The Darkest Gold – Die Kämpferin - Raven Kennedy - E-Book

The Darkest Gold – Die Kämpferin E-Book

Raven Kennedy

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Beschreibung

Meine Magie ist goldener Tod … Epische Fantasy und herzzerreißende Liebesgeschichte. Band 4 der Spiegel-Bestseller-Reihe. König Midas hat mir alles genommen. Geblieben ist mir nur diese eine Sicherheit: Ich werde nie wieder zulassen, dass jemand so viel Macht über mich hat. Deshalb muss ich lernen, meine Magie zu kontrollieren. Ich muss lernen zu kämpfen. Und zwar so schnell wie möglich. Denn durch meinen Angriff auf Midas habe ich die anderen Monarchen gegen mich aufgebracht. Sie verlangen meine Auslieferung. Doch der mächtigste von ihnen steht auf meiner Seite. Er würde die Welt für mich in Brand setzen, und ich für ihn. Und wenn uns das in den Augen der Welt zu den Bösen macht … dann lasst sie brennen!

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Seitenzahl: 1018

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Raven Kennedy

The Darkest Gold – Die Kämpferin

Roman

 

 

Aus dem Englischen von Anita Nirschl

 

Über dieses Buch

Meine Magie ist goldener Tod …

 

König Midas hat mir alles genommen. Geblieben ist mir nur diese eine Sicherheit: Ich werde nie wieder zulassen, dass jemand so viel Macht über mich hat. Deshalb muss ich lernen, meine Magie zu kontrollieren. Ich muss lernen zu kämpfen. Und zwar so schnell wie möglich. Denn durch meinen Angriff auf Midas habe ich die anderen Monarchen gegen mich aufgebracht. Sie verlangen meine Auslieferung. Doch der mächtigste von ihnen steht auf meiner Seite. Er würde die Welt für mich in Brand setzen, und ich für ihn. Und wenn uns das in den Augen der Welt zu den Bösen macht … dann lasst sie brennen!

 

Epische Fantasy und herzzerreißende Liebesgeschichte. Band 4 der Spiegel-Bestseller-Reihe.

Vita

Raven Kennedy wurde in Kalifornien geboren. Ihre Liebe zum Lesen hat sie schließlich dazu gebracht, eigene Welten zu kreieren. Sie hat bereits mehrere Buchserien veröffentlicht, der Durchbruch gelang ihr mit der «The Darkest Gold»-Reihe, einer dunklen Neuinterpretation des König-Midas-Mythos. Die Romane haben sich mehr als eine Million Mal verkauft, die Übersetzungsrechte wurden in etliche Länder lizenziert, eine Verfilmung befindet sich in Vorbereitung. Weitere Informationen über die Autorin finden sich auf ihrer Homepage: www.ravenkennedybooks.com

 

Anita Nirschl träumte als Kind davon, alle Sprachen der Welt zu lernen, um jedes Buch lesen zu können, das es gibt. Später studierte sie Englische, Amerikanische und Spanische Literatur an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Seit 2007 arbeitet sie als freie Übersetzerin und hat zahlreiche Romane ins Deutsche übertragen.

Impressum

Die Originalausgabe erschien 2022 unter dem Titel «Glow».

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, Januar 2024

Copyright © 2024 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

«Glow» Copyright © 2022 by Raven Kennedy

Published by Arrangement with RAVEN KENNEDY LLC

Redaktion Ulrike Gerstner

Covergestaltung ZERO Werbeagentur, München, nach dem Original von A.T. Cover Designs

Coverabbildung Shutterstock

ISBN 978-3-644-01610-1

 

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

 

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

 

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Hinweise des Verlags

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Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

 

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Dieses E-Book entspricht den Vorgaben des W3C-Standards EPUB Accessibility 1.1 und den darin enthaltenen Regeln von WCAG, Level AA (hohes Niveau an Barrierefreiheit). Die Publikation ist durch Features wie Table of Contents (Inhaltsverzeichnis), Landmarks (Navigationspunkte) und semantische Content-Struktur zugänglich aufgebaut. Sind im E-Book Abbildungen enthalten, sind diese über Bildbeschreibungen zugänglich.

 

 

www.rowohlt.de

Dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Wenn du dich darüber informieren möchtest, findest du auf unserer Homepage unter www.endlichkyss.de/thedarkestgold4 eine Content-Note.

Für alle, die auf eigenen Beinen stehen, auch wenn sie manchmal straucheln.

Kapitel 1

KÖNIGIN KAILA

Die Luft ist angefüllt mit Geschrei.

Ranholds gesamter Burghof gleicht einem Meeresufer, an das Menschenmassen angespült werden. Sie wogen hin und her, ihre schäumenden Schreie schlagen Wellen in der Flut.

Hinter mir versuchen Ranholds Wachen, die Menschen durch das Tor hinauszudrängen, mit hektischen Befehlen, die das Chaos kaum durchdringen. Die Hälfte der Leute will hinein, um zu sehen, was vor sich geht, die andere Hälfte flieht um ihr Leben.

Manu und meine Wachen haben uns herausgebracht, aber es war knapp. Mein Herzschlag hämmert, und meine Atemzüge pumpen ebenso heftig wie das Adrenalin, das durch meine Adern rauscht. Es ist die Art von Verletzlichkeit, bei der ich mich fühle wie ein in die Ecke gedrängtes Tier. Eines, das im Schnee festgefroren ist, unfähig, sich zu bewegen. Und doch, was mich wirklich erstarren lässt, sind die Geräusche, die aus der Burg kommen. Schwappen. Tropfen. Klirren. Scheppern. Noch mehr Schreie.

Eine weitere Woge schrillen Kreischens brandet auf, als plötzlich flüssiges Gold durch die Eingangstüren bricht. Alle weichen zurück, erschrocken nach Luft schnappende Leiber drängen gegen die Massen hinter ihnen, als sie versuchen, weiter wegzukommen.

Manu und Keon stehen vor mir, der Burg zugewandt, und beide schieben mich schützend rückwärts, während unsere Wachen uns umringen. Nicht alle meine Wachen haben es herausgeschafft, aber ich konnte noch nicht herausfinden, wie viele ich verloren habe.

Das Gold ergießt sich aus der Tür, strömt die vorderen Stufen herunter und an den Mauern der Burg entlang. Wie mit ausgestreckten Händen greift es nach einem Mann und bekommt ihn beinahe zu fassen, doch er wird in allerletzter Sekunde von einigen Wächtern aus dem Weg gerissen.

Das flüssige Metall schlägt nach seinem erfolglosen Versuch auf den Boden wie die Fäuste eines trotzigen Kindes in einem Wutanfall. Spritzer fliegen über die schneebedeckten Stufen und sprenkeln den Stein mit goldenen Tupfen. Noch mehr Gold trieft wie Blut von den Fensterbänken, es befleckt das Glas und quillt durch die Fensterrahmen.

Wir sind von den laternenbeleuchteten äußeren Mauern der Burg umgeben, doch was uns eigentlich Schutz bieten sollte, sorgt nur dafür, dass wir alle hier draußen gefangen sind. Ich will meinem Bruder gerade vorschlagen, dass wir verschwinden, für den Fall, dass das Gold weiter herausströmt und wir zusammen mit der Menge in der Falle sitzen, doch ein weiteres lautes Krachen ertönt irgendwo im Innern und schneidet mir das Wort ab.

Mein Blick schnellt wild zwischen meinem Bruder und Keon hin und her, während ich mich frage, was dort drinnen sonst noch zerstört, wer sonst noch getötet wurde. Aber dann, als wäre dieses letzte Krachen ein Signal für das Ende, hört das Gold, das die vorderen Mauern umklammert, plötzlich auf zu schimmern, hört auf zu wabern.

Es härtet aus, während die Burg mit einem Mal ganz still wird.

Die Schreie der Menge verstummen ebenfalls, alle warten mit angehaltenem Atem, ob es tatsächlich vorüber ist. Ich bin mir nicht sicher, wie lange wir alle dastehen, beobachtend und lauschend, aber die goldenen Spritzer auf dem grauen, gefrorenen Stein bewegen sich nicht mehr, und trotz der Fackeln, die ihren Feuerschein werfen, wirkt alles dunkler. Kälter.

Die Bewegung und die Geräusche mögen zwar aufgehört haben, stattdessen bricht nun in meinem Innern der Tumult los. Mein Körper beginnt zu zittern, in meinem Kopf wirbelt ein Strom lärmender Gedanken herum.

Was zur Göttlichkeit ist gerade passiert?

Meine Schuhe sind durchnässt vom Schnee, in dem ich hier stehe, und die schrecklich eisige Nachtluft überzieht mich mit einer Gänsehaut. Ich sollte in diesem Kleid nicht draußen sein. Ich sollte jetzt im Ballsaal sein. Ich sollte die Verkündung meiner Verlobung feiern und Pläne schmieden, meine Kontrolle auf das Sechste Königreich auszuweiten.

Aber allermindestens sollte mir wärmer sein.

Als ich nach unten sehe, entdecke ich ein Durcheinander aus glänzenden goldenen Spritzern auf meinem dunkelblauen Kleid. Ich wage es nicht, mit dem Finger darüberzustreichen. Nicht nach dem, was ich in diesem Ballsaal gesehen habe.

«Hat es aufgehört?», frage ich.

Die Frage ist übertrieben vereinfacht für das, was da drin gerade passiert ist. Hat es aufgehört – es. Das rasende Gold, das sich soeben wütend erhoben hat. Ich weiß bereits, dass mir die Erinnerung an den heutigen Abend noch lange im Kopf bleiben wird, dass ich sie immer wieder vor meinem geistigen Auge ablaufen lassen werde.

Ich werde den Anblick nicht auslöschen können, wie sich das Gold mit brutaler Präzision bewegte. Wie es von den Wänden troff. Wie es sich auf dem Boden sammelte. Wie es spritzte und zustach und verzehrte.

«Hat es aufgehört?», frage ich noch einmal, dabei ist meine Stimme schriller, als ich sie je gehört habe.

Ich war tödlicher Gefahr noch nie zuvor so nah, und mein Körper weiß das. Weshalb mein Puls immer noch rast und wild in meinen Ohren hämmert.

Weshalb ich nicht aufhören kann zu zittern.

«Ich glaube schon», antwortet Manu schließlich, als er sich umdreht.

Sein Gemahl beobachtet immer noch die Burg, als traue er sich nicht, sie aus den Augen zu lassen. Als erwarte er, dass die Grausamkeit des flüssigen Metalls jäh wieder zum Leben erwacht.

«Verdammte Göttlichkeit», höre ich ihn leise sagen.

Vielleicht hat sein gemurmelter Fluch den Korken aus der angestauten Menge gezogen, denn ein wildes Stimmengewirr beginnt sich über den Burghof zu ergießen. Automatisch schweift meine Macht aus, um ihre Worte zu mir zu holen. Meine Magie fängt ein, was sie sagen, und reiht ihre Aussagen in meinem Geist aneinander.

«Was ist passiert?»

«Das ist König Midas’ goldene Magie.»

«Wo ist König Midas? Wo ist König Fäule?»

«Unser Prinz ist tot.»

«Hat Midas das absichtlich getan?»

«Aber was ist passiert?»

Die Wörter fließen von ihren Mündern zu meinen Ohren, wo sie sich sammeln wie Fäden, um ein Netz aus ihnen zu spinnen. Doch bald schon brauche ich meine Macht nicht mehr, um sie zu hören, denn die Menge beginnt zu brüllen und hektisch Antworten zu fordern.

«Scheiße», zischt Manu und dreht sich zu mir um. «Vielleicht solltest du –»

Plötzlich ruft jemand: «Ich weiß, was passiert ist!»

Sofort richten sich alle Augen auf die Frau, die nach vorne taumelt. Sie zeigt mit einem zitternden Finger auf die Türen, aus deren Tiefen Gold wie aus einer klaffenden Wunde blutet.

«Das war nicht König Midas’ Werk!», spuckt sie aus. Ein langer Vorhang schwarzer Haare hängt ihren Rücken hinunter, ihr Kleid sieht aus, als wäre ein Teil davon weggeschmolzen. «Das war seine goldgeküsste Favoritin! Sie hat seine Magie gestohlen!»

Überrascht zucke ich zurück, während ihre Worte sich in meinem Kopf überschlagen.

«Wer ist das?», murmelt Manu.

Ein Mann aus der Menge drängt sich vorwärts. «Wovon redest du, Weib?»

Sie richtet sich auf und lässt einen stolzen Blick über die Menge schweifen. «Ich bin einer von König Midas’ Sätteln, und ich kann euch allen hier und jetzt sagen, dass das alles Auren war. Sie hat das getan! Die goldene Hure hat seine Magie gestohlen, als er sie goldgeküsst hat. Sie hat herausgefunden, wie sie sie für sich selbst nutzen kann. Sie hat ihn angelogen, und nun hat sie ihn angegriffen. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen, als ich hinausgerannt bin!»

Schock durchschneidet die Menge wie ein Ruder die Brandung.

«Was zur Hölle?», zischt Manu kaum hörbar, als er sich zu mir umdreht.

Als die Frau eine Hand auf ihren Bauch legt, wird mir bewusst, wer das ist.

Flair. Der Sattel, den Midas geschwängert hat.

Als ihre Worte zu mir durchdringen, fange ich zuerst an, leugnend den Kopf zu schütteln, und dennoch, es muss wahr sein. Denn was ich in diesem Raum gesehen habe … Es war, als wäre das Gold überhaupt nicht mehr unter Midas’ Kontrolle, als würde jemand anderes es tun …

Wieso habe ich dieses Geheimnis nicht schon früher entdeckt?

«Seht!», schreit jemand. «Waldschwingen! Jemand flieht auf Waldschwingen!»

«Das ist sie! Die goldene Mörderin!»

Ich drehe meinen Kopf zu dem Mann, der gesprochen hat, und mein Blick folgt der Richtung, in die er zeigt. Ich erhasche nur für einen Sekundenbruchteil etwas, bis sie von der Dunkelheit der Nacht verschluckt werden, ein Aufblitzen von Federn und Krallen, das in die Wolken verschwindet.

War das König Fäule mit Lady Auren?

«Ich habe es euch gesagt!», ruft Flair aus. «Sie ist eine Schwindlerin. Eine Betrügerin. Sie hat Midas verführt und seine Macht gestohlen, und jetzt wird sie dasselbe mit König Fäule machen!»

Ein Crescendo aus Stimmen schwillt an, und innerhalb weniger Momente wird das Gerücht von einer zu mächtigen Strömung mitgerissen, um aufgehalten zu werden.

Wie um alles in der verdammten Göttlichkeit konnte ich so etwas übersehen? Wie konnte ich das nicht wissen?

«Du zitterst», reißt mein Bruder mich aus meiner Gedankenflut. Er richtet den Blick über meine Schulter. «Eurer Königin ist kalt. Findet etwas für sie.»

Hinter mir höre ich ein Schlurfen, und dann wird mir das Gewicht eines Mantels über die Schultern drapiert. «Bitte schön, Königin Kaila.»

Ich ziehe den Mantel eng um meine Brust, doch es trägt nichts dazu bei, die Kälte abzuwehren, denn sie ist mir bis in die Knochen gedrungen. Ich muss zurück ins Dritte Königreich und zur Mittagszeit am Strand entlangspazieren, um wieder auch nur irgendeinen Ansatz von Wärme zu spüren, nachdem ich hier schon so lange festsitze.

Aber ich kann noch nicht nach Hause. Nicht, wenn mir alles, wofür ich so hart gearbeitet habe, durch die Finger gleitet. Ich kann spüren, wie sich die Blicke der Menge wartend auf mich richten. Sie wollen sehen, was ich tun werde.

«Manu, lass von jemandem bestätigen, dass Ravinger gerade mit Lady Auren geflohen ist.»

Auf meinen Befehl hin nickt mein Bruder, bevor er sich aus meinem Blickfeld bewegt, wo ich ihn jemandem Anweisungen erteilen höre. Ich sehe mich im Burghof um und bemerke, dass nur Ranholds Wachen draußen versammelt sind. Keine einzige Wache von Midas. Keine einzige goldene Rüstung in Sicht.

«Keon», rufe ich, und sofort dreht er sich zu mir um. «Lass einige von Ranholds Wachen hineingehen und bezeugen, dass die Gefahr vorüber ist. Sie sollen nachsehen, ob sie Midas finden können und ob er Hilfe braucht.»

Mit einem Nicken geht er fort und deutet auf ein paar Wachen des Fünften, die um einen Klecks Gold im Schnee herumstehen und vorsichtig mit den Füßen nach der erstarrten Pfütze treten.

Als ich weiter die Burg anstarre, frischt der Wind auf. Der Himmel fängt an, eisigen Schneeregen auszuspucken, als wäre es hier draußen nicht schon elend genug.

Drei von Ranholds Soldaten lösen sich von der Gruppe und stapfen mit grimmigen Gesichtern auf die zerbrochenen Tore zu. Der erste hält die anderen mit warnend erhobenen Händen auf, dann kniet er sich vor den ersten Klecks des vergossenen Goldes, das reglos auf den Stufen liegt.

Er drückt mit dem Finger dagegen, und als nichts passiert, steht er wieder auf und nickt den anderen zu. Gemeinsam gehen sie hinauf zum Tor. Ihre Stiefel klappern auf dem erstarrten Gold, bevor sie im Innern verschwinden.

Wir warten.

Die immer noch im Burghof versammelte Menge ist wieder still geworden. Die nervöse Anspannung scheint ihnen die Kehlen zuzuschnüren.

Trotz meiner eigenen widerstreitenden Gedanken gehe ich vor zur Burg und drehe mich dann zu allen um, während ich eine ruhige und doch starke Haltung einnehme. Ihr Prinz ist tot, König Fäule ist geflohen, und Midas ist nicht hier, also bin ich diejenige, zu der sie aufsehen müssen, und es ist wichtig, dass ich das fördere. Gerade jetzt muss ich gesehen werden.

«Fürchtet euch nicht», verkünde ich. «Die Gefahr ist vorüber, und ich werde herausfinden, ob das, was behauptet wurde, wahr ist.»

Die Leute beginnen zu murmeln, und meine Macht nimmt die geflüsterte Erleichterung, die Bewunderung, den Respekt, den sie für mich empfinden, auf.

«Gut gemacht, Schwester», raunt Manu kaum hörbar.

Als einer der Wächter wieder erscheint, nicke ich Keon zu, seinen Bericht einzuholen. Mein Schwager geht mit stoischer Miene hinüber, bevor er den Mann entlässt, aber ich mustere die Menge, und meine Magie nimmt ihr Gemurmel auf.

Als Keon wieder zurückkehrt, breche ich meine Magie ab.

«Nun?», fragt Manu nervös.

«Alles Gold scheint mit seinen Bewegungen aufgehört zu haben und ist erstarrt», sagt er mit gesenkter Stimme.

«Und Midas?», dränge ich.

Seine braunen Augen richten sich auf mich. «Sie glauben, er ist tot.»

Schockiert sauge ich den Atem ein. Er bleibt mir im Hals stecken, genau wie die Worte selbst, die sich in meinem Kopf verheddern und sich wie Fangstricke um meinen Schädel winden.

Tot.

Ich kneife die Lippen zusammen und starre unverwandt auf die Fassade der Burg.

All meine harte Arbeit … all die Zeit, die ich auf meine Machenschaften verwendet habe, und nun das.

König Midas nutzt mir nichts, wenn er tot ist.

Ich bin hierhergekommen, um Abmachungen auszuhandeln, um meinen eigenen Willen durch einen beeinflussbaren Prinzen und einen reichen König durchzusetzen. Die Dinge haben sich geändert, aber nicht zum Besseren. Ich hatte einen Plan. Ich wäre die erste Monarchin der Geschichte geworden, die zwei Königreiche durch Ehe miteinander vereint und bei einem dritten die Finger im Spiel hat.

Denn Macht ist alles. Auch wenn ich keine physische Magie wie Goldmagie oder Fäule besitzen mag, habe ich die Worte, und eine Königin kann vieles bewirken mit einem Gespinst, das aus den Geheimnissen der Leute gewirkt ist.

Seit ich meinen Thron bestiegen habe, arbeite ich unablässig daran, sicherzustellen, dass mein Volk mich als eine ebenso mächtige Bedrohung wie jeden anderen Monarchen sieht. Das wäre durch diese Allianzen noch weiter gefestigt worden, doch jetzt bricht das ganze Gebilde in sich zusammen.

Alles wegen Lady Auren. Lady. Als ob ein Lieblingssattel diese Bezeichnung rechtfertigt.

Wut und Angst prallen in meinem Kopf aufeinander, obwohl ich es mir nicht anmerken lasse. Nicht, wenn so viele Leute zusehen. Als Frau in einer Machtposition darf man sich seine wahren emotionalen Reaktionen nie anmerken lassen, denn das würden die Leute gegen einen verwenden.

«Ich will es sehen.»

Ehe einer von ihnen mich aufhalten kann, schreite ich auf die Burg zu, mit gefrorenen Zehen, da noch mehr Schnee meine seidenen Pantoffeln durchtränkt.

«Schwester», ruft Manu, aber ich bleibe nicht stehen. Ich höre hastige Schritte, als Keon und er mich einholen, kurz bevor ich die Stufen erreiche.

«Lass mich wenigstens zuerst hineingehen», sagt Keon und stellt sich mir abrupt in den Weg, damit er vor mir die Treppe hochsteigen kann.

«Sei vorsichtig», warnt Manu ihn.

Mit einem knappen Nicken geht Keon die Treppe hoch, und sofort folge ich ihm. «Kaila», zischt Manu neben mir. «Nur weil es jetzt fest ist, bedeutet das nicht, dass es so bleiben wird. Wir wissen nicht, wie unbeständig es ist.»

«Es ist erstarrt», erwidere ich. Meine Schuhe scharren über das glatte Gold, unmittelbar bevor wir die oberste Stufe erreichen. Die Türen hängen schief und lose in ihren Angeln wie ausgeschlagene Zähne.

«Vorher war es auch erstarrt», versetzt er. «Und sieh nur, was passiert ist.»

«Mir anzusehen, was passiert ist, ist genau meine Absicht.»

Ich höre ihn seufzen, als ich durch die Tür trete, aber meine Schritte werden langsamer, sobald ich drinnen bin. Die Flammen der Wandleuchter flackern unregelmäßig, als wären sie schreckhaft und müssten sich immer noch von dem Angriff erholen.

Unsere Schritte dröhnen durch die Eingangshalle, als Manu und ich dicht hinter Keon folgen, bis wir den Ballsaal erreichen. Alle drei bleiben wir wie angewurzelt stehen.

Blinzelnd starre ich in die Dunkelheit, die sich über den Saal gelegt hat. In die goldene Dunkelheit, die als schattenhafte Warnung funkelt. Zuvor hatten Lüster und Wandleuchter mit ihren Flammen den ganzen Raum so hell erstrahlen lassen, dass es dem Tageslicht gleichkam. Aber jetzt ist alles in Schatten gehüllt. Das einzige Licht kommt von den eisernen Öfen, die immer noch in den Ecken brennen und deren Existenz erst jetzt sichtbar wird, weil der Ballsaal leer ist. Dieser Raum sieht nicht einmal mehr annähernd so aus wie vorher. Es ist, als wäre alles hier aus Wachs, an das jemand eine brennende Kerze gehalten hat.

Gold ist von den Wänden heruntergeschmolzen und auf halbem Weg erstarrt. Auch von der Decke hängen lange Tropfen wie Eiszapfen herunter, deren Spitzen mit scharfem Vorwurf auf uns zeigen. Die vergoldeten Säulen sind nackt, jede kleinste güldene Verzierung ist weggeschmolzen.

Der Fußboden ist zu Chaos gefroren, an manchen Stellen klumpig, an anderen zeichnen sich leblose Umrisse ab. Eine deutlich erkennbare ausgestreckte Hand, mitten in der Bewegung erstarrt. Ein vergoldeter Körper, zusammengekrümmt neben der erhöhten Plattform. Eine reglose Welle unterhalb des Mezzanins, als wäre der Balkon einfach abgeschmolzen und auf den Boden darunter gefallen, wo ich das Bein von jemandem herausragen sehe. Mein Magen zieht sich vor Entsetzen zusammen.

«Götter …»

Manus geflüsterter Ausruf setzt mich wieder in Bewegung. Meine Schritte tragen mich durch den Ballsaal, ich gehe von einem goldenen Klumpen zum nächsten. Doch als ich tiefer in den Raum trete, dringt ein schreckliches Ächzen aus den Wänden. Dem Fußboden. Der Decke. Wie ein altes Haus, das sich mit Knarren und Knirschen setzt, nur ist das hier viel schlimmer. Es ist unheimlich. Als wäre das Gold ein Geist, der unsere Anwesenheit beklagt und droht, uns heimzusuchen.

Ich verharre reglos, und mein Puls schnellt noch höher als zuvor. Neben mir packt Manu meinen Arm. «Kaila, wir sollten von hier verschwinden.»

Das Ächzen verklingt wie ein Seufzer, und der Saal wird erneut still und reglos.

Die Hand meines Bruders abschüttelnd setze ich meine Suche fort. «Ich will es sehen.»

Keon zeigt nach vorne. «Dort.»

Sobald ich erblicke, worauf er zeigt, tragen mich meine Füße vorwärts, bis ganz ans gegenüberliegende Ende. Zu der vorgewölbten Stelle, die nun die Wand verunziert.

«Große Göttlichkeit …»

Er ist es.

Die Krone auf seinem Kopf fehlt. Vielleicht hat sie sich vereint mit dem Gold, das ihn nun einhüllt. Er sieht aus, als wäre er mit der Wand selbst verschmolzen, als versuche sie, ihn in ihre Tiefen hineinzusaugen und vollständig zu verschlucken. Sein gequältes Gesicht ist deutlich sichtbar. Weit aufgerissene Augen voller Angst und Entsetzen.

König Midas ist nun nichts weiter als ein in einen goldenen Sarkophag eingeschlossener Leichnam.

Das Gold ächzt erneut, als mache es seinen Besitzanspruch geltend.

«Nein …»

Bei der Stimme der Frau wirbeln wir herum und entdecken Flair, die vorwärtsstolpert und Midas entsetzt anstarrt. «Mein König …» Sie fällt auf die Knie, ihren Bauch umklammernd, und der verfärbte, zerstörte Saal wirft das Echo ihrer Schreie zurück. «Sie hat das getan. Sie hat ihm das angetan.»

«Aber wie?», murmelt Keon, während wir zusehen, wie sie schluchzt. «Wie ist das möglich?»

Ich denke zurück an jede Interaktion, an alles, was mir gesagt wurde. Ich starre Midas’ Gesicht an, während ich nachdenke. Während ich lausche. Fäden alter Gespinste durchgehe, die ich gesammelt habe, Worte in meinem Geist hin- und herwälze.

Herrscher sind verschwiegen, was ihre Magie betrifft. Das ist eine strategische Entscheidung. Man muss wissen, wann man sich in die Karten sehen lässt und wann man sie verborgen hält. In manchen Fällen ist es am besten, wenn die Leute einen unterschätzen. In anderen Fällen zeigen Herrscher genug Macht, dass sie von allen entweder verehrt oder gefürchtet werden. Manchmal beides.

Midas hat den Esstisch vergoldet – das war das erste Mal, dass ich es mit eigenen Augen gesehen habe. Er hat auch diesen ganzen Ballsaal für die heutige Feier vergoldet. Zwei perfekte Spektakel.

Dennoch hat sich sein Gold heute Abend verhalten, als habe er es überhaupt nicht unter Kontrolle. Denn das war auch nicht der Fall.

Die goldene Macht war real, daran gibt es keinen Zweifel. Und er hat nie eine andere lebende Person vergoldet außer Auren.

Das muss der Grund sein.

Ich dachte, ihr größtes Geheimnis wäre, dass sie mit einem feindlichen Heerführer schläft. Ich dachte, die goldgeküsste Favoritin wäre einfach nur das – ein Lieblingssattel, den er gerne ritt.

Bei beidem lag ich falsch.

Ich verabscheue es, falschzuliegen.

Midas hat sie zu etwas Auffälligem gemacht, einem protzigen Objekt, um damit zu prahlen. Männer haben immer ihre Obsessionen, besonders wenn es um Frauen geht. Ihre Begeisterung vollführt stets den Spagat zwischen Vernarrtheit und Hass. Ein falscher Schritt, und der Meister wird sich gegen sein hübsches Schoßtier wenden.

Aber vielleicht war in diesem Fall … das Schoßtier diejenige, die sich gegen ihren Meister gewendet hat.

Die Angst in meinem Geist gräbt sich hinunter in meinen Bauch. Falls sie wirklich Macht stehlen kann – was, wenn sie versucht hat, meine zu stehlen? Was, wenn es ihr gelungen ist?

Ich beiße die Zähne zusammen. Anstatt in Panik zu verfallen, muss ich herausfinden, wie ich die Dinge zu meinem eigenen Vorteil weben kann. Denn falls Lady Auren versucht hat, das zu stehlen, was mein ist, werde ich sie vernichten.

Noch während ich das erstarrte Metall betrachte, lässt der Anblick meine eigenen wirbelnden Gedanken klarer werden. Midas ist in Gold gehüllt, als wäre er in eine Form gegossen worden und würde nur darauf warten, zurechtgeschmiedet zu werden.

Ich dachte, tot wäre er für mich nutzlos, aber vielleicht ist dem gar nicht so. Vielleicht muss ich nichts anderes tun, als das zu nutzen, wozu er geschmiedet wurde.

Einer Waffe.

«Als er sie goldgeküsst hat, muss etwas von seiner Macht auf sie übergegangen sein», sage ich leise. «Er hätte nicht gewollt, dass irgendjemand je davon erfährt.»

Midas war geheimniskrämerisch bei allem, aber das? Das sind gefährliche Geheimnisse auf einer völlig anderen Ebene. War das der Grund, weshalb er sie in seiner Nähe behielt? Weil er sie dazu abgerichtet hatte, die Mächte anderer zu stehlen, um sie zu seinem Vorteil zu nutzen?

«Das ist nicht gut», sagt Keon.

«Kaila», hebt mein Bruder an. «Was ist, wenn das kein Einzelfall war? Was ist, wenn das ihre Magie ist? Die Fähigkeit, die Magie anderer zu übernehmen, wenn sie sie an ihr benutzen? Hast du …?»

«Ja», antworte ich mit einem scharfen Nicken, während frische Wut in mir aufkeimt.

«Was, wenn sie deine Macht stiehlt»?

Es gefällt mir nicht, meine eigene Sorge laut ausgesprochen zu hören. Ich drücke die Knie durch und beiße die Zähne zusammen. Mein Blick wandert von Midas zu meinem fleckigen Spiegelbild auf seiner vergoldeten Brust.

So hätte der heutige Abend nicht ablaufen sollen. Es sollte nicht die Gefahr bestehen, dass jemand meine Macht nimmt und sie gegen mich verwendet.

«Wie werden wir das nutzen?», fragt Manu, denn genau wie ich hat er von klein auf gelernt, jede Begebenheit stets zu unserem eigenen politischen Vorteil zu wenden. Die Geschehnisse von heute bilden da keine Ausnahme.

Ich sehe mich im Ballsaal um, aber wir sind immer noch allein, bis auf Flair, die in ihre Hände schluchzt. «Wir sagen den Leuten die Wahrheit», antworte ich. «Dass Midas’ Favoritin sich gegen ihn gewandt hat. Dass sie eine Affäre mit König Fäule hatte, um Midas eifersüchtig zu machen. Dass sie mir meine Verlobung mit dem König missgönnt hat.»

«Wir sorgen dafür, dass alle wissen, dass sie die Schurkin ist.»

Ich nicke. «Ganz Orea wird sie hassen.»

«Aber was ist mit dem Sechsten Königreich?», fragt Manu. «Offensichtlich wird es jetzt keine Hochzeit geben.»

«Wir haben unsere Verlobung öffentlich verkündet», erwidere ich. «Es wird schwierig werden, doch wenn ich meine Karten richtig ausspiele, kann ich immer noch die Kontrolle ergreifen.»

«Die Leute dort revoltieren noch immer», sagt Keon. «Außerdem haben sie ihre alte Königin ermordet. Was bringt dich auf den Gedanken, dass sie dich akzeptieren, nachdem Midas tot ist und es keine Hochzeitszeremonie gab?»

Ich schenke ihm ein Lächeln. «Weil ich nicht die Kalte Königin bin. Ich bin die warmherzige, charismatische, schöne Kaila Ioana. Ich werde sie dazu bringen, mich ebenso zu lieben, wie mich mein Volk im Dritten liebt.»

«Wir wissen, wie beliebt Kaila bei unserem Volk ist. Sie kann es glaubhaft verkaufen», bestätigt mein Bruder mit einem entschiedenen Nicken.

«Wir müssen schnell handeln», sagt Keon. «Sobald wir können, müssen wir dem Sechsten einen Besuch abstatten, irgendeine Art Zeremonie zu Ehren von Midas’ Leben abhalten, dich zur trauernden Verlobten machen, mit der sie Mitleid haben.»

Wenn ich eines kann, dann, ein Königreich dazu zu bringen, mich zu lieben.

«Das ist kein Problem.»

Weitere scharfe, schluchzende Klagelaute hinter uns lassen mich die Zähne zusammenbeißen, und ich werfe einen Blick zu Flair.

Um sie wird man sich immer noch kümmern müssen.

Wenn ich versuche, das Sechste zu übernehmen, kann ich es gewiss nicht gebrauchen, dass Midas’ illegitimer Erbe aus ihrem Schoß schlüpft. Aber das ist ein Problem für einen anderen Tag.

«Die Ereignisse dürften sich bald überschlagen», fahre ich leise fort. «Sobald die anderen Monarchen herausfinden, dass Lady Auren die Fähigkeit hat, Macht zu stehlen, werden sie sich einmischen. Außerdem ist da noch die Sache mit dem Fünften.»

«Tatsächlich habe ich dazu eine Idee», sagt Manu, und sofort schärft sich meine Aufmerksamkeit.

Mein Bruder ist nicht umsonst mein Ratgeber. Er hat einen brillanten Verstand, weiß, wie man einen Raum für sich einnimmt, wie man Leute durchschaut, und vor allem wird er mir immer treu ergeben sein.

«Unser Fokus muss darauf liegen, wie wir uns das Sechste sichern und was wir mit Lady Auren anstellen. Das Letzte, was wir wollen, ist, all die Arbeit zunichtezumachen, mit der wir hier im Fünften Fuß fassen konnten. Also schlage ich vor, dass wir uns augenblicklich auf die Suche nach dem nächsten Verwandten von Fulke machen, denn nun, da der Prinz tot ist, braucht Ranhold einen Erben. Wir werden alle aufspüren, die Magie besitzen, und die besten Kandidaten heraussieben. Dann werden wir entscheiden, welcher Erbe den Thron bekommt. Wir werden bestimmen, wer die Macht übernimmt. Und im Austausch für unsere Unterstützung … werden sie uns unterstützen, und nur uns allein.»

Ich lächle. «Du bist perfekt, Bruder.»

Er schenkt mir ein Lächeln, das meinem gleicht.

«Und falls jemand versucht, sich uns in den Weg zu stellen, wenn wir das Sechste für uns beanspruchen oder unsere Hand bei der Ernennung eines Erben für das Fünfte im Spiel haben?», fragt Keon besorgt.

Mein Lächeln wird scharf und skrupellos. «Jeder, der seine Stimme gegen mich erhebt, wird hinterher keine mehr haben.»

Und falls Lady Auren denkt, sie kann sich nehmen, wofür ich gearbeitet habe, wird sie bald erkennen, dass sie nicht die Einzige ist, die weiß, wie man etwas stiehlt, das man haben will.

Ich mag vielleicht keine goldene Magie haben, und ich mag keine Fäulnis haben, doch Worte sind die mächtigste Waffe von allen, und ich werde sie meisterhaft schwingen.

Kapitel 2

SLADE

Ein Sturm zieht am Himmel auf, während ich einen leblosen Körper in den Armen halte.

Das drohende Unwetter kommt mit gefletschten Zähnen näher, seine scharfe, beißende Kälte schlägt mir brüllend ins Gesicht.

In meinem Kopf zähle ich die Sekunden. Es hat sechzig gedauert, bis meine Waldschwinge mich erreichte, nachdem ich sie mit einem schrillen Pfiff gerufen hatte. Weitere vierzig, um auf Argos Rücken zu kommen und von Lu festgeschnallt zu werden, während ich Auren in den Armen hielt.

Weitere sechzig Sekunden haben uns hierhergebracht, in die Fänge der Wolken, die sich um uns herum zusammenbrauen. Das Wetter hat sich entschieden, sich gegen mich zu wenden, die Anzeichen eines Sturms dräuen am nächtlichen Horizont.

Eis kratzt an meinen Wangen wie scharfkantige Fingernägel, als meine Waldschwinge vorwärtsprescht. Ich drücke Auren enger an mich, in meinen Umhang gehüllt, ihr Gesicht an meiner Brust.

Sie ist zu kalt, zu ungeschützt, zu still.

Ihr Herz schlägt nicht, ihre Brust hebt sich nicht, ihre Haut ist fahl geworden. Alles wegen mir. Wegen dem, was ich getan habe.

Mit einem schnellen Blick über meine Schulter sehe ich Burg Ranhold unter mir, von Fackeln erleuchtet. Ihre Fassade ist nun von wütenden Spritzern aus erstarrtem Gold verunziert, das durch die Mündung der Türen herausbrach und das graue Mauerwerk befleckte wie goldene Lava, die träge wurde, bevor sie weiteren Schaden anrichten konnte.

Es sieht aus, als habe das Gold versucht, sich durch die ganze verdammte Burg zu fressen, sie unerbittlich zu verschlingen. Das ist es, was passiert, wenn Macht zu lange unterdrückt wird – wie bei einem brechenden Damm sammelt sie sich, steigt an, hämmert gegen die Barrieren, bis sich Risse bilden und sie endlich ausbrechen kann.

Ich drehe mich wieder nach vorne und halte Auren noch ein wenig fester.

Ich muss fort von der Burg – von dem Gold –, aber wie weit fort, das ist die Frage. Denn jede Sekunde, die ich warte, bringt sie noch mehr in Gefahr.

Ein zweischneidiges Schwert, auf dessen Spitze Aurens Leben balanciert.

Ich muss sie so weit fortbringen, wie ich nur kann, aber ich darf nicht riskieren, sie zu lange in dieser Totenstarre zu lassen. Ohne zu wissen, welche Reichweite ihre Macht hat, ist es ein Ratespiel, wie weit wir fliegen müssen.

Alles, was ich tun will, ist, die Fäulnis aus ihr herauszuholen. Ihr Körper kann noch mehr Auszehrung nicht ertragen. Außerdem muss ich landen, denn wenn ich meine Macht von ihr zurückziehe, besteht die Chance, dass sie die ihre immer noch rufen kann. Ich darf nicht zulassen, dass das in der Luft geschieht.

Ihre Aura ist nichts als ein fahler Hauch, wie im Tageslicht schwindender Nebel. Wenn ich zu lange warte, wird meine Macht, mit der sie infiziert ist, mehr Schaden anrichten, als ich rückgängig machen kann – und das darf ich ebenfalls nicht zulassen. Ich darf keines dieser Dinge zulassen. Also wird es hier auf die allerletzte Sekunde ankommen.

Zeit und Entfernung sind meine Feinde und meine Verbündeten.

Mit nervöser Sorge gebe ich meiner Waldschwinge die Sporen. Argo stößt einen Schrei aus, entweder um sein Missfallen zu zeigen oder um dem Rest der Schar ein Signal zu geben. Ich weiß, dass die anderen uns folgen.

«Schneller, Argo», dränge ich das gefiederte Tier vorwärts, obwohl meine Stimme fortgerissen wird wie Tand von diebischen Fingern.

Wenngleich uns der Wind entgegenschlägt, steigert Argo seine Geschwindigkeit noch. Ich lasse die Zügel locker, und seine riesigen, ausgebreiteten Flügel durchschneiden den Nachthimmel, der nur von einem verschleierten Mond erleuchtet wird. Durch die jähe Beschleunigung werde ich zurückgerissen, und wenn der Lederriemen um meine Taille nicht wäre, mit dem ich am Sattel festgeschnallt bin, wäre ich mit großer Wahrscheinlichkeit runtergefallen.

Wäre nicht das erste Mal.

Doch im Augenblick fliege ich nicht zum Vergnügen oder zum Auskundschaften.

Hier geht es um Leben und Tod.

Um ihr Leben.

Wir fliegen so schnell wie möglich fort von Ranhold, und der Himmel des Fünften Königreichs scheint uns dafür zu bestrafen. Vielleicht wollen der verstorbene König Fulke und Prinz Niven einen Sündenbock für ihren Untergang.

Ein paar von Aurens goldenen Haarsträhnen schlüpfen unter der Kapuze meines Umhangs hervor und peitschen im Wind. Mit einer Hand ziehe ich den Umhang enger um ihr Ohr, um die Kälte von ihr fernzuhalten, auch wenn ich weiß, dass sie sie nicht spüren kann.

Dreißig weitere Sekunden sind vergangen.

Furcht schichtet sich in meinen Eingeweiden wie schwere Ziegelsteine zu einer unüberwindlichen Mauer. Es fühlt sich an, als zähle ich die Schritte, mit denen Aurens Seele Stück für Stück davongleitet.

Ich habe gesehen, was passiert, wenn ich zu lange damit warte, die Fäulnis umzukehren, und ich weiß, wie zerstörerisch sie ist. Ich weiß, in welche Gefahr ich sie gebracht habe.

Schuldgefühle wüten in mir wegen dem, was ich getan habe, wegen der Magie, die sie als Geisel hält, aber meine Entschlossenheit, sie zu beschützen, verhärtet sich. Ich werfe einen weiteren Blick hinter mich, doch Ranhold ist nun außer Sichtweite, die Wolken verdecken das Königreich vollständig.

Aus den Augenwinkeln sehe ich einen dunklen Schatten die Wolken durchschneiden und bin nicht im Geringsten überrascht über die Waldschwinge und den Reiter, die auf uns herabstoßen. Sogar Osrik wirkt im Vergleich zu dem Tier irgendwie klein. Er sieht mich wortlos an, und ich nicke.

Ich hoffe, ich bin weit genug fort, denn ich wage es nicht, auch nur eine Sekunde länger zu warten. Mit einem Ruck an den Zügeln lenke ich Argo abwärts. Meine Waldschwinge stößt einen Schrei aus, und ich beuge mich schützend über Auren, um uns auf unseren Sturzflug vorzubereiten.

Als Osrik sieht, dass ich zur Landung ansetze, stößt er einen scharfen Pfiff aus und tut es mir gleich. In der Ferne kann ich die antwortenden Rufe weiterer Waldschwingen hören.

Wohin ich auch gehe, meine Zorneskrieger folgen mir.

Die Wucht des Windes, der uns entgegenschlägt, lässt meine Augen brennen, als wir durch die vom drohenden Sturm schweren Wolken stoßen.

Die Linien der Macht an meinem Kiefer winden sich unbändig, während ich die Verbindung zu meiner Magie überwache, die nun in Auren wirbelt. Fäulnis. Zersetzung. Tod. Sie haben nichts in ihrer Nähe zu suchen, dennoch habe ich sie dort hingebracht.

Ich hasse das, verdammt.

Mich mit den Knien festklammernd lehne ich mich vor und halte mich am Riemen meiner Waldschwinge fest. «Komm schon …», murmle ich.

Vielleicht kann Argo meine aufsteigende Panik spüren, denn irgendwie schafft er es, sogar noch schneller in die Tiefe zu stürzen. Wasser gefriert in den Winkeln meiner zusammengekniffenen Augen, und das Herz schlägt mir laut genug gegen die Brust, um mit dem tosenden Wind mithalten zu können.

«Fast geschafft», sage ich an ihrem Haar. «Halt nur noch ein paar Sekunden durch.»

Endlich durchbrechen wir die letzten Wolken- und Nebelschichten, nur um vom gefrorenen Boden unter uns begrüßt zu werden. Es scheint, als breite die Welt ein graues Laken aus. Als es aussieht, als würden wir gleich aufschlagen, zieht Argo im letzten Moment hoch und beschreibt zusammen mit Osriks Waldschwinge einen Kreis, bevor beide auf ihren krallenbewehrten Füßen landen und dabei Schnee aufstieben lassen wie Gischt am Bug eines Schiffs.

Meine gefrorenen Finger öffnen bereits die Schnalle, die mich im Sattel hält. Ich rutsche herunter, wobei ich den Aufprall mit den Knien abfedere, um Auren nicht zu sehr zu erschüttern. Bevor ich auch nur einen einzigen Schritt vorwärts machen kann, ist Os bereits da, reißt sich den Umhang herunter und breitet ihn auf dem Boden aus. Aus den Augenwinkeln sehe ich weitere Waldschwingen landen.

«Bleibt zurück», rufe ich über meine Schulter.

Ich lege Auren auf den Umhang. Kaum wahrnehmbare Spuren von Fäulnislinien ziehen sich in ihren Adern den Hals entlang. Ihr Haar ist wie ein Heiligenschein um sie ausgebreitet und glänzt irgendwie sogar in der Dunkelheit. Sie sieht so klein aus in meinem Umhang, so leblos.

Sofort knie ich mich über sie und schließe konzentriert die Augen. Meine Magie ist da, sie klammert sich in ihrer Gestalt fest wie ein Gift. Unnatürlicher Verfall strömt träge durch ihre Adern und lässt das Herz in ihrer Brust verkümmern. Er kriecht in ihrer verdorrenden Kehle hoch, zurückgehalten von ihren reglosen Lippen.

Anspannung wogt durch mich hindurch. Instinktiv will ich die Magie so schnell wie möglich aus ihr herausreißen, aber ich habe festgestellt, dass ein zu schnelles Vorgehen so ist, als ziehe man eine Klinge aus einer Wunde. Ich will nicht noch mehr Schaden anrichten, als ich es bereits getan habe.

Vorsichtig rufe ich die Macht Zentimeter für Zentimeter zurück, um ihren Körper nicht zu schocken. Hinter mir kann ich das Murmeln der übrigen Mitglieder meines Zorns hören, unsichere Schritte im Schnee, schnaubende Waldschwingen und Donner aus den Wolken, die signalisieren, dass sich eine Kaltfront nähert.

All das schiebe ich beiseite und halte meine Aufmerksamkeit auf die Magie gerichtet, die durch sie hindurchströmt. Wie die Wurzeln eines Unkrauts ziehe ich sie so sanft heraus, wie ich nur kann, entferne die faulende Starre, in der ich sie begraben habe, helfe ihrem Körper, sich wieder zu normalisieren. Gewissenhaft löse ich jede kleine zersetzte Stelle ab wie angetrockneten Lehm, befreie sie von einem Stück nach dem anderen.

Trotz der schneidend kalten Luft perlt Schweiß auf meinen Schläfen. Mit zusammengebissenen Zähnen ziehe ich die Macht zu mir zurück, in die tiefen brodelnden Winkel meiner Adern. Ich bekomme alles aus ihr heraus, bis nur noch ein einziges Bruchstück übrig ist. Ein einziger Samen, begraben mitten in ihrer Brust.

Doch als ich ihn rufe, mich bemühe, ihn aus ihren Tiefen auszugraben, stoße ich auf Widerstand. Anstatt sich zurückzuziehen wie der Rest, gräbt dieses Teil seine Dornen ein, als versuche es zu bleiben.

Als versuche es, sie ihn seinen Fängen zu behalten.

Ich runzle die Stirn, und meine Hände zittern, während die Machtlinien auf der Haut meiner Arme entlangwandern. Sie kriechen über meinen Handflächen und sammeln sich unter meinen Fingerspitzen. Die dunklen Linien reiben mich innerlich wund, drohen meine Haut zu durchbohren.

Ein Widerstreit aus Verwirrung und Angst lässt einen Muskel in meinem Kiefer zucken.

Noch nie war meine Fäulnis so widerwillig. Noch nie wollte sie so hartnäckig bleiben. Ich habe mich seit Jahren nicht mehr so schwer damit getan, sie zu kontrollieren; schon seit ich ein kleiner Junge war nicht mehr. Ich musste sehr früh lernen, die übel riechende Magie in den Griff zu bekommen, bevor sie alles vernichtete, mich selbst eingeschlossen.

Also was zur Göttlichkeit geschieht hier?

Verzweifelt überprüfe ich den Rest von ihr, aber da ist keine weitere Fäulnis übrig, keine einzige weitere Stelle besudelt. Sie ist wieder, wie sie vorher war, also warum will dieses letzte Bruchstück nicht gehen?

«Lass los.» Meine Zunge ist schwer vom Geschmack unnachgiebigen Gifts. «Lass sie los.»

Die Fäulnis windet sich als Antwort, wie Dornenranken, die sich um ihre Brust wickeln, als wolle sie in ihr Wurzeln schlagen. Panik durchschneidet mich wie eine scharfe Klinge.

«Komm verdammt noch mal aus ihr heraus!»

Magie und Macht strömen ungehindert aus mir, stärker als der tobende Sturm, der seine Fluten vom Himmel stürzen lassen will. Mit einem Krachen, das die Luft zerreißt und meine Zähne aufeinanderschlagen lässt, ziehe ich mit einem einzigen gewaltigen Ruck.

Die Wucht schleudert mich rückwärts, während Aurens Rücken sich wie eine Welle vom Boden aufbäumt.

«Riss!»

Ich liege benommen und außer Atem da, die Augen auf die schattenhaften Umrisse der Wolken geheftet, die den Nachthimmel über mir bedecken.

Schnee fliegt von Lus Knien hoch, als sie neben mir auf dem Boden aufschlägt. Ihre Augen sind weit aufgerissen vor Sorge. «Bist du okay?»

«Was zur Göttlichkeit ist gerade passiert?», will Osrik wissen.

Ich höre Judd einen Pfiff ausstoßen. «Deine Adern …»

Ich sehe auf die wütend zuckenden und peitschenden Machtlinien in meinen Händen. Die Augen aller wandern zu meinem Hals und meinem Gesicht, aber sie brauchen nichts zu sagen, weil ich die geäderten Wurzeln unter meiner Haut spüren kann. Überall, verdammt. Als hätte ich meine Macht seit Monaten nicht benutzt, als hätte sie sich in mir in einem instabilen Ausmaß aufgestaut.

Aber das ist unwichtig, weil ich gerade das letzte Stück Fäulnis aus ihr herausgerissen habe, also wird alles gut.

Lu will mir dabei helfen, mich aufzusetzen, doch ich schiebe ihre eifrigen Hände weg, während mir ein schmerzhaftes Stöhnen über die Lippen schlüpft. Schnell beuge ich mich wieder über Auren, aber in dem Moment, in dem ich ihr Gesicht sehe, wird mir bewusst, dass sie immer noch nicht wach ist.

Sie bewegt sich immer noch nicht.

Meine Panik schwillt erneut an.

Fäule schießt ebenso tief und heftig in die Erde, wie mein Herz ins Bodenlose sinkt.

Was habe ich getan?

Meine Finger graben sich in den Schnee, verrottender Mulch breitet sich von meiner Berührung aus und durchzieht den Boden mit verderbten Adern. Ich spüre nicht nur, wie die Fäulnis sich im Schnee ausbreitet – ich spüre, wie sie sich um mein Herz windet, zudrückt, zerquetscht, es mitten in meiner Brust verkümmern lässt.

Ich kneife die Lider zu, und die zuckenden Wurzeln durchstechen beinahe die Haut meines Halses. Sie schlingen sich um meine Adern wie wütende Schlangen, würgend und beißend, lassen meinen ganzen Körper schmerzen, doch das hat keine Bedeutung.

Weil ich sie umgebracht habe. Ich habe sie verdammt noch mal umgebracht –

Plötzlich öffnen sich ihre Lippen. Ein zitternder Atemstoß bricht aus ihr heraus, und ich reiße die Augen auf. Ein schwarzer, giftiger Hauch dringt aus ihrem Mund und verflüchtigt sich in der Luft zwischen uns.

Erleichterung pocht in meinen Schläfen. «Auren?»

Aber ihre Augen öffnen sich nicht, und Furcht verkrampft meine Brust.

Ich schließe die Augen, um mich erneut auf ihr Inneres zu konzentrieren, und sofort weicht mir das Blut aus dem Gesicht. Denn dieses Stück – dieses einzelne Körnchen Fäulnis, das ich aus ihr herausreißen hätte sollen, als ich rückwärts geschleudert wurde – ist immer noch da.

Es ist. Immer. Noch. Da.

Fassungslos versuche ich im Geiste erneut, es zu greifen und daran zu zerren, immer wieder, doch es rührt sich nicht vom Fleck. Es will nicht gehen.

Sie atmet, ein weiterer Hauch aus trübem, schwarzem Dunst verlässt ihre Lippen.

Mein Herz hämmert wie mit Fäusten gegen meine Rippen, bereit, sich hindurchzuboxen und zu kämpfen. Und immer noch, egal, wie sehr ich meine Macht rufe, dieses Stück in ihrer Brust will nicht herauskommen. Es ist tief eingedrungen, wie ein Tintenfleck in goldenem Stoff, den ich nicht herausbekomme.

Aber ihre Brust hebt und senkt sich. Ihr Herz hat angefangen zu schlagen. Sie lebt.

Ich kann diesen verdammten letzten Tropfen Fäulnis nicht aus ihr herausholen, doch sie lebt, und das ist es, was zählt.

«Wach auf, Auren.»

Sekunden vergehen. Fünf, zehn, zwanzig. Ich zähle sie alle.

«Ist sie okay?»

Mein Rücken verkrampft sich bei der Frage von Digby, dessen Stimme von Schmerz und mangelndem Gebrauch rau ist. Ich antworte ihm nicht, und ich weiß nicht, ob irgendjemand sonst es versucht. Ich beobachte Auren weiter. Versuche, sie mit der Kraft meines Willens zu zwingen, die Augen zu öffnen.

«Komm schon, Goldfink …», murmle ich, während sich ein Gefühl von Dringlichkeit wie eine Schlinge um meinen Hals legt.

Das Geräusch schlurfender Schritte erklingt, dann drängt Digby sich vor, um sich neben mich zu knien. «Ist sie okay?», will er erneut wissen.

Als ich immer noch nicht antworte, packt er die Vorderseite meines Hemds und zwingt mich mit überraschender Kraft in Anbetracht seines Zustands, ihn anzusehen. «Was habt Ihr getan?», knurrt er zwischen geschwollenen und mit Blut und Frost verkrusteten Lippen hervor.

Sofort ist Osrik zur Stelle, hebt Digby hoch und zieht ihn weg. «Was habt Ihr getan?» Digbys Schrei ist verstümmelt, heiser und anklagend, doch er verschmilzt mit der Stimme meines eigenen inneren Entsetzens. Osrik und er wechseln ein paar hitzige Worte, aber Angst hämmert zu stark in meinen Ohren, als dass ich hören könnte, was sie sagen.

Was habe ich getan?

Die Panik und Angst, die mich seit dem Moment gepackt haben, als ich meine Macht bei ihr anwandte, dringen an die Oberfläche, lassen meine Hände zittern.

«Warum wacht sie nicht auf?», fragt Lu neben mir, doch ich habe keine Antwort. Ich habe verdammt noch mal keine Antwort, also sage ich nichts.

Zischend vor Schmerz, der in meinen Fingern pocht, nehme ich ihre kalten Wangen in meine Hände. Sogar jetzt ist es, als wolle meine Macht durch meine Haut brechen und wieder zu ihr zurück.

Ihre Aura ist stumpf. Nur ein Hauch von mattem Gold, der kaum ihre Silhouette umgibt. Sie sollte strahlend hell sein, trotz der Nacht, doch sie ist nichts im Vergleich zu dem Lodern starker Macht und Leben, das sie normalerweise verströmt.

Ich habe zu lange gewartet.

Ich hätte sie früher stoppen sollen, bevor sie sich fast völlig verausgabte. Ich hätte schneller landen, meine Magie früher aus ihr zurückziehen sollen.

«Bitte nicht», sage ich durch knirschende Zähne. Zu ihr, zu den Göttern.

Nicht jetzt.

Nicht nach alledem. Nicht, wenn ich sie verdammt noch mal gerade erst gefunden habe.

«Du musst aufwachen», befehle ich, aber eigentlich ist es ein Flehen aus der Tiefe meiner Seele. Was, wenn sie nie mehr aufwacht? Was, wenn dieses hartnäckige Körnchen Fäulnis in ihr Wurzeln geschlagen hat und sie nicht mehr loslässt?

Ich habe meine Fäulnis nur aus dem Grund bei ihr benutzt, sie daran zu hindern, sich von ihrer Magie aufzehren zu lassen. Aber ich habe es um ein Vielfaches schlimmer gemacht. Nun wehrt sich meine eigene Macht gegen mich, während Auren von ihr befleckt bleibt.

Ich lasse den Kopf sinken und presse die Stirn gegen ihre, meine Hände immer noch an ihren kalten Wangen. «Bitte nicht», flehe ich mit fest zusammengekniffenen Augen. «Du bist stärker als das, Goldfink. Viel stärker. Also. Wach. Auf.»

Sie tut es nicht.

«Verdammt!» Jäh richte ich mich auf und schlage mit der Faust in den Schnee neben mir, sodass das scharfe Eis meine Hand aufschneidet. «Verdammt, verdammt, verdammt!»

Ich kann hören, dass Digby wie wild gegen die anderen kämpft, mich verflucht, meinem Rücken Drohungen und Beschimpfungen wie Peitschenhiebe entgegenschleudert. Mich mit der Erkenntnis trifft –

«Ich habe das getan.» Vier Worte, aus heftigstem Schuldgefühl gemeißelt.

Bei meiner Erklärung presst Lu die Lippen zusammen. «Dann mach es rückgängig.»

«Ich hab es versucht», schnauze ich frustriert und fahre mir mit der Hand durchs Haar. «Ich versuche es.»

Ich kann nicht mehr klar denken. Mein Puls hämmert in meinen Schläfen, der Boden zittert unter meinen Füßen, etwas brüllt in meinen Ohren. Meine Magie klagt in meinem Innern, blutet in meine Iris und lässt mich Linien sehen, die nicht da sind. Ich verströme jetzt Fäulnis, zu viel, zu schnell, was sie in den Boden schmelzen lässt, die Erde schwächt und verdirbt.

Ich höre Rufe, oder vielleicht ist es der Wind, oder die Macht, die sich in meinen Knochen aufbäumt.

«Riss, deine Macht …»

Mein ganzer Körper bebt, jeder Zentimeter meiner Haut wird gezerrt und gedehnt, will um sich schlagen, und meine Fäulnis beginnt, den Boden zu fluten, kriechend, zischend, sie will sich ausbreiten und explodieren …

BUMM!

Die Wucht einer Faust in meinem Gesicht lässt mich rückwärts fliegen. Zum zweiten Mal in einer Minute falle ich benommen in den Schnee.

«Reiß dich zusammen», schäumt mein Bruder über mir kniend, während er mich nach seinem unerwarteten Fausthieb wieder hochzieht. Mein wütender Blick heftet sich auf sein Gesicht. «Du lässt das ganze verdammte Land verrotten. Krieg dich in den Griff, und zwar sofort. Du kannst es dir nicht leisten, die Kontrolle zu verlieren.»

Ich blinzle, als Ryatts gereizte Worte mich irgendwie wieder in der Gegenwart verankern. Ein Blick nach unten offenbart, dass der Schnee unter unseren Füßen kränklich braun ist, durchzogen von giftigen Adern. Sie erstrecken sich in einem perfekten Kreis, um den Boden zu verderben.

Ich hole tief Luft und balle die Fäuste. Es gelingt mir, meine Macht zurückzuziehen, bevor sie sich noch weiter ausbreiten kann. Ich ziehe sie zurück, und zurück, und zurück …

«Hast du es?», will Ryatt wissen.

«Ich habe es», knurre ich ihn an.

«Gut.» Er lässt mich los, und ich will ihm zu gleichen Teilen die Faust ins Gesicht schlagen und ihm dafür danken, dass er mich aus dem Sog der Macht herausgerissen hat.

Als ich mich abwende, finde ich alle Mitglieder meines Zorns und Digby um Auren gedrängt vor. Judd wirft mir einen argwöhnischen Blick zu. «Sie atmet, das ist ein gutes Zeichen», sagt er, als könnte mich das beruhigen.

«Aber sie wacht nicht auf.»

«Hast du alles herausgeholt?», fragt Lu, deren Hände über Aurens Ärmeln schweben, sie jedoch sicherheitshalber nicht ganz berühren.

«Irgendetwas stimmt nicht. Ich konnte das letzte Körnchen nicht herausbekommen.»

Lus Augen werden groß, und ich höre jemand anderen den Atem einsaugen.

«Vielleicht habe ich zu lange gewartet.»

«Was bedeutet das?», fragt Digby.

Ratlos schüttle ich den Kopf.

«Nun, wir brauchen einen Plan.» Lu steht auf und bürstet sich ab, bevor sie einen Blick zum Himmel wirft. «Dieser Sturm kommt auf uns zu, und zwar schnell. Was willst du tun?»

Ich nehme mir einen Moment, um die Schultern zu straffen und den tyrannischen Sog der Magie zu unterdrücken, während ich die Finger balle und öffne, um die sich unablässig windenden Machtlinien in den Griff zu bekommen. Dann dränge ich mich an allen vorbei und nehme Auren vorsichtig auf die Arme. Ich halte sie an meine Brust gedrückt, erschüttert darüber, wie leblos sie sich immer noch anfühlt.

Als ich mich in Bewegung setze, stellt sich Digby mir humpelnd, aber mit mörderischem Ausdruck im Gesicht in den Weg. «Ich habe Euch gesagt, Ihr sollt sie da durch bringen.»

«Sie braucht nur Ruhe», erwidere ich, doch sogar ich kann die Unsicherheit in meinem Tonfall hören. «Ich muss sie aus der Kälte herausbringen.»

Unglauben und Hass stehen auf seinem Gesicht, aber bevor er noch etwas sagen kann, wende ich mich zu Osrik um. «Ihr alle fliegt zurück zur Armee. Ich will, dass unsere Soldaten Ranhold noch heute Abend verlassen. Ich traue Königin Kaila nicht. Bringt sie zurück ins Vierte, so schnell sie marschieren können.» Mein Mund verzieht sich zu einem grimmigen Strich. «Wir werden sie brauchen.»

Osrik nickt, doch Judd fragt: «Was ist mit dir?»

Ich werfe einen finsteren Blick zum Himmel. «Ich werde vor diesem Sturm davonfliegen und Auren in Sicherheit bringen.»

«Du kannst nicht allein gehen», wendet Lu ein. «Und du kannst nicht die ganze Strecke bis zum Vierten mit ihr fliegen, wenn sie bewusstlos ist. Das ist zu weit. Was ist, wenn sie aufwacht und dich vergoldet?»

Argo faltet seine baumrindenfarbenen Flügel und kniet nieder, die Krallen in den tiefen Schnee gegraben, als ich mich ihm nähere. «Ich fliege nicht zum Vierten», rufe ich über meine Schulter.

«Wohin bringt Ihr sie dann?», will Digby wissen.

Aber Ryatt ist es, der reagiert, als ich den Sattelriemen packe und mich mit Auren auf Argos Rücken schwinge. Ich sehe meinem Bruder in die wütenden Augen, als er für mich antwortet.

«Er bringt sie nach Todbrunn.»

Kapitel 3

SLADE

Acht Jahre alt

«Slade!» Der Ruf ist lauter als der Gesang der Vögel, was einige von ihnen erschrocken auffliegen lässt.

Ich drehe mich um, um durchs Geäst zum Anwesen zu spähen, und als ich einen Zweig zurückbiege, stößt eine der Knospen unter meiner Hand eine pudrige blaue Wolke aus. Das Gebäude aus schwarzem Stein ist von helleren Flecken überzogen, von all den vielen Malen, wenn es geregnet hat. Das Dach ist flach, bis auf die quadratischen Schornsteine, die wie gestapelte Bauklötze emporragen.

Mein Blick fällt hinunter auf die abschüssige Wiese, wo sie den Hügel hoch auf mich zugeht. Ich stoße einen Seufzer aus und lasse den Zweig los, diesmal vorsichtiger, damit ich nicht noch eine Blütenstaubwolke ins Gesicht bekomme. Wenigstens riecht es gut, aber es macht furchtbar schmutzig.

Ich drehe mich wieder zu dem Nadelvogel um, der auf meinem Finger sitzt. Er ist noch ein Nestling, der spindeldünne Körper von Flaum überzogen, aber seine Augen sind offen, und er gurrt leise. «Es ist alles gut. Dir werden bald schon deine richtigen Federn wachsen», sage ich ihm. In ein paar Wochen wird er ein dichtes Gefieder haben und mit seinen Schwanzfedern angeben können, jede einzelne davon so dünn wie eine Nadel und auch ebenso spitz. «Dann kannst du mit den anderen davonfliegen.»

Mein Name wird erneut gerufen, darum setze ich den Vogel sanft wieder zurück in sein Nest, bevor ich das Bein über den Ast schwinge und anfange, nach unten zu klettern.

Als meine nackten Füße im Gras landen, sehe ich hoch zu meiner Mutter, die mit den Händen in den Hüften vor mir steht. Ihr schwarzes Haar ist zu einem langen, lockeren Zopf geflochten, und sie trägt ein Kleid aus demselben roten Stoff, den ich auch anhabe.

«Was glaubst du eigentlich, was du da oben in diesem Baum machst?»

Ich zucke mit den Schultern. «Nichts.»

«Mm-hmm», erwidert sie, während sie mir etwas von dem blauen Blütenstaub fortwischt, der auf meiner Schulter gelandet ist. «Ich nehme an, du bist nicht da raufgeklettert, um erneut mit den Vögeln zu spielen.»

Mit ernster Miene gucke ich wieder zu ihr hoch. «Ich habe nicht gespielt. Das ist was für Kinder. Ich habe beobachtet.»

Die Lippen meiner Mutter zucken. «Natürlich», sagt sie, dann richtet sie ihre grünen Augen auf meine Füße. «Und deine Schuhe?»

Ein weiteres Schulterzucken. «Mit denen klettert es sich schwieriger. Ich habe sie nicht angezogen, weil ich nicht runterfallen wollte.»

Sie schüttelt den Kopf, aber alle Strenge ist aus ihrer Miene gewichen, als sie sich vor mich kniet. «Nun, dass du runterfällst, kann ich wirklich nicht gebrauchen. Und wie geht es den Vögeln heute Morgen?»

«Gut», versichere ich ihr nun wieder voller Begeisterung, weil ich merke, dass sie nicht verärgert ist. «Da ist ein kleiner Nestling, aber ich glaube, seine Mama ist schon weggeflogen, also werde ich ihm helfen, fliegen zu lernen.»

Die grünen Augen meiner Mutter kräuseln sich an den Augenwinkeln, als sie lächelt. «Wenn jemand das kann, dann du. Du konntest schon immer gut mit ihnen umgehen.»

Sie hebt die Hand, um mit den Fingern über mein Haar zu streichen, doch ich ziehe den Kopf weg und drücke es selbst flach. «Ich hab es vorhin schon gekämmt.»

Sie lacht, dann rückt sie meinen hochgeklappten Kragen zurecht. «Na komm. Es ist Essenszeit.»

Als sie nach meiner Hand greift, ziehe ich sie fort. «Ich kann nicht mehr Händchen halten. Ich bin schon acht», sage ich zu ihr.

«Oh, richtig. Natürlich», antwortet sie, obwohl sich ihr Mundwinkel zu einem Schmunzeln hebt. «Ich schätze, es fehlt mir einfach, die Hand meines Sohnes zu halten.»

Ich will nicht, dass sie sich schlecht fühlt. Es ist nicht so, dass ich ihre Hand nicht mehr halten will, es ist halt nur was für kleine Kinder. «Du kannst Ryatts Hand halten», erkläre ich ihr. «Er ist erst drei, also ist das in Ordnung.»

Sanft tätschelt sie meine Wange. «Das ist eine sehr gute Idee.»

Gemeinsam gehen wir von dem kleinen Wäldchen fort, vorbei an den Vogelbädern und der Reihe aus spitz geformten Sträuchern. Ich sehe zu dem Anwesen am Fuß des Hügels, aber ich will nicht hineingehen. Ich würde viel lieber hier draußen bleiben beim Gras und den Vögeln.

Eigentlich ist mit dem Haus alles in Ordnung. Wir haben dreiundvierzig Zimmer, jede Menge schicker Dinge und auch einen Haufen Dienstboten. Keine der anderen Familien in der Stadt hat ein so großes Haus wie unseres mit so vielen Pferden.

Aber ich hasse es. Ich würde lieber in den kleineren Häusern in den Straßen der Stadt wohnen. Denn dann würde ich nicht hier leben. Bei ihm.

Wir sind fast an den Gärten vorbei und an der Hintertür, als eine Gestalt im Türrahmen auftaucht, und sofort bleibe ich wie angewurzelt stehen, ebenso wie meine Mutter neben mir. Mein Vater wartet dort, das rote Hemd bis hoch zum Hals zugeknöpft, keine einzige Falte nicht am richtigen Platz. Sein kahler Kopf geht in einen dichten braunen Bart über, und sein Mund ist bereits gereizt zusammengekniffen. Das ist er normalerweise immer, wenn ich in der Nähe bin.

Seine schwarzen Augen schnellen von ihr zu mir, und ich zwinge mich, nicht zu schlucken. Er würde es sehen, und ich soll immer etwas sein, das man stoisch nennt. Ich glaube, das bedeutet, nicht zu fühlen.

Meine Mutter nimmt meine Hand, und diesmal ziehe ich sie nicht weg. Meine schweißnasse Handfläche liegt fest in ihrer, als sie mit mir die letzten paar Stufen hinaufgeht, bis wir vor ihm stehen.

«Ich wusste nicht, dass du heute nach Hause kommst, Stanton.»

«Ich konnte die Sache mit dem König abkürzen», antwortet er.

Seine Aufmerksamkeit fällt auf meine nackten Füße, und das bringt mich dazu, meine Zehen krümmen und im Gras vergraben zu wollen. Mein Herzschlag wird schneller, als er sie mit einem verächtlichen Blick bedenkt, bevor seine Augen zurück zu meiner Mutter zucken.

«Wie ich sehe, hast du deine mütterlichen Pflichten vernachlässigt, während ich fort war, Elore.»

Sofort lasse ich den Kopf hängen, und mein Blick findet meine schmutzverschmierten Füße, während sich Scham auf meine Schultern legt. Wenn ich gewusst hätte, dass mein Vater nach Hause kommt, wäre ich nie ohne Schuhe nach draußen gegangen. Ich wäre überhaupt nicht nach draußen gegangen. Diese letzte Woche, in der er fort war, war die beste Zeit, die ich seit Langem hatte. Meine Mutter hat mich jeden Tag hinausgehen lassen, und ich durfte gestern sogar meinen Waffen- und Geschichtsunterricht schwänzen. Das Letzte, was ich will, ist, dass mein Vater böse auf sie ist.

«Er ist nur in den Gärten herumgelaufen», sagt sie mit ruhiger und freundlicher Stimme zu ihm. So klingt sie immer, sogar wenn Ryatt einen Trotzanfall hat, und die hat er oft. «Frische Luft ist gut für einen heranwachsenden Jungen.»

«Seine Studien sind gut für ihn», schnauzt mein Vater. «Jetzt bring ihn hinein und lass ihn sich sauber machen. Wir haben Gäste, und ich habe bereits angeordnet, dass das Abendessen in den nächsten zwanzig Minuten serviert wird.»

Nachdem er sich auf dem Absatz umgedreht hat und fortgeht, hastet meine Mutter mit mir hinein. Sie geht mit mir zu meinem Zimmer, wo sie mir dabei hilft, mich fertig zu machen. Ich beklage mich kein einziges Mal, nicht mal, als sie mir mit einem nassen Kamm durch die Haare fährt. Als ich in frische Kleider gesteckt bin und sie Ryatt aus der Kinderstube geholt hat, sind unsere zwanzig Minuten fast um.

Im Speisesaal thront Vater am Kopf der Tafel, und links von ihm sitzen drei weitere Personen. Einer von ihnen ist mein Onkel Iberik. Sein Land grenzt an unseres, und er ist älter als mein Vater. Die beiden machen oft Geschäfte miteinander, obwohl ich keine genaue Ahnung habe, welche. Ich weiß, dass mein Vater Schiffe im Hafen besitzt, und ich höre sie oft über Schmiede reden, aber abgesehen davon weiß ich nichts. Doch anders als mein Vater lebt Iberik allein und hatte nie Erben.

Die anderen beiden Personen am Tisch sind mir nicht bekannt. Es sind ein Mann und eine Frau, beide mit den glänzendsten Haaren, die ich je gesehen habe. Die Frau hat rote Haare und Augen, die wie Ziegelsteine aussehen, beinahe von derselben Farbe wie der unbenutzte Kamin an der linken Seite des Zimmers. Der Mann hat einen braunen Bart wie mein Vater, aber mit leicht vorstehenden Zähnen. Beide haben spitze Ohren, die oben durchstochen sind und von denen Schmuck wie Tränentropfen herunterbaumelt.