The Unhoneymooners – Sie können sich nicht ausstehen und fliegen gemeinsam in die Flitterwochen - Christina Lauren - E-Book
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The Unhoneymooners – Sie können sich nicht ausstehen und fliegen gemeinsam in die Flitterwochen E-Book

Christina Lauren

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Beschreibung

Enemies to Lovers: Flitterwochen mit dem Lieblingsfeind Um auf eine kostenlose paradiesische Hawaii-Reise gehen zu können, müssen Olive und Ethan zehn Tage lang ein Liebespaar in den Flitterwochen spielen, obwohl sie sich nicht ausstehen können. Olive Torres ist der Pechvogel der Familie: Von unerklärlichen Missgeschicken verfolgt scheint ihr Leben geradezu absurd verhext. Ganz anders als das Leben ihrer Zwillingsschwester, die sogar ihre gesamte Hochzeit durch Gewinnspiele und perfekt getimte Rabattcoupons finanzieren konnte. Aber Olive gönnt ihrer Schwester das ganze Glück, und sie freut sich auf die Hochzeit. Es gibt allerdings jemanden, der ihr die Vorfreude verdirbt: ihr Erzfeind, Ethan Thomas, der Trauzeugen ihres zukünftigen Schwagers.  Doch dann bekommt die gesamte Hochzeitsgesellschaft eine Lebensmittelvergiftung. Nur Olive und Ethan bleiben verschont. Plötzlich sind sie die Einzigen, die die nicht verschiebbare Hochzeitsreise nach Hawaii antreten können, und Olive will verdammt sein, wenn Ethan das Paradies allein genießen darf! Sie einigen sich auf einen vorübergehenden Waffenstillstand und fliegen gemeinsam nach Maui. Der Haken: Vor Ort müssen sie so tun, als seien sie ein verliebtes Paar in den Flitterwochen. Doch zu ihrer Überraschung stellen sie bald fest, dass es gar nicht so schwer ist, so zu tun, als ob ... Die international erfolgreiche slowburn Enemies-to-Lovers Romcom für alle Fans von »Spanish Love Deception« endlich auf Deutsch!

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Seitenzahl: 438

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((bei fremdsprachigem Autor))

Aus dem Amerikanischen von Christina Kagerer

© Christina Hobbs und Lauren Billings 2019

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Unhoneymooners«, Gallery Books, a Division of Simon & Schuster, Inc., New York 2019

© everlove, ein Imprint der Piper Verlag GmbH, München 2023

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: AVORITBUERO, München, nach einem Entwurf von Ella Laytham

Covermotiv: Getty Images (BanksPhotos; annaveroniq)

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Eins

Zwei

Drei

Vier

Fünf

Sechs

Sieben

Acht

Neun

Zehn

Elf

Zwölf

Dreizehn

Vierzehn

Fünfzehn

Sechzehn

Siebzehn

Achtzehn

Neunzehn

Zwanzig

Epilog

Zwei Jahre später

ETHAN

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Hugues de Saint Vincent

Arbeite wie ein Kapitän, spiele wie ein Pirat.

Eins

In der Ruhe vor dem Sturm – in diesem Fall die göttliche Ruhe, bevor die Suite der Braut von den Hochzeitsgästen überrannt wird – betrachtet meine Zwillingsschwester kritisch einen frisch lackierten rosa Fingernagel.

»Ich wette, du bist erleichtert, dass ich keine Brautzilla bin«, sagt sie dann, wobei sie mich durch den Raum hinweg anschaut und großzügig lächelt. »Ich wette, du hast erwartet, dass ich unmöglich bin.«

Das Statement passt so perfekt zu diesem Moment, dass ich am liebsten ein Foto davon machen und es einrahmen würde. Ich teile einen wissenden Blick mit unserer Cousine Julieta, die Amis Zehennägel neu lackiert (»Sie sollten eher rosenrosa sein als babyrosa, findet ihr nicht?«), und deute auf das Korsett von Amis Hochzeitskleid – welches an einem Satinkleiderbügel hängt und bei dem ich gerade sichergehe, dass jede Paillette glatt liegt. »Definiere ›Brautzilla‹.«

Ami schaut mich wieder an, dieses Mal mit einem halbherzigen Lächeln. Sie trägt ihre Hochzeitsunterwäsche, von der ich mir – mit einer gewissen schwesterlichen Übelkeit – sicher bin, dass ihr Verlobter Dane sie nachher ganz klar zerstören wird. Ihr Make-up ist geschmackvoll aufgetragen, und ihr wallender Schleier steckt in ihrem hochfrisierten dunklen Haar. Es ist irgendwie verstörend. Wir sind zwar schon daran gewöhnt, dass wir identisch aussehen, obwohl wir zwei völlig unterschiedliche Menschen sind, aber das hier ist was gänzlich Ungewohntes: Ami ist das Ebenbild einer Braut. Ihr Leben hat plötzlich keinerlei Ähnlichkeit mit meinem mehr.

»Ich bin keine Brautzilla«, widerspricht sie mir. »Ich bin eine Perfektionistin.«

Ich nehme meine Liste und halte sie hoch, um ihre Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Es ist ein schweres rosa Briefpapier mit gewelltem Rand, auf dem in akkurater Handschrift Olives To-do-Liste – Hochzeitsausgabe steht. Die Liste beinhaltet vierundsiebzig (vierundsiebzig!) Punkte, darunter Symmetrie der Pailletten am Hochzeitskleid checken und verwelkte Rosenblätter von den Tischen entfernen.

Jede Brautjungfer hat ihre eigene Liste – vielleicht nicht so lang wie meine, aber genauso elegant und handgeschrieben. Ami hat Kästchen neben die Punkte gemalt, damit wir abhaken können, welche Aufgabe wir schon erledigt haben.

»Manche Menschen würden das als etwas übertrieben bezeichnen«, sage ich.

»Das sind dieselben Menschen«, erwidert sie, »die sich dumm und dämlich zahlen für eine Hochzeit, die nicht annähernd so schön wird.«

»Richtig. Sie buchen Hochzeitsplaner, um …« Ich lese von meiner Liste ab, »eine halbe Stunde vor der Zeremonie Kondenswasser von den Stühlen zu wischen.«

Ami pustet auf ihre Fingernägel, um sie zu trocknen, und lacht dann teuflisch auf. »Idioten.«

Was sagt man so schön über sich selbst erfüllende Prophezeiungen? Zu gewinnen verleiht einem das Gefühl, ein Gewinner zu sein, und dann gewinnt man irgendwie immer. Das muss wahr sein, denn Ami gewinnt immer. Sie hat mal auf einem Jahrmarkt bei der Tombola mitgemacht und Theaterkarten gewonnen. Oder im The Happy Gnome ihre Karte in einen Becher geworfen und Freibier für ein ganzes Jahr gewonnen. Sie hat Typveränderungen, Bücher, Kinopremierentickets, einen Rasenmäher, unzählige T-Shirts und sogar ein Auto gewonnen. Und das Briefpapier und das Schreibset, das sie für die To-do-Listen benutzt hat, hat sie – natürlich – auch gewonnen.

Sobald Dane Thomas ihr einen Heiratsantrag gemacht hatte, hat Ami es als Herausforderung angesehen, unseren Eltern die Kosten für die Hochzeit zu ersparen. Mom und Dad hätten zwar etwas dazu beisteuern können – sie sind in vielen Bereichen chaotisch, aber nicht, wenn es um finanzielle Angelegenheiten geht –, aber Amis Lieblingsspiel war es schon immer, so viel wie möglich umsonst zu bekommen. Kurz gesagt: Wenn die Ami vor der Verlobung Preisausschreiben als Wettkampfsport angesehen hat, hat die verlobte Ami sie zu einer Olympiade gemacht.

Niemand in unserer riesigen Familie war also überrascht, als sie erfolgreich eine rauschende Hochzeitsfeier mit zweihundert Gästen, einem Meeresfrüchte-Büfett, einem Schokobrunnen und bunten Rosen, die aus jeder Vase und jedem Kelch sprießen, geplant und dabei mindestens tausend Dollar gespart hat. Meine Schwester reißt sich ihren Arsch auf, um die besten Angebote und Preisausschreiben zu finden. Sie klickt jede Facebook- und Twitter-Werbung an und hat sogar eine E-Mail-Adresse mit dem passenden Namen [email protected].

Als ich schließlich davon überzeugt bin, dass keine Paillette mehr falsch liegt, nehme ich das Kleid vom Haken an der Wand und will es Ami bringen.

Aber sobald ich es auch nur berühre, schreien meine Schwester und meine Cousine im Einklang auf, und Ami hält ihre Hände hoch und formt mit den mattrosa Lippen ein entsetztes O.

»Lass es dort, Ollie«, sagt sie. »Ich komme rüber. Bei deinem Glück stolperst du und fällst in die Kerze, und das Kleid geht in einem paillettenbesetzten Feuerball auf.«

Ich entgegne nichts. Sie hat nicht unrecht.

Während Ami ein vierblättriges Kleeblatt ist, hatte ich schon immer Pech. Ich sage das nicht, weil ich theatralisch sein will oder weil ich nur im Vergleich zu ihr vom Unglück verfolgt zu sein scheine. Es ist die objektive Wahrheit. Wenn man Olive Torres, Minnesota, googelt, findet man Dutzende von Artikeln und Kommentaren, die sich auf das Ereignis beziehen, als ich in einen dieser Spielzeugautomaten in der Einkaufspassage geklettert und stecken geblieben bin. Ich war sechs Jahre alt, und als das Stofftier, das ich gefangen hatte, nicht sofort in die Ablage gefallen ist, habe ich beschlossen, reinzuklettern und es mir zu holen.

Ich habe zwei Stunden im Automaten verbracht, umgeben von vielen harten, rauhaarigen, chemisch riechenden Teddybären. Ich erinnere mich daran, wie ich durch das verschmierte Plexiglas geschaut und jede Menge entsetzter Gesichter gesehen habe, die sich gegenseitig etwas zugerufen haben. Als die Betreiber der Einkaufspassage meinen Eltern erklärt haben, dass ihnen der Automat gar nicht gehört und sie deswegen keinen Schlüssel dafür besitzen, wurde die Feuerwehr von Edina gerufen, gefolgt von einigen Lokalreportern, die meine Befreiung sorgfältig dokumentierten.

Spulen wir sechsundzwanzig Jahre vor, und dank YouTube kursiert das Video davon immer noch im Internet. Bis heute haben es fast hunderttausend Menschen gesehen und mitbekommen, dass ich stur genug war, um hineinzuklettern, und auch noch das Pech hatte, bei meinem Weg nach draußen mit dem Gürtel hängen zu bleiben und meine Hose bei den Teddybären zu lassen.

Das ist nur eine Geschichte von vielen. Also ja, Ami und ich sind eineiige Zwillinge – wir sind beide ein Meter fünfundsechzig groß, haben dunkles Haar, das sich bei der geringsten Feuchtigkeit kräuselt, dunkelbraune Augen und Stupsnasen – aber da endet die Ähnlichkeit auch schon.

Unsere Mutter hat immer versucht, unsere Gegensätze zu fördern, damit wir uns als Individuen und nicht als zusammenpassendes Set sehen. Ich weiß, dass sie es gut gemeint hat, aber solange ich mich erinnern kann, waren unsere Rollen immer festgelegt: Ami war schon immer die Optimistin, die nach dem Silberstreifen am Horizont sucht, und ich die Pessimistin, die immer annimmt, dass die Welt untergeht. Als wir drei Jahre alt waren, hat Mom uns an Halloween sogar als Glücksbärchis verkleidet: Ami war der Sonnenscheinbärchi, ich war Brummbärchi.

Es ist offensichtlich, dass die sich selbst erfüllende Prophezeiung in beide Richtungen funktioniert. Von dem Moment an, in dem ich meine Nase in den Sechs-Uhr-Nachrichten hinter der Plexiglasscheibe gesehen habe, hatte ich nie wirklich mehr Glück. Ich habe nie bei einem Malwettbewerb oder irgendeiner Bürowette gewonnen, nicht mal ein Lotterielos oder ein Eselschwanzspiel. Aber ich habe mir zum Beispiel ein Bein gebrochen, als jemand rückwärts die Treppe runtergefallen ist und mich mitgerissen hat (der andere war unverletzt). Ich war fünf Jahre lang bei jedem ausgedehnten Familienurlaub die Glückliche, die ausgelost wurde, um das Bad zu putzen. Ich wurde auch schon beim Sonnenbaden in Florida von einem Hund angepinkelt, über die Jahre hinweg haben mir schon unzählige Vögel auf den Kopf gekackt, und als ich sechzehn war, wurde ich vom Blitz getroffen – kein Scherz – und habe überlebt, um die Geschichte erzählen zu können. (Aber ich musste zur Sommerschule gehen, weil mir am Schuljahresende zwei Wochen gefehlt haben.)

Ami erinnert mich immer wieder gerne daran, dass ich mal die richtige Anzahl von Shots geschätzt habe, die noch in einer halb leeren Tequilaflasche waren. Aber nachdem ich vor Freude fast alle davon selbst getrunken hatte und mich danach lange übergeben musste, hat mich dieser Gewinn nicht wirklich glücklich gemacht.

Ami nimmt das (kostenlose) Kleid vom Bügel und zieht es an, als unsere Mutter aus der benachbarten (und ebenfalls kostenlosen) Suite ins Zimmer kommt. Als sie Ami in dem Kleid sieht, schnappt sie so dramatisch nach Luft, dass Ami und mir mit hundertprozentiger Sicherheit derselbe Gedanke durch den Kopf schießt: Olive hat es geschafft, das Hochzeitskleid zu ruinieren.

Ich inspiziere es sofort, um sicherzugehen, dass das nicht der Fall ist.

Ami atmet erleichtert aus und bedeutet mir, vorsichtig ihren Reißverschluss zu schließen. »Mamá, du hast uns eine Scheißangst eingejagt.«

Mit dem Kopf voller Lockenwickler, einem halb leeren (und natürlich kostenlosen) Glas Champagner in der Hand und dunkelroten Lippen stellt Mom eine beeindruckende Imitation von Joan Crawford dar. Wenn Joan Crawford in Guadalajara geboren worden wäre. »O mijita, du siehst wunderschön aus.«

Ami lächelt sie an und scheint sich dann – dank sofortiger Trennungsangst – an die Liste zu erinnern, die sie auf der anderen Seite des Raumes liegen gelassen hat. Sie hebt ihr Kleid an und geht zum Tisch. »Mom, hast du dem DJ den USB-Stick mit der Musik gegeben?«

Unsere Mutter leert ihr Glas, bevor sie sich auf das Sofa fallen lässt. »Sí, Amelia. Ich habe dem weißen Mann mit den Cornrows und dem schrecklichen Anzug deinen kleinen Plastikstick gegeben.«

Moms magentafarbenes Kleid ist makellos, und ihre braun gebrannten Beine sind übereinandergeschlagen, als sie noch ein Champagnerglas von der für die Brautsuite zuständigen Bediensteten entgegennimmt.

»Er hat einen Goldzahn«, fügt Mom hinzu. »Aber ich bin mir sicher, dass er seinen Job sehr gut macht.«

Ami ignoriert den Kommentar, und man hört durch das ganze Zimmer, wie sie den Punkt auf ihrer Liste abhakt. Ihr ist es ziemlich egal, ob der DJ den Ansprüchen unserer Mutter oder gar ihren eigenen gerecht wird. Er ist neu in der Stadt, und sie hat seine Dienste bei einer Verlosung in dem Krankenhaus, in dem sie als Krankenschwester in der Hämatologie arbeitet, gewonnen. Kostenlos schlägt talentiert – immer.

»Ollie«, sagt Ami, ohne den Blick von der Liste vor sich abzuwenden. »Du musst dich auch anziehen. Dein Kleid hängt an der Badezimmertür.«

Ich verschwinde sofort mit einem gespielten Salut im Bad. »Jawohl, Ma’am.«

Wenn es eine Frage gibt, die man uns mehr als alle anderen stellt, dann die, wer von uns beiden älter ist. Ich würde sagen, das ist offensichtlich, denn obwohl Ami nur vier Minuten älter ist als ich, ist sie ohne Zweifel die Anführerin. Als wir aufgewachsen sind, haben wir gespielt, was sie spielen wollte. Wir sind dorthin gegangen, wo sie hingehen wollte, und auch, wenn ich mich ab und zu beschwert habe, bin ich ihr doch meistens glücklich gefolgt. Sie kann mich zu fast allem überreden.

Genau deshalb habe ich auch dieses Kleid bekommen.

»Ami.« Ich reiße die Badezimmertür auf und bin entsetzt von dem, was ich gerade in dem kleinen Spiegel im Bad gesehen habe. Vielleicht ist es das Licht, denke ich, hebe das grellgrüne Ding an und gehe zu einem der größeren Spiegel im Zimmer.

Wow. Es ist definitiv nicht das Licht.

»Olive«, kommt ihre Antwort zurück.

»Ich sehe aus wie eine riesige 7UP-Dose.«

»Perfekt!«, ruft Jules. »Vielleicht knackt ja endlich einer dieses Ding.«

Mom fasst sich an die Kehle.

Ich werfe meiner Schwester einen bösen Blick zu. Ich wusste, dass ich Brautjungfer auf einer Hochzeit im Januar mit dem Motto Winterwunderland sein würde, also war meine einzige Bedingung, dass mein Kleid keinen roten Samt oder weißen Pelz haben sollte. Jetzt weiß ich, dass ich mich genauer hätte ausdrücken sollen.

»Hast du dieses Kleid wirklich ausgesucht?« Ich deute auf meinen üppigen Ausschnitt. »Das war Absicht?«

Ami legt ihren Kopf schief und betrachtet mich. »Absicht in dem Sinn, dass ich bei einem Gewinnspiel bei Valley Baptist gewonnen habe! Alle Kleider der Brautjungfern umsonst – denk nur daran, wie viel Geld ich dir erspart habe.«

»Wir sind katholisch, nicht baptistisch, Ami.« Ich zupfe an dem Stoff. »Ich sehe aus wie eine Hostess im O’Gara’s am St. Patrick’s Day.«

Mir wird mein eigentlicher Fehler bewusst – das Kleid bis zum heutigen Tag nicht gesehen zu haben –, aber meine Schwester hatte immer einen ausgezeichneten Geschmack. Am Tag der Anproben war ich im Büro meines Chefs und habe erfolglos darum gebettelt, nicht eine der vierhundert Wissenschaftler zu sein, die die Firma verlassen müssen. Ich weiß, dass ich abgelenkt war, als sie mir ein Foto von dem Kleid geschickt hat, aber ich kann mich nicht daran erinnern, dass es so samtig oder so grün ausgesehen hat.

Ich drehe mich, um mich aus einem anderen Winkel zu sehen – großer Gott, von hinten sieht es noch viel schlimmer aus. Und es ist nicht hilfreich, dass mich ein paar Wochen des Stressbackens um die Brust und die Hüften herum ein bisschen voller werden haben lassen. »Stell mich auf jedem Foto in den Hintergrund, und ich könnte dein Green Screen sein.«

Jules stellt sich in ihrem eigenen grellgrünen Aufzug hinter mich. »Du siehst scharf darin aus, glaub mir.«

»Mamá«, ruft Ami. »Bringt dieser Ausschnitt Ollies Schlüsselbein nicht toll zur Geltung?«

»Und ihre chichis.« Moms Glas wurde schon wieder aufgefüllt, und sie nimmt einen weiteren großen und langsamen Schluck.

Der Rest der Brautjungfern kommt in die Suite, und es gibt laute, emotionale Ausrufe, wie wunderschön Ami in ihrem Kleid aussieht. Diese Reaktion ist Standard in der Familie Torres. Das mag vielleicht wie die Beobachtung einer verbitterten Schwester klingen, aber das ist es nicht, versprochen. Ami hat Aufmerksamkeit schon immer geliebt, ich nicht – wie mein Weinen in den Sechs-Uhr-Nachrichten belegt hat. Meine Schwester strahlt förmlich im Rampenlicht. Und ich helfe nur allzu gerne dabei, das Licht in ihre Richtung zu drehen.

Wir haben zwölf Cousinen, die ständig aufeinanderhocken, aber mit nur sieben (kostenlosen) Kleidern, die Amis Preis beinhaltet hat, mussten schwere Entscheidungen getroffen werden. Ein paar Cousinen sind deswegen immer noch beleidigt und in ihr eigenes Zimmer gegangen, um sich fertig zu machen, aber das ist wahrscheinlich sowieso besser. Dieser Raum ist viel zu klein für so viele Frauen, die sich gleichzeitig und gemeinsam in ihre Mieder zwängen müssen.

Eine Wolke von Haarspray hängt um uns in der Luft, und es liegen genug Lockenstäbe, Glätteisen und verschiedene Fläschchen herum, um einen ganzen Friseursalon am Laufen zu halten.

Jede Oberfläche ist entweder verklebt von irgendwelchen Stylingprodukten oder verschwindet unter dem Inhalt der ausgeleerten Waschbeutel.

Als es an der Tür klopft, öffnet Jules diese, und auf der anderen Seite steht unser Cousin Diego. Der achtundzwanzigjährige, schwule und besser, als ich es je hinbekommen würde, gepflegte Diego hat sofort geschrien, dass es sexistisch sei, als Ami ihm gesagt hat, dass er nicht zu den Brautjungfern gehören kann, sondern mit den Trauzeugen des Bräutigams abhängen muss. Wenn ich seinen Gesichtsausdruck, als er mein Kleid sieht, richtig deute, dann ist er jetzt heilfroh darüber.

»Ich weiß«, sage ich und trete vom Spiegel zurück. »Es ist ein bisschen …«

»Eng?«, schlägt er vor.

»Nein.«

»Funkelnd?«

Ich starre ihn böse an. »Nein.«

»Nuttig?«

»Ich wollte sagen grün.«

Er legt seinen Kopf schief, als er um mich herum geht, um mich aus jedem Winkel zu betrachten. »Ich wollte dir eigentlich anbieten, dich zu schminken, aber das wäre Zeitverschwendung.« Er winkt ab. »Heute wird dir keiner ins Gesicht schauen.«

»Hör auf mit dem Slutshaming, Diego«, sagt meine Mutter, und mir fällt auf, dass sie seinen Bemerkungen nicht widersprochen hat. Sie hat ihm nur gesagt, dass ich mich dafür nicht schämen muss.

Ich gebe es auf, mir wegen des Kleids Gedanken zu machen – und darüber, wie viel man während der ganzen Hochzeitsfeier von meinen Brüsten sehen wird. Stattdessen wende ich mich wieder dem Chaos im Raum zu. Meine Cousinen bombardieren einander mit Fragen zu den Schuhen, und ein Dutzend Unterhaltungen werden gleichzeitig geführt. Natalie hat ihre braunen Haare blond gefärbt und ist jetzt überzeugt davon, dass sie ihr Gesicht ruiniert hat. Diego stimmt ihr zu. Der Drahtbügel ist aus Stephanies trägerlosem BH gesprungen, und Tía María erklärt, wie man einfach mit Tape seine Brüste stützt. Cami und Ximena diskutieren, welche Unterwäsche wem gehört, und Mom leert ihr Champagnerglas.

Aber inmitten all des Lärms und des Chaos wendet Ami sich wieder ihrer Liste zu. »Olive, hast du nach Dad geschaut? Ist er schon hier?«

»Er war in der Empfangshalle, als ich dort war.«

»Gut.« Ein weiterer Haken.

Es mag vielleicht seltsam erscheinen, dass die Aufgabe, sich um unseren Dad zu kümmern, bei mir und nicht bei seiner Frau – unserer Mutter – liegt, die direkt neben mir steht. Aber so läuft das in unserer Familie. Unsere Eltern interagieren nicht mehr direkt miteinander, seit Dad Mom betrogen und sie ihn rausgeschmissen hat, sich aber dann weigerte, sich von ihm scheiden zu lassen. Natürlich waren wir auf ihrer Seite, aber das ist jetzt schon zehn Jahre her, und das Drama ist immer noch für beide genauso groß wie an dem Tag, an dem sie ihn beim Fremdgehen erwischt hat. Ich kann mich an keine einzige Unterhaltung erinnern, die nicht über mich, Ami oder eins ihrer insgesamt sieben Geschwister geführt wurde, seit Dad weg ist. Wir haben schon früh erkannt, dass es so besser für jeden ist, aber das Gefühl, das dabei in mir zurückbleibt, ist, dass die Liebe was sehr Anstrengendes ist.

Ami greift nach meiner Liste, aber ich bin schneller, weil ich nicht will, dass meine vielen nicht abgehakten Punkte sie in Panik versetzen. Als ich lese, was meine nächsten Aufgaben sind, stelle ich erfreut fest, dass ich diese Nebelhöhle aus Haarspray verlassen darf.

»Ich werde in der Küche checken, ob sie für mich ein separates Essen machen.« Das kostenlose Hochzeitsbüfett beinhaltet Schalentiere, die mich direkt ins Grab befördern würden.

»Hoffentlich hat Dane das Hühnchen auch für Ethan bestellt.« Ami runzelt die Stirn. »Kannst du bitte nachfragen?«

Plötzlich wird es still im Raum, und sieben Augenpaare richten sich auf mich. Bei der Erwähnung von Danes älterem Bruder sinkt meine Laune auf einen Tiefpunkt.

Obwohl Dane ganz okay ist, wenn auch ein bisschen zu machohaft für meinen Geschmack – er schreit bei Sportveranstaltungen den Fernseher an, redet ständig über Muskeln und geht sicher, dass all seine Trainingsgeräte zueinanderpassen –, macht er Ami glücklich. Das reicht mir.

Aber Ethan ist einfach nur ein selbstgerechtes, voreingenommenes Arschloch.

Mir wird bewusst, dass ich im Zentrum der Aufmerksamkeit stehe, und ich verschränke genervt die Arme vor der Brust. »Warum? Ist er auch allergisch?« Aus irgendeinem Grund macht mich der Gedanke, dass ich was mit Ethan Thomas, dem schrecklichsten Mann auf Erden, gemeinsam haben könnte, richtig aggressiv.

»Nein«, sagt Ami. »Er ist nur wählerisch, was Büfetts angeht.«

Ich muss laut auflachen. »Büfetts. Okay.« So, wie ich das sehe, ist Ethan wählerisch, was so ziemlich alles angeht.

Bei der Grillfeier, die Dane und Ami am 4. Juli veranstaltet haben, wollte er zum Beispiel das Essen nicht anrühren, das ich den halben Tag lang zubereitet hatte. An Thanksgiving hat er die Plätze mit seinem Dad Doug getauscht, um nicht neben mir sitzen zu müssen. Und gestern Abend beim Essen hat er sich jedes Mal, wenn ich ein Stück von meinem Kuchen abgebissen oder über etwas, das Jules und Diego gesagt haben, gelacht habe, gespielt dramatisch die Schläfen gerieben. Schließlich habe ich meinen Kuchen stehen lassen und bin aufgestanden, um mit Dad und Tío Omar Karaoke zu singen. Ich bin immer noch sauer, dass ich wegen Ethan Thomas drei Bissen von meinem wirklich guten Kuchen übrig gelassen habe.

Ami runzelt die Stirn. Sie ist auch nicht gerade Ethans größter Fan, aber sie muss es leid sein, diese Diskussionen zu führen. »Olive. Du kennst ihn doch kaum.«

»Ich kenne ihn gut genug.« Ich schaue sie an und sage nur zwei Wörter. »Frittierte Käsebällchen.«

Meine Schwester seufzt und schüttelt den Kopf. »Das trägst du ihm wohl ewig nach.«

»Weil ich immer, wenn ich esse, lache oder atme, seine empfindlichen Gefühle verletze. Ich habe ihn bestimmt schon fünfzigmal gesehen, und er macht immer noch ein Gesicht, als wüsste er nicht, wer ich bin.« Ich deute zwischen uns beiden hin und her. »Wir sind Zwillinge.«

Natalia mischt sich ein, während sie an ihren gefärbten Haaren zupft. Warum passen ihre großen Brüste perfekt in das Kleid? Das ist nicht fair. »Das ist deine Chance, dich mit ihm anzufreunden, Olive. Mmm, er sieht so gut aus.«

Als Antwort ziehe ich nur angewidert eine Braue hoch.

»Du musst ihn so oder so suchen«, sagt Ami, womit sie meine Aufmerksamkeit wieder auf sich lenkt.

»Moment. Warum?«

Bei meinem verdutzten Gesichtsausdruck deutet sie auf meine Liste. »Punkt dreiundsie…«

Bei der Vorstellung, dass ich mit Ethan reden muss, überkommt mich Panik, und ich halte meine Hände hoch, um sie vom Weitersprechen abzuhalten. Aber als ich auf meine Liste blicke und Punkt dreiundsiebzig sehe – Ami wusste genau, dass ich nicht die ganze Liste auf einmal lesen würde –, werde ich blass: Bring Ethan dazu, dir seine Trauzeugenrede zu zeigen. Lass ihn nichts Schlimmes sagen.

Für diese Aufgabe kann ich nicht mein Pech verantwortlich machen, sondern nur meine Schwester.

Zwei

Sobald ich im Flur stehe, sind der Lärm, das Chaos und die Dämpfe aus der Brautsuite wie weggeblasen. Hier draußen ist es wunderschön. So friedlich, dass ich den Moment nicht vorübergehen lassen möchte, um die Tür am Ende des Ganges zu finden, über deren Schlüsselloch die niedliche Karikatur eines Bräutigams hängt. Diese kleine Figur verbirgt ohne Zweifel eine von Gras und Bier geprägte Vor-Hochzeitsfeier, die sich hinter der Tür abspielt. Sogar der Partytiger Diego war bereit, seinen Ruf und seine Gesundheit zu riskieren, um stattdessen in der Suite der Braut abzuhängen.

Ich atme zehnmal tief ein und aus, um das Unvermeidliche hinauszuzögern.

Es ist die Hochzeit meiner Zwillingsschwester, und ich freue mich so sehr für sie, dass ich platzen könnte. Aber vor allem in diesen einsamen, ruhigen Momenten ist es immer noch schwer für mich, die Laune aufrechtzuerhalten. Lassen wir mal mein chronisches Pech beiseite, aber die letzten zwei Monate waren wirklich furchtbar: Meine Mitbewohnerin ist ausgezogen, also musste ich mir eine neue, winzige Wohnung suchen. Aber selbst damit habe ich mich übernommen mit dem, was ich dachte, mir alleine leisten zu können. Bei meinem Glück wurde ich auch noch aus dem Pharmaunternehmen, bei dem ich sechs Jahre lang gearbeitet habe, entlassen. In den letzten paar Wochen hatte ich sieben Bewerbungsgespräche, und ich habe noch keine einzige Rückmeldung bekommen. Und jetzt stehe ich hier und muss meinem Erzfeind Ethan Thomas unter die Augen treten, während ich aussehe wie Kermit der Frosch.

Ich kann mir gar nicht mehr vorstellen, dass es mal eine Zeit gab, als ich es nicht erwarten konnte, Ethan kennenzulernen. Als die Sache zwischen meiner Schwester und ihrem Freund ernst wurde, wollte Ami mich Danes Familie vorstellen. Auf dem Parkplatz der Minnesota State Fairgrounds ist Ethan aus seinem Auto gestiegen. Er hatte unglaublich lange Beine und so blaue Augen, dass ich sie aus zwei Autolängen Entfernung sehen konnte. Aus der Nähe betrachtet, hatte er längere Wimpern, als es einem Mann erlaubt sein sollte. Er hat mich langsam und frech angeblinzelt, mir direkt in die Augen geschaut, meine Hand geschüttelt und mich dann gefährlich angegrinst. Da habe ich alles andere als nur geschwisterliches Interesse verspürt.

Aber dann habe ich anscheinend die Kardinalssünde begangen, eine Frau mit Kurven zu sein, die sich eine Box mit frittierten Käsebällchen gekauft hat. Wir haben kurz nach dem Eingang angehalten, um uns einen Plan für den Tag zu überlegen, und ich habe mir einen Snack geholt. Es gibt nichts Besseres als das Essen auf dem Minnesota State Fair. Als ich zu den anderen zurückgekommen bin, standen sie in der Nähe der Nutztiere. Ethan hat mich angeschaut und dann auf meine Box mit den köstlichen Käsebällchen hinabgeblickt. Er hat die Stirn gerunzelt, sich abrupt weggedreht und eine Entschuldigung gemurmelt, von wegen er müsste den Wettbewerb des selbst gebrauten Bieres finden. Da habe ich mir noch nicht viel gedacht, aber ich habe ihn den Rest des Nachmittags nicht mehr gesehen.

Von diesem Tag an war er mir gegenüber nur noch herablassend und gereizt. Was sollte ich auch sonst denken? Dass er aus einem anderen Grund innerhalb von zehn Minuten von einem grinsenden zu einem angeekelten Typen übergegangen ist? Der kann mich echt am Arsch lecken. Mal abgesehen von heute (und das auch nur wegen des Kleides), mag ich meinen Körper. Ich werde nicht zulassen, dass mir jemand wegen meines Körpers oder wegen frittierter Käsebällchen ein schlechtes Gewissen einredet.

Stimmen dringen von der anderen Seite der Tür nach draußen – es geht um Männerschweiß oder Bier oder das Öffnen einer Tüte Chips nur durch Blicke. Was weiß ich, es ist schließlich Danes Hochzeitsparty, über die wir hier reden. Ich hebe meine Faust und klopfe, und die Tür wird so abrupt aufgerissen, dass ich rückwärtsstolpere, mit dem Absatz meines Schuhs im Saum meines Kleides hängen bleibe und fast falle.

Es ist Ethan. Logisch. Er greift nach vorne und hält mich an der Hüfte fest. Als er mich sieht, verziehe ich die Mundwinkel und bemerke dieselbe Reaktion bei ihm, als er seine Hände wegzieht und sie in die Hosentaschen steckt. Vermutlich wird er sie sich desinfizieren, sobald er Gelegenheit dazu hat.

Die Bewegung lenkt meine Aufmerksamkeit auf das, was er anhat – einen Smoking natürlich –, und darauf, wie gut er an seinem großen, drahtigen Körper sitzt. Sein braunes Haar ist akkurat aus der Stirn gekämmt, und seine Wimpern sind so lächerlich lang wie immer. Ich rede mir ein, dass seine dichten, dunklen Augenbrauen viel zu übertrieben sind – mach mal halblang, Mutter Natur –, aber ich kann nicht leugnen, dass sie in seinem Gesicht toll aussehen.

Ich mag ihn wirklich nicht.

Ich wusste schon immer, dass Ethan gut aussieht – ich bin ja nicht blind –, aber ihn mit Anzug und schwarzer Krawatte zu sehen, ist ein bisschen zu viel Bestätigung für meinen Geschmack.

Er schaut mich genauso prüfend an, beginnt mit meinen Haaren – wahrscheinlich findet er es nicht gut, dass ich sie so straff nach hinten gebunden habe – und begutachtet dann mein schlichtes Make-up – sicherlich geht er nur mit aufgestylten Instagram-Models aus –, bevor er langsam und systematisch mein Kleid in Augenschein nimmt. Ich hole tief Luft und widerstehe dem Drang, meine Arme vor der Brust zu verschränken.

Er hebt sein Kinn. »Das war umsonst, nehme ich an.«

Und ich nehme an, dass es ein fantastisches Gefühl wäre, mein Knie direkt zwischen seine Beine zu rammen. »Wunderschöne Farbe, findest du nicht auch?«

»Du siehst aus wie ein Skittle.«

»Ach Ethan, hör auf mit deinen Verführungsversuchen.«

Ein leichtes Lächeln legt sich um seine Mundwinkel. »Diese Farbe können nur wenige Menschen tragen, Olivia.«

Seinem Tonfall nach zu urteilen, gehöre ich nicht zu diesen wenigen Menschen. »Ich heiße Olive.«

Es amüsiert meine ganze Verwandtschaft ungemein, dass meine Eltern mich Olive genannt haben, anstatt mir den viel schöner klingenden Namen Olivia zu verpassen. Seit ich denken kann, nennen mich alle Onkel mütterlicherseits Aceituna, nur um sie zu ärgern.

Aber ich bezweifle, dass Ethan das weiß. Er ist einfach nur ein Arschloch.

Er wippt auf den Füßen. »Richtig, stimmt ja.«

Ich bin dieses Spielchen leid. »Okay, Spaß beiseite, ich brauche deine Rede.«

»Meinen Toast?«

»Willst du jetzt meine Wortwahl korrigieren?« Ich strecke eine Hand aus. »Zeig sie mir.«

Er lehnt sich mit der Schulter an den Türrahmen. »Nein.«

»Es ist nur zu deiner eigenen Sicherheit. Ami wird dich mit bloßen Händen umbringen, wenn du etwas Idiotisches sagst. Das weißt du.«

Ethan legt seinen Kopf schief und betrachtet mich von Kopf bis Fuß. Er ist ein Meter fünfundneunzig groß und Ami und ich … nicht. Das will ich sehen, gibt er mir ohne Worte deutlich zu verstehen.

Dane taucht hinter ihm auf und lässt augenblicklich den Kopf hängen, als er mich sieht. Anscheinend bin ich nicht der Bierbote, mit dem sie wohl beide gerechnet haben. »Oh.« Er fängt sich schnell wieder. »Hey, Ollie. Ist alles in Ordnung?«

Ich grinse ihn an. »Alles in Ordnung. Ethan wollte mir nur gerade seine Trauzeugenrede zeigen.«

»Seinen Toast?«

Wer hätte gedacht, dass diese Familie es mit Worten so genau nimmt?

»Ja.«

Dane nickt Ethan zu und deutet ins Zimmer. »Du bist dran.« Er schaut mich an und erklärt: »Wir spielen Kings. Und mein großer Bruder wird gerade fertiggemacht.«

»Ein Trinkspiel vor einer Hochzeit.« Ich lache leise auf. »Klingt nach einer vernünftigen Idee.«

»Ich bin gleich da.« Ethan grinst seinem Bruder hinterher, bevor er sich wieder zu mir umdreht. Wir stellen beide das Grinsen ein und setzen wieder unser Pokerface auf.

»Hast du überhaupt was geschrieben?«, frage ich. »Du wirst die Rede nicht aus dem Stegreif machen, oder? Das funktioniert nie. Niemand ist jemals aus dem Stegreif so witzig, wie er denkt. Vor allem nicht du.«

»Vor allem nicht ich?« Obwohl Ethan bei allen anderen Menschen um sich herum der Inbegriff von Charisma ist, verhält er sich mir gegenüber wie ein Roboter. In diesem Moment ist sein Gesicht so kontrolliert und nichtssagend, dass ich nicht weiß, ob ich ihn wirklich verletzt habe oder er von mir erwartet, dass ich etwas noch Schlimmeres sage.

»Ich bin mir nicht mal sicher, ob du witzig sein könntest …« Ich halte inne, aber wir wissen beide, dass ich den Satz auch beenden muss. »… wenn du es vorher aufschreibst.«

Er zieht eine dunkle Augenbraue nach oben. Er hat mich erfolgreich geködert.

»Okay«, brumme ich. »Schau einfach, dass du diesen Toast nicht vermasselst.« Ich blicke den Flur entlang und erinnere mich an den anderen Grund, aus dem ich noch hier bin. »Und ich nehme an, du hast schon in der Küche Bescheid gesagt, dass du kein Büfett zum Abendessen willst? Sonst kann ich es auch machen, wenn ich dort bin.«

Sein sarkastisches Grinsen wird durch einen überraschten Ausdruck ersetzt. »Das ist aber aufmerksam. Nein, ich habe noch nicht um eine Alternative gebeten.«

»Es war Amis Idee, nicht meine«, stelle ich klar. »Sie ist diejenige, die sich um deine Abneigung gegen geteiltes Essen sorgt.«

»Ich habe kein Problem damit, Essen zu teilen«, erklärt er mir. »Aber diese Büfetts sind wirklich der reinste Bakterienhain.«

»Ich hoffe wirklich, du bringst diese Einsicht irgendwie in deiner Rede unter.«

Er tritt zurück und greift nach der Tür. »Sag Ami, dass mein Toast höchst amüsant und überhaupt nicht idiotisch wird.«

Ich will was Unverschämtes erwidern, aber der einzige Gedanke, der mir durch den Kopf geht, ist, wie beleidigend es ist, dass solche Wimpern an den Boten des Teufels verschwendet wurden. Also nicke ich nur knapp und mache auf dem Absatz kehrt.

Ich zwinge mich dazu, mein Kleid beim Gehen nicht zurechtzuzupfen, während ich den Flur entlanggehe. Vielleicht bin ich paranoid, aber ich glaube, ich kann seinen kritischen Blick auf meinem engen, schimmernden Kleid spüren, bis ich bei den Aufzügen bin.

Die Hotelangestellten haben Amis Motto einer Weihnachtshochzeit im Januar wirklich ernst genommen. Zum Glück ist der Mittelgang anstatt mit roten Weihnachtsmännern in Samtmänteln und Plüschrentieren mit Kunstschnee dekoriert. Und obwohl es hier drin bestimmt vierundzwanzig Grad Celsius hat, verleiht der Gedanke an den nassen, matschigen Schnee draußen dem ganzen Raum ein Gefühl von Kälte und Zugluft. Der Altar ist mit weißen Blumen und Stechpalmenbeeren geschmückt, kleine Kiefernzweige hängen an der Lehne jedes Stuhls, und winzige weiße Lichter glitzern zwischen den Ästen. Ich muss zugeben, es ist alles sehr hübsch gemacht, aber sogar von hier hinten, wo wir uns aufgestellt haben, kann ich die kleinen Werbeetiketten an jedem Stuhl sehen, auf denen der Name der Firma steht, von der meine Schwester die Dekoration bekommen hat.

Die Hochzeitsgäste sind aufgeregt. Diego wirft verstohlene Blicke in den Bankettsaal und verrät uns die Plätze der scharfen männlichen Gäste. Jules versucht verzweifelt, die Telefonnummer von einem der Trauzeugen rauszubekommen, und Mom ist damit beschäftigt, Cami zu sagen, dass Dad sichergehen soll, dass sein Reißverschluss zu ist. Wir warten alle auf den Koordinator, der das Signal gibt, bei dem die Blumenmädchen den Gang entlanggehen.

Mit jeder weiteren Sekunde scheint mein Kleid enger zu werden.

Schließlich stellt sich Ethan neben mich, und als er erst den Atem anhält und dann langsam und kontrolliert entweichen lässt, klingt es wie ein resigniertes Seufzen. Ohne mich anzuschauen, bietet er mir seinen Arm an.

Obwohl ich dazu geneigt bin, so zu tun, als hätte ich es nicht bemerkt, hake ich mich bei ihm ein und ignoriere das Gefühl seines muskulösen Oberarms unter meiner Hand. Und das Spiel seiner Muskeln im Bizeps, als er meinen Arm an seine Seite drückt.

»Verkaufst du immer noch Drogen?«

Ich knirsche mit den Zähnen. »Du weißt, dass ich das nicht tue.«

Er wirft einen Blick nach hinten, dreht sich dann wieder um, und ich höre, wie er Luft holt, um zu sprechen, sie aber dann anhält und doch nichts sagt.

Es kann nicht um die Größe, Lautstärke oder den allgemeinen Wahnsinn unserer Familie gehen – daran hat er sich schon vor langer Zeit gewöhnt –, aber ich weiß, dass ihn irgendwas stört. Ich blicke ihn fragend an. »Was es auch ist – spuck’s aus.«

Ich bin wirklich keine gewalttätige Frau, aber beim Anblick seines gemeinen Grinsens, das auf mich gerichtet ist, wird der Drang, meine spitzen Absätze in seine polierten Schuhspitzen zu bohren, fast unerträglich.

»Es hat was mit den vielen Skittles-Brautjungfern zu tun, richtig?«, frage ich. Sogar Ethan muss anerkennen, dass es unter den Brautjungfern ein paar bemerkenswerte Körper gibt, aber trotzdem kann keine von uns diese grellgrünen Satinkleider wirklich tragen.

»Du kannst Gedanken lesen, Olive Torres.«

Ich grinse ihn ebenso sarkastisch an wie er mich. »Diesen Moment muss ich mir merken. Ethan Thomas hat sich drei Jahre nachdem wir uns kennengelernt haben, an meinen richtigen Namen erinnert.«

Er sieht wieder nach vorne, und seine Gesichtszüge werden neutral. Es fällt mir immer schwer, den spitzzüngigen, sarkastischen Ethan, mit dem ich es immer zu tun habe, mit dem gegenüber allen anderen charmanten Ethan zu vergleichen. Selbst mit dem wilden Ethan, über den sich Ami schon seit Jahren beschwert, sehe ich keine Ähnlichkeit. Unabhängig davon, dass er sich an nichts zu erinnern scheint, was ich ihm je erzähle – meinen Job, meinen Namen –, hasse ich es, dass Ethan einen schlechten Einfluss auf Dane hat. Er beschlagnahmt ihn regelmäßig für sich – für wilde Wochenenden in Kalifornien und für mit Adrenalin gefüllte Abenteuer am Ende der Welt. Natürlich überschneiden sich diese Trips zufällig mit Ereignissen, die meiner Schwester, Danes Verlobten, wichtig sind: Geburtstage, Jahrestage, Valentinstage. Letzten Februar zum Beispiel hat Ethan Dane zu einem Männerwochenende nach Vegas mitgenommen, weswegen ich mit Ami zu einem romantischen (und kostenlosen) Valentinsdinner gehen musste.

Ich habe immer gedacht, Ethans Abneigung gegen mich hat damit zu tun, dass ich Kurven habe und er mich körperlich abstoßend findet. Und dass er einfach nur ein voreingenommener, schlechter Mensch ist. Aber jetzt, da ich hier stehe und mich an seinem Bizeps festhalte, kommt mir, dass er vielleicht deswegen so ein Arschloch ist: Ethan gefällt es nicht, dass Ami einen so großen Anteil am Leben seines Bruders hat. Aber das kann er nicht offen zeigen, ohne Dane zu verletzen. Also lässt er es stattdessen an mir aus.

Diese Erkenntnis bringt mir eine kühle Klarheit.

»Sie ist wirklich gut für ihn«, sage ich jetzt und höre die beschützende Strenge in meiner Stimme.

Ich spüre, wie er zu mir herabblickt. »Was?«

»Ami«, erkläre ich. »Sie ist wirklich gut für Dane. Mir ist klar, dass du mich total abstoßend findest. Aber was auch immer dein Problem mit ihr ist, das musst du wissen. Sie ist ein herzensguter Mensch.«

Bevor Ethan antworten kann, tritt der (kostenlose) Koordinator endlich nach vorne, winkt den (kostenlosen) Musikern zu, und die Zeremonie beginnt.

Alles, was ich mir vorgestellt habe, trifft auch genau so ein: Ami sieht atemberaubend aus. Dane scheint einigermaßen nüchtern und ernst zu sein. Die Ringe werden getauscht, Ehegelübde gesprochen, und am Ende gibt es einen unangenehm leidenschaftlichen Kuss. Das war definitiv nicht kirchenwürdig, auch wenn das hier keine Kirche ist. Mom weint, Dad tut so, als weine er nicht. Und während der ganzen Zeremonie, bei der ich Amis (kostenloses) riesiges Rosenbouquet halte, steht Ethan wie eine Pappfigur da und bewegt sich nur, als er mit einer Hand in die Tasche greifen muss, um die Ringe rauszuholen.

Er hält mir seinen Arm hin, als wir den Mittelgang wieder zurückgehen, und dieses Mal ist er sogar noch steifer – als wäre ich mit Schleim bedeckt und als hätte er Angst, dass davon etwas an seinen Anzug kommt. Also lehne ich mich extra an ihn und zeige ihm dann gedanklich den Mittelfinger, als wir am Ende angelangt sind und wieder getrennte Wege gehen dürfen.

Wir haben noch zehn Minuten, bis wir uns für die Hochzeitsfotos treffen sollen, und ich werde die Zeit nutzen, verwelkte Rosenblätter von den Tischen zu nehmen. Dieses Skittle kann schon bald wieder einen Punkt auf seiner Liste abhaken. Wen interessiert es schon, was Ethan macht?

Anscheinend folgt er mir.

»Was sollte das alles?«, fragt er.

Ich werfe einen Blick über meine Schulter. »Was sollte was?«

Er nickt in Richtung des Mittelgangs. »Da hinten. Gerade eben.«

»Ah.« Ich drehe mich um und lächle ihn beruhigend an. »Ich bin froh, dass du dich traust, nach Hilfe zu fragen, wenn du so verwirrt bist. Also: Das war eine Hochzeit – eine wichtige, wenn nicht sogar vorausgesetzte Zeremonie unserer Kultur. Dein Bruder und meine …«

»Vor der Zeremonie.« Seine Stirn ist gerunzelt, und seine Hände stecken tief in den Hosentaschen. »Als du gesagt hast, dass du abstoßend seist? Und dass ich ein Problem mit Ami hätte?«

Ich starre ihn an. »Echt jetzt?«

Er blickt sich um, als bräuchte er einen Zeugen für meine Dummheit. »Ja.«

Einen Augenblick lang bin ich sprachlos. Das Letzte, was ich erwartet hätte, ist, dass Ethan eine Erläuterung unserer ständigen Welle an gehässigen Bemerkungen braucht.

»Du weißt schon.« Ich winke ab. In seinem Fokus und abseits der Zeremonie und der Energie in dem vollen Raum bin ich mir meiner Theorie plötzlich nicht mehr so sicher. »Ich glaube, dass du Ami nicht magst, weil sie dir Dane wegnimmt. Aber das kannst du natürlich nicht an ihr auslassen, ohne ihn zu verärgern. Also verhältst du dich mir gegenüber immer wie ein Arschloch.«

Als er mich einfach nur anblinzelt, fahre ich fort. »Du hast mich nie gemocht – und wir beide wissen, dass es weit über die frittierten Käsebällchen hinausgeht. Ich meine, du wolltest am vierten Juli ja nicht mal mein Arroz con Pollo essen – was okay ist, dein Pech –, aber nur, damit du es weißt: Sie ist gut für ihn.« Ich beuge mich zu ihm vor. »Sie ist großartig für ihn«, betone ich noch mal.

Ethan lacht kurz und leise auf und legt sich dann die Hand auf den Mund.

»Das ist nur eine Theorie«, weiche ich aus.

»Eine Theorie.«

»Darüber, warum du mich nicht magst.«

Er runzelt erneut die Stirn. »Warum ich dich nicht mag?«

»Wiederholst du jetzt alles, was ich sage?« Ich hole meine Liste aus meiner kleinen Handtasche hervor und wedle damit vor ihm herum. »Denn wenn es dir nichts ausmacht … Ich habe noch einiges zu erledigen.«

Er starrt mich noch ein paar Sekunden schweigend an, bevor er scheinbar mutmaßt, was ich ihm schon vor Jahren hätte sagen können: »Olive. Du klingst absolut verrückt.«

Mom drückt Ami ein Sektglas in die Hand. Offensichtlich ist es ein Punkt auf der Liste eines anderen, ihr Glas nie leer gehen zu lassen. Ich sehe sie nämlich trinken, und trotzdem ist es immer bis zum Rand gefüllt. Das bedeutet, dass die Hochzeitsfeier sich von einer perfekt getimten, ein bisschen steifen Zeremonie in eine richtige Party verwandelt. Der Lärmpegel steigt von höflich auf Verbindungsparty-Niveau. Die Leute plündern das Meeresfrüchte-Büfett, als hätten sie noch nie zuvor festes Essen gesehen. Das Tanzen hat noch nicht mal begonnen, da hat Dane bereits seine Krawatte in einen Brunnen geworfen und seine Schuhe ausgezogen. Es zeugt von Amis betrunkenem Zustand, dass ihr das egal zu sein scheint.

Als es an der Zeit für die Reden ist, ist es eine schier unlösbare Aufgabe, den Raum auch nur halbwegs leise zu kriegen. Nachdem Ethan ein paarmal erfolglos leicht mit einer Gabel gegen sein Glas geklopft hat, fängt er einfach mit seinem Toast an, egal, ob die Leute ihm zuhören oder nicht.

»Ich bin mir sicher, die meisten von euch müssen bald auf die Toilette«, beginnt er und spricht dabei in ein riesiges, flauschiges Mikrofon, »also werde ich mich kurzfassen.« Endlich verstummt die Menge, und er fährt fort. »Ich glaube nicht, dass Dane wirklich will, dass ich heute hier was sage, aber da ich nicht nur sein älterer Bruder, sondern auch sein einziger Freund bin, bleibt uns nichts anderes übrig.«

Ich kann nicht anders und gebe ein lautes Kichern von mir – was mich direkt aus der Bahn wirft. Ethan hält inne und schaut mich mit überraschtem Lächeln an.

»Ich bin Ethan«, macht er weiter, und als er eine Fernbedienung in der Nähe seines Tellers aufhebt, beginnt eine Slideshow von Ethan und Dane als Kinder, langsam über die Leinwand hinter uns zu laufen. »Bester Bruder, bester Sohn. Ich freue mich, dass wir diesen Tag nicht nur mit so vielen Freunden und Familienmitgliedern, sondern auch mit viel Alkohol feiern können. Im Ernst, habt ihr euch mal die Bar angeschaut? Jemand sollte ein Auge auf Amis Schwester haben, denn wenn sie zu viele Gläser Champagner trinkt, wird sie dieses Kleid auf keinen Fall anbehalten.« Er grinst mich frech an. »Erinnerst du dich an die Verlobungsparty, Olivia? Wenn du es nicht tust – ich schon.«

Natalie packt mich am Handgelenk, bevor ich nach einem Messer greifen kann.

Dane gibt ein betrunkenes »Ja, Mann!« von sich und lacht dann über seinen widerlichen Beitrag. Jetzt wünschte ich, es gäbe den Avada-Kedavra-Todesfluch tatsächlich. (Ich habe mein Kleid auf der Verlobungsfeier übrigens nicht wirklich ausgezogen. Ich habe den Saum nur ein- oder zweimal dazu benutzt, mir den Schweiß von den Augenbrauen zu reiben. Es war eine heiße Nacht, und Tequila bringt mich immer zum Schwitzen.)

»Wenn ihr euch einige dieser Familienfotos anschaut«, sagt Ethan und deutet hinter sich, wo der jugendliche Ethan und Dane skifahren, surfen und vor allem wie genetisch begnadete Arschlöcher aussehen, »werdet ihr sehen, dass ich der Inbegriff des großen Bruders war. Ich war der Erste, der campen gegangen ist, der Erste, der seinen Führerschein gemacht hat, der Erste von uns, der seine Unschuld verloren hat. Sorry, davon gibt es keine Fotos.« Er zwinkert der Menge charmant zu, und Gelächter tönt durch den Raum. »Aber Dane war der Erste, der seine große Liebe gefunden hat.« Die Gäste geben verträumte und bewundernde Ausrufe von sich. »Ich hoffe, ich habe eines Tages auch das Glück, eine nur halb so fantastische Frau wie Ami zu finden. Lass sie nie wieder gehen, Dane, denn keiner von uns hat auch nur den Hauch einer Ahnung von dem, was in ihrem Kopf vorgeht.« Er greift nach seinem Scotch, und fast zweihundert Arme erheben ebenfalls ihre Gläser zu einem Toast. »Gratuliere, ihr zwei. Auf euch!«

Er setzt sich wieder und schaut mich erwartungsvoll an. »War das gut genug für nicht-aus-dem-Stegreif?«

»Es war halb charmant.« Ich werfe einen Blick über seine Schulter. »Draußen ist es noch hell. Dein inneres Monster schläft wahrscheinlich noch.«

»Komm schon«, sagt er. »Du hast gelacht.«

»Zu unser beider Überraschung.«

»Na gut, jetzt bist du dran, es besser zu machen«, sagt er und bedeutet mir, aufzustehen. »Ich weiß, das ist viel verlangt, aber versuche, dich nicht zu sehr zu blamieren.«

Ich greife nach meinem Handy, wo ich meine Rede gespeichert habe, und versuche, die Unsicherheit in meiner Stimme zu verbergen, als ich sage: »Halt die Klappe, Ethan.« Dann stehe ich auf.

Toll, Olive.

Er lacht, als er sich im Stuhl zurücklehnt und einen Bissen von seinem Hähnchen nimmt.

Ein tosender Applaus erklingt im Bankettsaal, als ich aufstehe und mich den Gästen zuwende.

»Hallo zusammen!«, sage ich, und alle im Raum zucken zusammen, als das Mikrofon schrill quietscht. Ich entferne das Mikro ein bisschen von meinem Mund und deute mit verlegenem Lächeln auf meine Schwester und meinen frischgebackenen Schwager. »Sie haben es getan!«

Alle klatschen, als Ami und Dane sich zärtlich küssen. Ich habe sie vorhin beim Tanzen zu Amis Lieblingslied – Peter Ceteras »Glory of Love« – beobachtet und versucht, Diegos stechende Blicke zu ignorieren, damit er ohne Worte mit mir über Amis berüchtigt schlechten Musikgeschmack lästern kann. Diese perfekte Szene vor mir hat mich wirklich eingenommen: meine Zwillingsschwester in ihrem wunderschönen Hochzeitskleid, ihre Haare, die mittlerweile durch die Zeit und die Bewegungen weicher geworden sind, ihr süßes, glückliches Lächeln.

Tränen treten mir in die Augen, als ich meine App mit der Rede öffne.

»Für diejenigen unter euch, die mich nicht kennen: Nein, ihr seht noch nicht doppelt. Ich bin die Zwillingsschwester der Braut. Mein Name ist Olive, nicht Olivia« – ich werfe Ethan einen tadelnden Blick zu – »Lieblingsschwester, Lieblingsschwägerin. Als Ami Dane kennengelernt hat …« Dann halte ich inne, als eine Nachricht von Natalia auf meinem Display erscheint und meine Rede stört.

Nur zu deiner Information: Deine Brüste sehen dort oben fantastisch aus.

Sie hält mir aus dem Publikum einen Daumen hoch, und ich wische ihre Nachricht weg.

»… hat sie auf eine Art und Weise über ihn gesprochen, wie ich sie noch nie …«

Welche BH-Größe trägst du gerade?

Ebenfalls von Natalia.

Ich versuche, sie zu ignorieren und mich wieder zu sammeln. Echt jetzt, wessen Familie textet jemandem, der gerade offensichtlich eine Rede von seinem Handy abliest? Logisch – meine Familie.

Ich räuspere mich. »Sie hat auf eine Art und Weise über ihn gesprochen, wie ich sie noch nie zuvor über jemanden habe sprechen hören. Da war was in ihrer Stimme …«

Weißt du, ob Danes Cousin Single ist? Oder sein könnte … ;)

Ich werfe Diego einen warnenden Blick zu und wische die Nachricht aggressiv weg.

»… was in ihrer Stimme, das mir gesagt hat, dass es diesmal anders ist. Dass sie diesmal anders fühlt. Und ich …«

Zieh nicht so ein Gesicht. Du siehst aus, als hättest du Verstopfung.

Meine Mutter. Natürlich.

Ich wische auch diese Nachricht weg und fahre fort. Neben mir verschränkt Ethan lässig seine Hände hinter dem Kopf, und ich kann sein selbstgefälliges Grinsen spüren, ohne ihn anschauen zu müssen. Ich mache weiter – denn diese Runde darf er nicht gewinnen –, aber schaffe nur zwei weitere Wörter, bevor ich vom Klang eines entsetzten, schmerzverzerrten Stöhnens unterbrochen werde.

Alle Gäste schauen nun zu Dane, der sich gekrümmt den Bauch hält. Ami hat gerade noch genug Zeit, ihm beruhigend eine Hand auf die Schulter zu legen und sich besorgt zu ihm zu drehen, bevor er seine Hände über den Mund schlägt und durch die Finger über meine Schwester und ihr wunderschönes (kostenloses) Hochzeitskleid kotzt.