The Paradise Problem – Wenn das Herz den perfekten Plan durchkreuzt - Christina Lauren - E-Book

The Paradise Problem – Wenn das Herz den perfekten Plan durchkreuzt E-Book

Christina Lauren

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Beschreibung

Nach dem TikTok-Hit »The Unhoneymooners« ist das SPIEGEL-Bestseller-Erfolgsduo Christina Lauren endlich mit einer neuen, sommerlich prickelnden RomCom zurück! Anna hatte nicht damit gerechnet, West jemals wiederzusehen. Die chaotische, selbstbewusste Künstlerin und der zurückhaltende (gut aussehende) junge Standford-Professor haben sich seit dem College-Abschluss nicht mehr gesehen. Aber jetzt braucht er Annas Hilfe: Um an sein beachtliches Erbe zu kommen, muss er seiner verhassten Familie vorspielen, dass Anna und er glücklich verheiratet sind – auf der Hochzeit seiner Schwester. Wenn alles klappt, bekommt Anna auch einen Teil des Erbes. Da Anna ihm helfen möchte und das Geld momentan mehr als nötig hat, lässt sie sich darauf ein. Doch dann entwickelt sich ihre rein platonische Freundschaft während der luxuriösen Traumhochzeit auf einer paradiesischen Insel mit nur einem Doppelbett im gemeinsamen Hotelzimmer schnell in eine emotional komplizierte Richtung, vor allem, als Wests Familie langsam Verdacht schöpft, dass hier etwas nicht stimmt, und die beiden auf die ein oder andere Probe stellt …  »The Paradise Problem zeigt Christina Lauren in absoluter Höchstform – und setzt damit neue Maßstäbe für das gesamte Romance-Genre! Das Knistern ist zum Greifen nah, das Setting einfach unwiderstehlich, und der Humor sprüht nur so vor Charme. Die Charaktere? Die lassen einem wirklich keine Wahl: Man verliebt sich Hals über Kopf! Ein weiteres Meisterwerk von den unangefochtenen Königinnen der Romance.« – Ali Hazelwood, New-York-Times-Bestsellerautorin

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Veröffentlichungsjahr: 2025

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((bei fremdsprachigem Autor))

Aus dem Amerikanischen von Christina Kagerer

© Christina Hobbs und Lauren Billings 2024

Titel der amerikanischen Originalausgabe: »The Paradise Problem«, Gallery Books, an imprint of Simon & Schuster, Inc., New York 2024

© der deutschsprachigen Ausgabe:

everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2025

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: FAVORITBUERO, München nach einem Entwurf von Faceout Studio

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Prolog

Anna

Kapitel 1

Anna

Drei Jahre später

Kapitel 2

Liam

Kapitel 3

Anna

Kapitel 4

Liam

Kapitel 5

Anna

Kapitel 6

Liam

Kapitel 7

Liam

Kapitel 8

Anna

Kapitel 9

Anna

Kapitel 10

Liam

Kapitel 11

Anna

Kapitel 12

Liam

Kapitel 13

Anna

Kapitel 14

Anna

Kapitel 15

Liam

Kapitel 16

Liam

Kapitel 17

Anna

Kapitel 18

Liam

Kapitel 19

Anna

Kapitel 20

Anna

Kapitel 21

Anna

Kapitel 22

Liam

Kapitel 23

Anna

Kapitel 24

Liam

Kapitel 25

Anna

Kapitel 26

Liam

Kapitel 27

Liam

Kapitel 28

Anna

Kapitel 29

Liam

Kapitel 30

Anna

Kapitel 31

Anna

Kapitel 32

Liam

Kapitel 33

Anna

Kapitel 34

Anna

Epilog

Liam

Anna

Liam

Anna

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Prolog

Anna

Der Tag, an dem mein Mann aus unserer Wohnung auszieht, ist gleichzeitig der Tag, an dem Resident Evil Village für die PlayStation rauskommt. Es überrascht euch vielleicht, welches dieser Ereignisse einen größeren emotionalen Einfluss auf mich hat.

Aber da ich ja auch kein Monster bin und wir in dieser Wohnung tatsächlich zwei schöne Jahre miteinander verbracht haben, tue ich das, was jede Frau, der bei einer Scheidung die Couch und der Fernseher überlassen wurden, tun würde: Ich beobachte mit einem ermutigenden Lächeln, wie West und seine zwei muskelbepackten und frisch gebackenen Doktoranden-Freunde Karton um Karton, Stuhl um Stuhl, Koffer um Koffer und die restlichen neunzig Prozent der Möbel und der Deko zu dem Umzugslaster tragen, der draußen auf dem Gehsteig parkt. Kaum noch irgendwelche Gegenstände sind mir geblieben, die ich mein Eigen nennen darf – die letzten Jahre habe ich Wests Sachen benutzt –, was ein bisschen traurig ist, aber dieser Moment war unausweichlich.

Etwas Trost finde ich allerdings in dem Wissen, dass es in zwei Wochen, wenn ich meine Sachen zusammenpacke, wesentlich leichter wird.

Draußen kommt West gerade hinten aus dem Laster, springt graziös auf die Straße und betrachtet sein mit Sicherheit ausgezeichnet organisiertes Pack-Meisterwerk. Ihr hättet unsere Vorratskammer sehen sollen: wahrhaftig das Werk eines Ordnungsgenies.

Mein penibler Ex ist achtundzwanzig, redet nicht viel und ist einer dieser unglaublich fähigen Männer, die es schaffen, so etwas wie die Steuererklärung zu machen oder Löcher in Gipswänden zu stopfen, einfach aussehen zu lassen. Ich gebe zu, abgesehen von dieser überaus sexy fähigen Ausstrahlung, ist West auch ein Fuchs. Er verkörpert die perfekte Kombination aus Größe und Muskeln, obwohl ich keine Ahnung habe, wie groß er ist.

Ist es nicht seltsam, dass ich ihn das nie gefragt habe? Mir ist bewusst, dass die meisten großen Frauen ganz besessen davon sind, wie groß andere Menschen sind, aber mir war das immer egal. Ich habe viele Männer kennengelernt – Männer, die größer als ich waren, Männer, die kleiner waren, Männer, die genau gleich groß waren wie ich. Ich weiß nur, dass meine Augen auf Höhe von Wests Kinn sind. Bei unserer Hochzeit musste er sich bücken, um mich zu küssen.

Ich habe schon ewig nicht mehr an diesen Tag gedacht, aber wahrscheinlich macht es Sinn, dass ich jetzt daran denke. Es kommt mir vor, als wäre dieser Kuss schon ein ganzes Leben her. Nach zwei Jahren dieses Abenteuers bin ich mit der Couch, die er mir hinterlässt, vertrauter als mit ihm.

Als ich jetzt so auf dem Gehweg stehe, dreht er sich um und schaut mich an. Unsere Blicke treffen sich, und ein seltsames, schwankendes Gefühl breitet sich in meinem Magen aus, geradezu benommen. Es kann kein Unterzucker sein – ich habe eine halbe Tüte Jalapeño-Chips gegessen, während ich ihm beim Packen zugeschaut habe. Und es ist auch nicht die Hitze. Im März trifft das Wetter in L. A. perfekt auf die Definition von gemäßigt zu.

Seltsamerweise denke ich, es liegt an ihm.

Wests Augen haben die Farbe von Sonnenlicht, das durch ein Whiskeyglas strahlt. Seine Haare haben genau die gleiche Farbe, nur mit mehr Sonnenlicht, und sind so dicht, dass sie mich wahrscheinlich für alle anderen Männer ruiniert haben. Ich habe einmal versucht, sie zu malen, und die Farben Transparent Red-Oxide mit Old Holland Yellow-Brown gemischt, aber es war nicht ganz richtig. Und sobald mir klar geworden ist, wie sehr es mich geärgert hat, dass ich seine korrekte Haarfarbe nicht auf die Leinwand bringen konnte, habe ich mich gefragt, warum ich davon überhaupt so besessen geworden war.

Mit diesem immer noch intensiven Augenkontakt geht West auf mich zu und bleibt nur wenige Zentimeter vor mir stehen. Für einen seltsamen, aufgeheizten Moment frage ich mich, ob er mich tatsächlich küssen wird.

»Ich glaube, ich bin hier fertig«, sagt er, und – ich muss mir ein Lachen verkneifen – natürlich wird er mich nicht küssen. »Aber wenn ich was vergessen habe, dann kann Jake es abholen.«

Jake: jüngerer Bruder von West (fast genauso gut aussehend) und der Typ Collegefreund, der alles über mein Leben an der UCLA weiß, aber noch nie meinen Vater kennengelernt hat, der nur eine Stunde von hier entfernt wohnt. Jake hat mich West vorgestellt, und jetzt wird er die einzig verbleibende Verbindung zu West sein. Der Gedanke macht mich ein bisschen traurig, aber dann rufe ich mir wieder in Erinnerung, dass ich die Couch habe und ein paar T-Virus-Zombies in der Wohnung auf mich warten.

»Okay«, sage ich.

»Du hast Kopien von den Papieren?«, fragt er. »Mein Anwalt hat sich alles angeschaut, und es sollte alles in Ordnung sein. Aber falls doch was ist – seine Telefonnummer steht auch drauf.« Er hält inne und sucht meinen Blick auf eine Art und Weise, von der ich nicht denke, dass er es je zuvor getan hat – als würde er versuchen, mich zum ersten Mal zu sehen. »Meine Nummer bleibt natürlich dieselbe. Lies dir alles durch und ruf mich an, wenn du Fragen hast.«

»Klar. Danke, dass du dich um alles gekümmert hast.«

Er lächelt, wobei sich sein Gesicht so richtig aufhellt.

Ich frage mich, warum er das nicht öfter tut. Aber vielleicht tut er es ja. Ich sehe ihn schließlich kaum. Er steht vor Sonnenaufgang auf, um laufen zu gehen, und dann verbringt er jede wache Stunde an der Uni oder in der Bibliothek, bevor er gegen Mitternacht ins Fitnessstudio geht.

Ich hingegen lebe im Atelier oder auf seiner – jetzt meiner – Couch.

Ich weiß nicht, was ich sonst noch sagen soll, also versuche ich, das Ganze abzukürzen. »Gratuliere zu deinem Abschluss, West. Du musst richtig glücklich sein.«

Ein Auto fährt vorbei, und ich erhasche ein paar Zeilen eines Popsongs, der letzten Sommer überall gelaufen ist. Jetzt frage ich mich, ob ich dieses Lied je wieder hören kann, ohne an diesen Moment zu denken. Wird es mich nostalgisch machen? Werde ich den Kopf schütteln und über diese impulsive Sache lachen, die ich getan habe?

»Und wie«, sagt er und steckt die Hände in die Taschen seiner Jeans.

Ich habe ihn eigentlich meistens in Basketball-Shorts und Marathon-T-Shirts gesehen, also überrascht mich diese Kombi aus der abgewetzten Levi’s und dem gemütlichen grauen T-Shirt ein bisschen. Ich komme mir fast verraten vor, weil ich das erst jetzt zu Gesicht kriege. Ein winziger Streifen seiner Boxershorts ist zu sehen, und es fällt mir schwer, meine Aufmerksamkeit auf sein Gesicht zu lenken.

»Dir gratuliere ich auch«, fügt er hinzu. »Auf zu neuen, großen Abenteuern.«

»Genau«, sage ich lachend. »Die Welt erwartet atemlos meinen nächsten Schritt.«

Er lacht auch, und der Klang jagt mir einen Schauer über den Rücken.

Dann legt sich unbehagliches Schweigen über uns, aber er schaut mir direkt in die Augen, und ich habe das Gefühl, nicht wegsehen zu können. Dieser Blickkontakt erinnert mich an einen Wettbewerb oder an einen Spionagefilm, in dem jemand auf eine Ziffernfolge starrt, um sich die Zahlen zu merken.

Ich zwinge mich dazu, nicht zuerst wegzusehen.

»Also«, sagt er schließlich. »Das war’s dann wohl.«

»Ich wünsche dir ein schönes Leben.« Das klingt abgedroschen, aber ich meine es ernst.

»Ich dir auch.« West schenkt mir wieder dieses Lächeln, und ich wünschte wirklich, ich hätte es öfter gesehen. »Mach’s gut, Anna.«

»Mach’s gut, West.«

Wir schütteln uns die Hände. Er dreht sich um und geht zu seinen Freunden, die sich mit ihm in die Fahrerkabine des Lasters zwängen. Einer von ihnen kurbelt das Fenster runter und winkt mir zu. Ich winke fröhlich zurück, obwohl ich nicht einmal seinen Namen kenne.

Ich spüre, wie sich jemand neben mich stellt, und als ich mich umdrehe, sehe ich unsere Nachbarin Candi in ihrem Bademantel. Sie trägt immer einen Bademantel, und ich habe mich lange gefragt, was sie den ganzen Tag macht. Aber sie backt einen höllisch guten Zitronenkuchen und hat jede Nacht um Mitternacht lauten Sex mit ihrem Ehemann Rob, also steht sie ganz offensichtlich auf der Gewinnerseite des Lebens.

»Zieht ihr aus?«, fragt sie und blickt hinter mich in die fast leere Wohnung.

»Ich ziehe erst in zwei Wochen aus«, erkläre ich ihr. »West ist gerade ausgezogen.«

Ich spüre, wie sie ihre Aufmerksamkeit von der leeren Wohnung auf mein Gesicht richtet, und als ich sie anlächle, schauen mich ihre blauen Augen besorgt an. »Holy Shit, Anna, ich hatte ja keine Ahnung. Geht’s dir gut?«

»Ja«, sage ich und blicke die Straßen hinunter, wo der Umzugslaster um die Kurve fährt und vollends aus meinem Blickfeld verschwindet.

»Okay«, sagt sie mit skeptischer Stimme. »Da bin ich ja froh.« Sie legt eine Hand auf meinen Arm. »Aber wenn du reden willst – du weißt ja, wo du mich findest.«

Mit einem Anflug von Freude wird mir klar, dass die Geschichte nicht mehr länger von Bedeutung ist. Ich habe meinen Bachelor gemacht, und vor mir liegt ein Leben voller unbekannter Abenteuer. West hat seinen Doktortitel gemacht und ist auf dem Weg in eine brillante Zukunft in einem beeindruckenden und seriösen Job. Wir haben beide, was wir wollten.

»Nein, nein, alles okay!«, versichere ich ihr. »Ich kenne ihn ja kaum.«

Candi starrt mich an. »Was?«

Ich deute auf die Wohnung hinter mir. »Zweckgemeinschaft. Er war nur irgendein Kerl, den ich geheiratet habe, damit ich hier wohnen konnte. Aber danke dir trotzdem.«

Mit einem letzten Lächeln drücke ich ihre Hand, die auf meinem Arm liegt, drehe mich um und gehe rein.

Ich muss noch ein paar Zombies erledigen.

Kapitel 1

Anna

Drei Jahre später

Wenn man mir auf dem College erzählt hätte, dass meine Haupteinnahmequelle mit fünfundzwanzig meine Arbeit als Nachtkassiererin in dem Supermarkt an der Ecke sein würde, dann … na ja, dann hätte ich es wahrscheinlich geglaubt. Als ich in meinem ersten Jahr am College eine Hundertachtziggradwende gemacht habe, weil ich erkannt habe, dass mein Gehirn mit Naturwissenschaften einfach nichts anfangen kann, und von Medizin zu Kunst gewechselt habe, bin ich realistisch geblieben, wie das Leben einer Künstlerin aussehen könnte. Jeder, der an der UCLA seinen Bachelor in Kunst macht, träumt davon, der nächste große Bühnenbildner, Kostümdesigner oder ein »It-Kid« der Kunstszene zu werden. Aber diejenigen von uns, die es sich einfach zum Ziel gesetzt haben, die Miete und die Krankenversicherung zahlen zu können, wissen sehr wohl, dass wir tagsüber kellnern und nachts als Hobbymalerin arbeiten werden. Die Tatsache, dass es 0:44 Uhr ist und ich die Kasse bei Pico Pick-It-Up mache, anstatt mich auf irgendeiner schicken Party mit der Elite der kreativen Szene zu unterhalten, sollte also niemanden überraschen. Am wenigsten mich selbst.

Aber da die Arztrechnungen meines Dads langsam immer höher werden, sollten wahrscheinlich auch meine Ziele ambitionierter werden.

Vorsichtig blättere ich die USWeekly durch, die ich mir aus dem Regal geschnappt habe und in der einige lukrative Jobs aufgelistet sind.

Habe ich das Zeug dazu, die nächste große Kunst-Influencerin zu werden, die eines Tages auf der Seite Celebrities – sie sind wie wir! erscheinen wird? Ich bin jung und kann es mir leisten, ein T-Shirt ohne BH zu tragen. Das ist doch schon mal die Hälfte von dem, was man braucht, oder?

Ich kann es mir geradezu bildlich vorstellen:

Instagram-Sensation Anna Green wurde mit einem perfekt zerzausten Dutt außerhalb von Sprouts gesichtet!

TikTok-Star Anna Green und ihr sexy Schauspieler-Freund wurden knutschend vor dem Soho House erwischt!@

Ich frage mich, wie viel ein Influencer heutzutage verdient. Und ob es die Erniedrigung wert ist, vor Picassos Kopf einer lesenden Frau im Norton Simon Museum einen Monolog in einen Selfie-Stick zu sprechen. Oder die Geduld, die ich aufbringen müsste, ein Ringlicht so positioniert zu kriegen, dass ich mir winzige Tiger auf die Augenlider malen kann, und dabei nur vegane Hautpflegeprodukte zu benutzen.

Diese Gedankengänge haben mir eins klargemacht: Ich bin zu faul für ein Influencer-Leben.

Aber das ist in Ordnung. Dadurch, dass ich fünf Nächte hier arbeite, drei Mittagsschichten in Amirs Café übernehme, gelegentlich mit fremden Hunden Gassi gehe und Blut spende, wenn es mal wieder ganz knapp wird, kann ich meine Miete zahlen. Außerdem schaffe ich es, für Dads Krankenversicherung und Medikamente aufzukommen. Und das ist schließlich, was zählt.

Tief einatmen.

Ich blättere die Seite um und lande bei der Rubrik, in der es um die schlimmsten Ex-Partner geht.

»Anna.«

Ich lehne mich über den Verkaufstresen und blicke in beide Richtungen. Mein Boss Ricky steht im Türrahmen seines kleinen, vollgestopften Büros, sein dünnes, blondes Haar fällt ihm über die jungenhaften Augen, und die Fäuste hat er fest in die schmalen Hüften gestemmt. Er trägt ein Naruto-T-Shirt und eine Jogginghose mit dem Logo der letzten Schule, die er besucht hat, die Hamilton Highschool.

»Ja?«

»Kann ich dich einen Moment sprechen?«

»Klar.« Ich deute mit dem Daumen über die Schulter zum Ladeneingang. »Soll ich kurz zusperren?«

Er schüttelt den Kopf. »Es ist ein Uhr morgens. Zwischen eins und zwei kommt durchschnittlich ein halber Kunde in den Laden.«

»Das stimmt.« Ich hüpfe von meinem Stuhl und lege das Magazin zurück ins Regal, bevor ich den Gang entlanggehe.

So gut Ricky in Mathe zu sein scheint, er hatte kein Interesse daran, aufs College zu gehen, und hat seine Eltern gebeten, ihm die Verantwortung zu übertragen, ihren Pick-It-Up-Laden in einem Einkaufszentrum zu managen, der eingequetscht zwischen einem Subway und einem Jimmy John’s liegt. Barb und Paul sind zwei meiner Lieblingsmenschen auf der Welt, aber Ricky spricht seit drei Wochen in seiner Strenger-Boss-Stimme mit mir, weil er mich an seinem achtzehnten Geburtstag um ein Date gebeten hat und ich Nein gesagt habe. Echt jetzt.

Ich lehne mich an den Türrahmen und streiche mir die zu langen, kaum noch rosa gefärbten Strähnen aus dem Gesicht. Ich muss unbedingt mal wieder zum Friseur und mir die Haare färben lassen. Aber solche Dinge stehen in letzter Zeit auf meiner Prioritätenliste ziemlich weit unten. »Was ist los?«

Er streckt einen seiner dünnen Bohnenarme aus und versucht, autoritär auszusehen, als er auf den Stuhl gegenüber von sich deutet. Er sieht aus wie einer dieser alten Grundschulstühle mit dem Plastiksitz und dem röhrenartigen Stahlgestell, wobei die nächste Schule über einen knappen Kilometer von hier entfernt liegt. Eines Tages stand er plötzlich in der Gasse, und seitdem befindet er sich in diesem Büro. »Könntest du dich bitte setzen?«

Ich tue wie geheißen, werfe aber einen Blick über die Schulter in den Vorderbereich des Ladens. Auch wenn Ricky mich hierhergerufen hat, ist es immer noch meine Geldkassette in der Kasse. Das Letzte, was ich jetzt gebrauchen kann, ist jemand, der schnell hier reinspringt und das Geld klaut. Erst letzte Woche wurde der Verizon-Laden drei Türen weiter ausgeraubt. »Bist du sicher, dass wir nicht da draußen reden können? Ich habe kein gutes Gefühl dabei, den Laden unbeaufsichtigt zu lassen.«

»Also, das ist schon irgendwie ironisch.«

Ich drehe mich zu ihm um. Sitzend hat er einen ziemlichen Größenvorteil, was vielleicht beabsichtigt war, wenn ich jetzt so drüber nachdenke. »Wie bitte?«

Er spielt mit einem Kugelschreiber zwischen den Fingern. Seine Nägel sind alle abgekaut, auf dem Rücken seiner rechten Hand ist ein verwaschener blauer Stempel von der Adventure Park Arcade, und er trägt den Absolventenring, den er vor ein paar Wochen bekommen hat. Ricky streckt sich und versucht, größer auszusehen. Er ist nur ein Meter siebzig groß, und manchmal, wenn er wieder besonders herablassend ist, zeichne ich kleine Karikaturen von ihm als Zwerg, wie er in dem breitschultrigen Anzug seines Dads fast untergeht und seine Füße in dessen riesigen Schuhen stecken. »Es ist ironisch, wenn du so tust, als würdest du dir Sorgen machen, dass der Laden ausgeraubt wird.«

»Ironisch?«, frage ich. »Wieso?«

»Ich habe auf dem Überwachungsvideo gesehen, wie du gestern eine Packung Kaugummis genommen hast. Du hast sie nicht bezahlt.«

Ich verziehe das Gesicht und versuche, mich zu erinnern. Es stimmt, ich habe mir tatsächlich ein Päckchen Kaugummis genommen. Ungefähr eine halbe Stunde nachdem meine Acht-Stunden-Schicht begonnen hat. »Woher willst du wissen, dass ich sie nicht bezahlt habe?«

Er deutet auf die Überwachungskamera in der Ecke des Büros – wahrscheinlich, um mich daran zu erinnern, dass hier überall Kameras sind. Aber wenn er weiß, dass ich nicht dafür bezahlt habe …

»Du hast dir acht Stunden lang die Videos der Überwachungskamera angeschaut?«, frage ich.

Ricky rutscht auf dem Stuhl umher, und das Leder quietscht unter ihm, als würde er einen fahren lassen. Er versucht, es noch einmal zu tun, versagt aber. Mit rotem Gesicht erklärt er mir: »Im Schnelldurchlauf.«

Ich weiß, wie alt diese Überwachungskameras sind. Schnelldurchlauf bedeutet da höchstens doppelte Geschwindigkeit. »Du willst mir also erzählen, dass du dir vier Stunden lang Videos von mir bei der Arbeit angeschaut hast?«

Augenblicklich läuft er hochrot an und winkt ab. »Es spielt absolut keine Rolle, wie viel Zeit ich damit verbracht habe, mir diese Videos anzuschauen.«

Ich schlucke meine Erwiderung runter, weil ich weiß, dass sie mich nicht weiterbringen wird: Vier Stunden deiner vergeudeten Zeit scheint mir eine größere Verschwendung von Ressourcen zu sein als ein einziges Päckchen Kaugummis im Wert von zwei Dollar in drei Jahren Arbeitszeit. Genau wie deine Anwesenheit hier in der Nachtschicht mit mir zusammen, wenn wir jede Stunde durchschnittlich 0,5 Kunden haben.

Stattdessen sage ich: »Ich habe es nur vergessen. Ich hatte kein Bargeld bei mir und wollte keine fünf Dollar Gebühren für einen Einkauf mit der Karte unter zehn Dollar zahlen.«

»Du hättest einen Schuldschein in die Kasse legen müssen.«

»Einen Schuldschein? Du meinst … auf Papier?«

Er nickt. »Du hättest Papier von der Kassenrolle nehmen können.«

»Wie hätte Katy das dann verrechnen sollen, wenn sie um sieben kommt?«

»Sie hätte mir sagen können, dass du dir ein Päckchen Kaugummi genommen hast und es später bezahlen wirst.«

»Aber du hast gewusst, dass ich ein Päckchen Kaugummi genommen habe. Du hast dir das ganze Video angeschaut.«

Seine Nasenflügel beben. »Der Punkt ist der, dass wir dir nicht mehr vertrauen können.«

»Ricky, ich werde die Kaugummis jetzt bezahlen. Mein Gott, ich arbeite hier seit drei Jahren, und das ist das erste Mal, dass du ein Problem mit mir hattest.«

Das Gesicht, das er macht, verrät mir, dass ich nicht ganz richtigliege.

Ich lehne mich in meinem kleinen Stuhl zurück. »Oh, ich verstehe. Hier geht’s um das Date.«

Ricky stützt sich auf seine Unterarme und klatscht seine Hände zusammen, wie es sein Dad macht, wenn er im Mentor-Paul-Modus ist. Aber Paul könnte mir einen zweistündigen Vortrag darüber halten, wie man geschäftlich erfolgreich wird, und ich würde an seinen Lippen hängen. Weil er charismatisch und fürsorglich ist und sich seinen Arsch abgearbeitet hat, um eine Ladenkette mit vier Filialen in Los Angeles zu eröffnen. Ricky hat einen Audi zu seinem sechzehnten Geburtstag bekommen, einen Laden zu seinem achtzehnten, und anscheinend verbringt er seine Arbeitszeit damit, Überwachungsvideos von mir anzuschauen – an Tagen, an denen ich einen Rock trage.

Ich glaube ihm also kein Wort, als er sagt: »Es geht hier nicht um das Date.«

»Wirklich?«

»Nein, tut es nicht«, erwidert er nachdrücklich.

»Das ist so bescheuert, Ricky.«

»Ich heiße Derrick.«

»Das ist so bescheuert, Derrick.«

Er wird noch röter. »Ich bin ein Manager, der sich um ein Problem mit einer Angestellten kümmert. Es tut mir leid, Anna, wir müssen dich feuern.«

Meine Ohren klingen. Panik steigt in mir auf. »Du feuerst mich wegen einem Päckchen Kaugummi?«

»Ja.«

»Wissen Barb und Paul davon?«

»Meine Eltern wissen Bescheid, ja.«

Das ist wie ein Schlag in die Magengrube. Barb und Paul wissen, dass Ricky mich wegen eines Päckchens Trident Wassermelone feuert? Und sie sind damit einverstanden?

Autsch.

Ricky beugt sich nach vorne, um meine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. »Anna? Hast du gehört, was ich gesagt habe? Du kannst deine Schlüssel zurückgeben, und ich schicke dir deinen letzten Gehaltsscheck.«

Ich blinzle, um mich wieder ins Hier und Jetzt zurückzuholen, und stehe auf. »Vergiss nicht, die Kosten für die Kaugummis abzuziehen.«

»Das habe ich schon.«

In dem Moment, in dem ich auf die Manning Street trete und meinen verbeulten Jetta nicht dort sehe, wo ich ihn normalerweise parke, beginne ich zu realisieren, dass ich mich am Anfang einer Dominokette allerlei schrecklicher Ereignisse befinde. Ich muss daran denken, wie die Straße vor sechs Stunden vorübergehend gesperrt wurde, um eine Unfallstelle aufzuräumen. Ich musste in der Pico Street parken und hatte mir im Geiste eine Notiz gemacht, dass ich entweder auf die Manning Street umparken muss, sobald sie wieder offen ist, oder die Parkscheibe um acht Uhr weiterzustellen … und nichts davon habe ich getan.

Dieses blöde Zwei-Dollar-Kaugummi-Päckchen hat sich gerade in einen Fünfundvierzig-Dollar-Strafzettel verwandelt.

Aber mich erwartet nicht nur der weiße Zettel unter meinem Scheibenwischer, sondern auch noch eine riesige schwarze Beule an der Fahrertür, die anscheinend jemand meinem Auto im Vorbeifahren verpasst hat und danach einfach weitergefahren ist. Die Beule hat den Rahmen verzogen, und als ich jetzt einsteige und die Tür zumachen will, lässt sie sich nicht ganz schließen.

Fuck.

In L. A. regnet es im April nie, aber in der Sekunde, in der ich auf den Freeway fahre, setzt er ein. Dicke, fette Regentropfen fallen in einem reißenden, sintflutartigen Schwall auf meine Windschutzscheibe und verwandeln die Straße in eine rutschige Fahrbahn und meine linke Körperhälfte in ein triefend nasses Etwas. Als ich bei meinem Apartmentkomplex ankomme, steht der Wagen des Freundes meiner Mitbewohnerin auf meinem Platz, und ich kann ihm nicht einmal böse sein, weil sie mich erst in drei Stunden wieder zu Hause erwartet haben. Ich parke hinter ihm, mache den Motor aus und lege meinen Kopf aufs Lenkrad, um ein paar tiefe Atemzüge Luft zu holen.

Eins nach dem anderen, sagt Dads Stimme tief und ruhig in meinem Kopf. Kümmere dich um das Auto, und rede dann morgen mit Vivi, ob sie dir im Café mehr Schichten geben kann.

»Alles wird gut«, sage ich und blicke in den Himmel, wo auf wundersame Weise nichts mehr auf Regen hinweist.

Ich wiederhole die Worte, als ich aus dem Auto steige, starre auf die Tür, die sich nicht schließen lässt, und beuge mich dann ins Innere, um alles Wertvolle herauszuholen. Da bemerke ich, dass die AirPods, die mir Dad zu Weihnachten geschenkt hat und die ich in der Mittelkonsole gelassen habe, bereits geklaut wurden. Genau wie der Zehn-Dollar-Schein für Notfälle, den ich dort immer liegen habe, falls ich mitten in der Nacht noch etwas zu essen kaufen muss.

Warum habe ich das Geld nicht genommen, um für die Kaugummis zu bezahlen, verdammt noch mal?

Nein, die viel wichtigere Frage ist doch, warum Derrick mich verdammt noch mal wegen so was Bedeutungslosem feuert. Das ist so erbärmlich!

Eins nach dem anderen, erinnert mich Dads Stimme in meinem Kopf.

Ich laufe die Stufen zu meiner Wohnung rauf, stecke den Schlüssel ins Schloss und verstehe das »O Scheiße!« auf der anderen Seite der Tür erst richtig, als ich die Tür aufreiße und meine Mitbewohnerin Lindy und ihren Freund Jack in einer zutiefst kompromittierenden Position auf meiner geliebten Scheidungs-Couch vorfinde. Er ist splitterfasernackt, unglaublich verschwitzt und – o Gott – immer noch hart. Ich drehe mich in der Sekunde auf dem Absatz um, in der ich verarbeite, was ich da sehe. Ihre Hände sind an ihre Knöchel gefesselt, sodass sie nicht einmal schnell verschwinden kann, und er arbeitet panisch daran, sie zu befreien, während mir beide beschämte Entschuldigungen entgegenschreien. Meine eigene Entschuldigung dafür, dass ich zu früh nach Hause gekommen bin, geht in ihrem Chaos unter, und ich drücke meine Stirn gegen die Wand und wünschte, ich könnte mit ihr verschmelzen und den Rest meines Lebens in den Grundmauern des Gebäudes verbringen.

Ich würde so einen guten Geist abgeben.

Beim Klang ihrer Schlafzimmertür, die mit einem lauten Knall geschlossen wird, drehe ich mich um, lehne mich gegen die Wand und versuche zu entscheiden, ob der Grund für das Stechen hinter meinen Augen aufsteigendes hysterisches Schluchzen oder doch eher Lachen ist.

Als ich die Kühlschranktür öffne, sehe ich, dass Bondage-Lindy und Sweaty-Jack die restliche Lamm-Tajine gegessen haben, die ich mir aufheben wollte, bis ich von meiner Schicht im Laden nach Hause komme. Alles, was ich im Kühlschrank finde, sind ein halbes Stück Cheddar-Käse, eine alte Flasche Sahne und ein paar vergammelte Karotten.

In meinem Zimmer lasse ich mich aufs Bett fallen und starre an die Decke. Ich bin sogar zu erschöpft, um noch eine Rache-Karikatur von Ricky zu zeichnen. Die Wände um mich herum sind voll mit meinen Gemälden, fast alle davon riesige Leinwände mit Blumen: die wahren Meisterwerke der Natur. Kein Pinselstrich könnte die Feinheiten der Schatten tief im Innern einer Blumenblüte perfekt wiedergeben, die sanften Farbvariationen der zarten Fasern oder die komplexen Lichtmuster, die einen nackten Stängel emporklettern, aber ich muss es versuchen. Ich kann tatsächlich nicht aufhören, es zu versuchen. Mein neuestes Lieblingswerk habe ich gestern Morgen beendet – eine riesige rote Mohnblume mit einer versteckten Galaxie an Pollen in der tiefschwarzen Mitte. Momentan lehnt das Bild an der Wand und verbirgt teilweise das dahinter – ein eng gebundener Strauß hauchdünner Butterblumen, auf denen schwere Regentropfen liegen.

Leider bezahlen diese Gemälde keine Rechnungen. Ich habe keine Ahnung, was ich jetzt machen soll, aber ich weiß, dass ich mir keinen anderen Job wie den im Pick-It-Up-Laden suchen will. Ich will nicht in einem 7-Eleven oder Starbucks arbeiten. Ich will nicht die überarbeitete Assistentin von jemandem sein – oder eine Influencerin, eine Uber-Fahrerin oder Berufskellnerin.

Ich will malen.

Aber ich ertrinke in fertigen Gemälden und kann keines davon verkaufen. Den Traum, meinen Lebensunterhalt mit meiner Kunst zu bestreiten, kicke ich in einer Dose eine lange Gasse entlang, aber alles, was dabei herauskommt, ist ein entferntes Echo. Nach meinem Collegeabschluss habe ich ein paar Werke verkauft und sogar einen Vertrag bei der Agentin einer lebhaften Kunstausstellung in Venice unterschrieben. Aber ich habe seit achtzehn Monaten kein einziges Gemälde mehr verkauft, und mein Manager hat mich schon fast ein Jahr lang nicht mehr angerufen. Ob ich will oder nicht, ich muss mich morgen in jedem Café oder Supermarkt, den ich finden kann, bewerben.

Auf dem Nachttisch neben mir klingelt mein Handy, und sofort greife ich danach, weil ich hoffe, dass es eine E-Mail von Barb und Paul ist, die sich um 2:14 Uhr für ihren beschissenen Sohn entschuldigen.

Aber es sind nicht Barb und Paul.

Es ist nur eine Rechnung aus dem Krankenhaus für Dads letzte Chemo-Behandlungen.

Ich kralle meine Hände in die Decke und ziehe sie mit mir, als ich mich umdrehe und mein Gesicht im Kissen vergrabe.

Kapitel 2

Liam

Es gibt einen Safeway-Laden einen halben Block von meinem Apartment in Palo Alto entfernt, der natürlich aufgrund der praktischen Lage großartig ist. Aber er ist gleichzeitig schrecklich, weil ich jedes Mal, wenn ich dort anhalte, Angst davor habe, im Überwachungsraum von Weston Foods, vierhundert Meilen südlich von Irvine, auf einer Kamera festgehalten zu werden.

Es spielt keine Rolle, wie viel Abstand – geografisch oder emotional – ich zwischen mich und das Unternehmen meiner Familie bringe, es ist und bleibt eine meiner verbliebenen Kindheitsängste: dass jedes Mal, wenn sich die automatische Tür irgendeines Supermarkts öffnet und ich eintrete, meine perfekt gestylte Mutter mit ihrem maßgeschneiderten Hosenanzug und der makellos sitzenden Frisur eine Benachrichtigung bekommt. Dass sie in einem Überwachungsraum vor einer Wand, bestehend aus nichts als Bildschirmen, steht, sich vorbeugt und mit der Spitze ihres manikürten Zeigefingers auf eine winzige Person in der Ecke zeigt.

»Da. Genau hier«, wird sie in ein Walkie-Talkie sagen, dessen Gegenstück sich mein Vater ans Ohr hält. »Ich sehe Liam in dem Safeway Ecke Middlefield und San Carlos.«

Es ist eine absurde Angst. Es spielt keine Rolle, dass meine Mutter sich niemals mit dem Überwachungssystem abgeben würde oder dass es eine Million Gründe gibt, warum ich in einen Supermarkt gehen könnte, der nicht zu Weston Foods gehört – darunter zum Beispiel auch der äußerst loyale Grund, die Konkurrenz ausspionieren zu wollen. Aber es ist die Art von Paranoia, mit der ein Mann lebt, wenn sein Familienunternehmen die sechstgrößte Supermarktkette der USA ist und einen jahrzehntelangen Streit mit der fünftgrößten hat. Es ist auch die Art von Paranoia, mit der ein Mann lebt, wenn er seinen mächtigen Vater jahrelang aus seinem Privatleben ausgeschlossen hat. (Es spielt auch keine Rolle, dass mein Vater leicht hätte herausfinden können, was ich jeden Tag mache, wenn er sich dafür interessiert hätte. Raymond Weston ist einfach zu narzisstisch, sich vorzustellen, dass die Entfernung zwischen uns nicht seine Idee gewesen sein könnte.)

Aber meinen Instinkten ist sämtliche Logik so was von egal.

Als meine Mom also jetzt anruft, während ich an der Kasse stehe und mein Kokoswasser bezahle, das ich nach meinem Lauftraining brauche, tippe ich sofort auf meine Uhr, lehne den Anruf ab und schaue mich nach Kameras in meinem Blickfeld um.

Reiß dich zusammen, Weston. Ich hole tief Luft, lächle die Kassiererin an und hole mein Handy aus der Armhalterung, um damit zu zahlen. Im selben Moment leuchtet es wegen eines weiteren eingehenden Anrufs auf.

Ich lehne wieder ab und halte das Handy an das Display der Kasse vor mir. Es funktioniert nicht, und ich versuche es erneut.

Die Kassiererin greift danach, um es in einem anderen Winkel davorzuhalten, als eine Nachricht auf meinem Display erscheint.

William Albert Weston, wenn du nicht sofort ans Telefon gehst, setze ich mich ins nächste Flugzeug und stehe gleich vor deiner Haustür.

Scheiße, so geht das nicht.

»Oje«, sagt die Kassiererin und liest die Nachricht auf meinem Handy mit einem mitleidigen Lächeln. »Du gehst besser ran, William.«

Da klingelt mein Handy erneut.

Mit resigniertem Lachen nehme ich den Anruf auf meiner Uhr entgegen, während ich verzweifelt versuche, mein Wasser mit meinem iPhone zu bezahlen. Wir befinden uns vielleicht in Silicon Valley, wo jeder zu jeder Zeit fünfzehn Geräte mit sich trägt, aber trotzdem kann ich die bösen Blicke aller Leute hinter mir in der Express-Schlange in meinem Rücken spüren.

Im Moment bin ich ein richtiges Technik-Arschloch.

»Hallo?«

Ihre Stimme tönt durch meinen einzelnen Ohrstöpsel. »Liam? Endlich.«

»Tut mir leid, Mom«, flüstere ich. »Wo bist du?«

Sie hält verwirrt inne. »Ich bin … zu Hause. Wo bist du?«

»Ich kaufe gerade ein Wasser im Weston’s, Ecke Alma und Universität.«

Die Kassiererin schaut mich verwirrt an, und ich winke lächelnd ab. Die Lüge war unnötig spezifisch und wird sowieso nicht funktionieren: Das Problem mit AirPods ist, dass sie jedes Geräusch in einem Raum aufnehmen. Ich blicke an die hohe Decke und frage mich, wie viele Hintergrundgeräusche durch die Leitung dringen.

Meine Eltern sind im ersten Jahr an der Highschool zusammengekommen, haben bis zu ihrem Collegeabschluss gewartet, bis sie geheiratet haben, und dann noch weitere fünf Jahre, bevor sie meinen älteren Bruder Alex bekommen haben. Das bedeutet, Janet Weston ist schon seit ihrem vierzehnten Lebensjahr im Familienunternehmen. Die Frau hat so viel Zeit in Supermärkten verbracht, dass sie die Geräusche aus einem Safeway von denen eines Weston’s noch unterscheiden könnte, wenn sie im Berufsverkehr mitten auf dem Freeway steht.

Ich muss hier raus. Sofort.

Endlich geht meine Bezahlung durch. Ich nehme das Wasser, lehne den Kassenzettel ab, schenke der genervten Warteschlange hinter mir ein entschuldigendes Lächeln, laufe aus dem Laden und verstecke mich in einer Gasse zwischen zwei Gebäuden.

»Was ist los?«, frage ich, als wüsste ich nicht genau, warum sie anruft.

Ich bin dankbar für die Zeit, die sie mir gibt, mich darauf vorzubereiten. Ich höre das Klackern ihrer Schuhe und stelle mir vor, wie sie durch das Wohnzimmer auf die Terrakottafliesen des Wintergartens mit Aussicht über die Newport Coast geht. »Ich rufe wegen Charlies Hochzeit an, Liebling.«

Ich verziehe das Gesicht und kneife mir in die Nasenwurzel. »Natürlich. Ich kann es kaum erwarten.«

»Wir fliegen alle nächste Woche nach Indonesien, und deine Zusage ist gestern angekommen. Ich habe ja wirklich gehofft, dass du für zwei zusagst. Wir haben einen der fünf privaten Bungalows für dich reserviert.«

»Du weißt doch, wie beschäftigt sie ist, Mom.«

»Genau deshalb braucht sie diesen Urlaub als Ablenkung, Liebling.« Sie seufzt. »Liam, Süßer, es wirft ein schlechtes Licht auf unsere Familie, wenn wir nicht alle kommen. Die Vogue will eine Fotostory über Charlie und Kellan machen. Das Forbes schickt jemanden für ein Interview mit deinem Vater. Die Leute werden reden.« Mom hält inne. »Ich hasse es, das sagen zu müssen, Liebling, aber dein Vater benimmt sich deswegen langsam auch schon seltsam.«

Mein Magen verkrampft sich. »Inwiefern seltsam?«

»Du weißt schon.«

Ich weiß es, aber ich wünschte mir, dass wir alle einfach mal ehrlich miteinander reden könnten. Dafür, dass meine Familie so besessen von Wohlstand ist, vermiest sie niemals eine Unterhaltung damit, direkt über Geld zu reden. Was meine Mutter eigentlich sagen will, ist: »Dein Vater fängt langsam an zu denken, dass sie vielleicht kein Teil dieser Familie sein sollte, wenn sie sich nie mit uns blicken lässt.« Aber das wäre zu direkt, daher die kurze Umschreibung.

»Mom, das ist absurd.«

Sie seufzt. »Wir kennen sie kaum«, sagt sie. »Bring sie einfach mit, und alles wird gut.«

Alles wird gut.

Alles muss gut werden. Ich bin so kurz davor, dieses lange Spiel zu Ende zu bringen, und ich kann das silberne Versprechen davon schon in meinen Fingerspitzen spüren. Das Letzte, was ich will, ist, dass mein Vater seine Aufmerksamkeit auf mein Privatleben richtet. Aber das könnte er. Und dieses vorgetäuschte Leben, das ich meiner Familie vorgaukle – das Leben, auf dem jeder Plan, den ich gefasst habe, beruht –, ist ein schlecht ausbalanciertes Kartenhaus.

Ich hole tief Luft und presse die Augen zusammen. Ich habe keine Ahnung, wie das funktionieren soll, aber sie hat mich in die Ecke gedrängt, und das weiß ich.

Also lasse ich zu, dass die Worte aus meinem Mund purzeln. »Okay, Mom. Wir werden beide kommen.« Das Zittern in ihrem erleichterten Ausatmen wird durch die AirPods verstärkt, und die Bestätigung dessen, wie gestresst sie deswegen war, sendet eine neue Welle der Entschlossenheit durch meinen Körper. »Wir schaffen es irgendwie.«

»Das sind wunderbare Nachrichten, Liebling! Oh, ich freue mich ja so! Warum fliegt ihr nicht am Abend zuvor zum John-Wayne-Flughafen, übernachtet im Haus, und dann fliegen wir alle gemeinsam? Der Flug nach Singapur ist lang.«

»Wir kommen selbst hin.« Das sage ich schroffer als beabsichtigt, und meine Worte werden mit einer nervösen Pause aufgenommen. Ich senke den Blick, und er landet auf einer weggeworfenen Schachtel, auf deren Boden in Rot ein Wort gestempelt ist. Weil ich ihr unbedingt die Sorge nehmen will, dass es hier um die andauernden Spannungen zwischen mir und meinem Vater geht, füge ich die nächste irreführende Lüge hinzu: »Sie wird aus Kambodscha kommen.«

O Gott, o Gott. Warum habe ich das gesagt?!

Niemand hat mir eine Schaufel gereicht, aber ich schaufle mir trotzdem gerade mein eigenes Grab.

»Kambodscha! Wie exotisch!«

»Ja.« Ich reibe mir die Stirn, und Panik setzt ein. »Dann treffen wir uns also dort.«

Erneut ertönt eine laute Stille in der Leitung, und mir wird klar, dass ich nicht aus dieser Sache rauskommen werde.

»Liam, Liebling«, sagt Mom leise. »Auch wenn ihr selbstständig fliegen werdet … Vielleicht könntest du deinen Vater vorher mal anrufen? Ich fände es schön, wenn ihr euch bezüglich eurer kleinen Auseinandersetzung ausgesprochen habt, bevor wir mit allen anderen auf der Insel ankommen. Ich will nicht, dass man von außen irgendwelche Spannungen wahrnimmt.«

Ich hole tief Luft und versuche, nicht darauf zu reagieren, dass sie den enormen Verrat meines Vaters als »kleine Auseinandersetzung« bezeichnet.

»Mom«, sage ich und zucke zusammen, als ein Zeitungsjunge auf seinem Rad durch die Gasse fährt und mich fast mit seinem Lenker streift. »Ich glaube, das ist schon etwas mehr als eine kleine Auseinandersetzung. Ich brauche eine Entschuldigung.«

»Also …« Sie seufzt. »Ich bin mir sicher, dass er bereut, was er getan hat.«

»Hat er dir das gesagt?«

»Wir haben nicht darüber gesprochen, aber ich entschuldige mich für ihn. Reicht das?«

Ich starre die Wand gegenüber von mir an.

Meine Eltern haben wirklich noch kein einziges Mal über diese Scheiße gesprochen, die dazu geführt hat, dass mein Vater und ich seit fast fünf Jahren nicht mehr miteinander reden? Was für ein perfektes Beispiel dafür, dass die Familie Weston nicht funktioniert.

»Nicht wirklich.«

Das ignoriert sie. »Wir werden uns beide bestens benehmen«, versichert sie mir. »Ich werde kein Wort über ihre Kleidung sagen. Oder über ihr Haar.«

Ich greife mir fester an die Stirn.

»Ihr müsst Mittwochnachmittag los«, fährt sie fort. »Am ersten Mai. Der Privatjet wird euch am Flughafen abholen, also bitte schick mir die Infos zu euren normalen Flügen, und ich werde alles arrangieren.«

Sie spricht die Worte »normale Flüge« aus, als würde sie eine verdorbene Banane in ihrem Posteingang erwarten.

»Wir kommen am Tag zuvor in Pulau Jingga an und haben jede Menge Aktivitäten und wundervolle zehn Tage für uns alle geplant.«

Zehn Tage. Zehn Tage auf einer privaten Insel mit meiner Familie. Zehn Tage auf einer privaten Insel mit einer völlig Unbekannten.

Wenn ich Glück habe.

Eine fiebrige Sekunde lang überlege ich, ob ich meiner Mutter alles erzählen, mich aus diesem Netz aus Lügen befreien soll. Aber ich weiß, dass sie es meinem Vater erzählen wird, der diese Informationen wiederum nur als Druckmittel benutzen wird.

Neu aufkommende Wut steigt wie eine giftige Kletterpflanze in mir empor. Ich schlucke den Drang, die Wahrheit zu sagen, hinunter.

»Liam? Hast du mich verstanden, Liebling? Seid bitte am Ersten in Singapur.«

Ich schließe die Augen und reibe mir die Schläfen, wo sich plötzlich starke Kopfschmerzen ankündigen. »Verstanden. Wir werden dort sein.«

»Lass mich wissen, wenn ich helfen kann. Ich werde dir den Zeitplan für die Hochzeit mailen. Ich hab dich lieb, mein Schatz.«

»Ich dich auch.«

Mom legt auf, und ich starre auf das Display. Ich will nicht dramatisch sein, aber gerade habe ich das Gefühl, als hätte jemand mein Leben in zwei Hälften gesägt: davor und danach. Natürlich, davor war ein Stapel an Lügen, eine komplizierte Geschichte, die mit einem unschuldigen Schwindel begonnen, sich aber dann langsam in einen richtigen Betrug verwandelt hat. Davor war ein Fels, der gefährlich am Abgrund einer Klippe balanciert ist. Aber davor hatte auch eine Art beunruhigenden Stillstand erreicht, eine vorläufige Ruhe.

Danach ist der Sog des Chaos und der Zerstörung, wenn der Fels einen plötzlichen, harten Schubs bekommt.

So, wie ich es sehe, habe ich drei Möglichkeiten:

Meinen eigenen Tod vortäuschen.

Meinen Eltern endlich gestehen, dass ich sie seit fünf Jahren anlüge.

Nach Los Angeles fliegen und mit meiner Frau verhandeln.

Kapitel 3

Anna

Ich habe mir vor zwei Stunden Hasch-Cookies gegönnt, schaue jetzt Conan der Barbar und habe eine Schüssel Fruit Loops auf dem Schoß, als es an der Tür klingelt.

»Wie spät ist es?«, frage ich den Fernseher. »Wer ist an der Tür?«

Conan beantwortet keine meiner Fragen, aber er fängt mit einer der besten Zeilen der Filmgeschichte an.

»Lauf ruhig vor mir weg. Ich werde Berge zerteilen, um dich zu finden!« Ich strecke eine Faust in die Luft und schreie mit ihm: »Ich folge dir in die Hölle!«

Es klingelt wieder, und ich hieve mich von der Couch hoch und stecke einen meiner Füße in einen Hausschuh. Als es ein drittes Mal an der Tür klingelt, gebe ich die Suche nach dem zweiten Hausschuh auf, mache die Tür auf und stehe einem wunderschönen Fremden gegenüber. Dichtes goldbraunes Haar und warme honigfarbene Augen mit absurd dichten Wimpern. Groß, ernst, nüchtern. Ein scharfer Kontrast zu meinem flüchtigen Blick in den Spiegel heute Morgen: verblichenes rosa Haar, blutunterlaufene Augen, der Eyeliner von gestern verschmiert.

Ungekämmt, arbeitslos, bekifft.

Er schenkt mir ein vages Lächeln, bevor sein schockierter Blick auf meine Beine fällt. Da fällt mir ein, dass ich keine Hose anhabe.

Aber der Gedanke löst sich sofort in Luft auf, bevor es mir peinlich sein kann, weil ich jedes Molekül meiner mentalen Energie dafür benutze, herauszufinden, wer er ist. Ich weiß, dass ich ihn kenne. Er ist heiß, aber nicht auf die zottelige Art und Weise wie die Kerle, mit denen ich in letzter Zeit geschlafen habe. (Obwohl der letzte in einer von Herr der Ringe inspirierten Band den Legolas gespielt hat und ich zugeben muss, dass er seine elbische Haarpflege sehr ernst genommen hat.) Ich glaube auch nicht, dass dieser Typ der Vermieter ist, obwohl … Wenn ich genauer darüber nachdenke, muss ich zugeben, dass ich keine Ahnung habe, wie unser Vermieter aussieht.

Schließlich gebe ich auf.

»Hi.« Ich mache eine komische Handbewegung. »Kann ich dir helfen?«

»Anna?«, sagt er, als wäre er sich nicht ganz sicher.

Dann begutachtet er mich wieder von Kopf bis Fuß, was mir erneut das Fehlen meiner Hose in Erinnerung ruft. Aber als er sich mit einer Hand durch sein volles Haar fährt, vergesse ich wieder, beschämt zu sein, weil plötzlich alles zurückkommt.

»Hey«, sage ich und deute auf ihn. »Du warst doch mein Ehemann. West, oder?«

Als er das Gesicht verzieht, ähnelt sein Ausdruck dem dieses Memes des Kindes, das erst lächelt und dann in Tränen ausbricht.

West starrt mich an, als wäre er gerade in der Hölle gelandet, müsste aber vorgeben, sich darüber zu freuen. »Anna. Du siehst … gut aus.«

Das kann er nicht ernst meinen. Ich lege eine Hand auf mein Haar. Ein paar Strähnen hängen immer noch lose in dem Pferdeschwanz von letzter Nacht. »Danke.« Ich grinse. »Ich bin so aufgewacht.«

West lacht kurz auf, reckt sein Kinn in die Höhe und deutet auf die Wohnung hinter mir. »Kann ich reinkommen?«

Ich trete zur Seite und lasse ihn durch. Er nimmt kurz in sich auf, was gerade im Fernsehen läuft. Conan ist im Moment dabei, es enthusiastisch mit einer Hexe in einer Höhle zu treiben.

Wir räuspern uns beide und starren stattdessen an die Decke.

Er legt den Kopf schief. »Sieht so aus, als hättest du heute frei.«

»Eigentlich habe ich jeden Tag frei.« Er runzelt die Stirn, und ich füge hinzu: »Ich bin gestern gefeuert worden, weil ich vergessen habe, ein Päckchen Kaugummi zu bezahlen.«

Er sieht sich im Raum um.

Zugegeben, ein bisschen aufräumen würde nicht schaden.

»Hast du es wirklich vergessen?«

»Mehr oder weniger? Aber meinst du nicht, dass eine Kündigung ein bisschen übertrieben ist?« Die Falten in Wests Stirn werden tiefer, und ich gehe zur Couch und mache es mir wieder bequem. »Hat dich mein achtzehnjähriger Ex-Boss und Triebtäter Derrick geschickt, um mit mir darüber zu reden? Wenn das so ist … Ich habe eine Menge zu sagen.«

»Nein, nein, natürlich nicht.« Er betrachtet mich einen Moment, dann blinzelt er und sieht sich wieder in der Wohnung um. »Ich muss zugeben, dass ich ein bisschen verwirrt bin. Gehst du nicht mehr zur Uni?«

»Ich habe meinen Abschluss zu der Zeit gemacht, als du ausgezogen bist, schon vergessen?«

»Klar. Aber ich meine …«, setzt er an und legt den Kopf schief. »Hast du nicht angefangen, Medizin zu studieren?«

Ich starre ihn lange an, bis ich verstehe. »O Mann.« Ich lege meine Finger an die Lippen. »Du hast es nicht mitgekriegt, oder?«

Er schaut mich verständnislos an. »Was?«

»Ich habe das Hauptfach gewechselt.«

»Wann?«

»Ungefähr vier Monate nachdem wir zusammengezogen sind.«

West wird blass. »Was hast du dann stattdessen gemacht?«

»Kunst.« Ich grinse und deute auf eine strahlende Dahlie an der Wand, die Tausende feine Blütenblätter mit lila und orangen Spitzen hat. »Ich male jetzt. Und mache Gelegenheitsjobs, um diese hübsche kleine Bude, in der du gerade stehst, zu bezahlen.«

»Ich habe gedacht, Malen war für dich nur ein Hobby«, sagt er mit angespannter Stimme.

»Das war es, bis mir klar geworden ist, dass ich Biologie hasse und das Malen liebe. Was spielt das für eine Rolle?«

Fragend schaue ich ihn an, werde aber wieder von seinem guten Aussehen abgelenkt. Er sieht toll aus. Wenn ich es richtig im Kopf habe, sind … drei Jahre vergangen? Ich glaube schon. Und er sieht aus wie ein richtiger Mann.

Klar, er war damals auch schon ein richtiger Mann, aber hier steht ein ziemlich männlicher Mann vor mir. Ein professioneller Mann. Ein Mann, der nicht um zehn Uhr an einem Dienstagmorgen high ist und Cornflakes aus einer Salatschüssel isst.

Vielleicht liegt es an dem momentanen Zustand meines Gehirns, aber er scheint ein bisschen zu wanken.

»Hey. Alles okay?«, frage ich.

Er reibt sich mit einer Hand übers Gesicht. »Ja, ich bin nur …« Er atmet tief aus, und ich könnte schwören, dass er seinen Satz mit einem geflüsterten »im Arsch« beendet.

»Sagst du mir endlich mal, warum du hier bist?«, frage ich. »Ich bin total high und weiß gar nicht sicher, ob ich mir dich nicht nur vorstelle.«

West runzelt die Stirn und schaut auf seine Uhr. »High?«, fragt er. »Auf …?«

»Cookies.«

Sein Gesichtsausdruck entspannt sich. »Oh.« Er blickt sich in der Wohnung um und schaut dann wieder zu mir. »Ist das dieselbe Couch?«

»Sie hat dasselbe Gestell. Aber ich glaube nicht, dass die Couch oder ich jemals wieder dieselben sein können, nach dem, was meine Mitbewohnerin und ihr Freund letzte Nacht darauf getrieben haben.«

»Mein Beileid.«

»Danke.«

»Na gut. Hör mal, ich bin in einer etwas seltsamen Lage, und ich habe mich gefragt, ob du mir helfen kannst.« Er hält inne, und sein Gesicht wird wieder von einem elenden Ausdruck überfallen. »Obwohl das vielleicht noch größeres Chaos anrichten könnte.«

Ich brauche einen Moment, um das zu verarbeiten. »Du brauchst meine Hilfe?«

»Ja.«

Ich drücke einen Zeigefinger an meine Brust. »Wirklich meine?«

West seufzt traurig. »Ja.«

»Sollte ich dafür eine Hose anziehen? Das kommt mir vor wie eine Unterhaltung, die man angezogen führen sollte.«

»Das bleibt ganz dir überlassen.«

Ich stehe auf und hüpfe mit einem Hausschuh ins Schlafzimmer. Als ich mit einer Shorts bekleidet und mit einem ordentlicheren Pferdeschwanz wieder rauskomme, steht West immer noch an derselben Stelle, an der ich ihn zurückgelassen habe.

»Dir ist schon klar, dass du dich setzen kannst, oder?« Ich deute auf mein opulentes Wohnzimmer: der halb leere Big-Gulp-Becher auf dem Couchtisch, den Jack vor ein paar Tagen hiergelassen hat; ein Hundespielzeug auf dem Boden, das Lindy gekauft hat, obwohl wir gar keinen Hund haben; der Wäschekorb, der mit sauberer Wäsche überquillt, weil niemand von uns sie zusammenlegen will. »Ich weiß, hier sieht’s aus wie im Showroom eines Innenarchitekten, aber wir sind da nicht so.«

Zögerlich setzt sich West auf die Couch. Ich setze mich ebenfalls wieder hin, lasse aber etwas Abstand zwischen uns. Aber dann zwicke ich ihn kurz ins Knie. »Okay. Du bist real.«

Er schaut mich mit zusammengekniffenen Augen an. »Wie high bist du?«

»Ich denke, eine Fünf. Zur Zehn komme ich nie. Eigentlich mag ich süße Sachen nur bedingt, aber heute wusste ich nicht, was ich sonst tun soll.«

»Dir einen Job zu suchen, ist dir nicht in den Sinn gekommen?«

»Ich war der Meinung, dass ich einen Tag Selbstmitleid verdient habe.«

Er blickt sich wieder um, als wäre er sich nicht sicher, ob ich mir Selbstmitleid leisten könnte.

Womit er vollkommen recht hat.

»Wie ist es dir so ergangen?«, frage ich.

»Ich bin Professor mit einer gemeinsamen Berufung in Volkswirtschaftslehre und Kulturanthropologie an der Stanford-Universität.«

Mein Gehirn versucht, das zu verarbeiten. »Moment mal, ist das dein Ernst? Wie Indiana Jones?«

Er atmet geduldig aus, und selbst mein aufgeputschtes Ich begreift, dass er das wohl oft zu hören kriegt. Er fährt sich mit einem langen Finger über eine attraktive, dunkle Augenbraue. »Nein, Anthropologie. Du denkst gerade an Archäolo…«

»Gehst du in Höhlen? Schwingst an Lianen?« Ich beuge mich vor. »Ja oder nein: Wurdest du je durch einen Dschungel gejagt?«

West blinzelt mich an. »Regelmäßig«, sagt er dann in nüchternem Tonfall.

Ich greife nach vorn und schlage ihn auf den Arm. »Nee jetzt!«

Er starrt mich an und versucht zu verbergen, wie gestresst er von alldem ist, was gerade passiert. Dann hat er wieder diesen Blick, als wäre er reif für die Hölle. Ich setze mich auf und versuche, mich zusammenzureißen. Ehrlich gesagt, passt der Mann vor mir nicht zu meinem Bild von einem modernen Indiana Jones. Ich hätte eher eine Zip-Cargohose von Patagonia und abgetragene Wanderschuhe erwartet als das teure, maßgeschneiderte weiße Hemd und die blaue Anzughose, die er trägt. Seine Schuhe sind so poliert, dass ich wahrscheinlich mein Spiegelbild darin erkennen könnte, wenn ich mich nach unten beugen würde. Es würde mir vor Augen halten, wie schäbig ich im Kontrast zu ihm aussehe: ein zerfleddertes Tom-Petty-T-Shirt von meinem Dad, das mir halb über die Schulter fällt. Labbrige Shorts, die meinen Hintern kaum bedecken. Und immer noch nur ein Hausschuh.

»Hat deine Familie nicht in der Gegend gewohnt?«, frage ich. »Ich habe Jake schon seit bestimmt zwei Jahren nicht mehr gesehen.«

»Sie leben in Orange County, ja. Jake ist in Newport Beach und arbeitet für das Familienunternehmen.«

»Cool.«

Abgesehen von Conans Grunzen, das aus dem Fernseher kommt, wird es still, und ich weiß schon gar nicht mehr, warum West hier ist.

Er macht es sich auf dem Sofa gemütlich und wendet sich mir zu. Oh, richtig. Er ist hergekommen, um mich um Hilfe zu bitten.

Ich setze mich ebenfalls aufrecht hin und stecke eine lose Haarsträhne hinter mein Ohr.

Konzentrier dich, Anna.

»Okay, die Situation ist folgende«, sagt er. »Ich bin mir sicher, du erinnerst dich noch an die Umstände, unter denen wir Mitbewohner geworden sind?«

Das tue ich tatsächlich. Am Ende meines zweiten Jahres auf dem College haben meine zwei Mitbewohnerinnen ihren Abschluss gemacht, und ich konnte mir die Miete für unsere Wohnung in der Nähe des Campus alleine nicht mehr leisten. Eigentlich konnte ich mir überhaupt keine Miete für ein Apartment leisten, von dem aus die Uni fußläufig oder mit dem Fahrrad zu erreichen war. Jake hatte schon einen Mitbewohner, und Vivi wohnte bei ihren Eltern zu Hause und pendelte jeden Tag eine halbe Stunde von Playa del Rey aus. Selbst wenn mir die Amirs ein Zimmer angeboten hätten, ich hatte kein Auto, und die öffentlichen Verkehrsmittel in L. A. sind so scheiße, dass ich jeden Tag fast zwei Stunden von der Uni zu ihrem Haus gebraucht hätte, wenn Vivi mich nicht mitnehmen konnte. Und da ich dazu neige, zu verschlafen, wusste ich, dass das nicht funktionieren würde.

Aber Jakes älterer Bruder arbeitete zu diesem Zeitpunkt an seinem Doktortitel und brauchte eine Doktorandenwohnung. Allerdings haben sie ihm nur eine Wohnung für Familien angeboten, wofür er verheiratet hätte sein müssen. Also hatte Jake die Idee, uns beide miteinander bekanntzumachen, damit wir ein paar harmlose Regeln brachen. Ein rechtlicher Lockdown für meine Vagina war die Pennys wert, die ich mir bei der Miete sparte. Ich habe West zum ersten Mal im Standesamt getroffen, wo es eine kurze Zeremonie gab. Ich habe ein paar Papiere unterschrieben, als er eingezogen ist, und ein paar, als er auszog.

Das war’s. Easy.

Für zwei wundervolle Jahre hatte ich eine billige Wohnung, die ich tagsüber meistens für mich allein hatte. West war einer der besten Mitbewohner, die ich je hatte … und ich habe ihn mit Sicherheit nie mit den Handgelenken an die Knöchel gefesselt auf der Couch erwischt.

»Ich erinnere mich«, sage ich. Aber dann kommt mir ein Gedanke, und Panik breitet sich für einen Moment in mir aus. »Moment. Sind wir in Schwierigkeiten wegen Betrug oder so?«

»Nein, nein, keine Sorge.«

Ich lasse mich auf die Couch zurücksinken. Adrenalin und Hasch-Cookies sind eine überaus schlechte Kombination »Gott sei Dank. Glaub mir, das ist das Letzte, was ich jetzt brauche.«

»Nein, die Situation habe ich mir leider ganz alleine zuzuschreiben.«

»Und du denkst, dass ich dir helfen kann? Ich schaffe es ja kaum, mich ausgewogen zu ernähren.«

West beäugt meine Salatschüssel mit den mittlerweile matschigen Fruit Loops. »Ich glaube, dass du die Einzige bist, die mir helfen kann.«

»Ist das mein auserwählter Moment?« Ich lege meine Handflächen an die Brust. »Ich dachte, er würde schon vor meinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr kommen.« Nach einer kurzen Pause füge ich hinzu: »Ich dachte auch, er würde ein Schwert beinhalten. Und vielleicht Drachen.«

»Vielleicht sollten wir noch warten, bevor wir diese Unterhaltung führen.«

»Nein, nein.« Ich greife nach meiner Salatschüssel. »Das ist perfektes Timing.«

»Okay, gut. Du erinnerst dich wahrscheinlich daran, dass meiner Familie ein großes Unternehmen gehört.«

Ich wische mir einen Tropfen Milch vom Kinn und gestehe mit dem Mund voller Fruit Loops: »Ehrlich gesagt, habe ich keine Ahnung, was deine Familie macht.«

Er sieht überrascht aus. »Obwohl du mit Jake befreundet warst?«

»Ich wusste, was Jake sich zum Mittagessen bestellt hat, welche dämlichen Filme ihn zum Lachen gebracht haben, und ich konnte jeden seiner Schritte vorhersagen, wenn er auf Partys Mädchen angemacht hat. Aber wir haben uns nie hingesetzt und unsere Lebensgeschichten ausgetauscht. Er hat nicht mal erwähnt, dass er einen Bruder hat, bis er vorgeschlagen hat, dass ich dich heirate.«

West lacht trocken auf. »Okay, also, in diesem Fall: Mein Großvater, Albert Weston, hat 1952 in Harrisburg, Pennsylvania, einen Lebensmittelstand gegründet und …«

»Wir beginnen im Jahr 1952! O mein Gott, ich bin so high.« Ich nehme noch einen Löffel.

»Aus diesem Lebensmittelstand ist ein Lebensmittelgeschäft geworden, und aus diesem Lebensmittelgeschäft schließlich eine Supermarktkette, die …«

»Wart mal.« Ich stelle die Schüssel auf den Tisch zurück. Langsam begreife ich. »Eine Supermarktkette? Redest du von Weston’s? Wie der riesige Supermarkt zwei Blocks von hier entfernt, der diesen guten Käse verkauft, den ich mir nicht leisten kann?«

»Ganz genau.«

»Willst du mich verarschen?«

West blinzelt mich an. »Ich … Nein? Mein Vater ist Raymond Weston, Alberts Sohn und der momentane Besitzer und CEO von Weston Foods.«

West ist der Enkelsohn des Weston-Foods-Imperiums? »Ihr seid so ungefähr eine der größten Supermarktketten des Landes.«

»Die sechstgrößte, um genau zu sein.«

»Holy Shit. Holy Shit! Moment – dein Vorname ist West.« Ich presse mir die Hand auf den Mund und rede leise weiter. »Du heißt also West Weston?«

»Anna … Was?« West starrt mich an. »Ist das jetzt wirklich dein Ernst?«

»Ist das ein Ja? Ist dein Name wirklich West Weston?«

»Mein Vorname ist William. Alle nennen mich Liam.« Dann stammelt er weiter. »Entschuldige … Wusstest … wusstest du das wirklich nicht?«

»Liam«, sage ich und schaue ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Dichtes, goldbraunes Haar und die dazu passenden whiskeyfarbenen Augen. Klingt irgendwie schottisch. Ich kann ihn mir förmlich in einem Kilt vorstellen, mit den Fäusten in die Hüften gestemmt und den Blick auf die Highlands vor sich gerichtet. »Okay, verstehe.«

»Anna, willst du mir erzählen, dass du die ganze Zeit, in der wir zusammengewohnt haben, nicht gewusst hast, wie mein richtiger Vorname ist?«

»Alle haben dich nur West genannt.«

Sein Mund öffnet und schließt sich wieder. »Hast du nie die Gerichtsunterlagen gelesen, die ich dir gegeben habe? Von denen ich dir gesagt habe, dass du sie von einem Anwalt überprüfen lassen und unterschreiben sollst?«

»Ich bin eine Scheinehe mit dir eingegangen, weil ich mir keine Wohnung leisten konnte. Wie kommst du darauf, dass ich mir einen Anwalt leisten könnte? Es war eine einfache Scheidung, oder?«

»Hätte ich gewusst, dass du dir keinen Anwalt leisten konntest, hätte ich …«

Ich unterbreche ihn und muss so heftig lachen, dass ich die nächsten Worte kaum rauskriege. »Welche Collegestudentin, die so verzweifelt ist, einen Fremden zu heiraten, damit sie irgendwo wohnen kann, kann sich bitteschön einen Anwalt leisten?«

Er schaut mich lange an, dann legt er den Kopf in die Hände. »O Scheiße.«

»Was o Scheiße?«

»O Scheiße, wenn du die ganzen Verträge nicht gelesen hast, dann ist das hier eine Vollkatastrophe. Ich glaube, ich muss ganz am Anfang beginnen.«

»Du musst definitiv am Anfang beginnen«, sage ich, wische mir über die Augen und ahme eine Explosion in meinen Schläfen nach. »Ganz ehrlich – mein Kopf platzt gleich. Du hast dich zu Hause wie ein Kerl aus der Middle School angezogen. Du hattest die ganze Zeit Basketballshorts an. Du bist einen Honda gefahren! West, du bist inkognito-reich! Kein Wunder, dass Jake mir nie was über seine Familie erzählt hat! Ich hätte ihn jedes verdammte Mal bei Jersey Mike’s für mich bezahlen lassen! Warte – warum musstest du auf dem Campus wohnen? Wenn du der Enkel des Gründers von Weston’s bist, hättest du dir wahrscheinlich ein ganzes Apartmentgebäude auf dem Sunset Boulevard leisten können.«

»Theoretisch, ja«, sagt er und rutscht unbeholfen auf der Couch umher. »Aber kurz bevor wir geheiratet haben, musste ich plötzlich meine Wohnung, die Studiengebühren und die Lebenshaltungskosten ohne einen Job selbst zahlen.«

»Was? Warum?«

»Mein Vater unterstützt seine Kinder finanziell, aber nur, wenn wir tun, was er will. Sein Plan war immer, dass ich meinen Master of Business Administration fertig mache, in die Firma einsteige und schließlich seine Rolle als CEO dort übernehme. Aber als ich mit dem Betriebswirtschaftsstudium fertig war, wusste ich bereits, dass ich das nicht wollte. Nach dem College habe ich dort ein einjähriges Praktikum gemacht, und es war schrecklich – aus Gründen, die es nicht wert sind, jetzt davon zu erzählen. Ich habe meinen Eltern gesagt, dass ich weiter zur Uni gehen werde, um dort meinen Doktortitel zu machen. Mein Vater und ich hatten einen Riesenstreit, bei dem viele dieser alten Themen wieder hochgekommen sind. Er hat mir vollkommen den Geldhahn zugedreht, bis ich einverstanden wäre, für ihn zu arbeiten.«

»Das klingt ja nach ganz viel Spaß.«

»Zuerst hatte unsere Ehe nur den Zweck, dass ich günstig auf dem Campus wohnen und meinen Abschluss machen konnte. Aber als wir erst mal offiziell verheiratet waren, ist mir klar geworden, was ich da ungewollt getan habe.«

»Ich bin ja wirklich total high …«

»Das hast du bereits erwähnt.«

»… aber das Ganze ist echt spannend. Was genau hast du denn ungewollt getan?«

»Mein Großvater hat jedem seiner vier Enkelkinder Geld hinterlassen – mir und meinen drei Geschwistern. Eine Bedingung des Fonds war, dass unser Erbe jedem von uns erst ausgezahlt wird, wenn wir verheiratet sind.«

Jetzt bin ich an der Reihe, verblüfft zu schauen. »Was zur Hölle ist das denn bitte für eine Scheiße?«

»Richtig.«

Ich versuche mich an einem britischen Akzent. »Der Lord muss ein Eheweib finden!«

»Na ja, soweit es die Familienanwälte wussten, habe ich das ja auch.«

Darauf folgt erst einmal Stille, und nach ein paar Sekunden, in denen man nur hört, wie Conan im Fernsehen jemandem in den Arsch tritt, wird mir klar, dass West erwartet, dass ich die Bedeutung dessen begreife.

Und das tue ich plötzlich. »Du meinst, weil du mich