Die Ehre der Familie - Martina Cole - E-Book
SONDERANGEBOT

Die Ehre der Familie E-Book

Martina Cole

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Sie wird alles tun, um die Familie zusammenzuhalten ... Eine schicksalhafte Begegnung in den 50er Jahren: Als die junge Lily Diamond, genannt Lil, sich in den überaus attraktiven Pat Brodie verliebt, ist ihr ganz egal, wie gefährlich der Mann mit der Narbe im Gesicht wirkt. Schon bald erfährt sie, dass er der aufsteigende Stern in Londons Unterwelt ist und skrupellos alles für seinen Erfolg gibt. Nur ihr zeigt er seine fürsorgliche Seite. Sie gründen eine Familie und alles geht gut – bis zu dem schwarzen Tag, an dem Pat nicht mehr heimkehrt. Doch Lil ist für mehr geschaffen als für das Leben einer trauernden Witwe. Sie ist bereit, die Führung zu übernehmen, zu kämpfen und ihrer Familie das Leben zu ermöglichen, von dem sie und Pat immer geträumt haben – um jeden Preis … »Martina Cole ist brillant darin, die Guten unter den Bösen darzustellen und umgekehrt, so dass wir bis zum Schluss nie genau wissen, wem wir trauen können. Genau das ist es, was sie so fesselnd macht.« Daily Mirror Eine düstere Mafia-Familiensaga der britischen Bestsellerautorin, die sich über mehrere Jahrzehnte spannt und wie gemacht ist für alle Fans von Peaky Blinders und Jeffrey Archer!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 929

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Über dieses Buch:

Eine schicksalhafte Begegnung in den 50er Jahren: Als die junge Lily Diamond, genannt Lil, sich in den überaus attraktiven Pat Brodie verliebt, ist ihr ganz egal, wie gefährlich der Mann mit der Narbe im Gesicht wirkt. Schon bald erfährt sie, dass er der aufsteigende Stern in Londons Unterwelt ist und skrupellos alles für seinen Erfolg gibt. Nur ihr zeigt er seine fürsorgliche Seite. Sie gründen eine Familie und alles geht gut – bis zu dem schwarzen Tag, an dem Pat nicht mehr heimkehrt. Doch Lil ist für mehr geschaffen als für das Leben einer trauernden Witwe. Sie ist bereit, die Führung zu übernehmen, zu kämpfen und ihrer Familie das Leben zu ermöglichen, von dem sie und Pat immer geträumt haben – um jeden Preis …

Über die Autorin:

Martina Cole ist eine britische Spannungs-Bestsellerautorin, die bekannt für ihren knallharten, kompromisslosen und eindringlichen Schreibstil ist. Ihre Bücher wurden für Fernsehen und Theater adaptiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Martina Cole hält regelmäßig Kurse für kreatives Schreiben in britischen Gefängnissen ab. Sie ist Schirmherrin der Wohltätigkeitsorganisation »Gingerbread« für Alleinerziehende und von »Women's Aid«.

Die Website der Autorin: martinacole.co.uk/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/OfficialMartinaCole/

Bei dotbooks veröffentlichte Martina Cole ihre Thriller »Die Gefangene«, »Die Tochter«, »Kidnapped«, »Perfect Family«, »The Runaway« sowie die Spannungsromane »Eine irische Familie«, »Die Ehre der Familie«, und »Die Abgründe einer Familie«.

***

eBook-Neuausgabe April 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2006 unter dem Originaltitel »Close« bei Headline Publishing, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2009 unter dem Titel »Der Clan« bei Wilhelm Heyne, München.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2006 by Martina Cole

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2009 by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Copyright © der Neuausgabe 2025 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-619-8

***

dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

***

Sind Sie auf der Suche nach attraktiven Preisschnäppchen, spannenden Neuerscheinungen und Gewinnspielen, bei denen Sie sich auf kostenlose eBooks freuen können? Dann melden Sie sich jetzt für unseren Newsletter an: www.dotbooks.de/newsletter (Unkomplizierte Kündigung-per-Klick jederzeit möglich.)

***

Besuchen Sie uns im Internet:

www.dotbooks.de

www.facebook.com/dotbooks

www.instagram.com/dotbooks

blog.dotbooks.de/

Martina Cole

Die Ehre der Familie

Thriller

Aus dem Englischen von Jens Plassmann

dotbooks.

Widmung

Für meinen Peter, Mr. Peter Bates

Prolog

Endlich ließ der Schmerz nach, und die Frau stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.

Sie warf noch einmal einen Blick auf die Uhr, deren Ticken in dem stillen Raum nicht zu überhören war. Ihre langen Finger zupften an dem Frottierbezug, dann sorgte die Wärme ihrer Bettdecke dafür, dass sie sich wieder entspannte und auf den langen Schlaf vorbereitete.

Ihre alte Großmutter hatte vom langen Schlaf geschwärmt. Für eine Frau sei dies das einzige Mal, dass sie sich völlig folgenlos hinlegen könnte, hatte sie gesagt. Allein das Grab vermochte einem letztlich irgendeine Art von Ruhe zu schenken, meinte sie damit wohl. Darin lag eine Wahrheit, die sie selbst lange nicht verstanden hatte. Lange hatte sie auch nicht glauben wollen, dass eine Zeit kommen würde, in der man des Lebens derart überdrüssig war, dass der Tod tatsächlich einladend wirkte, in der es keine Belastung mehr darstellte, die Menschen zurückzulassen, um die man sich sein ganzes Leben lang gekümmert, für die man sein ganzes Leben gesorgt hatte. Damals wäre es ihr geradezu fantastisch erschienen, sich selbst mit einem dichten Geflecht an Altersfalten vorzustellen, mit einer pergamentdünnen, traurig vergilbten Haut, die Bedauern über ein Leben ausdrückte, das ohne den kleinsten Gedanken an die Zukunft gelebt worden war, damals, als die Zukunft noch eine Bedeutung besaß. Doch am Ende gestaltete man die Zukunft nur dadurch, dass man tatsächlich etwas tat, nicht dadurch, dass man sich wünschte, etwas zu tun. Und schließlich als Krönung von allem hatte sie die unwiderrufliche Erkenntnis, dass Sex nichts als ein Urtrieb war, ein Impuls, eine Körperbetätigung wie Scheißen oder Furzen, und keine Liebe.

Sie stieß erneut einen tiefen Seufzer aus, und die Erschütterung, die ihren spindeldürren Körper erfasste, erinnerte sie daran, wie vergänglich das Leben tatsächlich war.

Zu viel war in ihrem Leben geschehen, und am Ende hatte es alle ihre Kräfte aufgebraucht. Sie hatte das ständige Kämpfen satt, war so weit, sich auszuruhen. Außerdem wollte sie ihr Mädchen, ihre kleine Tochter endlich wiedersehen. Ihre Colleen treffen. Sich um sie kümmern.

Die Zeit war reif für die letzte Ruhe, das wusste sie genau. Aber bis sie all ihre Kinder gesprochen und ihnen ihre Entscheidung erklärt hatte, würde sie auf den richtigen Moment noch warten müssen.

»Ich brech dir gleich dein Scheiß-Genick, wenn du nicht endlich aufhörst, mich hier zu verarschen.«

Die Worte waren leise und ohne jede Wut ausgesprochen, aber es schwang in ihnen eine Bösartigkeit mit, die nur ein Dummkopf zu ignorieren gewagt hätte. Wenn Pat Brodie drohte, geschah dies stets in einer fast freundschaftlichen Form. Es war sein Blick, der seinem Gegenüber klarmachte, dass er es ernst meinte, dass er ihn ohne langes Überlegen und mit einem Lächeln auf den Lippen ausschalten würde.

Mikey Donovan gelang es nur mit Mühe, die Beherrschung zu wahren. Er tat diesem Mann einen Riesengefallen, und das wussten sie beide. Der Handel mit Kokain stellte für Leute, die im Dienst des Innenministeriums standen, einen fristlosen Kündigungsgrund dar, besonders für Vollzugsbeamte, und Mikey machte nun schon eine ganze Weile Geschäfte damit. Jetzt gab es Nachschubprobleme, was Brodie jedoch kaltließ. Was erwartete er denn von ihm, sollte er es vielleicht herzaubern?

Pat Brodie ließ nicht locker. Mikey wusste zwar, dass der Mann derzeit viel um die Ohren hatte mit seiner Mutter, die kurz davorstand, den Löffel abzugeben, aber selbst dem liebenswürdigen und hilfsbereiten Mikey reichte es langsam. Brodie war eine höchst eindrucksvolle Figur, gebaut wie der sprichwörtliche Kleiderschrank und von einer Intelligenz, die weit über dem Niveau der schweren Jungs lag, mit denen Mickey es gewöhnlich zu tun hatte. Rechnete man die angeborene Gerissenheit und seine psychotische Persönlichkeit dazu, dann ergab sich ein enorm gefährlicher Dreckskerl, mit dem man sich besser nicht anlegte. Er saß, weil er angeblich seinen eigenen Bruder umgebracht hatte, und das sagte ja wohl schon alles.

Ihn als harten Kerl zu beschreiben, wäre Mikeys Meinung nach eine gnadenlose Untertreibung gewesen. Harte Kerle waren ihm über die Jahre hinweg schon so einige begegnet, aber dieser Brodie war eine völlig außergewöhnliche Größenordnung. Bei ihm handelte es sich um einen intelligenten Verrückten, und diese Sorte war ebenso gefährlich wie selten.

»Ich hoffe bloß, dass du dich für meinen Sonderurlaub richtig ins Zeug gelegt hast, Donovan, denn ich muss raus, und wenn ich nicht auf Kaution rauskomme, werde ich dich persönlich dafür zur Verantwortung ziehen.«

Mikey seufzte, er hatte nichts anderes erwartet.

Brodie wusste, dass er seine Position arg strapazierte, aber Donovan würde sich niemals rächen, so groß der Wunsch danach auch sein mochte. Letztlich war er bloß ein Schließer. Und wie die meisten Schließer in Hochsicherheitsknästen wusste er genau, wie weit er gehen konnte.

Der schwache Geruch nach kaltem Tee und gebuttertem Toast erinnerte sie an weit zurückliegende Sommertage. Sie schloss ihre Augen und ließ sich von den Bildern der Vergangenheit forttreiben.

Sie spürte noch einmal jene drückende Sommerhitze vor vielen, vielen Jahren, eine Hitze, die so stark war, dass die Benzingase schwer in der Luft hängen blieben. Sie konnte noch einmal die unterschiedlichen Düfte der Sonntagsessen riechen, die überall in der Straße auf dem Herd standen. Die Männer erwarteten, ihren Braten vorgesetzt zu bekommen, ohne Rücksicht darauf, dass es in den Küchen unerträglich heiß war oder dass wegen der Trockenheit in diesem Sommer mal wieder überall auf den Straßen die Hydranten im Einsatz waren. Die Frauen hatten gefälligst dafür zu sorgen, dass um Punkt drei ein üppiges Mittagessen auf dem Tisch stand. Denn nach ihrem Rauswurf aus den Pubs würden die Männer nach Hause wanken, völlig betrunken und mit einem gewaltigen Hunger, der immer weiter angewachsen war, seit sie bereits morgens um halb elf angefangen hatten, kräftig zu bechern.

Rinderbraten war das bevorzugte Gericht an diesen Tagen, aber häufig roch es auch nach Hühnchen oder Schwein, vor allem wenn Geldmangel herrschte und jemand eine Sackkarre im Schlachthaus abgezweigt hatte, sodass es Fleisch gab, obwohl die Haushaltskasse eigentlich nicht einmal für die Zutaten eines Sandwichs gereicht hätte. Alles bloß eine Frage des Organisierens, wie ihr alter Herr immer gesagt hatte. Das Organisieren ließ die Dinge anders aussehen, und Organisieren war lediglich eine weitere beschönigende Wendung für Klauen, ob es sich nun um Fleisch, Kleidung oder sonst etwas handelte. Dank dieses Organisierens bekam jeder am Ende etwas ab. Mit Ausnahme natürlich der Leute, von denen die Sachen organisiert wurden, aber die zählten nicht. Besaßen die schließlich nicht schon genug?

Beim Gedanken an diese geruhsam dahinplätschernden Tage musste sie lächeln. Dann fiel ihr ein, dass auch ihr Mann von diesem Organisieren gelebt hatte und wie viel Ärger sein Tod, seine Ermordung, verursacht hatte. Vollkommen blank war sie damals gewesen, und das wiederum hatte neue Probleme nach sich gezogen. Am Ende hatte sie mit zwei weiteren Kindern dagestanden, nur um die zu ernähren, die sie bereits vorher bekommen hatte. Zuerst war es der Lebensinhalt ihrer Mutter geworden, ihr zu erzählen, was für einen Scheiß sie gebaut hatte. Dann war sie plötzlich dazu übergegangen, sie als perfekte Tochter darzustellen, nur weil sie gemerkt hatte, dass sie es mit sich allein nicht aushielt. Und diese Frau hatte Lance vom Tag seiner Geburt an so sehr geliebt, es war eine regelrechte Manie bei ihr gewesen. Von Beginn an hatte sie ihn angehimmelt. Sie dagegen hatte ihn, ihren eigenen Sohn, nie leiden können. Sie war das Gefühl nicht losgeworden, dass er etwas Unheimliches an sich hatte, selbst als er noch ein Baby war. Und sie hatte recht behalten.

Pat Junior, ihr Ältester, war immer schon als Anführer betrachtet worden. An seiner rauen, aber herzlichen Fürsorge hatten sich die anderen Jungs, die wussten, was von ihnen erwartet wurde, stets ein Vorbild genommen. Pat liebte die Schwestern, kümmerte sich aufmerksam um sie, ebenso wie um seine Brüder, alles auf seine eigene, bisweilen etwas planlos wirkende Weise. Colleens Tod hatte ihn hart getroffen, und sie konnte seine Empfindungen nur zu gut nachvollziehen; ihr hätte dieser Schlag fast den Rest gegeben. Aber sie hatte eine Menge daraus gelernt, sie alle hatten eine Menge gelernt.

Die arme Colleen war einfach viel zu gut für diese Welt gewesen, eine alte Redensart, die sich hier jedoch als äußerst zutreffend erwiesen hatte.

Kathleen und Eileen, die Zwillinge, verehrten ihren Bruder Pat genauso, wie Colleen es getan hatte. Er hatte sie immer in den Arm genommen, gedrückt und noch einmal zum Lachen gebracht, bevor er zurück zum Fußballspielen ging, verfolgt natürlich von den bewundernden Blicken der Mädchen. Er war ein guter Junge, und er war ein anständiger Kerl geworden, was auch immer manche Leute über ihn sagen mochten. Er war ganz der Sohn seines Vaters, schon allein aus diesem Grund würde sie ihn stets lieben.

Na, und ihr Shawn war ebenfalls ein guter Kerl, ebenso wie Shamus, und bevor sie in den langen Schlaf fiele, würde sie die beiden noch einmal ausgiebig betrachten.

Der lange Schlaf war eine herrliche Vorstellung. Sie war müde, entsetzlich müde. Ihre Gedanken waren wieder in die Gegenwart zurückgekehrt, und jetzt konnte sie den schwachen Geruch ihres eigenen Körpers wahrnehmen. Ihr Schweiß roch süßlich, fast nach Mandeln, was sie den starken Medikamenten zuschrieb, die sie nahm. Der Geruch, der ihren Poren entströmte, bildete eine ständige Erinnerung an ihr Alter und ihren schmerzgepeinigten Körper.

Inzwischen war kaum etwas mehr von ihr übrig, die einst sinnlichen Formen hatten sich in nichts als Knochen und schlaffe Haut verwandelt. Sie lächelte, sie sah aus wie ihre eigene Großmutter. Oh, wie die Geschichte sich doch ständig wiederholte.

Aber ihr Leben war ereignisreich gewesen, daran konnte kein Zweifel bestehen.

Sie schloss ihre Augen und zog sich wieder in die Vergangenheit zurück, die für sie mit jeder vergehenden Stunde mehr und mehr an Wirklichkeit gewann.

Patrick Brodie wartete noch immer geduldig auf die Nachricht, ob er seine im Sterben liegende Mutter besuchen durfte. Er machte sich keine allzu großen Hoffnungen, obwohl sein Anwalt betont hatte, dass er sich schließlich nur in Untersuchungshaft befand, auch wenn alle so taten, als wäre er schon verurteilt. Nur zu gerne würde er sie noch einmal an sich drücken. Ihre vertraute Umarmung ein letztes Mal spüren.

Sie war ein verruchtes Weibsstück gewesen und eine klasse Mutter, ungeachtet all der Dinge, die ihr in ihrem Leben widerfahren waren.

Er sah sie in ihren Glanzzeiten vor sich, so wie er sich immer an sie erinnerte, eine Frau, die nicht auf den Mund gefallen war und seinen Vater in die Schranken wies. Er erinnerte sich, wie sie ihre opulenten Mahlzeiten zubereitete, die unvermeidliche Zigarette zwischen den Lippen baumelnd.

Sie war ein echtes Original, und er liebte sie mehr als sonst irgendjemanden, trotz all der Probleme, die nach dem unerwarteten, frühzeitigen Tod seines Vaters entstanden waren.

Die Ermordung seines Vaters hatte sie alle schwer getroffen, aber seine Mutter am schwersten. Sie hatte mehr als ihren Ehemann verloren. Ihr war vielmehr der einzige Mensch genommen worden, der ihr abgesehen von ihren Kindern jemals wirklich Anerkennung und Respekt entgegengebracht hatte.

Der Tod seines Vaters war der Auslöser für all ihre Probleme und entbehrungsreichen Jahre gewesen, das hatte er inzwischen erkannt. Dieser Tod hatte aus Pat den Mann gemacht, der er war, hatte ihn dahin gebracht, wo er heute stand. Ein Mann, der in diesem Moment unter Anklage stand, seinen eigenen Bruder umgebracht zu haben. Ein Mord, für den er auch nicht einen Hauch von Reue empfand, nur das Bedauern, es nicht bereits früher getan zu haben. Abgeknallt und abserviert hätte er gehört. Ausgelöscht, wie man es mit jeder Art von gefräßigem Schädling tun würde. Nachweisen konnten sie es ihm nicht, und reden würde keiner, das war für ihn so sicher wie das Amen in der Kirche. Jeder wusste, dass er die Drecksarbeit erledigt hatte, aber niemand konnte es ihm nachweisen. In diesem Land brauchte man Beweise, keine Verdachtsmomente, und er rechnete zuversichtlich mit einem Freispruch vor Gericht.

Eigentlich gab es keinen Grund, ihn nicht rauszulassen, damit er seine Mutter besuchen konnte, aber sie würden trotzdem nichts unversucht lassen, ihn hierzubehalten, davon war er überzeugt. Sie hassten ihn, und sie hatten allen Grund dafür. Er verachtete das ganze Justizsystem, und wann immer er eingefahren war, hatte er es mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln bekämpft.

Er atmete tief durch, denn er spürte, wie der ihm wohlbekannte Zorn wieder einmal in ihm anstieg, jener Zorn, der schon immer da gewesen war, der ihn schreckliche Dinge hatte tun lassen. Aber er spürte auch seine Entschlossenheit, ihn im Zaum zu halten, bis er bei der Frau gewesen war, die ihn geboren und stets geliebt hatte.

Danach würde er ihm freien Lauf lassen, würde erneut die Erleichterung fühlen, die ihn dabei überkam, und den Frieden, der sich anschließend stets einstellte.

Bis zum nächsten Mal.

Eileen zündete sich eine Zigarette an, nahm einen kräftigen Zug und blinzelte die Tränen fort, die ihr die Wangen hinabzulaufen drohten.

Ein paar Minuten zuvor hatte sie ihre Mutter gewaschen, und deren immenser körperlicher Verfall hatte sie tief getroffen.

Die Frau war nur noch ein Skelett, ihre Arme und Beine spindeldürr, ihr Brustkorb eingefallen und von den Blutungen unter der Haut mit Hämatomen übersät, und die Narben von ihrer Brustamputation hatten in dem dämmrigen Licht hässlich geleuchtet.

Durch das Fenster in der Küchentür beobachtete sie, wie ihre Zwillingsschwester Kathleen Brote schmierte und mit jedem quasselte, der bereit war, ihr zuzuhören. Die arme Kath, wie sie genannt wurde, ihr würde es auch besonders schwer zusetzen.

Dieses Dreckschwein von Lance war tot, aber keiner von ihnen würde ihn jemals vergessen können, wie sehr sie sich auch darum bemühen würden, jeden Gedanken an ihn aus ihren Köpfen zu verbannen.

Sein Tod war eine Art Schlusspunkt für ihre Mutter gewesen, und Eileen wusste, dass sie sich nur noch ans Leben geklammert hatte, bis an seinem Ende kein Zweifel mehr bestehen konnte.

Lance hatte es zu weit getrieben, und die Abscheulichkeit seiner Taten hatte die gesamte Familie zutiefst erschüttert. Eileen wusste allerdings auch, dass niemand von ihnen den Grund, aus dem er sterben musste, jemals ausplaudern würde. Er stellte ein weiteres Familiengeheimnis dar, und an Geheimnisse waren sie schließlich alle gewöhnt, Vertraulichkeit zu bewahren hatten die Brodies von Kindesbeinen an gelernt.

Sollten die Leute doch herumrätseln, sollten sie Spekulationen anstellen, ihr war das inzwischen vollkommen gleichgültig.

Es war vorbei, die Sache war geschehen, und sie hatten sich darum gekümmert.

Erstes Buch

Du siehst, Herr, wie mir Unrecht geschieht;

hilf mir zu meinem Recht!

– Klagelieder des Jeremias 3, 59

Kapitel 1

»Er ist halt ein Halunke, genau wie sein Alter, aber was soll man da machen?« Barry Caldwell breitete seine Arme in einer Geste gespielter Hilflosigkeit aus, und die Männer in der Kneipe griffen sein Lächeln auf. Allerdings wirkte ihre Heiterkeit gequält, was Barry nicht entging und woraus er einen wichtigen Schluss zog. Er hatte dem Falschen ans Bein gepinkelt.

Patrick Brodie jedoch lachte herzlich über die Worte des Mannes.

Im Scherz war dies häufig über ihn gesagt worden, er aber wusste, dass es der Wahrheit entsprach. Barry hatte sich so richtig schön in die Nesseln gesetzt, und wie so mancher vor ihm würde er feststellen, dass man Patrick Brodie besser nicht in die Quere kam.

Pat wusste besser als jeder von ihnen, was er war. Und im Unterschied zu den Männern um ihn herum wusste er auch genau, wie weit zu gehen er bereit war, um zu bekommen, was er wollte. Sein ganzes Leben lang hatte man auf ihn herabgesehen, hatte ihn ausgenutzt und wie das letzte Stück Dreck behandelt. Zum Teil lag dies daran, dass sein Vater ein großer, stets besoffener Ire war, der häufig die Klappe zu weit aufriss und dessen leidenschaftlicher Hang zum Glücksspiel schon immer seine finanziellen Mittel deutlich überstiegen hatte. Folgerichtig war sein Sohn Pat Junior schweigsam, trank nur selten und bestritt seinen Lebensunterhalt neben anderem mit Wettgeschäften.

Aber es lag auch daran, dass er ohne Mutter aufgewachsen war, keine ordentliche Schulausbildung erfahren hatte und dass er sich der Einberufung in die Armee mit seinem fröhlichen Lächeln und jener ihm angeborenen Ungreifbarkeit entzogen hatte, die ihn schon in jungen Jahren unbeirrt einen eigenen Weg verfolgen ließ.

Er hatte nicht die Absicht, für ein Land zu kämpfen, das in seinen Augen die Menschen nun niederhielt und ihnen nichts weiter bot als armselige Knochenarbeit. Diese Meinung hatte er dem befehlshabenden Offizier seinerzeit deutlich zu verstehen gegeben. Außerdem hatte er die Vorratslager nach Strich und Faden geplündert. Schließlich florierte damals noch der Schwarzhandel, und das hatte er sich ausgiebig zunutze gemacht.

Die Armee hatte ihn daraufhin für ein Jahr in den Bau geschickt, und während dieser Zeit hatte er eine Menge über das Leben und das Wesen des Menschen gelernt, vor allem aber begriff er damals, dass man sich im Leben auf niemanden außer sich selbst verlassen konnte.

Von seinem Vater hatte er die Kämpfernatur geerbt und von seiner verschwundenen Mutter die Gleichgültigkeit anderen gegenüber sowie ihr Talent, Vergangenes einfach umzudeuten, wie es ihr gerade in den Kram passte. Und diese Kombination erwies sich für ihn immer häufiger als erfolgreich.

Die Armee entledigte sich seiner Person schließlich mit einem Seufzer der Erleichterung und einer unehrenhaften Entlassung, weil er sich ständig mit jedem anlegte, der anderer Meinung war als er – und dabei stets die Oberhand behielt. Als die Verabschiedung endlich vollzogen wurde, war er darüber ebenso glücklich wie die andere Seite.

Jetzt bestand die letzte Prüfung seiner Ausbildung darin, das ganz große Ding durchzuziehen und sich seinen Platz im Leben zu sichern. Barry hatte ihn reinzulegen versucht, eine Sache, die er niemals vergessen oder verzeihen würde. Patrick war ein Faktor, den jeder auf der Rechnung haben sollte, und diese Tatsache war umso erstaunlicher, da er praktisch als Einzelkämpfer operierte. Er wickelte seine Geschäfte alleine ab, trieb Gelder alleine ein und hatte mittlerweile den Ruf eines Mannes erworben, mit dem sich nur ein Dummkopf anlegen würde.

Doch die Hauptakteure waren inzwischen betagte Männer, was seinen Job immer schwieriger werden ließ. Sie führten sich auf wie alte Weiber, waren zögerliche Schwachköpfe, stets in panischer Angst, sie könnten im Knast landen, da die Richter plötzlich fette Strafen verteilten und an den Leuten Exempel statuierten. Dies war derzeit eine Welt, die geradezu darauf wartete, dass sie jemand an sich riss, so viel war ihm klar, und er nutzte jede sich bietende Gelegenheit, seine Ausgangsposition dafür zu verbessern.

Sein Vater hatte Mitläufer stets toleriert, hatte sich an den Theken mit ein paar Gläsern Bier, ein paar Geschichten und seinem irischen Charme seine wackligen Freundschaften erkauft. Sein Sohn dagegen vertraute keinem, brauchte keinen und behielt mit seinem intuitiven Vorgehen ein ums andere Mal recht. Er hatte keine Zeit für seine Angehörigen, keiner von denen war jemals mehr als schnorrendes Fußvolk gewesen, und er hatte diesem Schmarotzertum ein Ende bereitet. Er war ein Einzelkämpfer, konnte nur sich selbst vertrauen, das verstand er und danach lebte er.

Er hatte zwar ein paar junge Kerle, die für ihn arbeiteten, aber ihm war jetzt plötzlich klar geworden, dass er nach dem bevorstehenden Einschnitt mit der nötigen Sorgfalt Leute anwerben musste. Die Geschäfte nahmen Ausmaße an, die er allein nicht mehr bewältigen konnte. Er war froh, dass Barry keine nennenswerte Rückendeckung besaß, sonst würde diese Angelegenheit womöglich anders ausgehen.

Es wurde Zeit, seine Erfolge zu teilen, das wusste er, aber erst stand die Begleichung einer längst überfälligen Rechnung an. Eine Rechnung, die Barry zu ignorieren versucht hatte, in dem Glauben, dass Pat es nicht wagen würde, sich mit ihm anzulegen.

Brodie war bekannt für seine Verschlagenheit, und wie er wusste, sorgten am heutigen Abend nur die Gerüchte über die Umstände seiner unehrenhaften Entlassung und über seine berüchtigten Wutanfälle sowie das Überraschungsmoment dafür, dass er nicht in einen Mündungslauf blickte.

Er lächelte. Ein Blick in die Runde verriet ihm, dass derjenige, mit dem er sich verbünden würde, eine neue Kraft sein müsste, ein aufstrebender Typ wie er selbst, der den Mut besaß, es mit den etablierten Gegenspielern aufzunehmen. Die Welt veränderte sich. Die jüngeren Leute brauchten Geld und die älteren eine Lektion darin, wie die Realitäten aussahen. Das Land war noch immer im Wiederaufbau begriffen, die Gebäude ebenso wie die Wirtschaft, und die üppigen Chancen auf schnelles Geld hatten Brodie nicht nur zu einem vermögenden Mann gemacht, sondern auch zu einem Mann, dessen Wort man besser ernst nahm und dem man vor allen Dingen den nötigen Respekt entgegenbringen sollte.

Mit dem Krieg war alles anders geworden. Patrick hatte erkannt, dass eine neue Ära anbrach und dass diese neue Welt, in der sie demnächst leben würden, die vielfältigsten Möglichkeiten für profitable Unternehmungen bot. Es bedurfte also auch entsprechender organisatorischer Veränderungen im kriminellen Milieu, und Brodie war fest entschlossen, bei dieser Neuordnung eine bedeutende Rolle zu spielen. Darauf hatte er hingearbeitet, dafür war er der geworden, der er jetzt war, und aus diesem Grund stand Barry nun sein Sturz bevor.

Die Sechziger waren angebrochen und es lebte sich angenehm für jeden, der einen Funken Geschäftssinn besaß und ein paar Scheine in der Tasche hatte, um sich seinen Lebensweg ein wenig zu versüßen.

Patrick zählte zu den Ersten, die Männer wie Barry Caldwell und deren Anhang herausforderten. Das Motto hieß: Lasst die Jungen ran, weg mit den Alten.

Sie alle hatten geahnt, dass dieser Tag kommen würde, hatten nur nicht den Weitblick besessen, irgendwelche Vorkehrungen für den Fall des rüden Erwachens zu treffen. Na, scheiß auf sie alle! Sein Ruf würde heute Nacht weit genug wachsen, um seinen Namen überall in East London bekannt zu machen.

Zu allem entschlossen griff er nach seinem Bier, leerte das längs-geriffelte Courage-Glas mit einem Zug und wuchtete es anschließend mit all seiner Kraft in Barry Caldwells wabbliges, käsiges und merkwürdig überrascht blickendes Gesicht.

Patrick besaß den psychologischen Vorteil, er hatte zuerst zugeschlagen, und als keiner der Männer um ihn herum Anstalten traf, einzuschreiten, stand für ihn ohne jeden Zweifel fest, dass er mit seiner Intuition wieder einmal goldrichtig gelegen hatte.

Sie machten alle einen besiegten Eindruck, wirkten schockiert und schienen nur zu befürchten, einer von ihnen könnte der nächste Punkt auf Patricks Tagesordnung sein. Sie waren alt, vorzeitig gealtert durch Trinkgelage, Kettenrauchen und leicht verdientes Geld. Keiner von ihnen hatte sich seit den Tagen ihrer Militärzeit ernsthaft anstrengen müssen, um seine Position zu behaupten. Sie waren Ausschussware, gehörten längst vergangenen Zeiten an, Zeiten, in denen das Leben grau und leer gewesen war, und ihr antiquierter Moralkodex erstickte junge Leute wie ihn bloß. Sie waren nur noch Kadaver, alte, verhutzelte Schwächlinge. Sie waren am Ende, und sie alle wussten es.

Nun, er dagegen war noch jung genug, um etwas auf die Beine zu stellen, und zugleich alt genug, um ernst genommen zu werden. Pat Brodie hatte Rückenwind, und mit neunundzwanzig war er bereit, seinen gewöhnlich einsilbigen Worten entschlossene Taten folgen zu lassen.

Die Gerichte verteilten gerade lange Haftstrafen, aber das wirkte nicht abschreckend, sondern ließen ihn und seine Geschäftspartner nur noch rücksichtsloser und brutaler vorgehen, denn wenn sie schon so lange einfahren sollten, dann wenigstens für keine Scheiß-Lappalie.

Er sah auf Barry hinunter. Wenn schon, denn schon. Dann sollte man auch gleich reinen Tisch machen.

Lily Diamond war todmüde. Sie hatte eine lange Schicht hinter sich, und ihre Beine waren angeschwollen, nachdem sie vierzehn Stunden auf dem eiskalten Boden der ungeheizten Fabrik gestanden und anschließend mehr als eine Stunde auf den Bus gewartet hatte, der sie etwa zehn Gehminuten von ihrem Zuhause absetzte.

Sie gähnte bereits beim Eintreten in das Haus. Ihre Mutter nahm ihr den Mantel ab, hängte ihn an die Rückseite der Tür und goss ihr eine Tasse dampfend heißen schwarzen Tee ein. Dann stellte sie in der ihr eigenen hastigen Art einen Teller Rührei mit Schinken vor Lily hin.

Dies alles geschah in völligem Schweigen, um nicht den betrunkenen Mann zu wecken, der nebenan in dem kleinen Wohnzimmer leise schnarchend auf dem Sofa lag.

Lily lächelte ihre Mutter an, aber diese Geste hatte nichts zu bedeuten, das wussten sie beide. Dies waren zwei Menschen, die schon Jahre zuvor erkannt hatten, dass zwischen ihnen keine wirkliche Verbindung bestand.

Vom Aussehen her glich Lily ihrer Mutter, das war auch ihr klar. Sie besaßen dasselbe dichte Haar und dieselben grauen Augen. Wenn die Leute sie von hinten sahen, verwechselten sie die beiden mitunter, so stark ähnelten sie sich in ihrer Statur. Beide waren sie mit einer fantastischen Figur gesegnet, die über das Älterwerden der Mutter hinwegtäuschte und ihrer Tochter die Gewissheit gab, dass ihr das gute Aussehen wahrscheinlich entschieden länger erhalten bleiben würde als den meisten ihrer Freundinnen. Abgesehen davon waren die beiden jedoch so verschieden wie Hund und Katze.

Sie hatten nur noch eine Sache gemeinsam, und das war der Hass auf den Mann, der ihren Alltag bestimmte und sie von morgens bis abends terrorisierte.

Mick Diamond war nicht Lilys Vater, wofür sie Gott jeden Tag aufs Neue dankte, aber er hatte ihre Mutter geheiratet, als sie bereits mit dem Kind eines anderen Mannes schwanger ging, hatte ihr seinen Namen gegeben und dann vergeblich auf eigene Kinder gehofft. Aus diesem Grund hegte er nicht nur einen Groll gegen sie als Bastard, ihre Anwesenheit erinnerte ihn zudem ständig an sein eigenes Versagen, daran, dass keine Söhne um seinen Tisch saßen, keine Kinder da waren, die sich später um ihn kümmerten, und dass auf keine weiteren Einkünfte zurückgegriffen werden konnte, die ihm erlaubten, seine Traurigkeit mit dem so dringend benötigten Alkohol zu bekämpfen.

Nun würde sein Name durch einen Bastard weiterleben, durch das Kind eines anderen. Die Tatsache ihrer Existenz war der eindeutige Beweis, dass die Schuld für die Kinderlosigkeit in ihrer Ehe nicht bei seiner Frau, sondern bei ihm lag.

Lily war in einem Haushalt ohne jede Liebe und ohne jede Normalität aufgewachsen. Schon in jungen Jahren hatte sie gelernt, dass ihre einzige Überlebenschance darin bestand, sich ruhig zu verhalten, im Hintergrund zu bleiben und sich so unsichtbar wie möglich zu machen. Mit fünf war sie bereits eine Diplomatin, die um die Notwendigkeit wusste, diese beiden labilen Menschen bei Laune zu halten, indem sie keinerlei Lärm verursachte, nie ihre Zeit in Anspruch nahm und, das Wichtigste von allem, indem sie niemals jemanden außerhalb ihrer zerschrammten und abgenutzten Haustür in irgendeiner Form auf die beiden oder auf sich selbst aufmerksam machte.

Da sie inzwischen Geld verdiente, wurde ihr ein gewisser widerwilliger Respekt entgegengebracht, aber auch das hatte lange gedauert. Mit fünfzehn durchschaute sie ihr Leben besser als manche Leute, die dreimal so alt waren. Sie musste Frieden wahren, bis sie genug Geld beisammenhatte, um auf eigenen Füßen zu stehen, oder sie musste sich herausheiraten.

Während Lily aß, spürte sie die bedrückende Atmosphäre, die dieses Haus stets erfüllte, und sie schlang ihr Essen wie immer schnell und stumm herunter.

Essen hatte in diesem Haus nichts mit Genuss zu tun, es war pure Lebensnotwendigkeit, und das soziale Element eines gemeinsamen Essens hatte sie erst entdeckt, als sie bei Freundinnen zu Besuch gewesen war. Zu erleben, wie dort in aller Ruhe zusammen gegessen und sich über die eigenen Erlebnisse des Tages oder über irgendeine Zeitungsnachricht unterhalten wurde, war für sie eine Offenbarung gewesen, die denen des heiligen Johannes durchaus nahekam.

In der Schule hatte sie sich scheu verhalten und keinerlei Freundschaften geschlossen, da auch ihre Mutter und ihr Stiefvater nie irgendwelche Freunde zu haben schienen. Diese soziale Fähigkeit hatte sie sich erst angeeignet, als die Arbeit ihr die Augen zu einer Welt öffnete, von deren Existenz sie nicht einmal etwas geahnt hatte.

Nichts von Bedeutung war in diesem Haus jemals angesprochen worden. Es war, als würde die Außenwelt für sie überhaupt nicht existieren. Eines Nachts war ihre Großmutter überraschend gestorben, und ihre Mutter hatte es kaum erwähnt. Die Leiche war in einem Holzkasten nach draußen befördert worden, danach war es für sie alle ein Tag wie jeder andere gewesen. Allerdings hatte dadurch der Druck auf Lily etwas nachgelassen, da die Großmutter nie eine Gelegenheit ausgelassen hatte, sie an ihren fehlenden Vater zu erinnern, sodass sich in die Trauer um ihren Tod auch Erleichterung mischte.

Inzwischen war der Drang, von diesen Leuten wegzukommen, jedoch allgegenwärtig. Bisweilen wirkte ihr Bedürfnis, sich von ihnen zu befreien, derart übermächtig, dass sie sich fragte, ob die beiden ihre Gedanken nicht manchmal hören konnten, so laut dröhnten sie in ihrem Kopf – und zugleich so bösartig; es ängstigte sie regelrecht, was sie ihrer Mutter und ihrem Stiefvater antun könnte, wenn sie schliefen.

Ihre Mutter räumte den Teller ab und füllte schweigend noch einmal ihre Tasse auf. Lily nahm ihren Tee wie gewöhnlich mit in ihr winziges Zimmer, zog sich im Dunkeln aus und legte sich zum Schlafen in das eisige Bett. Sie zitterte vor Kälte und angesichts ihrer tiefsitzenden Befürchtung, sie könnte den Rest ihres Lebens ein solch trostloses und einsames Dasein fristen. Ihre Gefühlsregungen waren indes derart verkümmert, dass es ihr selbst jetzt, an diesem absoluten Tiefpunkt, nicht in den Sinn gekommen wäre, zu weinen.

Mit Weinen hatte Lily noch nie etwas erreichen können. Sogar als Baby hatte sie damit nie die Aufmerksamkeit ihrer Mutter erregt, und daher verstand sie nicht, dass es für die meisten Mädchen ihres Alters eine machtvolle Waffe darstellte, ein Mittel, das entwickelt werden wollte, um später damit von allen Männern in ihren Leben, den alten wie den jungen, genau das zu bekommen, was sie wollten.

Sobald sie das nötige Geld und Selbstbewusstsein besaß, sich auf eigene Füße zu stellen, würde ihre allererste Tat darin bestehen, sich ein Radio zu kaufen.

Sie würde sich mit Lärm und mit Menschen umgeben, sie würde ihrem Leben eine Bedeutung geben, wenn nicht für die anderen, dann zumindest für sich selbst. Sie wünschte sich bunte Farben, Musik und Lachen, sie wollte sich unbeschwert fühlen, die Liebe eines anderen menschlichen Wesens erleben, und mehr als alles andere wollte sie ihren inneren Frieden finden. Sie brauchte das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein, größer als sie, größer als diese Welt hier, in die sie ohne ihr Zutun und ihr Einverständnis hineingezwungen worden war. Sie wollte zu dem gehören, was draußen in der Welt vor sich ging. Lily Diamond hatte endlich einen Vorgeschmack auf die Wirklichkeit bekommen, und dieses Gefühl der Freiheit, mit dem sich ihre heranreifende Brust erfüllte, berauschte sie. Plötzlich begann sie zu begreifen, was Leben tatsächlich bedeutete.

Lily Diamond hatte die Jungs für sich entdeckt, oder besser gesagt, die Jungs hatten sie entdeckt, und die erregenden Empfindungen, die sie in ihrem Körper hervorrufen konnten, faszinierten Lily. Endlich erfuhr sie, was Unabhängigkeit bedeutete, spürte das Vergnügen, sich mit anderen zu unterhalten und zu merken, dass ihr jemand zuhörte. Lily plante ihren Ausbruch, und er konnte für sie gar nicht früh genug kommen.

Sie fragte sich, ob der Mann mit dem schwarzen Wagen und der Narbe auf der Wange morgen wieder da sein würde, wenn sie zum Bus ging. Sie hoffte es. Er gefiel ihr besser als die pickeligen Jüngelchen, mit denen zusammen sie arbeitete, oder die Angestellten in der Buchhaltung, die sie in ihren schäbigen Fabrikbüros von Kopf bis Fuß taxierten, wenn sie sich ihre Lohntüte abholte.

Dieser Mann verkörperte eine reizvoll schillernde Gefährlichkeit, die sie bislang allenfalls bei seltenen Ausflügen in der Dunkelheit eines Filmtheaters erlebt hatte. Im Moment war sie, wie ihre Arbeitskolleginnen sagen würden, einfach bereit, es mal darauf ankommen zu lassen.

Pat Brodie hatte schon eine ganze Weile ein Auge auf das Mädchen geworfen. Sie war ausgesprochen jung, und das störte ihn. Er bevorzugte eigentlich forsche Blondinen, die schon so einige Semester auf dem Buckel hatten und über mehr sexuelle Erfahrungen verfügten, als gut für sie war. Scharfe Bräute nannte er so etwas.

Diese Sorte Frauen wusste genau, was sie von ihm zu erwarten hatte. Sie gaben sich keinerlei Illusionen hin, hegten keine albernen Träume von Heirat, Kindern oder – Gott behüte – Liebe. Sie nahmen, was er ihnen zu geben bereit war, nämlich die drei F’s: einen Fick, einen Fünfer und ein bisschen garantierten Fun. Und bis jetzt war dies auch alles gewesen, was er haben wollte, alles, was er brauchte.

Doch dieses junge Mädchen, das in der Black-Cat-Fabrik arbeitete, wo er Zigaretten abholte, um sie anschließend in Pubs und Klubs weit unter Ladenpreis zu verkaufen, hatte es ihm angetan.

Er war erheblich älter als sie und sie viel zu jung für ihn, aber ungeachtet dieser Erkenntnis musste er ständig an sie denken, und es war gerade ihre offenkundige Unerfahrenheit, die ihn anzog. Selbst die abgetragene Kleidung und die niedergeschlagene Haltung schienen ihre attraktive Wirkung auf ihn nur noch zu erhöhen. Es ging ihm bei ihr weniger um das Aussehen, und genau das bereitete ihm auch die größte Sorge. Dieses junge Mädchen nahm ihn irgendwie gefangen. Dabei hatte er noch kein einziges Wort mit ihr gewechselt, kannte nicht einmal ihren Namen und hatte überhaupt keinen Anlass, sich so zu fühlen, wie er sich fühlte.

Während er sie erneut auf ihrem Weg zur Bushaltestelle beobachtete, bemerkte er die schlanken Umrisse ihres Körpers unter dem sackförmigen Mantel und sah mit Vergnügen die Schönheit eines ungeschminkten Gesichts. Kein Zweifel, die eine Sache, die er stets gefürchtet hatte, war schließlich doch geschehen. Es verlangte ihn nach ihr in mehr als nur dem biblischen Sinne.

Er stieg aus seinem Wagen und folgte ihr mit schwerem Herzen zur Bushaltestelle. Er hegte die Hoffnung, dass die Illusion, die sie verursachte, verschwinden und ihre Anziehungskraft verpuffen würde, sobald sie den Mund öffnete und einen starken Cockney-Akzent und äußerst beschränkten Wortschatz offenbarte.

Doch unter dem schwachen Lichtschein der Straßenlaternen war er es schließlich, dem die Worte fehlten. Sie wandte sich bei seinem Näherkommen um, ihre Blicke trafen sich, und er entdeckte in ihren Augen das Spiegelbild seiner eigenen Empfindungen und Gefühle. Bloß dass ihre Angst echt war. Sie fürchtete sich vor ihm, und das bedrückte ihn, denn er wollte sie zum Lachen bringen, wollte sie glücklich machen. Das war ja auch der Grund für seine große Furcht. Wenn er sie unbedingt glücklich machen wollte, dann war klar, wie sehr er sie brauchte.

Sie starrten einander lange an, und er sah, wie die Verkrampfung von ihr wich, so als hätte er ihr versichert, dass sie nichts befürchten musste, als hätten sie beide sich verständigt, Freunde zu werden.

Während ihre Angst schwand, schien seine eigene zusammen, mit seiner Nervosität eher zu wachsen.

»Und?« Ihre Stimme war leise und tief, fast ein Flüstern, und er hörte das aufgeregte Zittern heraus, das die noch verbliebene Furcht in ihr bewirkte. In diesem Moment wusste er, dass sie ihn erwartet hatte, dass ihr sein Interesse angenehm war und sie irgendwie begriffen hatte, dass er keine Gefahr für sie darstellte.

Als sie dann noch eine ihrer sorgfältig gezupften Augenbrauen forschend nach oben zog, stand für ihn fest, dass er keine Ruhe geben würde, bis sie sein war.

Plötzlich lag alle Macht in ihrer Hand. Sie beide wussten darum, aber ihn kümmerte es nicht. Er war einfach nur glücklich, an ihrer Seite zu sein.

Mick Diamond musterte seine Stieftochter mit unverhohlener Fassungslosigkeit, während seine Frau Annie wiederum ihn auf exakt die gleiche Weise anstarrte.

»Was hast du gesagt?« Lily hielt ihre Stimme stets leise und respektvoll, wenn sie mit diesem riesigen Berg von rotem Fleisch und höchst launischem Temperament sprach.

Schon lange versuchte Lily Diamond ein wenig Geld zu sparen, aber wo immer sie es auch versteckte, dieser Mann fand es und gab es ohne jedes Zögern aus. Da sie ihrer Mutter die letzte Lohnerhöhung verschwiegen hatte, konnte sie nie offen sagen, dass ihr Stiefvater sie um die paar Shilling bestahl, während sie schlief oder auf der Arbeit war. Andererseits, hätte ihre Mutter davon gewusst, wäre das Geld sowieso fort gewesen, weil sie es ihr dann selbst sofort abgenommen hätte.

Und nun stand er also vor ihr und sagte ihr, in höflichem Ton wohlgemerkt, sie müsse ihre paar Shilling nicht abgeben. Sie solle sie behalten und, was das Schockierendste und Beängstigendste an seiner Bemerkung war, sie solle sich dafür selbst etwas gönnen. Hierbei musste es sich ihrer Meinung nach um irgendeinen neuen Trick handeln, und ihre Anspannung wurde noch größer, da sie jeden Moment mit dem Dämpfer rechnete, mit dem sarkastischen Spruch oder dem höhnischen Lachen, mit dem sie wieder zu einem Nichts reduziert würde.

Sie blickte ihre Mutter an, die offenbar auf die gleiche Fortsetzung wartete. Eine Ewigkeit schien zu vergehen, jede Sekunde dehnte sich in der Stille der Küche fast spürbar aus. Doch es kam nichts.

Die Spielregeln mussten sich irgendwie geändert haben. Sie hatte schon Schlimmeres überlebt, daher verhielt sie sich ruhig und wartete ab, bis sie genau wusste, womit sie es zu tun hatte. Ihr Blick blieb auf das Geld gerichtet, das dort so unschuldig auf der Tischdecke lag, ihr Rücken schmerzte von dem Druck, der stets auf ihren Knochen lastete, sobald sie durch die Eingangstür dieses Hauses trat.

Mick Diamond musterte das Mädchen und erkannte, was einen Mann wie Brodie zu ihr hinzog. Er wurde sich bewusst, dass sein Schicksal in ihrer Hand lag. Ein unbedachtes Wort aus dem Mund dieses Kindes konnte seinen Tod bedeuten, denn ihr Name wurde inzwischen allgemein und, wie er besonders verblüfft festgestellt hatte, durchaus achtungsvoll mit Patrick Brodie in Verbindung gebracht. Schweißperlen liefen sein Gesicht herab und tropften auf sein Unterhemd. Seine Hände zitterten, und seine Frau war glücklicherweise sprachlos angesichts seines Verhaltens und seiner Worte.

Lily hatte anscheinend das Gefühl, er wolle sie aufziehen, und diese Reaktion machte ihn nur noch besorgter. Ganz offenbar kannte sie ihren Einfluss noch nicht, wusste noch nichts von der Macht, über die sie nun verfügte, und er wollte sich unbedingt gut mit ihr stellen, bevor es so weit war.

Er hoffte nur, es war dafür noch nicht zu spät.

»Mach dem Kind gefälligst ein wenig Tee, Alte, und mir auch. Sie hat doch den ganzen Tag gearbeitet.«

Er lächelte Lily an, und sie sah fragend zu ihrer Mutter hinüber.

Annie wirkte ebenso verwirrt, wie Lily selbst sich fühlte.

Sie bewegte sich mit der für sie typischen Hektik. Die Teetassen klapperten in ihren Händen. Lily und ihre Mutter fragten sich beide, ob das bloß ein neues Spielchen von ihm war, ein Spielchen, bei dem er sie beide aufs Korn nehmen wollte. Er liebte es, Leute zu schikanieren, und er wusste um seine Kräfte nur zu gut.

Lächelnd zündete er sich eine Senior Service an, zog heftig an der Zigarette und streckte seinen Arm in einer freundlichen Geste aus. Lily wurde bewusst, dass er ihr tatsächlich einen Stuhl anbot.

Folgsam wie immer setzte sie sich, obwohl ihr Hass auf ihn so vehement war, dass sie ihn regelrecht schmecken konnte.

»Na, erzähl doch mal, wo hast du Mr. Brodie denn kennengelernt?«

In diesem Augenblick wurde ihr alles klar, und zum ersten Mal in ihrem Leben erlebte sie, wie Wohlbefinden und innerer Friede auch durch Angst gewonnen werden können und wie sich mit Angst auch eine Wende zum Besseren im eigenen Leben bewirken lässt. Immer vorausgesetzt natürlich, es handelte sich nicht um die eigene Angst.

Und da sie die meiste Zeit ihres noch jungen Lebens in furchtbarem Schrecken verbracht hatte, war dies ein herrliches Gefühl. Es kam ihr vor, als wäre sie aus der Knechtschaft entlassen worden. Was auch immer nun geschah, sie wusste genau, dass dieser Mann ihr nie wieder Angst einjagen würde. Schon jetzt schien er geschrumpft, irgendwie alt und erbärmlich. Zusammengesunken hockte er auf seinem Stuhl, während sie ihren Körper plötzlich stolz aufgerichtet hielt. Patrick hatte ihr in diesem Haus Respekt verschafft, und allein aus diesem Grund würde sie ihn schon bis ans Ende ihrer Tage lieben.

Jetzt war sie am Drücker, und das verdankte sie allein ihrem Patrick, Patrick Brodie, der Mann, den sie heiraten würde.

Sie hob ihren Lohn vom Tisch auf und verstaute ihn in der Tasche ihrer Arbeitsjacke. Dann zog sie ein Päckchen Zigaretten heraus und wagte es, sich vor den Augen ihrer Eltern eine Zigarette anzustecken. Sie inhalierte tief und sagte ruhig: »Schönen Dank, ein Tee wäre jetzt wundervoll.«

Ihr Stiefvater winkte seiner Frau, die tatsächlich Tee einzugießen begann und dabei verzweifelt darüber nachdachte, was ihrer Tochter zugestoßen war und was dies am Ende, wie sie hoffte, für sie selbst bedeuten könnte.

Patrick Brodie war inzwischen eine überall bekannte Größe geworden, und wenn es ihrer Tochter gelungen sein sollte, sich einen solch prächtigen Typen zu angeln, dann würde sie den sprichwörtlichen Hut vor ihr ziehen.

Selbst als die Eifersucht einsetzte, suchte sie wie ihr Ehemann unbeirrt weiter nach Möglichkeiten, wie sich diese Beziehung zu ihrem eigenen Vorteil nutzen ließ.

Diesmal waren sowohl Zucker als auch Milch im Tee, und während Lily Diamond sich eine weitere Zigarette anzündete, konzentrierten sich all ihre Hoffnungen und Gebete darauf, dass Patrick ihrer nicht überdrüssig werden möge, denn in diesem Fall würden die beiden hier sie umgehend in Stücke reißen.

»Du willst mich wohl verarschen.« Billy Spot lachte, aber er lachte in Einklang mit seinem Gegenüber, ganz sicher machte er sich nicht über ihn lustig oder wollte seinen berüchtigt reizbaren Stolz verletzen.

Seit er Barry Caldwell abserviert hatte, erlebte dieser junge Mann einen rasanten Aufstieg, und seinem Naturell entsprechend beobachtete Billy in aller Ruhe, ob der frisch gewonnene Status dieses Burschen länger anhalten würde oder nicht. Er hatte über die Jahre viele kommen und gehen sehen, er wusste, wie in ihrer Branche die Dinge liefen. Um im Rennen zu bleiben, musste man seine Gegenspieler entweder einfach überleben oder sie verdrängen. Im Augenblick war Pat halt der große Zampano, und er würde sich in Ehrerbietung vor ihm verneigen, wenn er auf diese Weise im Spiel bleiben konnte. Er war vom Typ her eben eher ein Mitläufer, kein Anführer, und das wusste er selbst am allerbesten. Aber Barrys Tod hatte für einige Unruhe in ihrer Branche gesorgt, und dass die Vergeltung nicht mehr lange auf sich warten lassen würde, war ihm ebenfalls bekannt. Schließlich hatte er selbst mit ein paar Kumpanen die Mittel dafür zur Verfügung gestellt. Er konnte es sich also leisten, freundlich zu sein, aber er hatte keineswegs die Absicht, sein eigenes Terrain kampflos zu räumen.

»Sie scheint mir allerdings auch ein wirklich nettes Mädchen zu sein.« Das Lachen war nun verschwunden, und er sprach voller Respekt und geheucheltem Interesse.

Jetzt lächelte Pat. »Das ist sie auch.«

Pat konnte Billy im Grunde genommen gut leiden, und er sah seine Lil auf einer Ebene mit Billys alter Dame. Auch sie war eine milieufremde Frau, die noch nie ihren Fuß in einen Klub ihres Mannes gesetzt hatte und die für keinerlei Gerede sorgte. Sie brachte ohne viel Aufregung ein Kind nach dem anderen auf die Welt und belog die Bullen, wenn die Situation es verlangte. Kurz gesagt, sie war eine prima Puppe, und Billy hielt große Stücke auf sie.

Genau wie Billy wünschte auch Pat sich eine Brahma, eine anständige Frau, jemand, auf den er sich verlassen konnte, selbst wenn ihm zwanzig Jahre aufgebrummt wurden. Und seine Intuition sagte ihm, dass all diese Eigenschaften in jenem jungen Mädchen vereinigt waren, in das er sich so vernarrt hatte. Schon seit Wochen verspürte er kein Verlangen mehr nach anderen Frauen, und für ihn war das etwa so, als hätte er keine Lust auf einen Drink oder auf ein lukratives Geschäft.

Mit anderen Worten, so etwas war ihm noch nie passiert.

Ihn beschäftigten noch ein paar andere Dinge, und sobald die erledigt waren, würde er seinem Mädchen ganz in Ruhe den Hof machen. Er würde sich um die nötigen Einkunftsquellen kümmern, damit er nach seiner Hochzeit wie ein König leben konnte.

Leider bedeutete dies auch, dass er diversen Menschen auf die Zehen treten musste, aber er war auf die Folgen vorbereitet und entschlossen, mit größtem Vergnügen jedes sich bietende Stückchen Macht sofort zu ergreifen.

Wie sein Vater war er bereit, bei einer günstigen Gelegenheit alles auf eine Karte zu setzen, aber im Unterschied zu seinem Vater stellte er anschließend gerne sicher, dass alles, was er gewonnen hatte, ihm auch erhalten blieb. Vermutlich würde Billy zwar ebenso wenig Verständnis für seinen Weitblick in dieser neuen Welt der illegalen Geschäfte aufbringen wie Barry, aber Respekt den Älteren gegenüber war heutzutage purer Luxus, und je schneller die dämlichen alten Wichser das kapierten, desto besser stünden die Dinge für sie alle.

»Hast du ein Problem damit, dass ich Drogen verdeale, Bill?«

Billy zuckte mit den Achseln, und Patrick war beeindruckt davon, wie gleichgültig der Mann sich gab, obwohl sie doch beide wussten, was hier im Grunde geschah. Langsam und unwiderruflich übernahm er Billys Geschäfte. Die Handlanger von Billy Spot arbeiteten mittlerweile allesamt in irgendeiner Funktion für ihn.

Die Situation war ein eindeutiges Schachmatt, und Patrick hoffte, dass Billy dies verstehen und nicht allzu sehr den längst vergangenen Zeiten nachtrauern würde.

Er hatte die Gerüchte über eine Vergeltungsaktion für Barry bereits aufgeschnappt und war auf der Hut, aber zugleich akzeptierte er diese Gefahr auch als untrennbaren Bestandteil jener Laufbahn, die sie alle eingeschlagen hatten.

Billys Glanzzeiten waren lange vorbei. Er hatte den gleichen Fehler begangen, der so vielen mächtigen Leuten unterlief. Er war schon seit Jahren nicht mehr tatsächlich auf der Straße unterwegs. Man trug ihm nur noch zu, was er hören wollte, und schon lange konnte er niemandem mehr selbst das Maul stopfen, sondern hing bei der Erledigung aller Dreckarbeiten von angeheuerten Schlägern ab. Er war inzwischen in aller Augen eine einzige Peinlichkeit.

»Du kleines Teufelsweib! So ein Glückspilz!«

Constance White betrachtete das junge Mädchen, das routiniert Zigaretten in die neben ihr liegenden Schachteln packte, und ihr Grinsen war freundlich und wohlwollend. »Ich fass es nicht, Mädchen, du hast dir echt Pat Brodie geangelt! Übrigens nennen ihn seine Auserwählten meist schon bald Glenn Miller, weil er in der Regel ziemlich rasch auf der Vermisstenliste auftaucht.«

Alle lachten, und Lily lief vor Verlegenheit puterrot an.

Connie, wie sie allgemein genannt wurde, war bereits zwanzig, verheiratet und hatte zwei Kinder. Sie wusste, dass dieses Mädchen, und trotz ihres reifen Aussehens war sie in ihren Augen noch ein Kind, keineswegs eine von Brodies gewöhnlichen Affären sein würde. Mit diesem Mädchen wollte er seine Familie gründen, und sie selbst hatte so das Gefühl, die kleine Lily würde sie noch alle in Erstaunen setzen.

Lily lächelte glücklich. Dank Pat hatte sie nun fürs Leben ausgesorgt, und diese Fabrik und alles, was damit zusammenhing, würde schon bald der Vergangenheit angehören. Sie musste nur noch sechzehn werden, dann wäre sie sofort verschwunden.

Im Radio kam »Something in the Air« von Thunderclap Newman, und gemeinsam mit ihren Arbeitskolleginnen sang sie mit. Es lag zweifellos etwas in der Luft.

Patrick veränderte ihr Leben auf so vielfältige Weise, und während sie ihre Zigaretten einpackte, träumte sie davon, wie sein Körper ihren berührte, und sehnte sich nach den Küssen, zu denen es gewiss kommen würde, sobald es Abend wurde und sie allein mit ihm im Auto saß.

Vor seinem Nachtklub in Soho stand Billy Spot mit seiner Freundin im Arm auf der Straße. Die Rothaarige namens Velma besaß all die üblichen Grundvoraussetzungen: große Titten, weiße Zähne und lange dünne Beine. Billy trug sein Standardensemble: schwarzer Crombie-Mantel, Nadelstreifenanzug und eine teure Zigarre im Mund.

Er war erstaunt, als seine Freundin sich plötzlich aus seinem fetten Arm schälte und zügig davonging, erstaunt auch noch, als er aus dem Augenwinkel den jungen Patrick Brodie bemerkte, der eine Schusswaffe unter seinem Mantel hervorzog. Er war ein toter Mann, und er wusste es.

Ohne große Aufregung ging er zu Boden, und Patrick war verschwunden, bevor noch jemand auf die Idee kommen konnte, die Polizei zu rufen, um der Sache einen ordnungsgemäßen Anstrich zu verpassen, sie normal aussehen zu lassen. Die Waffe landete in der Themse, und Billys Geschäftspartner waren innerhalb weniger Stunden von seinem Ableben in Kenntnis gesetzt. Sie kümmerte es nicht. Er mochte ein netter Kerl gewesen sein, aber – wie sie alle unter vier Augen betonten – Geschäft war nun einmal Geschäft.

Raus mit dem Alten, rein mit dem Neuen. Pat hatte sich spontan dafür entschieden, die alteingesessene Kiezgröße auszuschalten und für klare Verhältnisse in der Branche zu sorgen. Spot hatte ihn einem engen Bekannten gegenüber in den Dreck gezogen, und das war etwas, das er nicht zulassen konnte. Er würde sich von nun an von keinem mehr verarschen lassen. Er hatte Lil, und jetzt wollte er alles.

Ohne große Umstände zu machen, kaufte Pat den Rest des Londoner Konsortiums auf. Er war ihnen allen viel zu jung und viel zu gefährlich, und so beschlossen sie, sich lieber zur Ruhe zu setzen. Er hatte die Jungen alle auf seiner Seite, und das verschaffte ihm den entscheidenden Vorteil. Diese neue Generation war völlig irre. Sie wollten alles, und sie wollten es so schnell wie möglich. Mit dem Drogengeschäft hatten sich die Spielregeln komplett geändert, und die Alten wollten damit nichts mehr zu tun haben.

Billy hätte diese Entwicklung kommen sehen sollen.

Kapitel 2

Pat liebte die Docks bei Nacht. Selbst der Gestank des Flusses war etwas, das er genoss. Nach dem Weggang seiner Mutter hatte er hier als Kind gespielt und gewartet, bis sein Vater mit seinem Kampf fertig war. Als Straßenboxer hatte er mit beeindruckenden Siegen gelegentlich richtig Geld gemacht. Aber dann begann die Trinkerei ihm zuzusetzen, und er verlor häufiger, als er gewann. Er verdiente weniger Geld, was dazu führte, dass er nur noch mehr trank.

Nach und nach büßte er seinen Ruf und sein Ansehen ein, und darin lag in Pats Augen auch einer der Gründe, warum er schließlich ganz verschwand. Inzwischen war Pat klar, wie schwer ihn dieser Abstieg getroffen haben musste, aber er konnte dennoch in seinem Herzen keine Vergebung für seinen Vater finden. Er hatte ihn ohne jedes klärende Wort im Stich gelassen, und genau dieser Schritt hatte Pat hart werden lassen, hatte ihn jedoch auch zu dem festen Entschluss gebracht, stets für seine Familie zu sorgen, was auch immer geschehen mochte. Abzuhauen war einfach. Dazubleiben und den eigenen Scheiß in Ordnung zu bringen, das erforderte Mumm, das erst zeichnete einen echten Mann aus.

Pat schloss die Augen und verdrängte alle Gedanken an seine Eltern aus dem Kopf. Mit ihnen war er fertig, aus und vorbei. Sie waren nichts weiter als Scheiße, die an seinen Schuhen klebte, keiner von beiden interessierte ihn auch nur die Bohne, und ganz sicher hatte er nicht die Absicht, sie stärker an seinem Leben teilhaben zu lassen, als er es bislang getan hatte.

Schon sein ganzes Leben lang erfüllte eine Kälte sein Inneres, die Angst, von einem anderen Menschen abzuhängen, die Angst, weich und nachgiebig zu sein, die Angst, der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden. Mit Lil hatte er jetzt allerdings das Gefühl, alles im Griff zu haben, denn sie brauchte schließlich ihn, hier war es nicht andersherum.

Die Erinnerung daran, wie er aufgewachsen war, schmerzte ihn ebenso wie das Bewusstsein, dass sein Leben, wie das aller Kinder, die in Armut groß wurden, ein reines Glückspiel gewesen war. Inzwischen wollten seine Eltern ihn natürlich. Sie waren schockiert darüber, dass ihr Kind es weitergebracht hatte, als sie je auch nur zu träumen gewagt hätten. Sie glaubten sogar, er wäre bescheuert genug, sie bei sich einsteigen zu lassen. Als ob er so dämlich wäre, auch nur mit einem von ihnen noch einmal ein Wort zu wechseln. Jetzt waren sie also tatsächlich zum ersten Mal in ihrem Leben zufrieden mit ihm, und dann war es zu spät. Er würde nicht einmal auf sie pissen, wenn sie direkt vor seinen Augen in Flammen aufgingen. Er war auch so glücklich. Bis er seine Frau kennenlernte, hatte er sowieso nie jemanden gebraucht, und jetzt war sie alles, was er brauchte. Sie respektierte er. Schlicht und einfach. Sie war nicht so wie seine Mutter, die sich mehr in den Gassen herumgetrieben hatte als jeder verfickte Straßenköter. Sein ganzes Leben lang war er übergangen und verarscht worden, aber jetzt machte er sich einen Namen, jetzt ließ er die Leute wissen, dass er zu mächtig war, um noch ignoriert zu werden, und er liebte jede Sekunde dieser neuen Situation. Offen eingestehen würde er das natürlich nie. Nicht einmal sich selbst.

Er starrte zum Neumond hinauf, lächelte vor sich hin und genoss diese einsame Nachtwache, genoss den Sieg über seine Vergangenheit.

Custom House war nachts im Schutze der Dunkelheit nicht weniger belebt als tagsüber. Der Unterschied bestand bloß darin, dass die nächtlichen Geschäfte von dunkel gekleideten Männern mit Angst einflößendem Ruf in gedämpftem Ton abgeschlossen wurden. Die Nutten, die in den frühen Morgenstunden die Kais bevölkerten, zählten zu den älteren Dirnen, die ihre besten Jahre längst hinter sich hatten und deren einziger Freund nun das schummrige Licht der Straßenlaternen war. Es waren verbrauchte, verwitterte, endgültig geschlagen aussehende Frauen.

Es war eine andere Welt, eine Welt, die Pat Brodie mit der gleichen Heftigkeit liebte und hasste. Einmal hatte er seine Mutter an den Docks beim Anschaffen gesehen, und ihr Schicksal war ihm vollkommen gleichgültig gewesen. Er hatte ihre Verlegenheit, ihren Zerfall sogar genossen. In seinen Augen hatte sie den absoluten Tiefpunkt erreicht, als sie ihn im Stich ließ, und er spürte nicht die geringste Verpflichtung ihr gegenüber. Ihn kümmerte es auch nicht, wenn alle darüber Bescheid wussten. Sie bedeutete ihm nichts, und er hatte nicht die Absicht, sie darüber im Unklaren zu lassen.

Seine Heirat hatte seinem Profitstreben neuen Schwung verliehen. Lil bedeutete ihm alles, und es kam ihm vor, als würden seine Empfindungen für sie mit jedem Tag wachsen. Sie registrierte mit ebenso großem Erstaunen wie er, dass sie ein äußerst aufbrausendes Temperament besaß, was für reichlich Zündstoff zwischen ihnen sorgte. Sie war leidenschaftlich, und sie war schlagfertig.

Dinge, die über Jahre hinweg entweder unterdrückt worden waren oder die in ihrem Innern unbekannterweise geschlummert hatten, während sie auf Zehenspitzen durch das Haus ihrer Mutter gelaufen war und versucht hatte, sich unsichtbar zu machen, brachen plötzlich an die Oberfläche. Pats Miene verdüsterte sich, wenn er daran dachte, wie sie behandelt worden war, und er wunderte sich zum tausendsten Mal, warum sie sich noch mit ihrer Mutter abgab.

Ständig hing die verfluchte Klette bei ihnen herum und schien, wenn schon nicht für ihre Tochter, so immerhin für ihren Enkel eine aufrichtige Zuneigung zu verspüren. Allerdings spielte sie auch die besorgte Mutter mit einem Feuereifer, der ebenso verblüffend wie unverschämt war. Geld bewirkte bei vielen Leuten diese Reaktion, das wusste er besser als jeder andere.

Er wusste auch, dass Lil sie brauchte, dass Lil die Vorstellung brauchte, dieser Frau, die sie geboren hatte, etwas zu bedeuten. Er selbst konnte es kaum erwarten, bis die alte Schachtel sich in die Nesseln setzte, und das würde sie bestimmt, diese Sorte tat dies immer, und dann würde er sie mit großem Vergnügen hinauswerfen. Bis dahin musste er sich halt zusammenreißen und bei Bedarf eine gute Miene aufsetzen.

Allerdings half sie im Haushalt und das war immerhin etwas. Der kleine Pat Junior war ein echter Teufelsbraten, und er liebte ihn von ganzem Herzen. Er war unverkennbar der Sohn seines Vaters, jetzt hoffte Pat nur, dass er nicht zu viel von seinem Großvater väterlicherseits in sich trug. Das würde sich erst mit der Zeit zeigen. Pat wollte eine ganze Horde Kinder und war sich sehr wohl darüber bewusst, dass eins davon höchstwahrscheinlich nicht nur die Trägheit, Selbstsucht und Verlogenheit, die seinen Vater ausgemacht hatten, erben würde, sondern auch die rücksichtslose Haltung seiner Mutter. Gewiss würde eines von ihnen nach den Großeltern geraten.

Stets hatte Pats Vater für alles eine Ausrede gefunden und für einen Drink oder eine Wette hätte er seinem Kind noch die Butter vom Brot geklaut. Es war unvermeidbar, dass eine große Familie auch einen nichtsnutzigen Sprössling hervorbrachte, Pat hoffte nur, die ersten Anzeichen früh genug zu erkennen, um sie sofort auszumerzen. Sie aus dem Kind herauszuprügeln, sollte es gar nicht anders gehen. Was ihn von seinem Vater unterschied, der ihn auch grundlos, aus purer Laune heraus verprügelt hatte.

Genau wie seine Mutter. Sie war regelmäßig abgehauen, hatte ihn zurückgelassen mit einem Mann, der nichts davon verstand, ein Kind aufzuziehen, und den nichts weiter interessierte als die Frage, woher er seinen nächsten Drink bekam. Immer wieder hatte er in seiner Jugend bei irgendwelchen Verwandten unterkommen müssen, und daher war für ihn – wie für Lil – ihr gemeinsames Zuhause das Wichtigste überhaupt.

Natürlich leistete er sich noch den ein oder anderen Seitensprung, aber er war ihr so treu, wie er nur sein konnte. Für beide von ihnen hatte diese Ehe eine Reise in unbekannte Gewässer dargestellt. Aber letztlich ergänzten sie sich hervorragend, und sie brauchten einander.