The Runaway - Martina Cole - E-Book
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The Runaway E-Book

Martina Cole

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Beschreibung

Was tust du, wenn der Mensch, dem du am meisten vertraust, Schreckliches von dir verlangt? Sie ist noch ein Kind, doch ihre Augen sind die einer Erwachsenen, die zu viel durchmachen musste … Die junge Cathy und ihr Freund Eamonn gehen durch dick und dünn. Das müssen sie auch, denn sie wachsen in einer harten Realität auf, in der Misshandlungen an der Tagesordnung sind. Als ihre Lage unerträglich wird, flüchten sie sich in ein Leben auf der Straße. Doch während Cathy Glück hat, eine Art neue Familie findet und sich in den Clubs von Soho schließlich ein erfolgreiches Leben erarbeitet, verschlägt es Eamonn nach New York, in die Klauen der dort ansässigen Gangs. Jahre später kehrt er zurück nach London – und droht, Cathy wieder mit sich in den Abgrund zu zerren … »Kraftvoll und unglaublich spannend. Martina Coles Figuren sind unvergesslich.« Mirror Als Kind geht sie durch die Hölle, als Erwachsene holt ihre Vergangenheit sie ein – psychologische Spannung der Bestsellerautorin für Fans von Catherine Shepherd. »Das Buch war packend bis zur letzten Seite und es ist mir schwergefallen, es aus den Händen zu legen. Top Thriller-Drama!« dorothea auf Amazon.de

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Seitenzahl: 898

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Sie ist noch ein Kind, doch ihre Augen sind die einer Erwachsenen, die zu viel durchmachen musste … Die junge Cathy und ihr Freund Eamonn gehen durch dick und dünn. Das müssen sie auch, denn sie wachsen in einer harten Realität auf, in der Misshandlungen an der Tagesordnung sind. Als ihre Lage unerträglich wird, flüchten sie sich in ein Leben auf der Straße. Doch während Cathy Glück hat, eine Art neue Familie findet und sich in den Clubs von Soho schließlich ein erfolgreiches Leben erarbeitet, verschlägt es Eamonn nach New York, in die Klauen der dort ansässigen Gangs. Jahre später kehrt er zurück nach London – und droht, Cathy wieder mit sich in den Abgrund zu zerren …

Über die Autorin:

Martina Cole ist eine britische Spannungs-Bestsellerautorin, die bekannt für ihren knallharten, kompromisslosen und eindringlichen Schreibstil ist. Ihre Bücher wurden für Fernsehen und Theater adaptiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Martina Cole hält regelmäßig Kurse für kreatives Schreiben in britischen Gefängnissen ab. Sie ist Schirmherrin der Wohltätigkeitsorganisation »Gingerbread« für Alleinerziehende und von »Women's Aid«.

Die Website der Autorin: martinacole.co.uk/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/OfficialMartinaCole/

Bei dotbooks veröffentlichte Martina Cole »Die Gefangene«, »Die Tochter«, »Kidnapped«, »Perfect Family«, »The Runaway«, »Eine irische Familie«, »Die Ehre der Familie«, und »Die Abgründe einer Familie«.

***

eBook-Neuausgabe Februar 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 1997 unter dem Originaltitel »The Runaway« bei Headline Book Publishing, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Die Aufsteigerin« bei Heyne.

Copyright © der englischen Originalausgabe 1997 by Martina Cole

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © Ya Ali Madad / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (mm)

ISBN 978-3-98952-505-4

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

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Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: info@dotbooks.de. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

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Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an info@dotbooks.de.

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Martina Cole

The Runaway

Thriller: Du fliehst. Du kannst ihnen nicht entkommen.

Aus dem Englischen von Teja Schwaner

dotbooks.

WIDMUNG

Für D

Wie immer in Liebe

M

In liebender Erinnerung an Michael James Williams,

der nie vergessen sein wird

»Non omnis moriar.«

»Ganz sterbe ich nie.«

– Horaz, carmina 3, 30

Stets in euren Herzen, stets in eurem Sinn.

Deswegen kann er niemals fern von euch sein.

Für Zena und Maurice, in Kummer und Liebe

PROLOG

LONDON, 1995

»Meinen Sie, dass sie durchkommt?«

Tiefe Sorgenfalten zerfurchten das frühzeitig gealterte Gesicht des Polizisten. Auf seinem kahlen Schädel schimmerte ein leichter Schweißfilm.

Der junge Arzt zuckte die Achseln. »Ich bin mir nicht sicher, ob es in ihrem Sinne wäre. Allein ihr Gesicht haben wir mit über zweihundert Stichen nähen müssen. Ihre Nase war vollständig zertrümmert, und wir mussten an der Stelle operieren, wo man ihr den Schädel eingeschlagen hat. Sie müsste tot sein, denn eigentlich kann jemand, der so misshandelt wurde, gar nicht überleben. Und doch atmet sie, ihr Zustand ist stabil, ihre Vitalfunktionen sind gut, und die Knochen beginnen zu heilen. Solange sie jedoch nicht aus dem Koma erwacht – natürlich gesetzt den Fall, dass dies jemals geschieht –, können wir nicht feststellen, ob sie bleibende Hirnschäden davongetragen hat oder nicht. Wer auch immer ihr das angetan hat ... Nennen wir’s beim Namen: Sie wurde in Streifen geschnitten – eine Brust praktisch abgetrennt. Es kann nur ein Wahnsinniger gewesen sein, der ihr das angetan hat. Mir ist so was noch nicht zu Gesicht gekommen.«

Er sah hinunter auf die Patientin, auf die Nähte, die kreuz und quer über ihr übel zugerichtetes, angeschwollenes Gesicht verliefen, das sich wie eine furchterregende Maske vom weißen Kopfkissen des Krankenhausbettes abhob. Mit einer Frau hatte dieses Wesen keine Ähnlichkeit mehr, vielmehr schien es einem Horrorfilm entsprungen.

Das Surren der Apparate an ihrem Bett durchbrach die Stille, und der junge Arzt seufzte leise, beinahe unhörbar.

»Wissen Sie, wer das getan hat?«

Der Polizist nickte. »Sagen wir mal, ich kann mir recht gut denken, warum man sie zusammengeschlagen hat, und das ist doch ein Anfang, oder? Zu beweisen, dass der Dreckskerl ein Motiv hatte, wird ein hartes Stück Arbeit. Und ihn festzunageln, das wird noch schwieriger sein.«

Er riss sich vom Anblick der Frau los und sah dem Arzt in die Augen. »Sie war eine sehr schöne Frau, ja, das war sie, meine Cathy. Nicht auf den ersten Blick, aber sie hatte Klasse. Hatte so was an sich. Wissen Sie, was ich meine?« In der Stille der Intensivstation klang sein Cockney-Akzent besonders schroff.

Der Arzt lächelte schwach. »Sie kennen sie also?«

Jetzt lächelte der Polizist, traurig und wehmütig. Seine Miene entspannte sich, und für einen kurzen Moment sah der Arzt einen ehemals attraktiven Mann mit markanten Gesichtszügen vor sich.

»Ja, kann man wohl sagen. Jeder im Westend kannte Cathy, auf die eine oder andere Art. Unsere Wege kreuzten sich vor über zwanzig Jahren, kurz bevor sie nach Soho kam. Sie hat einen langen Weg hinter sich gebracht seit damals, einen sehr langen.«

Er hielt inne, als habe er vergessen, dass der Arzt noch immer da war. »Ja, einen verdammt langen Weg. Gott sei ihr gnädig.«

Zärtlich streichelte er ihren dünnen Arm. »Ihr gehört das Dukes – Sie wissen schon, die große Revuebar in Soho. Wo die Großen und die Guten sich zusammen mit den Nicht-so-Großen und Nicht-so-Guten tummeln. Aber bei alledem ist es doch ein anständiges Lokal. Die Touristen lieben es, besonders die deutschen. Männer in Frauenkleidern sind die große Attraktion. Es ist das La Cage von Soho, und die kleine Lady hier war die Seele des Geschäfts. Cathy hatte nur das Problem, dass sie die Vergangenheit nicht hinter sich lassen konnte. Die blieb ihr immer auf den Fersen, und das ist jetzt das Resultat.«

Der Arzt hörte den Mann schlucken, wusste, dass er gegen die Tränen ankämpfte. Also sah er weiterhin nur die Frau an.

»Schlecht war sie nicht, meine Cathy. Glauben Sie mir. Wirklich nicht. Sie wollte sich einfach nicht unterkriegen lassen. Sie wollte überleben und tat, was nötig war, um es zu schaffen. Es ging immer nur ums Überleben. Sonst hat sie sich nichts zuschulden kommen lassen.«

Der Arzt fasste die Schulter des Polizisten und sagte aufmunternd: »Also, hoffen wir, dass sie das hier überlebt, hm?« Aber in seiner Stimme schwang nicht viel Hoffnung mit. Insgeheim bezweifelte er sogar, dass die Frau je wieder die Augen öffnen oder gar jemanden erkennen würde. Um ihrer selbst willen hoffte er sogar, dass es nicht geschah, denn die Schläge hatten sie so zugerichtet, dass außer ihrer Haarfarbe nichts mehr da war, woran man hätte erkennen können, wie sie einmal ausgesehen hatte.

»Im Grunde hatte sie nie eine Chance«, sagte der Polizist leise. »In Soho sterben die Frauen normalerweise an Alkohol oder Drogen. Oft endet es aber auch wie hier, misshandelt und geschlagen in einem Krankenhauszimmer, allein.« Er hielt einen Augenblick inne, bemüht, seine Fassung zu gewinnen, bevor er den Arzt direkt ansah. »Ich habe sie auf meine Weise geliebt, und zwar seit dem ersten Tag, an dem ich sie sah, allein und verängstigt, noch ein Kind. Ich habe sie geliebt.«

Dann ging er aus dem Zimmer wie ein alter Mann, langsam und gramgebeugt.

Für den unwahrscheinlichen Fall, dass die Patientin zu sich kam und sogar sprach, setzte sich eine junge Polizistin an deren Bett, um jedes Wort zu notieren. Bewaffnete Posten wachten rund um die Uhr draußen vor der Tür.

»War das Ihr Boss?« Der Arzt sprach leise, als sei der Tod gegenwärtig.

Die junge Rothaarige grinste verschmitzt, höchst erfreut, dass der attraktive junge Mediziner mit den dunklen Augen Notiz von ihr nahm.

»Mein Boss, genau. Das war Chief Inspecter Richard Gates, Leiter der Sittenpolizei.«

NEW YORK

Der Mann schaute aus seinem Bürofenster und reagierte einmal nicht elektrisiert auf den Anblick der Skyline. Normalerweise weckte diese Aussicht eine bis in den Unterleib spürbare Erregung, die euphorische Genugtuung, dass er, Eamonn Docherty, Straßenrowdy aus London, es zum angesehenen Geschäftsmann gebracht hatte, der in einem Büro von der Größe eines Tennisplatzes residierte und an einem Tisch saß, der aussah, als würde er ins Victoria und Albert Museum gehören und nicht ins zweiundachtzigste Stockwerk des Plaza Tower, einer seiner zahlreichen Immobilien.

Zum zehnten Mal an diesem Morgen nahm er das Telefon zur Hand und tippte die Nummer ein. Der Wählton schrillte laut in seinem Ohr, als würde er im Feinkostgeschäft um die Ecke anrufen und nicht in London. Er legte auf, als der Anrufbeantworter ansprang und eine Frauenstimme ihren aufgezeichneten Ansagetext begann.

»Scheiße, wo ist sie denn bloß?«

Die Worte waren an niemanden gerichtet, und seine Stimme hallte laut in der Stille des Büros. Er stand auf, ging hinüber zur gläsernen Wand und sah hinaus, ohne etwas wahrzunehmen. Dann schloss er die Augen und rief sich ins Gedächtnis, wie er als junger Mann den ersten Blick auf Amerika geworfen hatte.

Sein Vater, Eamonn Docherty Senior, war betrunken und schnarchte neben ihm auf dem Boot, als sie den Hudson erreichten und vor sich die Freiheitsstatue in ihrer ganzen Pracht aufragen sahen. Anders als ihre Vorfahren erwartete sie kein Ellis Island. Sie waren illegal auf einem englischen Containerschiff ins Land gebracht worden. Ein Freund eines Freundes hatte das arrangiert – wie sein Vater es am liebsten ausdrückte.

Eamonn Junior hatte einen Mord begangen, der ihn sein Leben lang belastete. Er hatte aus dem East End verschwinden müssen, und sein Vater hatte dafür gesorgt, dass sie zusammen fortgehen konnten.

Es war das einzige Mal in seinem Leben, dass sein Vater ihm aus der Patsche geholfen hatte.

Es dauerte kein Jahr, da verlor er seinen Vater und blieb auf sich allein gestellt. Mit gerade achtzehn Jahren musste er das Beste aus seinem Leben in der Neuen Welt machen. Und so ereignisreich, verdorben und gewalttätig es auch gewesen sein mochte, es hatte ihn hierher in den Plaza Tower gebracht.

Er hatte dafür gearbeitet, hatte jeden und alles benutzt, um es so weit zu bringen. Sogar Cathy, seine Cathy, wie er sie in Gedanken stets nannte. Auf ewig die Seine.

Das Telefon klingelte, und das plötzliche Geräusch schreckte ihn auf. Das Herz schlug ihm bis zum Hals. Sein Privatanschluss.

Jetzt, da das Telefon läutete, scheute er sich, den Hörer abzunehmen, fürchtete er sich vor dem, was er hören würde.

Denn insgeheim wusste er sehr genau, was er hören würde.

Die Stimme am anderen Ende war unverkennbar, eine leicht raue Frauenstimme, wie sie allein Transvestiten kultivieren können: weiblicher als die von Elizabeth Taylor, männlicher als seine eigene.

»Mein Gott, Eamonn, sie stirbt! Cathy stirbt! Bitte komm! Bitte. Ich weiß nicht, was ich machen soll ... Sie haben sie zerfleischt. Vor lauter Nähten kann man ihr Gesicht kaum mehr erkennen! O mein Gott, lieber Gott, hilf, dass ihr jemand ...«

Eamonn vergrub den Kopf in den sorgfältig manikürten Händen und weinte. Er hatte gedacht, auf die Nachricht vorbereitet gewesen zu sein, aber das war er nicht. Er war ganz und gar nicht darauf vorbereitet.

Er hatte etwas in Gang gebracht, und jetzt wusste er nicht, wie er es beenden sollte.

ERSTES BUCH

»Wir müssen dem Weg folgen, der zu unseren Ängsten fuhrt.«

– John Berryman (»A Point of Age«), 1914-1972

»Quem Jupiter vult perdere, dementat prius.«

»Wen Gott zerstören will, dem schickt er erst den Wahnsinn.«

– James Duport (Homeri Gnomologia), 1606-1679

»Eines ist ganz sicher –

die Reichen werden reicher

und die Armen kriegen Kinder.«

– Gus Kahn, 1886-1941

und Raymond B. Egan, 1890-1952

(»Ain’t we got fun«, 1921)

Kapitel eins

JANUAR 1960

»Ich will da nicht rein. Er geht doch gleich auf uns los.«

Cathy seufzte tief und strich dem Jungen eine Strähne aus der Stirn. »Und wo sollen wir sonst hin, Schlauberger?«

»Können wir nicht nach nebenan, Cath?« Eamonns Stimme klang weinerlich, und sie schüttelte langsam den Kopf.

Mrs. Sullivan wohnte direkt neben ihnen im zweiten Stock. Sie war eine grundgütige Seele und bot den Kindern stets Zuflucht, wenn zwischen deren Eltern Streit entbrannt war – was sehr häufig geschah. Eamonn Docherty Seniors erboste Stimme drang durch die Eingangstür, vor der sie standen, und immer wieder durchbrach Madge mit ihrem Kreischen seine wütende Tirade.

»Wir dürfen sie nicht verarschen. Wenn wir sie nämlich mal wirklich brauchen, schickt sie uns zum Teufel. Also, ich sag dir ...«

Die Tür wurde aufgerissen, und Madge Connor stand in ihrer ganzen imponierenden Stattlichkeit vor ihnen. Ihr 100- Kilo-Leib war in einen gesteppten rosa Hausmantel gehüllt, das Make-up in ihrem breiten Gesicht verschmiert. Nur die Zigarette zwischen ihren geschwollenen Lippen bewegte sich, tanzte auf und nieder. Aus zusammengekniffenen Augen starrte sie die Kinder an und fauchte schließlich mit einer Stimme, die Glas hätte schneiden können: »Kommt ihr tatsächlich noch mal nach Hause, ihr faules Pack! Rein mit dir, Eamonn, und bring deinen Alten zur Ruhe! Der ist mal wieder auf der Zinne!«

Cathy hörte, dass Eamonn Senior irgendwas von Irland brüllte, und nachdem Eamonn Junior hineingegangen war, schloss sie ganz fest die Augen.

Sie hatte sich immer gefragt, wie es wohl sein mochte, wenn man einen Vater hatte, aber nach zwei Jahren Zusammenleben mit Eamonn Senior war sie froh, nur mit ihrer Mutter fertigwerden zu müssen. Doch die beiden Erwachsenen bescherten Cathy und Eamonn einen nie endenden Alptraum. Entweder küssten oder prügelten sie sich. Eine entspannte, glückliche Zeit dazwischen gab es nicht. Beim Betreten der Wohnung schlug ihr der gewohnte Mief entgegen: Bratenfett und Katzenpisse, vermischt mit dem allgegenwärtigen Geruch aus offenen Bierflaschen. Mit diesem Geruch würde sie nie zurechtkommen. Er brannte ihr in der Nase und im Rachen, er schlug ihr jedes Mal auf den Magen und verdarb ihr die Laune. Der Gestank der Armut.

Als sie den winzigen Vorraum betrat, löste der Liebhaber ihrer Mutter seinen Gürtel. Sein massiger Körper, an dem kein Gramm überflüssiges Fett war, wirkte furchteinflößend. Alles an Eamonn war gewaltig, von den Füßen, Schuhgröße 46, bis zu den riesigen blauen Augen, und die animalische Kraft und Schläue, die er ausstrahlte, ließ Männer geringerer Größe schon verzagen, bevor er noch ein Wort an sie gerichtet hatte.

»Ich hack euch die verdammten Beine ab, ihr Dreckspatzen. Ich schreib mir eure Namen in mein Buch rein und streich sie gleich durch. Wie gefällt euch das?«

Cathy seufzte erleichtert. Die blauen Augen zwinkerten ihr jetzt zu, sein Wutanfall schien vorüber, und weil er genug getrunken hatte, war sein ungezügelter Zorn beschwichtigt und einer grenzenlosen Zufriedenheit mit sich und der Welt gewichen. Er hatte seinen Lieblingswitz gemacht, einen alten IRA-Spruch aus den Tagen der Freiheitskämpfer. Anscheinend schreiben sie Namen in ihr Notizbuch, und wenn man sie durchstrich, wurden die Betreffenden bei Tagesanbruch erschossen.

Cathy griente, als sie den großen Mann brüllen hörte. »Bei Tagesanbruch erschossen, beide. Wie gefällt euch das, äh?«

Er senkte sein riesiges Gesicht ihnen entgegen, und sein Herz schien bersten zu wollen vor lauter Liebe zu den beiden Kindern, besonders zu dem Sohn, der seinen Namen trug, seinem einzigen Kind.

»Chips hättet ihr gerne?« Er lächelte. Ein breites Grinsen, das eine Menge Zähne zeigte, sein Gesicht an all den richtigen Stellen mit Lachfalten überzog und jedem augenfällig machte, was die Frauen an ihm fanden. Denn Frauen liebten Eamonn Docherty – und zwar schon immer.

Zumindest eine bestimmte Sorte Frauen.

Madge Connor, in deren Gesicht die Verblüffung stand, schüttelte ungläubig den Kopf. »Man weiß doch nie, was der Arsch vorhat. Nie weiß man das nicht.« Sie sprach mit breitem Cockney-Akzent, eine Spur Stolz im rauen Ton. Dieser Raufbold, dieser Säufer und Hurenbock, dieser mächtig große Kerl, mit dem sie in wilder Ehe lebte, blieb ihr ein Rätsel. Und gerade das machte ihn so anziehend, wie sie sich in nüchternen Momenten eingestand.

»Ich muss mich langsam fertig machen und zur Arbeit. Cathy, tu mir einen Gefallen, Kleine. Bügel mir das rote Kleid.«

Cathy ging in die Kochnische, stöpselte das Bügeleisen ein und breitete das sauberste Handtuch, das sie finden konnte, auf dem Tisch aus. Sie handelte ganz automatisch. In diesem Haushalt widersetzte man sich keinem Befehl, auch nicht, wenn er sich anhörte wie eine Bitte. Wenn man die Nacht überstehen wollte, sprang man unverzüglich, wenn es hieß »Spring!«. So einfach war das.

Zwanzig Minuten später, nach einer Katzenwäsche und nachdem sie ihr Make-up vom Vortag mit einer dicken Schicht Schminke übertüncht hatte, war Madge in ihrem roten Kleid, das aus allen Nähten zu platzen drohte, fertig zum Arbeitsantritt. Sie kämmte sich das Haar noch ein letztes Mal nach hinten, sah ihre Tochter an und sagte sanft: »Wie seh ich aus, Liebes?«

Cathy lächelte das Zahnlückenlächeln einer weisen Siebenjährigen und sagte ehrlich heraus: »Du siehst hübsch aus, Mum. Richtig schön.«

Das war die gewünschte Antwort.

»Hol meine Tasche aus dem Schlafzimmer.«

Cathy trollte sich und grinste Eamonn zu, der jetzt auf dem Schoß seines Vaters saß und in einer großen Handvoll Kleingeld nach Münzen für Chips kramte.

Sie sahen einander in die Augen, erleichtert und ergriffen von kindlicher Freude über diese unerwartete Wendung. Normalerweise war der Mittwoch ein unberechenbarer Tag für die Kinder. Zur Mitte der Woche pleite und streitlustig, waren beide Elternteile im Allgemeinen übelgelaunt, wenn die Kinder aus der Schule kamen. Heute jedoch waren sie aus unerfindlichen Gründen gut gelaunt. Und wenn die Erwachsenen gute Laune hatten, waren die Kinder schier aus dem Häuschen.

Wann war je an einem Mittwoch die Rede von Chips gewesen?

Cathy kam mit der perlenbesetzten Tasche ihrer Mutter in die Küche zurückgehüpft. »Danke. Und du hast auch alles schön aufgeräumt, wenn ich heute Abend wiederkomme, hm?«

Cathy nickte feierlich.

Madge presste die Wange an die ihrer Tochter und lachte leise. Ihr Atem roch säuerlich nach billigem Scotch und Zwiebeln und traf Cathys empfindliche Nase wie der Verwesungsgestank eines schon seit Tagen toten Hundes.

»Ich bring dir auch ein paar Chips mit, was sagst du?«

Cathy nickte, darauf bedacht, nur nicht den Mund zu öffnen und den fiesen Geruch in ihren Körper zu lassen.

Es klopfte an der Tür, und sie nutzte das als Vorwand, um zu entkommen. Es würde Betty sein, die Freundin ihrer Mutter. Die beiden arbeiteten gemeinsam in einer kleinen Pinte in Custom House, wo sie ausländischen Seeleuten Drinks servierten und auch sonst noch gewährten, worauf die Seeleute aus waren. In Gegenwart von Eamonn Senior wurde darüber jedoch nie gesprochen, es sei denn, er selbst brachte das Thema auf. Obwohl er doch trank und aß, was das so verdiente Geld auf den Tisch brachte, und die beiden Frauen manchmal sogar zur Arbeit fuhr, tat er so, als wisse er von nichts. Bis er dann mal wieder, zweimal im Monat oder so, beschloss, Madge windelweich zu prügeln, um seinen Standpunkt klarzumachen. Und der war, dass er als Mann an dem Arrangement keinen Gefallen fand.

Betty stolzierte in den kleinen Flur, eine wandelnde Max-Factor-Reklame im Mantel aus Biberlamm.

»Hallo, kesse Cathy!« Die dröhnende Stimme passte nicht recht zur schlanken Gestalt. Betty Jones war so dünn, dass es bereits an Auszehrung grenzte, besaß aber die Konstitution eines Ackergauls, wie sie jedem erzählte, der es hören wollte. Sie drückte Cathy ein Dreipennystück in die Hand und zwinkerte ihr zu.

Cathy betete Betty an. Eamonn Junior betete Betty an. Eamonn Senior hasste sie, und das beruhte auf Gegenseitigkeit.

Madge eilte in den Flur und streifte dabei ihren Kaninchenfellmantel über. Der wies zwar schon hier und da kahle Stellen auf, war aber bei dem Schnee, der jetzt lag, auf alle Fälle wärmer als die Leinenjacke, die sie sonst trug.

»Mädchen, der Mantel löst sich doch gleich in Wohlgefallen auf! Dein Kerl müsste mal einen neuen spendieren. Der rührt doch sonst keinen verfluchten Finger. Da soll er dich wenigstens einkleiden.«

Eamonn Junior kniff ängstlich die Augen zu. Er spürte, wie sein Vater sich bei Bettys Worten verkrampfte. Ihre Stimme wirkte auf seinen Vater wie ein rotes Tuch auf einen Stier, und als der Mann aufstand und ihn ohne alle Umschweife zu Boden fallen ließ, rollte sich Eamonn schnellstens aus dem Weg.

Betty und Madge waren auf dem Weg zur Wohnungstür, als ihnen die polternde Stimme Einhalt gebot.

»Was hab ich dir gesagt von wegen hier bei mir zu Hause aufzutauchen?«

Betty zog ihren Mantel wie zur Abwehr um sich. »Redest du mit mir?« Ihre Stimme klang herausfordernd und streitlustig.

»Gibt es noch ein anderes Stück Scheiße, das ich meinen könnte?« Eamonn Senior sprach beherrscht und eiskalt. Er stand inzwischen im Türrahmen des Vorderzimmers.

»Du machst mir keine Angst, Kumpel, hast du noch nie gemacht. Wenn du Manns genug wärst, würdest du für die Kinder hier sorgen, und deine Alte müsste nicht ihren Arsch in metertiefem Schnee verhökern! Du imponierst mir nicht, Mister Docherty. Hier gibt es nur ein Stück Scheiße, und das hab ich direkt vor der Nase!«

Das Gesicht des Mannes war inzwischen vor Wut dunkelrot angelaufen, und als er einen Schritt vorwärts machte, stemmte Madge sich ihm entgegen. Vergeblich.

»Lass gut sein, Eamonn. Du kennst doch Betty, ist doch nur heiße Luft. Sie hat was getrunken und ...«

Er schleuderte Madge gegen die Wand, so dass sie ihr Gleichgewicht verlor. Cathy stellte sich vor Betty, als der große Kerl auf sie zu trat. Betty grinste aufreizend und stichelte weiter.

»Na, komm schon, schlag mich doch. Frauen zu schlagen, darauf verstehst du dich doch, oder? An Männer traust du dich nicht ran. So groß du bist, Männer schlägst du nicht, oder?«

Cathy schob Betty zur offenen Eingangstür. Kalte Luft strömte herein, und im kleinen Flur herrschte Eiseskälte.

»Geh raus, Betty! Mach keinen Ärger mehr.«

Sie drehte sich um und warf sich gegen die Beine des großen Mannes. Der hob sie mit einem Arm in die Höhe und streckte Betty einen bebenden Finger entgegen.

»Warte nur, eines schönen Tages, Lady, dreh ich dir den Hals um.«

Betty lachte laut und höhnisch. Sie verstand sich perfekt darauf, Eamonn Docherty zur Weißglut zu bringen. »Verpiss dich bloß, du irischer Loddel!«

Unsanft stieß Madge ihre Freundin zur Tür hinaus. »Schluss jetzt damit, Betty. Du weißt doch, ich muss das ausbaden.«

»Komm du mir nach Hause, Lady.«

Madge sah dem großen Mann ins Gesicht und nickte.

Der junge Eamonn zog seinen Vater zurück ins Vorderzimmer, und im schmalen Flur legte sich die aggressive Stimmung.

Madge zog die Eingangstür hinter sich zu. »Verdammt noch mal, vielen Dank auch, Betty. Das wird was setzen. Bist du zufrieden? Da hast du mir ‘ne anständige Tracht Prügel verschafft.«

Bekümmert schüttelte Betty den Kopf, ihr gelb gefärbter Haarschopf steif wie ein Brett vom angetrockneten Zuckerwasser. »Tut mir ja leid, Madge, aber du weißt ja, was ich von ihm halte – nichts als ein Loddel ist er.«

Madge lächelte schwach. »Das brauchst du mir nicht zu erzählen, Betty, aber er ist mein Loddel!«

Grinsend stöckelten die beiden Frauen in ihren für die Witterungsverhältnisse völlig ungeeigneten, aber für ihre Arbeit obligatorischen Stilettos über die Fliesen in Richtung Treppe. Kichernd wie Schulmädchen stiegen sie die Treppen hinunter, zwei alternde Dirnen, die glaubten, dass sie immer noch was hermachten.

Cathy und Eamonn lagen mit verschränkten Armen im Dunkeln beieinander. Mit seinen zehn Jahren war er viel größer als sie, doch sie hatte ihm etwas voraus: Cathy war erst sieben, aber die geborene Diplomatin.

Als die Wohnung aufgeräumt war, hatten sie alle gemeinsam Chips und Zervelatwurst gegessen und dazu heißen süßen Tee aus Bechern getrunken. Dann hatte Cathy für sie beide als Betthupferl Milchstullen gemacht.

Eamonn war um halb neun in den Pub gegangen, und danach hatten die beiden Kinder erstmal ihre Ruhe. Das allgegenwärtige Gefühl drohender Gefahr war mit ihm verschwunden. Jetzt hatte seine Rückkehr sie geweckt, und im schummrigen Licht der Straßenlaterne warteten sie mit angehaltenem Atem darauf, dass er einschlief. Sie fanden nachts erst dann Ruhe, wenn sie ihn schnarchen hörten. Bis er das tat, konnte alles Mögliche geschehen, und häufig tat es das auch.

Sie hörten, wie eine Tasse zerschmettert wurde, und mit einem Stoßseufzer glitt Cathy aus dem Bett.

»Geh nicht, Cathy, lass ihn bloß.«

Sie zog einen schmutzigen Morgenmantel über. Im Zimmer war es eiskalt, und ihr Atem gefror zu kleinen Wolken, als sie sprach. »Du bleibst hier und hältst dich schön warm, in Ordnung? Ich mach ihm sein Bovril und bring ihn ins Bett. Sonst kommt keiner von uns zum Schlafen.«

Der große Mann stand in der kleinen Küche. Er hatte nur Unterhemd und Unterhosen an und kratzte sich den Bauch. Er hatte große Mühe, auf die Porzellanscherben zu seinen Füßen zu achten, und sein alkoholisierter Körper reagierte kälteresistent.

Cathy hob die zerbrochene Tasse auf. Schnell und geschickt warf sie die Scherben in den Mülleimer, nahm den Mann bei der Hand und führte ihn ins Vorderzimmer. Er ließ sich schwerfällig auf das ramponierte Sofa sacken.

»Bist ein gutes Mädchen. Und wo steckt mein Junge?« Seine missgelaunte Frage bedurfte keiner Antwort, und Cathy gab ihm auch keine. Stattdessen schlüpfte sie in die Küche und setzte Wasser für seine allabendliche Fleischbrühe auf. Egal wie betrunken er war, Eamonn Docherty brauchte sein Bovril, andernfalls konnte er nicht schlafen. Cathy wusste aus Erfahrung, dass es klüger war, ihm die Brühe zu machen, zuzuschauen, wie er sie austrank, und ihn anschließend ins Bett zu bringen, auch wenn sie ihre müden Augen kaum mehr aufhalten konnte und es sich anfühlte, als hätte man heißen Sand hineingestreut.

Als sie ihm seinen Trunk brachte, nahm er ihn dankbar an.

»Du bist ein gutes kleines Mädchen, stimmt’s? Mein Püppchen! Komm zu mir auf den Schoß, Kind.«

Cathy schüttelte abwehrend den Kopf. »Sie können nicht beides halten, mich und den Becher. Trinken Sie Ihr Bovril, Mister Docherty.«

Eamonn blickte unter schweren Lidern hervor und musterte sie. Cathy war so winzig, wie sie da auf dem Hocker saß und die mageren Beinchen baumeln ließ. Aber aus ihrem Gesicht sprach die Erfahrung einer erwachsenen Frau.

»Ich würde dir nie wehtun, Kind, das musst du mir glauben.« Er hörte sich nüchtern an, und Cathy bereute ihre Antwort. Mochte er noch so viele Fehler haben, in jener Hinsicht fühlte sie sich bei ihm sicher.

»Wir haben doch oft darüber geredet, Mr. Docherty. Ich mag eben bei keinem auf dem Schoß sitzen. Mochte ich noch nie.«

»Ich bin nicht wie die anderen Männer, mit denen sich deine Mutter eingelassen hat. Ich weiß, wie man ein Kind behandelt. Und du bist mir wie ein eigenes Kind.«

Er fragte sich, warum er immer das Gefühl hatte, sich bei diesem Mädchen rechtfertigen zu müssen. Sie benahm sich eben wie eine Frau, wie eine erfahrene Frau. Er konnte sich ausmalen, was sie hatte durchmachen müssen, bevor er aufgetaucht war.

Er schloss die Augen bei der Vorstellung. Er würde niemals ein Kind auf diese Weise begehren, aber er wusste wohl, dass Cathy Connor ihm vielleicht doch so was zutraute, und das verletzte seinen Stolz. Schlimmer noch: Die Gewissheit, dass sie bereits so viel von diesen Dingen wusste, und das mit erst sieben Jahren, machte ihn traurig.

Eins konnte er sich zugutehalten. Bei allem, was er war, bei allem, was er getan hatte, derartiges war für ihn niemals infrage gekommen. Niemals. Er wollte, dass Cathy es wusste und ihm vertraute. Und sie sprachen regelmäßig darüber.

»Sie sollten zu Bett gehen, Mr. Docherty. Morgen früh müssen Sie doch zur Arbeit.«

Er nickte, fuhr sich durch sein dichtes schwarzes Haar und lachte. »Du wirst niemals so enden wie deine Mutter, dafür weißt du zu verdammt gut, was du willst. Geh schon ins Bett, Kind. Ich komm zurecht. Ich nehm einen kurzen Schluck und hau mich hin.«

Cathy nickte, sagte leise Gute Nacht und huschte wieder ins Schlafzimmer. Der große Mantel, der das Bett bedeckte, war zu Boden gerutscht. Sie zerrte ihn hoch und stopfte zur Sicherheit einen Ärmel unter die Matratze.

Eamonn schlief schon, und sie kuschelte sich an ihn. Seine Wärme war wie Balsam.

***

Madge fror erbärmlich. Sie spürte, dass sich die Hände des Mannes unter ihr Mieder vortasteten, und fluchte unhörbar vor sich hin. Er war ein kleiner Chinese mit schlechten Zähnen und dem aufdringlichen Geruch von Chow-Mein im Haar. Er holte ihre Hängebrüste hervor und quetschte sie so, dass es schmerzte und sie ihn von sich stieß.

»Reiß dich zusammen, Kleiner. Ich bin nicht in Stimmung. Und da ich doppelt so viel wiege wie du, kann ich dir nur raten, nicht zu grob zu werden.«

Der Mann grinste im Dunkeln und stieß sie abermals gegen die Mauer, wenn auch etwas sanfter. Sie spürte seine Lippen auf ihrer Brustwarze und lächelte. Die Nippel waren in der Kälte zentimeterlang und starr aufgerichtet. Als sie ihr Kleid über die Hüften raffte, ließ der eiskalte Wind sie am ganzen Körper zittern. Der Chinese nahm an, dass er es jetzt richtig machte, und saugte wie ein Wilder an ihrer Brust. Madge spürte das Verlangen, ihm mit bloßen Händen den Schädel einzuschlagen. Stattdessen stellte sie ein Bein auf eine Holzkiste und forderte ihn auf, in sie einzudringen.

»Mach schon, Junge, mir ist scheißkalt.«

Er war sehr kräftig für seine Größe, und als er sie rhythmisch zu stoßen begann, machte sie sich langsam an den entscheidenden Teil ihrer Nachtarbeit. Mit anfeuernden Worten zog sie ihn in die Wärme ihres Mantels. Sie ließ die Hände über seinen Körper gleiten und entwendete ihm behutsam und gekonnt die Brieftasche. Er hatte ihr bereits einen nagelneuen 10-Shilling- Schein gegeben; jetzt war die fette Beute dran. Als wolle sie ihn streicheln, tastete sie ihn nach einem Messer ab. Die meisten Seeleute trugen Messer im Stiefel, und Vorsicht war geboten. Ihr eigenes Messer war für den Fall, dass sie es brauchte, in einem schmalen Gürtel hinten unter ihrem Kleid versteckt. Der Chinese erschauerte, und sie spürte den feuchten Schleim zwischen den Beinen. Wie es ihre Gewohnheit war, hielt sie auch diesen Freier ein paar Sekunden lang fest, bis er wieder fest auf den Beinen stand. Er atmete schwer und keuchend und sprach Kantonesisch. Sie lächelte ihn freundlich an.

»Alles gut, Süßer?«

Er schien ihren Tonfall zu verstehen und erwiderte das Lächeln. Erst jetzt stellte Madge fest, dass er noch sehr jung war, höchstens neunzehn. Wie kam es nur, dass sie sich die Männer erst genauer ansah, wenn die Nummer vorüber war?

Sie zuckte die Achseln, raffte den Mantel fest um sich und strebte zur Rückseite des Gebäudes und in die Wärme der Bar.

»Mach uns ‘n Grog, Pete«, rief sie auf dem Weg zur Damentoilette dem Barmann zu. Drinnen hob sie ein Bein auf den schmutzigen Sitz und wischte sich sauber. Dann spülte sie sich die Hände im eiskalten Leitungswasser ab und schüttelte sie trocken. Die letzten Tropfen strich sie an ihrem Kleid ab und zog dann die Geldbörse aus der Tasche. Es war ein billiges Plastikteil mit der Aufschrift »Buenos Aires«. Ein Souvenir, das ihr Freier von einer Reise mitgebracht hatte. Madge schmunzelte, weil auf der Rückseite »Made in China« stand.

»Lange Reise für eine Geldbörse, wenn sie aus der eigenen Heimat stammt!« In dem kleinen Toilettenraum hallte ihre Stimme wider.

In der Börse befanden sich drei Fünfpfundscheine und das Foto einer älteren Frau, wahrscheinlich seiner Großmutter. Jetzt musste Madge grinsen. Sie ließ die Börse achtlos in ihre Handtasche fallen und ging in die warme Bar zurück.

Nachdem sie sich durch die Menge gedrängt hatte, nahm sie ihren Grog, und als sie Betty mit zwei Seeleuten an einem Tisch sitzen sah, gesellte sie sich zu ihnen.

Pete’s Bar war eine ehemalige Lagerhalle, die er von einem Schläger aus der Gegend gemietet hatte. Der hieß Jimmy Capper und sorgte für den nötigen »Schutz« und dafür, dass der Laden von Razzien verschont blieb. Er war fünfundzwanzig, clever und gewalttätig. Perfekte Referenzen für Custom House und der perfekte Hintermann für Peter Lawson, den Barbesitzer. Peter ermunterte seine Mädels anzuschaffen, und auf seine derbe Art sorgte er auch für sie. Er lieh ihnen Geld und schlichtete Streitigkeiten. Alle Mädels respektierten ihn, nur wenige mochten ihn. Sie hatten eine »Abgabe« zu entrichten, um in der Bar arbeiten zu dürfen, ärgerten sich aber darüber und führten ins Feld, dass sie ihm schließlich die Gäste brachten. Pete konterte damit, dass sie doch nichts anderes im Sinn hatten, als die Seeleute auszurauben, und wenn sie seinen Schutz suchten, müssten sie eben dafür löhnen. Wie sie es drehten und wendeten, einig wurden sie sich nicht.

Heute Abend waren Petes Gäste wie gewöhnlich chinesische, russische und europäische Seeleute, die sich hauptsächlich dem Glücksspiel widmeten. Pete streckte ihre Drinks, knöpfte ihnen zu viel ab und grinste über ihre Witze. Er hielt unter der Theke eine abgesägte Schrotflinte bereit, um sie in Angst zu versetzen, wenn sie Raufereien anzettelten. In der Damentoilette hatte er für den Fall, dass sich die Huren stritten, einen Baseballschläger deponiert. Ihm war Streit unter den Männern jedoch lieber, denn zwei Frauen auseinanderzubringen, die um sich traten, kreischten und kratzten, war seiner Erfahrung nach weitaus gefährlicher. Besonders die Weiber vom Hafenviertel. Sie waren die abgebrühtesten und fiesesten Weibsstücke, die ihm je untergekommen waren. Aber er gestand ihnen zu, dass sie so sein mussten.

In gewisser Weise bewunderte er sie wegen ihrer Härte. Sie verbrachten ihr Leben auf der Syphstation, in seiner Bar oder draußen an der Mauer. Jede Frau, die das jahrelang durchstand, verdiente Achtung. Er ließ die Theke nicht aus den Augen und blieb in ständigem Blickkontakt mit seinen beiden Türstehern. Alles Mögliche konnte in Pete’s Bar geschehen, aber er sackte durchschnittlich siebenhundert Pfund die Woche ein. Das Geld hielt ihn hier bei der Stange und bot seiner Frau und den Kindern ein Leben im Einfamilienhaus in Maida Vale.

Madge war bei ihrem zweiten Grog, als der chinesische Seemann in die Bar zurückkam. Sie sah ihn erst, als er direkt vor sie trat. Einen Moment lang erkannte sie ihn nicht.

»Geld, Lady. Will Geld.«

Herausfordernd stand er da, und in der Stille drehten sich alle neugierig zu ihm um. Sein weißer Anzug, zerknautscht und fleckig, glänzte hell im grellen Licht.

»Geld, Lady. Will Geld.«

Madge grinste. »Verpiss dich! Ich weiß gar nicht, wovon du redest.«

Sie widmete sich wieder ihrem Grog. Argwöhnisch betrachtete Betty den kleinen Mann, der vor ihrer Freundin stand. Viele Menschen, besonders Frauen, waren schon für weit weniger als eine Geldbörse am Hafen in Custom House niedergestochen worden.

Die Musikbox sprang an, und untermalt von Del Shannons schmetterndem Gesang verlangte der Chinese noch einmal höflich sein Geld. Die beiden Seeleute, die Betty aufgetan hatte, waren Russen, bärige Mannsbilder, die ausgezeichnet Englisch sprachen.

»Do you have his money?« Die kehlige Stimme des russischen Seemanns klang barsch. Seeleute waren überall auf der Welt gleich. Wenn diese Frau die Geldbörse des Chinesen gestohlen hatte, war es gar nicht so abwegig, dass sie bereits auch seine abgegriffen hatte. Instinktiv schob er die Hand in die Tasche und stellte erleichtert fest, dass die Ausbeulung zu ertasten war.

Madge steckte sich eine Zigarette an und schüttelte geringschätzig den Kopf. »Ich hab sein beschissenes Geld nicht. Der muss doch bekloppt sein.« Sie lehnte sich vor und sagte: »Hör mal, du hast doch deinen Spaß gehabt, oder? Dein Geld hast du wahrscheinlich verloren oder so.« Sie lächelte dem Russen zu, der neben ihr saß, und zog die Schultern hoch, als wolle sie sagen: »Auf die Tour versuchen die es doch alle.« Diesen Russen wollte sie nicht verlieren. Wenn sie heute Abend noch einen Freier klarmachte, könnte sie sich morgen freinehmen.

Zwei Frauen steuerten auf den Tisch zu und blieben in der Nähe stehen. Sie nippten an ihren Drinks. Wie die Seeleute halten auch die Huren zusammen. Eine der beiden Frauen, eine kräftig gebaute Afrikanerin namens Dobie, lächelte dem kleinen Chinesen zu. Ihr Goldzahn schimmerte im Licht, und die Stammesmale ließen ihr Gesicht wie eine Totenmaske erscheinen.

»Los doch, verpiss dich, Bürschchen!« Bettys Stimme hatte etwas Endgültiges, das sogar der Chinese verstand.

Bevor jemand mitbekam, was geschah, hatte er Madge sein Messer in den Oberarm gestoßen. Die zehn Zentimeter lange Klinge schien sekundenlang unschlüssig am Knochen zu verharren, bevor sie auf den Tisch fiel. Madge blickte entgeistert auf die tiefe Stichwunde, aus der das Blut quoll. Ein Hautlappen schien für einen Moment lose zu flattern, bevor er sich wieder über der Wunde schloss.

Von Dobies Handtasche getroffen, segelte der Chinese rückwärts und landete unverhofft auf dem Schoß eines schwedischen Seemanns, der Karten spielte und den Streit nicht beachtet hatte.

In Sekundenschnelle brach der Tumult los, und im ganzen Raum prügelten sich die Seeleute. Die chinesischen Gäste standen ihrem Landsmann geschlossen zur Seite.

Pete Lawson holte seine abgesägte Schrotflinte hervor, und die Frauen suchten allesamt das Weite. Sie eilten zur Commercial Road, wo ein Kaffeehaus die ganze Nacht geöffnet hatte. Auf dem Weg öffnete die Afrikanerin ihre Tasche und holte einen Backstein hervor, den sie mit unbändiger Kraft fortschleuderte.

Auf der hell erleuchteten Commercial Road verlangsamten sie die Schritte. Ein paar Schneeflocken tanzten im Licht der Straßenlaternen, und die Frauen hüllten sich fester in ihre Mäntel.

»Arschkalt, was, Mädels?« Betty sprach laut, bekam aber keine Antwort. Sie stürzten in Lennys Nachtcafé, brachten einen Schwall Kälte mit und eine Duftwolke billigen Parfüms. Sie setzten sich an einen großen Tisch nach hinten, sahen einander an und brachen in lautes, nervöses Gelächter aus.

»Frühstück geht auf dich, Madge Connor. Du hast die Schuld an dem Schlamassel.«

Madge grinste und streifte ihren Mantel ab. Allseits wurde ihre Wunde inspiziert.

»Wirst es überleben. Ein paar Stiche, und du bist wieder wie neu. Bevor wir nach Hause gehen, machen wir noch ’n kleinen Abstecher ins Old London.«

Madge steckte sich eine Zigarette an und bekam einen Hustenanfall. »Diese verschissenen Schlitzaugen! Kein Wunder, dass sie die Bombe auf den Kopf gekriegt haben.«

»Das waren die Japse, dummes Huhn. Hier, habt ihr das von Hedy Lamarr heute in der Zeitung gesehen? Ist in Hollywood beim Ladenklau erwischt worden! Bei all dem Geld macht die trotzdem noch lange Finger!«

Ungefragt schenkte Lenny ihnen Tee mit einem Schuss Whisky aus. Er hatte nichts gegen die Huren, denn sie sorgten für Umsatz. Die Frauen schwatzten über dies und jenes. So klar ihnen war, dass sie nur mit Glück davongekommen waren, so wenig mochten sie es sich eingestehen. Immer wieder wurden Frauen am Hafen tot aufgefunden. Sie wussten, wie gefährlich sie lebten, benutzt und missbraucht von Seeleuten, die innerhalb von Tagen, manchmal sogar Stunden, kamen und gingen. Wenn eine von ihnen ermordet wurde, zeigte die Polizei kein besonderes Interesse, sondern reagierte nach dem Motto: Eine weniger zu drangsalieren, eine weniger zu kontrollieren. Ihr Alter, ihre Lebensumstände und ihr Aussehen verdammten diese Frauen dazu, in Custom House auf der Straße ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Sogar die übelsten Kaschemmen in Soho würden sie an der Tür abweisen. Tiefer sinken konnten sie nicht mehr, und das wussten sie nur allzu gut.

Und doch besaßen sie, wenn sie zusammenhielten, ihre ganz eigene krude Würde.

Der junge Eamonn öffnete die Augen und gähnte herzhaft. Mit zehn Jahren wusste er sehr wohl, dass er langsam zu alt war, um neben seiner Stiefschwester zu schlafen. Aber ihre Wärme gab ihm ein Gefühl der Geborgenheit. Er lauschte auf ihr leises Schnarchen. Als ihm dann einfiel, dass sie des Nachts noch lange auf gewesen war, meldete sich das schlechte Gewissen. Er wusste, dass er zusammen mit ihr hätte aufstehen sollen. Stattdessen hatte er einfach weitergeschlafen. Er blickte zu den Vorhängen, sah den schwachen Schein der Wintersonne hindurchschimmern und kuschelte sich noch einmal unter die Decke. Cathy machte das Aufstehen nichts aus, und schon bald würde sie dafür gesorgt haben, dass die Küche warm und behaglich war. Er tat so, als würde er sich nur umdrehen, und stieß seine Schwester grob an. Er wusste, dass sie davon aufwachte. Dann gab er vor, noch zu schlafen, und vergrub sich tiefer im Bett. Als er spürte, dass sie aufstand, grinste er stillvergnügt.

Auf Cathy war Verlass. Sie wusste, was zu tun war, und fackelte nicht lange. In zwanzig Minuten würde sie ihm Tee und Toast hingestellt haben, und er konnte aufstehen und hinüberflitzen in die Wärme der Küche.

Bibbernd machte Cathy den kleinen Herd an, in der Hoffnung, mit zwei Flammen den Raum zu wärmen. Geschickt schnitt sie Brot auf und legte es unter den Grill. Sie öffnete den Speiseschrank und prüfte die Vorräte. Da waren noch Margarine und ein klein wenig Marmelade. Summend machte sie sich daran, das Frühstück zu richten. Sie hatte gerade eine große Kanne Tee fertig, als Madge zur Vordertür hereinkam.

»Eine schöne Tasse Tee! Genau richtig. Draußen ist es eisig kalt.« Sie überreichte Cathy kalte Würstchen, die in Zeitungspapier gewickelt waren. »Die hab ich aus dem Kaffeehaus für dich mitgebracht, Kleines.«

»Damit mach ich Sandwiches. Ich mag Würstchen doch so gerne.«

Dankbar für die kleine Aufmerksamkeit lächelte Cathy ihre Mutter an. In diesem Haushalt kam regelmäßig gutes Geld herein, aber für Lebensmittel blieb nur ein armseliger Rest. Das meiste wurde in Alkohol umgesetzt und in neue Kleider für Madge, wenn sie die Lust überkam, sich herauszuputzen, und in aufwendige Möbelstücke, die meist sehr bald zurückgefordert wurden.

Regelmäßig einmal die Woche einzukaufen lag einfach nicht drin. Wie alle anderen auch konnten sie bei Tamlin’s anschreiben lassen. Sie lebten von einem Tag auf den anderen und zahlten immer dann ein wenig ab, wenn man ihnen Zigaretten und Lebensmittel nicht mehr auf Kredit geben wollte.

Madge zog ihren alten Mantel aus und grinste. »Mistding! Ich brauch dringend einen neuen. Scheiße, ich renn doch schon rum wie Yogi Bär.«

Cathy lachte fröhlich. »Dann muss Betty ja Boo-Boo sein.«

Sie lachten gemeinsam über den Scherz.

Madge, satt von Speck, Eiern, Tomaten und Würstchen, hatte kein Interesse an den Sandwiches. Der Anblick ihrer Tochter, die so flink in der kleinen Küche hantierte, versetzte ihr einen Stich der Reue. Sie sah das verfilzte blonde Haar über den Rücken des Kindes fallen, sah die großen blauen Augen des Mädchens und spürte, wie sehr sie Cathy liebte. Die Kleine war ein gutes Kind, und man konnte sich darauf verlassen, dass sie tat, was es zu tun gab. In ein paar Jahren würde sie eine echte Stütze sein ...

»Gib ein Küsschen, Baby.«

Pflichtbewusst kam Cathy zu ihrer Mutter, legte die dünnen Ärmchen um deren üppige Taille und küsste die dargebotene Wange.

»Ich hab dich lieb, Mom.«

Madge nickte traurig. »Das weiß ich wohl.«

Madge schloss ihr kleines Mädchen fest in die Arme. Wie süß sie roch und wie drahtig sich der schmächtige Körper anfühlte. Cathy würde es schaffen. Sie war nicht unterzukriegen. Das sagte sich Madge an jedem Tag ihres Lebens.

Eamonn Senior stand im Türrahmen und beobachtete die beiden. Er schüttelte ungläubig den Kopf. Wieso hatte Gott in seiner Weisheit für richtig angesehen, ihnen diese beiden Kinder zu schenken?

Er betrachtete das verschmierte Make-up von Madge und ihren fetten Bauch, ihre Krampfadern und die geschwollenen Füße in den engen silbernen Stilettos. In ihrem großen runden Gesicht war noch eine Spur der Schönheit zu erahnen, die sie einst besessen hatte. Madge war gerade fünfunddreißig Jahre alt.

Er zog die Hosenträger über die Schultern und trat in die kleine Küche. »Würstchen, hä? Hab’n wir keine Eier?«

Cathy schüttelte den Kopf, glücklich über seinen launigen Ton. Madge zog eine Pfundnote aus ihrer Tasche, als Eamonn Junior in die Küche kam, noch immer Schlaffalten im Gesicht.

»Lauf runter in den Laden und hol ein Dutzend Eier und eine Zeitung. Das Pfund ist für die Schulden, und du kannst dir was zu naschen aussuchen.«

Der Junge nahm das Geld und lief los.

»Lass die Sandwiches da, Kind. Ich mach uns dazu Eier, hm?«

Cathy nickte glücklich.

Der große Ire schenkte sich eine Tasse Tee ein und wandte sich an Madge. »Und wie war die Nacht?«

»Fünfzehn Quid. Hab ‘n Chinamann geplündert, aber der kreuzte plötzlich wieder auf. Hättest sehen sollen, wie wir gerannt sind. Die Commercial Road rauf wie die Windhunde! Hat mich aufgeschlitzt, hier!« Sie zeigte ihm ihren verbundenen Arm. »Nichts Ernstes, nee, nur drei Stiche. Im London ham sie mich genäht, und deswegen bin ich auch so spät. Er war klein, der Kerl. Gelber Zwerg.«

Eamonn lachte. »Bist ‘ne Klasse für sich, Madge.« Er strich sich mit der Hand über die Bartstoppeln. »Kannst mir vielleicht was leihen? Fünfer würde reichen.«

Cathy sah zu, wie ihre Mutter ihm den Fünfpfundschein gab, und seufzte innerlich vor Erleichterung. Madge hatte Beute gemacht, wie sie es nannte. Das hieß, sie würden allesamt schön frühstücken, und in der Wohnung würde Lachen statt Verwünschungen zu hören zu sein. Alles in allem kein schlechter Anfang eines Donnerstags.

Sie freute sich auf die Schule. Cathy gefiel es dort. Es war ordentlich, es war warm, und ihre Lehrerin, Mrs. Platting, nannte sie »Darling«.

Schmunzelnd schaute sie jetzt zu, wie ihre Mutter und der große Mann schwatzten und lachten, und nachdem sie den beiden noch Tee nachgeschenkt hatte, gönnte sie sich einen verstohlenen Zug an der Zigarette ihrer Mutter.

Madge bemerkte sie und lachte nur. »Hast du das gesehen, Eamonn! Sie raucht.«

Begeistert schauten die beiden Erwachsenen das kleine Mädchen an, und Cathy sonnte sich in ihrer Zuneigung.

Augenblicke wie dieser waren selten, und sie hatte schon vor Zeiten gelernt, die schönen Stunden zu genießen. Denn man wusste nie, wie lange sie andauern würden.

Kapitel zwei

1965

Madge schenkte sich einen gehörigen Schluck Black and White ein und setzte sich wieder auf ihren Stuhl. Sie rülpste laut und sah auf die Uhr. Elf Uhr morgens und immer noch kein Anzeichen von ihrem Mann.

Sie steckte sich eine Zigarette an, drehte das Radio neben sich leiser und ließ die sanften Klänge der Kirchenmusik an sich vorbeirauschen. Sie konnte Cathys Stimme aus der Küche hören, wo sie das Huhn für ihr Weihnachtsessen zubereitete. Das Lachen des jungen Eamonn vermischte sich mit dem ihrer Tochter, und einen Moment lang lächelte sie zufrieden. Dann fiel ihr wieder ein, dass der Vater des Jungen letzte Nacht nicht nach Hause gekommen war, und ihr verging das Lächeln.

Immer öfter blieb er in letzter Zeit fort, und Madge Connor, die sich rühmte, einen Braten schon zu riechen, bevor er in den Ofen geschoben war, musste sich eingestehen, dass es zum Himmel stank. Dass Eamonn sich ab und an mal einen Fehltritt leistete, daran war sie gewöhnt, aber mit dieser Wachtel lief es schon seit Wochen, und daher musste es was Ernstes sein.

Nach fünf Jahren ging er also seiner Wege. Das wusste sie im Herzen so gut, wie sie den eigenen Namen kannte. Brennende Tränen traten ihr in die blassblauen Augen, und ihr Kinn bebte bedrohlich. Sie griff noch mal zum Scotch und zwang sich, die Fassung zu bewahren.

Cathy kam ins Zimmer und brachte ihr ein Schinkensandwich und eine Tasse Kaffee. »Hier, Mom, etwas zum Frühstück.« Sie bemerkte das leere Glas in der Hand der Mutter und verdrehte die Augen. »Mom, du hast es doch versprochen. Kein Alkohol vorm Abendessen. Mrs. Cartwright in der Schule sagt, wenn man tagsüber trinkt, hat man ein Problem mit ...«

Madge fiel ihrer Tochter barsch ins Wort. »Zum Teufel mit der dämlichen Mrs.-Weiß-alles-besser-Cartwright! Wenn ich am Weihnachtstag einen Drink will, dann nehm ich mir einen. Kapiert?«

Cathy erblasste bei dieser aggressiven Tirade, und bei Madge rührte sich ganz kurz das Gewissen. Es war der Alte, der sie wütend machte, nicht ihre Tochter. Als Cathy in die Küche zurückging, rannen ihr die unterdrückten Tränen nun doch übers Gesicht.

Wo mochte er stecken, ihr irischer Macker, dieser Mistkerl? Weihnachten und keine Spur von ihm.

In der Küche trank Cathy ihren Kaffee und zog an ihrer Zigarette. Mit zwölf sah sie aus wie fünfzehn und wusste das sehr wohl. Seit sie denken konnte, hatte sie schon älter gewirkt, als sie war. Jetzt pfiffen sie ihr auf der Straße nach und nannten sie »Schulmädchenluder«.

»Weißt du, wo dein Vater steckt, Eamonn?«

Der Junge, der mit fünfzehn schon an die zwei Meter groß war, zuckte gleichgültig die Achseln. »Wenn ich’s wüsste, würde ich’s ihr eh nicht sagen. Wozu auch? Du weißt doch, wie mein Dad ist – irgendwann kommt er nach Hause, sie prügeln sich, und das wär’s dann bis zum nächsten Mal.«

Cathy nickte. Sie drückte die Zigarette aus und sah nach dem kleinen Huhn im Backofen.

»Riecht ja gut, Mädchen.«

Cathy lächelte. »Ich weiß! Eamonn, darf ich dich was fragen, und du lachst mich bestimmt nicht aus?«

Der Junge nickte, bereits ein breites Lächeln auf den Lippen. Mit seinem Vater teilte er das blendende Aussehen der schwarzhaarigen Iren.

»Würdest du je heiraten?«

Er schüttelte entschieden den Kopf. »Nicht in tausend Jahren, Cath. So was wie das hier mein Leben lang mitmachen? Ich denk nicht dran! Ich bin weg, Kleine, sobald ich meine eigene Knete verdienen kann.«

Sie zündete sich die nächste Zigarette an. »Ich will heiraten und ein hübsches Haus haben und zwei Kinder. Ich will einen Garten mit schönen Blumen darin und einen Ehemann, der mich über alles liebt und regelmäßig arbeiten geht. Und ich koche ihm die schönsten Sachen, und er kann gar nicht aufhören, mich zu küssen ...«

Ihre Worte klangen wehmütig, und statt sie auszulachen, legte Eamonn ihr den Arm um die Schultern und hätschelte sie. »Und genau das alles wirst du auch bekommen.«

Cathy zog an ihrer Zigarette und schüttelte den Kopf. »Nein, werde ich nicht. Jeder anständige Kerl würde vor ihr da drinnen Reißaus nehmen, und ich könnte es ihm nicht mal verdenken. Weißt du, was Desmond Blackburns Vater neulich zu mir gesagt hat? ›Mädchen, du wirst schon bald die Röcke raffen wie deine Mutter, und ich steh als Erster in der Schlangen Der geile Bock! Ich hab ihm gesagt, er soll’s sich selbst besorgen, so sauer war ich, und er hat nur gelacht und gemeint: ›Auf die Sprache verstehst du dich ja schon. Was hat dir Eamonn Docherty denn sonst noch beigebracht?‹ Ich weiß nicht, ob er dich gemeint hat oder deinen Vater.«

»Das hat er also gesagt, was?«

Cathy schob eine Strähne ihres dicken blonden Haares aus der Stirn. »Reg dich bloß nicht auf, das sind die nicht wert. Aber man kann’s den Nachbarn gar nicht übelnehmen, so wie unsere beiden sich aufführen. Denk doch nur an letzten Freitag – wie meine Mom und Betty sich mitten auf der Straße gestritten haben! Ich hab das alles so satt. Sie könnte sich einen anständigen Job suchen. Davon gibt es doch genug, aber nein, für sie kommt das nicht infrage. Wir könnten wegziehen, wo keiner was von uns weiß. Als ich ihr das vorgeschlagen hab, ist sie fast durchgedreht. Manchmal hasse ich sie. Ich weiß, das schickt sich nicht, aber ich kann nicht anders.«

Eamonn nickte verständnisvoll. »Freu dich, dass du nicht denselben Namen trägst wie so’n verrückter Scheißire. Ich hoffe, er kommt nie wieder. Ich hoffe, irgendwo liegt seine Leiche. Anders werd ich ihn doch nie los. Na ja, fröhliche Weihnachten jedenfalls.«

Er grinste sie an, und ohne Grund lachten sie los.

»Weißt du, was echt komisch ist?«, fragte Cathy und blickte hinauf in seine fröhlichen blauen Augen. »Ich mag meine Mom echt, und ich weiß nicht, warum. Den ganzen Tag hockt sie auf ihrem Arsch, und die ganze Nacht lang verhökert sie ihn. Sie rührt keinen Finger im Haushalt und erwartet, dass ein Wunder geschieht und die Sachen gewaschen und gebügelt im Schrank liegen. Sie frisst sich dumm und dämlich und würde sich noch nicht mal ein Ei kochen! Aber trotzdem, manchmal sehe ich sie an, und mir schnürt’s die Kehle zusammen. Als wär sie das Kind und ich die Erwachsene.«

Sie schüttelte fassungslos den Kopf und lachte wieder los.

»Ist doch irre, oder? Im nächsten Moment seh ich sie dann die Straße entlangwatscheln, und schon hasse ich sie von ganzem Herzen. Aber wenn jemand etwas Schlechtes über sie sagt, würde ich ihn am liebsten umbringen. Auch wenn ich weiß, dass es stimmt, was sie sagen.«

Eamonn sah ihr zu, wie sie die Kartoffeln schälte, die Zigarette zwischen den Lippen baumelnd, die Augen zugekniffen gegen den Rauch.

»Nächstes Jahr geh ich von der Schule ab – ich kann’s kaum erwarten, mein eigenes Geld zu verdienen«, sagte er zu ihr. »Ich werd Schauermann. Ich hab den Mumm dafür und auch den Grips, wie mein Alter sagen würde.«

»Da kommst du bestimmt gut zurecht, und die verdienen auch gutes Geld. Ich wünschte, ich könnte einen richtigen Job kriegen.« Cathy richtete das Kartoffelmesser auf seine Brust.

»Eines Tages, ich sag’s dir, eines Tages hab ich alles, was alle anderen auch haben – und noch mehr. Verdammt viel mehr. Denn das hier ist mein Leben nicht, Eamonn, und ich hab vor, das wahrzumachen, was ich gerade gesagt hab.«

Bevor er antworten konnte, ging die Vordertür auf, und Bettys Stimme tönte durch die ganze Wohnung.

»Frohe Weihnachten!« Mit dem Arm voller Geschenke kam sie hereinmarschiert, den Streit mit Madge schon vergessen. »Was duftet denn so gut? Ich wünschte, du würdest zu mir ziehen, Cath. Ich würde dich auch für all das bezahlen, ehrlich!«

Ihre kleinen weißen Zähne blitzten, als Cathy griente. »Ich weiß, dass dus tätest, Tante Bet, aber meine Mom würde es nicht dulden.«

Betty folgte ihr in die Küche. »Hier, Eamonn, du Riesenbaby, nimm mal die Geschenke. Wie ist sie bei Laune?«

Cathy zuckte die Achseln und füllte die Kartoffeln in die Schüssel, in der sie gebacken werden sollten. »Besoffen, wie immer. Er ist wieder nicht nach Hause gekommen. Du weißt doch, wie das ist, Tante Bet. Warum sollte es Weihnachten anders sein? Wie Mom später sagen wird: War doch nur ‘n Tag wie jeder andere.«

Betty zog ihren Biberlammmantel aus und legte ihn sorgfältig über die Rückenlehne eines Küchenstuhls. »Ist aber diesmal was Ernstes, Kleine.«

Eamonn und Cathy sahen sie an.

»Wer ist es denn?«, fragte Cathy.

»Junie Blacklock, die verwitwete. Nichts für ungut, Eamonn, aber du kennst deinen Vater so gut wie wir alle. Was Junie von der Versicherung gekriegt hat, das war ein hübsches Sümmchen, und obendrein ist sie so irisch wie er. Sie hat weder Kind noch Kegel, und gut aussehen tut sie auch, muss ich ihr lassen. Hat sich immer gepflegt, selbst im Krieg. Die vierzig hat sie hinter sich und die wird sie nie wiedersehen, aber das ist doch schnurz, oder? Ich hab’s brühwarm und komplett von der alten Mutter Wacker, und die kennt ihr – wenn’s nicht wahr wäre, käm’s ihr nicht über die Lippen. So wie sie sagt, zieht Eamonn bei Junie ein, und das heißt doch wohl, du ziehst auch da hin, Junge, denn wo er hingeht, da gehst du mit.«

Cathy schloss die Augen und schüttelte bestürzt den Kopf. »Der verdammte Mistkerl! Kann er nicht wenigstens warten, bis die Festtage vorbei sind? Das bringt Mom doch um. Außer mir ist er doch alles, was sie je hatte.«

Eamonn setzte den Kessel auf und sagte: »Na ja, was Gutes hat es auch. Wenigstens werd ich nicht weit entfernt sein von dir. Das ist doch auch was, oder?«

Betty kaute nervös an ihrem Daumennagel. »Ich muss es Madge sagen. Ich mein, schließlich ist sie doch meine beste Freundin. Besser sie hört es von mir als von jemand anders. Und wenn Mutter Wacker davon weiß, dann weiß morgen die ganze Welt davon. Ist doch ‘n schlimmes altes Klatschweib.«

Cathy schaltete den Herd aus.

»Was machst du da? Ich hab einen Mordshunger«, protestierte Eamonn.

Cathy sah ihn direkt an und sagte traurig: »Hier wird es heute kein Festessen geben. Sie rastet doch aus, wenn sie es erfährt. Da werden Krankenwagen vorfahren, und zu raten, wen sie abtransportieren, ist bestimmt nicht schwer, äh? Geh schon, Tante Bet, sag’s ihr. Bevor es sonst jemand tut und dabei nicht so nett ist.«

Fünf Minuten später hörte Cathy den schrillen Schrei aus dem Vorderzimmer, und sie hätte fast in das Gejammer eingestimmt. Mochte Madge Connor noch so viele Fehler haben, sie blieb Cathys Mutter, und das Mädchen liebte sie.

Liebte sie vielleicht mehr, als sie verdient hatte.

Junie Blacklock war klein von Gestalt, mit Wespentaille und guten Zähnen. Sie war stolz auf ihr hübsches Heim, ihre hübsche Figur und ihren noch hübscheren Kontostand. Nicht umsonst hatte ihr Mann gescherzt, dass sie den Shilling strecken konnte wie ein Gummiband, so dass er bis zur nächsten Woche reichte, und auf diese Weise hatte sie über die Jahre ein schönes Sümmchen beiseitegelegt. Jetzt war noch das Geld von seiner Lebensversicherung dazugekommen, und so stand sie ganz anständig da. Als Eamonn Docherty ihr begegnete, hatte er es ihr mit seinem geschmeidigen irischen Ton und seiner beeindruckenden Erscheinung sofort angetan. Zum ersten Mal in ihrem Leben war Junie verliebt, und man sah es ihr an.

Eamonn lag im reizvoll duftenden Bett der Frau, freute sich am Aroma des Truthahns, der unten in der Küche garte, und genoss es, sich den Bauch vollgeschlagen zu haben mit Eiern und Speck, die sie ihm vorher gemacht hatte. Zu Eamonns Gefallen roch es im ganzen Haus nach Möbelpolitur. Er und sein Junge würden hier bestens aufgehoben sein. Junie war Irin von Geburt und verstand daher, dass ein richtiger Mann auch mal einen richtigen Drink brauchte. Solange er am Hafen arbeitete und dadurch zumindest für sich selbst aufkam, würde er hier leben wie ein Fürst. Er war sechsundfünfzig, und der Gedanke, seinen Lebensabend zusammen mit Madge zu verbringen, war ihm ein Graus. Er würde ein neues Kapitel beginnen, den kleinen Spatz da unten in der Küche heiraten und sich auf das Alter freuen, in dem es die schöneren Dinge des Lebens zu genießen galt. Gut zu essen und zu trinken und ab und zu auch mal die anderen leiblichen Freuden. Was konnte sich ein Mann Besseres wünschen?

Er stieg aus dem Bett und zog die Hosen an. Er warf einen Blick zum Fenster und erstarrte. Durch die sauberen Gardinen sah er Madge die Straße hinaufschwanken, Betty und Cathy im Schlepptau. Er ließ sich auf die Bettkante sinken, vergrub den Kopf in den Händen und sagte: »Scheiße!« Wieder und wieder.

***

Junie öffnete lächelnd die Vordertür. Sie hatte diese Besucher bereits seit geraumer Weile erwartet und war ebenso beklommen wie freudig erregt, dass der Augenblick jetzt endlich gekommen war.

»Kann ich Ihnen helfen, meine Gute?« Ihre sanfte Stimme mit dem Cork-Akzent klang höflich, war aber im Unterton stahlhart.

»Meinen Mann will ich, und zwar auf der Stelle!« Madge sprach laut, leicht lallend und aufgekratzt.

Junie lächelte wieder. »Ihren Ehemann suchen Sie? Ich wusste gar nicht, dass Sie einen besitzen.« Sie legte einen Finger an die Lippen, als müsse sie nachdenken, und sagte: »Oder geht es vielleicht um Ihren Untermieter? Mister Docherty?«

Cathy frohlockte, als ihre Mutter sich auf das eingebildete Weibsstück stürzte. Sie und Betty schauten dem Handgemenge eiskalt und stumm zu, bis Madge die Oberhand gewonnen hatte, rittlings auf der anderen Frau hockte und deren Kopf aufs Pflaster schlug.

»Wo ist der irische Mistkerl? Bevor ich ihn dir lasse, bring ich ihn um!«



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