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**Zur Kriegerin geboren** Schon ihr Leben lang träumt Elainia davon, Mitglied der Königinnengarde von Elandria zu werden. Bevor sie jedoch ihre Ausbildung zur Kriegermagierin vollenden kann, wird die Königsfamilie angegriffen und vergiftet. Doch nicht nur das – auch Elainias Schwester, die Verlobte des Prinzen, zählt zu den Opfern. Entschlossen, die zukünftige Königin vor dem Tod zu bewahren, lässt die junge Magierin nichts unversucht, ein mögliches Heilmittel zu finden. Auch wenn das bedeutet die sagenumwobene Krähenkönigin aufzusuchen, die einzigartige Fähigkeiten besitzen soll. Zusammen mit dem geheimnisvollen Avis begibt sich Elainia auf eine schicksalhafte Reise, nicht ahnend, dass der attraktive Elf an ihrer Seite ganz eigene Absichten verfolgt … High-Fantasy zum Verlieben. Endlich das Debüt der bekannten Buchbloggerin @bibibuecherverliebt, die die Welt seit Jahren mit ihren wunderschönen Bodypaintings verzaubert! Lass dich in eine Welt voller Magie, Flüche und Romantik entführen. Textauszug: »Das vertraute Goldbraun seiner Augen war dunklen Schatten gewichen, die sogar das Weiß um seine Iriden umwölkten. Zum ersten Mal wünschte Elainia von Herzen, seine Gefühle manipulieren zu können, doch der Fluch hinderte sie daran. Er war wie eine Barriere aus schwarzem Diamant, die sein Innerstes vor ihren Kräften schützte. Hass und Wut wanden sich schlangengleich um sein Herz, vergifteten seine Gedanken und schwappten wie brodelndes Wasser auf Elainia über. Sie musste ihre Magie zurückziehen, um nicht darin zu ertrinken. Langsam rappelte sie sich auf. Er war ihre letzte Aufgabe. Ihr Schwert fest umklammert näherte sie sich ihm.« //Dies ist der erste Band der magisch-fantastischen Dilogie »The Crow Queen«. Alle Bände der Fantasy-Liebesgeschichte bei Impress: -- The Crow Queen 1: Magische Gaben -- The Crow Queen 2: Tödliche Flüche Diese Reihe ist abgeschlossen.//
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Veröffentlichungsjahr: 2022
Impress
Die Macht der Gefühle
Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.
Wer nach Geschichten zum Mitverlieben in den beliebten Genres Romantasy, Coming-of-Age oder New Adult Romance sucht, ist bei uns genau richtig. Mit viel Gefühl, bittersüßer Stimmung und starken Heldinnen entführen wir unsere Leser*innen in die grenzenlosen Weiten fesselnder Buchwelten.
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Bianka Behrend
The Crow Queen 1: Magische Gaben
**Zur Kriegerin geboren**Schon ihr Leben lang träumt Elainia davon, Mitglied der Königinnengarde von Elandria zu werden. Bevor sie jedoch ihre Ausbildung zur Kriegermagierin vollenden kann, wird die Königsfamilie angegriffen und vergiftet. Doch nicht nur das – auch Elainias Schwester, die Verlobte des Prinzen, zählt zu den Opfern. Entschlossen, die zukünftige Königin vor dem Tod zu bewahren, lässt die junge Magierin nichts unversucht, ein mögliches Heilmittel zu finden. Auch wenn das bedeutet die sagenumwobene Krähenkönigin aufzusuchen, die einzigartige Fähigkeiten besitzen soll. Zusammen mit dem geheimnisvollen Avis begibt sich Elainia auf eine schicksalhafte Reise, nicht ahnend, dass der attraktive Elf an ihrer Seite ganz eigene Absichten verfolgt …
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Vita
Danksagung
© privat
Bianka Behrend wurde 1999 in Berlin geboren. Schon früh entdeckte sie ihre Liebe zu Büchern, plünderte die Bibliothek und dachte sich Geschichten aus. Wenn sie nicht gerade in fremde Welten abtaucht, Pinsel und Farben in den Händen hält, auf ihrem Instagram Account »bibibuecherverliebt« mit Bodypaintings und Armbemalungen über Bücher bloggt oder hinter ihrem Laptop verschwindet, dann galoppiert sie mit ihrer Stute Pepper über die Felder.
Für alle, die wie ich nie genug von Fantasygeschichten kriegen können.
Blut ist das stärkste Band, hatte ihre Mutter immer gesagt.
Nicht Freundschaft.
Nicht Loyalität.
Nicht Liebe.
Blut.
Vielleicht war das der Grund, warum sie den Konflikt in der Vergangenheit so angegangen war und nicht anders. Weil das Blut sie verband und sie nicht gewagt hatte, dieses Band vollständig zu zerreißen, obwohl der Hass und die Wut in ihr es verlangten. Vielleicht war es aber auch besser so, denn der Tod wäre zu gut für sie gewesen. Für das, was sie ihr angetan hatte …
Elainia
Zu spät. Sie war zu spät. Schon wieder.
»Verzeihung!«, rief sie einem schimpfenden Kutscher zu, dem sie geradewegs vor die Pferde gelaufen war. Mit einem hastigen Blick über die Schulter versicherte Elainia sich, dass keiner zu Schaden gekommen war und eilte dann weiter durch die belebten Straßen der Hauptstadt. Sie musste den Besuch der Universitätsbibliothek von Elandria so schnell wie möglich hinter sich bringen, denn sonst würde sie ihr eigentliches Ziel niemals rechtzeitig erreichen. Und wenn sie nicht beim letzten Glockenschlag in ihrem Unterrichtsraum saß, würde Direktorin Jarna ihr Feuer unter dem Hintern machen. Und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Die Frau hasste Unpünktlichkeit wie den Grauen Tod und war leider eine sehr begabte Magierin in Sachen Feuerbeschwörung.
Mit wehenden Haaren bog Elainia von der viel bevölkerten Hauptstraße in eine Seitengasse ab. Zeit für ihre Abkürzung. Den Weg, auf dem sie ganz allein war. Den Weg über die Dächer.
Sie beschleunigte ihre Schritte, bis sie die Taverne Zur Blauen Fee erreichte. Gerade als sie nach dem Knauf greifen wollte, schwang die Tür auf.
»Ab nach Hause, Forn«, hörte sie die Wirtin bestimmt, aber gutmütig rufen.
Ein Mann torkelte ihr entgegen. Elainia wich mit einem Satz aus, ehe sie sich an ihm vorbeischob.
»Wieder in Eile, Mädchen?«, erkundigte Ajola sich mit einem wissenden Grinsen im geröteten Gesicht.
»Kann man sagen«, entgegnete sie. »Lange Nacht gehabt?«
Die Wirtin nickte. »Forn ist der Letzte. Ich mache gleich zu und lege mich aufs Ohr.«
»Guten Schlaf. Und danke.«
»Es ist mir ein Vergnügen, wie jedes Mal.« Ajola zwinkerte Elainia zu.
Sie neigte den Kopf, wandte sich um und lief durch den nach Bratenfett, Schweiß und Alkohol riechenden Gastraum. Binnen weniger Minuten hatte sie den Dachboden erreicht und kletterte über die kleine Fensterluke ins Freie.
Sobald sie sich aufgerichtet hatte, genoss sie für ein paar Herzschläge die Wärme der aufgehenden Sommersonne auf der Haut und die seichte Brise, die den Duft von Holunder und Lavendel aus einem der nahe gelegenen Gärten mit sich trug. Sie atmete tief durch und dankte Ajola im Stillen für ihre Dachbodenluke, die sie jederzeit nutzen durfte. Die Wirtin führte die Taverne im besseren Viertel der Stadt bereits seit einer halben Ewigkeit. Als Kind war Elainia oft mit ihrer Mutter hier gewesen. Inzwischen kam sie seit fünf Jahren regelmäßig mit ihrer besten Freundin her, um zu tanzen und unbeschwerte Abende zu genießen – oder um die Welt über den Dächern der Stadt zu erkunden.
Ihr Blick glitt über die unzähligen Giebel, Schornsteine und Fenster, bis sie in einiger Entfernung die Türme des Palastes entdeckte. Golden glänzten die spitzen Dächer im Sonnenlicht. Links daneben erhob sich das Alte Kloster in den Himmel. Weniger glänzend, dafür mit seinen rauen Mauern aus Feldsteinen und dem alten Uhrenturm umso gewaltiger. Der Anblick riss sie aus ihrer Verschnaufpause. Wenn sie pünktlich dort ankommen wollte, sollte sie sich jetzt in jedem Fall beeilen. Und sich vor Augen führen, wie dankbar sie sein konnte, das Alte Kloster ihre Akademie nennen zu dürfen. Schließlich war es die Ausbildungsstätte für Magierinnen aus ganz Fandoria, deren Ziel es war, einmal in die Garde der Königin aufgenommen zu werden. Diese bestand aus den zwanzig stärksten, klügsten, tapfersten Magierinnen Fandorias und diente dem Schutz der Königsfamilie, vorzugsweise dem der Königin. Die wenigen Ausbildungsplätze waren heiß umkämpft, da lediglich einmal alle zehn Jahre eine neue Klasse eröffnet wurde. Wer aufgenommen wurde, hatte nur ein Ziel: die Prüfungen am Ende der zehnjährigen Ausbildung zu bestehen und Kriegermagierin im Dienste der Königsfamilie zu werden. Wer nicht aufgenommen wurde, schlug den regulären Weg ein und besuchte eine der fünf großen Akademien des Landes.
Das Zuschlagen einer Tür von irgendwo unter ihr riss sie aus den Gedanken. Mit fliegenden Fingern kontrollierte Elainia den Sitz ihrer Tasche, band ihre schwarzen Locken zusammen und setzte sich in Bewegung. Die Sohlen ihrer Stiefel fanden guten Halt auf den rauen Schindeln, dennoch setzte sie ihre Schritte mit höchster Konzentration. Über die Dächer von Elandria zu laufen, war zwar nicht ganz ungefährlich, aber ihre ganz eigene Definition von Freiheit. Hier oben gab es keine Menschen, keine Wandler oder Magier und schon gar keine Zwerge. Die Feen verschlug es – falls überhaupt – in noch luftigere Höhen. Hier brauchte sie ihre Magie nicht hinter Mauern verstecken, um nicht von der Vielzahl an Emotionen überwältigt zu werden, die unwiderruflich von jedem Wesen ausgingen. An diesem Ort konnte sie loslassen. Und auch wenn ihre Eltern es nicht gerne sahen, verstand vor allem ihre Mutter, warum sie sich so gerne hier oben aufhielt. Immerhin teilten sie die magische Berührung der Gefühle, die einen an manchen Tagen wirklich in den Wahnsinn treiben konnte.
Schwer atmend richtete sie ihren Blick auf das nächste Dach. Hoch und weit, dachte sie. Einfach hoch und weit springen. Dutzende Male hatte sie diese Stelle schon bewältigt. Trotzdem rauschte immer wieder Adrenalin durch ihre Adern, sobald sie es auf die andere Seite geschafft hatte. Sie zählte rückwärts, kannte die Entfernung bereits im Schlaf. Fünf, vier, drei, zwei, eins. Mit dem rechten Fuß stieß sie sich von der Dachkante ab und für Sekundenbruchteile schwebte sie über dem Abgrund. Dann zerrte die Schwerkraft an ihrem Körper und zog sie unbarmherzig herunter. Für einen winzigen Moment fürchtete sie sich verschätzt zu haben, doch schon im nächsten landete ihr linker Fuß auf dem Dach. Gekonnt federte sie den Aufprall ab, balancierte ihr leichtes Taumeln aus und schnappte nach Luft. Geschafft. Dennoch wäre das Ganze deutlich einfacher gewesen, wenn ihre Gabe eine andere wäre.
Von allen Spezialisierungen der Gefühlsberührung hatte sie ausgerechnet die wenig nützliche Spezialisierung des Gefühle-Lesens ausgebildet. Manipulation von Empfindungen beherrschte sie ebenfalls. Leider konnte sie weder Gedanken lesen noch mental kommunizieren. Wobei auch diese Fähigkeiten wenig hilfreich beim Überqueren der Dächer gewesen wären. Da hätte sie eher Luftmagie benötigt.
In Gedanken versunken geriet Elainia für den Bruchteil einer Sekunde ins Straucheln. Ihr stockte der Atem, als ihr Blick über den Rand des Daches in die Tiefe fiel. Schnell sammelte sie sich und setzte über den Abgrund hinweg. Sekunden später folgte der nächste und der nächste, bis alles um sie herum verschwamm und sie nur noch die Magie in sich spürte. Die Magie, die so gleichmäßig in ihr pulsierte und sich mit dem Wummern ihres Herzens vermischte. Am liebsten hätte Elainia ewig so weitergemacht, doch viel zu schnell erreichte sie das robuste Rosenspalier, das an der Fassade der Universitätsbibliothek herabführte.
Außer Atem, aber noch voller Adrenalin kletterte sie die letzten Meter herunter und machte sich auf den Weg zum Haupteingang des riesigen Gebäudes. Neben dem Palast Arcandes, dem Alten Kloster und der Universität selbst war die Bibliothek eines der eindrucksvollsten Gebäude Elandrias. Erbaut aus hellen, behauenen Sandsteinquadern, Säulen, die die breite Treppe hinauf säumten, verziert mit Ornamenten um die Fenster und versehen mit einer Flügeltür aus dunklen, reich ausgeschmückten Holzschnitzereien. Doch zum Bewundern hatte Elainia an diesem Morgen keine Zeit. Sie drückte die schwere Pforte auf, schlüpfte ins Innere und wurde von Stille begrüßt. Der Tresen war unbesetzt und ihr Vater steckte vermutlich im Archiv wieder die Nase zwischen die staubigen Seiten irgendeines uralten Buches. Der Gedanke ließ sie schmunzeln.
Dennoch würde sie Hilfe bei der Suche nach dem Buch benötigen, das Magistra Ean ihnen zu lesen aufgetragen hatte. Denn obwohl ihr Vater hier arbeitete – einfach, weil er die Arbeit liebte, nicht weil er unbedingt musste –, hatte sie das System der Bibliothek noch nie durchschaut. Auch wenn er es ihr mehr als einmal zu erklären versucht hatte. Hinzukam, dass die Regale in Höhen ragten, die sie als durchschnittsgroße Magierin von etwa einem Meter siebzig niemals erreichen würde.
Da sie nicht ewig Zeit hatte, begann sie wahllos durch die Gänge zwischen den Regalen hindurchzulaufen, Buchrücken zu überfliegen und gleichzeitig Ausschau nach jemandem zu halten, der ihr behilflich sein könnte. Vorzugsweise nach einer Bibliotheksfee.
Kaum dass sie um die nächste Ecke gebogen war, prallte sie gegen etwas. Oder besser jemanden. Etwas fiel polternd zu Boden. Bücher. Erschrocken machte sie einen Satz zurück.
»Es tut mir leid«, murmelte sie hastig. Dann fielen ihr die zarten Flügel auf dem Rücken ihres Gegenübers auf und Erleichterung durchströmte sie. »Kannst du mir helfen? Ich suche ein Buch über die Legenden der Oras. Autor unbekannt. Erschienen irgendwann in den letzten zwanzig Jahren?«
Irritiert blickte der junge Mann sie an. Eine Furche bildete sich zwischen seinen Augenbrauen.
»Ein Buch«, wiederholte sie. »Über die Legenden der Oras. Du weißt schon … das unsterbliche Elbenvolk, das fernab aller anderen Wesen tief in den Wäldern von Lóren lebt, als weise, kühl, anmutig und unmenschlich schön beschrieben wird und über Fähigkeiten verfügt, die all unsere Vorstellungskräfte übertreffen.«
Er runzelte nur die Stirn. Verstand er sie nicht? Gerade, als sie ihre Magie nach ihm ausstrecken wollte, öffnete er den Mund.
»Ich glaube, du –«, setzte er an, doch in dem Moment regte sich Elainias Magie. Sie wusste genau, wer gleich um die Ecke biegen würde, denn sie spürte die Belustigung ihres Vaters überdeutlich.
»Was ist so witzig?«, fragte sie und blickte ihren Vater über die Schulter der Fee hinweg an.
Lord Zareius Larodres deutete mit dem Kopf auf den jungen Mann, der inzwischen seine heruntergefallenen Bücher aufsammelte.
»Keine Bibliotheksfee.«
»Oh.« Verlegen, den jungen Mann so überrumpelt zu haben, biss sie sich kurz auf die Unterlippe. »Entschuldige die Verwechslung. Ich war nur so in Eile.«
Er schaute zu ihr auf. Gutmütigkeit lag in seinen braunen Augen. »Schon vergeben.« Seine Mundwinkel zuckten verdächtig.
Großartig, er schien das Ganze auch noch lustig zu finden. Rasch wandte sie sich erneut ihrem Vater zu.
Wortlos hielt er ihr ein ledergebundenes Buch unter die Nase. »Ich schätze, du suchst das hier. Wolltest du es nicht schon vor vier Tagen holen? Mal wieder kurz vor knapp, habe ich recht?«
»Möglicherweise. Ich hatte einfach keine Zeit.« Sie verzog das Gesicht, schnappte sich das Werk und hauchte ihrem Vater einen Kuss auf die Wange. »Danke, Vater. Ich muss los.«
»Ja, das glaube ich ebenfalls.«
Prompt in der Sekunde vernahm Elainia das erste helle Läuten der Palastglocke Helas. Dumpf durch Fenster und Mauerwerk, aber es ließ ihren Puls in die Höhe schnellen. Sie rannte los, stopfte das Buch in ihre Tasche, stürmte die große Treppe hinunter, wich ankommenden Studenten aus und kehrte auf die Dächer zurück. In zehn Glockenschlägen bis zum Alten Kloster. Das würde knapp werden. Sehr knapp.
***
»Zu spät, Larodres.« Direktorin Jarnas Stimme klang sanft.
Und genau das war es, was Elainia einen Schauer über den Rücken jagte. Atemlos und völlig durchgeschwitzt stand sie im Türrahmen des Unterrichtsraumes, während die Blicke der anderen wie Gewichte auf ihr ruhten. Teils mitleidig, teils schadenfroh. Elainia versuchte sie zu ignorieren, ihre Magie eingesperrt zu lassen und sich ausschließlich auf Ondina Jarna zu konzentrieren. Die saß kerzengerade hinter ihrem Schreibtisch, die kastanienbraunen Haare wie immer zu einem strengen Zopf geflochten, der Ausdruck in den graugrünen Augen unergründlich.
»Verzeiht die Verspätung, Direktorin Jarna.«
Elainia kannte die Direktorin des Alten Klosters seit sie denken konnte und sie hatte sie noch besser kennengelernt, als sie sich mit zwölf Jahren freiwillig in dieses Gemäuer hatte stecken lassen, um als Anwärterin für die Königinnengarde unterrichtet zu werden. Daher wusste sie, dass eine einfache Entschuldigung angebracht war, aber nicht helfen würde.
»Setzen, Larodres«, entgegnete die Direktorin in einem Tonfall, der unmissverständlich ausdrückte, dass Elainia mit diesem Zuspätkommen eine Grenze überschritten hatte und es Konsequenzen geben würde.
Vorsichtig tastete sie mit ihrer Magie nach Ondina Jarna. Da diese nicht gefühlsberührt war, würde sie nicht merken, wenn Elainia sie las. Sogleich ging ihre kühle Enttäuschung auf sie über, gefolgt von Ärger und Ungeduld. Rasch zog Elainia die Magie zurück, ließ sich auf ihren Platz neben Kyria sinken und hielt den Blick gesenkt. Ein ungutes Gefühl hatte sich wie eine Schlange in ihrem Magen eingenistet und verknotete ihn gerade zu einem Klumpen.
»Das war das fünfte Mal innerhalb von neun Tagen«, wisperte ihre Freundin. »Was ist los mit dir? Sehnst du dich so sehr nach Ärger?« Sie hielt inne. Als Elainia schwieg, fuhr sie fort. »Falls du es vergessen haben solltest: Das ist unser letztes Jahr. An Mittsommer finden die Prüfungen statt. Und das ist in genau zweieinhalb Wochen.«
»Ich weiß«, hauchte sie.
Die Prüfungen waren wichtig. Zu wichtig. Durch diese konnte sie endgültig beweisen, dass sie sich einen Platz in der Königinnengarde verdient hatte. Weil sie gut war. Und nicht, weil ihre Mutter eben jene Garde anführte. Wenn sie versagte, würde sie noch immer für hochrangige Adlige arbeiten können. Möglicherweise sogar für Erzherzogin Cresendia Korrnes persönlich, doch das wollte sie alles nicht. Dafür hatte sie sich nicht die letzten zehn Jahre von Magistra Sharla vergiften und von Magistra Ean zu Tode langweilen lassen. Ganz zu schweigen von den zahlreichen blauen Flecken, verstauchten Knöcheln und etlichen Aufenthalten im Krankentrakt nach Magistra Darklas Quälereien im Nah- und Waffenkampf.
Ein Knuff von Kyria riss sie aus ihren Gedanken. Sie blinzelte, richtete sich auf und versuchte Direktorin Jarna zu folgen, die in diesem Augenblick mit nur einer Handbewegung sämtliche Kerzen des fensterlosen Raumes zum Erlöschen brachte. Schwärze legte sich über Elainia und ihre Mitschülerinnen.
»Findet den Obsidian, den ich hier versteckt habe. Keine Magie, keine Verbündeten. Nutzt eure anderen Sinne. Gegnerinnen dürfen ausgeschaltet werden. Diejenigen sind dann von der Suche ausgeschlossen. Wer den Stein zuerst findet, bringt ihn mir. Ihr habt Zeit bis zum Ende der Stunde.« Ihre Stimme verklang. Stille folgte.
Lautlos glitt Elainia von ihrem Platz, drückte sich mit dem Rücken gegen die Steinwand und rief sich den Raum ins Gedächtnis. Es gab zwei Tischreihen, einmal mit zwei, einmal mit drei Tischen, je zwei Stühlen, dazwischen ein schmaler Gang von vielleicht vier oder fünf Fuß. Vorne mittig stand Direktorin Jarnas Schreibtisch. Versteckmöglichkeiten existierten kaum. Die hintere Wand besaß ein paar Nischen, in denen einst Reliquien der Geistlichen gestanden hatten, als das Alte Kloster noch als Kloster genutzt worden war. Also, wo konnte man …
Jemand streifte sie. Instinktiv streckte sie ihr Bein aus. Prompt polterte es und das Stöhnen verriet ihr, dass der Sturz schmerzhaft gewesen sein musste.
»Grita, raus«, ertönte Direktorin Jarnas Stimme in der Dunkelheit. Für sie musste es wirklich amüsant sein, mithilfe ihrer Lichtmagie im Dunkeln sehen zu können, wie ihre zehn Schülerinnen übereinanderstolperten oder auf allen vieren den Boden abtasteten. Lichtmagie gehörte wie die Schattengabe zu den selteneren Spezialisierungen der häufig auftretenden Elementberührung. Feuer, Wasser, Erde und Luft waren deutlich gängiger. Normalerweise bildeten Magier und Magierinnen mit Elementberührung ein bis zwei Spezialisierungen aus. Direktorin Jarna war mit ihren drei Spezialisierungen nicht umsonst Leiterin des Alten Klosters und gehörte zu den mächtigsten Magierinnen des Landes. Allerdings half Elainia dieser Gedankengang im Moment weniger. Sie musste sich auf ihre Aufgabe konzentrieren.
Mit geschlossenen Augen lauschte sie auf die Geräusche ihrer Mitschülerinnen. Ein leiser Fluch von links. Marla. Ein Ächzen von rechts. Lia. Geraschel von Stoff, geschobene Stühle. Wo zum Grauen Tod würde die Direktorin einen Stein verstecken? Unter einen der Tische geklebt? In einer Mauerritze?
»Ich habe ihn!«, rief Trix urplötzlich.
»Das ist ein Kiesel.« Bei Ondina Jarnas trockenem Tonfall hätte Elainia beinahe aufgelacht. »Trix, raus.«
Enttäuschtes Murmeln erklang, doch der Moment der Ablenkung hatte Elainia unaufmerksam werden lassen. Ein Ellenbogen traf ihren Magen mit solcher Heftigkeit, dass sie erstickt nach Luft schnappte, sich krümmte und dabei mit dem Kopf ihre Gegnerin an der Schulter traf. Irgendwie gelang es ihr, sie zu packen und mit einiger Anstrengung zu Boden zu befördern.
»Sola, raus«, kommentierte die Direktorin. Und so ging es weiter. Ein Mädchen nach dem nächsten schied aus. Es wurde geschimpft, geflucht, aber niemand fand den Obsidian.
Elainia blieb mit Darlia und Kyria als Letzte der Gruppe übrig – mit Staub auf den Hosen, Schweiß auf der Stirn und voller Missmut darüber, den Stein nicht gefunden zu haben.
Ondina Jarna ließ die Kerzen wieder aufleuchten und offenbarte die Unordnung, die sie alle hinterlassen hatten: umgeworfene Stühle, Kerzen, verschobene Tische, herumliegende Bücher.
»Das war … recht erbärmlich, würde ich behaupten«, meinte die Direktorin. »Ich brauche euch nicht daran zu erinnern, dass in zwei Wochen die Prüfungen der Königinnengarde anstehen. Und nun beseitigt dieses Chaos.«
»Wo ist der Obsidian denn gewesen?«, fragte Kyria.
Direktorin Jarnas Lippen verzogen sich zu einem zufriedenen Lächeln. »Am sichersten Ort in diesem Raum.« Sie strich sich den Zopf über die Schulter und widmete sich einigen Unterlagen auf ihrem Tisch.
Elainia runzelte die Stirn. Ihr Blick glitt zu dem schwarzen Band, das den dicken Zopf der Magierin zusammenhielt. Dort glänzte etwas im Kerzenschein. Das durfte nicht wahr sein. Diese Frau war gerissen. Neben ihrer Fähigkeit, in Dunkelheit zu agieren, hatte sie auch ihre Beobachtungsgabe getestet. Nun ja, darin hatte Elainia heute schon zum zweiten Mal versagt.
»Der sicherste Ort?«, wiederholte Kyria neben ihr verwirrt.
»Es ist ihr Zopf. Der Stein ist in das Haarband eingeflochten.«
Ihre Freundin kniff die Augen zusammen, ehe sie sie aufriss und dann verdrehte. »Aus diesem Grund war sie wohl die Vorgängerin deiner Mutter.«
»Und wir hätten darauf kommen müssen.«
»Hätten wir.« Schwungvoll beförderte Kyria einen Stuhl wieder an seinen Platz.
Minuten des Aufräumens später erinnerte nichts mehr an den fragwürdigen Zustand von gerade. Elainia hängte sich ihre Tasche um und folgte Kyria zur Tür.
»Larodres?«
»Geh schon vor«, murmelte sie ihrer Freundin zu, ehe sie sich zu Direktorin Jarna umdrehte. Sie ahnte, was jetzt kommen würde. Kaum dass die letzte Schülerin den Raum verlassen hatte, schloss die Direktorin mit einem Fingerzeig die Tür. Sie erhob sich von ihrem Stuhl, griff nach ihrem Stock aus Bronzeholz, stützte sich auf den silbernen Knauf, der den Kopf eines Wolfes darstellte. So fein gearbeitet, dass Elainia glaubte, er würde gleich zum Leben erwachen, wenn sie ihn nur lange genug anstarrte.
Direktorin Jarna trat um den Tisch herum. Aufrecht, stolz, respekteinflößend. Trotz ihres steifen Beins. Jener Verletzung, die sie gezwungen hatte, die Königinnengarde zu verlassen, obgleich sie damals keine vierzig Jahre alt gewesen war. Nichtsdestoweniger war sie noch immer kampferprobt.
»Eine weitere Verspätung deinerseits werde ich nicht tolerieren«, kam sie unumwunden auf Elainias Fehler zu sprechen. »Du willst zu den Prüfungen antreten? Dann benimm dich entsprechend.«
»Natürlich, Direktorin Jarna.« Während sie antwortete, hielt sie mit erhobenem Kinn den Blickkontakt.
»Gut. Es wäre eine wahre Verschwendung, dich aufgrund solcher Lappalien von den Prüfungen ausschließen zu müssen. Du stehst deiner Mutter in nichts nach. Abgesehen von deiner Pünktlichkeit.« Nun schlich sich ein Lächeln auf das Gesicht von Ondina Jarna. Es vertrieb die Härte aus ihrer Miene, die Unnachgiebigkeit aus ihren Augen.
Erleichtert atmete Elainia aus. Das war ja noch einmal gut gegangen. »Ich danke Euch.«
Die Direktorin nickte kaum merklich, für Elainia das Zeichen, dass ihr Gespräch beendet war. Mit einem Stein weniger auf dem Herzen steuerte sie die Tür an, doch ein Klappern sowie ein dumpfes Stöhnen ließen sie innehalten. Rasch warf sie einen Blick über die Schulter und erschrak. Mit wenigen Schritten erreichte sie ihre Magistra, die gegen einen Tisch gesackt war. Ihr Stock lag auf den glatt gehauenen Steinen.
Elainia schlang der blass gewordenen Magierin einen Arm um die Taille und half ihr hoch. »Alles in Ordnung?«, erkundigte sie sich behutsam, während sie sie zu ihrem Schreibtisch geleitete, wo Ondina Jarna in ihren Stuhl sank, sich die Schläfen rieb, tief Luft holte.
»Danke für deine Hilfe, aber es geht mir gut«, antwortete die Direktorin schließlich bestimmt.
Elainia glaubte ihr jedoch keine Sekunde lang. Vorsichtig fuhr sie die Mauern um ihre Magie ein Stück herunter. Gerade so weit, dass die Gefühle der Magistra auf sie einströmen konnten. Als Erstes spürte sie deren Irritation. Wirr und fetzenhaft. Dann drängte sich Scham hinzu. Scham, vor den Augen einer Schülerin solch eine Schwäche gezeigt zu haben. Aber das war noch nicht alles. Elainia ließ ihre Magie tiefer graben und stieß auf einen schwarzen Knäul der Angst. Fest wie ein Geschwür. Stetig wachsend. Er jagte Elainia einen Schauer über den Rücken. Sie kannte Angst. Wusste, in wie viel verschiedenen Arten sie sich in einem Mensch manifestieren konnte, doch solch einen Klumpen sah und spürte sie zum ersten Mal. Rasch zog sie die Magie zurück, bevor das Gefühl auf sie übergehen konnte. Wovor fürchtete ihre Direktorin sich so sehr?
»Seid Ihr sicher?«, hakte sie nach, wohlwissend, gleich des Raumes verwiesen zu werden.
»Hast du nicht in ein paar Minuten Giftlehre?«
»Im Grunde genau jetzt«, meinte Elainia, als die Glocke des Alten Klosters zu läuten begann. »Allerdings kann ich Euch nicht in dieser Verfassung allein lassen. Das wird Magistra Sharla sicher verstehen.«
Kaum merklich kniff Ondina Jarna die Augen zusammen. Elainias Argument war auf der richtigen Ebene angekommen. Denn unter den Schülerinnen des Alten Klosters war es absolut kein großes Geheimnis, dass die rothaarige Magistra mit der Vorliebe für Gifte und Direktorin Jarna das Bett teilten.
»Du solltest jetzt gehen.«
Dass dieser Satz ein Befehl und keine Empfehlung war, konnte Elainia deutlich an der Schärfe in ihrer Stimme hören. Es wäre ratsam zu gehorchen, doch die Neugier herauszufinden, was der Magierin solch eine Angst machte, rang in ihrem Inneren gegen die Vernunft.
»Larodres.«
»Na schön, ich gehe«, gab sie nach.
»Gut.« Beiläufig strich Magistra Jarna sich ihren geflochtenen Zopf von einer Schulter auf die andere und da entdeckte Elainia ihn: den Grund ihrer schrecklichen Angst.
Elainia
Herzschlag um Herzschlag konnte Elainia das graue, schuppenähnliche Geflecht in Größe einer Münze nur anstarren. Ihre Gedanken rasten, doch sie bekam keinen von ihnen zu fassen.
»Elainia!«
Sie zuckte zusammen. Direktorin Jarna hatte sich erhoben, musterte sie mit einer Mischung aus Ärger und Ungeduld.
»An Eurem Hals«, brachte Elainia hervor. »Ihr seid krank.«
Vor ihren Augen fasste die Magierin sich an die Kehle. Sie musste das raue Geflecht ertastet haben, denn ihr Gesicht verlor auch den letzten Rest Farbe. Die Stille im Raum wurde unerträglich, während Elainia realisierte, dass der Graue Tod ihre Direktorin befallen hatte.
»Lass mich allein.« Ondina Jarnas Stimme brach.
Diesmal gehorchte Elainia sofort. Sie floh förmlich aus dem Unterrichtsraum, hetzte durch die leeren Gänge des Alten Klosters und steuerte die Eingangshalle an. Ihre Tasche schlug unangenehm gegen ihre Hüfte, doch sie ignorierte es. Sie musste zum Palast. Musste mit ihrer Mutter sprechen.
Sie kann ihr auch nicht helfen, erinnerte die kleine Stimme ihres Verstandes sie an die unumstrittenen Tatsachen. Niemand überlebte den Grauen Tod. Die Seuche war unerbittlich und kannte keine Gnade. Und das seit Jahrhunderten soweit Elainia von Magistra Ean wusste. Es gab kein Heilmittel gegen den Ausschlag, das Fieber, das unnatürlich schnelle Welken des Körpers, das nach wenigen Tagen zum Tod führte. Dennoch stürmte Elainia auf die Straße und steuerte den Palast an. Ondina Jarna war die Vorgängerin ihrer Mutter gewesen, sie war zu wichtig für die Königinnengarde, sie verdiente …
»Nicht so schnell, junge Dame.«
Fluchend bremste Elainia ihren Lauf und schaffte es gerade so, nicht in die gekreuzten Lanzen der Palastwachen zu rennen. Die Gesichter der beiden Männer waren ihr neu. Offenbar wussten sie ebenso wenig mit ihr anzufangen wie sie mit ihnen.
»Verzeihung. Ich muss zu meiner Mutter. Lady Amanda Larodres. Es ist dringend.«
»Lasst sie durch«, tönte jemand von der Mauer.
Elainia erkannte Roxana Fardres’ Stimme sofort. Als stellvertretende Anführerin der Königinnengarde besaß sie Befehlsgewalt über jeden Wächter im Palast. Ihr zu widersprechen, galt weithin als unratsam. Und so schwangen die Lanzen auch augenblicklich zur Seite.
Elainia rief ein Dankeschön nach oben und rannte sogleich über den gepflasterten Innenhof. Durch den Dienstbotentrakt gelangte sie ungehindert bis zum Quartier der Königinnengarde. Dank ihrer Mutter kannten die anderen Magierinnen sie und duldeten es, wenn sie einige ihrer freien Nachmittage hier verbrachte, obwohl das Anwärterinnen der Garde nicht gestattet war.
Schwer atmend drückte sie die große Flügeltür auf. Sollte sie ihre Mutter in diesem Trakt nicht finden, würde ihre Suche deutlich länger dauern. Doch das Glück war auf ihrer Seite. Ihre Mutter befand sich im Gespräch mit zwei jüngeren Magierinnen, wandte sich jedoch um, als Elainia auf sie zulief. Bevor sie auch nur ein Wort über Ondina Jarna verlieren konnte, hatte ihre Mutter sie bereits am Arm gepackt und sie von den anderen fortgeführt.
»Was im Namen der Mutter tust du hier? Solltest du nicht im Unterricht sitzen?«
»Das habe ich getan.«
»Und trotzdem bist du hier. Sicherlich ohne die Erlaubnis einer Magistra. Elainia, du hast bald Prüfungen. Du kannst es dir nicht erlauben, unentschuldigt zu fehlen. Du …«
»Mutter, stopp«, fiel Elainia ihr ins Wort. »Ich wäre nicht gekommen, wenn es nicht wichtig wäre. Direktorin Jarna hat den Grauen Tod. Ich habe den Ausschlag an ihrem Hals gesehen.«
Das nahm ihrer Mutter den Wind aus den Segeln. Oder besser den Unmut aus dem Blick. Stattdessen huschte ein Schatten der Furcht über ihr sonnengebräuntes Gesicht und zwischen ihren geschwungenen Brauen bildeten sich zwei Furchen. Sie drückte die schmalen Lippen aufeinander und schien nachzudenken, ehe sie eine Frage stellte. »Wie weit fortgeschritten?«
»Noch nicht sehr stark. Sie wird sterben, nicht wahr? Wie all die anderen auch.«
Ihre Mutter schloss für wenige Herzschläge die braunen Augen, ehe sie kaum merklich nickte. »Wir können nur versuchen, es ihr so wenig qualvoll wie möglich zu machen. Komm.«
»Was hast du vor?« Rasch schloss Elainia zu ihrer Mutter auf. Sie verließen das Gardequartier, überquerten den Palasthof und ließen die hohen Mauern hinter sich.
»Ich werde ihr anbieten, dass unsere Heilerin sich um sie kümmert. Hier im Quartier.«
»Und du glaubst, sie lässt sich darauf ein? Du glaubst, sie wird das Alte Kloster freiwillig verlassen? Es ist ihr Zuhause.«
Ihre Mutter seufzte. »Ich hoffe es. Sie war meine Mentorin und ich weiß um ihre Sturheit, aber sie ist auch vernünftig. Sie sollte wissen, dass sie als Kranke eine Gefahr für euch und die anderen Magistra darstellt und wie jeder andere isoliert werden muss. Wir dürfen nicht riskieren, dass ihr euch ansteckt. Und ich muss herausfinden, wie sie sich die Seuche zuziehen konnte.« Den letzten Satz murmelte ihre Mutter so leise, dass Elainia sie kaum verstand.
Da sich alle Schülerinnen im Unterricht befanden, herrschte in den steinernen Gängen des Klosters eine unheimliche Stille. Elainia führte ihre Mutter zu dem Raum, in dem sie Direktorin Jarna zurückgelassen hatte. Gerade als sie nach der Klinke greifen wollte, schüttelte ihre Mutter den Kopf.
»Du wirst jetzt in den Unterricht gehen und die Sache mir überlassen.«
Elainia brauchte ihre Magie nicht einsetzen, um zu merken, wie ernst es ihrer Mutter war. Alles an ihr wollte protestieren, doch sie hielt den Mund, ließ ihren Arm sinken und nickte mit zusammengebissenen Zähnen.
»Und bitte verlier vorerst kein Wort über Ondinas Krankheit.«
»Natürlich nicht.«
Ihre Mutter betrachtete sie einige Sekunden lang mit weicherer Miene. »Es war richtig, mich zu holen.« Damit wandte sie sich ab, drückte die Tür auf und verschwand im Inneren des Raumes.
Blitzschnell schob Elainia eine Fußspitze in die Tür, bevor sie zufallen konnte. Verfluchte Neugierde!
»Amanda? Was machst du hier?« Die Stimme der Direktorin klang fest. »Lass mich raten … deine Tochter hat dich geholt.«
»So ist es. Ist es wahr, was sie mir erzählt hat? Hast du dich angesteckt?«
Vorsichtig vergrößerte Elainia den Spalt zwischen Tür und Rahmen und sah, wie die Direktorin ihrer Mutter mit versteinerter Miene den Ausschlag an ihrem Hals zeigte, ehe sie ihn rasch wieder unter ihrem Zopf verbarg.
»Wie ist das passiert?«
»Was spielt das für eine Rolle, Amanda? Es ist vorbei. Solange ich noch stehen kann, werde ich mich um eine Nachfolgerin kümmern müssen. Das Alte Kloster muss weitergeführt werden. Du solltest deine kostbare Zeit nicht damit verschwenden, mich zu bemitleiden. Ich weiß, was ich tun muss. Dass ich eine Gefahr für jeden in diesem Gemäuer bin.«
»Mitleid steht mir genauso wenig wie dir«, konterte Elainias Mutter. »Du warst meine Mentorin, Ondina. Du hast mich zur Anführerin der Königinnengarde gemacht. Also verzeih mir, wenn es mir nicht egal ist, was mit dir geschieht und ich mir Sorgen mache.«
»Sorgen.« Die Direktorin lachte auf. Bitter und ohne jeden Hauch von Freude. »Ich bin so gut wie tot. Um Tote sollte man sich nicht sorgen.« Sie klang so frostig, dass es Elainia einen Schauer über den Rücken jagte.
Ihre Mutter ballte hinter dem Rücken die Hände zu Fäusten. Es war das einzige Anzeichen, das ihre Anspannung offenbarte.
Etliche lange Sekunden verstrichen in erdrückender Stille. Elainia wagte kaum zu atmen. Schließlich sank Direktorin Jarnas aufrechte Gestalt ein Stück in sich zusammen.
»Sag, was auch immer du loswerden willst, Amanda.«
»Du kannst mit ins Quartier kommen und bei uns bleiben. Du bist dort willkommen, das weißt du. Bestimme deine Nachfolgerin, um den Rest kümmere ich mich. Und rück im Namen der Mutter endlich mit der Sprache raus, wie du dich anstecken konntest.«
Elainia rechnete mit Widerspruch, wurde jedoch überrascht, als die Magistra bloß nickte. »Es ist auf dem Marktplatz passiert. Vor zwei Tagen. Ich wurde angerempelt, bin gestürzt …« Die Worte schienen ihr nur schwer über die Lippen zu kommen. »In der Pfütze lag eine tote Krähe. Als ich sie registrierte, war es zu spät. Meine Hände waren bereits mit dem blutigen Regenwasser in Berührung gekommen. Ich habe bis heute gehofft, dass … ich weiß auch nicht, verdammt. Ohne dieses verfluchte Bein hätte ich den Sturz verhindern können. Ich –« Abrupt brach sie ab, als wäre ihr in dem Moment bewusst geworden, wie sehr sie sich in Rage geredet hatte.
Elainia brauchte die Mauern um ihre Magie nur ein winziges bisschen lösen, schon spürte sie die verzweifelte Wut gemischt mit kalter Hoffnungslosigkeit, die von ihrer Direktorin in Wellen ausging. Ihr Herz verkrampfte sich. Es war so ungerecht. Krähen übertrugen den Grauen Tod seit jeher in Fandoria und den anderen Ländern des Kontinents Sándren. Sie galten als die Unglücksvögel schlechthin.
Ihre Mutter legte ihrer ehemaligen Mentorin eine Hand auf die Schulter. »Komm.«
Widerstandslos ließ Ondina Jarna zu, dass Elainias Mutter ihr aufhalf.
Zeit, den Rückzug anzutreten. Lautlos zog Elainia ihren Fuß aus der Tür, entfernte sich schleichend, ehe sie davoneilte.
***
»Wo warst du?«
Blinzelnd sah Elainia von ihrem Platz in der Sonne auf und blickte direkt in die vorwurfsvoll funkelnden Augen ihrer Freundin. Diese ließ ihre Tasche auf die gepflegte Grasfläche fallen, ehe sie ihr auf den Boden folgte.
»Magistra Sharla war nicht erfreut über dein Fehlen oder darüber, dass niemand wusste, wo du dich herumtreibst. Mich eingeschlossen.«
Elainia seufzte. Kyrias Worte schürten ihr schlechtes Gewissen wegen der verpassten Stunde nur noch mehr, aber sie hatte sich einfach nicht in der Lage gesehen, sich nach diesem Morgen mit der Magistra auseinanderzusetzen. Ständig mit der Erinnerung, dass deren Geliebte bald bloß Asche sein würde. Also hatte sie sich in den alten Uhrenturm zurückgezogen und den Unterricht geschwänzt. Die dicken Feldsteinmauern hielten die Sommerhitze draußen und durch die schmalen, verstaubten Fenster fiel lediglich schwaches Sonnenlicht. Hierher verirrten sich höchstens Mäuse, Spinnen und Motten, denn der Turm war schon jahrelang nicht mehr in Betrieb. Sobald die Glocke das Ende der Stunde verkündet hatte, war sie nach draußen zurückgekehrt.
»Hatte es etwas mit deinem Gespräch mit der Direktorin zu tun?«, hakte Kyria nach.
»Ja und nein«, murmelte Elainia vage. Sie hatte ihrer Mutter versprochen, vorerst Stillschweigen über Ondina Jarnas Erkrankung zu bewahren. Daran würde sie sich halten müssen. Auch ihrer Freundin gegenüber. So schwer es ihr nun einmal fiel. Also entschloss sie sich zu einem Themenwechsel. Zu etwas Unverfänglichem, das nichts mit den Prüfungen, der Seuche oder dem versäumten Unterricht zu tun hatte.
»Weißt du schon, was du zum Geburtstagsball des Prinzen tragen wirst?«
Umgehend begannen Kyrias graue Augen zu leuchten. Der Ball, auf den alle Anwärterinnen der Königinnengarde eingeladen waren, sorgte bereits seit Wochen für Vorfreude unter Elainias Mitschülerinnen und ihre Freundin bildete da keine Ausnahme. Elainia entspannte sich ein wenig und ließ sich von Kyrias Begeisterung für die neuste Mode der Adeligen mitreißen, wenngleich sie Bälle als anstrengend empfand. All diese Förmlichkeiten, oberflächlichen Gespräche über Politik, Tratsch, heimliches Geläster und erst das Tanzen. Ihre armen Tanzpartner vergangener Bälle waren vermutlich alle froh gewesen, sobald sie sie wieder losgeworden waren. Wenn es ums leichtfüßige Schweben übers Parkett ging, war alle Hoffnung bei ihr verloren. Zwar hatte sie schon von klein auf gelernt mit dem adeligen Teil der Gesellschaft umzugehen, zu dem sie aufgrund ihrer Abstammung selbst gehörte, aber beim Tanzen hatte sie aus unerfindlichen Gründen zwei linke Füße. Ein ungünstiger Umstand angesichts der Tatsache, dass die Larodres-Familie – ihre Familie – seit langer Zeit das Ansehen der Königsfamilie genoss und von Königin Moiraine Orles vor etwa sechshundert Jahren in den Adelsstand erhoben worden war. An manchen Tagen wünschte sie, es wäre nicht so.
Als schließlich die Klosterglocke zur nächsten Stunde läutete, wusste Elainia alles über die beliebtesten Farben, Stickmuster, Frisuren und Stoffe. Nur über ihr eigenes Kleid hatte Kyria sich mit einem geheimnisvollen Glitzern in den Augen ausgeschwiegen.
»Lass dich überraschen«, meinte sie bloß und lächelte, während sie sich auf den Weg Richtung Hauptgebäude machten.
Elainia gab sich damit zufrieden. Sie war sich sicher, dass egal in welchem Kleid Kyria am Ende im Ballsaal des Palastes erscheinen würde, sie sämtliche Blicke auf sich ziehen würde. Das tat sie immer. Ihre zierliche Gestalt, die langen, blonden Haare und ihre großen, grauen Augen strahlten Unschuld aus, weckten den Beschützerinstinkt in jedem, der sie ansah. Dabei war Kyria hervorragend in der Lage, sich selbst zu verteidigen.
»Es ist nicht das Schlechteste, von Menschen unterschätzt zu werden«, lautete ihr Motto. »Dann rechnen sie nicht damit, dass ich ihr Leben innerhalb von Sekunden auslöschen könnte.« Eine Aussage, deren Wahrheitsgehalt Elainia nicht anzweifelte. Dafür kannte sie Kyria schon zu lange. Zehn Jahre, um genau zu sein. Anders als sie kam ihre Freundin jedoch nicht aus Elandria. Ihre Heimat war die Stadt Caras im Westen Fandorias.
»Bei der Mutter, Elainia«, schimpfte Kyria und zog sie ruckartig zur Seite, da sie sonst frontal gegen eine Säule gelaufen wäre. »Was ist los mit dir?«
Hitze kroch ihr in die Wangen. Kyria hatte recht. Sie musste sich endlich zusammenreißen.
Mit allergrößter Konzentration überstand sie sowohl Magistra Eans Historienunterricht als auch Magistra Darklas Kampfstunde, ohne dabei negativ aufzufallen. Bestleistungen erzielte sie jedoch nicht. Heute machte ihr das aber relativ wenig aus, denn ihre Gedanken kreisten schon längst wieder um die erkrankte Direktorin.
Sobald sie sich umgezogen hatte, verabschiedete sie sich rasch von Kyria, um ihre Mutter im Gardequartier aufzusuchen. Diesmal ließen die beiden neuen Soldaten sie sofort passieren. Sie wurde allerdings enttäuscht, denn bis auf zwei Magierinnen waren die Räume wie ausgestorben. Die beiden Frauen schenkten ihr weiter keine Beachtung und so beschloss sie zu warten. Um sich die Zeit zu vertreiben, schlenderte sie ein wenig umher, ehe sie vor der schweren Flügeltür zum Krankentrakt zum Stehen kam. Sie wollte nicht hineingehen, doch in dem Moment wurde die Tür aufgedrückt und ein junger Mann, den Elainia aufgrund seiner sandfarbenen Kleidung als einen von Dunia Giras Lehrlingen identifizierte, trat in den Gang. Wie war noch gleich sein Name? Gero?
»Ah, Elainia, dich schickt die Mutter. Könntest du kurz helfen? Juri, Leila und Faro sind alle drei krank und die Meisterheilerin ist ziemlich missgelaunt.«
»Aber sicher«, hörte sie sich sagen, während ihr Gehirn ihr empfahl, sich höflich zu entschuldigen und einfach zu verschwinden.
»Wunderbar.« Er strahlte sie an, als hätte sie ihm den Schlüssel für die Schatzkammer des Königspalastes versprochen. »Ich muss zum Kräuterhändler. Würdest du solange die Patienten im Auge behalten und die leeren Betten neu beziehen?«
Betten beziehen. Was für eine Aufgabe. Sie hätte doch einfach verschwinden sollen, als sie noch die Gelegenheit gehabt hatte. Zugegeben, das war nicht der eigentliche Grund. Früher hatte sie Dunia ständig ausgeholfen und auch eine Menge Betten bezogen. Vielmehr fürchtete sie sich davor, auf ihre Direktorin zu treffen.
Stumm nickte sie.
»Danke. Ich verspreche, mich zu beeilen.« Damit hastete er davon.
»Gern geschehen«, brummte Elainia in die Stille, holte tief Luft und betrat den Krankentrakt. Sogleich schlug ihr der unaufdringliche Geruch nach Dunias Kräutermixturen, Schweiß und Seife entgegen. Die auf Blut spezialisierte Magierin hatte zum Glück schon immer Wert auf eine saubere Unterkunft für ihre Patienten gelegt. Nun gut, etwas anderes sollte man im Krankensaal des Palastes auch nicht erwarten.
Ihr Blick glitt über etliche freie Betten. Der Lehrling schien übertrieben zu haben, denn die einzigen Patienten waren ein älterer Mann mit ergrautem Haar, der zu schlafen schien, ein Kind, an dessen Bett eine Frau mittleren Alters hockte und etwas abseits die Direktorin des Alten Klosters. Elainias Herzschlag beschleunigte sich. Die Magistra saß mit dem Rücken zu ihr auf der Bettkante und starrte aus einem der hohen Fenster, durch das helles Sonnenlicht fiel.
So leise wie möglich begann Elainia frische Bettwäsche aus dem gewaltigen Holzschrank neben der Tür zu holen. Vorrangig, um den alten Mann nicht zu wecken, aber auch, um Ondina Jarna nicht auf sich aufmerksam zu machen. Sechs von zu vielen Betten lang ging das gut, dann stürmte jemand mit flatternden Gewändern in den Saal.
Elainias Blick zuckte zu dem Störenfried, der sich keine Mühe gab, leise zu sein. Feuerrote Locken sowie ein Schwall an Gefühlen, der so stark war, dass er sogar ihre Blockade rund um ihre Magie durchdrang, ließen sie erstarren.
Magistra Sharla. Sie war aufgebracht. Besorgt. Beinahe schon panisch. Und Elainia stand direkt in ihrem Sichtfeld. Großartig.
Die Augen der Magistra verengten sich. Mit ziemlicher Sicherheit dachte sie bereits darüber nach, welches Gift wohl am besten dazu geeignet war, sie für das unentschuldigte Fortbleiben vom Unterricht zu bestrafen.
Obwohl ihre Hände vor Anspannung schweißig wurden, hielt Elainia dem Blick ihrer Magistra stand. So lange, bis diese deutlich gemäßigteren Schrittes an ihr vorbeimarschierte.
Angespannt atmete Elainia aus und widmete sich wieder der Bettwäsche. Dennoch erwischte sie sich dabei, wie sie immer wieder zu den beiden Frauen hinübersah, die sich leise miteinander unterhielten. Zu leise, als dass sie etwas hätte aufschnappen können. Ihre Körpersprache konnte sie dennoch lesen. Ihr fiel auf, dass Direktorin Jarna versuchte Magistra Sharla auf Abstand zu halten. Mutmaßlich aus Gründen der Ansteckungsgefahr, die allerdings nur bestehen würde, wenn die Giftmischerin in Todessehnsucht beschließen sollte, Ondina Jarna zu küssen oder ihr die Kehle aufzuschlitzen, was jedoch alles andere als wahrscheinlich war. Denn bloß direkter Kontakt mit Speichel, Blut oder Urin einer erkrankten Person führte zur Übertragung des Grauen Tods.
Auf einmal richtete Magistra Sharla sich auf. So ruckartig, dass sie gegen den kleinen Nachttisch stieß und die Vase samt rosafarbener Nelken herunterfiel. Das Zerspringen des Glases erschien Elainia so laut wie eine Explosion von Schwarzeisenpulver. Zeitgleich begann das Kind zu weinen, sie sah den alten Mann hochschrecken und sich irritiert umblicken, die Giftmischerin fluchte.
Wie nicht anders zu erwarten, stürzte sogleich Dunia aus der Tür, die in ihr persönliches Heilerinnenreich führte. »Was soll dieser Krach? Ich dulde keine Unruhe in diesen Räumen.« Ärger schwang in ihrer Stimme mit. Sie schien wirklich in keiner guten Stimmung zu sein.
»Verzeihung, Dunia«, erhob Direktorin Jarna das Wort. »Ich habe die Vase umgeworfen.« Sie stand auf und machte Anstalten, sich nach den Scherben zu bücken, doch die Heilerin kam ihr mit deutlich weniger Härte im Gesicht zuvor.
»Schon gut. Lasst gut sein. Es ist ja nichts passiert. Ruht Euch aus.« Geschäftig wirbelte sie herum, bis ihr Blick Elainia erfasste. Kurz runzelte sie die Stirn, dann stand sie auch schon vor ihr. »Hat Gero dich etwa zum Helfen verdonnert, Liebes?«
»Ja, irgendwie hat er das.« Sie zuckte die Achseln.
»Sieht ihm ähnlich.«
Elainia setzte zu einer Antwort an, doch in dem Moment ertönte das Getrappel etlicher Stiefelpaare, das rasch näher kam. Sekunden später platzte eine Gruppe Magierinnen der Garde herein, an der Spitze Elainias Mutter.
»Dunia«, rief sie, doch die Heilerin hatte sich längst in Bewegung gesetzt.
Elainia ließ die Bettwäsche Bettwäsche sein und folgte ihr.
»Legt sie dorthin«, wies Dunia die Kriegerinnen an, die sofort gehorchten, dann zurücktraten, um Platz zu machen.
Die Verletzte war eine junge Frau, fast noch ein Mädchen. Blond und schmal gebaut. Ihre hellblaue Tunika war blutgetränkt, ihr Gesicht erschreckend bleich.
»Ein weiteres Opfer?«, fragte Dunia.
Elainias Mutter nickte grimmig. »Wir haben sie nahe dem Markt gefunden. Vom Täter keine Spur. Wie immer. Nur das hier hat er uns hinterlassen.« Sie ließ sich von Roxana einen Dolch reichen. Seine dunkle Klinge war fleckig vom Blut des Mädchens.
Schwarzeisen. Elainia verstand. Eine weitere Magierin war dem unbekannten Mörder zum Opfer gefallen, der seit Wochen sein Unwesen in der Stadt trieb, scheinbar willkürlich mordend. Scheinbar, weil seine Ziele nur Magier und Magierinnen waren. Egal ob Händlersohn, Schmiedin, Bettlerin oder Adliger. Keine Menschen, Zwerge, Feen oder Wandler. Immer nur Magier.
»Wo genau habt ihr sie gefunden?«
Elainia wandte sich um. Ondina Jarna war an Magistra Sharlas Seite näher getreten. Ihr Zopf schaffte es nicht länger, das graue Geflecht der Seuche an ihrem Hals zu verbergen. Es hatte sich rasend schnell ausgebreitet.
»Eine halbe Meile südlich vom großen Markt«, entgegnete Elainias Mutter.
Die Direktorin nickte langsam. »Er oder sie arbeitet sich weiter nach Norden vor. Du weißt, was das bedeuten könnte.«
Amanda nickte und Elainia wurde bewusst, dass Ondina Jarna offenbar weiterhin bestens über alle Geschehnisse in der Stadt informiert war. In ihrem Kopf versuchte sie das Gesagte in einen sinnvollen Zusammenhang zu bringen, die losen Fäden zu verknüpfen, doch dazu fehlten ihr die Informationen, über die ihre Mutter verfügte.
In dem Augenblick stieß Dunia ein scharfes Zischen aus, richtete sich auf, feucht glänzendes Blut an den Händen. Das Mädchen auf dem Bett lag vollkommen still. Sie war tot.
Bedauern erfasste Elainia, obwohl sie sie nicht einmal gekannt hatte. Eine Gardistin zog die Decke über ihren dünnen Körper.
»Ihr müsst dafür sorgen, dass dieser Wahnsinn ein Ende nimmt. Sonst gibt es in dieser Stadt bald keine Magier mehr.« Energisch wischte Dunia sich die Hände an ihrer Schürze ab. Rote Flecken auf hellem Grund.
»Ondina!« Magistra Sharlas erschrockenes Keuchen lenkte die allgemeine Aufmerksamkeit erneut um. Die Direktorin des Alten Klosters war in den Armen der Giftmischerin zusammengebrochen.
Miranda
»Miranda, hör auf zu schäkern und hol Tarian, damit er dich vertritt, während du für mich auf den Markt gehst.«
Ihre Mutter war wirklich reizend.
»Einfach ignorieren«, raunte Miranda der braunhaarigen Schönheit zu, der sie gerade einen Laib Brot überreicht hatte.
Die junge Frau schmunzelte, drückte ihr ein paar Münzen in die Hand und richtete das Tuch über ihrem Korb. »Stimmt so.« Damit drehte sie sich herum und verließ die Bäckerei mit schwungvollen Schritten.
Seelenruhig wandte Miranda sich ihrer Mutter zu. »Warum kann Tarian nicht zum Markt gehen?«
»Weil auf dich mehr Verlass ist als auf ihn. Das letzte Mal hat er zu wenig Mehl gekauft, das Salz vergessen und sich auch noch bestehlen lassen.« Mirandas Mutter schnaubte. »Wenn ich Zutaten kaufen lasse, möchte ich sie in der richtigen Menge bekommen. Von dem Geld einmal ganz zu schweigen.«
»Schon gut, Mutter, ich bin so gut wie weg. Was brauchst du?«
Während ihre Mutter den Einkauf herunterrasselte, drückte sie ihr einen Beutel Münzen in die Hände. Mehl klebte an dem braunen Stoff. »Danke, Schatz.« Ein flüchtiges Streicheln über die Wange, ein Lächeln, dann wirbelte sie wieder herum und fuhr mit ihrer Arbeit fort.
Kopfschüttelnd verließ Miranda den Vorraum der Bäckerei, band den Geldbeutel an ihrem Gürtel fest, schnappte sich einen Korb aus der Vorratskammer und bahnte sich einen Weg durch die Backstube. Hier war es so warm, dass ihr augenblicklich der Schweiß ausbrach, gleichzeitig roch es himmlisch nach frischem Teig, flüssiger Schokolade und Karamell. Alia und Korta backten, was das Zeug hielt.
Rasch ließ sie das hektische Treiben hinter sich und trat in den Hinterhof. Irgendwie hatte sie auf Erfrischung gehofft, aber die Sonne brannte erbarmungslos vom Himmel. Ein Sommer, der sich von seiner besten Seite zeigte.
»Wen haben wir denn hier?«, ertönte eine Stimme.
»Einen Bäcker, der von meiner Mutter abkommandiert wurde, um beim Verkauf zu helfen, während ich nicht da bin«, erwiderte Miranda. Sie baute sich vor Tarian auf, der sich auf der Bank neben dem Fliederstrauch in den Schatten gesetzt hatte und sichtlich genüsslich seine Pfeife rauchte.
»Meine Pause ist aber noch nicht vorbei«, nuschelte er. »Ich habe mindestens –«
»Heute leider nicht. Ich würde es mir an deiner Stelle nicht mit meiner Mutter verscherzen. Sie ist ziemlich angespannt und du weißt, wie sie sein kann, wenn dann nicht genau das passiert, was sie will.«
Sein ergebenes Seufzen klang, als wäre er mindestens an die siebzig Jahre alt und nicht erst Anfang vierzig.
»Wo du bedauerlicherweise recht hast, Mira.«
»Ist mir bewusst. Also, bis nachher und hindere meine Mutter bitte daran, völlig durchzudrehen.«
»Nichts leichter als das.« Er zog eine Grimasse.
Miranda konnte sich ein Augenrollen nicht verkneifen. Tarian arbeitete für ihre Mutter, seit sie die Bäckerei nach dem Tod von Miras Vater im belebten Ostviertel der Stadt vor zwölf Jahren eröffnet hatte. Er war ein gutmütiger Kerl, unendlich geduldig, ein bisschen vergesslich, aber dafür umso kreativer. Torten verzieren konnte er wie kein anderer. Selbst Miranda fand es jedes Mal schade, seine Kreationen zu zerstören. Dabei war kein Kuchen vor ihr sicher – solange er nur genügend Zucker beinhaltete.
Nach allem anderen, bloß nicht nach Zucker roch die Luft, sobald sie den großen Markt von Elandria erreichte. Hier reihten sich die Stände aneinander wie Perlen auf einer Schnur, bunte Tücher flatterten im Sommerwind, es wurde durcheinandergerufen, geschimpft, gefeilscht, gedrängelt und geklaut.
Miranda atmete einmal tief ein, ehe sie sich in das Getümmel vorwagte. Sie kannte keinen Ort, an dem man das Leben so sehr spüren konnte wie zwischen den Obstständen, Räucheröfen und Karren voller Getreide, Reis, Kartoffeln und Käse. An jeder Ecke wurde sie von neuen Gerüchen überflutet. Da war der Duft von geräuchertem Fisch aus den Seen und Bächen der Flusslande, das Aroma von unzähligen Gewürzen, die an den Ständen der Krondaner feilgeboten wurden. Kardamom, Thymian, Rosmarin, Ingwer, Nelken, Koriander, getrocknet oder frisch. Dann würziger Käse aus Westria, nach Honig duftende Kerzen, Seifen mit Rosenblättern, seidige Stoffe, die im Sonnenlicht schillerten, Holzarbeiten, Waffen geschmiedet von den Zwergen Hirimas, Fandorias Heiltinkturen, Silber- und Goldschmuck, frisch gebackenes Brot mit fester Kruste und weichem Teig, eingelegtes Fleisch, Gemüse aus den Feldern der Provinzen Fandorias … kurz, hier gab es nichts, was es nicht gab. Neben dem Nützlichen auch allerlei Plunder wie angeblich magische Amulette, gepanschten Wein, einen Blick in die Zukunft, falsche Kristalle, Artefakte aus dem Zeitalter der Schatten, die so neu aussahen, dass sie nur gefälscht sein konnten, Tränke, die dies und jenes versprachen, Dolche von Königen und so weiter. Gab man nicht acht, konnte man leicht übers Ohr gehauen werden.
Das nächste Problem der überwältigenden Vielfalt des Marktes waren die Diebesbanden, die meist dann zuschlugen, wenn ihre Opfer vor Staunen und Faszination nicht mehr auf ihre Geldbörsen achteten. Diesen Fehler machte Miranda nicht. Von klein auf hatte ihre Mutter sie gelehrt, gut auf ihr Geld aufzupassen, den Beutel stets dicht am Körper zu tragen, sich ständig zu vergewissern, dass er noch war, wo sie ihn verstaut hatte.
»Kirschen, brauner Zucker, Zimt, Mohn«, murmelte sie die Liste ihrer Mutter vor sich hin, während sie sich zwischen schwitzenden Leibern hindurchdrängte. Zum Glück kannte sie den Markt gut genug, um zu wissen, wo sie was finden konnte, und die meisten der Händler und Händlerinnen kannten sie gut genug, um zu wissen, was sie brauchte, wenn sie an ihren Stand kam. So auch heute. Trotz alledem dauerte es eine halbe Ewigkeit, ehe Mirandas Korb voll und die Liste in ihrem Kopf abgearbeitet war. Nun klebte ihr die helle Sommerbluse endgültig am Rücken und Strähnen ihrer schwarzen Haare hatten sich aus ihrem Zopf gelöst.
Als sie sich endlich aus dem Pulk geschoben hatte, nicht mehr Ellenbogen zwischen den Rippen oder Absätze auf ihren Füßen spürte, sondern Freiheit, stieß sie erleichtert Luft aus. Ihr nächstes Ziel war der idyllische Platz am Ende der Händlerstraße. Denn dessen Zentrum zierte ein riesiger Brunnen, aus dessen Steinstatuen kaltes Wasser plätscherte. Fünf Minuten Pause würde sie sich gönnen, ehe sie in die Bäckerei zurückkehrte.
Von Idylle konnte an diesem Tag allerdings keine Rede sein. Bereits von Weitem vernahm sie das Kreischen etlicher Kinderstimmen. Normalerweise war das Baden im Brunnen verboten, aber die Männer und Frauen der Wächtergarde ignorierten das fröhliche Plantschen an diesem heißen Tag gekonnt. Vermutlich wünschten sie sich selbst ins Wasser springen zu können, so sehr mussten sie in ihrer hochgeschlossenen Uniform schwitzen. Miranda beneidete sie nicht um ihre Arbeit, auch wenn ihre eigenen Aufgaben in der Bäckerei nicht weniger anstrengend waren. Zumindest hatte sie ihren Spaß daran, Kunden zu bedienen, beim Backen zu helfen und zwischendurch Kuchen naschen zu können. Nichtsdestoweniger würde sie bei dieser Hitze am liebsten überhaupt nichts tun wollen.
Mit einem Seufzen stellte sie den schweren Korb auf dem breiten Brunnenrand ab, raffte den Saum ihres Rocks, streifte ihre Schuhe ab und kühlte ihre Füße im klaren Wasser. Es war eine Wohltat durch und durch. Reglos blieb sie einfach so stehen, lauschte dem Kinderlachen, dem Plauschen der Mütter sowie dem regelmäßigen Sprudeln des Brunnens.
Irgendwann – es waren ganz sicher mehr als fünf Minuten vergangen – beschloss sie schweren Herzens, dass es Zeit war zu gehen. Sie drehte sich um und sah sich einer ihr sehr vertrauten Person gegenüber, die sich gerade eine Kirsche aus ihrem Korb stibitzt hatte.
»Wie viele hast du schon gegessen?«, wollte sie wissen.
»Ach, nur so drei oder vier. Vielleicht auch fünf oder sechs.« Elainia Larodres grinste. »Sie haben einfach zu verlockend ausgeschaut und du hast mich nicht bemerkt. Also habe ich die Gelegenheit beim Schopfe gepackt.«
»Du hättest dich bemerkbar machen können«, erwiderte Miranda halb im Ernst, halb belustigt.
»Dann hätte ich aber weniger Kirschen abgekriegt.«
»Umso besser. Die sind nämlich für meine Mutter.«
»Macht sie wieder ihren himmlischen Kirschkuchen?«
»Ich weiß es nicht. Im Moment geht bei ihr nämlich alles drunter und drüber. Ich sollte übrigens auch langsam zurückgehen. Meine Mutter ist ziemlich unausstehlich geworden«, berichtete sie, während sie aus dem Brunnen stieg und in ihre Schuhe schlüpfte. »Sie kommandiert jeden herum, alles muss hervorragend sein. Bis auf die letzte Zuckerperle. Und gewissermaßen ist das deine Schuld.« Sie warf ihrer Freundin einen vielsagenden Blick zu.
Elainia hakte sich bei ihr unter und gemeinsam ließen sie den Brunnen hinter sich. »Was? Ich wasche meine Hände in Unschuld. Ich habe nur zufällig vor meiner Schwester erwähnt, dass eure Torten die besten der Stadt sind. Außerdem weiß das doch sowieso jeder. Und dass sie den Prinzen gleich dazu überredet, euch die Kuchen für seinen Geburtstagsball backen zu lassen, konnte ich absolut nicht ahnen.«
»Und das soll ich dir glauben, was?«
Elainia lachte. »Ich würde mir vermutlich auch nicht glauben. Sieh es positiv. Ihr werdet euch nach dem Ball vor Kundschaft nicht mehr retten können.«
»Die Mutter stehe mir bei«, stöhnte Miranda. »Dann werde ich Elandria wohl verlassen müssen. Oder am besten gleich Fandoria. Meine Mutter wird mich sonst in den Wahnsinn treiben.«
»Jetzt wirst du melodramatisch.«
»Gut, du hast recht. Ich sollte am besten direkt verschwinden. Je eher, desto besser.«
»Dann wirst du aber nie erfahren, ob ich offiziell Magierin der Königinnengarde werde. Könntest du damit leben?«
»Elainia Larodres, diese Frage zwingt mich all meine Fluchtpläne über Bord zu werfen. Natürlich will ich erleben, wie du von der Königin persönlich in die Garde berufen wirst. Nichts würde mir ferner liegen, als das zu verpassen.« Sie schenkte ihrer besten Freundin ein Lächeln. Doch zu ihrer Überraschung erwiderte Elainia es nicht. Stattdessen machte sie einen ziemlich unglücklichen Eindruck. Sorge stieg in Miranda auf und ließ den Schalk von eben verpuffen. »Was ist los?« Sie konnte förmlich sehen, wie ihre Freundin mit sich rang. Irgendetwas quälte sie. »Raus damit, Ela. Egal, was es ist.«
»Eigentlich hatte ich meiner Mutter versprochen, Stillschweigen zu bewahren …« Sie brach ab, ehe die Neuigkeit aus ihr herausplatzte: »Ondina Jarna ist heute am Grauen Tod erkrankt.«
Miranda erstarrte. Selbst als gewöhnliche Bürgerin von Elandria kannte sie die ehemalige Anführerin der Königinnengarde. Sei es auch nur aus den zahlreichen Geschichten, die von ihrem Kampf gegen ein Dutzend abtrünnig gewordener Palastwachen berichteten, die Königin Cierra im Schlaf hatten ermorden wollen. Keiner von ihnen hatte es ansatzweise in ihre Nähe geschafft. Sie alle hatten ihren Verrat mit dem Tod durch Ondina Jarnas Klinge bezahlt. Alle zwölf hatte sie umgebracht. In mondloser Finsternis. Ohne zu zögern, ohne Gnade. Dabei hatte sie eine solch schwere Beinverletzung davongetragen, dass es ihr unmöglich geworden war, weiterhin für die Königinnengarde zu arbeiten. Dieser Teil wurde in den Geschichten entweder ganz weggelassen oder so sehr ausgeschmückt, dass er absolut unglaubwürdig wurde. Diese Frau war eine Legende. Bereits jetzt.
»Das ist schrecklich«, brachte sie hervor.
»Es kommt noch besser.« Elainia wischte sich den Schweiß der Sommerhitze von der Stirn, senkte die Stimme. »Dunia Gira, die Palastheilerin, besitzt ein Heilmittel.«
Miranda öffnete den Mund und schloss ihn gleich darauf. Sich bewusst, dass sie aussehen musste wie ein Fisch, starrte sie ihre Freundin an. Fassungslos. Ungläubig.
»Kannst du das wiederholen?«
Elainia nickte und zog sie in eine etwas weniger belebte Gasse.
»Es gibt ein Heilmittel. Ich war dabei, als Dunia Direktorin Jarna vorhin davon erzählt hat. Und damit habe ich dir gerade das wohl am besten gehütete Geheimnis der Königsfamilie verraten.« Sie schnaubte.
Mirandas Auffassungsgabe schien sich in eine Schnecke verwandelt zu haben, denn sie begriff rein gar nichts. Ein Heilmittel für den Grauen Tod existierte nicht. Hatte nie existiert. Nur hatte Ela gerade das Gegenteil behauptet.
»Aber wie?«, stammelte sie.
»Es ist ein einziges Fläschchen mit dem Extrakt der Feuerblume. Einer Pflanze mit leuchtend roter Blüte, die nach innen erst orange dann gelb wird und deren Essenz den Grauen Tod besiegt. Allerdings gilt die Blume als ausgestorben. Und genau da liegt das Problem. Dieses eine Fläschchen ist einzig der Königsfamilie vorbehalten. Nur glaubt Dunia, dass die Königin ihr erlauben würde, Direktorin Jarna damit zu heilen.«
»Weil sie ihr damals das Leben gerettet hat«, vervollständigte Miranda langsam.
