The Darkest Gold – Die Rebellin - Raven Kennedy - E-Book

The Darkest Gold – Die Rebellin E-Book

Raven Kennedy

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Beschreibung

Ihr habt meine Flügel gebrochen. Aber ihr werdet niemals mich brechen … Ich musste fliehen. Es war die einzige Möglichkeit zu überleben. Doch von einem gefährlichen Ort zu flüchten, bedeutet nicht, dass man eine Zuflucht findet. Manchmal landet man nur an einem noch gefährlicheren Ort. Wie Annwyn. Das Reich der Fae. Ein Land voller Magie und Wunder, wo doch an jeder Ecke der Tod lauert. Denn meine goldene Haut macht mich hier zu einem Symbol der Rebellion, zu einer Gefahr für den grausamen König der Fae. Ich muss eine Möglichkeit finden, zurück nach Orea zu kommen, zurück zu dem Mann, den ich liebe – ohne bei dem Versuch zu sterben …  Durch Welten getrennt, durch Liebe verbunden. Band 5 der düster-romantischen Erfolgsserie.

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Raven Kennedy

The Darkest Gold – Die Rebellin

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Anita Nirschl

 

Über dieses Buch

Ihr habt meine Flügel gebrochen. Aber ihr werdet niemals mich brechen …

 

Ich musste fliehen. Es war die einzige Möglichkeit zu überleben. Doch von einem gefährlichen Ort zu flüchten, bedeutet nicht, dass man eine Zuflucht findet. Manchmal landet man nur an einem noch gefährlicheren Ort. Wie Annwyn. Das Reich der Fae. Ein Land voller Magie und Wunder, wo doch an jeder Ecke der Tod lauert. Denn meine goldene Haut macht mich hier zu einem Symbol der Rebellion, zu einer Gefahr für den grausamen König der Fae. Ich muss eine Möglichkeit finden, zurück nach Orea zu kommen, zurück zu dem Mann, den ich liebe – ohne bei dem Versuch zu sterben …

 

Durch Welten getrennt, durch Liebe verbunden. Band 5 der düster-romantischen Erfolgsserie.

Vita

Raven Kennedy wurde in Kalifornien geboren. Ihre Liebe zum Lesen hat sie schließlich dazu gebracht, eigene Welten zu kreieren. Sie hat bereits mehrere Buchserien veröffentlicht, der Durchbruch gelang ihr mit der «The Darkest Gold»-Reihe, einer dunklen Neuinterpretation des König-Midas-Mythos. Die Romane haben sich mehr als eine Million Mal verkauft, die Übersetzungsrechte wurden in etliche Länder lizenziert, eine Verfilmung befindet sich in Vorbereitung. Weitere Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer Homepage: www.ravenkennedybooks.com

 

Anita Nirschl träumte als Kind davon, alle Sprachen der Welt zu lernen, um jedes Buch lesen zu können, das es gibt. Später studierte sie Englische, Amerikanische und Spanische Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2007 arbeitet sie als freie Übersetzerin und hat zahlreiche Romane ins Deutsche übertragen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2023 unter dem Titel «Gold».

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Mai 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Gold» Copyright © 2023 by Raven Kennedy

Published by Arrangement with RAVEN KENNEDY LLC

Redaktion Ulrike Gerstner und Susanne Kregeloh

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München, nach dem Original von A.T. Cover Designs

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-01612-5

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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www.rowohlt.de

Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Wenn du dich darüber informieren möchtest, findest du auf unserer Homepage unter www.endlichkyss.de/thedarkestgold5 eine Content-Note.

Wenn du dich von der Dunkelheit verschluckt fühlst, mögest du dein eigenes Licht werden.

Kapitel 1

Auren

Ich falle.

Hinein in eine laute Leere.

Das ohrenbetäubende Rauschen eines einsamen Fallens.

Ich verschließe nicht die Augen vor der fremdartigen Dunkelheit. Meine Trauer dröhnt wie Donner in einer gebrochenen Brust, während Tränen über meine Wangen strömen wie Regen.

Die Welt zerriss, und ich wurde ihm entrissen.

Es fühlt sich falsch an. So falsch, entzweigerissen zu werden. Als würden sich Finger um meine Rippen legen und mich aufbrechen. Mich aushöhlen.

Heftiger Wind zerrt an meiner Haut. Wirbelnde Luft verschließt mir die Nase und kondensiert auf meiner Zunge. Ein heulendes Tosen rauscht durch meine Ohren. Lichtblitze und Sterne umgeben mich in der gähnenden Dunkelheit.

Und durch all das kann ich den Riss sehen.

Ich kann die gezackten Ränder des aufgeschlitzten Himmels über mir sehen, die verräterische oreanische Luft, eine klaffende Wunde in der Dunkelheit. Flüssiges Gold sickert hindurch und fällt wie gallertartige, glänzende Blutstropfen herunter ins Nichts. Aber dieser Riss entfernt sich immer weiter von mir, als mein Körper mit unaufhaltbarer Geschwindigkeit tiefer in das sternenübersäte Unbekannte stürzt.

Ich bin allein. Allein in dieser dunklen, endlosen Leere, von Slade fortgerissen.

Ich falle und falle, immer weiter weg von diesem Riss. Weiter weg von ihm. Und als wäre das noch nicht furchterregend genug, werden mir plötzlich meine Sinne genommen.

Mein Sehen. Hören. Fühlen. Schmecken. Riechen. Das alles – fort.

Der Schrei, der sich meiner Kehle entringt, existiert ebenfalls nicht mehr. Oder falls doch, kann ich ihn nicht spüren. Kann nicht hören, wie er meine Ohren durchdringt.

Ohne meine Sinne, ohne irgendeine Möglichkeit, wahrzunehmen, was geschieht, verdichten sich meine Trauer und meine Angst. Die Zeit dehnt sich und reißt.

Ich weiß nicht, was in dieser Leere mit mir passieren wird. Ich weiß nicht, ob es sich so anfühlt zu sterben. Aber eines weiß ich.

So

fühlt

es

sich

an

zu

 

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Kapitel 2

Saira Turley

Am Anfang war eine Brücke.

Eine Brücke nach nirgendwo, hieß es.

Eine Brücke, die in der Nichtexistenz existierte. Eine Brücke, über die Menschen gingen und nicht zurückkamen.

Wo Kälte und Farbe sich bekriegten. Erstere siegte, Letztere verblasste.

Und ich … ich ging.

Ich ging über diese Brücke, die nicht enden wollte. Ich schleppte mich durch das karge Grau, durch die Zeit, die zu existieren aufhörte, mit Gänsehaut auf meinen dünnen Armen.

Ich war noch ein Mädchen, aber ich ging. Weil man meinen Vater gezwungen hatte, zu gehen, und er nie zurückgekommen war.

Keiner von ihnen tat das.

Also schlich ich mich auf die Brücke, fest entschlossen, ihn zu finden. Ich sagte mir, dass ich nicht versagen würde. Ich würde nicht umkehren.

Jetzt, wenn die Geschichte erzählt wird, denken die Leute, ich ging weiter, weil ich tapfer war. Aber in Wahrheit war es, weil ich Angst hatte zu fallen.

Also ging ich.

Tage- und jahrelang. Durch Erinnerungen und Augenblicke.

Ich fand bald heraus, dass es nicht einfach nur ein Weg war. Es war eine alles verzehrende Leere, geschaffen aus meiner eigenen Trostlosigkeit. Sie ließ mich glauben, dass ich es ebenso wenig je auf die andere Seite der Brücke schaffen würde, wie ich es auf die andere Seite der Trauer meiner Seele schaffen würde. Sie gingen Hand in Hand. Sie wurden ein und dasselbe – die Reise auf der Brücke und der Weg durch meine eigene Trostlosigkeit. Weil meine Mutter gestorben, mein Vater fortgegangen und ich so völlig allein war, sogar schon bevor ich mich auf diese lange, einsame Wanderung gemacht hatte.

Ich wurde hungrig und durstig auf diesem Weg, und so schrecklich müde. Die kalte Luft ließ seltsame Dinge entstehen, Geräusche, die aus dem nebligen Nichts kamen. Da war die Stimme meines Vaters, der mich aufforderte, weiterzugehen. Die Stimme meiner Mutter, die mich weinend drängte, zurückzukommen.

Aber der farblose Boden war fest und endlos, also schleppte ich mich auf müden Sohlen weiter und weiter und weiter und ließ mich von dem Land durch die Ewigkeit führen. Weil ich nichts hatte, zu dem ich zurückgehen konnte. Ich hatte nichts zu verlieren, wenn ich vorwärtsging. Und der Weg nach unten sah nach einem so langen Fall aus.

Also ging ich weiter.

Bis ich so erschöpft war, dass ich dachte, schließlich doch einfach aufgeben und mich zum Sterben hinlegen zu müssen. Der verlorene Körper und verlassene Geist ausgesaugt durch den leeren Weg.

Aber dann … endete er.

Es ist komisch; ich ging weiter, weil ich schreckliche Angst hatte, über den Rand zu stürzen.

Aber diese endlose Brücke hatte doch ein Ende. Der Weg war Schritt für Schritt da, bis er es plötzlich nicht mehr war.

Also fiel ich am Ende nach alldem trotzdem.

Aber es war eine seltsame Art von Fallen. Ich fiel nicht hinunter, ich fiel hindurch.

Meine aufgeschürften und von Blasen übersäten Füße glitten durch den Schleier des Bodens, während sich meiner Kehle ein Schrei entriss. Ich stürzte hinunter, hinunter, hinunter, durch Erde und Fels, vorbei an Schmutz und Geröll. Wo meine Atemzüge nur Staub waren und der Sand keinen Halt bot.

Ich dachte, dass ich für immer durch die Erde fallen würde, aber dann wurde ich ausgespuckt wie ein bitterer Geschmack, und ich durchbrach die Wolken eines amethystfarbenen Himmels.

Hatte die Erde sich nicht greifbar angefühlt, so schien der Himmel flüssig. Seine Schwere drängte sich gegen mich, als ich von wattebauschartigen Wolken hin und her geschleudert wurde. Der Boden war oben und der Himmel unten, und ich überschlug mich so oft, dass meine Kleider in Fetzen gerissen wurden. Dicke Streifen meines Kleids wehten hinter mir her wie zerrissene Flügel, während ich vergeblich mit den Armen in der Luft ruderte, um irgendwie Kontrolle zu bekommen. Um zu fliegen, wenn alles, was ich tun konnte, fallen war.

Bis ich plötzlich nicht mehr fiel.

Als wäre die Schwerkraft nur ein Windhauch, und ich leichter als das Gras. Meine Zehenspitzen spürten federnden Boden, bevor meine Fersen die Erde berührten, und die zerfetzten Streifen meines Kleids schwebten aufgebauscht um mich herab wie sich wieder anlegende Flügel.

Kaum waren meine beiden Füße gelandet, lief eine Schockwelle durch die Erde wie eine Welle durch Wasser, und mit ihr breitete sich ein Meer leuchtend blauer Blumen aus, die aus dem Erdreich hervorsprossen. Der Boden war nun so fest, wie er sein sollte, die Luft strotzte vor dem Duft der Blüten, und der Himmel fühlte sich nicht mehr an wie eine heftige Strömung, die mich mit sich reißen wollte.

Ich war … hier.

Ich hatte die Brücke nach Nirgendwo überquert und einen neuen Ort erreicht. Ich wusste nicht viel – ich hatte meine Heimatstadt im Siebten Königreich nie verlassen –, aber ich wusste, ich war nicht mehr in Orea.

Und ich war auch nicht allein.

Um mich herum waren Leute, die mich mit großen Augen anstarrten und hoch zu den Wolken blickten, durch die ich gestürzt war. Ich konnte die Magie in der Luft schon damals spüren, auch wenn ich nicht wusste, was dieses Gefühl war. Ich wusste nicht, was diese Zuschauer für mich sein würden. Wusste nicht, was diese spitzen Ohren bedeuteten.

Doch ich würde es bald erfahren.

Jahre würden vergehen, und diese magische Welt würde meine Heimat werden, aber ich vergaß nie diesen endlosen, beschwerlichen Weg auf der Brücke. Im Gegenzug vergaßen die Fae nie, wie ich den Himmel durchbrach wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln. So nannten sie mich seitdem immer.

Also ja, ich hatte Angst zu fallen. Aber ohne das Fallen wäre ich nie gelandet.

Und was für eine wunderschöne Sache es war, zu landen.

Kapitel 3

Auren

Rumms.

Bruchstücke von Bewusstsein stupsen mich an.

Sie stoßen gegen die Barriere meines Geistes, wie ein Stück Holz, das an der Küste gegen einen Felsen brandet. Es ist ein hohler, regelmäßiger Laut, der mich an tote, fortgespülte Dinge erinnert. Manche Bruchstücke haben scharfe, schmerzende Kanten, und andere sind stumpf durch verwaschene, längst verlorene Erinnerungen.

Rumms.

Das Erste, was mit einem kräftigen Rumms gegen mein Bewusstsein schlägt, ist ein Geschmack. Als habe mir die Leere meine Sinne nur genommen, um sie mir langsam wieder zurückzugeben.

Ich schmecke das süße und holzige Aroma von Zuckerrohr auf meiner Zunge. Ich habe den zerfaserten Stängel vor Augen, wie ich die Ränder abschäle, um an das Gute im Innern zu kommen. Ich erinnere mich daran, ein kleines Mädchen zu sein, erinnere mich, die Zuckerrohrstange in den Mund zu stecken und den Zucker herauszusaugen. Das Bild ist so real, dass ich sogar den Sonnenschein spüren kann, der das Zuckerrohr wärmt. Es ist, als wäre ich wieder dort, in Annwyn, und schmecke es noch einmal. Das Wasser läuft mir im Mund zusammen, als der süße Saft auf meiner Zunge explodiert.

Rumms.

Plötzlich umgibt mich Geruch.

Eine Blume. Obwohl ich mich nicht an ihren Namen erinnern kann – nicht einmal, wie sie aussieht. Aber in dem Moment, in dem mich der Duft überfällt, wird eine Erinnerung an meine in der Jacke meiner Mutter vergrabene Nase zu einem Fragment in meinem prismaartigen Verstand. Der Duft ist vollmundig und intensiv, berauschend in seiner blumigen Frische, die in mir den Wunsch weckt, in den Geruch hineinzukriechen und ihn für immer einzuatmen. Aber nicht nur wegen des Dufts – wegen meiner Mutter. Wegen der tröstlichen Weise, mit der er sich ebenso an sie klammerte, wie ich es tat.

Durch diesen Geruch scheint meine Nase wieder zu funktionieren, und die klebrige Luft der Leere ersetzt den Duft meiner Mutter durch etwas Tieferes und viel Aufwühlenderes. Wie eine unberührte Höhle in der Erde, die Tausende Jahre lang nicht durch Licht oder Lufthauch gestört wurde.

Rumms.

Rumms.

Unablässig klopft die nächste Empfindung gegen meine Haut, um ihre Rückkehr zu verkünden. Es entfacht Leben in meinen Gliedern, weckt meine Nerven auf, um zu berühren und zu fühlen.

Der Auslöser ist eine Hand, die meine hält. Die Erinnerung ist so real, dass sich meine Finger krümmen, selbst als das Gefühl des Fallens zurückkehrt und mein Magen zusammen mit dem Rest von mir in die Tiefe stürzt. Aber diese Handfläche, dieser schwielige, warme Griff … Ich kann sein Gesicht nicht sehen, kann seine Stimme nicht hören, doch ich erkenne das Gefühl der Hand meines Vaters wieder. Stark und fest. Sicher. Solange ich sie festhielt, wusste ich, dass mir nichts Beängstigendes oder Schmerzhaftes widerfahren könnte.

Rumms.

Rumms.

Als Nächstes kehrt mein Gehör abrupt zurück, mit einem Stück, das in die Spalten meines Verstands passt und sich wie ein Schlüssel im Schloss dreht.

«Auren!»

Ich höre einen kleinen Jungen meinen Namen rufen.

«A-Auren!» Seine Stimme ist so voller Lachen, dass ihn die Aufregung leicht stottern lässt. Sie lässt meinen Namen wie Luftblasen klingen, die bei jedem Buchstaben auf und ab hüpfen, bis sie am Ende platzen. Die Freude, das pure, überschäumende Glück der Kindheit, begleitet dieses einzelne in die hallenden Echos gerufene Wort.

Es lässt mein Herz schmerzen.

Als die Stimme verklingt, höre ich wieder den Wind an meinen Ohren vorbeirauschen, den grollenden Donner in der Leere.

Und dann kehrt mein letzter Sinn zurück, wie ein Geschenk. In Papier gewickelt, das sich von der Dunkelheit zurückzieht. Es ist die Erinnerung an einen Morgen in Annwyn, sanfte gelbe Sonnenstrahlen strecken sich aus, um die Welt zu liebkosen, wie ein Kuss auf den Horizont.

Es ist, als würden sich meine Augen jäh dem Licht öffnen, obwohl sie nie geschlossen waren.

Mein Sehvermögen kehrt zurück, und ich blinzle hoch zu dem Riss. Er ist jetzt weit, weit über mir und sieht aus wie ein Stück schwarzer Stoff, der von einem Dolch aufgeschlitzt wurde. Er bleibt unbewegt, unerreichbar, während flüssiges Gold weiter aus ihm sickert wie ein glänzender Wasserfall und die Sterne überzieht.

Blitze lodern und zischen neben mir in der Dunkelheit, lassen meine Haut aufleuchten und hinterlassen Streifen im dunklen Äther. Einen Moment lang vergesse ich, mich zu fürchten, weil es so schön ist – dieses Licht in der Dunkelheit.

Aber dann fängt dieser ausgefranste Riss langsam an, sich zu schließen.

Meine Kehle schließt sich mit ihm.

Bumm.

Bumm.

Bumm macht mein Herz.

Hilflos sehe ich zu, wie die Ränder des Spalts miteinander verschmelzen, Finger aus Wachs, die nach mir greifen. Ich stürze hinunter in den Schlund dieser Lücke zwischen Welten, während ihre Kiefer fest zubeißen.

Und ich spüre echte Angst.

Obwohl Kindheitserinnerungen an Annwyn meine Sinne überfluten, stampft Entsetzen über mich hinweg, bis ich völlig niedergetrampelt bin. Ich falle immer noch, und vielleicht bleibe ich hier in diesem Zwischenort mit diesen ausgefransten Erinnerungen feststecken, und das ist alles, was ich haben werde. Vielleicht ist das alles, was ich verdiene.

Der Riss näht sich wieder zusammen, was bedeutet, dass Slade nicht in der Lage sein wird, mir hindurchzufolgen. Die Wahrheit trifft mich wie ein Schlag gegen die Brust. Der Riss schließt sich, und ich bin meiner Macht beraubt, und ich habe keine Ahnung, was ich tun soll, und ich bin allein, und ich falle, stürze ab –

Stürz nicht ab. Fliege.

Slades Stimme durchschneidet das Kaleidoskop meines Verstands. Wie das heiße Zischen von Zinn, das all die verstreuten Teile wieder zusammenlötet, mich wieder zusammenfügt.

Er erdet mich, obwohl ich nichts unter mir habe als Luft.

Du musst hindurchgehen, Süße. Du musst. Ich kann nicht zu dir kommen.

Ich sehe zu, wie sich die letzten Zentimeter der Öffnung schließen, immer weiter, immer schneller. Zerrissene Streifen der Leere fließen zusammen wie Tinte, die über den letzten Zentimeter Papier sickert, um den Riss aufzusaugen, der gemacht wurde – für mich.

Ich wollte nicht gehen. Ich wollte nicht allein gehen.

Sieh mich an.

Meine Augen richten sich auf die sich schließende Naht, als wäre sein Blick immer noch dort. Als wäre er mir nicht bereits verschlossen.

Ich werde dich finden. Ich werde dich in diesem Leben finden.

Jetzt fluten sich meine Sinne mit ihm.

Ich erinnere mich an den Geschmack seiner Haut, als ich an seinem Hals entlangleckte. Seinen Geruch, wenn meine Wange an seiner Brust lag. Das Gefühl seiner Arme um mich. Fest. Beständig. Sicher. Sein Herz, das für mich schlug.

Den Klang seiner Stimme, wenn er mich Goldfink nannte.

Ich erinnere mich an seinen Anblick, als er wie eine Erscheinung vom Himmel herunterkam. Ein grimmiger, wütender Krieger, gekommen, um die Welt verrotten zu lassen, um mich zu beschützen. Diese schillernden Augen, die von Grün zu Schwarz wechselten und sich in mich bohrten, um mir tausend Dinge gleichzeitig zu sagen.

Ich werde dich finden, Goldfink. Das schwöre ich dir.

Und jetzt flieg.

Flieg.

Ein tosendes Krachen erklingt, wie Meereswellen, die aufeinanderprallen. Dann, mit einem letzten Stich, zieht sich der Riss zu.

Vollständig.

Da ist nicht einmal mehr eine Lücke für mein Gold, um hindurchzutropfen. Ich kann nicht erkennen, dass dort überhaupt je ein Riss gewesen ist, und die trostlose schwarze Leere legt sich um mich wie ein erstickender Umhang.

Der Rückweg ist verschlossen. Orea, die Welt, die mir vertraut wurde, ist fort, und alles, was bleibt, ist das gänzlich Unbekannte.

Und ich … Ich habe Annwyn in meinen Gedanken und Slade in meinen Ohren.

Mut machend. Mich erinnernd.

Stürz nicht ab.

 

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Kann ich das?

Einen Atemzug lang schließe ich die Augen. Unterdrücke meine Angst. Verdränge meine Schwäche. Lasse diese kräftige, feste Stimme von ihm erneut in meinen Ohren erklingen, um mich zu stärken. Damit ich mich, wenn ich die Augen wieder aufmache, umdrehen und mich meinem Sturz stellen kann.

Damit Stärke aus der Angst aufsteigen kann.

All das Gold, das sich mit mir durch den Riss ergossen hat, fängt an, sich zu sammeln. Es legt sich in schimmernden Rinnsalen um meinen Körper, als antworte es einem unausgesprochenen Ruf. Sogar die Leere selbst verändert sich mit meiner Stimmung. Die Blitze beginnen, mit goldenen Funken zu sprühen. Die Sterne fangen an, mit einem goldenen Pochen zu pulsieren, das sich dem Rhythmus meines Herzens anpasst.

Ich lächle in der glänzenden Dunkelheit. Denn sobald ich mich zwinge, keine Angst mehr zu haben, wird mir bewusst, dass sich das hier irgendwie … richtig anfühlt.

Als ein weiterer Blitz durch die Luft zuckt, lenkt er meine Aufmerksamkeit nach unten, und ich bemerke einen Stern, der heller ist als die übrigen. Ich spüre, wie er mich zu sich zieht, bis ich vor seinem Licht die Augen zukneife.

Bis ich nah genug bin, um nach ihm zu greifen.

Meine Fingerspitzen streifen über sein blendendes Leuchten, das mich mit Wärme versengt. Sobald ich ihn berühre, bricht er vor dem Schwarz auf wie ein schlüpfendes Ei, und sein Strahlen ergießt sich aus der berstenden Schale. Sein Inneres strömt heraus wie eine Flut, und ich stürze hinein, lasse mich in seinem Fluss aus Sternenschein davonreißen.

Und ich habe keine Angst.

Denn jetzt falle ich nicht mehr. Ich schwebe auf das Unbekannte zu, lasse mich forttragen, ohne weiter zu schreien oder zu kämpfen oder zu fürchten.

Der schimmernde Fluss aus Licht, der mich davonträgt, fühlt sich ein wenig an, wie sich zu verlieben. Schnell und ergreifend, unverhohlen und lodernd. Es ist eine strahlende Geborgenheit, die mich in ihrer Strömung gefangen hält, auf meiner Haut knistert und mich mit Schauern erfüllt.

Ich lasse mich rücklings hineinfallen, als treibe ich auf einem Meer aus Sonnenschein. Ich weiß nicht, wie lange ich in diesem Fließen der Gezeiten bleibe, aber ich treibe eine Ewigkeit in seiner pulsierenden Magie, und sie wärmt mich von innen heraus.

Dann werde ich in die Erde gegossen.

Jedes kleine Funkeln ist nun ein Körnchen fruchtbares Erdreich, das mir die Nase verstopft und den Mund füllt. Ich bin in Treibsand, nur anstatt mich hinunter in die Tiefe zu ziehen, drängt er mich hoch, hoch, hoch, bis –

Ich werde hinaus in einen eigenwilligen Himmel gestoßen.

Die Dunkelheit ist fort. Der Sternenschein ebenfalls. Sogar die Sandkörner, die über meine Haut reiben, verschwinden. An ihre Stelle treten weiches, buttermilchfarbenes Licht und bauschige Wolken aus Seide, strahlend im Schein einer Sonne, die sich so anders anfühlt als die von Orea.

Die Luft ist neu und vertraut zugleich. Sobald ich sie einatme, spüre ich, wie dieses wilde Biest, diese aufbrausende Fae in mir, die Augen öffnet. Dieser Teil von mir schwelgt in diesem Einatmen und gurrt in meiner Brust.

Denn so. So fühlt es sich an zu atmen.

Mit weit offenen Augen, den Mund entspannt und umfangen von der Strömung des Himmels, die mein Blut elektrisiert, breite ich die Arme aus, und mein Biest entfaltet sich mit mir.

Ich spüre meine Faehaftigkeit als Teil von mir, mehr im Einklang mit mir denn je, und in dieser perfekten Verbindung, diesem erfüllenden Moment, drängt etwas heraus.

Wie Federn, die aus Haut hervorsprießen, oder Blütenblätter, die sich an einem Stängel entfalten. Wie Zähne, die leeres Zahnfleisch durchbrechen, oder Licht, das über einen zersplitterten Horizont quillt.

Der Schmerz, der es begleitet, ist überwältigend, aber auch befreiend. Es ist ein Wirbelwind aus Empfindungen, abgehackt durch Verlust und durch Veränderung wiedergeboren.

Ich tauche durch die weichen Wolken, als wäre ich ein Fisch, der durch Wasser schwimmt, bis plötzlich Land unter mir auftaucht. Verlockend.

Willkommen heißend.

Und als ich mich in seine offene Umarmung schmiege, legt sich etwas anderes mit mir – um mich. Der Schmerz ist fort, und alles, was bleibt, ist diese fremdartige, ekstatische Geborgenheit, die sich aus dem Kern meines Wesens losreißt.

Unmittelbar bevor ich lande, spüre ich etwas hinter mir fließen. Als habe ich wirklich aufgehört, abzustürzen. Als habe ich wirklich gelernt zu fliegen.

Es legt sich um meinen Körper wie Fäden der Sonne.

Wie Reifen aus Stahl.

Wie Strahlen der Wärme.

Wie Flüsse aus Licht.

Wie …

B ä n d e r.

Kapitel 4

Auren

Ich lande wie ein flacher Stein, der übers Wasser hüpft. Da ist kein Aufprall, kein Schmerz. Ich gleite einfach in die Landung hinein und sinke in die weiche Decke einer leuchtend blauen Blumenwiese.

Als mein Körper zum Stillstand kommt, liege ich auf dem Rücken und starre hoch zu dem zarten, mit Pusteblumenwolken übersäten Himmel. Meine Ohren klingeln, als hätte ich die Wasseroberfläche durchbrochen, nachdem ich zu tief getaucht war.

Wo bin ich?

Es fühlt sich an, als stütze eine sanfte Tide meinen Körper, aber anstelle von Wasser sind es üppige Blüten, die mich halten. Als ich den Kopf drehe, sehe ich, dass meine Goldmagie die Blüten in der Nähe berührt und einen perfekten Kreis aus vergoldeten Blumen um mich herum erzeugt hat, die anmutig im Licht schimmern.

Die Blütenflut und mein Herzschlag wogen, und während ich mit raschen Atemzügen die wohlriechende Luft einsauge, richte ich mich in eine sitzende Position auf, dabei streifen die goldenen Blumen meine Arme.

Aber das ist nicht alles, was mich streift.

Zuerst bemerke ich es gar nicht wirklich. Ich verbinde die um meine Arme geschlungenen Streifen aus Gold nicht mit der Wirklichkeit. Erst als der Wind einen davon bewegt, bestätigt mir mein Verstand, was meine Augen sehen.

Mir stockt der Atem.

Mein Herz ebenfalls.

Ich sitze hier inmitten von strahlenden Blumen, unter einem lavendelblauen Himmel, und alles, was ich denken kann, ist: Träume ich, oder bin ich tot?

Meine bebenden Hände heben die Bänder neben mir hoch, und ich spüre sie. Nicht nur mit meinen Fingerspitzen, sondern durch ihre gesamte Länge hindurch. Als ich meine Hand zwischen einige davon gleiten lasse, treten mir bei dem herrlich seidigen Gefühl sofort Tränen in die Augen.

Große Göttlichkeit …

Ich zähle sie, wie eine frischgebackene Mutter die Finger und Zehen ihres Babys zählt. Ich fasse alle zwei Dutzend Streifen in meinen Fäusten zusammen, als halte ich die Hand eines Freundes. Als ich leicht daran ziehe, spüre ich die Reaktion in meinem Rücken, entlang meines Rückgrats. Sie fühlen sich seidenweich und von der Sonne geküsst an.

Ein Schluchzen bricht aus meinem Mund. Tränen schlüpfen unter meinen Lidern hervor.

Meine Bänder sind echt.

Sie liegen nicht in Fetzen zu meinen Füßen. Sie sind mir nicht ausgerissen worden wie die Federn eines Vogels und liegen als toter Haufen auf dem Boden.

Sie sind wieder da.

Der Schmerz und das Trauma dessen, was ich empfand, als sie mir genommen wurden, kommen in mir hoch, und ich zittere am ganzen Körper. Sie sind hier, wurden mir zurückgegeben wie ein göttliches Geschenk, und ich spüre ihren Verlust, ihr Fehlen und ihre Rückkehr, alles auf einmal.

«Sie sind wieder da», flüstere ich vor mich hin, während noch mehr Tränen über mein Gesicht gleiten und als goldene Tropfen auf ihren seidenweichen Streifen landen. «Sie sind wieder da.»

Ich bin wieder da.

Denn ohne sie war ich nicht vollständig.

Ich fühle mich, als könnte ich ewig weinen, als könnte ich die herzzerreißende Erleichterung in meiner Seele hinausweinen. Aber ich ziehe einfach nur noch einmal an ihnen. Einfach, um sie zu spüren. Und sie sind immer noch da. Immer noch real.

Ein Lächeln – ein echtes, tief aus dem Herzen kommendes Lächeln – legt sich auf mein Gesicht, noch während meine Tränen weiter fließen, denn sie sind wieder da.

Aber dieses Lächeln erstarrt plötzlich, als mir etwas anderes bewusst wird.

Sie bewegen sich nicht.

Ich versuche, die Muskeln in meinem Rücken anzuspannen, versuche, sie dazu zu bringen, sich zu bewegen, doch nichts geschieht. Mein Lächeln verwandelt sich in ein Stirnrunzeln, als ich an ihnen ziehe, als könnte ich sie aufwecken, und sie hin und her schüttle, damit sie sich regen. Ich ziehe an jedem einzelnen Band, spanne die Muskeln entlang meiner Wirbelsäule an.

Nichts funktioniert.

Sie sind hier, sie sind real, aber sie bewegen sich nicht. Nicht einmal einen Zentimeter. Wie die Haare auf meinem Kopf hängen sie nur schlaff herunter, anstatt sich scheinbar wie mit einem eigenen Willen zu bewegen.

Sie sind einfach nur … reglos.

Mein Herz macht einen Satz, und ich stoße einen zitternden Atemzug aus. Noch mehr Tränen sammeln sich in meinen Augen, aber ich lasse sie nicht fallen. Lasse mich nicht von Panik erfassen.

Meine Bänder sind wieder da. Das ist alles, was zählt, und darauf muss ich mich jetzt konzentrieren. Durch irgendein Wunder sind sie zu mir zurückgekehrt. Selbst wenn ich sie nie wieder bewegen kann, werde ich dankbar sein, denn es ist, als wäre ein fehlender Teil von mir zurückgekehrt.

Vielleicht, nach einer Weile, werden sie sich wieder bewegen. Vielleicht brauchen sie einfach nur Zeit.

Ich wische mir über die Augen, während ich meine Bänder einsammle und sie auf dem Schoß halte, um sie zu bewundern. Sie sind so … strahlend. Mit einem neuen, glänzenden Schimmer, der vorher nicht da war. Sie fühlen sich ebenso weich an wie immer, aber sie fühlen sich auch stärker an. Als wären sie unter ihrem seidigen Äußeren bis ins Innerste verstärkt zurückgekommen.

Vielleicht ergibt das sogar Sinn. Schließlich bin ich ebenfalls stärker. Ich bin nicht mehr dieselbe Frau, die ich war, bevor ich sie verlor, also sind sie auch nicht mehr dieselben Bänder, die sie waren, bevor sie abgetrennt wurden.

Ich wickle einen der Streifen um meine Hand und hebe dann den Blick, um mich umzusehen. Hohe Blumen umgeben mich. Immer noch völlig aufgewühlt stehe ich auf, damit ich besser sehen kann. Aber sobald ich es tue, schreie ich vor Schmerz auf. Zitternd starre ich hinunter auf meine verbrannten, geschundenen Füße, während ich versuche, mich aufrecht zu halten.

Autsch.

Wenigstens weiß ich jetzt, dass ich nicht tot sein kann. Ich bin sicher, der Tod wäre gnädig genug, mir den Schmerz zu nehmen. Was bedeutet, dass ich immer noch von allem gezeichnet bin, was beim Conflux passiert ist.

Der Conflux …

Realität und Erinnerungen lassen mein Adrenalin in die Höhe schießen und versetzen meinen Körper in einen Schockzustand. All meine Freude und Ungläubigkeit weichen Schmerz und Erschöpfung. Das erzwungene Abfließen meiner Macht, das ich ertragen musste, macht sich bemerkbar. Mein Atem zittert, unstet wie Flüssigkeit in einer geschüttelten Flasche, und ich schwanke, als mich eine Welle der Benommenheit mit voller Wucht trifft.

Aber dann höre ich erschrockenes Raunen und Flüstern durch die Luft klingen.

Überrascht wirble ich herum, wobei sich meine Bänder um meine Taille wickeln. Etwa zehn Meter entfernt steht eine Gruppe aus zwei Dutzend Leuten und starrt mich an. Die Blumenwiese, deren Blüten ein sanftes blaues Leuchten ausstrahlen, dehnt sich weiter um uns herum aus, als mein Blick reicht, während sie mich mit purer Ehrfurcht in den Augen ansehen.

Ehrfurcht … und Angst.

Ich öffne den Mund, aber anstatt etwas sagen zu können, ist alles, was herauskommt, ein schmerzhaftes Keuchen. Meine Beine beben unter mir. Stimmen beben vor mir.

«Sie ist … golden.»

«Habt ihr den Himmel gesehen? Habt ihr gesehen, wie sie heruntergefallen ist?»

«Genau wie der Vogel mit gebrochenen Flügeln!»

«Seht euch ihren Rücken an!»

«Kommt weg von hier! Wir dürfen nicht hier sein!»

«Aber seht doch! Sie ist golden! Wie kann sie golden sein, außer –»

Mein Blick schwingt hin und her wie ein Pendel, Schwindel lässt meine Sicht unscharf werden. «Ich …»

Worte lassen meinen Mund im Stich, aber ich sehe, dass eine Person vorwärtskommt. Während ich versuche, auf den Beinen zu bleiben, legt sie die Hälfte des Abstands zwischen uns zurück und bleibt erst stehen, als ich versuche, zurückzuweichen, und von dem Schmerz, der durch meine verbrannten Fersen emporschießt, beinahe zusammenbreche.

Sie hat hauchdünne Haare, als wüchsen seidige Spinnweben aus ihrer Kopfhaut, die sie zu einem bauschigen Dutt zusammengefasst hat. Ihre betagten grauen Augen sind groß und suchend, als sie mich anstarrt, als habe sie einen Geist gesehen.

«Lyäri Ulvêre», stößt sie hervor und schlägt sich eine Hand vor den faltigen Mund, als ihr Blick auf meine Bänder fällt, die an meinem Rücken herunterhängen.

«Was?» Meine Stimme fühlt sich so weit entfernt an, dass ich sie kaum mit meinen eigenen Ohren hören kann.

Hinter ihr wird das Geflüster lauter, als ihre Worte wiederholt werden. Ich kann regelrecht spüren, wie greifbares Staunen durch die kleine Gruppe wogt.

«Ihr seid gekommen, genau wie sie gekommen ist – der Vogel mit gebrochenen Flügeln.»

Ich weiß ja nicht, was den Vogel angeht, aber ich fühle mich gerade wirklich ein wenig gebrochen.

«Ihr seid die Lyäri Ulvêre», sagt sie noch einmal mit erstickter Stimme.

Meine eigene Stimme kommt keuchend heraus und meine Schläfen pochen, als sich Schwindel tiefer in meinen Verstand zu schrauben beginnt. «Ich verstehe nicht …»

Eine Träne rollt über ihre Wange, obwohl ein Lächeln an ihren dünnen Lippen zieht. «Es bedeutet, dass alles gut ist, Lady Auren. Weil Ihr zu Hause seid.»

Der Schock über ihre Antwort ist der letzte Tropfen, er lässt mich zusammenbrechen. Mit schmerzenden Füßen falle ich auf die Knie. Mein Mund funktioniert nicht. Mein Verstand ist zu erschüttert, um alles zu verarbeiten. Ich bin ausgelaugt. So unglaublich ausgelaugt. Nicht nur meine Macht, sondern ich. Durch das, was beim Conflux passiert ist, den langen, einsamen Sturz und den Schock über ihre Worte. Lähmende Schwäche erfasst mich, während meine Sicht verschwimmt.

Aber ihre Stimme umkreist meinen Verstand wie eine Garnspule, die mir die Brust zuschnürt.

Weil sie gesagt hat, dass ich zu Hause bin.

Weil sie meinen Namen gesagt hat.

Ihre Worte schallen laut, laut in die bewusstlose Dunkelheit hinein.

Kapitel 5

Slade

Ich bin still.

Der Wind peitscht mit donnerndem Lärm, mein Blut pocht mir in den Ohren, und unter meinen Rippen brüllt Wut, ohrenbetäubend und endlos.

Aber ich bin still.

Still, während ich die Zügel der Waldschwinge umklammere. Still, während die Wurzeln meiner Fäule unter meiner Haut pulsieren, mich mit wütendem Beben zu durchbohren versuchen. Still sogar, während etwas direkt in meinem Herzen schlägt, das reine Qual ist. Reine Verkehrtheit. Als wäre mir eine Arterie aus der Brust gerissen worden, wodurch Gift ungehindert in meinen Körper sickert. Weil sie mir entrissen wurde.

Stille ist die einzige Möglichkeit, es im Zaum zu halten.

Als sich eine Lücke in den Wolken öffnet, als ich das Dritte Königreich unter mir ausgebreitet sehe, leite ich also den Sinkflug ein, ohne einen einzigen Laut von mir zu geben.

Die Luft rauscht pfeifend an uns vorbei, das Tier unter mir brüllt, und ich beobachte mit stummer Konzentration, wie Burg Gallriff in Sicht kommt. Sie steht stolz auf einer felsigen Steilküste dreißig Meter über dem Wasser. Hinter ihr erhebt sich eine Ufermauer, der Stein fleckig vom jahrzehntelangen Schutz der Burg vor der Invasion der Gezeiten und gefährlichen Wellen.

Im Moment jedoch ist das Meer ruhig. Schiffe schaukeln sanft auf dem türkisfarbenen kristallklaren Wasser, dessen Glitzern einen Kontrast zu den sandig weißen Mauern der Burg und ihren korallfarbenen Dächern bildet, die sich spitz in den Himmel recken. Zu ihren Füßen fällt die Küste sanft zur Hauptstadt hin ab, die sich weit in die grüne Landschaft hinaus ausdehnt. Zwei- und dreistöckige Gebäude vermischen sich mit der üppigen Vegetation.

Es sieht wunderschön aus. Der Inbegriff eines wohlhabenden, malerischen Königreichs, das in Frieden gedeiht. Ein Frieden, den ich zerstören will.

Die stille Wut in mir wartet den richtigen Moment ab. Ein abgeschnittenes Band ruht leblos und still in meiner Tasche.

Seit dem Conflux sind zwei Wochen vergangen. Viele dieser Tage gingen durch den Versuch, Todbrunn so schnell wie möglich zu erreichen, verloren. Aber das Dorf Drollard, mein geheimer Zufluchtsort in den Bergen des Fünften Königreichs, liegt nun leer da, in einem gefrorenen Grab gefangen. Der Riss in der Höhle ist spurlos verschwunden, zusammen mit allen anderen dort.

Einschließlich meiner Mutter.

Ryatt brach in Panik aus. Rannte hinaus in einen Schneesturm, um nach ihr und den anderen Dorfbewohnern zu suchen. Aber wir wussten beide, dass er sie nicht finden würde. Wir wussten beide tief in uns, wohin sie verschwunden waren.

Zurück durch den Riss. Zurück nach Annwyn … oder tot.

Seitdem habe ich jeden Tag versucht, einen neuen Riss zu öffnen.

Und jeden Tag habe ich versagt.

Ryatts Verzweiflung ist beinahe so heftig wie meine. Ich habe die panische Enttäuschung in seinem Gesicht gesehen, jedes Mal, wenn es mir nicht gelang, obwohl er nie etwas gesagt hat. Das brauchte er auch nicht, denn seine Emotionen spiegelten sich in meiner Brust wider.

Egal, wie oft ich versuche, ein Loch in die Welt zu reißen, um die Dorfbewohner und meine Mutter zu finden, um zu Auren zu gelangen, ich kann es nicht.

Meine Fäulnismagie ist mit voller Kraft zurückgekehrt, aber die rohe Macht, die nötig ist, um einen Riss in der Welt zu erzeugen, ist nicht wiedergekommen.

Ich habe alles, was ich konnte, in den Riss beim Conflux strömen lassen. Es war das erste Mal, dass ich allein einen Riss erzeugt habe, ohne dass die Macht meines Vaters auf meine geprallt war. Und als das geschah, als meine ganze Macht in diesen Riss in der Luft floss, um Auren zu retten, muss das etwas mit dem Riss in Drollard gemacht haben. Es muss ihn in sich zusammenfallen lassen haben, wodurch er alles aufsaugte, was durch ihn hindurchgekommen war. Ein Riss öffnete sich, ein Riss schloss sich.

Jetzt bin ich hilflos. Unfähig, einen weiteren zu öffnen. Unfähig, meine Mutter zu finden oder Auren zu folgen.

Und das ist Königin Kailas Schuld.

Meine Hände umklammern die Zügel fester.

Das alles – dass Auren zu einer Verbrecherin erklärt und Lady Betrügerin genannt wurde, die angeblich Macht stiehlt und Könige verführt –, das waren Königin Kailas Worte gewesen, die diese Geschichte spannen. Sie war es, die die anderen Monarchen aufhetzte, die den Conflux anzettelte. Sie war es, die ihren Bruder und Soldaten geschickt hatte, um Auren aus meiner eigenen verdammten Burg zu entführen.

Wenn sie das alles nicht getan hätte, wäre Auren immer noch hier, in Sicherheit. Stattdessen ist sie jetzt eine ganze Welt entfernt, und ich kann verdammt noch mal nicht zu ihr gelangen.

Jeden Tag, jede Minute wächst mein Zorn.

Zu etwas Abgrundtiefem, Bösem. Er hat die ohnehin bereits verdorbene Fäulnis in meinen Adern vergiftet. Er hat alles andere still werden lassen. Hat die Fae-Instinkte in mir zu einer lautlos schneidenden Klinge geschärft.

Und ich werde sie benutzen.

Denn sie haben versucht, Auren zu bestrafen. Versucht, sie hinzurichten.

Königin Kaila hat sich gegen mich gewendet – alle Herrscher haben das getan. Es ist höchste Zeit, dass ich sie und alle anderen daran erinnere, warum genau man sich mit mir und den meinen nicht anlegen sollte.

Meine geborgte Waldschwinge senkt sich herab. Wappen nenne ich das junge Männchen, da es einen Fleck auf der Brust hat, der wie das Wappen eines Adelshauses aussieht. Obwohl diese Tiere von Natur aus aggressiv und misstrauisch sind, scheinen sie schon immer eine Art Verwandtschaft zu mir zu empfinden – genau wie Botenfalken. Ich fand Wappen im Waldschwingenhorst von Drollard, und obwohl ich noch nie zuvor auf ihm geritten bin, hatte er kein Problem mit mir. Er hat sogar gelernt, meine Bewegungen vorauszuahnen und meine Stimmungen wahrzunehmen. Im Moment sträubt er auf einschüchternde Weise seine Kopffedern, während wir tiefer fliegen.

Die Vorderseite der Burg des Dritten wirft einen Schatten auf den sandigen Burghof. Zwei Türme ragen an beiden Seiten der gewaltigen Tore auf, die mit leuchtenden Korallen verziert sind, und die Vordertreppe, die zu diesen Toren hinaufführt, erhebt sich aus dem weichen Sand, als wäre sie einfach so hingeweht worden.

An beiden Seiten der Tore befinden sich identische Statuen mit dem Wappen des Königreichs – eine Skulptur wogender Wellen, aus denen die Rückenflosse eines räuberischen Hais herausragt. Wächter versammeln sich in einer Demonstration von Macht auf den Stufen, Speere mit einer Doppelspitze auf ihre Rücken geschnallt. Sie wurden zweifellos durch Wächter alarmiert, die mich entdeckt haben müssen, als ich durch die Wolken ihres Himmels brach.

Den Blick nach oben richtend zähle ich fünf weitere Wächter auf den Türmen der schützenden Außenmauer, obwohl kein einziger von ihnen Anstalten macht, die Treppe herunterzukommen. Ihre silberne Rüstung glänzt, die Wappen auf ihrer Brust deutlich erkennbar, Bogen in ihren Händen, die Tuniken beinahe so leuchtend blau wie das Meer. Ihre Vorsicht zeigt sich in der Art, wie sie sich langsam zu den Türmen zurückziehen, während sie mich beobachten, sich jedoch weigern, zur Treppe zu gehen, wie Wächter es tun sollten, wenn sich jemand einer Burg nähert.

Besonders wenn es jemand wie ich ist.

Eine Bewegung in den vorderen Fenstern fällt mir ins Auge, und ich sehe noch mehr Wächter, die mich mit grimmigen Gesichtern hinter den Scheiben beobachten.

Wappen landet mit einem Kreischen innerhalb der Verteidigungsmauer, und der Sand um seine krallenbewehrten Füße wirbelt auf. Die strammstehenden Wachen ignorierend, springe ich herunter. Den Blick fest auf das Tor der Burg geheftet, lege ich die Hände um den Mund und stoße einen brüllenden Ruf aus.

«KÖNIGIN KAILA!»

Es ist der erste Sprung in meinem Schweigen. Die erste splitternde Linie, die von all dieser wilden, wogenden Wut ausgeht, die ich während des ganzen Flugs von Todbrunn hierher zurückgehalten habe. Ich will, dass Kaila zu mir kommt. Ich will, dass sie aus ihrer hübschen Burg herauskommt und sich meiner hässlichen Raserei von Angesicht zu Angesicht stellt.

Mein Schritt ist entschlossen, als ich den sandigen Burghof durchquere und die erste Stufe betrete, die zum Tor hinaufführt. Genau in dem Moment höre ich von den Türmen über mir das verräterische Geräusch von Pfeilen, die an die Sehne gelegt werden, und noch mehr von der Verteidigungsmauer hinter mir. Es ist gut zu wissen, dass ich sogar mit schmutzigen Kleidern und fehlender Krone mühelos erkannt werde.

«Halt, König Ravinger! Nennt Euer Begehr!»

Ich drehe mich um und hebe den Blick zu dem Wächter, der mutig genug war, zu mir herunterzurufen, einem älteren Soldaten auf dem rechten Turm. Hinter ihm stehen zwei weitere Wächter, deren Pfeile in meine Richtung zeigen.

«Spannt diese Bogensehnen, und ich werde euch alle verfaulen, noch bevor ihr sie loslassen könnt.» Obwohl ich nicht laut gerufen habe, verraten mir die nervösen Blicke, die sie untereinander austauschen, dass sie mich gehört haben.

Gebt mir einen Grund.

Niemand bewegt sich. Niemand macht ein einziges Geräusch. Sie bleiben sehr, sehr still. Ich wende mich ab. Stoße ein weiteres Brüllen aus.

«KÖNIGIN KAILA!»

Meine Stimme schallt durch die Luft und prallt von den Außenmauern der Burg ab. Der Hass, die Gewalt und das Verlangen nach Vergeltung brennen durch mich hindurch. Fäule beginnt in den Sand unter meinen Füßen zu sickern. Dicke, schwarze Arme, die einen säuerlichen Gestank in der Meeresluft verbreiten.

Die Spannung verdichtet sich, tödliche, sich bösartig windende Wurzeln ranken sich durch den Boden. Ich kann den Druck auf den Wächtern spüren, die Nervosität, die ihre steife Körperhaltung ausstrahlt. Immer noch öffnen sich die Tore der Burg nicht. Die Wächter bewegen sich nicht.

Mein Ruf ist beim dritten Mal sogar noch lauter, und hinter mir grollt Wappen wie Donner.

Die Wächter im Innern, die durch die Fenster zusehen, starren mit großen Augen zu mir heraus, die Hände an den Griffen ihrer Waffen. Glauben sie, wenn sie nicht herauskommen, sind sie sicher? Glauben die auf den Türmen, dass ihre Höhe sie schützt?

Falsch.

Sie könnten sich hinter dem dicksten Stahl auf dem Boden ihres kostbaren Meeres verstecken, und ich wäre immer noch in der Lage, ihnen die Muskeln von den Knochen faulen und die Haut sich von ihren Leichen lösen zu lassen.

Gerade als ich erneut nach Kaila rufen will, öffnen sich die massiven Tore. Der schattige Eingang gibt den Blick auf eine Silhouette frei, und dann kommt ein rundlicher Mann mit einer Brille auf der Spitze seiner Knollennase und einem Wappen auf seiner Weste heraus.

«König Ravinger.» Er begrüßt mich mit einer tiefen Verbeugung, doch diese allgemein übliche Respektsbezeugung wird von den Wächtern untergraben, die sich hinter ihm aufreihen, mit Speeren in den Händen.

«Sonnil», erwidere ich kühl, wobei ich beobachte, wie Überraschung über sein Gesicht zuckt. Wenn er denkt, ich wüsste nicht, wer jeder Berater in jedem Königreich ist, dann irrt er sich gewaltig.

«Wir haben Euch nicht erwartet.»

Ich ziehe eine Augenbraue hoch. «Tatsächlich?»

Zögern breitet sich aus wie ein schwerer Teppich, über den er stolpern kann. Ich sehe zu, wie er sich windet, wie ein nervöser Schweißtropfen an seinem ergrauenden Schnurrbart hängen bleibt. Das muss ich ihm lassen, wenigstens hat er die Eier, hier vor mir zu stehen, auch wenn er ein Dutzend Wächter in seinem Rücken hat.

«König Ra–»

«Bringt Eure Königin heraus, Sonnil.»

Sein Adamsapfel hüpft. «Ich fürchte, das kann ich nicht tun, Eure Majestät.»

Ich schnalze mit der Zunge. «Falsche Antwort.»

Mehr Fäule schlängelt sich unter meinen Schuhsohlen hervor wie Sandvipern, begierig darauf, loszuschnellen, ihre Zähne in die Erde zu schlagen und ihr Gift zu verbreiten.

Sonnils Blick zuckt zum Boden, und sein Gesicht wird blass, als Fäulnis wie suchende Ranken auf ihn zukriecht. Stufe für Stufe beginnt die Steintreppe zu splittern und zu bröckeln, während sich der Sand hinter mir braun färbt. Als sie die Stufe unter seinen Füßen erreicht, stolpert er überrascht und gibt einen erstickten Laut von sich. Die Wächter hinter ihm treten zurück und sehen mit unverhohlener Angst zu, wie sich die Wurzeln ihren Füßen nähern.

«König Ravinger, Ihr könnt nicht … Das wäre eine Kriegshandlung!», keucht Sonnil und dreht sich im Kreis, als die Fäule beginnt, die Treppe zu umschließen.

«Die erste Kriegshandlung wurde durch Eure Königin initiiert. Und jetzt bringt sie nach draußen.»

Er macht den Fehler, stattdessen den Finger zu krümmen. Ein Signal, von dem er denkt, ich würde es nicht bemerken. Mein Kopf zuckt nach rechts, die Ohren auf das Geräusch von Bogenschützen lauschend, die ihre Pfeile abschießen.

Die Zeit verlangsamt sich.

Ich höre die Bogensehnen schnellen, die Pfeile mit leisem Pfeifen die Luft durchschneiden. Meine Fae-Instinkte lodern auf.

Innerhalb eines Sekundenbruchteils fahre ich herum und pflücke den ersten Pfeil aus der Luft wie eine vom Wind erfasste Feder. Den anderen dreien weiche ich aus, wobei zwei von ihnen an mir vorbeizischen und stattdessen einen der Wächter treffen und der letzte sich in einen Riss in der Burgmauer bohrt.

Als ich mich wieder zurück zu Sonnil wende, stolpert der Wächter mit den Pfeilen in seiner Brust vorwärts und bricht zusammen, was die verrottete Stufe unter seinem Gewicht bröckeln lässt. Die anderen Wachen weichen hastig zurück, manche von ihnen werden von den Beinen gerissen, als die Treppe sich unter ihnen auflöst.

Tadelnd schnalze ich mit der Zunge und wedle mit dem Pfeil in meiner Hand. «Schlechte Idee.»

Als Sonnils Blick über meine Schulter schnellt, zuckt er zusammen, und ich sehe zu, wie er einer Bewegung folgt, die abwärts, abwärts, abwärts geht.

Bumm.

Die verwesten Leichen der Bogenschützen, die auf mich geschossen haben, liegen nun am Fuß der Verteidigungsmauer, gefangen im verrottenden Burghof.

Als die Augen des Beraters sich wieder auf mich richten, sind sie weit aufgerissen, und seine Hände zittern sichtlich, aber der Idiot macht trotzdem den Mund auf. «Angriff!»

Noch eine schlechte Idee.

Jede einzelne Wache hinter ihm fällt, bevor sie auch nur mehr tun kann, als einen Gedanken zu fassen und nach dem Heft ihrer Waffe zu greifen. Fäulnis legt sich um ihre Gurgeln wie Würgehalsbänder, und ihre Speere sind vergessen, als sie sich auf dem Boden winden und an ihren verfaulenden Kehlen zerren. Die auf den Türmen brechen zusammen.

Sonnil fährt herum. «Aufhören! Hört auf damit!»

«Bringt. Sie. Heraus.»

Der jämmerliche Bastard fängt an zu flennen. «Das kann ich nicht!»

Ich hebe den Pfeil in meiner Hand und richte ihn auf seine Halsschlagader. Sein Blick heftet sich darauf, als sich Fäulnis um den hölzernen Schaft windet – Fäulnis, die direkt auf seine Kehle zukriecht. Ich drücke die scharfe Spitze in seine Haut und sehe zu, wie ein Tropfen Blut herunterrinnt.

Er zuckt zurück, dabei lässt seine Ferse den Stein bröckeln, wodurch er schwankt und beinahe auf seinem Hintern landet, als er über die sich windenden Wächter stolpert. Der Geruch von Pisse erfüllt die Luft.

«Bitte!»

Gerade als ich das Blut in seinen Adern infizieren will, fällt mir eine Bewegung ins Auge. Jemand kommt herausgerannt.

«König Ravinger, haltet ein!»

Beim Klang der Stimme werden meine Augen schmal, und ich sehe Königin Kailas Bruder durch das Burgtor herauseilen.

Manu Ioana.

Mit seinen zurückgebundenen langen schwarzen Haaren, der leuchtend blauen Weste und der dunklen Hose sieht er so vornehm und elegant wie immer aus. Genau wie er aussah, als er in meine Burg kam. Als er mir Auren wegnahm und als Zuschauer im Publikum des Conflux saß. Um zu seiner Unterhaltung ihrer Hinrichtung zuzusehen.

Meine Lippen kräuseln sich vor Wut wie die Ränder von brennendem Papier, das Feuer fängt.

Ich drehe mich zu ihm um, und der Berater ist vergessen, als Manu über die Wächter steigt, um mir gegenüberzutreten.

«Ihr.»

Er hebt die Hände, um mich abzuwehren. «Ich weiß, Ihr seid verärgert –»

«Verärgert?» Ein kaltes, dunkles Lachen schlängelt sich aus meiner Kehle. «Ich bin nicht verärgert. Ich bin rasend.» Ich mache einen Schritt vorwärts und lasse meine Fäule die Stufen vermodern. «Sagt ihr, sie soll auf der Stelle herauskommen, sonst lasse ich ihre ganze Burg verrotten.»

Seine dunklen Augen blitzen. «Das kann ich nicht», presst er hervor. «Sie ist nicht hier.»

Ich halte inne. «Wo ist sie?»

Als er nicht antwortet, schüttle ich angewidert den Kopf. «Sie ist im Sechsten, nicht wahr?»

Das Zucken seiner Nasenflügel ist alles, was ich an Bestätigung brauche. Ich hätte mir denken sollen, dass sie schnurstracks dort hinfliegen würde, um ihre Macht und ihren Einfluss weiter auszudehnen. Sie muss gewusst haben, dass ich kommen und auf Vergeltung aus sein würde, trotzdem hat sie ihre Leute zurückgelassen, um mir an ihrer Stelle gegenüberzutreten.

Feige.

Mit schief gelegtem Kopf mustere ich ihn von oben bis unten, dabei bemerke ich die dunklen Ringe unter seinen Augen. «Was ist los, Manu, hat Euch das Lügen und Entführen den Schlaf geraubt?»

Ich sehe ihn schlucken, sehe ein Aufblitzen von Reue in seiner Miene, bevor er sie fortwischt. «Ich befolgte Befehle. Ich bin meiner Schwester treu ergeben. Genau wie Ihr Eure eigenen Loyalitäten habt. Ich habe meine Pflicht getan», stößt er gepresst hervor.

Ich kann spüren, wie die Adern in meinem Hals zucken, als wollten sie durch die Haut hervorbrechen und ihn angreifen.

«Was beim Conflux geschehen ist –»

Meine Hand schnellt vor, bevor er seinen Satz zu Ende bringen kann, und schnürt ihm die Worte ab. Weitere Wächter haben sich herausgeschlichen, um mich zu umzingeln, und die Fenster der Burg wurden aufgestoßen, damit noch mehr von ihnen ihre Pfeile auf mich richten können.

Ich schenke ihnen keine Beachtung.

Meine ganze Konzentration gilt Manus Kehle in meiner Hand, dem Pulsschlag, der gegen meinen Daumen pocht, als ich kaum merklich zudrücke.

«Was beim Conflux geschehen ist, war der fatalste Fehler Eurer Schwester.»

Er ringt nach Luft, Atemnot verfärbt sein Gesicht, seine Augen treten hervor. Es wäre so einfach, ihm die Augen aus dem Schädel faulen, das Herz in seiner Brust verwesen zu lassen.

«Ich würde ihnen sagen, dass sie sich zurückziehen sollen, wenn ich an Eurer Stelle wäre.»

Manu hebt die Hand, um die Wachen aufzuhalten, und das muss ich ihm lassen, er versucht nicht einmal, sich gegen mich zu wehren. Er lässt mich einfach seine Luftröhre zudrücken, lässt mich ihn von den Füßen heben, als meine Fae-Kraft ebenso stark aufwallt wie meine Magie.

Ich lehne mich so dicht zu ihm, dass er zusammenzuckt, als ich mit zusammengebissenen Zähnen sage: «Eure Schwester hat Auren schikaniert. Lügen über sie verbreitet. Befohlen, dass sie mir weggenommen wird. Und Ihr habt den Befehl ausgeführt.»

Die Angst in seinen Augen ist nicht annähernd genug, um mich zufriedenzustellen.

Blitzschnell lasse ich meine Fäulnis hervorpulsieren, sodass der Boden hinter mir aufbricht und die Dutzenden Wächter dort verschluckt. Unter gellenden, erschrockenen Schreien versinken sie in der vergifteten Erde wie in Treibsand. Die Bogenschützen in den Fenstern stürzen ebenfalls herab, als Fäule sich wie Seile um sie wickelt und sie mit zuckenden Gliedern und sterbenden Nerven zu Boden reißt.

Sonnil versucht vergeblich, auf Händen und Füßen rückwärts zu kriechen, doch die Stufen geben immer wieder unter ihm nach. Ein Gestank nach Verderbnis hängt in der Luft, und die einst malerische Burg bietet nun ein chaotisches Bild der Zerstörung, als meine Macht sich an ihren Mauern empor ausbreitet, die Dächer aus Koralle durchbohrt und die hölzernen Tore vermodern lässt. Der Klang des Meeres wird von erstickten Schreien übertönt.

Schade, dass Kaila nicht hier ist, um zu sehen, wie ich ihr die Burg gebe, die sie verdient.

Die ganze Zeit über behalte ich Manu fest im Griff, lasse ihn zusehen, lasse ihn es hören. Lasse ihn wissen, dass ich ihm und allen anderen so verdammt mühelos ein Ende machen könnte, und ich sehe diese Erkenntnis in seiner Miene. Sehe die entsetzte Resignation in seinen dunklen Augen.

Zappelnd presst er angestrengt ein paar Worte hervor. «Dann … tötet mich, Ravinger. Nehmt Eure … Rache.»

«Nein, Lord Manu!», schreit Sonnil.

Aber ich lache düster und flüstere Manu mit noch tieferer Stimme ins Ohr. «Oh, Manu, ich werde Euch nicht töten.»

Ich lehne mich gerade rechtzeitig wieder zurück, um das Aufblitzen verwirrter Angst auf seinem Gesicht zu sehen.

«Der Tod ist nicht genug. Ich will, dass Ihr und Eure Schwester leidet», erkläre ich. «Kaila hat befohlen, dass die wichtigste Person in meinem Leben entführt wird, also werde ich dasselbe tun. Es ist ein glücklicher Zufall, dass Ihr heute herausgekommen seid, um mir gegenüberzutreten, Manu, denn die wichtigste Person für Kaila seid … Ihr.»

Alles, wozu er Zeit hat, ist, die Augen aufzureißen, bevor ich eine Welle der Fäulnis in die Nerven seines Nackens sende, was ihn sofort das Bewusstsein verlieren lässt.

Ich werfe mir seinen reglosen Körper über die Schulter, dann drehe ich mich auf dem Absatz um und gehe auf demselben Weg zurück, wie ich gekommen bin. Die Geräusche der erstickenden Wächter hinter mir begleiten den Klang meiner Schritte, als ich auf dem schmalen Pfad, den ich unverdorben gelassen habe, die anderen passiere, die immer noch versuchen, sich aus dem vergifteten Sand herauszugraben.

Wappen steht etwas von dem verdorbenen Boden entfernt und schnappt mit seinem Maul nach den Soldaten, als wolle er ein Stück aus ihnen herausreißen. Ich binde den bewusstlosen Manu hinten am Sattel fest, bevor ich mich hinaufschwinge und die Zügel nehme.

Erneut legt sich Stille über meine rasende Wut, als ich den Blick über das Blutbad schweifen lasse. Ich sehe zu, wie die Tore der Burg vermodern und die Angeln rosten. Sehe zu, wie die Glasfenster zerspringen und Risse sich auf dem Sand ausbreiten wie infiziertes Blut, während Leichen durch seine vergifteten Körner einbalsamiert werden.

Aber es ist nicht genug.

Ich lasse sie alle würgen, ersticken, zum Himmel hochstarren, sich verzweifelt ans Leben klammern, während meine Magie es aus ihnen heraussaugt. Dann sehe ich plötzlich Keon, Manus Gemahl, aus der Burg rennen. Seine Miene füllt sich mit Entsetzen, als er erkennt, wen ich über den Sattel geworfen habe, aber bevor er einen weiteren Schritt tun kann, stürzen die vermodernden Tore auf ihn herab.

Ich lasse die Zügel schnalzen. Wappen breitet die Flügel aus und stößt sich vom Boden ab, um loszufliegen. Ich lasse eine einstürzende Burg und giftige Erde zurück und kehre Dutzenden Leichen den Rücken, die im verdorbenen Sand verdorren werden.

Eine Botschaft.

Das Einzige, was ich bereue, ist, dass ich Königin Kailas Gesicht nicht sehen werde, wenn sie herausfindet, dass ich ihren Bruder geraubt, ihre Wachen getötet und ihre Burg zerstört habe.

Die Leute sollten sich merken, auf meine Worte zu hören. Ich hatte sie gewarnt, ihre Pfeile nicht abzuschießen. Ich hatte sie gewarnt, sich nicht mit Auren oder mir anzulegen.

Die Flügel weit ausgebreitet stößt Wappen ein Brüllen aus, als wir höher in die Luft steigen und die Wolken ebenso schnell durchschneiden wie bei unserer Ankunft. Ryatt wird inzwischen auf seinem Weg zum Vierten Königreich sein.

Aber ich? Ich werde noch nicht nach Brackheim zurückkehren.

Denn die wütende Fäulnis pulsiert immer noch unter meiner Haut. Der tosende Wind donnert in meinen Ohren, und mein Zorn tobt mit einem ohrenbetäubenden Brüllen.

Denn ich kann nicht zu ihr kommen.

Also werde ich stattdessen Rache nehmen.

Kapitel 6

Königin Malina

Durch das vergitterte Fenster hindurch halte ich den Blick auf den Weg zwischen den gezackten Spalten in der Erde gerichtet. Von hier oben in Burg Cauvals höchstem Turm kann ich sehen, wie sich die Armee wie eine Schlange durch den Schnee windet. Ein heimtückischer Plünderer, der sich seinen Weg der Feindseligkeit bahnt.

Eine Armee aus Fae.

Das sollte nicht möglich sein. Die Fae waren seit Hunderten von Jahren verschwunden. Die Verbindung zwischen unseren Welten war zerbrochen. Dauerhaft. Sie waren alle fortgegangen. Wollten nichts mehr mit Orea zu tun haben, weil sie nichts mehr mit uns zu tun haben wollten. Sie hielten sich für überlegen, nur weil sie Magie in unsere Welt brachten und wir ohne sie keine hatten. Diese zerbrochene Verbindung hätte das Ende davon sein sollen.

Es war das Ende davon.

Bis jetzt.

Meine Augen wandern nach links. Sie liegt von hier aus fast außer Sichtweite, aber ganz knapp kann ich ihren Eingang sehen – die Brücke von Lemuria.

Über die ganze Scharen von Fae hereinmarschieren.

Ich balle meine Hände zu Fäusten, doch ein stechender Schmerz lässt mich die Finger wieder öffnen und auf die Schnittwunde starren, die über beide Handflächen verläuft. Anstatt rot und entzündet zu sein, hat sich die Haut entlang der Schnitte blau gefärbt. Eine dünne Schicht Frost überzieht die nicht heilen wollenden Linien.

«Ich bin Königin Malina Colier aus der königlichen Blutlinie der Colier, und ich gebe bereitwillig mein Blut, um zurückzubringen, was verloren war, und zu gewinnen, was neu ist.»

Meine eigene Stimme hallt mir in den Ohren wider, und ich spüre, wie meine Brust sich verkrampft. Die Ereignisse jener Nacht enthüllen sich, Schicht für Schicht, um ein klares Bild dessen zu liefern, was sich tatsächlich zugetragen hat, weil es sich anfühlte, als wäre ich aus einem blumigen Traum erwacht und der Albtraum Wirklichkeit.

Die Fae-Zwillinge haben mich angelogen. Mich getäuscht. Mich manipuliert und irgendeine Art Magie benutzt, um mich sehen zu lassen, was nicht da war. Bis ich ihnen mein Blut gab und diese zerbrochene Brücke ungebrochen wurde.

Die ersten Fae-Soldaten, die sie überquerten, schleppten mich auf Pruinns Befehl hierher und sperrten mich in Burg Cauval ein. Seitdem habe ich weder ihn noch Fassa und Friano gesehen, und das ist nun schon Tage, vielleicht sogar Wochen her. Ich kann es nicht sagen. Vielleicht vergeht die Zeit anders, so dicht am Rand der Welt.

Ich bin endlos hin- und hermarschiert, habe getobt und geflucht, doch nichts davon wurde gehört. Nichts davon wurde gesehen. Nichts davon machte einen Unterschied.

So war es schon immer. Sobald ich für die Männer, die mich brauchen, meinen Zweck erfüllt habe, werde ich beiseite gestoßen, weil ich nur einen einzigen Wert für sie besitze.

Mein Blut.

In einer gezackten Glasscherbe, die noch im zerbrochenen Fenster hängt, kann ich mein gespenstisches Spiegelbild sehen. Mein weißes Haar hängt mir offen und zerzaust über die Schultern. Keine Öle oder Seifen, um es zu waschen, auch nicht für meine Kleider, die zerknittert und schmutzig sind. Mein Gesicht sieht beinahe eingefallen aus, die scharf geschnittenen Wangenknochen unter meiner tödlich blassen Haut werden durch die dunklen Ringe unter meinen eisblauen Augen nur noch betont.

Ich sehe aus wie eine Ruine, genau wie diese Burg.

Ihre Instandsetzung war eine Farce. Dieser Raum ist noch intakt, aber nur gerade so. Es gibt keine Tapeten, keine Farbe, keine mit Teppichen ausgelegten Böden oder wärmende Kerzenleuchter. Zeit und Kälte haben alles genommen. Dieser Ort ist nichts als trostlos und verdorrt.

So wie ich.

Das Bett, das ich für etwas Prächtiges, Bequemes hielt? Es ist in Wirklichkeit schief, da ihm zwei Beine fehlen, mit fadenscheinigen Laken und einer fleckigen Matratze. Die Badewanne ist nichts weiter als ein Blechtrog zum Waschen von Wäsche, und die Luft selbst stinkt nach jahrzehntealtem Staub.

Es gibt keinen Duft von Kristallblumen mehr. Keine Klänge lyrischer Musik. Wie absurd es mir nun vorkommt, dass ich die ganze Zeit unter einer Art Fae-Zauber stand und das hier für einen schönen Ort hielt. Ich wette, die Fae-Zwillinge haben auf meine Kosten herzlich gelacht.

Erneut ballen sich meine Finger zu Fäusten, und sofort werden sie von Kälte durchströmt. Erschrocken keuche ich auf und sehe hinunter auf meine Hände, aus denen weiße Flocken zu fallen beginnen. Sie quellen aus den Schnitten in meinen Handflächen wie Eiter aus einer infizierten Wunde und hinterlassen kleine Schneehäufchen auf dem Fußboden.

Magie.

Eisige, fremdartige Magie, die irgendwie in dem Moment in mir geboren wurde, in dem die Fae-Zwillinge ihr Ritual durchführten.

«Mein Bruder und ich haben eine einzigartige Magie, meine Königin. Sie funktioniert nur im Gespann. Ich kann etwas Neues erschaffen …»

«Und ich kann etwas Altes wiederherstellen.»

«Das Blut eines reinen Mitglieds einer oreanischen Königsfamilie, das aus freien Stücken dargebracht wird, um ein solches oreanisches Königreich wiederherzustellen …»

«Indem Ihr dies tut, glaube ich, wird die Magie meines Bruders in Euch Magie erschaffen und Euch dadurch genau das geben, was Ihr braucht, um zu herrschen.»

Lügen und Wahrheit, miteinander verwoben.

Sie glaubten nicht an mein Recht zu herrschen. Sie brauchten nur mein Blut zum Wiederherstellen der Brücke, das ich ihnen gab. Bereitwillig.

Wie es scheint, hatte Friano recht. Die Macht seines Bruders hat mir dafür tatsächlich Magie geschenkt. Eis und Schnee, die entweder unkontrollierbar aus mir herausströmen oder in kaltem Schlaf liegen.

Nutzlos.

Hinter mir ertönt ein Klicken, und ich zucke zusammen. Fast die einzigen Dinge, die ich hier höre, sind der Klang meiner eigenen Gedanken und das Heulen des Windes durchs Fenster, also erschreckt mich alles andere.

Ich sehe über meine Schulter auf das Tablett, das plötzlich wie aus dem Nichts auf dem zerbrochenen Tisch aufgetaucht ist. Es erscheint unregelmäßig, aber es enthält stets dasselbe. Ein Stück Brot. Einen Teller Eintopf. Eine Tasse Tee.

Eine Gefangenenration.

Uninteressiert wende ich den Blick ab.