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Wrong Number, Right Guy
Romance-Autorin Riley hat sich ihren Traum erfüllt und ist in eine kleine Küstenstadt gezogen. Sie ist gerade in Port Stewart angekommen, als sie Textnachrichten für einen »Connor« erhält, die sie extrem neugierig machen. Wie sich herausstellt, ist Connor der Golden Boy der Stadt, der es irgendwie nicht schafft, seine Ex davon zu überzeugen, dass es wirklich vorbei ist. Ein bisschen Fake-Dating mit der Neuen, die zufällig seine alte Nummer hat, scheint die perfekte Lösung zu sein. Riley hat nichts dagegen, Zeit mit dem umwerfenden einstigen Prom-King zu verbringen - natürlich nur zu Recherchezwecken für ihren Roman und nicht, weil Connor ihr Herz von Anfang an höher schlagen lässt ...
Found Family, Romance, Small Town und eine gute Prise Spice von SPIEGEL-Bestseller-Autorin Kylie Scott
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Seitenzahl: 346
Veröffentlichungsjahr: 2025
Titel
Zu diesem Buch
Playlist
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
Epilog
Die Autorin
Die Romane von Kylie Scott bei LYX
Impressum
KYLIE SCOTT
Text Appeal
Roman
Ins Deutsche übertragen von Katrin Reichardt
Romance-Autorin Riley hat sich ihren Traum erfüllt und ist in eine kleine Küstenstadt gezogen. Sie ist gerade in Port Stewart angekommen, als sie Textnachrichten für einen »Connor« erhält. Obwohl sie zu erklären versucht, dass sie den Mann nicht kennt, verbreitet sich das Gerücht, Riley wäre Connors neue Freundin. Wie sich herausstellt, ist dieser der Golden Boy der Stadt, der es einfach nicht schafft, seine Ex-Freundin Ava (und die halbe Stadt) davon zu überzeugen, dass es wirklich vorbei ist. Die Einwohner von Port Stewart, die nichts mehr lieben als den neuesten Klatsch, verfolgen sein Liebesleben mit großem Interesse. Als Riley und Connor sich endlich treffen, fragt er sie kurzerhand, ob sie seine Fake-Freundin spielen möchte, damit endlich allen klar wird, dass er wirklich nicht mehr mit Ava zusammen ist. Nach anfänglichem Zögern willigt Riley ein, Zeit mit dem umwerfenden einstigen Prom-King zu verbringen – natürlich nur zu Recherche zwecken für ihren Roman und nicht, weil Connor ihr Herz von Anfang an höher schlagen lässt …
Blue Moon von Billie Holiday
When We’re High von LP
LEVII’S Jeans von Beyoncé, Post Malone
Lovely Day von Bill Withers
Lady Blue von Emily Wurramara
Umbrella von Rhianna, Jay-Z
HONEY (ARE YOU COMING) von Måneskin
We Are Never Getting Back Together von Taylor Swift
ifyoulikeitlikethat von MAY-A
Good Days von SZA
Blue Bayou von Linda Ronstadt
Casual von Chappell Roan
Chemical von Post Malone
Into the Mystic von Van Morrison
Wäre ich nicht gelangweilt und einsam gewesen, hätte ich nie auf die Textnachricht geantwortet. Aber obwohl ich schon vor Stunden meine neue Nummer herumgeschickt habe, haben bislang nur drei Personen darauf geantwortet – meine Mutter, ein Typ, den ich geghostet habe, und Grandpa. Er schickte mir ein Feuer-Emoji. Das ist seine Antwort auf alles: wenn Dad sein Rezept für Apfel-Walnuss-Salat teilt, wenn Cousin Charlie sich verlobt, wenn Großonkel Doug im Schlaf stirbt … Niemand weiß so recht, was er glaubt, was dieses Zeichen bedeutet, aber er bereichert damit den Familienchat ungemein.
Aber zurück zu mir und meiner betrüblichen Situation. Mein Körper mag erschöpft sein, weil ich meine Habseligkeiten drei Treppen raufschleppen musste (ein Buh an den kaputten Aufzug), doch mein Kopf ist hellwach. Allerdings ist das nichts Ungewöhnliches. Schlaflosigkeit ist Mist.
Zeit, zum hundertsten Mal mein Handy zu checken. So viele meiner diversen Freunde und Bekannten hatten versprochen, mit mir in Kontakt zu bleiben, aber jetzt antwortet keiner. Wahrscheinlich sind sie gerade unterwegs und ziehen durch die Bars, bevor sie wie üblich am Morgen danach zum Brunchen gehen. Zu Hause läuft jedes Wochenende gleich ab. Ach was. Jeder Tag läuft gleich ab. Weswegen ich, obwohl ich auf Veränderungen allergisch reagiere, aus einer Stadt in der Wüste in eine Kleinstadt an der Küste umgezogen bin.
Mein ganzes Leben habe ich davon geträumt, am Meer zu wohnen. Den Großteil meiner Kindheit habe ich damit verbracht, mir Die kleine Meerjungfrau, SpongeBob Schwammkopf und Unser blauer Planet anzusehen. Und siehe da – ich brauchte nur neunundzwanzig Jahre, um es auf die Reihe zu bekommen. Zwar wohnte ich in meiner Fantasie in einem von Nebel eingehüllten Leuchtturm an einer Felsenküste, aber eine Wohnung an der Main Street tut es auch. Der Mietvertrag läuft über drei Monate – genug Zeit, um mir darüber klar zu werden, ob ich in den Pazifischen Nordwesten passe.
Wie in jeder anständigen Kleinstadt wird es hier nach neun Uhr, wenn die Restaurants geschlossen haben, deutlich ruhiger. Da heute Samstag ist, bleiben einige Bars allerdings noch länger offen. Zwei Stunden von der nächsten Stadt entfernt, hört man hier keinen Verkehrslärm. Aber es gibt noch genügend andere Geräusche, die mich ablenken und davon abhalten, runterzukommen. Der salzige Seewind, der um das große, alte Backsteingebäude heult. Die leisen Jazzmusikklänge aus der Wohnung eines Nachbarn. Und das erfreuliche Ping meines Handys, das eine eingehende Textnachricht ankündigt.
Unbekannt: Du kannst mich nicht einfach ignorieren. Wir müssen reden.
Ich: Falsche Nummer.
Unbekannt: Komm schon, Connor.
Ich: Hier gibt es niemanden namens Connor. Du hast die falsche Nummer.
Unbekannt: Hör auf, mich zu belügen. Für solchen Mist kennen wir uns schon viel zu lange.
Ich: Aber offensichtlich nicht lange genug, damit er dir seine neue Nummer gibt.
Unbekannt: Autsch. Nein. Das glaube ich nicht. Du würdest niemals die Boobs aufgeben.
Ich: Boobs?
Unbekannt: Die letzten fünf Ziffern der Telefonnummer. 80 085.
Ich: Ha. Ist mir gar nicht aufgefallen.
Unbekannt: Er hat sie schon seit der Highschool. Als Teenager war sie sein ganzer Stolz.
Ich: Vielleicht ist er endlich zu alt für so was.
Unbekannt: Warte mal. Du bist seine neue Freundin, oder?
Ich: Wieder Nein.
Unbekannt: Ich glaube dir nicht.
Ich: Okay.
Unbekannt: Du gibst es also zu?
Ich: Nö. Ich erkenne lediglich deine Entscheidung an, im Irrtum zu sein. Es ist dein Leben.
Unbekannt: Dass er dir sein Handy gibt, damit du dich mit mir herumschlagen musst, klingt total nach ihm. Als wir zum letzten Mal miteinander gesprochen haben, war er nicht gerade glücklich. Machst du ihn glücklich?
Ich: Ich kenne ihn nicht mal.
Unbekannt: Ich glaube dir nicht. Es hat sich einiges geändert. Sag ihm, dass ich mit ihm reden muss.
Ich: Er ist nach wie vor nicht hier.
Unbekannt: An deiner Stelle würde ich ihm das Handy auch nicht geben.
Ich: Wann habt ihr beide zum letzten Mal richtig miteinander gesprochen?
Unbekannt: Weihnachten.
Ich: Huch. Das ist ja schon Monate her. Die Beziehung klingt kaputt. Hast du schon mal erwogen, sie in eine Tüte Reis zu stecken?
Unbekannt: Sehr witzig. Zeit für einen neuen Drink. Hotel-Minibars sind doch das Beste überhaupt. Normalerweise bekomme ich keine Gelegenheit, seine weiblichen Freunde kennenzulernen. Ich schätze, ich sollte mich dir vorstellen.
Unbekannt: Hi, ich bin Ava. Wie heißt du?
Hmm. Das logische Vorgehen wäre, sie zu blockieren und mit meinem Leben weiterzumachen. Egal, wie traurig, mitleiderregend und schlaflos ich mich gerade fühle. Aber Schriftsteller sind notorisch neugierige Wesen. Insbesondere, wenn es um Beziehungsdramen geht, und ich schreibe Liebesromane.
Ich: Riley.
Ava: Freut mich, dich kennenzulernen. Gewissermaßen.
Ich: Ich kenne zwar eure Vorgeschichte nicht, aber ist er den ganzen Stress wert?
Ava: Hast du noch nie von mir gehört? Bist du neu in Port Stewart?
Ich: Kommst du aus Port Stewart?
Ava: Ja. Ich bin da geboren und aufgewachsen. Connor und ich waren bereits auf der Highschool ein Paar und führen seitdem eine On-off-Beziehung.
Ich: Wie lange geht das schon?
Ava: Fünfzehn Jahre. Beabsichtigst du, in der Stadt zu bleiben?
Wieder zögere ich. Nichtssagende Nachrichten mit einer Wildfremden auszutauschen ist das eine. Aber Details über mein Leben und meinen Aufenthaltsort preiszugeben, finde ich bedenklich. Zwar hat sie mich nach nichts gefragt, woraus sie auf meine neue Adresse schließen könnte, aber trotzdem kommt mir die Unterhaltung plötzlich merkwürdig vor. Oder noch merkwürdiger als vorher. Man sollte doch meinen, dass eine Vorwahl ein größeres Gebiet abdeckt. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass man in derselben Stadt wohnt?
Ich: Wie meine Mutter immer sagt: Trink vor dem Zubettgehen ein Glas Wasser.
Ava: Du scheinst nett zu sein. Aber er wird zu mir zurückkehren. Das tut er immer.
Ich: Okay. Gute Nacht, Ava.
Ava: Bis bald, Riley.
Das klingt ja überhaupt nicht bedrohlich.
Meine vorherige Telefonnummer wurde bis zum Gehtnichtmehr vollgespammt mit permanenten nervigen Anrufen und betrügerischen Nachrichten. Deshalb musste ich sie loswerden. Ich frage mich, weshalb Connor seine Nummer gewechselt hat – und ob es etwas mit seiner Ex zu tun hatte. Oder vielleicht hat er auch einfach beschlossen, sein Handy ins Meer zu werfen. Der modernen Welt zu entfliehen und der Technik abzuschwören. Das ist keine schlechte Idee. Allerdings erscheint mir die Sache mit Ava wahrscheinlicher. Der Zeitpunkt weist jedenfalls auf einen Zusammenhang hin. Man stelle sich nur mal vor, einen länger als ein Jahrzehnt währenden romantischen Konflikt mit jemandem zu haben. Das geht schon über Second Chance Romance hinaus und fällt eher in den Bereich verdammt kompliziert. Aber warum hat er sie nicht einfach blockiert?
Ich habe im Lauf der Jahre eine Menge Leute gedatet. Mit keinem von ihnen hat es lange gehalten. Und die einzige On-off-Beziehung, die ich führe, ist die mit Tequila – wir sind ein toxisches Paar.
Dank der Textnachrichten bin ich jetzt noch wacher als zuvor. Zeit für einen weiteren Rundgang durch meine neue Wohnung. Das Apartment war möbliert. Es verfügt über eine Massivholz-Essgruppe, ein klobiges graues Sofa und ein altmodisches schwarzes Metallbett. Der Rest ist praktisch eine leere Leinwand. Die Wände sind weiß, die Böden aus glänzendem Holz und die Küchenarbeitsflächen aus dunklem Stein. Mom würde hier sofort überall bunte Decken und Zierkissen verteilen. Aber ich werde das Ganze erst mal auf mich wirken lassen und sehen, was am Ende herauskommt.
Der Ausblick aus dem Schlafzimmer ist kaum der Rede wert, die großen Fenster im Wohn-Ess-Küchenbereich machen das jedoch mehr als wieder wett. Der Vollmond steht hell über der Bucht. Es hat schon etwas Magisches, wie das Wasser sich im Mondlicht bewegt. Wie dunkle Schatten das Kommen und Gehen der Wellen begleiten. Ich kann noch immer nicht fassen, dass ich hier bin. Es wird ein Abenteuer werden, von einer Stadt in der Wüste in ein Küstenstädtchen umzusiedeln. Gleich mehrere Staaten zwischen mir und dem Ort, den ich mein Zuhause nannte, zu haben. Aber ich wollte mich selbst herausfordern. Mal an einem ganz neuen Ort sein.
»Du schaffst das«, sage ich zu meinem Spiegelbild im Fenster. »Das wird toll.«
Am Sonntag regnete es den ganzen Tag – das perfekte Wetter, um auszupacken und sich einzurichten. Mein erster offizieller Ausflug findet deswegen erst am Montagmorgen statt. Ich habe mir die schulterlangen hellblauen Haare zurückgebunden (leider unumgänglich, da sie wegen des Regens total bauschig und aufgeplustert aussehen) und trage eine Jeans und ein weißes T-Shirt. Das Ziel ist, wie eine Einheimische auszusehen – sich anzupassen und einzufügen. Bei der Beobachtung der Passanten durch mein Fenster konnte ich eine Vielzahl an Bekleidungsstilen ausmachen. Vom Wanderoutfit über Mittelaltermarkt-Look bis zu dezentem Luxus war alles dabei. Hier mögen zwar nur fünftausend Menschen leben, doch die stammen eindeutig aus allen Gesellschaftsschichten.
Draußen auf der Straße ist der Himmel klar und vom Wasser bläst ein frischer Wind. Der Geruch von Salz und Meer liegt in der Luft und ich höre Möwen kreischen. Mein Herz fühlt sich zwei Größen zu groß an, sodass es sich gegen meine Rippen zu drücken scheint, und mein Grinsen passt kaum auf mein Gesicht. Hier zu sein, meinen Traum zu verwirklichen, ist fantastisch.
Meine neue Wohnung befindet sich in einem alten, prachtvollen Gebäude mit Läden im Erdgeschoss – einem Antiquariat und einer Eisdiele. An ihnen habe ich erkannt, dass es der richtige Wohnort für mich ist. Bücher und Zucker – eine unschlagbare Kombination.
Heute Morgen kam noch keine einzige Mitteilung für Connor. Keine Textnachrichten, keine Anrufe, nichts. Da ich bezweifle, dass schlagartig niemand mehr mit ihm redet, hat er vermutlich inzwischen seine neue Nummer rumgeschickt.
Die zahlreichen Nachrichten für ihn von gestern lauten unter anderem:
Irgendetwas Neues vom Mustang?
Wenn du rüberkommst, um das Spiel anzusehen, dann bring Bier mit.
Du hattest recht. Der Bronco ist völlig hinüber.
Kannst du schon ungefähre Zahlen für die Party nennen? Wird das Hinterzimmer ausreichen oder soll sie in der Bar stattfinden?
Steht morgen Seattle noch auf dem Plan?
Sag Bescheid, wann Ava und du zum Abendessen vorbeikommt.
Darauf folgte ein Selfie besagter Frau höchstpersönlich, begleitet von einer Nachricht, in der sie Connor und mir ein schönes Wochenende wünschte. Was auf eine provokative Art witzig war. Ihr langes dunkles Haar glänzt und ihre olivbraune Haut ist makellos, und ich glaube, dafür hat sie nicht mal einen Filter benutzt. Ava ist wirklich das Letzte.
Danach ging eine Sprachnachricht von seiner Mutter ein, in der sie sich erkundigte, wann er Ava vom Flughafen abholen würde und ob sie für die Willkommensfeier Brombeer-Cobbler oder Haselnussbrot vorbereiten sollte. Offensichtlich ist seine Mutter über den Beziehungsstatus der beiden nicht auf dem Laufenden.
Und last but not least mein persönlicher Favorit: Ein spätabendlicher Telefonsex-Anruf. Durch den ich meine neue Freundin Yumi kennengelernt habe. Sie arbeitet in der Nachbarstadt als Buchhalterin und kennt alle guten Restaurants und Sehenswürdigkeiten. Ich habe sie nach Connor gefragt, aber das Einzige, was sie dazu sagen wollte, war, dass sie ihn nicht anruft, um mit ihm zu plaudern.
Ich hätte einfach das Handy ausschalten sollen. Das wäre vernünftig gewesen. Aber willkürliche Einzelheiten über das Leben dieses Mannes zu erfahren, ist faszinierend. Die Erwähnungen von Mustang und Bronco finde ich besonders interessant – sie werfen die Frage auf, ob Connor vielleicht ein Cowboy ist. Es ist durchaus begrüßenswert, wenn sich jemand mit Seilen auskennt und geschickte Hände hat. Aber natürlich könnte er auch nur ein normaler Pferdefan sein. Für mich wäre beides in Ordnung.
Bisher habe ich bezüglich meines Rufnummernwechsels ein Daumenhoch von einer Schulfreundin bekommen, die nach Missouri gezogen ist, und ein etwas schroffes Wer bist du? von einer ehemaligen College-Mitbewohnerin. So ist das Leben. Einige meiner Schriftstellerkollegen haben mir geschrieben und sich erkundigt, ob ich gut angekommen bin. Das ist schön.
Das weitgehende Schweigen, das ich auf meine Telefonnummernnachricht geerntet habe, lässt mich darüber grübeln, ob womöglich ich die Schuld am Mangel von tiefergehenden Kontakten in meinem Leben trage. In den letzten fünf Jahren habe ich mich darauf konzentriert, meine Karriere aufzubauen.
Während ich die Straße entlanglaufe, lächle ich den Leuten, die mir begegnen, zu. Und einige lächeln sogar zurück. Meine Ziele für den heutigen Tag lauten deswegen: Kaffee, die Umgebung erkunden, Einkaufen und meine tägliche Mindestwortzahl erreichen. Neue Freunde, die wahre Liebe und den Sinn des Lebens finden wäre auch super. Allerdings gäbe ich mich auch damit zufrieden, mit mindestens einer realen Person ein Gespräch zu führen. Ich könnte ein wenig Übung gebrauchen.
Die Espressomaschine, die hinterm Tresen des Main Street Coffee House zischt und faucht, ist ein wunderschöner Anblick. Und dass dort bereits einige Leute versammelt stehen und warten, ist ein gutes Zeichen. Farbenfrohe Gemälde teilen sich die Wände mit Ankündigungen lokaler Events und einige der Fenster bestehen sogar aus Buntglas. Außerdem gibt es noch eine Menge wunderschöner, üppig blühender Topfpflanzen. Ich bin offiziell vernarrt in diesen Ort.
Auf der großen Tafel mit Speisen sind Suppe und Salat aufgelistet und in einer Vitrine liegen Sandwiches und Gebäckteilchen. Es läuft Musik und die Leute unterhalten sich. Die Atmosphäre ist so freundlich und einladend. Ich könnte mir gut vorstellen, in einer stillen Ecke an einem der kleinen Holztische zu arbeiten und dabei Kaffee und Kuchen zu schlemmen.
»Was darf es sein?«, fragt die Barista lächelnd, als ich endlich am vorderen Ende der Schlange angekommen bin.
»Einen Cold Brew und einen Chocolate-Chip-Cookie bitte.«
»Geht klar.«
Sie ist älter als ich und auf ihrem T-Shirt steht in gestickten Buchstaben Shanti. Ihre Haut ist umbrabraun und ihre Haare sind zu Dutch Braids geflochten. Ich reiche ihr einen Zwanzig-Dollar-Schein, und sie gibt mir das Wechselgeld zurück. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen, um mit einem großzügigen Trinkgeld neue Freunde zu gewinnen, und offenbar läuft gerade auch noch ein Trinkgeld-Duell. Wie cool. Das haben sie zu Hause in der Pizzeria auch immer gemacht – es gibt zwei unterschiedlich beschriftete Trinkgeldbehälter, bei denen man anhand seines Trinkgelds für seinen Favoriten stimmen kann, beispielsweise Boxershorts gegen Briefs oder Katzen gegen Hunde.
Hier steht jedoch auf einem Trinkgeldglas AVA DIE LOKALHELDIN und auf dem anderen RILEY DIE NEUE.
Was zum Teufel soll das denn?
»Dein Name?«, erkundigt sich die Bedienung mit Stift und Pappbecher in den Händen.
Das kann nicht sein. Ich blinzle mehrmals, doch es ändert sich nichts. Wie wahrscheinlich ist es, dass es noch eine andere Riley in der Stadt gibt, die kürzlich verdächtigt wurde, einen gewissen Jemand zu daten? Ava hat die Neuigkeiten offensichtlich eifrig herumerzählt oder per Textnachricht verbreitet.
Als Shanti merkt, dass ich die Gläser anstarre, seufzt sie. »Das ist nur so eine Albernheit der Einheimischen. Achte gar nicht darauf.«
»Im Glas der Neuen ist nur eine Fünf-Cent-Münze, aber das andere ist fast voll.«
Shanti lehnt sich mit der Hüfte an den Tresen, während sie den anderen Barista genervt ansieht. »Manche Menschen verwechseln eben das wahre Leben mit einer dieser dämlichen Reality-Datingshows.«
»Ich finde es witzig«, sagt der andere Barista, ein junger, hellhäutiger Mann.
»Wirst du es immer noch witzig finden, wenn Connor davon erfährt?«, fragt ein älterer Mann in Anglerhosen, der am anderen Ende der Theke steht.
Dem jungen Mann vergeht das Grinsen. »Der Typ hat keinen Sinn für Humor.«
»Nein, in letzter Zeit nicht. Aber er hat dir angeboten, dir mit dem Colt zu helfen, weswegen du dich vielleicht etwas mehr bemühen solltest, dich gut mit ihm zu stellen.« Shanti wendet sich wieder mir zu und sagt: »Deine Bestellung dauert nicht lange.«
Ich stopfe die paar Geldscheine, die ich noch in der Geldbörse habe, zusammen mit einigen vereinzelten Münzen, die dort herumkullern, in das Glas der Neuen. Es ist mein gesamtes Bargeld. Dann trete ich zur Seite und verstecke mich hinter einem besonders üppigen Farn. Im Moment fühle ich mich vor allem geschockt. Ich bin erst seit zwei Tagen in der Stadt. Wie kann ich da schon das Stadtgespräch sein?
Diese Entwicklung könnte durchaus der Todesstoß für meine Pläne sein, als neue und verbesserte Meeresküstenversion meiner selbst aufzutreten. Eine Version, die unter anderem weiß, wie man Kontakte knüpft. Zwar habe ich noch keine genaue Vorstellung von Riley 2.0, aber ich würde es durchaus zu schätzen wissen, wenn sie damit aufhören könnte, ständig das Falsche zu sagen und sich regelmäßig zu bekleckern. Die Traumvorstellung wäre natürlich, cool, lässig und selbstbewusst zu sein. Allerdings bin ich mir ziemlich sicher, dass sich in der Öffentlichkeit hinter Grünzeug zu verstecken diesen drei Punkten widerspricht. Was allerdings nie auf meiner Wunschliste stand, war, als männerklauende Schlampe zu gelten.
»Ich glaube, es ist Schicksal«, sagt der grauhaarige Mann in Anglermontur. »Ich meine die Art, wie Ava und Connor immer wieder zueinanderfinden.«
Eine silberhaarige Frau mit einer Designerhandtasche in der Hand und einer dreireihigen Perlenkette um den Hals nickt nachdenklich.
»Das ist sehr romantisch von dir, Harold.« Shanti legt ein Gebäckstück auf einen Teller. »So kenne ich dich gar nicht.«
Doch der Nächste in der Warteschlange stöhnt vernehmlich. »Ach, bitte. Sie ist es, die andauernd weggeht. Keine Ahnung, warum er sie immer wieder zurücknimmt.«
»Sie ist eine erfolgreiche, moderne Frau«, antwortet Harold erhobenen Hauptes. »Es ist nicht ihre Schuld, dass sie ihrer Arbeit wegen viel unterwegs ist.«
Eine andere Frau im Athleisure-Look wirft einen Vierteldollar ins Glas. »Mein Geld geht an die Neue.«
Es ist nicht viel, aber ich nehme es trotzdem. Mit einem stillen Dankeschön.
»Ihr seid doch beide nur angepisst, weil Ava Ballkönigin geworden ist.« Ein Mann mit einem Kleinkind auf der Hüfte steckt einen Dollarschein in das andere Glas. Verflixt.
»Tolle Idee, vor dem Kind zu fluchen, Wade«, bemerkt Shanti.
»Sie war außerdem Captain des Mädchen-Baseballteams, hat die Hauptrolle im Schulmusical gespielt und war Miss Port Stewart.« Harold zählt die Errungenschaften an seinen Fingern ab. »Diese Neue, wer auch immer sie sein mag, müsste schon ziemlich besonders sein, um da mithalten zu können.«
Das Fiese ist, dass die meisten ihm zustimmen.
Doch meine Heldin, die Athleisure-Frau, schüttelt vehement den Kopf. »Das ist alles mehr als fünfzehn Jahre her.«
»Aber seitdem hat sie sich ja nicht auf ihren Lorbeeren ausgeruht«, entgegnet Harold.
Niemand widerspricht ihm. Mist. Kein Wunder, dass mein Glas so spärlich gefüllt ist. Ich trete gegen eine überambitionierte Schönheitskönigin an. Ich habe einmal bei einer Talentshow den zweiten Platz belegt. Meine Darbietung von »The Cup Song« war einwandfrei. Aber das war in puncto schulischer Erfolge auch schon mein Höhepunkt. Also das, und von einer Lehrerin des Plagiierens bezichtigt zu werden, weil die Geschichte, die ich für den Unterricht geschrieben hatte, zu gut gewesen ist.
Das ist beunruhigend. Vielleicht sollte ich ihnen die Wahrheit sagen. Dass Ava mir geschrieben und die falschen Schlüsse gezogen hat. Allerdings stünde dann mein Wort gegen das der Lokalheldin. Wie groß wären die Chancen, dass man mir Glauben schenken würde?
Zwei Touristen betreten den Coffeeshop. Einer hält eine Kamera in der Hand, während der andere eine Broschüre studiert. Entlang der Küste gibt es eine Menge Hotels und Inns. Port Stewart ist ein beliebtes Ziel. Die Stadt hat viele Restaurants, Kunst und Kultur, Geschichte und schöne Landschaft zu bieten. Und sie liegt nur zwei Stunden von Seattle entfernt.
»Wir suchen nach dem Bauernmarkt?«, fragt der Mann.
»An der Ecke Hemlock und Lawrence«, antwortet Shanti. »Aber er findet nur samstags statt.«
Die beiden enttäuschten Touristen trotten wieder hinaus.
Shanti hebt einen Cookie mit einer Serviette hoch und steckt ihn in eine Papiertüte. »Wo ist denn … Ach, da bist du ja. Deine Bestellung ist fertig. Ich habe deinen Namen gar nicht mitbekommen.«
Ich eile zu ihr und nehme mir den Kaffee und den Cookie. Nur Zucker und Koffein können diesen Tag noch retten. »Vielen herzlichen Dank.«
»Sehr gern geschehen.«
Bis zur Tür ist es nicht weit. Höchstens vier oder fünf Meter. Wie gut, dass ich flache Schuhe angezogen habe. Zwar renne ich nicht direkt, aber gehen kann man es auch nicht nennen. Der Cold Brew schwappt wild im Pappbecher herum.
Zeit für einen neuen Plan. Ich werde diesen Sturm aussitzen, indem ich mich so lange heldenmütig in meiner Wohnung verstecke, bis dieser ganze Mist sich wieder in Luft aufgelöst hat. Und in völliger Zurückgezogenheit in einer sicheren Zuflucht ausharren kann ich richtig gut. Ava wird zurückkehren und wieder mit Connor vereint sein und die Leute werden sich ein anderes Thema zum Reden suchen. Eines, das nichts mit mir zu tun hat. Dann werde ich diesen ganzen Blödsinn vergessen, mein Leben am Meer neu starten und alles wird herrlich werden.
Doch bevor ich die Tür des Coffeeshops erreiche, schwingt sie auf und die Hausverwalterin spaziert herein. Just die, die mir die Schlüssel zu meiner neuen Wohnung übergeben hat. Als sie mich sieht, lächelt sie und ruft laut: »Hey, hallo Riley!«
Die Frau hat wirklich eine kräftige Lunge. Alle Köpfe im Coffeeshop drehen sich nach mir um. Einige Blicke, die mich treffen, wirken feindselig, während andere eher in die Kategorie neugierig Schrägstrich peinlich berührt fallen. Mein Lebenswille versinkt augenblicklich im Boden.
Scheiße.
Die Hausverwalterin wirkt verwirrt. Doch dann entdeckt sie die beiden konkurrierenden Trinkgeldgläser und sagt: »Oje.« Was die Untertreibung des Jahres ist.
Shanti zupft die beschrifteten Karten von den Gläsern und wirft sie in den Müll. »Das hätte ich gleich tun sollen, als ich gekommen bin.«
»Es sollte witzig sein«, murmelt der Barista.
»Wirkt sie auf dich vielleicht amüsiert?«
Der junge Barista lächelt mich verlegen an. »Tut mir leid, Ma’am.«
»Ich, ähm …«, ist alles, was ich zu sagen habe. Mein Mund ist so trocken wie etwas, was ziemlich trocken ist, und außerdem funktioniert mein Hirn nicht richtig. Derweil starren die anderen Leute mich noch immer an.
»Connor und ich … Das ist alles nur …« Mein Handy fängt in meiner Handtasche an zu vibrieren, und ja, das ist sie, meine Fluchtmöglichkeit. »Entschuldigt mich.«
Durch die Tür und ab auf den Gehweg. Raus an die frische Luft, wo ich endlich wieder atmen kann. Die Anzahl der Blicke, die mir Löcher in den Hinterkopf zu brennen scheinen, ist enorm. Aber ich balanciere den Becher und den Cookie in der einen Hand und angle mit der anderen nach meinem Handy. Gleichzeitig schaffe ich es auch noch, den nötigen Abstand zwischen mich und diesen Laden zu bringen. Ein Hurra aufs Multitasking.
Bis ich es schaffe, ranzugehen, ist der Anruf schon auf der Mailbox gelandet. Bei meinem Glück war er bestimmt für Connor. Der heutige Tag erweist sich immer mehr als der perfekte Tag, um sich eine neue Telefonnummer zuzulegen. Schon wieder. Das ist so ziemlich das Einzige, was ich tun kann, um aus dieser Situation wieder herauszukommen. Eine Mitteilung über eine Nachricht auf der Mailbox trifft ein. Ich höre sie mir an.
»Connor, mein Schätzchen«, sagt eine Frauenstimme. »Hier ist Grandma. Der Akku von meinem Telefon ist fast leer. Du musst kommen und mich vom Park abholen. Mein Knie macht mir wieder Probleme und ich glaube, ich komme nicht mehr weit. Ich setze mich einfach auf eine Bank und warte auf dich.«
Verdammt noch mal. Ich versuche, sie zurückzurufen, aber sie nimmt nicht ab. Dann versuche ich, Connors Mutter anzurufen, aber dort geht auch niemand ran. Was soll ich jetzt tun? Ich kann nicht einfach die Nerven verlieren und die Großmutter von jemandem im Stich lassen. Laut Internet gibt es in der Gegend mindestens ein Dutzend Parks. Heute ist offiziell ein Scheißtag.
In diesem Moment fällt mir ein, dass es doch jemanden gibt, den ich um Hilfe bitten kann. Meine neue Erzfeindin. Obwohl ich vorher eigentlich noch keine hatte.
Ich: Wenn Grandma spazieren gehen und in einem Park eine Pause machen würde, welcher wäre das dann?
Ava: Welcher Park?
Ich: Ja.
Ava: Arcadia.
Ich: Danke.
Der große Park an der Uferpromenade ist nur wenige Autominuten entfernt. Als ich aus dem Wagen steige, stelle ich einmal mehr überrascht fest, wie lebendig und grün hier alles ist. Selbst die Luft schmeckt anders. Und tatsächlich sitzt in der Nähe des Willkommensschildes jemand und wartet. Ihr silbriges Haar ist zu einem ordentlichen Bob frisiert und ihr Lächeln lässt ihr Gesicht erstrahlen, während sie einigen Kindern in ihrer Nähe beim Spielen zusieht.
Ich habe nicht viel Erfahrung mit Großeltern. Meine Großmutter ist gestorben, als ich noch sehr klein war, und mein Vater hat mit seinen Eltern schon seit Jahren keinen Kontakt mehr. Natürlich gibt es noch meinen Grandpa mit seinem Feuer-Emoji. Aber der lebt allein auf der anderen Seite des Landes und bekommt nicht gern Besuch. Meine antisozialen Tendenzen habe ich wahrscheinlich nicht von ungefähr.
Ich gehe höflich lächelnd zu ihr hinüber. »Ma’am, mein Name ist Riley. Ich habe die ehemalige Handynummer Ihres Enkelsohns. Sie hatten mich angerufen, dass Sie abgeholt werden wollen.«
»Verflixt. Er hat mir kürzlich seine neue Nummer gegeben, aber ich bin noch nicht dazu gekommen, sie in mein Handy zu speichern. Ich habe die Nummer zu Hause auf der Küchentheke liegen gelassen. Obwohl das egal ist, denn das blöde Handy ist ja sowieso leer.« Sie schnalzt mit der Zunge. Dann mustert sie mich und meinen Jeep. »Es ist furchtbar nett von Ihnen, dass Sie hergekommen sind, um mir zu helfen.«
»Kann ich jemanden für Sie anrufen oder Sie mitnehmen?«
»Wenn Sie mich mitnehmen könnten, wäre das wunderbar. Es ist nicht weit.« Sie steht langsam auf. »Sind Sie eine Freundin von Connor?«
»Nein, Ma’am. Ich habe nur zufällig seine alte Nummer bekommen.«
Sie runzelt die Stirn. »Aber ich könnte schwören, dass ich erst kürzlich Ihren Namen gehört habe, und zwar in Verbindung mit meinem Enkel Connor. Sie heißen Riley, sagten Sie?«
»Ja.« Das ist jetzt der Moment, in dem ich am liebsten im Boden versinken möchte. So was von oberpeinlich. »In der Stadt scheint es gewisse Gerüchte über Connor und mich zu geben.«
»Ach ja?«
»Sie sind vollkommen absurd. Wir sind uns noch nie begegnet. Wie sollten wir da ein Paar sein?«
»Genau das war es, was ich gehört habe. In dieser Stadt wird ständig über irgendjemanden getratscht.« Sie macht es sich auf dem Sitz bequem und fragt mit einem zuckersüßen Lächeln: »Haben Sie irgendeine Ahnung, weshalb dieses Gerücht aufgekommen ist?«
»Ähm …«
Ava hat die Situation missverstanden – so viel ist sicher. Aber ich weiß nicht recht. Meine Erzfeindin könnte auch gänzlich unschuldig sein, weswegen ich ungern Schuldzuweisungen machen möchte. Es besteht immerhin noch die geringe Möglichkeit, dass sie eigentlich nicht wollte, dass sich dieser Unsinn über Connor und mich verbreitet. Was, wenn sie nur mit einer Freundin darüber gesprochen hat und die es war, die es in der ganzen Stadt herumgetratscht hat? Denn was sollte es Ava bringen, die Neuigkeit zu verbreiten, dass Connor mit jemandem zusammen ist (ob das nun stimmt oder nicht)?
Meine Mitfahrerin wartet einen Moment, bevor sie weiterredet. »Ich glaube, ich habe Sie hier noch nie gesehen.«
»Ich bin gerade erst hergezogen.«
»Von wo?«, erkundigt sie sich mit dem gleichen arglosen Lächeln.
»Las Vegas.«
»Sie sind ein Stadtkind?«
»Ganz genau.«
»Meine Güte«, sagt sie. »Was für eine Veränderung.«
»Das kann man wohl sagen. Wo möchten Sie hin, Ma’am?«
»Nenn mich doch Martha. Ich muss zum Mermaid Café. Weißt du, wo das ist?«
»Nein, aber ich kann kurz nachsehen.«
»Nur keine Umstände. Ich dirigiere dich hin.« Und das tut sie auch.
Martha besteht darauf, mir zum Dank einen Kaffee zu spendieren. Es stellt sich heraus, dass das Café an der Beach Street liegt, nur ein paar Blocks entfernt von meinem neuen Zuhause. Obwohl das in dieser Kleinstadt eigentlich für so ziemlich alles gilt. Das Café befindet sich in einem schmalen, verwitterten Gebäude, vor dem einige Tische stehen. Über ihnen, an der Fassade des Hauses, hängt eine Meerjungfrauenskulptur. Sie ist aus Holz, genau wie diese Figuren am Bug von Piratenschiffen. Einer der Tische ist bereits mit zwei Damen besetzt, die ungefähr in Marthas Alter sind. Die erste ist mit Stricken beschäftigt, während die zweite stickt.
»Das ist Riley«, verkündet Martha. »Darf ich dir Noor und Joyce vorstellen?«
Ich lächle und bleibe stehen, um meine arme schmerzende Wade zu dehnen. Vielleicht packe ich mich heute Abend in die Wanne. Ein schönes heißes Bad könnte mir guttun.
Kaum hat Martha sich gesetzt, hält sie auch schon ein Knäuel Wolle und eine Häkelnadel in der Hand. »Riley war so freundlich, mich vom Park herzufahren.«
»Wieder das Knie?«, erkundigt sich Joyce.
»Du weißt ja, wie das ist.«
»Wie Bette Davis schon sagte, alt werden ist nichts für Feiglinge«, bemerkt Noor.
Joyce dreht sich zur Seite und brüllt in Richtung der offenen Tür des Cafés: »Noch zwei Kaffee.«
»Kommt gleich, Ma«, ruft jemand von drinnen zurück.
»Setz dich, Riley«, bittet Noor mit einem herzlichen Lächeln. Sie hat eine raue Stimme und spricht mit nahöstlichem Akzent. »Erzähl uns von dir.«
»Sie ist kürzlich aus der Stadt hierhergezogen«, antwortet Martha für mich. »Es gehen Gerüchte über sie und Connor um.«
Noor hebt eine Braue. »Tatsächlich?«
»Ich kenne ihn nicht mal«, erkläre ich. »Das ist alles nur ein Missverständnis.«
»Hmm.« Joyce mustert mich über den Rand ihrer Brille hinweg. »Vielleicht solltest du ihn kennenlernen.«
Mein Gesichtsausdruck ist kein Lächeln, sondern eher eine Grimasse, die obendrein auch noch ziemlich verlegen ausfällt.
»Was hat dein Enkel eigentlich zu alldem zu sagen?«, fragt Noor.
»Ich hatte bisher noch keine Gelegenheit, ihn danach zu fragen«, erwidert Martha. »Aber mich interessiert vor allem, wer hinter diesem Gerücht steckt, dass er und Riley zusammen sind.«
»Glaubst du, jemand legt es darauf an, Unruhe zu stiften?«, fragt Noor.
Martha deutet mit der Häkelnadel in meine Richtung. »Sie weiß, was los ist, und will es mir nicht sagen. Was mich wiederum äußerst misstrauisch macht.«
»Harte Worte«, murmele ich.
Noor zwinkert mir kameradschaftlich zu. »Was machst du beruflich, Riley?«
»Ich schreibe für ein Kleinunternehmen«, sage ich lächelnd. Das ist meine Standard-Nicht-Antwort. Auch wenn ich Liebesromane toll finde, möchte ich gegenüber Gesprächspartnern nicht unbedingt immer ins Detail gehen. Insbesondere bei Menschen, die ich gerade erst kennengelernt habe. Was dieses Genre angeht, gibt es einen Haufen blind übernommener Vorurteile, frauenfeindlicher Ansichten und diversen anderen Schwachsinn in der Welt da draußen. Und dass ich für ein Kleinunternehmen schreibe, entspricht ja der Wahrheit. Gewissermaßen.
Joyce hält einen kleinen Teller mit Keksen hoch. »Versuch einen davon, Riley. Meine Tochter bäckt sie. Sie helfen gegen meine Arthritis-Schmerzen. Vielleicht tun sie auch deinem Bein gut. Mir ist vorhin, als du zum Tisch gekommen bist, aufgefallen, dass du es gedehnt hast. Außerdem wirkst du ganz generell gestresst, wenn ich das so sagen darf.«
Ich lächle. »Vielen Dank. Sehr gern.«
Ich schätze, das Universum will heute unbedingt, dass ich einen Chocolate-Chip-Cookie esse. Den, den ich mir vorhin im Café gekauft habe, habe ich auf dem Weg zum Auto in meiner Eile versehentlich zerdrückt. Dieser hier ist buttrig-süß und lecker, mit einem netten Nachgeschmack von Marihuana. Fein. High zu werden steht zwar nicht auf meiner To-do-Liste, aber es war bisher ein ziemlich harter Tag.
»Was ist mit deinem Bein los?«, erkundigt sich Martha.
Ich schlucke einen weiteren Bissen hinunter, bevor ich antworte: »Nur ein Muskelkater vom Kistenschleppen beim Umzug. Der Lift ist defekt und meine Wohnung liegt im zweiten Stock.«
»Du solltest Connor zu ihr schicken, damit er ihr hilft«, meint Noor.
Martha runzelt die Stirn. »Brauchst du denn noch Hilfe?«
»Oh, also, äh … Nein.« Es dauert nur einen kurzen Moment, bis die sich plötzlich ausbreitende Wärme mein Gesicht in Flammen stehen lässt. Der Gedanke daran, ihn zu treffen, sollte mich eigentlich nicht derart aus dem Konzept bringen. Er ist einfach nur irgendein Wildfremder, mit dem ich zufällig im selben Universum lebe. »Nein, vielen Dank.«
»Genau so hat sie auch im Auto reagiert, als ich sie gefragt habe, wer dieses Gerücht in die Welt gesetzt haben könnte«, bemerkt Martha. »Jetzt seht ihr selbst, weshalb ich misstrauisch bin.«
»Sie lässt sich eben leicht aus der Fassung bringen.« Noor hat ein charmantes Lächeln. Mit ihren Kurven, ihrem langen silbrigen Haar und ihrem roten Lippenstift ist sie wirklich eine Hammerfrau. »Na und?«
»Martha, du hast zu viele Krimis gelesen. Die haben dich paranoid gemacht.« Joyce trinkt einen Schluck Kaffee. »Wenn Riley dir nicht verraten will, was sie weiß, muss sie das auch nicht. Sei nicht so aufdringlich.«
»Außerdem«, ergänzt Noor, »ist Connor ein erwachsener Mann, der sich bestimmt nicht darüber freuen würde, wenn du die Nase in seine Angelegenheiten steckst.«
Joyce lacht leise. »Als hätte sie das schon jemals davon abgehalten.«
»Ich habe meine Gründe.« Ich esse den Rest vom Keks auf, weil es eine Schande wäre, derart leckeres Backwerk verkommen zu lassen.
Die Welt wirkt auf mich bereits etwas entspannter und weniger stressig. Etwas abgedämpft. Ich dehne meinen Nacken und sinke gleich darauf mit einem zufriedenen Seufzer gegen die Stuhllehne. Sehr wahrscheinlich muss meine To-do-Liste erst mal warten, solange ich dieses High genieße.
»Der Himmel hat heute einen so schönen Blauton. Findet ihr Wolken nicht auch einfach herrlich?«
Martha runzelt wieder die Stirn. Dann hellt sich ihre Miene plötzlich auf und sie hält mir den Teller mit Keksen hin. »Meine Freundinnen haben recht. Bitte entschuldige meine Angriffslust, Riley. Nimm dir noch einen Keks. Dein Kaffee kommt gleich.«
»Dazu sage ich nicht nein.«
»So«, sagt Noor mit einem Lächeln. »Worüber könnten wir uns an diesem wunderschönen Sommertag denn unterhalten?«
Eine Stunde später.
»… und dann Ava so: Bis bald«, berichte ich mit meiner überzeugendsten bedrohlichen Schurkenstimme.
Joyce schnaubt amüsiert, während sie unverdrossen weiterstrickt. Sie arbeitet an einem winzigen weißen Schühchen für ein anstehendes Enkelkind.
»Aber was diese Gerüchte angeht, also, ich meine, was, wenn ich mich geirrt habe und es jemand anderes gewesen ist? Was, wenn Ava sich einer Freundin anvertraut hat und diejenige es gewesen ist, die die Geschichte in der Stadt verbreitet hat?«
»Oh, es ist auf jeden Fall Avas Werk.« Martha tippt sich mit der Häkelnadel ans Kinn. »In dieser Hinsicht kann ich dich beruhigen.«
Noors Lippen sind zu einer geraden, verdrossenen Linie zusammengepresst. »Diese Frau.«
»Aber inwiefern profitiert sie davon?«, frage ich. »Was will sie damit erreichen?«
»Sie versucht, dich aus dieser Sache hinauszudrängen«, meint Joyce. »Dich unter Druck zu setzen, in der Hoffnung, dass du klein beigibst. Vielen Menschen in dieser Stadt gefällt die Vorstellung, dass sie und Connor zusammenbleiben, und das weiß sie auch.«
Noor bohrt ihre Nadel mit Verve in ihre unflätige Stickerei. Sie lautet »Live, Laugh, Fuck Off«. Diese Frau ist wirklich unglaublich. Doch offenbar hat sie die Nadel an der falschen Stelle eingestochen. Eine Menge leiser Flüche sind zu hören, während sie sie vorsichtig wieder zurück durch den Stoff fädelt, um den Fehler zu korrigieren.
»Die gute Ava ahnt ja nicht, dass du kein furchtsames Mäuschen bist, das beim ersten Anzeichen von Konkurrenz die Flucht ergreift«, sagt Martha. Selbst ein Pfarrer auf der Kanzel könnte nicht mit so viel Überzeugungskraft sprechen, wie sie in ihre Aussage legt. Es wundert mich, dass angesichts der Wucht ihrer Worte nicht die Erde bebt.
»Das stimmt«, pflichtet Noor ihr bei.
Joyce nickt. »Riley wird es ihr zeigen!«
Ich krause verwirrt die Nase. »Ihr erinnert euch aber schon noch, dass ich nicht wirklich mit Connor zusammen bin, oder?«
Die drei Frauen sehen sich an. Dann sagt Noor: »Vielleicht waren wir ein bisschen zu übermütig.«
»Die Kekse haben es diesmal aber auch wirklich in sich. Mann, bin ich vielleicht hungrig«, sagt Joyce. Dann brüllt sie durch die offene Eingangstür: »Wir könnten noch einen Teller von den Buchweizen-Scones vertragen, Schatz!«
»Deswegen glaubt also die ganze Stadt, dass ihr beide miteinander ausgeht«, seufzt Martha. »Ava und Connor kennen sich bereits seit ihrer Kindheit. Früher haben sie mal gut zusammengepasst. Aber sie sind schon vor langer Zeit aus dieser Beziehung herausgewachsen. Das ist eine Tatsache.«
»So siehst du es«, meint Joyce. »Connor könnte das durchaus anders empfinden. Obwohl es interessant ist, dass er seine Telefonnummer geändert hat. Das muss ich schon sagen.«
Martha schnaubt.
Noor blickt mit einem friedvollen Gesichtsausdruck ins Leere.
»Es ist eine verdammte Schande, dass ihr beide kein Paar seid«, fährt Martha fort.
»Vielleicht würde er dann zur Abwechslung nicht wieder mit Ihr-wisst-schon-wem in alte Gewohnheiten zurückfallen.«
»Na ja. Das sehe ich etwas anders.« Ich lächle amüsiert. »Wann war Ava denn zum letzten Mal zu Hause?«
»An Weihnachten.« Martha seufzt. »Seitdem hat Connor miese Laune.«
»Er ist nicht er selbst«, meint Noor. »Zwar war er schon immer eher schweigsam, aber neuerdings stampft er nur noch mit einer Düstermiene durch die Gegend.«
»Stimmt«, pflichtet Joyce ihr bei. »Er war immer so ein angenehmer, hilfsbereiter junger Mann. Aber wann immer ich ihn heutzutage sehe, läuft er mit eingezogenem Kopf herum.«
Noch mehr Seufzer von Martha.
»Ich sollte jetzt lieber gehen.« Ich stehe auf. »Aber das hat Spaß gemacht. Wirklich.«
»Wir sind fast jeden Morgen hier«, sagt Joyce. »Komm mal wieder vorbei und besuche uns, Riley.«
Noor kehrt blinzelnd in die Gegenwart zurück. »Ja. Unbedingt. Freitags trinken wir immer Mimosas.«
»Gern«, sage ich.
»Um es mit Avas Worten zu sagen: Bis bald.« Martha stößt ein überzeugend fieses Lachen aus. Die Frau hat Talent.
Ich tue im Gegenzug so, als wären meine Hände Pistolen. Keine Ahnung, warum. Dann laufe ich zurück zu meiner Wohnung, füge dem ganzen Schlamassel eine ordentliche Portion Kaffee hinzu und widme mich meiner Mindestwortzahl.
Gegen elf Uhr abends verkündet mein Handy pingend den Eingang einer Nachricht. Was nicht weiter schlimm ist, weil ich oft lange aufbleibe, um zu schreiben. Wenn alle um einen herum fest schlafen und die Welt still ist, habe ich das Gefühl, mehr Raum zum Atmen und Denken zu haben.
Ava: Ist Grandma okay?
Ich: Ja. Nochmals danke für deine Hilfe.
Ava: War Connor nicht da, oder was?
Ich: Keine Ahnung. Martha hat etwas durcheinandergebracht und seine alte Nummer angerufen.
Ava: Du hältst also weiterhin an der Story fest, dass du ihn nicht kennst?
Ich: Weshalb bist du so überzeugt davon, dass ich lüge?
Ava: Vermutlich aus Dickköpfigkeit.
Ich: Was ist überhaupt so toll an ihm? Die ganze Stadt scheint das mit euch beiden als eine Art epische Liebesgeschichte zu betrachten. Aber wenn dem so ist, warum trennt und versöhnt ihr euch dann andauernd?
Ava: Du hast dich über mich erkundigt, was?
Ich: Das musste ich gar nicht. Die ganze Stadt spricht von diesem angeblichen Liebesdreieck. Du hattest damit nicht zufällig etwas zu tun, oder?
Ava: Ups. Sollte das mit dir und Connor etwa ein Geheimnis bleiben?
Ava: Das Tolle an ihm ist, dass er immer zu mir gehalten hat. Von allen, mit denen ich jemals zusammen gewesen bin, hat er mich am meisten geliebt. Und das tut er immer noch.
Ich: Okay.
Ava: Okay? Das ist alles?
Ava: Du bist so seltsam.
Ich: Was wirst du tun, wenn du wieder in die Stadt kommst und merkst, dass ich tatsächlich die ganze Zeit über nicht gelogen habe?
Ava: Ich schätze, das werden wir beide früh genug erfahren.
Ooh. Wieder so eine ominöse Ankündigung. Sie braucht ein sinnvolleres Hobby. Eines, das weniger bedrohlich/anstrengend für ihre Mitmenschen ist.
Es klopft an meiner Tür. Ich habe nur leise Musik laufen und auch sonst war ich nicht übermäßig laut. Kein Stampfen oder Schreien. Meine Nachbarn haben also keinen Grund, sich zu beschweren. Aber wer könnte es zu dieser späten Stunde sonst sein?
Der Blick durch den Türspion offenbart ein breit gebautes männliches Wesen. Einen Fremden. Er ist groß und hat eine Baseballkappe auf dem Kopf. Wegen des schummrigen Lichts im Hausflur und der Art, wie er dasteht, gibt es sonst nicht viel zu sehen.
»Martha hat mich geschickt«, sagt er, als wüsste er genau, dass ich hinter der Tür stehe. »Sie möchte, dass ich dir dein Auto wieder vors Haus stelle, nur für den Fall, dass du es brauchst. Wenn dir das recht ist.«
Shit. Das muss Connor sein. Ich habe seiner Großmutter tatsächlich erzählt, wo ich wohne. Aber trotzdem ist das eine ungewöhnliche Uhrzeit für einen Herrenbesuch.
»Ich weiß, dass es schon spät ist, aber ich war gerade auf dem Heimweg und habe gesehen, dass bei dir noch Licht brennt«, fährt er mit tiefer Stimme fort, in der ein leicht mürrischer Unterton mitschwingt. Als würde er jetzt lieber zu Hause im Bett liegen. »Wenn es dir nicht passt, kann ich auch morgen wiederkommen. Ober überhaupt nicht. Deine Entscheidung.«
Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass eine Yogahose und ein blau-weiß-gestreiftes T-Shirt gleichzeitig als legere Freizeitkleidung und als Schlafanzug durchgehen, denn Bequemlichkeit ist nun mal das oberste Gebot. Allerdings ist es nicht unbedingt das Outfit, das ich mir bewusst ausgesucht hätte, um besagten Mann kennenzulernen. Dennoch ziehe ich den Riegel zurück und öffne die Tür.