The Do-Over – Sie sucht nach ihrer Geschichte – er läuft vor seiner davon - Sharon M. Peterson - E-Book
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The Do-Over – Sie sucht nach ihrer Geschichte – er läuft vor seiner davon E-Book

Sharon M. Peterson

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Beschreibung

»Du bist wirklich ganz nett, aber ich finde nicht, dass wir uns länger sehen sollten.«  

Perci hat es nicht leicht: Erst wird sie von ihrem Ex auf die denkbar demütigendste Weise abserviert (Zu Silvester. Live im Radio!), dann mischt sich ihre übergriffige Mutter in ihr Liebesleben ein. Um sie sich vom Leibe zu halten, erfindet Perci einen Fake-Boyfriend und nennt dummerweise den Namen ihres Nachbarn. Ihres sehr, sehr heißen Nachbarn. Der keine Ahnung hat, dass er Perci angeblich datet … 

Eine RomCom wie eine Umarmung von der besten Freundin 

Mit der schrägsten Großmutter aller Zeiten und einem wirklich heißen Nachbarn.

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Über das Buch

Nachdem sie ausgerechnet Silvester die wirklich schlimmste Trennung aller Zeiten erlebt hat, fasst Perci für das neue Jahr Anti-Vorsätze, die selbst sie einhalten können sollte: 

1. Hör auf mit dem Abnehmen.2. Bemüh dich nicht, selbstbewusst zu wirken.3. Arbeite nicht so hart.4. Lass das mit dem Dating.5. Versuch gar nicht erst, es deiner Mutter rechtzumachen. 

Vor allem Nr. 5 ist schwieriger als gedacht. Um sich ihre überkritische Mutter vom Leib zu halten, behauptet Perci, mit ihrem Nachbarn zusammen zu sein. Doch das erweist sich bald als böser Bumerang, denn Nate von nebenan mag zwar echt heiß sein, aber er ist definitiv nicht ihr Freund, geschweige denn, dass er sie auch nur mögen würde. Von nun an ringt Perci nicht nur mit ihren Vorsätzen, sie muss auch noch alle von ihrem Nachbarn fernhalten, der nicht die geringste Ahnung hat, dass er ihr Fake-Boyfriend ist. Was könnte da schon schiefgehen?

Über Sharon M. Peterson

Sharon M. Peterson war mutig genug, als Lehrerin zu arbeiten, bevor sie zu schreiben begann. Sie lebt mit ihrem Mann und vier Kindern, darunter zwei autistische Söhne, in Washington, hat eine Katze, zwei Hunde, ein Tattoo und irrational große Angst vor Pudeln. Meist findet man sie über ihre Tastatur gebeugt, auf der Suche nach Geschichten und Figuren, die noch in den übelsten Situationen des Lebens das Komische zu finden wissen.

Katharina Naumann ist Autorin, freie Lektorin und Übersetzerin und lebt in Hamburg. Sie hat unter anderem Werke von Emily Henry, Jojo Moyes und Anna McPartlin übersetzt.

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Sharon M. Peterson

The Do-Over

Sie sucht nach ihrer Geschichte – er läuft vor seiner davon

Roman

Aus dem Amerikanischen von Katharina Naumann

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Kapitel einunddreißig

Kapitel zweiunddreißig

Kapitel dreiunddreißig

Kapitel vierunddreißig

Kapitel fünfunddreißig

Kapitel sechsunddreißig

Kapitel siebenunddreißig

Kapitel achtunddreißig

Kapitel neununddreißig

Kapitel vierzig

Kapitel einundvierzig

Kapitel zweiundvierzig

Kapitel dreiundvierzig

Kapitel vierundvierzig

Kapitel fünfundvierzig

Kapitel sechsundvierzig

Kapitel siebenundvierzig

Kapitel achtundvierzig

Ein Brief von Sharon

Dank

Impressum

Wer von diesem Roman begeistert ist, liest auch ...

Für Mom

Danke, dass du mich hast lesen lassen, wenn ich eigentlich mein Zimmer hätte aufräumen sollen.

Hab dich sehr lieb.

Kapitel eins

»Kenne deinen Wert.

Und dann schlag Steuern drauf.«

Mimi

Es gab da dieses Gerücht, dass meine Großmutter, Mona Raye Perkins, meinem Großvater eine Bratpfanne über den Kopf gezogen habe. Eine gusseiserne, die auf ihrem Herd stand, solange ich denken konnte.

»Mimi«, fragte ich eines Tages, als ich noch ein Kind war und mich die Neugier packte, »hast du ihn wirklich krankenhausreif geschlagen?«

Sie lächelte und nahm einen langen Zug an ihrer Zigarette, die praktisch mit ihren Fingern verwachsen war. Der Rauch hing immer in ihren Kleidern, gemischt mit der blumigen Note von White Shoulders und dem schwachen, aber stets präsenten Geruch nach grünen Bohnen aus der Dose, der noch aus jener Zeit stammte, als sie für die Schulkantine zuständig gewesen war.

»Natürlich. Diese verlogene, nichtsnutzige Ratte von einem Mistkerl hatte es nicht anders verdient«, sagte sie, um mich dann durch den Zigarettenrauch hindurch anzusehen. »Wie alt bist du eigentlich inzwischen?«

»Neun.«

»Na ja, ich erzähle dir die Geschichte, wenn du älter bist.« Sie zwinkerte mir zu und zeigte auf den abgestoßenen Couchtisch, der den größten Teil des engen Wohnbereichs ihres Wohnwagens einnahm. »Und jetzt gib mir die Fernbedienung. Zeit der Sehnsucht hat schon angefangen.«

Ich wusste, sie vertröstete mich nicht in der Hoffnung, dass ich die Sache schon vergessen würde. Mimi war ganz anders als alle anderen Erwachsenen, die ich kannte. Sie sagte immer die Wahrheit, und sie beschönigte nichts. »Scheiße, der man einen anderen Namen gibt, ist immer noch Scheiße«, sagte sie stets. »Wozu dann die Mühe?«

Mimi hatte eine Million solcher Sprüche auf Lager – Mimiismen nannte ich sie. Meine Mutter verbot mir, sie zu zitieren, aber das hielt mich nicht davon ab, mir jeden einzelnen zu merken und in meinem Hello-Kitty-Tagebuch zu notieren.

Meine Mutter missbilligte ohnehin alles, was Mimi anging – angefangen bei dem winzigen grünen Wohnwagen, in dem Mimi auf dem Waldsee-Campingplatz im kleinen Grenzstädtchen Eagle Pass, Texas, lebte, bis hin zu den Gartenzwergen, die die Nachbarjungen in unanständigen Stellungen in ihrem Garten arrangierten, ohne dass sie etwas dagegen unternahm. Meine Mutter hasste es, dass Mimi zu laut lachte, nicht im Geringsten darauf achtete, was sie aß, und dass es ihr vollkommen egal war, was die Leute von ihr hielten.

Sie war die absolute Nummer eins auf meiner Menschen-​die-ich-so-toll-finde-dass-ich-wie-sie-werden-will-wenn-ich-groß-​bin-Liste.

Ich wollte grelle Kleider, Leopardenmuster und enge Hosen tragen und in halsbrecherischen Absätzen herumspringen. Ich wollte die ungeduldige Missbilligung meiner Mutter abschütteln. Ich wollte keine Angst haben, einfach nur ich selbst zu sein.

Sogar heute noch, mit siebenundzwanzig, war ich die meiste Zeit das Eckige, was meine Mutter versuchte, in ein rundes Loch zu stopfen. Dieser vollkommen entgeisterte Blick – geschürzte Lippen, Fäuste in die Hüften gestemmt, begleitet von einem tiefen Seufzen – war immer nur für mich reserviert. Meiner Schwester galt er nie.

Als ich noch ganz klein war, krabbelte ich auf Mimis Schoß und untersuchte die langen Klimperohrringe, die sie so gern trug. Sie flüsterte mir dann Zungenbrecher ins Ohr, bis ich kicherte, die Arme um ihren Hals schlang und mich an ihre Weichheit schmiegte. Das war noch so etwas, was ich an Mimi liebte. Sie stand zu ihren Kurven – wie sich ihre Wangen rundeten, wenn sie lächelte, wie ihr ganzer Körper bebte, wenn sie lachte. Sie strahlte rundum Selbstvertrauen aus, und ich betete, dass sich etwas davon irgendwann auch auf mich übertragen würde.

Obwohl meine Schwester Phee drei Jahre jünger war als ich, war sie schon früh wolkenkratzergroß, genau wie unser Daddy, mit lockigem blondem Haar und riesigen blauen Bitte-kümmere-dich-um-mich-Augen. Ganz anders als ich. Die Perkins-Seite der Familie hatte mir dunkle Haare und Augen und die kleine, kurvige Statur vererbt.

Was meine Mutter natürlich missbilligte.

Wenn ich mich über meine Figur beklagte oder mich mit meiner Schwester oder den Frauen in Mimis Seifenopern verglich, erschien ein wissendes kleines Lächeln auf dem Gesicht meiner Großmutter. Sie zog sich die Zigarette aus dem Mund, beugte sich zu mir und senkte die Stimme, so dass nur ich es hörte: »Perci, Schätzchen, ein Mann will eine Suppenkelle, keinen Löffel. Merk dir das.«

Das tat ich. Und ich schrieb es auf, obwohl ich keine Ahnung hatte, was sie damit meinte.

Als ich dreizehn war, erzählte sie mir endlich die Geschichte, wie mein Großvater nähere Bekanntschaft mit der Bratpfanne gemacht hatte. Am Abend zuvor hatte Mom mich auf ihrem Weg nach Laredo bei Mimi abgesetzt. Phee nahm an der Miss-Unfassbar-Niedliches-Cowgirl-Wahl teil – oder an einem Schönheitswettbewerb mit einem ähnlich bescheuerten Titel –, und das Letzte, was ich wollte, war, dabei zusehen zu müssen.

Ich hockte an dem winzigen eingebauten Küchentisch im Wohnwagen, während Mimi Wurstbrät in eben jener Pfanne zubereitete.

»Dein Großvater und ich, wir haben sehr jung geheiratet, weil wir auch sehr dumm waren. Wir bekamen ein Baby.« Sie verstummte und stieß ihren Zeigefinger in meine Richtung. »Hör gut zu: Lass dich bloß nicht schwängern, bevor er dir einen Ring ansteckt. Eine Minute Spaß ist die ganze Schererei wirklich nicht wert.«

Da die Jungs in meinem Umkreis meine Existenz ohnehin nicht zur Kenntnis nahmen, hielt ich das für einen Ratschlag, der leicht zu befolgen sein müsste. »Ja, Ma’am.«

»Gut. Ich war neunzehn, als ich deine Mama bekam. Ihr Daddy schaffte es nie länger als ein paar Tage, einen Job zu behalten, weshalb ich für zwei schuften musste, um Windeln und Essen bezahlen zu können.« Sie kippte gehackte Paprika und Zwiebeln in die Pfanne, in der das Wurstbrät bräunte. Sofort rumorte mein Magen. Würstchenpfanne war mein Lieblingsessen.

»Ich arbeitete damals immer erst in der Schulcafeteria und danach im Lebensmittelladen. Manchmal rannte ich zwischen meinen Schichten nach Hause, um mich kurz frisch zu machen und so. So auch an diesem Tag.« Jetzt folgten die Kartoffeln, ein wenig Salz und Pfeffer. Sie rührte mit dem Pfannenwender um, schaltete den Herd herunter und ließ sich mir gegenüber auf den Stuhl fallen.

Sie nestelte eine Virginia Slim aus der Packung, zündete sie an und nahm einen langen Zug. Ich wartete ungeduldig.

»Na ja, jedenfalls sah ich ein Auto, das ich nicht kannte, vor unserem Wohnwagen und hatte gleich so eine Ahnung. Also marschierte ich direkt zur Tür und riss sie auf. Und was musste ich da sehen?« Sie wedelte mit der Zigarette herum, wobei alte Wut in ihren dunklen Augen funkelte. »Da lag er doch mit so einem blonden Flittchen in meinem Bett, während unser Baby im Nebenzimmer schlief.«

Ich kaute an einem Fingernagel, eine eklige Angewohnheit, die ich von meiner Mutter übernommen hatte, und beugte mich vor. »Und dann?«

»Und dann wurde ich natürlich sauer. Es gab Geschrei, das Baby wachte auf und weinte. Die Frau sprang auf, raffte ihre Kleider zusammen und rannte splitternackt aus dem Wohnwagen. Aber ich hatte nur Augen für dieses Arschgesicht, das ich meinen Ehemann schimpfte.« Sie klopfte die Asche von der Zigarette in einen kleinen krummen Tonaschenbecher, den ich in der dritten Klasse für sie gemacht hatte.

»Er begann zu jammern, wie einsam er sei, weil ich so viel arbeitete. Daraufhin bin ich ein bisschen durchgedreht. Ja, das kann man wohl so nennen.«

Sie nickte in Richtung der Bratpfanne, in der unser Frühstück brutzelte. »Und dann habe ich diese Pfanne genommen und ausgeholt.« Ein Mundwinkel verzog sich zu einem Lächeln. »Ich fürchte, sein Kopf war im Weg. Er stürzte wie ein gefällter Baum hier in der Küche zu Boden. Ich nahm das Baby, ging zu den Nachbarn und rief den Krankenwagen. Er erzählte allen, es sei ein Unfall gewesen, weil er nicht zugeben wollte, dass ihm seine Ehefrau die Lichter ausgeblasen hatte.«

»Wow«, hauchte ich voller Ehrfurcht.

»Als er im Krankenhaus war, tauschte ich die Schlösser aus und sparte genug Geld, um mich von dieser nichtsnutzigen Arschgeige scheiden zu lassen.« Sie drückte ihre Zigarette aus, stand auf und stolzierte zum Herd. Mimi stolzierte grundsätzlich – in den Lebensmittelladen, in die Arztpraxis, auf Beerdigungen –, als wäre das Leben ein einziger langer Catwalk.

Als die Würstchenpfanne fertig war, nahm sie sie vom Herd, drehte sich schwungvoll zu mir um und lehnte sich mit der Hüfte an die Arbeitsfläche. »Das war einer meiner Momente, Schätzchen.«

»Einer deiner Momente?«

Sie nickte, wobei ihre dunkle Helmfrisur in Bewegung geriet. »Weißt du, es gibt Momente im Leben – manchmal sind sie groß, manchmal klein. Einige sind glücklich, wie der, wenn man den Mann kennenlernt, den man heiraten wird, oder wenn man ein Kind bekommt. Aber manchmal sind sie auch wirklich übel. Genau das sind die Momente, die uns zu dem machen, was wir sind. Und der Tag, an dem ich die Tür des Wohnwagens öffnete, war einer dieser Momente. Er hat mich verändert.«

Ich dachte darüber nach. Mimi holte zwei ihrer blau-weißen Teller heraus, stellte sie auf die Arbeitsfläche und häufte Würstchenpfanne darauf.

»Wie hat er dich verändert?«, fragte ich, als sie das Essen auf den Tisch stellte.

»Ich habe endlich Verantwortung für mein eigenes Leben übernommen, bin diesen Kerl losgeworden und habe nie wieder zurückgeblickt. Du wirst schon sehen: Jeder erlebt diese Momente. Eines Tages, wenn du es am wenigsten erwartest, passiert so was. Du begreifst es vielleicht nicht sofort, aber es wird dich verändern. Und jetzt iss auf. Der Preis ist heiß fängt gleich an.«

In den vierzehn Jahren nach dieser Unterhaltung wartete ich ständig auf Den Moment Der Mich Verändert – ich hielt jedes Mal den Atem an, wenn ich Geburtstag hatte, als ich das erste Mal einen gut aussehenden Mann kennenlernte, der mein Herz hüpfen ließ, als ich das College abschloss –, aber der Moment kam einfach nicht. So schaffte ich es bis zu meinem achtundzwanzigsten Lebensjahr, enttäuscht, dass mein Leben in den immer gleichen vorhersehbaren Bahnen lief.

Dann, eines Tages, am unwahrscheinlichsten Ort, trat er ein – der Moment.

Und er war ausgesprochen übel.

Kapitel zwei

»Wenn dir das Leben Zitronen gibt,

gib sie zurück und frage nach Trauben.

Aus Trauben kann man wenigstens Wein machen.«

Mimi

Auf der Liste der Orte, Die Ich Am Meisten Hasse, steht die Zahnarztpraxis unerschütterlich auf dem zweiten Platz. Ich finde sie etwas schlimmer, als mit meiner Mutter einkaufen zu gehen, aber nicht ganz so schlimm wie einen Besuch beim Gynäkologen, der ein Freund der Familie ist. Meine Eltern luden ihn oft zum Grillen ein, wobei ich Dr. Sullivan nie in die Augen sehen konnte, weil ich immer daran denken musste, was er mit ihnen alles gesehen hat. Natürlich bin ich eine erwachsene Frau, die auch einfach den Arzt hätte wechseln können, aber wenn meine Mutter das herausfände, würde ich es erklären müssen, und das ist eine Schlacht, die ich schon verloren habe, bevor sie überhaupt begonnen hat.

Langer Rede kurzer Sinn: Es war am Vormittag des Silvestertags, und ich saß auf einem pinkfarbenen Zahnarztstuhl und wartete darauf, das Loch gefüllt zu bekommen, dessen Behandlung ich bis zur letzten Minute hinausgezögert hatte.

»Wie fühlt sich dein Mund an? Taub?« Dr. Kelly schaute über ihre blaue OP-Maske hinweg auf mich hinunter. Ich konnte mich nicht daran erinnern, je mehr von ihr gesehen zu haben als zwei rigoros gezupfte Augenbrauen über blauen Augen.

Ich nickte und schob mein Handy unter den Oberschenkel.

Ihre Augenwinkel kräuselten sich. »Wir warten noch fünf Minuten und fangen dann an. Wie geht es deiner Mom?«

Ja, Dr. Kelly war auch Moms Zahnärztin.

»Sie kennen ja Mom, sie ist immer beschäftigt.« Vor allem mit dem Leben ihrer Töchter. In Sachen Mütterlichkeit allerdings weniger wie ein schützender Baum mit nährenden Wurzeln, als vielmehr wie eine Schlingpflanze, die einen erstickte und die man nur schwerlich loswurde.

»Und deiner Schwester? Ich habe sie neulich im Frühstücksfernsehen gesehen.« Ihr Blick wurde ganz verträumt und wehmütig. »So wunderschöne Zähne. Ich wette, sie benutzt jeden Tag Zahnseide. Ihr Zahnarzt muss so stolz auf sie sein.«

»Es sind wirklich sehr schöne Zähne.«

Sie verengte die Augen zu Schlitzen. »Zahnseide beugt Karies vor. Du wärst heute nicht hier, wenn du öfter Zahnseide benutzen würdest.«

Meine Wangen wurden flammend rot. »Sie haben recht. Manchmal schlafe ich einfach ein oder vergesse es. Einmal habe ich sogar das ganze Zahnseidedöschen ins Klo fallen lassen und …«

»Wie geht es Ihnen heute, Miss Mayfield?« Callie, die Dentalhygienikerin, ließ sich auf den Hocker gegenüber der Zahnärztin sinken und lächelte. »Vor dem neuen Quartal noch mal durchchecken lassen, hmm?«

»Ja, eigentlich …«

Dr. Kelly unterbrach mich. »Mach mal das Radio an, jetzt kommt meine Lieblingssendung.«

Callie beugte sich vor und fummelte am Radio auf der Arbeitsfläche herum. Eine Sekunde später füllte eine Stimme den Raum.

»Leute, passt auf! Heute ist Freitag: Hoch die Hände, Wochenende!, und wir verlosen zwei Mal zwei Eintrittskarten für Houstons berühmteste Band, AB/CD, eine AC/DC-Coverband.«

»Die sind super, Leute«, sagte eine andere Stimme, die wie die texanische Version eines Surferboys klang. »Und so läuft das: Ihr ruft an, und wenn wir euch auswählen, macht ihr mit eurem Freund oder eurer Freundin hier live on air Schluss. Mehr müsst ihr nicht tun. Dann gehören die Tickets euch. Die Telefonleitungen sind jetzt freigeschaltet.« Die ersten Takte der Rockballade einer Wallemähnen-Band aus den Achtzigern setzten ein.

Dr. Kelly rieb sich die Hände. »Die sind immer so wahnsinnig witzig.«

Ich lächelte mit dem Teil meines Mundes, der nicht betäubt war. War das nicht eine schreckliche Art, mit jemandem Schluss zu machen? Wenn ich mit meinem Freund Brent Schluss machen wollte, würde ich ihm das schonend in einem Brief beibringen, oder wir würden uns zu einem Kaffee treffen und unsere Probleme wie vernünftige Erwachsene besprechen. Vielleicht würde ich ihm auch eine E-Mail mit klaren, logischen Gründen für das Ende unserer Beziehung schicken.

Nicht, dass ich darüber schon ernsthaft nachgedacht hätte.

Brent war ein prima Kerl – schlau, ehrgeizig, mit schon etwas schütterem Haar und Bauchansatz, also ganz genau der Typ, den ich nach Meinung meiner Mutter heiraten sollte. Woran sie mich nur zu gern erinnerte. Täglich. Per Sprachnachricht. Persönlich. Hin und wieder mit einer E-Mail. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie irgendwann einmal zufällig eine Plakatwand in die Finger bekäme …

»Dann legen wir mal los.« Dr. Kelly zog sich Latexhandschuhe über, setzte ihre riesige Plastik-Schutzbrille auf und suchte sich ein Instrument aus. Alles mit deutlich mehr Fröhlichkeit als nötig.

Als sie meinen Stuhl hinunterfuhr, traten Schweißperlen auf meine Stirn. Dr. Kelly richtete das polizeiverhörgrelle Licht direkt auf meine Augen. Ich blinzelte dagegen an und konnte gerade so eben die Poster an der Decke erkennen, die man dort angebracht hatte, um uns Gefangene zu unterhalten. Auf jedem war ein Tier zu sehen – ein Adler, der sich in die Luft erhob, ein Löwe, der brüllte, eine Giraffe … die giraffte – und dazu inspirierende, wenn auch ziemlich lahme Zitate.

Mein Blick blieb an dem Bild mit dem Vogel hängen, auf dessen Kopf die Federn in alle Richtungen abstanden. Mit dem wilden Blick seiner Glotzaugen sah er irgendwie so aus, als hätte er seine Eltern gerade in einer peinlichen Situation erwischt und könnte das Bild jetzt nicht mehr aus seinem Kopf verbannen. Das Zitat darunter lautete: SEIIMMERDUSELBST. DUBISTDEREINZIGE, DERDASKANN.

Wie ich schon sagte, lahm.

»Den Mund weit öffnen«, sagte Dr. Kelly. Sie steckte mir einen Kieferspreizer in den Mund, um ihn offenzuhalten. Das kreischende Geräusch des Bohrers zerrte an meinen Nerven, und Zahnstaub stieg auf, während ich mich damit zu beruhigen versuchte, dass das hier bald vorbei sein würde. Wenn ich den monatlichen Mutter-Tochter-Brunch überleben konnte, konnte ich alles überleben.

Der Song im Radio endete, und die tiefe, dramatische Stimme des Moderators erklang von Neuem. »Meine Damen und Herren, Jungen und Mädchen, wir haben unsere erste Kandidatin. Sag uns deinen Namen, woher du kommst, und mit wem du heute Schluss machen möchtest.«

»Ich heiße Sheila, komme aus Houston und will mit meinem Freund Todd Schluss machen.«

»Womit hat Todd das verdient?«

Sheila schnaubte. »Womit hat er es nicht verdient? Er ist faul und kümmert sich nicht um mich. Zu Weihnachten hat er mir einen Staubsauger geschenkt. Wer macht so was?«

Callie verdrehte die Augen. »Ich würde meinen Freund auf jeden Fall umbringen, wenn er das machen würde.«

Das Drillgeräusch verstummte. Dr. Kelly balancierte den Bohrer auf meiner Unterlippe. »Ich habe mal einen Toaster zu Weihnachten bekommen. Ist das nicht furchtbar?«

»Aaas is urchbah.« Ich schielte auf den Bohrer. Was würde passieren, wenn sie mit dem Ding abglitt?

»Nicht sprechen, meine Liebe.«

Ich nickte und verkrallte die Finger im Schoß ineinander, bis sie ebenso taub wurden wie mein Mund.

»Es gibt schließlich einen Grund dafür, dass ich mich von dem Mann habe scheiden lassen.« Das schrille Bohrgeräusch setzte wieder ein. »Er hat unseren ersten Jahrestag vergessen. Vollkommen vergessen. Kein einziges Wort ist ihm dazu eingefallen.« Sie blickte mir in die Augen. »Da hätte ich es schon wissen können, findest du nicht?«

»Aaa jeeedn Faa.«

Dr. Kelly sah mich scharf an. »Nicht sprechen.«

Ich ballte frustriert die Hand zur Faust, gab jedoch keinen Laut von mir.

Wieder ertönte die Stimme aus dem Radio. »Okay, Sheila, bleib dran. Wir rufen jetzt Todd an.«

Man hörte drei Klingelzeichen, dann meldete sich eine verschlafene, belegte Stimme. »Wer ist da?«

»Todd, ich bin’s, Sheila.«

Eine Pause entstand, in der Todd womöglich überlegte, wer Sheila war. »Und?«

»Jetzt kommt’s.« Dr. Kelly schaltete den Bohrer aus. »Mach mal ein bisschen lauter.«

»Ich will mit dir Schluss machen. Du kümmerst dich nie um mich, und ich glaube, ich habe etwas Besseres verdient«, sagte Sheila.

Die Radiomoderatoren prusteten begeistert. Dann verstummten sie und warteten auf Todds Reaktion.

»Okay.«

Sheila keuchte auf. »D-das war’s?«

»Ja. Das war’s. Ich geh jetzt wieder ins Bett.« Es klickte, und die Moderatoren brachen in Lachen aus.

Sheila schniefte. »Er hat nicht einmal versucht, mich davon abzubringen.«

»Unsere Leitungen sind noch immer offen. Wir haben zwei weitere Tickets für einen glücklichen Gewinner oder eine Gewinnerin, die mit ihrem Partner Schluss machen wollen – hier und jetzt. Bleibt dran, wir sind gleich zurück.«

Dr. Kelly kicherte, zog den Bohrer aus meinem Mund und nahm ein spitzes silbernes Instrument zur Hand. »Ich will nur sichergehen, dass ich alles erwische.«

Sie piekte und stocherte, und ich zuckte zusammen.

Callie tätschelte mir die Schulter. »Alles okay?«

»Iaa eeht’s uut.«

»Nicht sprechen, bitte.« Dr. Kelly warf mir einen bösen Blick zu. »Ein bisschen mehr bohren, dann die Füllung, und du bist fertig.«

Ich kniff die Augen zu und versuchte, den merkwürdigen, durchdringenden Geruch zu ignorieren, der das Kreischen des Bohrers auf Zahnschmelz begleitete. Ich schwor, es nie wieder zu Karies kommen zu lassen, selbst wenn ich dafür fünfmal am Tag Zahnseide benutzen musste und nie wieder Jelly Beans essen durfte.

»Und wieder sind wir bei ›Hoch die Hände, Wochenende‹. Wir haben noch Zeit für einen weiteren Anrufer, der auch schon in der Leitung ist. Sagst du uns deinen Namen?«

»Brent.«

Ich riss die Augen auf.

Dr. Kelly setzte den Bohrer ab und kratzte an meinem Zahn. »Das wär’s.«

»Guten Morgen, Brent. Dann erzähl uns mal, wessen Herz du heute brechen willst?«

Callie reichte Dr. Kelly wortlos das Füllmaterial. Beide lauschten dem Drama, das sich im Radio anbahnte.

Der Mann hüstelte. »Ich möchte mit meiner Freundin Schluss machen.«

Diese Stimme. Bestimmt gab es noch andere Männer namens Brent, die so klangen und so albern hüstelten, bevor sie etwas sagten.

»Da bist du hier ganz richtig. Also, was willst du ihr sagen?«

Hüstel, hüstel. »Wir sind fast ein Jahr zusammen, und ich glaube, sie erwartet, dass ich ihr bald einen Antrag mache, aber das kann ich nicht. Sie ist eigentlich nett und so, aber vielleicht müsste sie mit jemandem zusammen sein, der … ich weiß auch nicht – langweiliger ist? So wie sie. Sie ist überhaupt nicht abenteuerlustig. Sie streitet nicht mit mir. Sie will immer nur alle glücklich machen, und …«

»Jemand, der immer allen gefallen will«, sagte Callie und nickte weise.

»… ich kann mir einfach nicht vorstellen, mein Leben mit ihr zu verbringen.«

Der Magen sackte mir in die Kniekehlen, weil ich diese Stimme kannte. Ich hatte schon gehört, wie diese Stimme extra Zwiebeln auf dem Cheeseburger bestellte. Ich hatte gehört, wie sie in der Nacht meinen Namen sagte, weil ihr Besitzer Sodbrennen hatte und eine Magentablette brauchte, und zwar wegen eben dieser Extraportion Zwiebeln. Es war seine Stimme. Brents. Die Stimme meines Brents.

Dr. Kelly stopfte die Füllung in meinen Zahn und drückte mit einem scharfen Instrument und einem Hauch zu viel Elan nach. »Der klingt wie ein Vollpfosten«, murmelte sie.

Dieser Vollpfosten sprach über mich.

Brent fuhr fort: »Ich sterbe vor Langeweile, wenn ich auch nur einen Tag länger mit ihr zusammen bleibe. Und es ist Silvester. Ein guter Zeitpunkt für eine Veränderung.«

Das Herz drohte mir aus dem Brustkorb zu springen, durch den Raum zu laufen, das Radio zu packen und es aus dem Fenster zu schleudern.

»Dann wollen wir sie mal ans Telefon holen.« Es dauerte einen Moment, dann ertönte das Klingelzeichen im Radio, und das Handy unter meinem Oberschenkel begann zu vibrieren. Tränen sammelten sich in meinen Augenwinkeln.

Dr. Kelly runzelte die Stirn, nahm erst ihre Finger und dann den Kieferspreizer aus meinem Mund und richtete sich auf. »Geht es dir gut?«

Jetzt, da ich wieder sprechen konnte, wollte ich nicht mehr. Warum bekam man keine Vollnarkose, wenn man Füllungen brauchte, damit man weder reden, hören noch fühlen konnte?

Das Klingelzeichen im Radio ertönte erneut, und mein Handy begann wieder zu vibrieren.

»Ich hoffe, sie geht ran und wäscht ihm so richtig den Kopf«, sagte Callie.

Klingelzeichen. Vibrieren. Verdammt nochmal, wie lange dauerte es, bis die Voicemail einsetzte?

Jetzt hörte man ein Klicken, und meine Stimme trompetete aus dem Radio, um allen zu verkünden, wie armselig ich war. Ich würde nach dieser Sache so viel Eis essen müssen. Scheiß auf meinen Plan, nie wieder Karies zu bekommen. »Ihr habt Percis Nummer gewählt. Tut mir leid, dass ich gerade nicht drangehen kann. Hinterlasst eine Nachricht, dann rufe ich zurück.«

Hüstel, hüstel.

»Hi, hier ist Brent. Hör mal, du bist wirklich ganz nett, und ich bin mir sicher, dass du eines Tages jemanden sehr glücklich machen wirst, aber ich finde nicht, dass wir uns länger sehen sollten. Wenn du Fragen hast, weißt du ja, wo du mich findest.«

Dr. Kelly schnaubte. »Was für ein Depp. Armes Mädchen.« Sie legte eine Hand auf meine Schulter, und mir stockte der Atem. Ich wartete darauf, dass sie sich an meinen Namen erinnerte, dass sie begriff, dass ich das arme Mädchen war. »Du bist jetzt fertig. Wir sehen uns in ein paar Monaten zur Zahnreinigung.«

Callie nahm die Schale mit den Instrumenten und ließ den Stuhl wieder hochfahren. Ich öffnete und schloss den Mund und versuchte erfolglos, die Taubheit loszuwerden. Merkwürdigerweise schien die Betäubung von meinem Mund durch den Hals in meine Brust gerutscht zu sein.

Ich sprang aus dem Stuhl und schnappte mir meine Tasche, das Handy fest in der Hand. Mein Kampfinstinkt mochte unterentwickelt sein, mein Fluchtinstinkt war hingegen sehr gut ausgeprägt. Und in diesem Moment trieb er mich aus der Zahnarztpraxis, der Stadt Houston, dem Staat Texas und vermutlich auch aus dem Land.

Dr. Kelly stand auf und zog sich die Latexhandschuhe aus. »Grüß deine Mom von mir.«

Ich antwortete nicht, denn in diesem Moment vibrierte mein Handy erneut – mit einer Voicemail-Benachrichtigung.

Kapitel drei

»Eines Tages wirst du Größe zeigen müssen.

Iss also jetzt schon so viel Kuchen, wie du kannst, damit du vorbereitet bist.«

Mimi

Seit meinem Collegeabschluss wohnte ich in einer Wohnung in der Gegend der Brewer Street, einer Ecke in Houston, die gerade wieder modern wurde. The Lofts war eine alte, umgebaute Keksfabrik, was, ganz ehrlich, den Großartigkeitsfaktor noch verstärkte. Manchmal hätte ich schwören können, den Duft von vor ewigen Zeiten gebackenen Zimtplätzchen noch in den Fluren riechen zu können.

Ich nahm meine Post aus dem Briefkasten im Hauseingang und steckte sie in die Tasche. Statt in den Aufzug zu steigen, stapfte ich die Treppe hinauf, um die Sachen abzuladen, die ich auf dem Weg nach Hause im Laden gekauft hatte, in Vorbereitung auf ein langes, trauriges Wochenende mit viel Herzschmerz. Die Lebensmittelgruppen Fett, Zucker und Schokolade waren besonders gut vertreten.

Oh, und Salat und ein paar Babykarotten. Vor allem deshalb, weil ich wollte, dass mich die Kassiererin für eine Erwachsene hielt.

Ich tastete in der Handtasche nach den Schlüsseln, und die Tüten schnitten in meine Handgelenke. Auf dem Treppenabsatz blieb ich stehen, um sie zurechtzuschieben. Mit einem Seufzen lehnte ich mich gegen die Wand, und wieder erklang Brents Stimme in meinem Kopf. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, mein Leben mit ihr zu verbringen.

Noch letzte Woche hatte er mir wunderschöne rosafarbene Rosen geschickt, dazu eine Nachricht, auf der stand: Einfach so. Alles Liebe, Dein Brent. Klar, Rosen waren die Blumen, die ich am wenigsten mochte, aber die Nachricht? Liebe, stand da. Liebe. Dieses Wort beschäftigte mich tagelang. Er hatte es nie zu mir gesagt. Und ich natürlich auch nicht zu ihm. Das zwischen uns war keine Liebe auf den ersten Blick gewesen – ich war mir ohnehin nicht sicher, ob es so etwas überhaupt gab. Meine Beziehung zu Brent fußte eher auf Bequemlichkeit und dem Genörgel meiner Mutter. Und, wie ich geglaubt hatte, auf gegenseitigem Respekt.

In den Tiefen meiner Handtasche klingelte mein Handy. Ich musste nicht extra nachsehen, ich wusste, dass es meine Mutter war. Ich gab einen Laut von mir, der irgendwo zwischen einem Lachen und einem Schluchzen rangierte – eigentlich müsste es dafür ein Wort geben. Meine Mutter war der Überzeugung, Brent habe die Sonne und den Mond am Firmament aufgehängt und sorge dafür, dass sich die Erde um sich selbst drehte. Halb erwartete ich, dass sie ihn behalten und mich enterben würde, wenn sie erfuhr, dass er mit mir Schluss gemacht hatte.

»Er ist der Richtige«, hatte sie mehr als einmal zu mir gesagt. »Ich glaube, einen Besseren findest du nicht.«

Brent, der sein Haar sorgfältig frisierte, um die immer größer werdende kahle Stelle oben auf dem Schädel zu verdecken. Brent, der jedes Mal, wenn er etwas sagte, vorher hüstelte, als wollte er damit seine Anwesenheit ankündigen. Brent, der schreckliche Schlipse trug und Schokolade verabscheute. (Im Nachhinein weiß ich natürlich, dass mir das schon ein Alarmzeichen hätte sein müssen.)

Aber er konnte auch süß sein, und ich hatte gedacht, dass wir eher früher als später heiraten würden. Was, wenn meine Mom recht hatte und Brent meine einzige echte Chance auf Hochzeit und eine eigene Familie war?

Und nun hatte er mich einfach gegen Konzerttickets eingetauscht.

Ich biss mir auf die Unterlippe. Nein, ich würde nicht weinen. Eine dunkle Haarsträhne löste sich aus meinem Pferdeschwanz und fiel vor meine Augen. Ich schob sie weg und rieb mir die brennende Nase.

Schniefend stellte ich meine Tüten auf den Boden und fischte das Handy aus der Handtasche. Es hatte aufgehört zu klingeln, und ich tippte hastig eine Nachricht in den Familien-Gruppenchat, dass ich wegen meiner (ausgedachten) Magenprobleme leider nicht zur Party im Loveland Hotel kommen könne, wo wir jedes Jahr Silvester feierten. Dann schrieb ich eine Nachricht als Lebenszeichen an meinen besten Freund Mathias und schaltete das Handy aus, bevor jemand reagieren konnte.

Über mir knallte eine Tür zu, und ein Mann mit dunklem Haar und Lederjacke rauschte an mir vorbei. Ich hatte ihn hier noch nie gesehen, aber das Haus war groß; ich kannte nicht alle Nachbarn. Dennoch blieb er ein paar Stufen unter mir stehen und wandte sich um.

»Hey«, sagte er. »Alles okay?«

Ich straffte mich, seltsam gerührt, dass er gefragt hatte. »Oh, ähm, mir geht es gut.«

Er neigte den Kopf zur Seite und wartete eine halbe Sekunde, dann ging er weiter die Treppe hinunter, hob die Hand und winkte, ohne sich erneut umzudrehen.

Eine Minute später trat ich in meine kleine, dunkle Wohnung, ließ alles auf den Küchentresen fallen und schaltete das Licht ein. Womöglich war vieles an mir langweilig, aber meine Wohnung nicht.

Im winzigen Essbereich stand ein quadratischer Tisch aus Chrom und türkisfarbenem Holz, darum herum vier nicht zusammen passende Stühle. Knallige, schräge Drucke hingen an den Wänden, darunter, auf dem Regalbrett, das ich an der langen Ziegelwand angebracht hatte, standen kleine, gerahmte Fotos – eins von der ganzen Familie Mayfield, ein paar von Mimi und mir, und eins von meiner Schwester und mir. Ein paar Kerzen hier und da, ein, zwei Vasen mit frischen Blumen, eine Fleece-Decke mit Leoparden-Print (ein Geschenk von Mimi), die ich lässig auf die Chaiselongue geworfen hatte, und meine Löffelsammlung, die ich dekorativ in einer an der Wand hängenden Holzvitrine präsentierte.

Wenn etwas hell, knallfarben, gestreift, geblümt oder sonstwie lustig aussah, wollte ich es haben. Aber ich hatte all diese Dinge natürlich nicht angesammelt, um irgendwen damit zu beeindrucken. Ich wollte einfach eine Zuflucht, und es war mir schon klar, dass diese kleine Wohnung all das verkörperte, wovor ich mich draußen fürchtete.

Sal, mein siamesischer Kampffisch, schaute mich friedlich von seinem Platz oben auf einem riesigen, umgedrehten Blumentopf aus an, der als Abstelltischchen im Wohnzimmer diente. Ich ging zu ihm, um ihn zu begrüßen.

»Heute war ein schrecklicher Tag.« Ich streute ein wenig Fischfutter in sein Glas. »Wirklich schlimm. Ich weiß natürlich, dass du kein großer Fan von Brent warst.« Brent hatte Sals Glas ständig auf den Küchentisch gestellt, um im Wohnzimmer an seinem Laptop arbeiten zu können. »Aber es war nett, jemanden zu haben.«

Ich ließ mich auf das klotzige rote Sofa fallen, das ich für eine müde Mark im Sozialkaufhaus erstanden hatte. Erschöpft von den Ereignissen des Tages, wartete ich darauf, dass die Stille die Pein meines ramponierten Herzens linderte, zumindest ein bisschen. Sals Schwanz wehte rot und blau und violett, und dann schaute er mich mit einem schwarzen, mitfühlenden Auge durch das Glas an.

Ich legte meinen Finger aufs Glas. »Danke, Kumpel. Auf dich kann ich mich verlassen.«

Sal lächelte, oder zumindest gefiel mir der Gedanke, dass er lächelte. Sal und ich standen uns nah, und er schien mich besser zu verstehen als die meisten anderen. Zum Beispiel sagte er mir nie, was ich tun oder lassen sollte, und er verurteilte mich nicht. Oder wenn er es tat, dann behielt er es wenigstens für sich.

Ich rappelte mich auf, zog mir etwas Gemütlicheres an, also eine Menge Stretch mit Elastikbündchen, und kuschelte mich in den geblümten Papasansessel, der dem Balkonfenster im Wohnzimmer am nächsten stand. An sonnigen Tagen fiel das Licht durch die Glastüren, so dass hier der beste Ort zum Lesen war. Heute war es nicht sonnig. Heute war es grau und scheußlich draußen.

Ungefähr so wie in Brents Herzen.

Zehn Minuten später, die ich ausschließlich damit verbrachte, darüber nachzudenken, auf wie vielen Ebenen mein Leben ein totaler Reinfall war, tauchte Mathias auf, mit Rotwein, Obst und einer kleinen Dartscheibe.

»Eine Dartscheibe?«

»Warte kurz.« Er zog ein grob ausgeschnittenes Foto von Brents Kopf aus der Tasche und klatschte es darauf. »Ich habe es von seinem Facebook-Account runtergezogen und ausgedruckt.«

»Und die Teufelshörner? Der Ziegenbart?«

Mathias grinste. »Habe ich mit Photoshop reinmontiert. Ich finde, das steht ihm super. Gefällt’s dir?«

»Total.«

Genau deshalb war Mathias mein bester Freund. Er war wie der Bruder, den ich nie gehabt hatte, ohne den ich aber nicht leben konnte. Wir hatten uns vor ein paar Jahren kennengelernt, als Phee eine echte Chance auf den Titel der Miss Texas hatte. Unsere Mutter hatte Mathias’ Mutter als Coach angeheuert, weil sie dafür bekannt war, jungen, hoffnungsvollen Frauen zu ihrem vollen Schönheitswettbewerbspotenzial zu verhelfen. Mrs. Jorgensen war 1978 Miss Texas gewesen, ihre Mutter Miss Texas des Jahres 1953. Mathias, der aus unterschiedlichen Gründen leider nicht in der Lage war, in ihre Fußstapfen zu treten, war dennoch in ihr Familienbusiness gezerrt worden.

Meistens war er mit Fotografieren beschäftigt, aber er half auch bei den Dingen, die Sozialkompetenz erforderten – öffentliches Reden, Social Media und Marketing –, und er reiste viel, um sich mit Kunden zu Fototerminen zu treffen, manchmal auch, um Schadensbegrenzung zu betreiben. Sein Wissen über doppelseitiges Klebeband und Hämorrhoidensalbe als Akutmittel gegen Tränensäcke war umfassend, und er konnte jederzeit einspringen, um eine Kleiderkatastrophe oder eine Haarkrise abzuwenden, wenn nötig. Überdies war sein Vorrat an tatsächlich funktionierenden Aufmunterungssprüchen unerschöpflich und legendär. Ganz genau wie seine Affären mit Schönheitsköniginnen.

Und dennoch gab es die eine Schönheitskönigin, die er immer noch vergebens anschmachtete. Nämlich meine Schwester.

Mathias ließ all die mitgebrachten Sachen auf den Küchentresen fallen, legte die Hände auf meine Schultern und sah mich mit seinen blauen Augen direkt an. »Brent ist eine Arschgeige. Denk immer daran.«

»Ich meine, vielleicht …«

»Nein. Er ist eine Arschgeige. Du bist hier nicht das Problem. Sondern er.« Er drückte mich fest an sich und legte sein Kinn auf meinen Scheitel. Ich schmiegte mich an ihn und genoss das Wissen, dass ich, wenn auch sonst nichts, immer noch ihn hatte. Außerdem roch er gut. Mathias kümmerte sich stets intensiv um sein Aussehen. Seine Outfits – heute war es eine Skinny Jeans mit einem frischen weißen T-Shirt – mochten auf den ersten Blick zwanglos wirken, waren jedoch stets wohl kalkuliert.

»Meine Güte, bist du klein.«

Ich schnaubte und löste mich von ihm. »Danke.«

»Dafür bin ich ja da. Um dich an deine Defizite auf vertikaler Ebene zu erinnern.«

»Ich meine, danke, dass du, du weißt schon, mein Freund bist.«

»Wie ich schon sagte, dafür bin ich ja da.« Er zog Küchenschranktüren auf, um nach den Zutaten für Sangria zu suchen. »Und jetzt haben wir einiges an Trinkerei zu erledigen.«

Als es anderthalb Stunden später an der Tür klopfte, waren Mathias und ich schon angenehm bedudelt und auf einem guten Wege, den Abend am nächsten Morgen zu bereuen.

Ich spähte durch den Spion. Meine Schwester trug ein langes mauvefarbenes Kleid mit Dreiviertelärmeln aus Spitze. Ihr glänzendes blondes Haar war zu einem edlen Dutt geschlungen – sie war praktisch die Eleganz auf zwei Beinen.

Ich öffnete die Tür. »Was machst du denn hier?«

Phee drängte sich an mir vorbei. »Soll das ein Witz sein? Ich habe dich nach Brents bescheuerter Radionummer bestimmt vierzehn Mal angerufen.«

Sie lehnte sich mit der Hüfte gegen den Küchentresen und richtete das volle Strahlen ihrer leuchtend blauen Augen auf mich. Die Leute neigten dazu zu glauben, dass meine Schwester als Schönheitskönigin wohl kaum schlauer sein könne als ein Stück Brot. Aber da lagen sie vollkommen falsch.

»Alles okay mit dir?« Sie drückte sanft meine Schulter.

»Es ist … schon in Ordnung«, sagte ich und zupfte an dem T-Shirt herum, das ich mir übergeworfen hatte. Vorn hatte es schon einen Schokoladenfleck, obwohl die Nacht noch jung war.

»Es ist ganz sicher nicht in Ordnung.«

Mathias kam in die Küche. Er griff zwischen uns hindurch, um sein Glas vom Küchentresen zu nehmen. »Schickes Outfit, Phee. Gehst du zu einem Ball im Seniorencenter oder so?«

Ich musste zugeben, dass ihr Outfit eher zu einer fünfundsechzig Jahre alten Großmutter als zu einer vierundzwanzig Jahre alten Frau gepasst hätte. Aber im letzten Jahr hatte sich Phee sehr verändert. Das hatte vor allem mit ihrem neuen Freund Joel Allen zu tun – dem Joel Allen, Nachrichtenmoderator bei KKRE und anerkannter Rundum-Vollpfosten. Phee arbeitete ebenfalls bei dem TV-Sender, als Verkehrsreporterin für die Morning-News. Sie stand jeden Morgen um drei Uhr auf, fuhr zum Sender und verbrachte Stunden damit, in unfassbar engen Kleidern mit ihrem gewinnenden Schönheitsköniginnen-Lächeln auf die verschlungenen Linien einer Straßenkarte zu zeigen. Sämtliches Wissen aus ihrem Schickimicki-Journalismusstudium war hierbei natürlich bitter nötig.

Phee beschwerte sich nie über ihren Job, manchmal beschlich mich jedoch das Gefühl, dass sie ihn zumindest ein kleines bisschen hasste. Bei Phee wusste man das nie so genau. Sie hatte früh gelernt zu lächeln und so zu tun, als ob.

»Nur zu deiner Information, Joel hat dieses Kleid ausgesucht.«

»Oh, ach so, Joel. Sag mal, hat er sich jetzt eigentlich diese Arschimplantate machen lassen, über die er nachgedacht hat?«

»Halt den Mund, Mathias.«

Er grinste. »Oh, das Kätzchen zeigt seine Krallen.«

»Egal. Es ist Silvester. Diejenigen von uns, die Dates haben …« Ich sog scharf die Luft ein. Phee zuckte zusammen und drehte sich zu mir um. »Ach du meine Güte. Tut mir leid, so habe ich das nicht gemeint. Ich meinte nur, ähm, ich gehe zur Silvesterparty.«

»Da hast du den Fuß ja gerade noch so eben aus dem Fettnäpfchen gezogen«, sagte Mathias und rückte grinsend seine Brille zurecht. Der dunkle Rahmen ließ ihn wie einen lüsternen Professor aussehen, und vermutlich war genau das auch seine Absicht gewesen.

Phee schnappte nicht nach dem Köder, sondern hielt ihren Blick auf mich gerichtet. »Da treffe ich Joel. Ich wollte nur nach dir sehen. Ich habe mir Sorgen gemacht.«

Joel, formte Mathias hinter ihrem Rücken mit den Lippen und deutete ein Würgen an. »Keine Sorge, sie ist in guten Händen«, sagte er laut.

Sie deutete auf den Snackhaufen und die Flaschen auf dem Küchentresen. »Das sehe ich.«

Die merkwürdige Spannung zwischen Mathias und Phee hatte es nicht immer gegeben. Als sie sich kennenlernten, hatte Mathias gerade das College beendet und noch nicht die Freuden von Highlight-Strähnchen und Brazilian Waxing entdeckt, dafür aber Phee. Aber plötzlich hatte ihn Phee ohne jede Erklärung geghostet. Manchmal dachte ich, dass er all seine Stylinganstrengungen nur deshalb unternahm, um die Aufmerksamkeit meiner Schwester zu erringen. Sollte das allerdings der Fall sein, hatte es bisher überhaupt nicht funktioniert.

»Ich muss jetzt los«, sagte Phee.

Mathias zuckte die Achseln und strich sich durchs schmutzigblonde Haar. »Du willst doch die Damen vom Nähkränzchen nicht warten lassen, oder?«

Phee verdrehte die Augen, ohne ihn weiter zu beachten. »Ich bin froh, dass es dir gut geht und du nicht allein bist. Wenn du reden willst oder so …«

Sie verstummte, und der Blick, den sie mir zuwarf, wirkte beinahe hoffnungsvoll. Meine Beziehung zu Phee war kompliziert. Sie war drei Jahre jünger als ich, und als sie auf die Welt kam, hatte ich mich genauso in sie verliebt wie alle anderen. Als Kind beanspruchte ich sie für mich und karrte sie überall mit hin. Sie schaute mich mit ihren riesigen blauen Augen bewundernd an, und ich schwor, alles zu tun, um sie glücklich zu machen. Damals war ich ihre Beschützerin, ihre Heldin, allerdings war ich mir nicht sicher, ob wir je auch richtige Schwestern waren. Nicht im Wir-erzählen-uns-alles-und-flechten-uns-dabei-die-Haare-Sinn. Doch je größer sie wurde, desto weniger brauchte sie mich, bis man mit Fug und Recht behaupten konnte, dass sie mich auf jeder Ebene überflügelt hatte.

Wozu brauchte man eine große Schwester, zu der man nicht aufschauen konnte?

»Danke«, flüsterte ich. Ich spürte, wie mir die Tränen in den Augen brannten.

»Warte. Weiß Mom es schon?«, fragte sie.

Ich schüttelte den Kopf, mein Magen krampfte sich ängstlich zusammen. »Ich weiß nicht. Sie hat angerufen, aber ich bin nicht rangegangen.«

»Ich fühle heute Abend mal vor und erzähle es dir später.« Sie neigte huldvoll den Kopf und ging zur Tür. »Wir sehen uns morgen zum Mittagessen, okay?«

Ich nickte.

Sie drehte sich um, um Mathias mit einem harten Blick zu bedenken. »Und dich auch, nehme ich an.«

»Nein. Ich habe zu tun.« Er wackelte mit den Augenbrauen für den Fall, dass wir nicht verstanden, was genau er zu tun hatte.

Phee wendete sich genervt ab.

»Viel Spaß mit Joel und der Familie.« Mathias zwinkerte ihr zu und ging zum Bad hinten im Flur.

Phee sah ihm nach und schien plötzlich etwas wehmütig »Bist du dir sicher, dass es dir gut geht? Ich kann auch bleiben«, sagte sie. »Joel würde es verstehen.«

Nein, das würde er keinesfalls, und unsere Mutter sowieso nicht. Diese Party war Moms alljährliche Gelegenheit, ihre wunderschöne, erfolgreiche Tochter herzuzeigen. Und mich. »Das wird schon. Viel Spaß.«

Sie drehte sich noch einmal in der Tür um und umarmte mich. »Hab dich lieb, Perci.«

Ich schlang die Arme um sie. Tränen traten mir in die Augen, aber ich blinzelte sie fort, bevor sie mir übers Gesicht rinnen konnten.

Kapitel vier

»Ein guter Freund hilft dir, die Leiche zu verbuddeln.

Der beste Freund weiß genau, wie viel Rattengift du vorher brauchst.«

Mimi

»Gib mir mal die Jalapenos rüber.« Mathias stieß mich mit der Schulter an. Stöhnend beugte ich mich vor und zog mir den Teller auf den Schoß. Er nahm sich eine und stopfte sie sich in den Mund, um sie dann mit einem Schluck Wein direkt aus der Flasche runterzuspülen.

»Nichts passt besser zu Selbstmitleid als mit Frischkäse gefüllte Jalapeno-Schoten.« Mathias stopfte sich eine zweite in den Mund und sprach weiter. »Beruhigt die Seele.«

Wir lagen auf meinem Sofa, schauten fern und warteten, dass es Mitternacht wurde. »Es ist viel besser, so Silvester zu verbringen als auf irgendeiner blöden Party, auf der ich lächeln und so tun muss, als hätte ich Spaß«, sagte ich.

Ich hickste und dachte an das vernünftige kleine Schwarze mit den Flügelärmeln und der passenden Samtjacke in meinem Schrank. Meine Mutter hatte es ausgesucht und mich dazu gezwungen, ihr zu versprechen, es auf der Party zu tragen. Ich hasste dieses Kleid. Und trotzdem wäre ich darin aufgetaucht, hätte wie jedes Jahr meine Tochterpflichten erfüllt.

»Wir verpassen die Gelegenheit, uns im Abglanz des großen Joel Allen zu sonnen«, schnaubte Mathias. »Er hat ernsthaft dieses Kleid für Phee ausgesucht? Wie grauenvoll war das bitte? Ich hätte ihr das Ding am liebsten vom Leib gerissen.«

Ich verschluckte mich am Wein. »Darauf möchte ich wetten.«

Er runzelte die Stirn, seine dunkelblonden Brauen formten ein V. »Das meinte ich nicht.«

»Jaja. Red dir das nur ein.« Ich grinste. »Ich wünschte, ihr beide würdet endlich knutschen und die Sache hinter euch bringen.«

Er warf sich mit einem Stöhnen zurück. »Ich kann nicht glauben, was ich jetzt tun muss.«

»Silvester mit deiner schnarchigen Freundin verbringen?«

»Du bist nicht schnarchig.« Er schaute mich an. »Ich kann nicht glauben, dass ich dir gleich etwas erzähle. Und morgen werde ich es auf den Alkohol schieben. Erinnerst du dich noch, wie dein Dad vor zwei Jahren dachte, er hätte Krebs?«

Damals hatte Dad eine Biopsie machen lassen, und die Ergebnisse waren nicht eindeutig gewesen, so dass er sich weiteren Tests hatte unterziehen müssen. Und wir hatten alle auf glühenden Kohlen gesessen.

»Phee kam zu mir in die Wohnung. Sie weinte wie verrückt, und sie wirkte so … ich weiß auch nicht … aufgelöst.« Sein Blick wird ganz verträumt. »Nicht einmal ihre Haare saßen richtig. Dabei geht sie sonst nicht aus der Tür, ohne sie vorher zu glätten.«

Es ist eigentlich meine Mom, die will, dass Phee ihr Haar geglättet trägt, was ich jedoch für mich behielt.

»Jedenfalls kam sie und blieb dann über Nacht.«

Ich sprang auf und warf dabei eine Handvoll Kartoffelchips auf den Boden. »Du hast mit ihr geschlafen?«

»Nicht so. Wir haben nur geschlafen, das ist alles. Irgendwann hatte sie sich beruhigt, und ich habe sie ins Bett gebracht, und dann hat sie mich gebeten, bei ihr zu bleiben.«

»Also kein Sex?«, frage ich. Nicht, dass ich übermäßig an Mathias’ oder Phees Liebesleben interessiert wäre, aber ich hatte immer gehofft, dass sich die beiden irgendwann finden würden. So oft im Laufe der letzten Jahre war ich mir sicher gewesen, dass Phee Mathias’ Gefühle eigentlich erwiderte. Aber jedes Mal tauchte dann jemand Glamouröseres (Älteres/Mächtigeres) auf, und sie ließ sich ablenken.

»Kein Sex, nur Schlaf. Aber am Morgen sprang sie aus meinem Bett, als stünde es in Flammen.« Er setzte sich auf und stützte die Ellenbogen auf die Knie. »Ich hätte ihr beinahe meine Gefühle gestanden.«

»Vielleicht hat sie die gleichen Gefühle?«

Er schnaubte. »Ich weiß, wo ich hingehöre. Ganz eindeutig in die Friendzone. Immer, wenn sie bei mir ist, scheint sie ein riesiges Schild mit einem Totenschädel und gekreuzten Knochen hinter mir blinken zu sehen.«

»Das ist wirklich traurig.«

Mathias beugte sich vor und gab mir ein Küsschen auf die Wange. »Du riechst gut, du hast tolle Haut, du bist schlau und bringst mich zum Lachen. Warum kann ich nicht in dich verliebt sein?«

Ich blinzelte.

»Ich meine, ich liebe dich, aber ich bin nicht in dich verliebt.« Er nahm einen tiefen Schluck Wein, verzog das Gesicht und wischte sich den Mund ab. »Ich klinge wie eine Figur in einer schleimigen romantischen Komödie.«

»Wir wären total süß zusammen. Wir könnten uns als Pärchen Percias nennen. Du weißt schon, wie Bennifer oder Brangelina.«

Mathias kräuselte die Nase. »Percias? Klingt wie eine Fußkrankheit.«

»Ich hab dich auch lieb.«

Das Leben wäre so viel einfacher, wenn wir uns ineinander verlieben könnten. Wir hatten es vor ein paar Jahren sogar einmal versucht. Unsere »Beziehung« dauerte ganze siebzehn Sekunden. Mathias fragte, ob er mich küssen dürfe, ich sagte Ja, und das, was danach geschah, war der peinlichste, verstörendste Kuss meines Lebens. Wir lösten uns voneinander und waren uns einig, nie, nie wieder ein Wort darüber verlieren zu wollen.

Außerdem hatte er Phee zuerst kennengelernt, und sie hat ihn geprägt wie ein aus dem Nest gefallenes Küken. Irgendwann hatte ich ihn gefragt, was es mit dem Zauber auf sich hat, den meine Schwester auf ihn ausübt, und er hatte nur mit den Achseln gezuckt und gesagt: »Ich wünschte, das wüsste ich.«

Die Stimme des Moderators im Fernsehen drang in meine Gedanken: »… die häufigsten Neujahrsvorsätze? Wer will raten?«

Die andere Moderatorin, ein ultradünnes Mädchen, bekannt aus einer Teenager-Show, brummte nachdenklich. »Dünner werden?«

»Ganz genau. Dafür muss man Sport machen und gesünder essen. Was noch?«

»Pfff.« Ich schleuderte eine zerknüllte Serviette in Richtung des Fernsehers.

An jedem Silvester schwöre ich mir, zwanzig Kilo abzunehmen, um eine Bikinifigur zu bekommen. Ich weiß genau, wie man Gewicht verliert – im Prinzip ist es keine höhere Mathematik –, aber ich schaffe immer nur ein paar Pfund und gebe dann auf.

Ich trank noch mehr Wein und warf eine Handvoll Chips hinterher. Ein paar von ihnen schafften es tatsächlich in meinen Mund, die anderen auf mein T-Shirt, und einer verschwand in meinem BH. Für später.

Mathias legte den Kopf auf meine Schulter. »Was hat dieser Arsch, was ich nicht habe? Joel Arschgesicht Allen. So heißt er ab jetzt.«

»Gefällt mir. Passt zu ihm.«

Der dritte Gast, der Leadsänger einer Popband, dachte angestrengt nach. Er trug mehr Eyeliner als ich im ganzen Jahr benutze. »Sich ein neues Hobby suchen?«

Der Moderator nickte und lächelte sein Tausend-Watt-Fernsehlächeln. »Das steht auch auf der Liste.«

Hobbys? Reden wir kurz über Hobbys. Auch damit habe ich es versucht. Seit ich die ersten Schritte gemacht hatte, hatte Mom mich in allerlei Hobbys gedrängt, in der Hoffnung, ich würde bei einem bleiben – Ballett, Malkurse, Klavier, Fußball, Pfadfinder, Flaggenschwenker-Team. Und ich war in jeder einzelnen Aktivität grottenschlecht. Als Erwachsene hatte ich andere Hobbys ausprobiert – Kochen, Fremdsprachen, Gartenarbeit, Seife herstellen und an einem besonders katastrophalen Nachmittag sogar Tischlern.

Irgendwas ist nicht ganz richtig mit mir. Normale Menschen schaffen es, wenigstens eine noch so mickrige Sache zu finden, in der sie gut sind. Ich nicht. Ich habe all diese guten Vorsätze gefasst und mich trotzdem nie in eine bessere Version meiner selbst verwandelt.

»Ich glaube, ich bin irgendwie kaputt«, sagte ich und drückte die Weinflasche an meine Brust, als wäre sie mein Erstgeborenes. »Das ist das Problem.«

Mathias schlang den Arm um meine Schultern. »Du bist nicht kaputt.«

»Ich glaube schon.« Ich knallte die Flasche neben Sals Fischglas, worauf er mich nur mit Mitgefühl und unerschütterlicher Liebe anstarrte. »Meine Mutter denkt, dass ich das bin. Weißt du, was ich von ihr zu Weihnachten bekommen habe?«

Er schüttelte den Kopf.

»Eine Mitgliedschaft im Fitnessstudio, eine Spanx-Shaping-Hose und einen neuen schwarzen Hosenanzug. Er ist eine Nummer zu klein, aber das kann ich ihr nicht sagen. Denn dann müsste ich meine wahre Kleidergröße zugeben, und sie würde sagen, wenn ich mich nur ein wenig mehr bemühte, würde er passen. Und weißt du was? Ich versuche es wirklich. Ich versuche es ständig, aber es reicht nie.«

Die Stimme aus dem Fernseher plärrte weiter. »Sonst noch Vorschläge? Beliebte Neujahrsvorsätze?«

»Oh, ich weiß! Ich weiß!« Das ultradünne Mädchen sprang auf und ab. »Dating!«

Ich stöhnte und ließ mich zur Seite kippen, so dass mein Kopf auf der Armlehne des Sofas lag. »Noch so ein Vorsatz, den ich nicht umsetzen konnte.«

Auf meiner Liste von Dingen, In Denen Ich Gut Bin, dominiert ganz deutlich das Scheitern.

Ich scheitere schon mein ganzes Leben. Ich habe es schon nicht zum errechneten Geburtstermin geschafft. Das Projekt Kindergarten war für mich eine Riesenpleite. Ich bin durch die Bio-Prüfung im College gerauscht. Zweimal. Ich habe es nicht geschafft, dünner zu werden. Ich habe es weder geschafft, meinen Freund glücklich zu machen noch meine Mutter stolz.

Ich bin gescheitert.

Ich bin immer gescheitert.

Ich bin eine Versagerin.

Die Niederlage ist meine älteste Freundin. Und nun tauchte sie uneingeladen zu meiner Selbstmitleidsparty auf und legte sich wie ein Stein in meinen Magen. »Es ist egal, wie sehr ich mich bemühe. Ich bin nie gut genug.«

Die Tränen überraschten mich selbst. Sie rannen meine Wangen hinunter, bevor ich sie wegblinzeln konnte. Mathias merkte es und zog mich an seine Brust. Ich schniefte, atmete den tröstlichen Geruch seines sauberen Hemdes, seines Rasierwassers und der Jalapenos ein.

Er nahm mich bei den Schultern, setzte mich wieder aufrecht und blickte mich streng an. »Hör mal, du machst gerade eine harte Phase durch. Aber es wird nicht immer so sein.«

Ich rieb mir die Tränen aus dem Gesicht und konnte ihm nicht in die Augen sehen. Bester Freund hin oder her, es gibt Dinge, bei denen ich mir große Mühe gebe, sie zu verbergen. Manchmal sogar vor mir selbst.

Er stand auf und marschierte durchs Wohnzimmer. Irgendwie wirkte sein weißes Hemd immer noch frisch gebügelt, seine dunklen Jeans gewaschen. Selbst wenn er sich auf dem Sofa wälzte und Alkohol trank, sah er aus wie ein Filmstar. Ich zupfte mein übergroßes T-Shirt zurecht und versuchte, den Salsafleck zu ignorieren, der sich zu dem Schokoeisklecks gesellt hatte.

Mathias hielt inne, stellte sich breitbeinig hin und stemmte die Hände in die Hüften wie ein Krieger, der zum Angriff bereit ist. »Weißt du, was ich den Mädchen immer sage, die an den Schönheitswettbewerben teilnehmen?«

»Halte den Atem an, dann kommen deine Brüste besser zur Geltung?«

»Ich sage ihnen, dass niemand an sie glaubt, wenn sie nicht an sich selbst glauben.« Er hockte sich vor mich hin und nahm meine Hand. »Das ist das Problem. Wenn du glaubst, du seist nicht gut genug, denken alle anderen das auch. Du kannst nicht allen gefallen, also hör einfach auf, es zu versuchen.« Er sprang auf und rannte in die Küche. »Ich habe eine Idee.«

»Bitte keine Ideen mehr. Und auch kein Gerede. Oder Nachdenken.« Ich streckte mich auf dem Sofa aus und umarmte ein Kissen.

»Vier … drei … zwei … eins … Frohes neues Jahr!« Schreie und Rufe drangen aus dem Fernseher, im Hintergrund wurde eine Pop-Version von »Auld Lang Syne« gespielt. Ich schaltete den Apparat aus. All das Glück auf dem Bildschirm störte meine Selbstmitleidsparty.

»Frohes neues Jahr, Sal.« Ich schickte dem besten Fisch, den sich ein Mädchen wünschen kann, einen Luftkuss. »Dir auch, Mathias. Wo auch immer du gerade bist.«

»Ich bin hier.« Mathias’ Gesicht schwebte über mir. Er wedelte mit einem kleinen Notizbuch und setzte sich, klatschte auf meine Beine, damit ich sie hob und auf seinen Schoß legte. »Wir notieren jetzt deine Neujahrsvorsätze.«

Ich legte den Arm über meine Augen: »O gut, noch ein paar Dinge, bei denen ich versagen kann.«