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Eine dunkle, dramatische und knisternde Fantasy-Romance für alle Fans von Carissa Broadbent und Raven Kennedy. Als junge Ritterin hat Rheanne ihrer Regentin einen Eid geschworen: eine geheimnisvolle Truhe zum Kaiserhof von Genzabar bringen – um jeden Preis. Doch als die Truhe geöffnet wird, ist sie leer. Und plötzlich beschleicht Rheanne der schreckliche Verdacht, wie ein Opferlamm in die Höhle des Löwen gesandt worden zu sein. Doch warum kommt ausgerechnet ihr diese Rolle im Spiel der Mächtigen zu? Als sich in den Hallen des prächtigen Kaiserpalasts ein Mord ereignet und Rheanne dunkle Gerüchte von anderen rätselhaften Todesfällen zu Ohren dringen, ahnt sie, dass diese der Schlüssel sind, um ihre Unschuld zu beweisen. Doch welche Rolle spielen der undurchschaubare General Ezekiel und die Kaiserin, die ein gefährliches Interesse an der Welt der Geister und Dämonen zu hegen scheint? Eine Welt, die Rheanne nur zu gut kennt und die ihr nun zum Verhängnis werden könnte … Bei diesem mittelalterlichen Dark-Fantasy-Highlight handelt es sich um die Neuauflage des Romans »Rheanne – Mord am Kaiserhof«. Die Romane der SWORDS AND MAGIC-Reihe sind unabhängig voneinander lesbar: Band 1: The Girl and the Storm of Darkness Band 2: The Girl and the Palace of Lies
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Seitenzahl: 320
Veröffentlichungsjahr: 2025
Als junge Ritterin hat Rheanne ihrer Regentin einen Eid geschworen: eine geheimnisvolle Truhe zum Kaiserhof von Genzabar bringen – um jeden Preis. Doch als die Truhe geöffnet wird, ist sie leer. Und plötzlich beschleicht Rheanne der schreckliche Verdacht, wie ein Opferlamm in die Höhle des Löwen gesandt worden zu sein. Doch warum kommt ausgerechnet ihr diese Rolle im Spiel der Mächtigen zu? Als sich in den Hallen des prächtigen Kaiserpalasts ein Mord ereignet und Rheanne dunkle Gerüchte von anderen rätselhaften Todesfällen zu Ohren dringen, ahnt sie, dass diese der Schlüssel sind, um ihre Unschuld zu beweisen. Doch welche Rolle spielen der undurchschaubare General Ezekiel und die Kaiserin, die ein gefährliches Interesse an der Welt der Geister und Dämonen zu hegen scheint? Eine Welt, die Rheanne nur zu gut kennt und die ihr nun zum Verhängnis werden könnte …
Bei diesem mittelalterlichen Dark-Fantasy-Highlight handelt es sich um die Neuauflage des Romans »Rheanne – Mord am Kaiserhof«.
eBook-Neuausgabe Juni 2025
Dieses Buch erschien bereits 2020 unter dem Titel »Rheanne – Mord am Kaiserhof« bei Blanvalet.
Copyright © 2020 by Anne Troja
Copyright © 2020 by Blanvalet in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München
Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München
Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literaturagentur Kai Gathemann GbR.
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.
Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung zweier Motive von © Kyryl /Asha.1in / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock / shutterstock AI
eBook-Herstellung: dotbooks GmbH unter Verwendung von IGP (rb)
ISBN 978-3-98952-973-1
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Anne Troja
Swords and Magic: Zweiter Roman
Für uns. Und unsere Zukunft.
Sie ist tot.
Und in mir tobt das Chaos.
Ich klammere mich an diesen Stift, suche daran Halt und lasse die Worte fließen. Man sagt, im Schreiben finde man Trost, nur merke ich davon noch nichts.
Ich war glücklich, zumindest dachte ich das. Das Leben war gut zu mir. Ich redete und lachte, weinte und betete, ich war ein Mensch wie jeder andere. Doch jetzt ... jetzt fühle ich mich einsam, weil es nichts mehr gibt, was mich hält. Alle um mich herum schweigen. Alle um mich herum funktionieren wieder. Nur ich nicht.
Und jetzt sitze ich an einem Schreibtisch und schreibe einen Brief, obwohl ich ihn am liebsten in tausend Stücke zerreißen würde! Warum widme ich dir überhaupt diese Zeilen, warum verschwende ich schon wieder einen Gedanken an dich? Du bist genauso tot wie mein Innerstes.
All die Floskeln, all die dummen Sprüche ... Insgeheim weiß ich doch längst, was mich beruhigt. Ja, ich möchte Frieden finden. Aber dafür muss die Wahrheit ans Licht gelangen. Ich will sie vom höchsten Turm schreien! Wahrscheinlich würde ich mich danach freier fühlen als nach dem Schreiben eines Briefes.
Ich weiß nicht, wie lange ich mich noch gegen die gegensätzlichen Gefühle in mir wehren kann. Diese Ratlosigkeit frisst mich auf, aber zeitgleich weiß ich, dass nur die Rache mir Frieden schenken wird. Will ich Genugtuung? Ja. JA! Unbedingt.
Wärst du doch bloß nicht so egoistisch gewesen. Wärst du doch bloß nicht so feige gewesen! Götter, wie ich egoistische Menschen hasse! Der erste Satz, den ich aus tiefer Überzeugung auf das Papier bringe.
Dumm nur, wenn man denjenigen trotz allem noch liebt. Ist das ein Widerspruch? Wahrscheinlich. Was tot ist, bleibt tot. Ich sollte mir diese Tatsache tagtäglich ins Bewusstsein rufen und mein Leben weiterleben.
»Ich werde dort auf dich warten. Und jetzt geh, Ritterin Rheanne aus Heptagon, und erfülle deine Pflicht!«
Cormacs Worte hatten sich tief in mein Gedächtnis eingebrannt. Ich roch noch immer seinen Duft, spürte noch immer seine Hände auf meinen Hüften und seinen warmen Atem an meinem Ohr. Die Erkenntnis traf mich wie ein Schlag. Ich war verliebt. Wirklich verliebt. Und das, obwohl unser erstes Kennenlernen alles andere als harmonisch verlaufen war. Er war ein blinder Passagier mit einer finsteren Vergangenheit, ich eine vereidigte Ritterin mit einem geheimen Auftrag. Zwei grundverschiedene Menschen, die durch die haarsträubenden Vorfälle an Bord der verunglückten Adlerschwinge zueinandergefunden hatten.
»Elda Ritterin.«
Ich sah auf und kehrte sogleich auf den Boden der Tatsachen zurück. Mein Sichtfeld wurde von einem breitschultrigen Gardisten mit glänzendem Harnisch ausgefüllt. Seinem verkniffenen Gesicht nach zu urteilen schien er über mein kurzes Gespräch mit Cormac nicht begeistert zu sein. Seine behandschuhten Finger trommelten einen ungeduldigen Rhythmus auf die verschränkten Arme. Mit einer unguten Vorahnung ließ ich den Blick an ihm hinabwandern. Das also war mein Rendezvous für diesen Tag: bärtig, griesgrämig und bis an die Zähne bewaffnet.
Was hätte ich in diesem Augenblick dafür gegeben, Cormac noch einmal zu sehen. Doch er war längst in der Menge verschwunden, und mir blieb nichts anderes übrig, als dem Gesandten des Kaisers meine Aufmerksamkeit zu schenken. Schließlich hatte ich meinen Auftrag zu erfüllen.
»Wir müssen los. Der hochwohlgeborene Kaiser hat einen eng getakteten Zeitplan. Er duldet keine Verspätung.« Der Gardist betonte seine letzten Worte abfällig.
»Natürlich, Verzeihung, ich komme. Wo entlang?«
»Folgt mir einfach«, knirschte der Gardist und machte einen unerwarteten Schritt auf mich zu, sodass ich stolpernd zurückwich, um nicht von ihm umgerissen zu werden.
Ich runzelte die Stirn. Was hatte ich ihm angetan? Ich war zwar mittlerweile dominante und herrische Anweisungen gewohnt, schließlich hatte ich mich eine geraume Zeit mit Cormac und der Alchemistin Sedalé abgegeben. Besonders die von sich selbst eingenommene Sedalé war mir negativ in Erinnerung geblieben, und ich war heilfroh, ihr niemals mehr über den Weg laufen zu müssen. Himmel, ich musste Ruhe bewahren und endlich zu den Vorfällen an Bord der Adlerschwinge Abstand gewinnen. Das Abenteuer mit Cormac und die mysteriösen Morde auf dem Schiff waren eine Sache gewesen – jetzt sollte ich mich an meine Pflicht erinnern und dem finsteren Mann das geben, was er von mir verlangte: Gehorsam und Eile.
Mir blieb auch gar nichts anderes übrig, als zu gehorchen. Immerhin wusste nur ein sehr kleiner Zirkel vertrauenswürdiger Personen von Merideths kurzer, aber umso heftigerer Affäre mit dem genzabarischen Kaiser Vargaz vor vier Jahren, und noch weniger wussten, dass die Erste Präsenz ihm für ihren Ehebruch jährlich ein Schweigegeld zahlte. Und das sollte auch möglichst so bleiben. Je früher ich den Worten des Gardisten Folge leistete, desto eher wäre mein Auftrag beendet.
Die grauen Augen des Mannes glitten von meinem Gesicht zu der kleinen hölzernen Truhe, die in meinen Armen lag wie ein schlummerndes Kind.
»Ihr seht müde aus. Einer meiner Männer wird die Kiste für Euch tragen.« Ohne meine Antwort abzuwarten, nickte er einem seiner Soldaten zu.
Doch ich presste die prunkvoll verzierte Truhe noch enger an meinen Körper, als wäre sie mein größter Schatz. Vermutlich entsprach das auch der Wahrheit.
»Ich werde sie selbst tragen«, sagte ich eindringlich und hielt dem Blick des Offiziers stand, der über meine Antwort alles andere als glücklich schien. Sein linkes Augenlid zuckte. »Eure Sorge um mein körperliches Wohlbefinden schmeichelt mir, aber meine Auftraggeberin wäre nicht sehr erfreut, wenn ich sie vorzeitig aus den Händen gäbe.«
Der Gardist, der mir gerade eben noch die Truhe streitig machen wollte, trat zurück. Sein Blick suchte den des Befehlshabers, den mein selbstsicheres Verhalten maßlos ärgerte. Er machte einen Schritt vor und rempelte mich absichtlich mit dem gepanzerten Arm an, sodass ich ins Straucheln kam.
»Ihr seid sehr vorlaut, Elda Ritterin«, meinte er, während er mir zufrieden dabei zusah, wie ich mit dem Gleichgewicht kämpfte. »Eine schlechte Angewohnheit, die nicht wenige Menschen frühzeitig ins Grab gebracht hat.«
»Mir haben schon furchterregendere Personen gedroht«, erwiderte ich unbeeindruckt und dachte an die Schiffsreise zurück.
»Der verehrte Kaiser«, erklärte der Gardist mit gefährlich ruhiger Stimme, »wird für Eure vorlaute Zunge weitaus weniger Verständnis haben als ich.« Ungeduldig zeigte er auf die Kutsche, die am Rand der Straße auf uns wartete. »Und jetzt vorwärts!« Um seinen Worten Ausdruck zu verleihen, legte er die Linke auf das Heft des Schwerts.
Ich nickte und fühlte mich plötzlich unendlich müde. Diese ganze Mission fand nur wegen dieser verdammten Truhe statt! In einem anderen Leben hätte ich Merideth die Kiste allzu gerne in die Hände gedrückt und ihr ins Gesicht gesagt, sie solle verdammt noch mal den Anstand haben, ihren Fehler selbst auszubügeln.
»Himmel, bei den Göttern, Nuvarr, was dauert das denn so lange? Zehn Minuten habe ich gesagt! Zehn. Und jetzt stehe ich mir geschlagene zwanzig Minuten die Beine in den Bauch!« Eine grelle, unangenehme Stimme ertönte, und um uns herum verstummte für wenige Sekunden das Geschnatter der Händler.
Der Mund des Gardisten formte sich zu einem tonlosen O, ehe sein Kopf in Richtung der Stimme schwenkte. Auch ich wandte mich unwillkürlich um und vergaß für einen kurzen Moment den Zwist mit dem Befehlshaber.
Ein übergewichtiger Mann näherte sich uns zielstrebig. Wie ein Rammbock pflügte er rücksichtslos durch die Soldaten der Eskorte, während er eifrig gestikulierte. Ringe blitzten im Sonnenlicht auf.
Ich betrachtete den Neuankömmling voller Neugier. Er war in einen teuren Brokatmantel gehüllt, in dessen Muster feine Goldfäden eingewebt waren. Er trug ihn der Hitze zum Trotz, obwohl ihm der Schweiß an den Schläfen hinabrann. Ein mit Federn bestückter Hut saß keck auf dem haarlosen Hinterkopf. Trotz der Körpermasse war der Mann erstaunlich flink und wendig.
Ehe ich mich versah, stand er dicht vor mir und riss meine rechte Hand an die feuchten Lippen, vollführte einen Kratzfuß und strahlte mich freudig an.
»Ihr müsst die Elda Ritterin Rheanne sein!«
Ich nickte stumm, überwältigt von der schweren Süße seines Parfüms. Ich atmete durch den Mund ein und grinste verzweifelt, um ein Niesen zu unterdrücken.
»Himmel, Nuvarr, welche Laus ist Euch denn über die Leber gelaufen?«, rief er in Richtung des befehlshabenden Gardisten, der den Neuankömmling mit finsterer Miene bedachte.
Der dicke Mann schnalzte missbilligend und wackelte mit dem Zeigefinger drohend in dessen Richtung. Das schien Eindruck auf Nuvarr zu machen, und er trat, wenn auch widerwillig, zurück.
»War er unwirsch zu Euch?«, wandte sich der Mann mir zu.
Ich schüttelte als Antwort verneinend den Kopf.
»Gut. Gut!« Er lachte etwas kokett und machte eine abfällige Handbewegung, die die Ringe an seinen Fingern zum Funkeln brachte. »Dann können wir ja jetzt endlich aufbrechen.« Er sah in die Runde und klatschte zweimal in die Hände. »Himmel, Ihr seht alle aus, als stündet Ihr am Grab des hochwohlgeborenen Kaisers, möge er bis in alle Ewigkeit leben. Heute ist ein Tag der Freude! Habt Ihr gehört? Wir haben Besuch aus fernen Landen. Etwas Freundlichkeit wäre angebracht. Typisch Soldaten«, murmelte er kopfschüttelnd und sah mit nun wieder düsterer Miene zu Nuvarr, der vor Wut beinahe platzte.
Ich war von der Erscheinung des Mannes zu perplex, als dass ich etwas hätte erwidern können. Als er meinen verständnislosen Blick bemerkte, wippte er gewichtig auf und ab, und seine Miene hellte sich wieder auf.
»Jetzt habe ich bei all der Aufregung glatt vergessen, mich vorzustellen. Wie unhöflich von mir.« Er schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn und seufzte. »Elda, ich hoffe, Ihr verzeiht mir das Versäumnis. Mein Name ist Reynard, Sekretär und Verwalter aller finanziellen Angelegenheiten des verehrten Kaisers Vargaz von Genzabar. Zu Euren Diensten, Elda Rheanne. Ihr seht übrigens bezaubernd aus!« Reynard neigte den Kopf und strahlte mich mit dunklen Knopfaugen an.
»Vielen Dank. Ich grüße Euch«, sagte ich unverbindlich.
»Kommt mit. Ich führe Euch zur Kutsche. Diese säbelrasselnden Blechgestalten sind dazu anscheinend nicht in der Lage.« Er bedachte Nuvarr erneut mit einem bitterbösen Blick und hakte sich dann gut gelaunt bei mir unter, sodass ich Mühe hatte, die Truhe nicht fallen zu lassen. Ich wusste immer noch nicht, was ich von Reynard halten sollte.
Der Weg zu der Kutsche, die im Sonnenlicht gleißend hell strahlte, erschien mir endlos lang. Ich hatte Hunger und Durst. Die Hitze war unerträglich und so drückend, dass mir der Schweiß aus sämtlichen Poren lief. Es war mir ein Rätsel, wie Reynard es mit seinen zusätzlichen Pfunden in dem Mantel aushielt.
Die schwüle Luft und meine knappen Antworten schienen seiner guten Laune nichts anhaben zu können. Beherzt schritt er voran und zog mich am Ellenbogen mit sich. Seine freie Hand durchschnitt die Luft wie eine scharfe Klinge, während er auf die Gebäude in der Ferne deutete, die er mir kurz beschrieb. Ich sah die Dächer wuchtiger Tempelgebäude hinter der Hafenmauer aufragen. Dutzende Kanonentürme säumten das Hafenbecken; ihre gusseisernen Schlünde waren allesamt auf das offene Meer gerichtet, um einem maritimen Angriff mit zerstörerischer Feuerkraft zu trotzen.
»Da wären wir, Elda«, rief Reynard fröhlich und deutete mit dem Zeigefinger auf die eindrucksvolle Kutsche. Sie wurde von vier Kaltblütern gezogen, deren Köpfe und Rücken mit dünnen Kettenpanzern geschützt waren. Auch die Kutsche war mit Stahlplatten versehen, und nur die eingestanzten Ornamente und das fein gewundene Blattgold an den Außenwänden ließen sie nicht wie einen Gefangenentransporter wirken. Auf beiden Seiten prangte das kaiserliche Wappen: ein steigendes Pferd, dessen Hinterhufe eine Schlange zermalmten.
Berittene Gardisten flankierten das Gefährt und ließen ihre Streitrösser auf der Stelle tänzeln, um neugierige Passanten daran zu hindern, der Kutsche zu nahe zu kommen.
Auf ein Zeichen von Reynard hin wurde die Kutschentür geöffnet. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Ich atmete kaum hörbar aus.
»Nach Euch«, sagte Reynard und schenkte mir ein entwaffnendes Lächeln.
Ich stieg gehorsam ein und setzte mich auf das weiche Polster. Reynard gab draußen den Gardisten weitere Anweisungen, und ich hörte, wie einer von ihnen ihm eine ungehaltene Antwort an den Kopf warf. Ich reckte ein wenig den Hals und erkannte Nuvarr, wie er sich auf ein bereitstehendes Pferd schwang und dem Tier brutal die Hacken in die Flanken stieß. Das Pferd machte einen überraschten Satz nach vorne und hätte Reynard beinahe über den Haufen gerannt. Ein hämisches Grinsen stahl sich auf Nuvarrs Lippen, während er im nächsten Zug das Visier herunterklappte und sein Gesicht hinter einer schwarzen Maske verschwand. Ich schüttelte den Kopf. Dieser Mann war mir nach wie vor ein Rätsel.
Währenddessen kletterte Reynard ächzend in das Innere der Kutsche und ließ sich mir gegenüber auf den Sitz fallen. Er lehnte sich behaglich zurück und faltete die Hände über seinem beachtlichen Bauch.
»Sie folgen nur ihren Befehlen«, teilte er mir mit, als hätte er meine Gedanken erraten und wollte mich besänftigen. Von draußen ertönte das Schnalzen einer Peitsche, und mit einem Ruck setzte sich die Kutsche in Bewegung. »Sie werden von Kindheit an darauf getrimmt, so furchteinflößend wie nur möglich zu werden. Nichts geht über militärische Strenge und Disziplin! Sicherlich kennt Ihr das Verfahren nur zu gut. Es ist normal. In Zeiten wie diesen ist vieles normal.«
»Normalerweise«, erwiderte ich süffisant, »begegnet man Weitgereisten, die unterwegs Havarie erlitten haben, mit etwas mehr Feingefühl.«
»O ja, ich hörte von dem Unglück. Schrecklich. Wirklich ganz furchtbar!« Reynard klang ehrlich betroffen. Er nestelte am Mantelkragen und rückte ihn zurecht. »Viele Menschen sind gestorben. Ihr könnt von Glück reden, dass Ihr dem Tod von der Schippe gesprungen seid. Eine glückliche Wendung des Schicksals!«
Ich hielt mich zurück, ihn zu korrigieren. Dass ein Dämon für den Untergang der Adlerschwinge verantwortlich gewesen war, konnte ein Außenstehender sicher nicht begreifen. Selbst in meinen Ohren klang es noch surreal.
»Das Schicksal ist ein gemeines Biest«, gab ich stattdessen zur Antwort und erhielt ein bestätigendes Nicken.
»Umso erfreuter ist der Kaiser, dass Ihr wohlbehalten in Esteban angekommen seid. Die Götter müssen ihre schützenden Hände über Euch gehalten haben!«
»Ich verdanke mein Leben der schnellen Hilfe zweier Händler. Es waren Menschenhände, die mich aus dem Wasser gefischt haben. Die Götter haben damit rein gar nichts zu tun.«
»Ihr seid ungläubig?«
»Ist das eine Feststellung oder eine Frage?«, entgegnete ich, leicht genervt darüber, dass alles immer gleich eine Glaubensfrage war.
»Eine Frage, Elda. Nur eine kleine Frage.«
»Auch kleine Fragen können große Auswirkungen haben.« Ich drehte den Kopf und sah aus dem Fenster.
»Ziemlich beeindruckend, nicht wahr?«, sagte er, als er meinen Blick nach draußen bemerkte.
Ich wusste nicht, ob er die berittenen Gardisten oder die eigenwillige Architektur Estebans meinte. Gedrungene zweistöckige Häuser mit flachen Dächern säumten ohne sichtbare Struktur die Straßen und kleineren Gassen, die mal hier und mal dort von einem größeren Weg abgingen. Farbenfrohe Sonnensegel schützten die Bewohner vor der grellen Sonne, deren Strahlen sich auf den unzähligen bunten Mosaiksteinen brachen, die an den Außenfassaden der Häuser angebracht waren. Die gesamte Stadt wirkte im Sonnenlicht wie ein schillernder Regenbogen.
»Genzabar verändert sich täglich«, erklärte er, und ich konnte den Stolz in seiner Stimme hören. »Jeden Tag aufs Neue. Wir lieben Innovation, aber gleichzeitig halten wir an unseren Bräuchen und Traditionen fest. Genzabar braucht das, genauso wie den Fortschritt. Ohne ihn könnten wir nicht überleben. Moderne Technik, fachkundiges Personal, das Wissen der Einheimischen und der Nomaden ... Das Leben in der Wüste ist hart und unberechenbar. Bleibt die Regenzeit aus und tritt der Fluss nicht über die Ufer, um die Felder zu bewässern, stehen Tausende von Leben auf Messers Schneide.« Er wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn. »Deswegen meine Frage vorhin. Uns bleibt nichts anderes übrig, als uns den Göttern zu unterwerfen. Ganz Genzabar beugt sich ihrem Willen. Sie sind es, die den Regen bringen. Sie sind es, die uns das Leben schenken. Oder es nehmen.«
Für einen Moment herrschte zwischen Reynard und mir eine unangenehme Stille.
»Wie weit ist es bis zum Palast des Kaisers?«, fragte ich, um sie zu unterbrechen.
»Etwa eine Stunde, wenn die Straßen frei sind.« Er bemerkte offenbar mein hungriges Gesicht und deutete auf ein fest installiertes Tischchen. Darauf stand eine kristallene Schale mit Früchten und Nüssen, daneben eine Wasserkaraffe. »Bitte, greift zu! Während Eures Besuchs in Esteban soll es Euch an nichts mangeln.«
Ich griff zu der Wasserkaraffe, goss mir ein Glas ein und trank es in wenigen Zügen aus. Mein Hals war von dem feinen Wüstenstaub ganz trocken. Reynard beobachtete jede meiner Bewegungen mit einem einstudiert wirkenden Lächeln, welches mir langsam, aber sicher unheimlich wurde.
Um seinem Blick zu entgehen, klaubte ich einige Datteln aus der Schale. Kauend wandte ich den Kopf und sah wieder aus dem Fenster.
»Wir haben soeben den Hafen hinter uns gelassen«, erklärte er mir und deutete mit dem Zeigefinger auf die etwa fünfzehn Meter hohe Mauer aus Basaltquadern. Sie stand im nüchternen Kontrast zu den bunten Häuserfronten der Einheimischen. »Es gibt nur zwei Zugänge zum Hafen. Vor vielen hundert Jahren war er das Zentrum von Esteban, bis der Handel florierte und die Stadt expandierte. Dazu kamen die Landflucht und die rasend schnelle Vermehrung der Bevölkerung. Wie die Karnickel«, fügte er trocken hinzu und schüttelte den Kopf, als hieße er diesen Umstand überhaupt nicht gut.
Ich staunte und dachte im selben Atemzug an meine Heimat Heptagon, die gleichzeitig die Hauptstadt Astrans war. Im Vergleich zu Esteban kam sie mir plötzlich lächerlich klein vor.
»Genzabar ist bekannt für seine Ballungsräume. In Esteban leben derzeit vierhunderttausend Menschen. Besonders die Küste ist dicht besiedelt, das ist klar. Wasser bedeutet Leben. Man flüchtet nicht umsonst aus der Wüste. Zu trocken, zu staubig, zu wenig Wasser. Ich für meinen Teil würde in der Wüste jämmerlich eingehen wie ein zartes Röschen.«
Unwillkürlich dachte ich an Astrans weite Wälder und seine sanft geschwungenen Hügel, die kleinen Dörfer und Weiler und die Felder und Weiden, die sich durch das gesamte Land zogen, und ich verspürte das nagende Gefühl von Heimweh. Das grelle, stickige Esteban kam mir plötzlich entsetzlich laut und unübersichtlich vor. Ich lehnte den Kopf an die gepolsterte Lehne und atmete tief ein. Sogleich brannte meine Nase von den scharfen, fremdartigen Gerüchen der Stadt.
Esteban ließ sich mit drei Worten beschreiben: laut, dreckig und trotzdem schön. Ich konnte nur schwer den Blick an einem Punkt haften lassen. Es gab so vieles zu sehen, so vieles zu bestaunen, dass ich von all den neuen Eindrücken Kopfschmerzen bekam. Mein Kopf rotierte in sämtliche Richtungen, meine Augen versuchten alles einzufangen, was sie als sehenswert empfanden. Was die Menschen Estebans an Sorgfalt in ihr Äußeres investierten, vernachlässigten sie im Umgang mit dem Unrat, den sie achtlos auf die Straße warfen. Ein Karren, mannshoch mit gerupften Hühnern beladen, stand direkt neben einer feiernden Hochzeitsgesellschaft. Jubelnd tanzte sie um den Karrenbesitzer, der sichtlich überfordert zurück zu dem toten Federvieh wollte, bevor seine Ware in der Sonne verdarb.
Die Kutsche bahnte sich auf einer breiten Straße ihren Weg ins Zentrum. Läden säumten links und rechts den Bürgersteig. Davor standen alle paar Meter fahrbare Handelsstände, die frische Backwaren oder Gewürze verkauften. Farbenfrohe Markisen hingen über den Geschäften und schützten vor Sand und Sonne. Es gab alles, was das Herz begehrte: Tuch- und Stoffwaren, fremdartige kulinarische Köstlichkeiten, Schmuck und Eisenwaren, bunte Teppiche und Holzarbeiten.
Hier und da wuchsen Palmen und exotische Gewächse in den verschleierten Himmel. Eine freie Fläche suchte man vergebens. Die Hauptstadt Genzabars war dicht besiedelt, und ich sah von den wenigen, aber breiten Hauptstraßen viele Gassen und kleine Straßen abzweigen, die so eng waren, dass nicht einmal ein Karren hindurchgepasst hätte.
Dicht an dicht wanden sich die Häuser die unzähligen Gassen entlang.
Wir mussten das Zentrum von Esteban erreicht haben, denn inzwischen hatte das Gedränge auf den Straßen so stark zugenommen, dass die kaiserlichen Reiter die Menschen mithilfe der massigen Pferdeleiber beiseitedrängten. Der Lärm von draußen war enorm.
»Wir befinden uns gerade auf dem Platz der tausend Stimmen«, vernahm ich Reynard. Der Sekretär des Kaisers musste mein Erstaunen bemerkt haben. Er beugte sich vor und richtete den mit Ringen bestückten Zeigefinger auf riesige, leicht gedrungen wirkende Hallen, die sich wie schwarze Schlangen in alle vier Himmelsrichtungen wanden.
»Seht Ihr diese Gebäude? Das sind die Markthallen Estebans. Der Platz ist rund um die Uhr verstopft.«
Ich nickte mechanisch und war überwältigt von der Menschenmasse, die sich schubsend und drängelnd in Richtung der Markthallen bewegte. Erst nach einer ganzen Weile verebbten das Stimmengemurmel und die Rufe der Händler. Die Kutsche nahm wieder an Fahrt auf.
Ich lehnte mich zurück, und das sanfte Ruckeln verleitete mich zum Einschlafen. Mit leerem Blick starrte ich aus dem Fenster, während im Hintergrund Reynard vor sich hin plapperte. Eine geschwätzigere Person war mir im Leben noch nicht untergekommen, doch ich hatte binnen kürzester Zeit gelernt, das Geschnatter weitestgehend auszublenden.
Verhalten gähnte ich, als es im Inneren der Kutsche unerwartet dunkler wurde. Ich reckte den Kopf, um einen Blick aus dem Fenster zu werfen, und vergaß dabei, den Mund wieder zu schließen. Reynard grinste sichtlich amüsiert über meine Verblüffung und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Elda Ritterin Rheanne – wir haben soeben den Palast des erlauchten Kaisers Vargaz erreicht.«
Vor mir erhob sich eine dreißig Fuß hohe Mauer aus schwarzem Basalt. Links und rechts von dem breiten Haupttor wanden sich zwei Hörner wie monströse Schlangen aus Messing in den diesigen Himmel. Als die kaiserliche Kutsche die gepflasterte Auffahrt erreichte, traten zwei Gardisten zu den erstaunlich kleinen Mundstücken und bliesen mit aller Kraft in die Hörner. Ein immer lauter werdendes Dröhnen ertönte, das die Palmen entlang der Straße zum Zittern und die Fensterscheiben der Kutsche zum Vibrieren brachte. Mein Brustkorb bebte. Oben auf dem Wehrgang betätigte ein Dutzend Gardisten die zwei Winden, und das riesige eisenverstärkte Flügeltor öffnete sich langsam.
»Willkommen im Palast von Kaiser Vargaz«, rief Reynard, und schon rumpelte die Kutsche im schnellen Trab durch das Tor. Der Hufschlag hallte von den geschwungenen Wänden der Durchfahrt wider.
Ich nickte und reckte staunend den Hals, um besser sehen zu können. Offenbar befand ich mich im Herzen eines Heeres. Der Palast glich einer uneinnehmbaren Festung. Auf einem großen Platz paradierte ein Regiment Gardisten, und oben auf dem Wehrgang bemerkte ich die bulligen Umrisse von Kanonen, die von weiteren Gardisten flankiert waren. Die Militärpräsenz war gewaltig und erschreckend zugleich. Kein Mensch, der noch recht bei Verstand war, konnte sich heimlich in den Palast hinein- oder herausschleichen.
Genzabar war ein Militärstaat, wie er im Buche stand. Astran wirkte dagegen klein und schwach. Merideth verließ sich auf die Ritter, die besten Kämpfer des Landes, aber im Vergleich zur genzabarischen Streitmacht waren wir kein ernst zu nehmender Gegner. Zahlenmäßig waren sie uns weit überlegen, auch wenn die Größe nichts über die Kampffähigkeit eines Heeres aussagt. Doch schon allein die fortschrittliche Artillerie des Landes verriet mir, dass Heptagon einer Belagerung durch Kanonen nicht lange würde standhalten können. Merideth investierte lieber in Prunk und Luxus als in die Verteidigung ihres Landes.
Die Kutsche verringerte ihre Geschwindigkeit und ermöglichte mir, die Umgebung nahe der gepflasterten Auffahrt zu begutachten.
Kasernen schmiegten sich dicht an die Mauer. Reynard erklärte mir, dass die genzabarische Kavallerie und die Bogenschützen aus Platzgründen außerhalb von Esteban stationiert waren. Bei der Vorstellung von noch mehr Soldaten bekam ich unwillkürlich am ganzen Körper eine Gänsehaut und schwor mir im Stillen, nichts zu tun, was den Zorn Genzabars wecken könnte.
Nach einer Weile kam der Vierspänner endgültig zum Stehen, und die Tür der Kutsche wurde schwungvoll geöffnet. Reynard stieg als Erster aus und reichte mir anschließend die Hand. Nach der langen Fahrt war mein Hintern eingeschlafen und erwachte nun unangenehm kribbelnd zum Leben. Ich stolperte und stakste mehr aus der Kutsche, als dass ich sie hoheitsvoll verließ, und die viel zu große, schmutzige Seemannskleidung ließ mich eher wie eine Vagabundin als eine Gesandte meiner Regierung aussehen.
»Fühlt Euch wie zu Hause«, sagte Reynard und beschrieb mit der Hand einen weiten Bogen, als könnte er mit dieser Geste alles einfangen.
Etwa achthundert Meter von mir entfernt erhob sich der Palast aus glänzendem Basalt. Schlanke Türme ragten aus den beiden Nebenflügeln, die sich ans Hauptgebäude schmiegten. Über dem Hauptgebäude thronte eine gläserne Kuppel, die das Sonnenlicht so strahlend hell absorbierte, dass man bei längerem Hinsehen zu erblinden drohte. Springbrunnen aus schwarzem Marmor spien Wasserfontänen in die Luft, die schimmernde Regenbögen zauberten.
Reynard führte mich über einen gepflasterten Weg zu einem villenähnlichen Gebäude, das abseits vom Palast und nahe der westlichen Mauerseite lag. Der Eingangsbereich wurde zu beiden Seiten von den Bronzestatuen steigender Pferde gesäumt, deren Vorderhufe sich über dem oberen Türrahmen trafen. Am Türrahmen selbst rankte wilder Wein, dessen Blätter strahlend rot leuchteten. Mehrere akkurat gestutzte Pappeln waren rings um das Haus gepflanzt und boten Schatten und natürlichen Sichtschutz. Die große Flügeltür stand sperrangelweit offen und offenbarte mir ein luxuriös möbliertes Inneres. Eine Riege von Angestellten hatte sich vor dem Eingang des dreistöckigen Gebäudes aufgestellt und erwartete offenbar meine Ankunft.
»Der hochwohlgeborene Kaiser kann Euer erstes Treffen kaum abwarten. Bevor das Fest beginnt, soll es Euch an nichts mangeln«, sagte Reynard mit einem verschwörerischen Zwinkern. »Der Kaiser will nur das Beste für Euch. Ihr werdet sehen – am Ende wollt Ihr Genzabar gar nicht mehr verlassen.«
»Das wird sich erst noch herausstellen«, murmelte ich, überwältigt von all dem Prunk. »Ich habe ehrlich gesagt nicht vor, lange zu bleiben, Elder Reynard.«
»Abwarten! Caitlin, Schätzchen! Komm, tritt vor«, rief Reynard gut gelaunt und klatschte auffordernd in die Hände. Er reckte den speckigen Hals in die Höhe, um die Angesprochene inmitten der livrierten Dienstleute ausfindig zu machen. Seufzend richtete ich die Aufmerksamkeit auf die Schar der Hausangestellten. Eine eigene Dienerin. Schlimmer konnte es wirklich nicht mehr kommen!
Reynard lachte albern und klatschte ein zweites Mal in die Hände, als sich aus den Reihen ein junges Mädchen löste und vor uns zum Stehen kam.
Ich betrachtete sie neugierig. Sie war gertenschlank, fast schon mager. Das blonde Haar fiel ihr auf die Schultern und umrahmte ein schmales Gesicht mit fragenden Augen. Ich warf ihr ein leichtes Lächeln zu, und sie erwiderte es höflich.
»Das, verehrte Elda Ritterin, ist Caitlin. Sie ist ab sofort für Euer Wohlergehen zuständig. Nicht wahr, Caitlin, Süße? Du wirst der Elda Ritterin Rheanne jeden Wunsch von der Nasenspitze ablesen.« Er stupste Caitlin verspielt an die Nase.
Caitlin nickte gehorsam, aber ihre Augen blitzten vor Verachtung, sobald der Sekretär ihr den Rücken zukehrte. Mein Lächeln erstarb, und ich wandte mich an Reynard. Mir war die gesamte Situation mehr als unangenehm.
»Das ist wirklich nicht nötig«, versuchte ich den Sekretär zu überzeugen. »Ich möchte keine Umstände machen.«
»Papperlapapp! Wir befinden uns hier im Reich von Kaiser Vargaz. Das Wort Umstand kennt keiner der Bediensteten. Sie sind schließlich dafür da, um den Aufenthalt von wichtigen Staatsgästen so angenehm wie nur möglich zu gestalten.« Reynard wippte auf den Zehenspitzen und sah dabei wie ein dicker Tanzbär aus. »Ihr beleidigt den Kaiser, wenn Ihr seine Gastfreundschaft nicht zu schätzen wisst.«
Ich seufzte und hob geschlagen die Hände. Ich war müde, schwitzte und hatte tierischen Hunger. Der Sekretär begann meine Nerven gefährlich zu strapazieren.
»Wenn Ihr mir nun bitte in Eure Unterkunft folgen würdet«, sagte Reynard und schritt dem Eingang entgegen. Der Kies knirschte unter unseren Sohlen.
Ich deutete mit dem Zeigefinger auf das Gästehaus. »Mit wem werde ich mir die Unterkunft teilen ...?«, setzte ich fragend an, als der Sekretär mich gut gelaunt unterbrach.
»Teilen? Das Haus gehört vom Dach bis zum Keller Euch.« Er musste meine Verblüffung bemerken, denn er kicherte vergnügt. »Ich sagte es Euch doch bereits, Elda Rheanne: Das Wort Umstand kennt hier keiner.«
Kopfschüttelnd presste ich die Truhe enger an mich und folgte dem Sekretär ins Haus. Es war überraschend kühl im Inneren, obwohl durch die hohen Fensterfronten viel Sonnenlicht fiel. Ich drehte mich ein letztes Mal um, bevor einer der Gardisten die Flügeltür schloss, und erkannte in östlicher Richtung ein gepflegtes Wäldchen. Davor befanden sich mehrere langgezogene Gebäude sowie eingezäunte Weiden, auf denen einige Pferde grasten.
»Da wären wir, Verehrteste«, sagte Reynard und drehte sich wirbelnd zu mir um. »Man hat Euch die gesamte erste Etage eingerichtet. Ihr könnt selbstverständlich auch die unteren Zimmer nutzen.«
»Wie aufmerksam«, erwiderte ich trocken.
Reynard musterte mich eingehend. Sein Blick haftete an meinem Gesicht, als hätte ich zwei Nasen und vier Augen. Ich starrte zurück, bis er schließlich lächelnd den Blick senkte und auf die Holzkiste zeigte.
»Ich denke, es ist an der Zeit, Euch Euer Gepäck abzunehmen.«
»Das braucht Ihr nicht.«
»Seid nicht albern, Elda! Ihr könnt doch nicht die ganze Zeit diese Truhe mit Euch herumschleppen.«
»Dann ist Pflichtgefühl heutzutage nichts mehr wert?«
»Oh, Liebes, Ihr habt Eure Pflicht doch längst getan. Schon vergessen? Ihr seid im Palast des Kaisers. Der Kaiser vertraut mir. Das heißt, Ihr könnt das auch.«
»Vertrauen muss man sich erst verdienen, heißt es in meiner Heimat. So mancher verlor durch Naivität sein Leben, weil er dem Falschen vertraute.«
Reynards grelles Lachen brannte in meinen Ohren. Ich verstand nicht, was er daran so lustig fand. Meine Worte waren ernst gemeint – an Bord der Adlerschwinge hatten mehr als genug Menschen ihr Leben eingebüßt. Die Ereignisse auf hoher See hatten sich in mich eingebrannt.
»Hier, bitte.« Widerwillig übergab ich Reynard die Truhe. Er hatte recht: Irgendwann musste ich sie aus den Händen geben. Ich war zwar vorlaut, aber nicht dumm. Ich merkte es, wann ich mich den Mächtigen zu beugen hatte.
»Man kann Astran viele Dinge nachsagen«, meinte Reynard. »Und der guten Merideth ebenfalls. Vertrauen ist nicht gerade eine ihrer Stärken.« Er betrachtete die Kiste neugierig und klopfte prüfend gegen das rötliche Holz. »Ist es nicht lustig? Ein einziger Baum, und aus seinem Holz kann man die unterschiedlichsten Dinge erschaffen. Den Thron für einen Herrscher, das Haus für eine Familie ... oder den Sarg für einen Todgeweihten.« Reynard strahlte mich an, als hätte er statt einer Drohung einen Witz gerissen.
Ich hielt seinem Blick stand und lächelte kühl.
»Wirklich komisch«, antwortete ich und ließ mir nichts anmerken. Mein Leben lag nun in Vargaz’ Händen. Ich wandte den Blick von der Truhe ab, die ich seit drei Wochen beschützte.
»Aber was rede ich da nur wieder für Unsinn! Ihr wollt bestimmt etwas Zeit für Euch haben, bevor der große Empfang beginnt und Ihr auf Kaiser Vargaz trefft. Ruht Euch aus. Nehmt ein Bad. Caitlin wird Euch anschließend für den Empfang herausputzen. Ihr werdet wie eine Göttin aussehen! Hinreißend!«
Der Sekretär wirbelte an mir vorbei, eine Mischung aus Extravaganz und Lächerlichkeit. »Ihr werdet die schönste Frau im gesamten Palast sein! Nach der Kaiserin, versteht sich.«
»Moment. Wartet!«
Reynard drehte sich fragend um.
»Was für ein Empfang?«, wollte ich wissen.
»Habe ich Euch das nicht gesagt?«
»Nein«, sagte ich stirnrunzelnd.
»Kaiser Vargaz möchte den beiden Händlern Klerens Bruk und Jerend Wilson seinen Respekt zollen und ihnen den höchsten Orden überreichen, der Ausländern zuteilwerden kann. Es wird ein Fest geben! Die Schiffsmannschaften und die Überlebenden der Havarie werden Kaiser Vargaz’ Ehrengäste sein.«
Ich kniff die Augen zusammen. »Die Überlebenden der Havarie?«, wiederholte ich und begriff, wen ich bald alles wiedersehen würde. Es waren eindeutig gemischte Gefühle, die bei dem Gedanken in mir aufstiegen.
Reynard nickte bestätigend. »Soeben werden sie von mehreren Kutschen in den Palast gebracht. Welch ein großartiger Tag! Ich freue mich ja schon so!«
Der Sekretär verschwand, und zurück blieb nur der Geruch seines penetranten Parfüms, das mich wie eine Wolke umgab.
Ich schluckte. Mein Herz begann wild zu klopfen, als meine Gedanken sich um Cormac zu drehen begannen. Würde er auch kommen? Und was war mit seinem Schatten namens Sedalé, der ihm auf Schritt und Tritt folgte? Würde sie die Einladung des Kaisers annehmen? Verärgert schlug ich mit der flachen Hand gegen den Türrahmen, als sich hinter mir jemand räusperte. Erstaunt drehte ich mich um und sah in die Augen eines jungen Mädchens.
Caitlin. Das Dienstmädchen – mein Dienstmädchen. Ich hatte sie völlig vergessen.
»Ich wollte dich nicht erschrecken«, sagte ich entschuldigend. »Die Reise war lang und anstrengend, und das ... das Fest hat mich einfach überrascht.«
»Gewöhnt Euch an unvorhergesehene Überraschungen, Elda«, entgegnete Caitlin trocken, und ich starrte sie verdutzt an. Mit so viel Schlagfertigkeit hatte ich nicht gerechnet. Caitlin wirkte auf mich eher wie ein stilles, ängstliches Mäuschen, das vor den Mächtigen kuschte.
Argwöhnisch musterte ich sie von der Seite, als sie umständlich den Zimmerschlüssel ins Schloss steckte und herumdrehte. Das hagere Gesicht mit der hohen Stirn machte sie nicht gerade attraktiv, doch ihre blauen Augen schimmerten so hell und klar wie der Ozean. Caitlins Schönheit kam eindeutig von innen.
Leise lachend schüttelte ich den Kopf, während ich hinter ihr das Zimmer betrat. Ich freute mich auf die Gespräche mit ihr.
»Ich nehme an, das Fest wurde spontan geplant?«, fragte ich.
»Ja.« Caitlin wuchtete den Seemannssack mit Schwung auf einen Stuhl.
Ich beobachtete sie und staunte über die Kraft in ihren dünnen Armen. »Warum? Ein Schiffsunglück mit vielen Toten ist nun wirklich kein Grund zur Freude.« Unweigerlich musste ich an Kapitän Menderz denken, der seiner geliebten Adlerschwinge bis zum letzten Atemzug treu geblieben war. »Die Toten verdienen Respekt«, fügte ich leise hinzu.
Caitlin hob den Blick, er war nachdenklich und ernst. »Respekt ist etwas, was Ihr in Esteban vergeblich suchen werdet, Elda Ritterin. Man kann aus allem einen Vorteil ziehen, selbst aus einem Unglück.«
»Das sind harte Worte.«
»Mag sein.« Caitlin lächelte geradezu mitleidig, und ich war erstaunt, wie erwachsen sie plötzlich aussah. Ihre kindliche Unschuld war verschwunden. Vor mir stand eine junge Frau, die schon einschneidende Dinge in ihrem kurzen Leben erlebt haben musste. »Aber es ist nun mal die Wahrheit.« Caitlins Gesichtszüge lockerten sich ein wenig, und ein Lächeln stahl sich auf die schmalen Lippen. Sie zuckte mit den Schultern. »Ihr solltet Euch für den Empfang frisch machen, Elda Ritterin. Euer Kleid liegt auf dem Bett im Schlafzimmer.«
»Götter. Wie ich mich auf das Fest freue.« Ich seufzte und sehnte mich eigentlich nur nach einem entspannenden Bad, gutem Essen und Cormacs Gesellschaft. Doch die Pflicht kannte keine Gnade.
»Oh, Ihr werdet voll und ganz auf Eure Kosten kommen, Elda! Wenn die genzabarische Elite etwas kann, dann ist es zu schauspielern. Ihr werdet Ausgelassenheit, Frohsinn und begeisterte Trinksprüche auf den Kaiser erleben. Nichts davon ist echt.« Caitlin klang verbittert, doch bevor ich sie hätte fragen können, was genau sie damit meinte, war sie im Badezimmer verschwunden und ließ das Badewasser ein.
Der Raum wurde von den Strahlen der Abendsonne geflutet. Ich trat zu der Fensterfront, sah nach draußen und sog den imposanten Anblick in mich auf. Die architektonische Schönheit und Perfektion waren überragend. Welches Übel verbarg sich hinter den glänzenden Palastmauern?
Plötzlich spürte ich einen durchdringenden Blick auf mir lasten. »Elda, Ihr müsst vorsichtig sein«, sagte Caitlin leise.
Ich drehte mich erstaunt zu ihr um. »Warum? Du brauchst dich nicht um mich zu sorgen. Ich kann auf mich aufpassen.«
»Ihr versteht nicht. Vargaz ist nahezu allmächtig. Er ist der Kaiser. Er nimmt sich, was er will.« Sie sah mich eindringlich an, und ich bemerkte den dunklen Schmerz in ihrem Blick. »Besonders junge, hübsche Frauen.«
»Donnerwetter! Ihr seht hinreißend aus. Ganz bezaubernd! Der hochverehrte Kaiser wird Euch zu Füßen liegen, geblendet von Eurer Schönheit.«
Ich errötete und beschleunigte meine Schritte. Reynard ergriff ungefragt meine Hand und führte mich zu dem eleganten Zweispänner, der vor dem Gästehaus auf uns wartete. Seine Komplimente waren mir unangenehm, ich wusste nicht, was ich davon halten sollte.
Die Zeit bis zum Abend war regelrecht verflogen. Caitlin hatte mich nach meinem Bad wortlos für den Empfang gekleidet und frisiert. Ihre Bewegungen waren fließend und einstudiert gewesen, und ihr plötzlich so verschlossener Gesichtsausdruck hatte es mir unmöglich gemacht, darin zu lesen. Ich hatte sie fragen wollen, was sie mit ihrer Äußerung bezüglich der genzabarischen Elite gemeint hatte, doch sie war meinen Fragen geschickt und höflich ausgewichen. Sie wirkte seither wieder wie das schüchterne Mädchen, das Reynard nach unserer Ankunft aus der Schar von Bediensteten herausgewunken hatte.