The Darkest Gold – Die Geliebte - Raven Kennedy - E-Book
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The Darkest Gold – Die Geliebte E-Book

Raven Kennedy

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Beschreibung

Schweigen ist Gold. Doch ich werde nicht länger still sein … Band 3 der Fantasy-Erfolgsreihe. Absolut süchtig machend. Midas. Herrscher des sechsten Königreichs. Man nennt ihn den goldenen König. Ich habe mich viel zu lange von seiner glänzenden Fassade täuschen lassen, habe mich belügen, manipulieren und ausnutzen lassen. Doch das ist jetzt vorbei. Weder er noch irgendjemand sonst wird mich noch einmal einsperren. Dank eines verführerischen Fae-Kriegers habe ich meine Stärke gefunden, und dadurch ändert sich alles. Bisher war ich im Kampf der Könige um Macht und Einfluss nur eine goldene Spielfigur. Doch ein einziger Zug kann das ganze Spiel verändern. Und diesmal werde ich diesen Zug machen …

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Seitenzahl: 839

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Raven Kennedy

The Darkest Gold – Die Geliebte

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Vanessa Lamatsch

 

Über dieses Buch

Schweigen ist Gold. Doch ich werde nicht länger still sein …

 

Midas. Herrscher des sechsten Königreichs. Man nennt ihn den goldenen König. Ich habe mich viel zu lange von seiner glänzenden Fassade täuschen lassen, habe mich belügen, manipulieren und ausnutzen lassen. Doch das ist jetzt vorbei. Weder er noch irgendjemand sonst wird mich noch einmal einsperren. Dank eines verführerischen Fae-Kriegers habe ich meine Stärke gefunden, und dadurch ändert sich alles. Bisher war ich im Kampf der Könige um Macht und Einfluss nur eine goldene Spielfigur. Doch ein einziger Zug kann das ganze Spiel verändern. Und diesmal werde ich diesen Zug machen …

Band 3 der Spiegel-Bestseller-Reihe. Absolut süchtig machend.

Vita

Raven Kennedy wurde in Kalifornien geboren. Ihre Liebe zum Lesen hat sie schließlich dazu gebracht, eigene Welten zu kreieren. Sie hat bereits mehrere Buchserien veröffentlicht, der Durchbruch gelang ihr mit der «The Darkest Gold»-Reihe, einer dunklen Neuinterpretation des König-Midas-Mythos. Die Romane haben sich mehr als eine Million Mal verkauft, die Übersetzungsrechte wurden in etliche Länder lizenziert, eine Verfilmung befindet sich in Vorbereitung. Weitere Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer Homepage: www.ravenkennedybooks.com

 

Vanessa Lamatsch wurde 1976 in eine Familie von Tierärzten geboren. Doch sosehr sie Tiere auch mochte: Ihre größte Liebe galt immer den Büchern. Schon mit 14 Jahren begann sie, auf Englisch zu lesen, weil sie nicht auf die Übersetzungen warten wollte. Die logische Folge: Nach ihrem Abitur im Jahr 1996, einem Studium der Englischen Literaturwissenschaft und einem Aufbaustudiengang Buchwissenschaft sorgt sie seit 2008 dafür, dass Leser nicht mehr so lange auf neue Übersetzungen warten müssen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2021 unter dem Titel «Gleam».

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Oktober 2023

Copyright © 2023 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg «Gleam» Copyright © 2021 by Raven Kennedy

Published by Arrangement with RAVEN KENNEDY LLC

Redaktion Ulrike Gerstner

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München, nach dem Original von Imagine Ink Designs

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-01609-5

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

Die Nutzung unserer Werke für Text- und Data-Mining im Sinne von § 44b UrhG behalten wir uns explizit vor.

Hinweise des Verlags

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

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Dieses E-Book ist nicht vollständig barrierefrei.

 

 

www.rowohlt.de

Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Wenn du dich darüber informieren möchtest, findest du auf unserer Homepage unter www.endlichkyss.de/thedarkestgold3 eine Content-Note.

Für all jene, die im Dunkeln gelassen wurden.

Mögt ihr im Sonnenschein lächeln.

Prolog

Auren

Vor zehn Jahren

Der Himmel hier singt nicht.

Er tanzt nicht, er betört nicht, er senkt sich nicht mit süßem Duft auf meine Haut oder gleitet durch mein Haar wie eine zarte Liebkosung.

Nicht so, wie es in Annwyn war.

Der Regen fällt wie Tränen, und Wasser tränkt den Boden, aber selbst das kann den Gestank dieses Ortes nicht vertreiben. Die Sonne sinkt, und der Mond steigt auf, doch nicht in Harmonie mit den Göttinnen, die in ihren zerbrechlichen Sternen ruhen. Dieser Horizont ist konturlos.

Nichts hier vermittelt dieselbe Lebendigkeit wie zu Hause. Doch andererseits … Vielleicht sind das nur die erfundenen Erinnerungen eines kleinen Mädchens. Vielleicht war Annwyn gar nicht wie in meiner Vorstellung, und ich habe es vergessen.

Wenn dem so sein sollte, gebe ich mich lieber weiter meinen Illusionen hin. Mir gefällt, wie Annwyn in meinem Kopf aussieht – erfüllt von einer Lebendigkeit, die alle Sinne anspricht.

Auch hier werden meine Sinne gekitzelt, aber nicht auf gute Art.

Derforthafen ist noch nass vom Regen des heutigen Morgens. Hier ist immer alles feucht, entweder kommt es vom Meer oder vom Himmel. Manchmal auch von beidem. Es gibt kein einziges holzgedecktes Dach, das nicht durchnässt ist, und auch keine Tür, die sich nicht unter der allgegenwärtigen Feuchtigkeit verzieht.

Die Luftströmungen bringen oft Stürme von Meer heran. Doch der Regen hat nichts Reinigendes. Er rauscht einfach zurück in das Meer, das ihn ausgespuckt hat, und stinkt auf seinem Weg durch die schlammigen Straßen nach Fisch.

Die Luft heute ist fast greifbar in ihrer Schwüle, lässt mein Kleid schwer werden und legt sich bleiern über meine Brust. Ich kann mich glücklich schätzen, wenn meine Kleidung heute Abend beim Aufhängen trocknet und mein Haar mal eine Weile nicht nass und kraus ist.

Doch es interessiert sich sowieso niemand für mein Haar oder meine Kleidung. Die gierigen Blicke fallen immer auf meine goldgefärbten Wangen, gleiten über meine Haut, die zu sehr strahlt, um echt zu sein. Deswegen bin ich als das angemalte Mädchen bekannt. Das goldene Waisenkind von Derforthafen. Egal, was für Lumpen ich auch trage, unter meiner feuchten Kleidung wartet absurder Reichtum. Der wertlose Reichtum meiner Haut, der nichts ausrichtet, aber doch für alles verantwortlich ist.

Die Planen über den Ständen der Händler an der Marktstraße sind noch dunkel, die Jutesäcke durchnässt, die Karren abgedeckt. Alles tropft. Ich schließe die Augen und atme. Ich rede mir ein, ich könnte den scharfen Metallgeruch des Ankermachers nicht wahrnehmen, genauso wenig wie die feuchten Holzplanken der im Hafen liegenden Schiffe und die Kisten voller zappelnder Fische, an denen der dreckige Sand der Küste klebt.

Meine Fantasie reicht nicht ganz aus, um den Gestank abzuwehren.

Wahrscheinlich würde es besser riechen, säße ich nicht auf der Mülltonne des Gasthauses. Aber so schrecklich es auch nach altem Bier stinken mag, dieser Platz ist halbwegs geschützt und trocken und damit wertvoller Grund und Boden.

Ich verlagere das Gewicht auf dem Metalldeckel, um mich mit dem Rücken gegen das Gebäude zu lehnen. Mein Blick gleitet über die Marktstraße. Ich sollte nicht hier sein. Ich sollte in Bewegung bleiben, aber selbst das stellt ein Risiko dar. Zakir hat überall in der Stadt Augen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis ich erwischt werde. Egal, ob ich an einem Ort ausharre oder nicht. Ich verstecke mich vor ihm; vor den Pflichten, die er mir auferlegt hat. Ich verstecke mich vor seinen Schlägern, die durch die Straßen streifen, um seine Bettlerkinder zu überwachen. Sie sollen nicht deren Sicherheit garantieren, sondern gewährleisten, dass niemand in Zakirs Territorium eindringt oder von seinen Dieben stiehlt.

Ich verberge mich an einem Ort, an dem ich auf jeden Fall entdeckt werde.

Als würde mein Blick gelenkt, schaue ich auf und starre zwischen zwei Verkaufskarren hindurch zum Ozean. Dort schaukeln die Segel der ankernden Schiffe, deren Formen mich an gefesselte Wolken erinnern, die versuchen, zum Himmel zu entkommen. Mein Magen verkrampft sich bei ihrem Anblick; wie sie mich verhöhnen mit dem Traum von Freiheit. Eine wogende Verlockung, die direkt am Horizont ruht.

Aber es ist eine Lüge.

Blinde Passagiere werden in Derforthafen streng bestraft. Ich wäre eine Närrin, es auch nur zu versuchen. Mehr als eine Handvoll von Zakirs Kindern haben es gewagt, jedoch nicht überlebt, um davon zu berichten. Ich glaube nicht, dass ich je vergessen werde, wie sie im Hafen hingen und die Möwen in den klaffenden Wunden in ihren Rücken gepickt haben, ihr Fleisch vom salzigen Regen aufgequollen.

Dieser Gestank ist schlimmer als alle anderen.

«Was zur verdammten Hölle glaubst du, was du da tust?»

Als Zakirs bedrohliche Gestalt unvermittelt vor meinem Versteck erscheint, zucke ich so heftig zusammen, dass ich mir den Arm an den rauen Kalksteinziegeln aufkratze.

Harte braune Augen starren aus einem geröteten Gesicht auf mich herunter. Aus seinem Kinn stehen Barthaare ab wie Stacheln an einem Kaktus. Ich kann den Alkohol an ihm riechen, so heftig, dass er sogar den Gestank um mich herum überdeckt. Er säuft wahrscheinlich schon seit Stunden.

«Zakir.» Ich klinge schuldbewusst und bin nicht fähig, ihm in die Augen zu sehen, als ich von dem Mülleimer rutsche, um vor ihm auf den Füßen zu landen.

Er stemmt die Hände in die Hüften, dabei öffnet sich die salbeigrüne Weste und gibt den Blick auf seine haarige Brust frei. «Hast du Wachs in den Ohren? Ich habe gefragt, was du hier tust?»

Ich verstecke mich. Träume. Spiele ‹Was wäre, wenn›.

Als hätte er die stumme Antwort in meinem Kopf gehört, grinst er mich höhnisch an, seine Zähne verfärbt von Pfeifenrauch und zu viel Henad. Die Lippen sind aufgesprungen vom vielen Fluchen, von all den grausamen Worten und Abmachungen.

Seitdem der lange Mond das neue Jahr markiert hat, haben sich die Pflichten, die Zakir mir auferlegt, geändert. Seiner Zählung nach bin ich fünfzehn Jahre alt. In Orea bin ich damit eine Erwachsene.

«Ich habe nur …» Die Entschuldigung dringt nicht schnell genug über meine Lippen.

Zakir versetzt mir einen Klaps auf den Hinterkopf, so hart, dass mein Schädel nach vorne zuckt. Das ist die einzige Stelle, an der er mich noch traktiert. Meine goldene Haut entwickelt schnell kupferfarbene Prellungen, aber unter meinem Haar kann das niemand sehen.

«Du solltest vor einer Stunde in der Einsamkeit sein!», knurrt er und kommt mit seinem Gesicht ganz dicht an meines. «Der Mistkerl kam brüllend zu mir, weil du nicht aufgetaucht bist. Und der Bursche, den ich als Wache abgestellt habe, meinte, du müsstest durch die Hintertür entwischt sein.»

Falsch. Ich bin durch das zerbrochene Fenster im Keller geklettert. Es war leichter, durch die kleine Gasse hinter dem Gasthof zu fliehen. Die andere Möglichkeit wäre die Seitenstraße gewesen, aber dort tummeln sich wilde Hunde, die im Müll nach Essbarem suchen.

«Hörst du mir zu, verdammt noch mal?»

Ich vergrabe die Hände im Stoff meines dreckigen Rocks, so als versuchte ich, den Klang seiner Stimme zu zerquetschen, bis er platzt wie eine Traube. «Ich will nicht zurück in die Einsamkeit.»

Die Worte gleiten aus mir heraus wie angeschlagene Murmeln, die über den Boden rollen. Ich will nicht mal an das Gasthaus denken und noch weniger darüber reden. Trotz des Namens ist Einsamkeit das Letzte, was ich dort finde. Dort, wo man meine Unschuld gestohlen hat, als glitten gierige Finger auf der Straße in die Taschen eines Fremden. Alles, was die Einsamkeit mir zu bieten hat, ist die Qual unerwünschter Blicke und widerlicher Berührungen.

Zakirs Miene verhärtet sich. Ich rechne damit, dass er mich erneut mit seinen fleischigen, beringten Fingern gegen den Kopf schlägt, doch das geschieht nicht. Ich frage mich, wie viel von dem Geld, das ich so hart verdient habe, in den Kauf dieser goldverkrusteten Edelsteine geflossen ist.

«Mir ist scheißegal, was du willst. Du arbeitest für mich, Auren.»

Verzweiflung schnürt mir die Kehle zu und raubt mir den Atem. «Dann schick mich wieder auf die Straße, um an der Ecke zu betteln oder die Leute auf dem Markt zu bestehlen», flehe ich. «Schick mich nur nicht dorthin. Ich kann das nicht noch mal tun.» Tränen steigen mir in die Augen. Noch etwas in Derforthafen, was überfließt.

Zakir seufzt, ohne dass die höhnische Miene verschwindet. «Pah, spar dir diese weinerliche Tour. Ich habe dich lange genug vor der Arbeit auf dem Rücken bewahrt … was mehr ist, als die meisten Fleischhändler getan hätten. Wenn ich kein Geld mit dir verdiene, muss ich dich auch nicht behalten», warnt er. «Du hast es gut bei mir. Vergiss das nie, Mädchen.»

Gut.

Das Wort hallt in meinem Kopf wider, während ich an die letzten zehn Jahre meines Lebens denke. Viele andere Kinder sind gekommen und gegangen, aber ich bin geblieben. Denn meine seltsame goldene Haut zieht jene Art von Aufmerksamkeit auf sich, aus der Zakir Profit schlagen kann. Allerdings würde ich nicht behaupten, dass ich es jemals gut hatte.

Ich war gezwungen, den Tag über auf der Straße zu betteln und nachts Taschen auszuräumen. Und während ich durch die Straßen der Hafenstadt schlich, habe ich gelernt, mein seltsames Aussehen zu meinem Vorteil einzusetzen. Ich hatte nur die Wahl zwischen dieser Tätigkeit … oder Zakirs Haus von oben bis unten zu putzen und dabei Oberflächen zu scheuern, bis meine Finger knackten und meine Knie schmerzten. Allerdings war es nie möglich, den Keller vollständig sauber zu bekommen. Dort herrschten immer Kälte, Schimmel und Einsamkeit.

Gewöhnlich hielten sich zehn bis dreißig von uns da unten auf, zusammengedrängt unter fadenscheinigen Decken und alten Säcken. Kinder, die gekauft und verkauft wurden, um zu arbeiten. Kinder, die niemals spielen oder lernen oder lachen. Wir schlafen und wir verdienen Geld, und damit hat es sich. Freundschaften sind unmöglich. Sie existieren einfach nicht, denn unter Zakirs wachsamem Blick wird eine Atmosphäre von Bösartigkeit und Konkurrenz geschaffen. Wir sind nicht mehr als Hunde, die hungrig genug gehalten werden, um wegen eines Knochens gegenseitig übereinander herzufallen.

Aber ich muss den Silberstreif, das Gute daran sehen. Obwohl mein Leben nicht gut ist … Es könnte alles noch viel schlimmer sein.

«Was hast du denn gedacht, was passieren würde?», schnaubt Zakir, als wäre ich eine naive Idiotin. «Du wusstest, was auf dich zukommt, du hast die anderen Mädchen gesehen. Du kennst die Regel, Auren.»

Ich sehe ihm in die Augen. «Ich muss mir meinen Unterhalt verdienen.»

«Genau. Du verdienst deinen Unterhalt.» Zakir mustert mich. Sein Blick bleibt am schlammigen Saum meines Rocks hängen, und ein frustriertes Keuchen dringt aus seiner pfeifenrauchverkohlten Kehle. «Du siehst schrecklich aus, Mädel.»

Normalerweise ist es als Bettlerin von Vorteil, schrecklich auszusehen. Aber das liegt hinter mir. Fünfzehn zu sein, bedeutet, dass Zakir meine Kleidung von zerfetzten Lumpen zu Damenkleidern geändert hat.

Als er mir mein erstes Kleid gebracht hat, fand ich mich hübsch darin. Ich war tatsächlich dumm genug zu glauben, er hätte es mir zum Geburtstag geschenkt. Es hatte pinkfarbene Bänder am Mieder und eine Schleife im Kreuz und war das Schönste, was ich gesehen hatte, seitdem ich hier lebe.

Aber dann habe ich verstanden, dass ein hübsches Kleid ein Vorbote hässlicher Entwicklungen ist.

«Schaff deinen Hintern in die Einsamkeit», befiehlt Zakir mir, und sein Tonfall lässt keinen Raum für Widerspruch.

Grauen erfüllt mich, als sein Blick an meinem Körper nach oben gleitet. «Aber …»

Mit einem gelb verfärbten Finger deutet er direkt in mein Gesicht. «Der Kunde hat für dich bezahlt, also wird er dich auch kriegen. Die Einheimischen haben Jahre darauf gewartet, dass das angemalte Mädchen erwachsen wird. Du bist gefragt, Auren. Und ich habe diese Nachfrage gefördert, indem ich sie habe warten lassen – eine weitere Tatsache, für die du dankbar sein solltest.»

Gut. Dankbar. Zakir verwendet diese Worte, obwohl ich mir nicht sicher bin, ob er überhaupt weiß, was sie wirklich bedeuten.

«Ich habe dich zur teuersten Hure in Derforthafen gemacht, dabei arbeitest du nicht mal in einem Freudenhaus. Die Sättel kochen vor Eifersucht.» Bei ihm klingt es, als müsse ich stolz darauf sein; als freue es ihn, dass selbst die anderen Huren mich nicht mögen.

Er kratzt sich an der Wange, sein Blick ist gierig. «Das golden angemalte Bettlermädchen von Derforthafen ist endlich alt genug, um sich eine Nacht zwischen ihren Schenkeln zu erkaufen. Ich werde nicht zulassen, dass du mir die Chance versaust, diese Münzen zu verdienen. Und du wirst mir auch meinen Ruf auf der Straße nicht ruinieren», sagt er, seine Stimme so rau wie die sturmgepeitschte See.

Ich balle die Fäuste, bis sich meine Fingernägel in die Handflächen bohren. Die Stelle zwischen meinen Schulterblättern kribbelt und juckt. Wenn ich etwas ändern könnte, indem ich mir die Haut abziehe und die Haare ausreiße, ich würde ich es tun. Ich würde alles tun, um das Glänzen meines Körpers loszuwerden.

Es gab Nächte, in denen ich genau das versucht habe, während die anderen Kinder schliefen. Doch anders, als die Gerüchte in Derforthafen behaupten, bin ich nicht angemalt. Das Gold wird nie verschwinden, ganz gleich, wie oft ich meine Haut wund schrubbe. Haut und Haar wachsen immer nach, glänzend wie vorher.

Meine Eltern haben mich ihre kleine Sonne genannt. Ich war einmal stolz auf das Leuchten. Doch in dieser Welt voller gaffender Oreaner, unter diesem leeren Himmel, wünsche ich mir nichts mehr, als nichtssagend auszusehen. Endlich ein Versteck zu finden, in dem mich niemand aufspüren kann.

Zakir schüttelt den Kopf. Seine Augen sind blutunterlaufen von Nächten beim Glücksspiel, und er ist von einer nie vergehenden Rauchwolke umgeben. Er scheint einen Moment zu zögern, bevor er sich mit verschränkten Armen aufrichtet und sagt: «Barden Ost hat Interesse an dir bekundet.»

Meine Augen werden groß. «W-was?», flüstere ich angsterfüllt.

Barden ist ein anderer Fleischhändler hier im Hafen. Er beherrscht die Ostseite der Stadt – daher der Name –, aber anders als Zakir, der halbwegs erträglich ist, habe ich gehört, dass es bei Barden … nicht der Fall ist.

Zakir besaß immerhin den Anstand zu warten, bis ich als Erwachsene betrachtet werde, bevor er mich zum Sattel für Stadtbewohner und durchreisende Matrosen gemacht hat. Doch in Derforthafen heißt es, dass Barden zur schlimmsten Sorte Fleischhändler gehört. Einer ohne jede Moral. Er hält sich nicht mit Kinderbettlern und Taschendieben auf. Seinen Reichtum verdankt er Halsabschneidern und Piraten, hat ihn auf dem Fleischhandel und der Hurerei gegründet. Ich habe die Ostseite nie besucht, aber man munkelt, dass Zakir im Vergleich zu Barden und seinen Machenschaften wie ein Heiliger wirkt.

«Warum?», frage ich. Das Wort klingt gepresst, weil mein Hals sich anfühlt, als würde sich eine Henkersschlinge darum zusammenziehen.

Zakir bedenkt mich mit einem kalten Blick. «Du weißt genau, warum. Aus demselben Grund, aus dem die Sättel im Puff angefangen haben, ihre Haut mit verschiedenen Farben anzumalen. Du besitzt eine gewisse … Anziehungskraft. Und jetzt, wo du eine Frau bist …»

Galle steigt mir in die Kehle. Seltsam, dass sie aus irgendeinem Grund nach Meerwasser schmeckt. «Bitte, verkauf mich nicht an ihn.»

Zakir tritt einen Schritt nach vorn, drängt mich gegen die Wand in meinem Rücken. Mein Nacken kribbelt angesichts seiner Nähe, und die Muskeln neben meiner Wirbelsäule zucken, als wolle meine Angst dort Blüten austreiben.

«Ich war nachsichtig, denn von allen hast du das meiste Geld auf den Straßen gemacht», erklärt er mir. «Die Leute liebten es, dem angemalten Mädchen Münzen zu geben. Und wenn sie es nicht getan haben, konntest du sie ausreichend ablenken, um ihnen später die Taschen auszuräumen.»

Scham steigt in mir auf. Was würden meine Eltern denken, wenn sie mich jetzt sehen könnten? Was würden sie von der Bettlerei halten, von den Diebstählen, von den Faustkämpfen mit den anderen Kindern?

«Aber du bist kein Kind mehr.» Zakir fährt sich mit der Zunge über die Zähne, bevor er einen verfärbten Speichelklumpen auf den Boden spuckt. «Widersetzt du dich meinen Anweisungen noch einmal, übernehme ich keine Verantwortung für dein Verhalten mehr. Dann verkaufe ich dich ohne Umschweife an Barden Ost. Und ich sage dir jetzt gleich … Falls es so weit kommt, wirst du dir inständig wünschen, du wärst bei mir geblieben und hättest dich benommen.»

Tränen brennen in meinen Augen. Meine Rückenmuskulatur zuckt jetzt so heftig, dass ich mich kaum noch bewegen kann.

Zakir gräbt in einer Tasche seiner Weste herum und zieht seine Holzpfeife heraus. Sobald er sie in den Mund gesteckt und angezündet hat, bedenkt er mich erneut mit einem harten Blick. «Also? Wie entscheidest du dich, Auren?»

Für eine Zehntelsekunde spähe ich über seine Schulter, zu den Schiffen im Hafen. Zu diesen prallen Segelwolken, die dem Meer gehören.

Ich war die kleine Sonne meiner Eltern.

Ich habe früher unter einem singenden Himmel getanzt.

Und jetzt bin ich hier, eine bemalte Hure in den Slums eines durchnässten Hafens, mit Dreck in der Luft und einem stummen Schrei in meiner Kehle. Und kein Regen der Welt wird je den Fluch meiner goldenen Haut abwaschen.

Zakir saugt an seiner Pfeife und stößt den Rauch mit einem Grunzen zwischen den Zähnen aus. Langsam wird er ungeduldig. «Scheiße noch mal. Du musst dich doch nur hinlegen.»

Ich zittere am ganzen Körper, und die Tränen drohen überzulaufen. Genau das hat der erste Mann zu mir gesagt. «Leg dich einfach auf die Pritsche, Mädchen. Es wird schnell gehen.» Als er fertig war, hat er eine Münze neben mir auf die Matratze fallen lassen. Ich habe sie dort liegen gelassen. Das Metall war stumpf und dreckig von den viel zu vielen Händen, durch die es gewandert war – wenn auch bei Weitem nicht so schmutzig, wie ich mich fühlte.

Einfach daliegen. Einfach daliegen und mich verlieren, Stück für Stück. Einfach daliegen und fühlen, wie ich von innen heraus verfaule.

«Bitte, Zakir.»

Mein Flehen sorgt nur dafür, dass er auf den Stiel seiner Pfeife beißt. «Also wird es Barden? Du willst lieber auf der Ostseite leben?»

Ich schüttele heftig den Kopf. «Nein.»

Nicht mal die Leute von der Ostseite wollen auf der Ostseite leben, doch die meisten von ihnen können nicht entkommen. Ich kenne das Gefühl. Mit Müll in meinem Rücken, Pfützen vor meinen Füßen und meinem Besitzer, der mir den Weg abschneidet, gibt es keinen Ausweg und kein Versteck.

Er nickt nur einmal. «Dann geh an die Arbeit. Jetzt.»

Mit hängendem Kopf schiebe ich mich an ihm vorbei und wandere die Straße entlang. Mein Puls rast, und ich spüre den Herzschlag bis in meinen Hals. Zwei von Zakirs Handlangern reihen sich vor mir ein. Er selbst folgt mir wie ein unheilvoller Schatten, der mich meinem jämmerlichen Schicksal entgegentreibt.

Feuchte Kiesel bleiben an meinen Schuhen hängen, doch ich bemerke die kleinen Steine kaum, wie sie in den Stoff kriechen und sich in die Sohlen meiner Füße graben. Auch den geschäftigen Markt – erfüllt von Rufen und Feilschen und Diskussionen – nehme ich fast nicht wahr. Ich schaue nicht mehr zu den Schiffen, ich kann dieses höhnische Versprechen auf Freiheit nicht länger ertragen. Stattdessen suche ich die hohle Taubheit in mir und versuche mir vorzustellen, ich wäre an einem ganz anderen Ort.

Ich trödele, doch es spielt keine Rolle, wie langsam ich auf die Einsamkeit zuhalte. Ich ende trotzdem vor der geweißelten Tür, erkenne trotzdem mein verzerrtes Spiegelbild in dem groben Fenster, geschaffen aus den Böden von Flaschen. Das Buntglas der armen Leute.

Mein Herz hämmert so heftig, dass ich ins Schwanken gerate, als stünde ich auf einem dieser Schiffe statt auf festem Boden.

Zakir tritt neben mich, und ich fühle eine Wolke des blauen Pfeifenrauchs an meinem Ohr. Er hat dieselbe Farbe wie die Flaschenböden. «Denk daran, was ich gesagt habe. Verdien deinen Unterhalt, oder ich übergebe dich an Barden Ost.»

Mit einem letzten, mahnenden Blick geht er davon, die Hand in der Tasche, wo die Münzen klimpern, die ich für ihn verdient habe. Zwei weitere seiner Männer erscheinen wie aus dem Nichts und folgen ihm wie Hunde. Die anderen bleiben bei mir. Sie nehmen neben der Tür Aufstellung, die Wachhunde für Zakirs Schafe. Ich weiß, ohne hinzusehen, dass in meinem Rücken ein weiterer Mann postiert ist.

Der dürre Kerl zu meiner Linken mustert mich von oben bis unten. Seine graue Gesichtsfarbe steht in seltsamem Widerspruch zu den fast gelblichen Augen. «Hab gehört, dass Barden Ost seine Nutten gern erst mal selbst ausprobiert. Testet sie genau, bevor er sie an die Arbeit lässt», sagt er, was dem anderen Mann ein Schnauben entlockt.

Ich starre die Tür an, auf die blauen Flaschenböden, die mich an die runden Augen einer Spinne erinnern. Ich weiß, dass ich mich in ihr Maul begeben muss, denn ich hänge bereits in dem Netz fest, mit dem Zakir mich gefangen hat.

Ich versuche, mich zu erinnern.

Ich versuche, mich an die melodische Stimme meiner Mutter zu erinnern. An die Brise im Windspiel vor meinem Fenster. Daran, wie das Lachen meines Vaters klang. Wie die Pferde im Stall gewiehert haben.

Doch schon einen Wimpernschlag später wird das alles ertränkt im Spott der Männer. Der Lärm des Markts hallt in meinem Kopf wider, eine Mischung aus Rufen und Klappern. Und der Himmel öffnet erneut seine Pforten und ein Regenguss durchnässt uns.

Nein, der Himmel hier singt nicht.

Und mit jedem Jahr, das vergeht, ertrinken meine Erinnerungen ein wenig mehr, werden an eine dreckige Küste voller rauer Grausamkeit gespült.

Leg dich einfach auf die Pritsche, Mädchen.

Ich verfluche die Schiffe, die in meinem Rücken davonsegeln, verfluche die Wahl, die gar keine Wahl ist, zwischen Osten und Westen, zwischen Barden und Zakir. Zwischen Leben und Tod. Dann, mit einem Regentropfen auf der Wange, der eventuell aus meinem Auge gefallen ist, öffne ich die Tür und betrete das Gasthaus.

Und sterbe ein kleines bisschen mehr.

Kapitel 1

Auren

Wahrheiten sind wie Gewürze.

Wenn man sie hinzufügt, bekommt alles mehr Nuancen. Man schmeckt Dinge, die man bisher vermisst hat. Aber wenn man zu viele nimmt, kann das Leben ungenießbar werden.

Und wenn diese Wahrheiten zu lange unterdrückt werden – wenn man feststellt, dass man sich an die geschmacklosen Lügen gewöhnt hat –, besteht keine Hoffnung, den überwältigenden Geschmack aus dem Mund zu vertreiben.

Im Moment brennt mein Mund von einer Erkenntnis, die ich irgendwie schlucken muss.

Du bist König Ravinger.

Ja, Goldfink, das bin ich. Aber du kannst mich Slade nennen.

Riss, Ravinger – wer auch immer er ist – beobachtet mich, während ich fast an seiner Wahrheit ersticke.

Was tut man, wenn jemand nicht der ist, für den man ihn gehalten hat? In meinem Kopf waren Riss und der König zwei vollkommen verschiedene Männer. König Ravinger war etwas Böses, dem ich nicht begegnen wollte. Jemand, dem eine verdorbene Macht innewohnt, von der ich mich so weit wie möglich fernhalten wollte.

Und Riss war … nun, Riss. Kompliziert und gefährlich, aber auch jemand, den ich quasi als Verbündeten betrachtet habe; der mir in unserer kurzen gemeinsamen Zeit eine Menge beigebracht hat. Jemand, der mir gleichzeitig Angst einjagte und mich irritierte, der mir aber trotzdem ans Herz gewachsen ist.

Doch jetzt muss ich all meine bisherigen Gedanken neu ordnen. Denn die Person, die mich immer wieder herausgefordert, wütend gemacht und gezwungen hat, zuzugeben, was ich wirklich bin – der Mann, der mich in seinem Zelt geküsst hat und an der verschneiten Küste einer arktischen See stand, um einen Trauermond zu betrachten – er ist ein ganz anderer.

Er ist der König, den alle fürchten. Der Herrscher, der verrottende Leichen ausliefern lässt, als wären sie Sträuße aus Gänseblümchen. Er ist wohl der mächtigste Monarch, den Orea je gesehen hat … weil er ein Fae ist und sich vor aller Augen verborgen hat.

Ich habe jede Nacht in seinem verdammten Zelt geschlafen, nur ein paar Schritte von ihm entfernt, ohne zu wissen, wer er wirklich ist.

Ich bin unfähig, all die Nuancen zu begreifen, die diese Wahrheit mit sich bringt. Bin mir nicht sicher, ob ich wirklich in der richtigen Verfassung bin, um all das zu ergründen und zu verarbeiten. Und ich weiß nicht mal, ob ich das überhaupt will.

Nein, im Moment bin ich einfach zu wütend.

Ich starre ihn böse an. «Du … du verdammter Lügner.» Ich kann die brennende Härte meiner Worte so deutlich hören, wie ich das Feuer in meinen Augen spüren kann. Es hat mich innerhalb von Sekunden verschlungen.

Riss – Ravinger, wer auch immer Götter verdammt noch mal er sein mag – reißt den Kopf zurück, als schockiere ihn meine Wut. Sein Körper verspannt sich, und die gefährlichen Stacheln an seinen Armen glänzen im schwachen Licht des Raums. Einem Raum, der sich plötzlich viel zu klein anfühlt. «Entschuldigung?»

Ich stehe im Türrahmen. Meine Finger ballen sich zu Fäusten, so als könnte ich die Zügel meines Zorns ergreifen und ihn lenken. Ich trete einen Schritt zurück in den Käfigraum, auf ihn zu. Meine erschöpften Bänder gleiten zuckend hinter mir über den Boden wie kränkliche Würmer.

«Du bist der König», sage ich und schüttele den Kopf, als könnte ich diese Tatsache einfach verneinen. Ich wusste, dass etwas an seiner Aura seltsam war. Ich wusste, dass ich eine tieferliegende Macht gespürt habe. Doch niemals hätte ich die Ausmaße seiner Täuschung erraten. «Du hast mich betrogen.»

Riss bedenkt mich mit einem bösen Blick. Seine Augen sind so schwarz wie Kohlen, die sich an den Flammen meines Blicks zu entzünden scheinen. Er sieht aus, als wäre er bereit, in meinem Zorn zu brennen.

Soll er doch.

«Dasselbe könnte ich auch behaupten», gibt er zurück.

Gereizt straffe ich die Schultern. «Wag es nicht, das ins Gegenteil zu verkehren. Du hast gelogen …»

«Genau wie du.» Ärger schleicht sich in seine Miene, sorgt dafür, dass die grauen Schuppen an seinen Wangen im Dunkeln glitzern. Ich habe die scharfen Züge eines Raubtiers vor mir.

«Ich habe meine Macht verborgen. Das ist etwas anderes.»

Er schnaubt. «Du hast deine Macht versteckt – deine Bänder, deine Herkunft.»

«Dass ich eine Fae bin, hat nichts damit zu tun», fauche ich.

Mit drei langen Schritten überbrückt er den Abstand zwischen uns. «Es hat alles damit zu tun!» Riss kocht vor Wut; er wirkt dabei, als wolle er die Hände ausstrecken und mich schütteln.

Ich recke das Kinn, weil ich mich weigere, vor ihm zu kuschen; male mir aus, wie es wäre, ihm meine Bänder in den Bauch zu rammen. Wenn sie nur nicht so schlaff und erschöpft wären. «Du hast recht», antworte ich gezwungen ruhig. «Ich musste mich verstecken, in einer Welt, die nicht meine war. Eine, in der ich zwanzig Jahre verbracht habe, ohne einen einzigen Fae zu sehen. Bis ich dir begegnet bin.»

Für eine Zehntelsekunde wird seine Miene fast weich, aber ich bin noch nicht fertig. Bei Weitem nicht.

«Du hast mich erbarmungslos bedrängt, bis ich eingestanden habe, was ich bin.»

Irritation blitzt in seinen Gesichtszügen auf. «Ja, um dir zu helfen …»

Meine Augen werden schmal. «Du hast mir Wahrheiten entrissen, während du deine eigenen Wahrheiten verborgen hast. Hältst du das nicht für heuchlerisch?»

Riss knirscht so heftig mit den Zähnen, dass ich mich frage, ob einer davon brechen wird. Ich hoffe, es passiert. Dieser verlogene Scheißkerl.

«Ich konnte dir nicht trauen», antwortet er kühl.

Mir entfährt ein leises Zischen, ein unfreundliches, giftiges Geräusch. «Du egozentrisches Arschloch. Du willst mir erzählen, dass du mir nicht vertrauen konntest?»

«Vorsicht», sagt er und entblößt in einem fiesen Lächeln die Zähne. «Es gibt da so ein Sprichwort über Steine und Glashäuser.»

«Ich lebe nicht umgeben von Glas, sondern von Gold. Also kann ich so viele Steine werfen, wie ich verdammt noch mal will.»

«Richtig. Wahrscheinlich hätte ich nichts anderes von dir erwarten dürfen.»

Ich versteife mich. «Was soll das heißen?»

«Nur, dass du immer sehr schnell über mich urteilst», antwortet Riss fast desinteressiert. «Sag mir, hast du Midas auch Lügner genannt?», fordert er mich heraus. Die stachelbewehrten Brauen senken sich. «Wie lang behauptet er schon, deine Macht wäre die seine? Wie lange hast du die Welt für ihn angelogen?»

«Wir reden gerade nicht über Midas.»

Ein grausames Lachen durchschneidet die Luft, beißend und bereit, Schmerzen zuzufügen. «Natürlich nicht. Dein goldener König kann nichts falsch machen», blafft er.

Ich drücke die Fingernägel so fest in meine bloße Handfläche, dass ich fast die Haut durchbohre. «Du hattest kein Recht, wütend zu sein, als ich mich entschieden habe, zu ihm zurückzukehren. Nicht, wenn du mich von Anfang an betrogen hast.»

Ein schreckliches Knurren dringt aus seiner Kehle. Es klingt, als hätte er versucht, es zurückzuhalten, doch dabei gründlich versagt. «Er hat dich ebenfalls betrogen!»

«Genau!», kreische ich. Die schiere Lautstärke und die allumfassenden Emotionen in meiner Stimme sorgen dafür, dass Riss einen Schritt zurückweicht. «Ich bin es so verdammt leid, betrogen zu werden! Die Lügen, die Manipulationen! Du hast versucht, vorzugeben, du wärst so viel besser. Aber du bist ganz genau so wie er.»

Riss’ Miene wird so finster wie die Nacht. Mein Magen verkrampft sich. «Bin ich das?» Seine Antwort ist ein Schlag, doch es sind seine Augen, die den Treffer landen.

Brennendes Schweigen breitet sich zwischen uns aus, schwer und glühend liegt es dort. Der Rauch unserer Heimlichkeiten vernebelt den Blick aufeinander.

«Danke, dass du mir dargelegt hast, was du von mir hältst.» Seine Aura wabert um ihn herum. Jetzt, wo ich weiß, dass sich darin seine verderbte Macht verbirgt, will ich weglaufen und mich verstecken. «Das ist eine gute Erinnerung daran, wie verdreht deine Wahrnehmung ist.»

Ich hasse ihn. Ich hasse ihn in diesem Moment so sehr, dass meine Augen brennen; so sehr, dass ich die Flammen nicht mehr zurückhalten kann. Eine heiße Träne gleitet über meine Wange. Sein Blick folgt ihr, bis sie von meiner Wange tropft.

«Vielleicht wäre meine Wahrnehmung nicht so verdreht, wenn die Leute, denen ich vertraue, mich nicht ständig betrügen, anlügen und die Wahrheit zurechtbiegen würden», halte ich dagegen und wische mir eine weitere Träne weg.

Hinter ihm, in den Schatten des Raums verborgen, verhöhnt mich der aufgebrochene Käfig. Er ist ein Memento. Daran, was genau passieren kann, wenn jemand, dem ich vertraue, mich in die Irre führt.

«Auren …» In seiner Stimme schwingt ein Unterton mit, den ich kaum ertragen kann.

Ich senke den Blick, konzentriere mich auf die Schattenpfützen zu unseren Füßen und atme zitternd aus. «Du hast mich geküsst und versucht, mich dazu zu bringen, mich für dich zu entscheiden. Dabei kannte ich dein wahres Ich gar nicht», sage ich fast ausdruckslos, als ich ihn abermals ansehe. «Du hast dafür gesorgt, dass ich mich schrecklich gefühlt habe, obwohl ich dich wieder und wieder gewarnt hatte, dass ich genau das tun muss.»

Beim letzten Wort zuckt Riss’ Kopf herum, und in der Dunkelheit werden seine Augen schmal. «Du musst?»

Sofort bereue ich den Versprecher.

Mit stoischem Ausdruck erkläre ich: «Ich möchte, dass du jetzt gehst.»

Finstere Wut verzerrt abermals sein Gesicht. «Nein.»

Mein Herz verkrampft sich, bis es mehr schmerzt als meine Fäuste. Ich verabscheue, dass ich immer noch Erleichterung empfinde, weil er hier ist … als wäre ich jetzt in Sicherheit; als wäre er immer noch mein Verbündeter.

Das ist er aber nicht.

Ich habe keine Verbündeten. Das darf ich nie vergessen. Egal, wofür ich Riss gehalten habe, es ist vorbei. Ich habe niemanden.

Ich löse die Fäuste und reibe mir das Gesicht. Ich bin so müde. Ich bin der Lügen so müde. Seiner Lügen. Der von Midas. Meiner eigenen. Ich bin von Täuschung umhüllt, von Manipulationen geformt und vollgestopft mit allem, was ich getan habe, um zu überleben.

Ich möchte, dass sich alles auflöst. Ich möchte mich aus den Knoten befreien, die mich festhalten, bevor ich darin zur Mumie erstarre.

Die Anspannung, die Riss ausstrahlt, ist so allumfassend, dass er beinahe vibriert; als wäre er der Donner, der jeden Moment über den Himmel grollt. «Das war es also? Ich bekomme die volle Wucht deiner Wut ab, während du Midas weiter zu Füßen liegst?»

Meine Augen blitzen auf. «Was ich tue, geht dich nichts an.»

«Verdammt noch mal, Auren …»

Ich falle ihm ins Wort. «Was willst du, Riss? Wieso bist du hier?»

Er verschränkt die Arme, und im selben Moment verschwinden seine Stacheln geschmeidig in seinem Fleisch. «Ich? Ich wollte nur einen Spaziergang machen.»

«Oh, gut. Eine weitere Lüge auf der Liste», sage ich bissig. «Soll ich mir Feder und Papier holen, um den Überblick zu behalten?»

Riss seufzt und reibt sich nun seinerseits das Gesicht, ein seltener Bruch in seiner steinernen Fassade. «Du reagierst über.»

Ich versteife mich. Kann ihn nur anstarren. «Ich habe gerade beobachtet, wie du dich vom König in den Kommandanten verwandelt hast, so schnell, als hättest du einen Mantel übergeworfen», erkläre ich schließlich spitz. «Vor ein paar Stunden hast du Ranholds Vorgarten verrotten lassen, indem du einfach nur darübergelaufen bist, und hast der Stadt mit Krieg gedroht. Ich bin mir ziemlich sicher, dass in diesem Moment der Raum neben uns mit toten Wachen gefüllt ist, die du umgebracht hast. Du hast gerade eingestanden, mich die ganze Zeit unserer Bekanntschaft getäuscht zu haben, und trotzdem denkst du, ich würde … überreagieren?»

Ein Muskel an seinem Kinn zuckt. «Sag mir, was von all diesen Dingen stört dich am meisten?»

«Oh, ich weiß nicht. Ich mag Lügen nicht besonders, aber sinnloser Mord rangiert ebenfalls ziemlich weit oben.»

«Er war nicht sinnlos.»

Ich schlucke schwer. Das war die Bestätigung, dass definitiv tote Wachen im Raum nebenan liegen. «Hast du sie verrotten lassen?»

«Ich interessiere mich viel mehr für deine Macht», antwortet Riss. Mein Herz verkrampft sich, als er sich der goldenen Frauenstatue im Käfig zuwendet. «Ist das die erste Person, die du zu Gold hast erstarren lassen?»

«Es war ein Unfall», stoße ich hervor, weil ich keine sinnlosen Morde begehe.

Sein Blick huscht zu mir zurück, fast triumphierend. Er mustert mein Gesicht. Am liebsten hätte ich mich selbst getreten, weil ich seine Annahme bestätigt habe.

Dann breitet sich Verständnis auf seiner Miene aus und seine Augen funkeln neugierig. «Ein Unfall … Also geht es um Berührung? Bedeckst du deswegen immer deinen ganzen Körper? Bist du unfähig, deine eigene Macht zu kontrollieren?»

Seine herablassende Frage lässt Scham in mir aufsteigen. Nachdem sie von einem Mann gestellt wird, der scheinbar absolute Kontrolle über seine Magie besitzt, sollte mich nicht überraschen, dass er meine Unzulänglichkeit bemerkt hat. Trotzdem schmerzt der Kommentar.

«Wie funktioniert es?», drängt er, als ich nicht antworte.

«Schon wieder versuchst du, mir Wahrheiten zu entreißen, die zu erfahren du kein Recht hast», sage ich. «Nennt man dich deswegen Riss?»

«Du lässt zu, dass die Leute dich einen goldgeküssten Sattel nennen», hält er dagegen. «Alles, was du an mir hasst, scheint Midas schon tausendmal getan zu haben.»

Er hat recht. Und auch dafür hasse ich ihn.

Die Haut um meine Augen spannt, aber ich kann nichts sagen, weil Selbsthass mir die Kehle zuschnürt.

Riss mustert mich mit schräg gelegtem Kopf. «Er spielt seine Karten sehr geschickt aus, um ohne Macht König zu sein. Benutzt dich mit vorausschauender Heimlichtuerei. Kein Wunder, dass er dich in einem Käfig hält.»

Auf keinen Fall rede ich über meine Gefangenschaft. Allein beim Wort ‹Käfig› überzieht kalter Schweiß meinen Rücken.

«Wie veränderst du dein Aussehen?», frage ich, um das Thema zu wechseln. «Wie zur Hölle kann es sein, dass bisher niemand verstanden hat, dass ihr beide in Wirklichkeit dieselbe Person seid?»

So wütend ich auch bin, dass er mich getäuscht hat … noch wütender bin ich auf mich selbst, weil ich die Wahrheit nicht erkannt habe. Selbst mit den fauligen Linien, die über sein Gesicht kriechen, selbst mit den grünen Augen und den Schatten, in denen er sich verkrochen hat, hätte ich ihn erkennen sollen. Ich war lange genug mit Riss zusammen, dass ich ihn hätte erkennen müssen.

Ravinger besitzt dasselbe kantige Kinn, dasselbe schwarze Haar. Riss sieht nur mehr wie ein Fae aus. Schärfer. Kein Wunder, dass die Leute sagen, der gefürchtete Kommandant wäre von König Fäule mutiert worden … weil Riss einfach anders aussieht. Die Knochenstruktur seines Gesichts, die Spitzen seiner Ohren, die Stacheln auf seinem Rücken und an seinen Armen, alle scharf genug, um Glas zu schneiden, und vollkommen anders als jede Person, die ich bisher getroffen habe.

In seiner Ravinger-Form wirkt er seltsam wegen dieser über sein Gesicht kriechenden, dunklen Linien, die wie Schatten über seine Haut huschen, einige davon verborgen von seinem Bart. Ich frage mich, wie weit diese Linien reichen. Ich frage mich, was sie bedeuten.

Doch selbst mit diesen Abweichungen sehen sich Riss und Ravinger ähnlich genug, dass ich es hätte bemerken müssen. Sobald der König den Raum betrat, hätte ich spüren müssen, wer er wirklich war. Ob nun grüne Augen oder schwarze, mit oder ohne Stacheln, runde oder spitze Ohren, ich hätte es wissen müssen.

Beide Erscheinungen sind atemberaubend attraktiv, ihr Aussehen scheint fast nicht von dieser Welt. Und er mustert mich mit demselben intensiven Blick wie immer, egal welche Augenfarbe er gerade zeigt.

«Ein erlerntes Manöver», antwortet er schlicht. «Die Leute sehen, was sie sehen sollen. Glauben, was man ihnen erzählt. Aber das muss ich dir ja nicht erklären, nicht wahr? Midas nutzt das schon seit Jahren zu seinem Vorteil.» Riss spricht mit offensichtlicher Abscheu. «Wieso zur Hölle solltest du alle glauben lassen, dass er derjenige mit der goldenen Macht ist, obwohl du es die ganze Zeit über warst?»

Fast verdrehe ich angesichts seiner ärgerlichen Verwirrung die Augen.

«Machst du Witze? Ich war froh, meine Magie zu verstecken. Das erste Mal, als Gold von meinen Fingerspitzen getropft ist, wusste ich, dass ich in Schwierigkeiten stecke. Hast du eine Ahnung, was Leute mit einem Mädchen anstellen, das alles in Gold verwandeln kann?» Ich schüttele den Kopf, streiche mir erschöpft über die Stirn. «Nein. Diese Welt hat mich genug ausgebeutet.»

Ausgebeutet, benutzt … und das war, als ich nur golden aussah. Ich will nicht mal darüber nachdenken, was hätte geschehen können, wenn ich damals nicht weggelaufen wäre. Hätte ich mich noch in Derforthafen befunden, als meine Macht sich manifestiert hat, wäre mein Leben noch viel schlimmer verlaufen. Ich wäre niemals entkommen. Bei dem Gedanken überläuft mich ein kalter Schauder.

Die Stacheln auf Riss’ Rücken krümmen sich, fast wie Finger, die sich zu Fäusten ballen. Gleichzeitig huscht ein undeutbarer Ausdruck über sein Gesicht. «Und jetzt? Hast du immer noch das Gefühl, dich verstecken zu müssen, Auren?»

Meine goldenen Augen halten seinen Blick. «Frag mich das nicht.»

«Warum nicht?», erwidert er in herausforderndem Ton.

«Weil du willst, dass ich die Wahrheit aus den falschen Gründen preisgebe.» Trauer breitet sich in mir aus, und Enttäuschung legt sich um meine Schultern wie ein Mantel. «Du willst, dass ich mein Versteck verlasse, um Midas zu ruinieren.»

Sein Schweigen – seine Unfähigkeit, diese Anschuldigung zu leugnen – verrät alles.

Zuerst Midas, jetzt er. Ich will vor jedem verdammten König in Orea weglaufen und mich verstecken, wo keiner von ihnen mich jemals finden kann. Wie viel kann ich noch ertragen?

Es fällt mir schwerer und schwerer, hier zu stehen, in Riss’ Gesicht zu sehen, während diese allumfassende Enttäuschung mein Herz durchbohrt.

«Ich möchte, dass du jetzt gehst, Riss», sage ich erneut und hoffe, dass er diesmal auf mich hört.

«Ich habe dir gesagt, dass du mich Slade nennen kannst.»

«Nein, danke», antworte ich knapp und genieße die Frustration, die in seinen Augen aufblitzt. «Stattdessen werde ich vor Euch knicksen, Eure faulende Majestät.»

Er wirft mir einen finsteren Blick zu. «Schön. Ich werde gehen. Wenn du mir noch eine Sache verrätst.»

«Was?», will ich ungeduldig wissen.

Riss lehnt sich so weit vor, dass unsere Gesichter dicht an dicht sind; er kommt mir so nahe, dass ich die Hitze seines Körpers spüre. «Wieso hast du geschrien?»

Ich blinzele, überrumpelt von seiner Frage. «Ich … ich habe nicht geschrien.»

Er wirkt ganz und gar nicht überzeugt, meine gestammelte Antwort war dabei sicher auch nicht sehr hilfreich. «Hmmm. Vielleicht sollte ich mir ebenfalls Feder und Papier holen, um die Lügen zwischen uns zu dokumentieren.»

Arschloch.

«Du hast dich geirrt. Du hast mich nicht schreien hören», lüge ich, obwohl mein Herz heftig rast. Ich hoffe inständig, dass er es nicht bemerkt.

Tatsächlich habe ich mich gefühlt wie ein gefangenes Tier. War bereit, die Tür mit Fingernägeln zu zerfetzen, weil die Wachen mich in diesem Raum eingesperrt haben, ohne jede Fluchtmöglichkeit. Aber das werde ich jetzt nicht zugeben. Nicht ihm gegenüber.

Riss hebt herablassend eine Augenbraue. «Wirklich? Also habe ich mir nur eingebildet, dass du gebrüllt hast? Dass du darum gebettelt hast, freigelassen zu werden?»

Scheiße.

Es kostet mich große Mühe, meine Miene ausdruckslos zu halten, er ist mir viel zu nahe. «Vielleicht leidet dein Gehör, wenn du diese hässliche Zweigkrone auf deinem Kopf trägst.»

Zu meinem Ärger grinst er mich schief an. Ich verabscheue, dass der Anblick mir das Herz verkrampft.

Obwohl wir keine dreißig Zentimeter voneinander entfernt sind, beugt Riss sich noch weiter vor, bis ich nach Luft schnappe. Er raubt mir den Atem und treibt meinen Pulsschlag nach oben.

Wir stehen fast Brust an Brust. Er senkt den Kopf, ich lege meinen in den Nacken. Wir mustern einander, während viel zu viele verworrene Gefühle hinter unseren Augen lauern und keine Hoffnung besteht, sie je zu ergründen.

Welche Worte stehen im stummen, aufgewühlten Blick dieses Mannes geschrieben? Wieso fühle ich mich, als würde ich von innen heraus zerquetscht? Er besitzt eine Macht über mich, die nichts mit seiner Aura zu tun hat. Es liegt vielmehr daran, wie mein Blick seine Lippen fixiert, als er Luft holt.

Wieder schenkt er mir dieses aufreizend schiefe Lächeln. «Mmmm. Ich mag deine Wut, Goldfink. Wenn sie nur nicht gegen mich gerichtet wäre.»

Ich will ihn anschreien, doch bevor ein Wort über meine Lippen dringen kann, hebt er die Hand und packt eines meiner Bänder. Ich erstarre, und mein Herz rast.

Wir beide senken den Blick auf seine Finger. Und als er die geschmeidige, goldene Länge sanft liebkost, stockt mir der Atem.

Das Band vibriert sacht zwischen seinem Daumen und Zeigefinger, es scheint fast zu schnurren. Die anderen Bänder erschauern und entspannen sich dann, als könnten sie es ebenfalls spüren. Er streichelt das Band weiter, auf eine Weise, die vollkommen neu für mich ist. Auf meinen Armen bildet sich Gänsehaut.

Ich sollte mich ihm entziehen. Ich sollte zurückweichen. Ich sollte irgendetwas unternehmen, um Abstand zwischen uns zu bringen.

Aber das tue ich nicht. Ich bleibe, wo ich bin, ohne wirklich erfassen zu können, warum.

Seine Nähe, sein Blick, all das erschwert mir das Denken. Ich funktioniere einfach nicht richtig, solange sein Atem mein Gesicht streift, ich seine leichte Berührung spüre.

Ich darf nicht vergessen, wer er ist und wozu er fähig ist. Ich muss wachsam bleiben, jetzt mehr als jemals zuvor.

«Du solltest sie immer frei lassen», sagt er leise, und aus irgendeinem Grund steigen mir erneut Tränen in die Augen.

Ich mag diese Gefühle nicht, die sich um mich sammeln. Ich will mich an meiner Wut festklammern; will, dass sie mir hilft, ihn von mir zu stoßen. Die Luft zwischen uns wird schwerer, so als hätten wir den lichten Waldrand hinter uns gelassen und wanderten durch das dichte Unterholz. Hier herrscht ein solches Durcheinander von Ästen und Dornenranken, dass ich es nicht durchdringen kann, ohne tiefe Kratzer zu erleiden.

Es kostet mich Mühe, aber es gelingt mir, mich zu räuspern und zu flüstern: «Geh, Riss. Bitte.»

Seine Miene wird ausdruckslos, und der Moment, den wir geteilt haben, verpufft. Er lässt mein Band fallen. Sofort sinkt es zu Boden, welk wie eine Blüte, in einem stillen Seufzen des Bedauerns.

Als Riss zurücktritt, fühle ich mich erleichtert und gleichzeitig so, als hätte man mir etwas geraubt. Doch ich bemühe mich, gar nichts zu empfinden.

Riss öffnet den Mund, als wolle er noch etwas sagen, aber dann erstarrt er und legt den Kopf schief, als höre er etwas.

Sofort stellen sich meine Nackenhaare auf. «Was ist?»

«Hm, scheinbar kann ich noch nicht aufbrechen.»

«Und wieso nicht?»

Sein nervtötendes, schiefes Grinsen erscheint erneut, doch jetzt wirkt es anders. Dieses Grinsen ist … boshaft und erfüllt mich mit Grauen. «Weil dein goldener König kommt. Ich glaube, ich werde noch bleiben und Hallo sagen.»

Kapitel 2

Auren

Meine Augen weiten sich. «Midas kommt zurück?»

Riss hebt eine Augenbraue. «Was ist los? Macht dich diese Tatsache etwa nicht glücklich?»

Ich presse die Lippen zusammen, weil Frust durch mich hindurchrauscht. Wenn Midas fast hier ist, bleibt mir keine Gelegenheit mehr, mich davonzuschleichen.

Aber wenn ich ehrlich bin, war dieses Vorhaben sowieso unrealistisch. Ich hätte mich in dieser Burg schon sehr gut auskennen und eine Menge Glück haben müssen, um zu verschwinden, ohne dass Midas etwas erfährt. Und selbst wenn es mir durch einen günstigen Umstand gelungen wäre, wirklich zu fliehen … Es wäre nur eine Frage der Zeit gewesen, bis er mich aufgespürt hätte. Er wird niemals erlauben, dass ich ihn verlasse.

Ich bin gefangen. Ein Sattel, gehalten von Zügeln.

«Du musst jetzt verschwinden», beharre ich.

Zu meinem großen Ärger sieht Riss mich nur an, ohne sich einen Zentimeter zu bewegen. «Warum?»

Ich blinzele ungläubig. «Wenn Midas dich hier drin entdeckt …»

«Was will er machen? Mich in Gold verwandeln?», höhnt Riss, ein bösartiges Glitzern in seinen Augen. Wie selbstgefällig er ist. Aber wieso sollte er das auch nicht sein? Er hält Midas’ größtes Geheimnis in Händen.

Ich zittere fast vor Anspannung. «Du …»

Er schenkt mir ein hinterhältiges Lächeln. «Entschuldige mich, während ich in meinen anderen Mantel schlüpfe.»

Bevor ich mich wappnen kann, erhebt sich brodelnd seine Macht. Übelkeit dreht mir den Magen um. Ich sacke am Türrahmen zusammen, würge beinah angesichts der aufgewühlten Magie, die jetzt die Luft erfüllt.

Riss beginnt erneut, sich zu verwandeln. Ich beobachte, wie sein Gesicht an Schärfe verliert. Seine spitzen Fae-Ohren runden sich, seine scharfen Wangenknochen werden weicher und die grauen Schuppen lösen sich auf. Die Reihe kleiner Stacheln über seinen Brauen verschwindet innerhalb eines Wimpernschlags, genauso schnell wie die an seinen Armen und auf dem Rücken.

Während Riss verblasst und König Ravinger zurückkehrt, läuft ein Zittern durch seinen gesamten Körper. Er lässt die muskulösen Schultern kreisen, und dunkle, heimtückische Linien erscheinen unter der Haut an seinem Hals. Sie kriechen höher, bis sie seinen Kiefer erreichen, wie Wurzeln auf der Suche nach besserer Erde.

Ich hole Luft, atme gegen die Übelkeit an. Doch bevor sie mich überwältigen kann, verschwindet seine Macht und damit auch mein Brechreiz. Zitternd sacke ich in mich zusammen und starre ihn an.

Seine Transformation ist beendet. Als er erneut die Augen öffnet, ist der vertraute, schwarze Blick verschwunden. Stattdessen schaue ich in die dunkelgrünen Augen eines niederträchtigen Königs.

Wende dich ab, weise ich mich selbst an.

Ich darf ihn nicht weiter anstarren. Jedes Mal, wenn unsere Blicke sich treffen, verkrampft sich mein Magen, meine Brust schmerzt, und ich fühle mich, als kenne ich ihn überhaupt nicht.

Mein Herz rast erneut, aber ich weiß nicht, ob das die Nachwehen seiner Macht sind oder ob er mir in dieser Gestalt Angst einjagt – ob König Ravinger mir Angst einjagt. Seltsam, die Schuppen und Stacheln verschwinden, und er wird trotzdem beängstigender.

Ich sehe diese Version von ihm nicht gern. Egal, wie sehr ich auch versuche, mich daran zu erinnern, dass Riss vor mir steht, für mich wirkt er wie ein Fremder. Ein Fremder, dem zu vertrauen ich nicht wage.

Meine Beklommenheit schlägt in Angst um. Ich drehe mich um und taumle in Midas’ Schlafzimmer. Ich brauche den Abstand zwischen uns, brauche diese Flucht.

Doch ich komme nur ein paar Schritte weit, bevor ich über etwas stolpere. Es gelingt mir, mich zu fangen, ehe ich zu Boden stürze, nur um festzustellen, dass mein Fuß sich an einer Leiche verfangen hat.

«Große Göttlichkeit …» Ich schlage mir die Hand vor den Mund, während ich entsetzt auf die Person herunterstarre, die vor meinen Füßen liegt.

Die Augen des Wachmanns sind geschlossen, dafür steht sein Mund offen. Sein goldener Brustpanzer glänzt, doch die Haut darunter ist verwelkt und grau. Er ist wie eine Traube, die gepflückt und zu Boden geworfen wurde, um dann in der Sonne zu vertrocknen.

Mein Blick gleitet von ihm zu einer weiteren Leiche, einem zweiten Wachmann in derselben Verfassung. Und dann entdecke ich noch einen und noch einen und noch einen.

Ein gequälter Laut entringt sich meiner Kehle, und ein alarmierendes Klingeln erfüllt meine Ohren. Aber ich kann den Blick nicht von den Leichen abwenden, von den vertrockneten Augen, die für alle Ewigkeit schockiert ins Leere starren. Kann mich nicht von den eingesunkenen Wangen abwenden oder den rauen, aufgeplatzten Lippen.

Dazu … dazu ist Ravinger fähig.

In einer Sekunde waren all diese Männer noch am Leben, und in der nächsten sind sie nichts als vertrocknete Hüllen.

Ich fühle, wie meine Brust sich heftig hebt und senkt, doch egal, wie schnell ich auch atme, ich bekomme einfach nicht genug Luft. Ein einziger Gedanke wirbelt durch meinen Kopf.

Hätte ich dasselbe getan?

Wäre die Sonne nicht untergegangen, wäre meine goldene Macht noch aktiv gewesen. Hätte ich die Tür aufbrechen können, wäre ich dann statt Ravinger diejenige gewesen, die all diese Männer getötet hätte?

Ich fühle Tränen in meinen Augen brennen. Vielleicht ist das die einzige mögliche Verteidigung meines Körpers, um diesen Anblick vor mir zu verschleiern. Aber es funktioniert nicht.

Doch dann tritt Ravinger vor mich und verstellt mir die Sicht. Das allerdings funktioniert. Ich mustere seinen Körper, sein Gesicht, bis wir uns schließlich ansehen. Der Blick aus grünen Augen streicht über meine Miene wie Wind über aufgewühltes Wasser.

«Du musst atmen, Auren.»

«Ich atme», blaffe ich.

«Du wirst hyperventilieren, wenn du so weitermachst», antwortet er ruhig. «Hast du bisher den Tod nur in der Farbe deiner eigenen, goldenen Macht gesehen?»

Fast hätte ich bitter aufgelacht. «Ich habe schon jede Menge Tod gesehen.»

Alte, zerknitterte Erinnerungen entfalten sich eine nach der anderen. Ich habe den Tod in der Nacht kennengelernt, als ich von zu Hause gestohlen wurde … und seitdem verfolgt er mich.

«Diese Männer hatten das nicht verdient», sage ich und wische mir wütend eine Träne von der Wange, die von meinen Wimpern getropft ist.

«Dem möchte ich widersprechen. Sie haben dich gegen deinen Willen festgehalten.»

Meine Augen blitzen auf. «Sie haben einfach nur Befehle befolgt. Haben getan, wozu man sie angewiesen hat.» In meinem Geist tauchen all die Anweisungen auf, die mir je gegeben wurden. «Ich wollte …» Ich hasse, dass meine Stimme bricht. «…das hier nicht.»

Schuldgefühle, die in der Stille immer weiter an Kraft gewinnen, schnüren mir die Kehle zu.

«Diese goldenen Augen, so ausdrucksstark», murmelt Ravinger. «Im einen Moment zeigen sie Hass, im nächsten nur Herz.»

Ohne seinen waldgrünen Blick von mir abzuwenden, hebt er eine Hand. Instinktiv zucke ich zusammen. Er hält inne, und seine Miene verfinstert sich ob meiner Reaktion. «Ich werde dir nicht wehtun, Goldfink.»

Doch mein Gesichtsausdruck verrät ihm, dass er das bereits getan hat.

Mit zusammengebissenen Zähnen dreht er die Hand, als bediene er einen unsichtbaren Türknauf. Langsam kriechen die dunklen Linien seiner Macht über die Handfläche, schlingen sich um seine Finger wie Efeuranken.

Wie eine Brise fühle ich erneut seine Macht über mich hinweggleiten. Ich bereite mich innerlich auf die Übelkeit vor, doch sie kommt nicht. Diesmal spüre ich keine verderbte Falschheit. Magie bringt die Luft in Bewegung wie ein vorbeischwebender Geist, lässt sie in meine Lungen strömen.

Ich zittere nicht, muss nicht würgen, und mir wird auch nicht flau. Ich spüre keinen Brechreiz. Stattdessen pulsiert Energie um uns herum. Meine Bänder strecken sich, wo sie aus meiner Haut wachsen, und Gänsehaut rieselt über meinen Rücken.

Plötzlich erfüllt Husten den Raum. Alarmiert wirbele ich zu den Geräuschen herum. «Was …» Überall um mich herum rollen sich die liegenden Wachmänner zur Seite oder setzen sich auf, versuchen keuchend, das Sandpapier aus ihren Kehlen zu tilgen, schnappen mit aufgesprungenen Lippen nach Luft.

Mit weit aufgerissenen Augen starre ich Ravinger an. «Wie hast du … Ich dachte, sie wären tot!»

Er senkt die Hand. Die Linien auf seiner Handfläche sind verschwunden. «Das wären sie auch gewesen, hätte ich noch länger gewartet. Die Verwesung eines Körpers kann nur für eine gewisse Zeit rückgängig gemacht werden.»

Ich schüttele den Kopf, blinzele, während die Soldaten sich erheben. Sie sind verwirrt; wirken, als hätten sie dem Tod ins Auge geblickt und wären sich nicht sicher, wie sie die Grenze zurück ins Land der Lebenden überschritten haben.

«Du hast einfach … du … warum?», frage ich atemlos, weil ich ihn schlicht nicht verstehe.

Ravinger bekommt allerdings keine Gelegenheit, mir zu antworten, denn die Schlafzimmertür wird aufgestoßen.

Midas stoppt abrupt im Türrahmen. Seine goldene Tunika und Hosen glänzen im schwachen Licht; lassen sein honigblondes Haar aus irgendeinem Grund noch heller wirken. Seine Miene verrät seine Überraschung, als er das Geschehen im Raum erfasst. Sein gebräunter, scharf geschnittener Kiefer spannt sich an. Er mustert die stolpernden Wachen, die sich vergeblich bemühen, Haltung anzunehmen, dann fällt sein Blick auf mich. Als er Ravinger neben mir entdeckt, verzerrt Zorn sein Gesicht.

«Was hat das zu bedeuten? Was zur Hölle denkt Ihr Euch dabei, einfach in meine Privatgemächer vorzudringen?» Ich erkenne Midas’ Stimme kaum, so wütend klingt sie. Er stampft vorwärts und hält neben mir an, allerdings ohne die braunen Augen von dem tödlichen König abzuwenden.

Ravinger scheint unbeeindruckt von Midas’ Zorn. Tatsächlich mustert er Midas mit gelangweilter Erheiterung. Es wirkt, als hätte er nicht nur seine Erscheinung transformiert, sondern wäre gleichzeitig auch noch in einen anderen Charakter geschlüpft. Selbst seine Gestik ist unterschiedlich. Ravinger strahlt Hochmut und Gelassenheit aus; seine schwarzen Brauen sind hochgezogen, und er trägt eine Miene zur Schau, die gleichzeitig gebieterisch und verächtlich wirkt.

Die Stacheln, Schuppen und finsteren Blicke sind verschwunden. Stattdessen sind da ein höhnisch verzogener Mund und Linien auf seiner Haut. Die Krone sitzt schief auf dem Kopf. Kein Wunder, dass niemand vermutet, dass Riss und Ravinger ein- und dieselbe Person sein könnten.

«Oh, ist das gar nicht mein Gästezimmer?», antwortet Ravinger gespielt unschuldig, als er sich im Raum umsieht. «Mein Fehler.»

«Ihr wisst genau, dass es das nicht ist», stößt Midas hervor. «Und was zur göttlichen Hölle habt Ihr mit meinen Wachen angestellt?»

Die Männer husten immer noch leicht, aber zumindest können sie sich auf den Beinen halten. Wenngleich sie aussehen wie wandelnde Tote.

«Oh, die? Ich habe sie ein wenig verwesen lassen.»

Midas wird bleich. «Ihr habt … was?»

Ich behalte die beiden Könige wachsam im Auge, denn ich bin zwischen ihnen gefangen.

Ravinger zuckt mit den Schultern. «Jetzt geht es ihnen wieder gut. Ein wenig Nahrung und Ruhe, und sie dürften recht bald in bester Verfassung sein.»

Ich spüre Midas’ Wut ebenso deutlich, wie ich sie in seinen braunen Augen brodeln sehen kann. «Das ist ein kriegerischer Akt.»

Grüne Augen suchen Midas; der Blick durchbohrt ihn wie ein Speer. «Wäre es Krieg, hättet Ihr es gemerkt», erklärt Ravinger kalt, seine verächtliche Miene wird von einem viel grausameren Ausdruck verdrängt. Mein Blick schnellt zwischen den beiden hin und her, und mir wird die Brust eng.

Midas lässt seinen Zorn für einen Moment schweigend brennen, dann erregt die offene Tür des Käfigraums seine Aufmerksamkeit – die Tür, die jetzt golden glänzt. «Weshalb ist meine Favoritin hier draußen und einem fremden König ausgeliefert?», verlangt er von den Wachen zu wissen.

Daraufhin werden die Männer in ihren Rüstungen noch bleicher. Ich weiß nicht, wie es überhaupt möglich ist, nachdem ihr Teint bereits so grau ist. Ein paar von ihnen werfen nervöse Blicke in meine Richtung. Mir wird bang ums Herz.

Sie haben es gesehen. Sie haben gesehen, wie die Tür zum Käfigraum sich in Gold verwandelt hat. In meiner Wut habe ich mit der Handfläche dagegen geschlagen, um zu entkommen, und habe das ganze Ding vor ihren Augen vergoldet.

Midas’ Blick verdunkelt sich, als ihm klar wird, was sie gesehen haben müssen.

Scheiße.

«Fremder König?», unterbricht Ravinger, scheinbar arglos. «Midas, wir haben vor ein paar Stunden ein Abkommen unterzeichnet, habt Ihr das schon vergessen? Ihr und ich, wir sind jetzt Verbündete», erklärt er mit einem schiefen Grinsen.

«Und doch seid Ihr hier, in meinen Gemächern, setzt Eure Macht gegen meine Wachen ein und steht neben meiner Favoritin, obwohl Ihr kein Recht dazu habt!», blafft Midas. «Wir wissen beide, dass Ihr diese Gemächer nicht mit Euren eigenen Räumlichkeiten verwechselt habt.»

Midas schätzt es nicht, überrumpelt zu werden. Als Planer will er immer genau kontrollieren, wie alles läuft. Dass Ravinger in seinen persönlichen Bereich eingedrungen ist, vermittelt ihm ein Gefühl der Bedrohung; als wäre er ein in die Ecke getriebenes Beutetier.

Ein in die Enge getriebener Midas ist gefährlich.

Ravinger sieht sich im Raum um, mustert das Bett, den Kamin, den Balkon – alles mit gelangweiltem Desinteresse. «Vielleicht irrt Ihr Euch. Vielleicht habe ich das hier wirklich mit meinen eigenen Gemächern verwechselt und habe Eure Wachen verrotten lassen, weil ich dachte, sie versuchten, mich zu überfallen.»

Es ist beinahe ein Knurren, das aus Midas’ Kehle dringt.

«Oder …», fährt Ravinger fort. «Vielleicht wollte ich einfach sehen, wie der amtierende Monarch des Fünften Königreiches lebt.» Grüne Augen huschen zu mir. «Es ist durchaus bemerkenswert, wie die Favoritin des Königs untergebracht ist», sinniert er mit einem leisen Lächeln. «Was, glaubt Ihr, sagt es über einen Mann aus, wenn er eine Frau … im Käfig hält?»

Mein Atem stockt. Ich spüre, wie mein Herz angesichts der Anspannung in der Luft zu rasen beginnt. Panik droht sich wie Seile um meinen Hals zu schlingen, die mich von den Füßen reißen.

Ravinger beobachtet Midas, und Midas beobachtet Ravinger.

Ich beobachte sie beide.

Ravinger will sticheln und piesacken; ein Dorn in Midas’ Fleisch sein. Midas allerdings wirkt, als wollte er Ravinger zu Brei schlagen.

Aber … das kann er nicht.

Normalerweise bin ich die einzige Person, die das weiß. Midas spielt seine Rolle sehr, sehr gut. Schließlich hat er darin eine ganze Dekade Übung. Ein Taschenspielertrick hier, meine taktisch platzierte Anwesenheit dort, die nachträgliche Präsentation von vergoldeten Gegenständen … Er weiß, was er tun muss, um alle glauben zu lassen, er besitze die Macht.