufhörlich Matrosen mit neuer Ladung. Das Schiff fraß alles.

Wenn er etwas trinken wolle: Kapitän Cook habe auf seinen Schiffen immer ein Fass Frischwasser am Großmast, aus dem sich jedermann bedienen könne, sagte Clerke. »Machen Sie sich mit dieser Welt vertraut. Ruhiger wird es erst, wenn wir auf See sind. Sie entschuldigen mich.«

Clerke ging zwischen den Männern hindurch, ohne jemanden zu berühren. Er sprach mit einem anderen Offizier, dem er die Hand auf die Schulter legte, und seine weiße Perücke ragte aus der Masse der Matrosen hervor.

Ein Mann mit einem großen, vernarbten Gesicht sah Georg an, nahm die qualmende Tabakspfeife aus dem Mund und wies damit auf das Wasserfass hinter dem Großmast. »Hat er Ihnen davon erzählt? Das schönste Fass nützt nichts, wenn es kein Wasser mehr gibt. Und dazu kommt es schneller, als Sie sich vorstellen können. Die Hälfte der Mannschaft der ersten Reise hat die Fahrt nicht überlebt. Kent Patton, Schiffsarzt. Ich bin der Einzige hier, der jeden einzelnen Mann persönlich kennenlernen wird.« Er steckte die Pfeife in den Mund, schwang sich den Seesack über die Schulter, federte das Gewicht in den Knien ab und ging den Achterniedergang hinab.

Georg atmete tief. Die Luft roch nach Salzwasser, Fisch und trockenem Holz. Er legte eine Hand auf die Reling, strich über das abgegriffene Holz und spannte die Muskeln, um die Aufregung abzuschütteln. Auf der Kaimauer zappelte etwas. Es bog sich silbern zusammen, schlug gerade, zuckte und reflektierte die Sonne. Es musste ein Fisch sein, der unbeachtet von den Schaulustigen, den Matrosen und den Fahrern der Pferdekarren und Kutschen zwischen Kisten und Fischernetzen auf den Steinen zappelte. Georg ging zur Pforte. Notstengen mit darumgehängten Takeltauen wurden an Bord getragen. Er suchte eine Lücke in der Reihe der Matrosen. Er bewunderte das Geschick, mit dem die Seemänner aneinander vorbei über das schmale Brett balancierten. »Weg da«, schnauzte einer. Georg ging auf die Höhe des Besanmastes zurück. Er klemmte das Schreibpult fester unter den Arm, sah sich kurz um, nahm Anlauf und sprang mit einem Fuß auf die Reling, stieß sich ab, das andere Bein bereits in der Luft über dem Wasserspalt, und landete hart auf den Steinen. Die Leute sahen ihn verblüfft an. Er senkte den Blick. Der Fisch lag starr. Georg stieß ihn mit der Fußspitze an. Er sah dem Tier hinterher, das über die Kaimauer rutschte, ins Wasser gluckste, kurz verschwand und wieder an die Oberfläche kam, wo es metallisch glänzend zwischen ausgefransten Taustücken und einem braunen Apfel dümpelte.

»Sind Sie Forster?«

Georg drehte sich um und nickte.

»Ich bin Leutnant Pickersgill, Zweiter Offizier seiner Majestät Schiff Resolution. Bei allem Respekt, verlassen Sie nie wieder auf diese Art das Schiff.«

Georg nickte. Der Leutnant nickte ebenfalls und wandte sich ab, um mit einem »Vorwärts, vorwärts!« die Matrosen anzutreiben.

Eine weitere Kutsche fuhr vor. Ein Mann in schwarzen Kleidern mit weißer Hemdbrust stieg aus. Er betrachtete die Resolution, lachte und rieb sich die Hände. Der Kutscher band die Reisekiste vom Dach, und der Mann drückte ihm Geld in die Hand. Er griff ins Innere des Wagens, holte eine Zeichenmappe hervor, setzte sich auf die Kiste und schlug die Mappe auf. Georg stellte sich schräg hinter ihn. Mit wenigen Linien zeichnete der Mann den dickleibigen Rumpf der Resolution, zeichnete die Masttopps dünn, denn sie stachen in den Sonnenglanz, malte schleppende Matrosen und einen langen dünnen Offizier, der vom Achterdeck aus winkte. Als Georg hochsah, entdeckte er Clerke auf dem Achterdeck.

»Das erste Bild einer Reise, deren Ausgang niemand kennt. Mich persönlich erfreut das eher, als dass es mich schreckt«, sagte der Mann, schlug die Mappe zu und erhob sich. Er reichte Georg die Hand. Georg stellte sich vor. »Ah«, sagte der Mann, er habe schon von ihm und seinem Vater gehört. Es sei gut, zwei solide deutsche Männer als Ersatz für die überzüchteten Herren Banks und Solander von der Gesellschaft der Wissenschaft an Bord zu haben. Er kenne die beiden aus den Londoner Salons. Fähige Köpfe, die aber aus der Resolution ein schwimmendes Labor hätten machen wollen. Cook habe sich tatsächlich gegen die Wünsche der Herren durchgesetzt. »Ihr Glück, Mr Forster.«

»Ganz bestimmt«, sagte Georg beiläufig und fragte nach dem Namen des Malers.

»William Hodges. Und ich sage Ihnen: Selbst mir fällt die Vorstellung schwer, dass wir erst in drei Jahren wieder hier sein werden.«

Gemeinsam fassten sie Hodges’ Kiste an den Eisengriffen, und Georg ging zum zweiten Mal an Bord der Resolution. Der Equipagenmeister, der seinen Schreibtisch neben der Pforte aufgestellt hatte, las den Namen auf Hodges’ Kiste. »Ich hoffe, Sie haben nicht noch so ein Ding dabei, Sir. Das müsste ich Ihnen abschlagen.«

»Die zweite Kiste kommt gleich«, sagte Hodges. »Darin habe ich eine Frau versteckt.«

»Lassen Sie sie hier. Ist besser für die Frau, Sir. Sie wird es Ihnen ewig danken.«

Clerke kam auf sie zu und hieß Hodges willkommen. Er wies einen Midshipman an, ihnen die Unterkünfte zu zeigen. Sie folgten dem Jungen den Niedergang hinab. Durch die Luken schienen gelbliche Lichtbalken, in denen Staubteile schwebten, Männer erstrahlten und wieder verschwanden. Georg wusste nicht, wo vorne und hinten war, er hörte Hühner gackern, roch Ziegenkot und bewunderte die Selbstverständlichkeit, mit der der Midshipman durch das Chaos eilte.

»Ihr Quartier, Mr Forster«, sagte der Midshipman und wies auf eine schmale Tür. Georg winkte Hodges und drückte die Tür auf.

Die Kabine maß höchstens zwei mal zweieinhalb Meter. Sie hatte ein winziges quadratisches Fenster hinter einer Holzklappe, eine Doppelkoje, einen Tisch, einen Stuhl. Georgs Vater saß mit hängendem Kopf auf dem Stuhl. Georg schloss die Tür.

»So geht das nicht«, sagte sein Vater. »Sobald Cook an Bord kommt, werde ich ein anderes Quartier für uns fordern. Oder wenigstens für mich. Aber so geht das nicht.« Er stand auf und stieß mit dem Kopf an die Lampe, die von der Decke hing. »So kann man einen Reinhold Forster nicht abspeisen.«

Es klopfte, und ein Matrose schob die beiden Reisekisten der Forsters in die Kabine, wischte sich den Schweiß von der Stirn, grinste und zog die Tür wieder zu. Georg stellte das Schreibpult auf den Tisch.

Er sei der Bordwissenschaftler, er sei der Botaniker und Ethnologe dieser Expedition, sagte der Vater. Es könne doch nicht wahr sein, wie man hier mit ihm umspringe. Er schob die Unterlippe vor und wippte auf den Zehen. »Mach Ordnung«, sagte er und verließ die Kabine.

Georg schloss die Tür, schob eine der Kisten unter den Tisch und die andere unter das Fenster. »Zweiter Sitzplatz«, flüsterte er. Schlimmer als die Kutsche, in der er mit seinem Vater durch die Einöde Russlands gefahren war, war das nicht. Es ging in den Stillen Ozean. Es ging nach Tahiti. Zeichnungen unbekannter Pflanzen, Tiere und Menschen würden an den Wänden der Kabine hängen, und vor dem Fenster lägen unbekannte Inseln. Er setzte sich auf die Kiste und streckte die Beine aus. Er hätte gerne eine Kabine für sich allein gehabt, auch wenn die noch kleiner gewesen wäre. Einen Ort zum Nachdenken und Tagebuchschreiben und zur Flucht vor den Menschen. Er hatte nicht darüber nachgedacht, wie es sein würde, jahrelang als Sekretär des Vaters eine Kabine mit ihm und seinen Launen teilen zu müssen. Er hatte bisher gar nicht über die Alltäglichkeiten der Reise nachgedacht. Ta-hi-ti, das war das bestimmende Wort.

Sein Vater hatte den Auftrag angeboten bekommen, als Wissenschaftler an der zweiten Weltumsegelung Cooks teilzunehmen, und sofort angenommen. Zur Bedingung hatte er gestellt, Georg als Sekretär mitnehmen zu dürfen. Georg schloss für einige Minuten die Augen. Die Resolution lag still, sie wartete.

Bis zum 13. Juli 1772. Am Morgen dieses Tages legte die Resolution ab und verließ den Hafen von Plymouth, gefolgt vom zweiten Schiff der Expedition, der Adventure unter Kapitän Tobias Furneaux.

3

Georg stand an der Reling und blickte zwischen dem Grüngrau Englands und dem Ozeanhorizont hin und her. Die Planken unter seinen Füßen waren eine Verzögerung der Bodenlosigkeit. Das Schiff war ein eigenes Element zwischen Erde und Wasser. Es bewegte sich in den Wellen, das Land war eine feste Horizontale. Die Resolution war 33 Meter lang und etwa 10 Meter breit, und wenn, wie jetzt, alle 120 Mann an Deck waren und sich auf dem Achterschiff versammelten, um ihr Land verschwimmen zu sehen, glich das Gedränge dem, das Georg auf den Straßen Londons erlebt hatte.

Das Schiff neigte sich über den Kiel, und die Schulter eines Matrosen berührte Georg am Arm. Er stellte sich so dicht an die Reling, dass das Holz an seine Rippen drückte.

Die Einzelheiten der Küste wurden von der Entfernung gefressen, Felder und Wiesen verloren die Farbe, Klippen die Härte und die Brandung ihr Getöse. Je weiter sich das Schiff vom Land entfernte, desto kühler wurde der Wind. Georg dachte an London und die gefährlichen Wirtshäuser, und er dachte an die Mädchen dort, an die Brüste in den Blusen und Kleidern. Würde das Schiff in einem Sturm scheitern und er mit der Resolution versinken, dann wäre er aus dieser Welt verschwunden, ohne je mit einer Frau geschlafen zu haben. Das Geld, das er als Übersetzer und Kaufmannsgehilfe verdient hatte, war vom Vater für den Erhalt der Bibliothek und der Familie beschlagnahmt worden. Eines der Mädchen von Covent Garden wäre gekaufte Erfahrung gewesen, aber von Fleisch und Blut. Unter den Besatzungsmitgliedern der Resolution war keine Frau. »Mannschaft« war ein treffendes Wort. Von Frauen wusste er nichts, außer dass sie wichtig waren und begehrenswert und geheimnisvoll und Männer weinen konnten um eine Frau, wenn sie nur genug getrunken hatten. Wenn das Bedürfnis nach einer Frau so überwältigend war, musste das Heimweh der Erfahrenen unendlich sein.

Georg hielt England zwar nicht für seine Heimat, aber auch sein Herz raste, als der Ozean die dünne Linie immer weiter überschwemmte, und nichts war Georg so fremd wie die Resolution und ihre Männer.

Er sah zur Adventure hinüber. Kapitän Furneaux war kurz vor dem Auslaufen auf der Resolution gewesen, hatte mit Cook geredet und die Einstellung der Kendall- und Arnold-Uhren verglichen. Furneaux hatte gestottert und dem Kapitän nicht ein einziges Mal in die Augen gesehen. Die Adventure war kleiner als die Resolution und lag schräg in der See. Georg beobachtete, wie sie Wolkenschatten durchfuhr und ihre Segel wieder hell wurden, wenn sie in der Sonne schwamm.

Im Vergleich zu den Kriegsschiffen in Plymouth waren die Schiffe der Expedition winzig. Dreidecker mit über 100 Kanonen hatten dort gelegen, die Bordwände höher als die Häuser am Hafen, die Großstenge so dick wie der Hauptmast der Resolution. »Irgendwann werden diese Schiffe in die Südsee fahren«, hatte Hodges gesagt.

England war nicht mehr zu sehen. Der Leuchtturm von Eddiestone war als letztes Zeichen am Horizont versunken. Es gab nur noch Meer und Himmel. Ein Spatz saß im Großmast. Zwiebackreste, die Matrosen ihm hingehalten hatten, hatten ihn zum Schiff verurteilt.

Hodges stand an der Achterreling und hielt sich den Skizzenblock schräg vor den Bauch.

Was er malen wolle, fragte Georg.

»Den Horizont.«

»Sie könnten das Bild in Ermangelung eines Fensters in Ihre Kabine hängen.«

»Keine schlechte Idee. Im Vergleich zu mir bewohnen Sie einen Palast.« Hodges zeichnete eine Waagerechte, die das Blatt in ein Drittel zu zwei Drittel teilte, sagte »Sehr gut« und spähte aufs Meer. Clerke trat zu ihnen und fragte, ob er einen Blick auf Hodges’ Arbeit werfen dürfe, und streckte die Hand nach dem Skizzenblock aus. Hodges bekam rote Ohren und reichte dem Leutnant die Mappe. Als gebe es dort viel zu sehen, blickte Clerke lange auf das Papier.

»Der Horizont.« Er machte eine Pause. »Als Seefahrer wollen wir nicht vergessen, dass es die augenscheinlich an eben diesem Horizont versinkenden Schiffe waren, die einen Magellan in seiner Vermutung von der Erde als Kugel bestätigten.« Er gab Hodges die Mappe, lächelte und ging zum Steuermann zurück.

Hodges verschwand unter Deck. Georg ging an der windabgewandten Reling entlang zum Bugspriet. Matrosen zurrten Taue fest. Einer schmierte die Lafette des Steuerbord-Buggeschützes. Georg grüßte die Männer. Sie nickten. Viele von ihnen sahen ihn mit schrägen Augenbrauen an, ließen den Blick über seinen langen Körper schweifen und guckten, als gebe es keinen Grund, Georg ernst zu nehmen. Die wenigen anderen Siebzehnjährigen an Bord, der Schiffsjunge und die Midshipmen, wirkten kräftiger als er und waren braun gebrannt.

Er hatte von Matrosen gehört, die sich auf den Krieg freuten. Der bringe Abwechslung, Prisengelder und den Tod verhasster Offiziere. Cook galt als gerecht, und Matrosen, die die erste Reise miterlebt hatten, sagten, er verlange von keinem seiner Männer so viel wie von sich selbst. Francis Drake sollte ein ähnlicher Seefahrer gewesen sein. Georg kannte sie alle, die Entdeckungsreisenden. Er hatte alle Texte gelesen, die während und über die Fahrten geschrieben worden waren. Den Bericht des Kapitäns Louis-Antoine von Bougainville, der mit der Fregatte Boudeuse nach Kapitän Wallis der zweite Europäer auf Tahiti gewesen war, hatte er ins Englische übersetzt. Bougainville hatte von Tahiti als vom »Garten Eden« geschrieben und von »süßer Freude und allen Anzeichen des Glücks«. Georgs bildhaftes Denken hatte mit der Lektüre dieser Reiseberichte begonnen. Die Schriften hatten Augen und Denken auf immer miteinander verbunden und ihn erkennen lassen, dass Literatur Bilder brauchte. Auf papierenen Meeren kannte er sich aus. Er leckte sich die Lippen, sie schmeckten nach Salz.

Am Abend trafen sie sich in der Kapitänskajüte zum Essen. Reinhold und Georg Forster, Mr Hodges, Dr. Patton, der Astronom Wales, die Leutnants Clerke und Pickersgill und Leutnant Cooper von den Seesoldaten. Leutnant Edgecumb hatte Wache. Burns, der Stewart des Kapitäns, öffnete ihnen die Tür. Cook stand in Uniform am Tisch, stützte die Fäuste auf die Platte und bewegte sich mit dem Schiff, als seien seine Füße mit den Planken verwachsen. Er grüßte die Männer und reichte jedem die Hand.

Georg setzte sich an die Tafel des berühmtesten Seemanns der Welt. Sein Vater sah aus den Heckfenstern, aus den Steuer- und Backbordfenstern und betrachtete Cooks Schreibtisch mit den nautischen Geräten, Papieren und Mappen. Die Neuen an Bord hatten Unglaubliches von der Kapitänskajüte gehört, sie solle sieben Schritte messen, sechs Fenster haben, eine Vorratskammer sowie einen Verschlag zum Schlafen. Georgs Vater verzog die Mundwinkel, als er all das bestätigt fand. Clerke hatte die Hände links und rechts des Tellers und Brauen und Mundwinkel leicht gehoben. Pickersgill musterte, genau wie Georg, einen Mann nach dem anderen. Leutnant Cooper, in der roten Uniform der Seesoldaten, erschien Georg wie ein Bauer, der allmorgendlich um vier aufstand, um zähe Äcker zu pflügen. Der Astronom Wales war klein und zierlich, Dr. Patton stützte das Kinn in eine Hand, die eher Kälber aus Kühen quälen konnte, als Medizin in kleinen Dosierungen zu verabreichen. Hodges, in Schwarz und Weiß, drehte das Weinglas in der Rechten. Cook saß am Kopf der Tafel. Er war ein ernster Mann mit breitem Gesicht und einer langen Nase.

Während Burns Schweinebraten und Sauerkraut auftrug, berichtete Cook von den Depeschen der Admiralität und des Lords Sandwich und klärte die Anwesenden offiziell über Ziel und Auftrag der Expedition auf. Neben der Vermessung weiterer Küstenabschnitte Neuseelands und dem Versuch der Ansiedlung von Nutztieren und -pflanzen auf einigen Inseln des Stillen Ozeans ging es vorrangig um die Forschung nach dem Südland hinter den Packeisgrenzen am Südpol. »Terra Australis, und ich möchte hinzufügen: Terra Australis incognita, ist sozusagen die Überschrift unserer Expedition.«

Außerdem sollten die Kendall- und Arnold-Chronometer auf ihre Zuverlässigkeit geprüft und als Navigationshilfen zur Längengradbestimmung erprobt werden. Cook verlor nicht ein Wort über Tahiti, nicht eins über die Kälte der Antarktis. Es war, als fahre er mit dem Zeigefinger über eine Seekarte und nicht mit einem Schiff durchs Meer.

Es klopfte, und Furneaux erschien. Er salutierte, bat um Verzeihung für die Verspätung und schüttelte jedem die Hand. Er stieß Hodges’ Weinglas um und räusperte sich. Die Kapitänsuniform war ihm zu groß, und er bewegte den Kopf ruckartig wie ein Vogel.

Ob es nicht doch möglich sei, ein anderes Quartier zu bekommen, fragte Georgs Vater, lächelte kurz und zog dann die Brauen ernst. Cook antwortete, eine Expedition sei keine Vergnügungsfahrt, das habe selbst Mr Batiks lernen müssen. Pickersgill sagte, ein Schiff sei etwas für Männer.

Bei allem Respekt, sagte Georgs Vater, er werde sich bei der Admiralität beschweren. »Ich denke nicht, dass mein Quartier dem angemessen ist, was mich erwartet.«