Kidnapped - Martina Cole - E-Book
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Kidnapped E-Book

Martina Cole

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Beschreibung

Wie weit würdest du gehen, wenn jemand dein Kind entführt? Verachtet, gehasst, beneidet – Joanie Brewer ist Prostituierte und in der Unterwelt Londons gut vernetzt. Sie kennt die harte Realität der Straße und gibt sich schon lange keinen Illusionen mehr hin. Nur eines gibt es, was ihr Herz berührt, und das sind ihre Kinder, für die sie durchs Feuer gehen würde. Besonders für ihr Nesthäkchen Kira, immer ein wenig verloren in der großen Welt und umso heißgeliebter von der ganzen Familie. Als die Kleine plötzlich entführt wird, sitzt der Schock tief. Wer hat ein Interesse daran, Kira etwas anzutun? Joanie und ihr Sohn setzen alles in Bewegung, um Kira zu finden – aber was, wenn sie nicht mehr rechtzeitig kommen? »Martina Cole nimmt kein Blatt vor den Mund und schreibt über das, was sie sieht.« Independent on Sunday Ein packender Thriller, der die Fans von Catherine Shepherd begeistern wird.

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Seitenzahl: 694

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Über dieses Buch:

Verachtet, gehasst, beneidet – Joanie Brewer ist Prostituierte und in der Unterwelt Londons gut vernetzt. Sie kennt die harte Realität der Straße und gibt sich schon lange keinen Illusionen mehr hin. Nur eines gibt es, was ihr Herz berührt, und das sind ihre Kinder, für die sie durchs Feuer gehen würde. Besonders für ihr Nesthäkchen Kira, immer ein wenig verloren in der großen Welt und umso heißgeliebter von der ganzen Familie. Als die Kleine plötzlich entführt wird, sitzt der Schock tief. Wer hat ein Interesse daran, Kira etwas anzutun? Joanie und ihr Sohn setzen alles in Bewegung, um Kira zu finden – aber was, wenn sie nicht mehr rechtzeitig kommen?

Über die Autorin:

Martina Cole ist eine britische Spannungs-Bestsellerautorin, die bekannt für ihren knallharten, kompromisslosen und eindringlichen Schreibstil ist. Ihre Bücher wurden für Fernsehen und Theater adaptiert und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Martina Cole hält regelmäßig Kurse für kreatives Schreiben in britischen Gefängnissen ab. Sie ist Schirmherrin der Wohltätigkeitsorganisation »Gingerbread« für Alleinerziehende und von »Women's Aid«.

Die Website der Autorin: martinacole.co.uk/

Die Autorin bei Facebook: facebook.com/OfficialMartinaCole/

Bei dotbooks veröffentlichte Martina Cole ihre Thriller »Die Gefangene«, »Die Tochter«, »Kidnapped«, »Perfect Family«, »The Runaway« sowie die Spannungsromane »Eine irische Familie«, »Die Ehre der Familie«, und »Die Abgründe einer Familie«.

***

eBook-Neuausgabe Januar 2025

Die englische Originalausgabe erschien erstmals 2003 unter dem Originaltitel »The Know« bei Headline Book Publishing, London. Die deutsche Erstausgabe erschien 2005 unter dem Titel »Das Gesicht« bei Heyne, München.

Copyright © der englischen Originalausgabe 2003 by Martina Cole

Copyright © der deutschen Erstausgabe 2005 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House

Copyright © der Neuausgabe 2024 dotbooks GmbH, München

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover.

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Wildes Blut – Atelier für Gestaltung Stephanie Weischer unter Verwendung eines Motives von © Ya Ali Madad / Adobe Stock sowie mehrerer Bildmotive von © shutterstock

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH (vh)

ISBN 978-3-98952-445-3

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dotbooks ist ein Verlagslabel der dotbooks GmbH, einem Unternehmen der Egmont-Gruppe. Egmont ist Dänemarks größter Medienkonzern und gehört der Egmont-Stiftung, die jährlich Kinder aus schwierigen Verhältnissen mit fast 13,4 Millionen Euro unterstützt: www.egmont.com/support-children-and-young-people. Danke, dass Sie mit dem Kauf dieses eBooks dazu beitragen!

***

Liebe Leserin, lieber Leser, wir freuen uns, dass Sie sich für dieses eBook entschieden haben. Bitte beachten Sie, dass Sie damit gemäß § 31 des Urheberrechtsgesetzes ausschließlich ein Leserecht erworben haben: Sie dürfen dieses eBook – anders als ein gedrucktes Buch – nicht verleihen, verkaufen, in anderer Form weitergeben oder Dritten zugänglich machen. Die unerlaubte Verbreitung von eBooks ist – wie der illegale Download von Musikdateien und Videos – untersagt und kein Freundschaftsdienst oder Bagatelldelikt, sondern Diebstahl geistigen Eigentums, mit dem Sie sich strafbar machen und der Autorin oder dem Autor finanziellen Schaden zufügen. Bei Fragen können Sie sich jederzeit direkt an uns wenden: [email protected]. Mit herzlichem Gruß: das Team des dotbooks-Verlags

***

Bei diesem Roman handelt es sich um ein rein fiktives Werk, das vor dem Hintergrund einer bestimmten Zeit spielt oder geschrieben wurde – und als solches Dokument seiner Zeit von uns ohne nachträgliche Eingriffe neu veröffentlicht wird. In diesem eBook begegnen Sie daher möglicherweise Begrifflichkeiten, Weltanschauungen und Verhaltensweisen, die wir heute als unzeitgemäß oder diskriminierend verstehen. Diese Fiktion spiegelt nicht automatisch die Überzeugungen des Verlags wider oder die heutige Überzeugung der Autorinnen und Autoren, da sich diese seit der Erstveröffentlichung verändert haben können. Es ist außerdem möglich, dass dieses eBook Themenschilderungen enthält, die als belastend oder triggernd empfunden werden können. Bei genaueren Fragen zum Inhalt wenden Sie sich bitte an [email protected].

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Martina Cole

Kidnapped

Thriller

Aus dem Englischen von Anja Schünemann

dotbooks.

Widmung

Für Jo und Lesley.

Vorwärts und aufwärts, Mädels. Alles Liebe und lasst euch umarmen.

Für Avril und Timmy Petherick

(und Gra Geoff und Susan P).

In Liebe, immer eure Minnie x

Und auch für Adele King.

Es war solch ein wunderbares Geschenk,

dich als meine Freundin und als Freddies Patin zu haben.

Ich werde nie die Güte und Freundschaft vergessen,

die ich stets von dir und Darley erfahren habe.

Prolog

Joanie Brewer öffnete ihre Wohnungstür und sah nur Polizeiuniformen. Sie versuchte erfolglos, die Tür wieder zu schließen. Wie schon so oft.

Als ein großer Fuß energisch auf ihre Fußmatte gestellt wurde, seufzte sie.

»Er ist gerade aus dem Haus. Aber vorher war er den ganzen Tag hier bei mir. Also, was immer Sie ihm anhängen wollen – er war’s nicht.«

»Joanie ...«

Der Officer in Zivil starrte sie ein paar Sekunden lang an, ehe er die Augen niederschlug und stattdessen die schäbigen alten Schlappen an ihren winzigen Füßen betrachtete – pinkfarbene Straußenfedern und abgetretene Plastikabsätze. Joanies hübsches Gesicht wirkte im grellen Licht der elektrischen Flurbeleuchtung hart. Das blassblond gesträhnte Haar war straff hochgebunden, und ihre scharfen Züge verliehen ihr etwas beinahe Raubtierhaftes. Ohne das übliche Make-up erschien Joanie älter, als sie war. Man sah ihr an, was das Leben aus ihr gemacht hatte – sie wirkte benutzt, verbraucht.

Einzig ihre blauen Augen verrieten ein echtes Gefühl: Verzweiflung. Ihr war klar geworden, was die Polizisten herführte. Und sie wollte das, was sie ihr zu sagen hatten, nicht hören – nur dass ihr wohl nichts anderes übrig blieb.

»Es tut mir leid, Joanie, meine Liebe. Dürfen wir reinkommen?«, fragte der Detective Inspector in Zivil, DI Baxter.

Während Joanie die ramponierte Wohnungstür, von der die Farbe bereits abblätterte, weit öffnete, wandelte sich ihre Haltung schlagartig.

»Dann bringen wir’s mal hinter uns, wie?«

Keiner der drei Männer brachte es über sich, ihrem Blick zu begegnen. Eine dunkelhaarige Polizistin mit herablassender Miene fasste Joanie sanft am Arm, doch diese schüttelte sie mit solcher Heftigkeit ab, dass sie beinahe das Gleichgewicht verlor.

Es herrschte eine unerträglich gespannte Atmosphäre. Keiner der Polizisten war gern hier, und allen war klar, dass sie nicht erwünscht waren.

Joanie führte sie ins Wohnzimmer und beobachtete mit einem Anflug von Befriedigung, wie die Gesichter aller vier den gleichen entgeisterten Ausdruck annahmen. Das Zimmer war schäbig, aber makellos sauber. Was die Besucher so aus der Fassung brachte, waren der Achtundvierzig-Zoll-Fernseher und der hochmoderne DVD-Player. Joanie lächelte in sich hinein und verkündete: »Alles ehrlich bezahlt. Die Quittungen liegen in der Küche.«

Niemand erwiderte etwas.

Die Polizistin ging auf die Küchentür zu, die offen stand, und sagte: »Ich mache uns mal einen Tee, ja?«

Niemand antwortete ihr. Joanie setzte sich und forderte die Übrigen mit einer Handbewegung auf, ebenfalls Platz zu nehmen. »Sie haben sie gefunden, nicht wahr?«

DI Baxter nickte.

Joanie kämpfte jetzt mit den Tränen, und noch immer konnte keiner der Männer ihr in die Augen sehen.

»Dann ist sie also tot?«

Der Detective nickte wieder.

Joanie ließ den Kopf in die Hände sinken und schluchzte laut auf – einen einzigen heiseren, verzweifelten Schluchzer –, ehe sie sich energisch zusammenriss. Sie wischte sich die Augen, hob den Kopf, blickte sich im Zimmer um und kämpfte ihre Gefühle nieder, wie sie es ihr Leben lang getan hatte.

Sie würde den Teufel tun, vor diesen Leuten zu weinen. Ihr Blick blieb an einem Bild auf dem Kaminsims hängen. Das letzte Schulfoto ihrer Kira mit den strahlenden, fröhlichen blauen Augen. Joanies Jüngste war ein wunderschönes kleines Mädchen gewesen, ein reizendes Kind. Unehelich geboren wie die Übrigen und geliebt wie kein anderes.

Joanie hörte das Blut in ihren Ohren pulsieren und hatte einen Moment lang das Gefühl, in Ohnmacht zu fallen.

»Ich hab Ihnen doch gesagt, sie wäre niemals weggelaufen, aber Sie wollten ja nicht auf mich hören!« Das war eine Anklage. »Mein Baby hätte mich nie verlassen. Nie! Aber keiner von Ihnen hat auf mich gehört.«

Der Detective zog aus einer Tüte, die er auf dem Schoß hielt, ein Kinderkleid hervor. Für das Kleid einer Elfjährigen war es klein. Kira hatte die Statur ihrer Mutter gehabt: klein und zierlich. Das Kleid war ursprünglich weiß gewesen, mit einem Muster aus winzigen blauen Blumen. Jetzt war es verschmutzt. Joanie brauchte nicht zu fragen, was ihrem Kind zugestoßen war.

»Dies hier haben wir bei der Leiche gefunden. Wir müssen Sie bitten, es für uns –«

Sie riss es ihm aus der Hand und vergrub ihr Gesicht darin, doch alles, was sie roch, war Dreck – Dreck und Hass. Nicht den blumigen, sonnigen Duft eines elfjährigen Kindes an der Schwelle zum Frau werden. Eines Kindes, dessen Leben gerade erst begonnen hatte. Joanie sah im Geiste vor sich, wie Kira lachte und herumalberte. Sie war ein nettes, unkompliziertes Kind gewesen.

Nun flossen die Tränen doch, und im selben Moment kam die Polizistin mit dem Tee herein. Joanie war trotz ihrer Verzweiflung froh, dass die Frau die guten Tassen genommen hatte, die sie sich für Besucher aufsparte. Es war ihr wichtig, sich mit schönen Dingen zu umgeben.

Jetzt ganz besonders.

Sie redeten auf sie ein. Joanie sah, wie sich ihre Münder bewegten, doch sie vernahm nichts. Das Einzige, was sie in ihrem Kopf hörte, war die Stimme ihrer Tochter, die nach ihrer Mummy rief, aber Mummy kam nicht.

Joanie wiegte den Oberkörper vor und zurück, umklammerte das Kleidchen und flüsterte wieder und wieder: »Mein Baby. Mein Baby.«

Einer der Constables fragte betreten: »Soll ich den Sani rufen?«

Der Detective nickte und nippte an seinem Tee.

Man mochte sonst über Joanie Brewer sagen, was man wollte – und sie war auf der Wache eine Legende –, doch im Augenblick war sie einfach nur eine Frau, deren Kind brutal ermordet worden war.

Scheiß auf den Tee. Er hätte eine Flasche Hochprozentiges mitbringen sollen, wenn nicht für sich selbst, dann für dieses Wrack von einer Frau, das hier vor ihm saß.

Dies war nicht mehr Joanie Brewer, die stets betrunkene Prostituierte mit dem unsäglichen Mundwerk, die drei Kinder in die Welt gesetzt und damit im Alleingang eine wahre Verbrechenswelle ausgelöst hatte. Dies war eine trauernde Mutter, deren Kind auf offener Straße entführt, misshandelt und missbraucht und schließlich wie Abfall beseitigt worden war.

Baxter trank schweigend seine Tasse leer.

Joanie war nun ruhig geworden, starrte ins Leere, und den Polizisten war klar, dass sie heute nichts mehr aus ihr herausbekommen würden.

Endlich traf der Arzt ein.

Erstes Buch

»Ladys, ein klein wenig mehr Jungfräulichkeit,

wenn ich bitten dürfte.«

Sir Herbert Beerbohm Tree, 1853-1917

Denn draußen sind die Hunde und die Zauberer und die

Hurer und die Totschläger und die Abgöttischen und alle,

die liebhaben und tun die Lüge.

Offenbarung 22,15

Kapitel eins

Es war heiß in dem winzigen Schlafzimmer. Joanie Brewer stellte den Ventilator höher und trug noch mehr Deo auf. Das Doppelbett nahm fast den gesamten Raum ein, so dass sie darüber klettern musste, um kurz an ihrer Benson & Hedges Light zu ziehen. Anschließend trank sie einen großen Schluck Wodka mit Cola. Als die beißende Flüssigkeit ihren Magen erreichte, musste sie laut rülpsen.

Aus einem vollgestopften Kleiderschrank quoll der Inhalt nach allen Seiten heraus, und der Duft von Avon Musk hing schwer im Raum. Joanie war ganz und gar nicht danach, heute Abend arbeiten zu gehen. Sie hätte nichts lieber getan, als mit den Nachbarinnen draußen im Hof zu sitzen, zu trinken, zu rauchen und zu plaudern. Im Sommer war es hier herrlich – abgesehen von dem Gestank nach Abfall und ungewaschenen Kindern. Man konnte sich beinahe einbilden, man sei im Ausland. Allerdings, so sagte sich Joanie, hatte sie schon immer eine rege Fantasie besessen. Teneriffa war bestimmt etwas anderes!

Sie lächelte ihrem Spiegelbild zu und zog sich noch einmal die Lippen mit bonbonrosafarbenem Lippenstift No 7 nach. Wenn die Einnahmen heute Nacht gut waren, würde sie morgen freinehmen und sich einen schönen Abend machen. Sie hatte ohnehin mal eine Pause verdient.

Sie lauschte Bob Marleys »No Woman No Cry« und sang leise mit, während sie weiter das dicke Make-up auftrug, das ihr Job erforderte. In letzter Zeit vermied sie es, allzu genau in den Spiegel zu sehen, denn die Zeiten, in denen sie auf ihr Aussehen wirklich stolz sein konnte, waren vorbei. Das Leben hatte sie eingeholt, und das Geld floss längst nicht mehr so reichlich wie früher. Wenn sie nicht solch ein faules Stück gewesen wäre, hätte sie vielleicht sogar darüber nachgedacht, sich einen richtigen Job zu suchen, auch wenn es dafür mittlerweile wohl längst zu spät war – ihr Vorstrafenregister verwehrte ihr zumindest den Einstieg in angesehenere Berufe. Es war ein echter Teufelskreis.

Sie seufzte tief und zog erneut an ihrer Zigarette. Nicht einmal in ihren kühnsten Träumen hätte sie sich vorgestellt, dass sie je ein solches Leben führen würde. Doch nun war es eben so gekommen, und da Joanie ein Mensch war, der sich nicht unterkriegen ließ, arrangierte sie sich mit den Tatsachen. Wenn die Anspannung von ihr abfiel, wirkte sie ausgelaugt, und die Furchen in ihrem Gesicht wurden tiefer, aber manches erinnerte noch immer an das hübsche Mädchen, das sie einmal gewesen war. Während sie ihr Spiegelbild betrachtete, war ihr ganz plötzlich nach Weinen zumute. Stattdessen kippte sie den Rest ihres Drinks hinunter und zwang sich zu lächeln.

Na also, schon besser. Wenn sie sich nicht in Acht nahm, würde sie noch die Freier vergraulen! Sie hörte Kira im Wohnzimmer lachen und musste unwillkürlich selbst lächeln, auch wenn sie nicht wusste, worum es ging. Ihre Jüngste war ein fröhliches Kind, immer lustig und zu Albernheiten aufgelegt. Gleich darauf kam ihr Sohn Jon Jon ins Zimmer und brachte ihr einen weiteren großen Wodka mit Cola.

»Kipp dir das hinter die Binde, Mum. Soll ich dir sonst noch irgendwie auf die Sprünge helfen?«

Joanie schüttelte den Kopf.

»Nicht nötig, Monika holt mich ab.«

Er lachte. »Ich meine, ob du ein paar Valium willst?«

Joanie grinste.

»Mit mir wird’s immer schlimmer, wie? Nein, danke – aber tu mir doch bitte einen Gefallen und hör auf, das Zeug wie Bonbons zu verteilen. Irgendwann schnappen sie dich noch, mein Sohn, lass es dir gesagt sein.«

Jon Jon antwortete nicht. Er war vollauf damit beschäftigt, sich im Spiegel auf dem Toilettentisch zu bewundern.

Joanie trank einen großen Schluck und prustete.

»Teufel, was ist denn da drin, Jon Jon – Raketentreibstoff?«

»Smirnoff Black Label. Carty kriegt ihn vom Hafen.«

Sie nahm einen weiteren Schluck und grinste.

»Genau das, was ich jetzt brauche.« Wie sehr das zutraf, wusste niemand außer ihr. Jon Jon erwiderte ihr Grinsen, und sie betrachtete ihn nachdenklich. Manchmal war dieser Sohn ihr ein Rätsel. Sosehr er ihre Arbeit hasste – seit er neun war, brachte er ihr jeden Abend einen Drink, bevor sie aus dem Haus ging. Er hatte seine gesamte Schulzeit hindurch darunter zu leiden gehabt, dass sie eine Nutte war, eine Bordsteinschwalbe oder wie immer man es nennen wollte, und er verabscheute das, was sie tat, zutiefst, aber er akzeptierte dennoch die Notwendigkeit und respektierte sie als seine Mutter.

»Du bleibst doch heute Abend zu Hause und passt auf Kira auf? Du weißt ja, Jeanette ist mit Ausgehen dran.«

Er nickte.

»Du brauchst mir nicht alles tausendmal zu sagen, Mum. Als ob auf mich nicht immer Verlass wäre!« Er verließ das Zimmer mit dem gekränkten Stolz eines Siebzehnjährigen, der sich von seiner Mutter ganz bestimmt nichts mehr zu sagen lassen brauchte.

Sollten die Leute doch über ihn reden – er war ein guter Junge, auch wenn sie, Joanie, die Einzige war, die das erkannte. Die Polizei hasste ihn und verdächtigte ihn immer als Ersten, wenn in der Siedlung irgendetwas vorgefallen war. Jon Jon konnte wirklich ein nerviger kleiner Wichser sein, aber wenn sie ihn nur einmal beim Lesen sehen würden! Er las alles, was er in die Finger bekam – und welche Wörter er kannte! Joanies Stolz auf ihren fehlgeleiteten Sohn kannte keine Grenzen.

Überhaupt war ihr Stolz auf all ihre Kinder unerschütterlich. Sie kannte das Gerede, das über ihre Familie kursierte, und ignorierte es. Sie mussten eben zusehen, dass sie über die Runden kamen, wie alle anderen auch, und Joanie besaß die Fähigkeit, Tratsch größtenteils einfach an sich abprallen zu lassen. Wenigstens tat sie nach außen hin gleichgültig. Sie machte keinen Hehl aus ihrem Job, riss selbst Witze darüber und machte sich so ganz nebenbei zur lebenden Legende. Außerdem war sie im Viertel dafür bekannt, dass sie sich bei Handgreiflichkeiten durchaus zu behaupten wusste – was im Laufe der Jahre schon mehrere ihrer Nachbarn zu spüren bekommen hatten. Infolgedessen nahmen sich die Leute vor ihr in Acht und behandelten sie durchweg recht höflich. Wozu sie eigentlich auch allen Grund hatten, denn Joanie konnte man jederzeit um eine Kleinigkeit anpumpen, und sie hatte stets ein offenes Ohr. Außerdem vermochte sie Geheimnisse für sich zu behalten, schnappte fast alles auf, was in der Gegend getratscht wurde, und kannte auch die Wahrheit, die dahintersteckte. Doch sie plauderte nichts aus – Joanie war sich bewusst, dass sie mehr als nur die eine oder andere Schlägerei hätte verursachen können, wenn sie jemals die Klappe aufgemacht hätte.

Nebenbei tätigte sie Massenbestellungen aus allen erdenklichen Katalogen, und sämtliche Frauen kauften bei ihr ein, vor allem zu Weihnachten und zu Geburtstagen. Dadurch war sie auch über die finanziellen Verhältnisse jedes Einzelnen im Bilde – was genau der Punkt war, um den es bei den meisten Zerwürfnissen ging: nicht bezahlte Schulden. Joanie legte großen Wert darauf, niemals jemandem einen Penny schuldig zu bleiben, und sie konnte es nicht leiden, wenn andere ihre Gutmütigkeit ausnutzten.

Gegen eine kleine Gebühr legte Joanie auch Tarot-Karten, was ihr allein schon ein gewisses Ansehen verschaffte, denn alle wollten wissen, ob – oder noch wichtiger: wann – sie aus diesem Sumpf herauskommen würden und wie es in der Zukunft um ihr Liebesleben bestellt sein würde. Da die meisten Männer in dieser Gegend nicht länger als ein paar Wochen bei derselben Frau blieben, bestand rege Nachfrage nach Joanies Wahrsagekünsten. Bei diesem Gedanken musste sie schmunzeln. Frauen waren schon erstaunliche Wesen, immer optimistisch. Doch schließlich blieb ihnen, wie sie selbst wusste, nichts anderes übrig.

Alles in allem hatte sie sich hier ihre kleine Nische geschaffen und genoss, was immer es zu genießen gab. Das Leben, so lautete Joanies feste Überzeugung, war das, was man daraus machte. Und sie machte in Anbetracht der Umstände das Beste daraus. Glück war nichts weiter als ein Geisteszustand, das hatte sie ihren Kindern von klein auf beizubringen versucht.

Sie zog einen engen schwarzen Minirock und eine durchsichtige schwarze Bluse an, schob die Füße in ein Paar unsäglich hochhackige Schuhe und stakste ins Wohnzimmer, ganz Titten, toupiertes Haar und Parfüm.

»Oh, Mum, du siehst toll aus!«

Kiras Stimme bebte vor Bewunderung. Sie liebte Make-up und Parfum, und dass ihre Mutter beides so reichlich benutzte, machte sie in den Augen ihrer jüngsten Tochter zu einer exotischen und überwältigenden Erscheinung.

»Danke, mein Schatz. Hast du dein Geld?«

Kira nickte, die leuchtend blauen Augen noch immer gebannt auf ihre glamouröse Mutter geheftet.

»Du riechst so gut!«

»Wart’s ab, bis sie zurückkommt. Dann riecht sie wie die Männerklos in Soho.«

Dieser sarkastische Kommentar kam von Joanies Tochter Jeanette.

Joanie grinste.

»Du treibst dich wohl viel dort herum, Schätzchen? Ich meine nur, weil du dich so gut auszukennen scheinst.«

Jon Jon und Kira lachten. Joanie stimmte ein, obwohl ihr die Bemerkung wehgetan hatte – wie üblich versuchte sie, die Kränkung an sich abprallen zu lassen. Niemand wusste besser als sie selbst, was ihre Kinder auf Grund ihres Berufs tagtäglich auszustehen hatten, und dementsprechend sah sie ihnen einiges nach. Sie steckte sich eine Zigarette an, und während sie rauchend am Fenster stand und nach Monika Ausschau hielt, richtete sie geistesabwesend ihr Haar.

In der Siedlung ging es wieder mal zu wie im Bienenstock: Kinder rannten draußen herum, Radios und Stereoanlagen plärrten, Automotoren heulten auf. Man kam sich vor wie an einem besonders chaotischen Tag in Beirut.

Dennoch – dies war ihr Zuhause, und es gefiel ihnen, soweit es einem hier eben gefallen konnte.

Joanie seufzte.

»Monika kommt noch mal zu spät zu ihrer eigenen Beerdigung.«

Kira lachte.

»Morgen gehe ich mit ihr und Bethany ins Kino.«

»Das ist schön, Liebes.« Joanie steckte sich die nächste Zigarette an und rief: »Ich könnte noch ’n Drink vertragen, Jon Jon!«

Er schenkte ihr in der Küche ein weiteres Glas ein, während er zusah, wie seine Pommes frites in der Mikrowelle kreisten. Er war bekifft und hatte einen plötzlichen Anfall von Heißhunger. Nachdem er noch einmal an seinem Joint gezogen hatte, ging er mit dem Drink für seine Mutter zurück ins Wohnzimmer, wobei er eine Wolke von Haschgeruch um sich verbreitete.

»Kein Wunder, dass das Zeug Skunk heißt – es riecht wirklich nach Stinktier.«

Er grinste träge.

Jeanette, die vorübergehend in ihrem Zimmer verschwunden war, kam wieder zum Vorschein. Joanie musterte sie seufzend.

»So willst du doch nicht ernsthaft aus dem Haus gehen?«

Jeanette besaß einen bereits sehr weiblichen Körper und dazu ein Kindergesicht – eine tödliche Kombination. Aber beide Mädchen kamen nun einmal nach Joanie. Selbst Kira, die erst elf war, hatte schon einen kleinen Busen. Heute Abend war Jeanette wie ihr Idol Britney gekleidet und sah aus wie Sex auf zwei Beinen.

»Du siehst toll aus!«

Kira war schon wieder Feuer und Flamme.

»Gehört das neue Top deiner Freundin?«

»Nein, verdammte Scheiße, das gehört mir.«

Kira blickte zerknirscht drein.

»Ich hab ja nur gefragt.«

»Dann lass es halt bleiben, klar?«

Jeanette hatte nichts für ihre kleine Schwester übrig – sie fand sie einfach nur lästig und machte keinen Hehl daraus.

»Red nicht so mit ihr, du kleines Miststück. Überhaupt, sie hat Recht – wenn es nicht deiner Freundin gehört, wo zum Teufel hast du das Ding dann her?«

»Sie hat mal wieder lange Finger gemacht«, stellte Jon Jon sachlich fest. Mit einem Schlag wurde es still im Zimmer. »Stimmt doch, oder?«, setzte er herausfordernd hinzu.

Jeanette warf ihre langen braunen Locken über die Schulter zurück.

»Und wenn? Was geht’s dich an? Du bist nicht mein Vater, verdammt.«

Jon Jon ging einen Schritt auf sie zu, woraufhin Kira sich zwischen ihren Bruder und ihre Schwester stellte.

»Fangt keinen Streit an, bitte!«

Joanie trank ihr Glas aus und knallte es auf den verschrammten Holztisch.

»Jetzt reicht’s aber. Warum müsst ihr mich jeden Abend auf hundertachtzig bringen? Lasst mich einmal, nur ein einziges Mal halbwegs in Ruhe zur Arbeit gehen!«

Jon Jon versetzte seiner Schwester einen unsanften Stoß vor die Brust und grummelte: »Nimm dich in Acht, Mädchen.«

Sie lachte.

»Ich hab keine Angst vor dir, du Blödmann!«

Er durchbohrte sie förmlich mit seinem Blick, und Joanie sah, wie die trotzige Haltung ihrer Tochter in echte Angst umschlug.

»Das solltest du aber, Jen. Du solltest Angst haben, und zwar nicht zu knapp.«

Kira war jetzt sichtlich aus dem Häuschen. Der ganze Raum schien von einer Boshaftigkeit erfüllt zu sein, die auf sie alle übergriff.

Im nächsten Moment wurde die Wohnungstür aufgestoßen, und Monika stapfte herein, eine übergewichtige Schwarze mit dem unglaublichsten Afro der jüngeren Geschichte.

»Ich warte da unten schon seit Stunden auf dich!«, rief sie. »Was ist jetzt, Mädel, bist du fertig?« Sie kratzte sich eine ihrer großen Titten und zog ihr elastisches Top zurecht. »Dieses verdammte Ding bringt mich noch um.«

»Kauf das nächste Mal einfach die richtige Größe«, versetzte Jeanette schnippisch.

Ehe Monika etwas erwidern konnte, rief Kira dazwischen: »Ich finde es ganz –«

Alle einschließlich Monika fielen ein: »toll!« – und brachen in einträchtiges Gelächter aus.

Joanie gab ihren Kindern einen Abschiedskuss und ging zur Arbeit, leichteren Herzens, als sie noch kurz zuvor gewesen war.

Kira verließ die Wohnung, stieg die steile Betontreppe hinab und trat in den Hof mit den Gemeinschafts-Wäscheleinen hinaus. Der Trockenplatz wurde schon lange nicht mehr zu seinem ursprünglichen Zweck genutzt. Stattdessen trafen sich dort die Kids, unterhielten sich und ließen sich von der Musik berieseln, die aus den umliegenden Häusern in den Hof hinausschallte.

Die überquellenden Müllcontainer standen ebenfalls dort unten, so dass einem der Gestank, vor allem im Sommer, manchmal buchstäblich den Atem verschlug. Im letzten Winter war in einem der großen Container ein neugeborenes Baby gefunden worden. Es war schon mehr tot als lebendig, als ein paar Kinder es wimmern hörten, es aus dem Müll zogen und die Polizei riefen. Für die nächsten paar Tage waren sie Helden gewesen. Die Mutter des armen Würmchens war aus der Gegend verschwunden, nachdem die Nachbarn sie beinahe gelyncht hätten, und das Kind war bei Pflegeeltern untergebracht worden. Auch jetzt, Monate nach dem Vorfall, wurde noch häufig darüber geredet, und die Eltern sahen es nicht mehr so gern, wenn ihre Kinder hier herumlungerten.

Kira mochte diesen Hof – er war ihr Lieblingsplatz. Da sie behüteter aufwuchs als die meisten anderen Mädchen in der Nachbarschaft und sich nicht bis spätabends draußen herumtreiben durfte, bemühte sie sich, die Zeit, die sie mit ihren Freunden verbringen konnte, so gut wie möglich auszukosten. Dass sie nicht dieselben Freiheiten genoss wie alle anderen, führte immer wieder zu Streitereien mit ihrer Mutter und ihrem Bruder. Allerdings war Kira schlau genug zu erkennen, dass sie auf verlorenem Posten kämpfte. Bei Jeanette hatte ihre Mutter den Kampf verloren – dasselbe würde ihr mit Kira nicht auch noch passieren. Folglich wurde die Jüngste erheblich strenger beaufsichtigt, und mittlerweile hatte sie eingesehen, warum das so sein musste, und sich damit abgefunden. Ohnehin war sie im Grunde ein braves und folgsames Kind. Als sie sich an diesem Abend auf dem Mäuerchen im Hof niederließ, war sie recht guter Dinge.

»Little« Tommy Thompson beobachtete die Mädchen, die dort unten saßen und plauderten. Von seinem Balkon aus hatte er einen guten Ausblick auf den Trockenplatz, und er genoss es, den Kindern zuzusehen. Sie brachten ihn mit ihren Albernheiten zum Lachen, vor allem Kira und ihre Freundinnen. Er winkte freundlich zu ihnen hinab, und die Mädchen winkten schüchtern zurück.

Er war erst vor ein paar Monaten mit seinem Vater hierher gezogen. Mit seinen achtunddreißig Jahren war Tommy so fettleibig, dass er sich kaum bewegen konnte, und daher unfähig zu arbeiten. Außerdem war er, wie sein Vater nicht müde wurde zu erwähnen, nicht die hellste Birne in der Lichterkette.

Tommy hasste seinen Vater, dessen hämische Bemerkungen ihn regelmäßig dazu veranlassten, zum Kühlschrank zu rennen. »Krankhaft fettleibig?«, pflegte sein Vater zu sagen. »Der Junge ist durch und durch krankhaft – der ist schon geradezu ansteckend.« Tommy nahm sich immer wieder vor herauszufinden, was das bedeuten sollte, aber bisher war er nicht dazu gekommen. Überhaupt vergaß er ständig etwas. Den Arzt hatte er auch nicht danach fragen wollen, weil sein Vater immer daneben saß. Tommy hatte gelernt zuzuhören, den Mund zu halten und das Reden seinem Vater zu überlassen. So war es immer schon gewesen, auch als seine Mutter noch lebte.

Er rutschte in seinem Sessel herum, um seinen massigen Körper in eine bequemere Position zu bringen. Diese Hitze brachte ihn schier um. Wenn ein Windhauch durch die Etagen strich, nahm Tommy seinen eigenen süßlichen Körpergeruch wahr. Durch die Anordnung der Wohnblocks kam man sich vor wie in einem Vakuum. Da es auf dem Balkon noch am kühlsten war, verbrachte Tommy viel Zeit hier draußen.

»Wie geht’s, Dicker?«

Tommy lächelte über den gutmütigen Zuruf. Er winkte heiter zurück, froh, dass jemand Notiz von ihm nahm, und rief beinahe strahlend in den Hof hinab: »Ganz schön warm, wie?«

Als der Mann wortlos weiterging, empfand Tommy einen Anflug von Beschämung. Dann lehnte er sich wieder in seinem Sessel zurück und beobachtete die Mädchen, die unten plauderten und lachten. In Kiras Wohnung lief Beenie Man auf voller Lautstärke, was bedeutete, dass ihr Bruder Jon Jon zu Hause und die Mutter zur Arbeit war. Die beiden wachten mit Adleraugen über das Kind. Recht so, sagte sich Little Tommy mit einem zufriedenen Lächeln.

Als er die Wohnungstür zufallen hörte, erstarb sein Lächeln augenblicklich.

Sein Vater war nach Hause gekommen. Tommy wartete ergeben darauf, dass die Piesackerei begann.

»Warum fangen wir eigentlich so früh an?«

Monikas Stimme klang schleppend, und sie trank immer wieder große Schlucke aus einer Flasche billigem Bacardi.

»Das Zeug wird noch mal dein Untergang sein, Mädchen. Nichts geht so schnell in den Kopf wie Bacardi.«

»Ach, halt’s Maul, Lena, lass mich zufrieden!«

Lena, ein junges Mädchen aus Schottland, seufzte und blickte mit hochgezogenen Augenbrauen Joanie an, die ihr mit einem Kopfschütteln zu verstehen gab, sie solle sich um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern.

»Die Halskette gefällt mir, Lena. Ist neu, oder?«, bemerkte Monika.

Das Mädchen sonnte sich in der Aufmerksamkeit. Es war gerade zu einem neuen Zuhälter gewechselt, so dass Geschenke noch auf der Tagesordnung standen. So lief es bei den Jüngeren immer.

»Nur leider ist sie wohl für einen schlankeren Hals gedacht.«

Monika legte es ganz offensichtlich auf einen Streit an. Lena war stämmig gebaut, und die Halskette war tatsächlich viel zu zart für sie. Aber keine der drei Frauen machte sich etwas vor: Was Monika wurmte, war nicht die Kette an sich, sondern das, wofür sie stand. Kein Zuhälter würde sich die Mühe machen, Monika abzuwerben.

Lena nahm die Spitze also gelassen hin und versetzte munter: »Tja, tut mir leid, aber ich kenne Frank Bruno nicht so gut, dass ich mir von ihm Schmuck leihen könnte.«

Selbst Monika lachte, ehe sie in gehässigem Ton bemerkte: »Meine Fresse, guckt mal, da kommt Miss World!«

Lena schüttelte den Kopf.

»Viel zu jung. Also wirklich, der Kerl schreckt doch vor nichts zurück.«

Dem jungen Mädchen war nur allzu deutlich bewusst, welches Aufsehen es erregte. Gerade dämmerte es, so dass das Geschäft bald in Gang kommen würde, und die Kleine konnte sich ausrechnen, dass sie als Erste einen Freier an Land ziehen würde. Dass es dann böses Blut gäbe, war abzusehen, doch das kümmerte sie offenbar wenig. Sie verfügte über die nötige Rückendeckung. Mit ihren vierzehn Jahren bildete sie sich ein, Bescheid zu wissen. Und leider wusste sie über manches tatsächlich schon erheblich besser Bescheid, als gut für sie war, auch wenn ihr Verstand nicht ausreichte, das zu begreifen. Sie war ausgerissen und somit leichte Beute für Zuhälter, die es auf junge Mädchen wie sie abgesehen hatten.

Monika schnalzte so laut mit der Zunge, dass Joanie lachen musste.

»Lass sie. Schließlich muss sie sich mit Todd McArthur rumschlagen – da lernt sie sicher schnell.«

Todd war ein junger Zuhälter, der sich auf Anfängerinnen spezialisiert hatte. Er sah gut aus, hatte ein dezentes Auftreten und war durch und durch bösartig. All seine Mädchen waren in ihn verliebt, auch dann noch, wenn es mit der Freundlichkeit vorbei war. Anders als die älteren Frauen, die sich über die Männer, die von ihnen lebten, keinerlei Illusionen hingaben, mussten die jüngeren Mädchen die Kehrseite der Medaille erst aus eigener Erfahrung kennen lernen, ehe sie begriffen, dass sie nun für den besseren Teil ihres Lebens festsaßen. Ein guter Zuhälter konnte eine Ausreißerin binnen vierundzwanzig Stunden aufspüren, was tatsächlich nicht selten vorkam. Die Prügel, die sie dann bezog, und die Angst vor weiteren Schlägen brachten sie dazu, ihm fortan die Stange zu halten – in jeder Hinsicht.

Eine Woche im Krankenhaus sollte jeder eine Lehre sein, und wer danach noch dumm genug war, sich nicht an die Spielregeln zu halten, hatte sich die Folgen selbst zuzuschreiben – so lautete jedenfalls die vorherrschende Ansicht unter den Frauen.

Ein blauer Escort hielt am Straßenrand, und ein kleiner Mann, der das schüttere Haar notdürftig über die beginnende Glatze gekämmt hatte, lächelte Monika zu. Er war ein Stammfreier. Während sie auf das Auto zuging, grinste sie das junge Mädchen viel sagend an. Stammfreier waren ihnen allen die liebsten Kunden. Sie erleichterten einem das Leben ungemein, denn bei ihnen konnte man sich ein wenig entspannen – was bei einem Fremden ausgeschlossen war, erst recht bei diesen durchgeknallten Hundesöhnen, mit denen sie tagtäglich zu tun hatten.

»Ich bin scheißfroh, dass sie weg ist, Joanie. Mit ihrer Sauferei wird’s immer schlimmer!«, stöhnte Lena.

Joanie seufzte, verkniff sich aber jeglichen Kommentar.

»Die Kleine da ist auf Crack. Sieh nur, die ist völlig verpeilt.«

Sie beobachteten das Mädchen für eine Weile und gingen dann ein paar Schritte beiseite.

»McArthur ist ein echter Scheißkerl, findest du nicht?«

Joanie nickte, ehe sie erwiderte: »Wo wir gerade von Scheißkerlen reden ...«

Lachend sahen sie zu, wie ihr eigener Zuhälter, Paulie Martin, das Mädchen verscheuchte, sowohl verbal als auch handgreiflich. Als er anschließend zu ihnen kam, wirkte sein attraktives Gesicht aufrichtig schockiert.

»Demnächst macht dieser McArthur wohl einen Fick-Kindergarten auf, wie?«

»Die Kleine war nicht mehr zurechnungsfähig.«

»Wenn sie noch einmal so mit mir redet, kriegt sie dermaßen eins über den Schädel, dass sie für sehr lange Zeit nicht mehr zurechnungsfähig ist!« Er strich seinen Designeranzug glatt. »Ich brauch dich im Salon, Joanie.«

Sie lächelte. Die Arbeit im Massagesalon war angenehmer. Allerdings setzte Paulie sie dort nur ein, wenn er wirklich händeringend jemanden brauchte, das war ihr durchaus bewusst.

»Okey-dokey – für wie lange?«

»Steig einfach ein, okay? Stell dir vor, du würdest für William G. Stuart arbeiten – frag nicht, beweg deinen Arsch.«

Paulie war ein witziger Typ, das musste man ihm lassen, und die Frauen wussten seinen Humor zu schätzen. Er hatte ihnen schon mehr als einen beschissenen Abend aufgeheitert.

Beim Gehen rief er über die Schulter zurück: »Lena, sag diesem kleinen Wichser McArthur, wenn ich jemals wieder eins seiner Mädchen in Pissweite von meinen sehe, drehe ich ihm seinen verdammten Hals rum!«

»Geht in Ordnung, Mr Martin.«

Auf der Fahrt nach East Ham entspannte sich Joanie. Für heute hatte sie es gut getroffen, und das würde sie auskosten.

»Du siehst glücklich aus, Joanie.«

Paulie lächelte sie an, und sie schmolz augenblicklich dahin. Mit seinen dichten schwarzen Locken und den tiefblauen Augen sah er umwerfend gut aus, und dessen war er sich durchaus bewusst. Er war stämmig gebaut und nicht so groß, wie er gern gewesen wäre, doch etwas an ihm zog Frauen unwiderstehlich an. Was in seinem Gewerbe ein nicht zu verachtender Pluspunkt war. Paulie hatte schon früh im Leben gelernt, dass man mit einem Lächeln und einem Kompliment zum richtigen Zeitpunkt von gewissen Frauen alles bekommen konnte.

Beim Weiterfahren streichelte er Joanies Oberschenkel, und sie strahlte ihn an. Er war ein Mistkerl, aber er war ihr Mistkerl, und dafür verzieh sie ihm alles. Auch wenn er sie mit den Resten abspeiste – sie war klug genug zu begreifen, dass sie kaum noch auf etwas anderes hoffen durfte, und so genoss sie es, wie es eben kam.

Ein bestimmter Typ Freier fuhr noch immer auf sie ab. Sie hatte das billige, heitere Aussehen, das die älteren Männer ansprach. Joanie war die Freundin der Rentner, was ihr selbst ganz recht war. Man bekam zwar selten Trinkgeld, aber dafür war es in null Komma nichts vorbei, und das hatte schließlich auch etwas für sich. Überhaupt war sie in mehrfacher Hinsicht ideal für die Arbeit im Massagesalon geeignet. Die Männer, die dorthin kamen, waren bequem und scheuten sich, auf dem Straßenstrich gesehen zu werden. Es waren Leute aus der Gegend, die meist in den Salon gingen, der am nächsten bei der Kneipe lag, oder Typen von außerhalb, die in diesem Stadtteil arbeiteten, mit einem falschen Grinsen hereinkamen und gleich großspurig mit Scheinen winkten. Die Mädchen in den Salons waren billig. Keins von ihnen würde jemals in der Hundert-Pfund-pro-Fick-Sparte arbeiten, und so passte eigentlich alles ganz prima zusammen.

Paulie hatte klar erkannt, mit welcher Sorte Mädchen er Geld machen konnte: nicht zu hübsch, aber auch nicht völlig unansehnlich – auf der Straße mochte Letzteres durchgehen, aber nicht in der anheimelnden Atmosphäre eines Massagesalons. Die Mädchen, die zu gut aussahen, verschreckten die Männer ebenfalls, wie er über die Jahre beobachtet hatte. Jedem, der es hören wollte, pflegte Paulie zu erklären: Die meisten Männer kauften sich eine fremde Frau, um sich ein Gefühl von Macht und Kontrolle zu verschaffen. Männer ohne Geld und Ansehen fühlten sich von allzu gutaussehenden Frauen häufig eingeschüchtert und glaubten, besonders nett zu ihnen sein zu müssen. Seine Mädchen – Paulie verwendete den Begriff recht umfassend – waren gerade vom richtigen Schlag, um den Bedürfnissen seiner Kundschaft gerecht zu werden.

Als sie vor dem Salon hielten, gähnte er.

»Frag doch mal Jon Jon, ob er für mich jobben will. Ich habe gehört, dass er im Begriff ist, sich in der Gegend einen Namen zu machen.«

Joanie nickte.

»Okay. Wie lange soll ich hier arbeiten?«

»Voraussichtlich für ein paar Tage. Eins der Mädchen ist durchgebrannt.« Und mit einem erneuten Gähnen fuhr Paulie fort: »Verdammte Scheiße, wie? Nach allem, was ich für sie getan habe, haut sie mir einfach ab.«

Joanie behielt ihre Meinung für sich. Sie wusste nur zu gut, was er für das Mädchen getan hatte. Schließlich hatte er dasselbe für sie getan, und wohin sie das geführt hatte, konnte man ja sehen.

»Wenn du sie findest, tu ihr nichts.«

Ohne Joanie einer Antwort zu würdigen, beugte sich Paulie über sie und öffnete die Autotür.

»Sei ein braves Mädchen, Joanie.«

Sie nickte.

»Ach, und tu mir einen Gefallen, ja? Behalt deine beschissene Meinung über meine Arbeitsweise in Zukunft für dich. Du gehörst mir, Joanie, wie all meine Mädchen mir gehören, und wenn ich je das Bedürfnis verspüren sollte, von euch so etwas wie eine Meinung zu hören, werde ich mich postwendend in die nächste Klapsmühle einweisen lassen, um mich selbst wieder zur Vernunft zu bringen – ist das klar?«

Sie nickte wieder. Sein Tonfall klang deutlich erbost, und sie wusste, wie schnell seine Laune umschlagen konnte.

»Na?«

Sie nickte heftiger.

Er verdrehte die Augen.

»Ich meine, zisch ab, Joanie. Wird’s bald!«

Er brüllte sie derart an, dass seine Stimme den Verkehrslärm übertönte. Joanie sprang hastig aus dem Wagen und eilte in den Massagesalon. Sie fühlte sich erniedrigt und verletzt, und was das Schlimmste war: Es war ihr anzusehen, was sie empfand.

Gaynor Coleman schüttelte betrübt den Kopf. »Wie dieser Kerl sich immer aufspielt... «

Joanie, schlagfertig wie eh und je, versetzte: »Was so ein echter Zuhälter ist, der muss seinen Mädels schon mal zeigen, wo die Glocken hängen, oder?«

Als die älteren Frauen in ihr Lachen einstimmten, fühlte sie sich gleich schon wieder viel besser. Dennoch, es hatte sie verletzt, wie Paulie mit ihr umgesprungen war – tief verletzt, wenn sie an all die Jahre dachte, die sie ihm geopfert hatte.

Joanie setzte sich zu den anderen. Die Luft stand förmlich von Zigarettenrauch und dem Geruch nach Babyöl, aber das war allemal besser als Autoabgase und Monikas alkoholgeschwängerte Tiraden.

Zehn Minuten später hatte Joanie den ersten Freier.

Ihre Nachtschicht hatte begonnen.

Kira, Bethany und ein kleines Mädchen namens Catriona, das erst sieben war, spielten in der Abenddämmerung. Die drei waren ganz ausgelassen. Mehrere Mütter saßen bereits auf Küchenstühlen draußen und tratschten über das Leben der jeweils anderen. Es herrschte eine entspannte Atmosphäre. Die Kinder hatten Pommes frites und Cola zum Abendessen bekommen, und man hatte die eine oder andere Flasche Wein aufgemacht.

Jon Jon beobachtete seine kleine Schwester vom Balkon aus, während er sich den nächsten Joint drehte. Als sein Handy klingelte, wusste er sofort, wer es war, ging aber nicht dran. Stattdessen rief er über die Balkonbrüstung zu seiner Schwester hinab: »Komm jetzt rein, Kira, es ist Zeit für dich!«

Kira setzte ein niedergeschlagenes Gesicht auf und rief in gekonnt weinerlichem Ton: »Ach, bitte, Jon Jon, noch fünf Minuten!«

Dabei riss sie die großen Augen weit auf. Catrionas Mutter, eine fünfundzwanzigjährige Brünette, sagte lachend: »Ich pass schon auf sie auf, Jon Jon. Sie kann heute Nacht bei uns schlafen.«

Catriona war gerade in Hochstimmung, doch ihre Mutter wusste, dass sie zu quengeln anfangen würde, sobald Kira hineinging, weil die anderen Kinder Catriona links liegen ließen. Die größeren Mädchen gaben sich nämlich nicht mit einer Siebenjährigen ab – bis auf Kira, die eine Vorliebe für kleinere Kinder hatte.

»Danke, aber das ist nicht nötig. Beweg deinen Arsch hier rauf, Kira.«

»Nur noch fünf Minuten, Jon Jon, bitte!«

Sein Handy klingelte erneut, und er rief: »Na gut, fünf Minuten, aber dann ist Schluss!«

Eine der Nachbarinnen flüsterte: »Er kümmert sich wirklich gut um die Mädchen, das muss man schon sagen.«

Die übrigen Frauen nickten zustimmend, und Kira genoss es, dass ausnahmsweise einmal jemand etwas Nettes über ihren Bruder sagte. Die meisten begegneten ihm mit hochgezogenen Augenbrauen und wissendem Grinsen, tuschelten hinter seinem Rücken über ihn oder beschimpften ihn sogar ganz offen, Letzteres allerdings kaum noch, seit Jon Jon in den vergangenen Monaten einen gewissen Ruf erlangt hatte. Er war ein bekanntes Gesicht in der Gegend, galt als ernst zu nehmender Typ, als einer, mit dem nicht zu spaßen war, und er war entschlossen, dieses Ansehen nach Kräften auszubauen.

Fünf Minuten später sagte Kira ihren Freundinnen widerstrebend Gute Nacht und bedankte sich bei Catrionas Mutter für das Angebot, bei ihr zu übernachten. Dann rannte sie die Treppen hinauf in die vierte Etage. Nachdem sie sich ein Marmite-Sandwich gemacht hatte, setzte sie sich zu ihrem Bruder auf den Balkon und wartete geduldig, bis er aufhörte, in sein Handy zu brüllen.

»Okay, Kira, jetzt mach dich fertig fürs Bett.«

»Darf ich erst noch mein Sandwich aufessen?«

Er lachte.

»Klar darfst du, aber geh mir heute Abend nicht auf den Sack. Wenn du brav bist, lasse ich dich auch fernsehen, okay?«

»Danke, Jon Jon. Du bist der beste Bruder auf der ganzen Welt.«

»Muss ich wohl, wenn ich es mit dir aushalte, wie?«

Kira war selig. Sie liebte es, wenn er so kumpelhaft mit ihr sprach. Er war ein toller Bruder, ganz gleich, was die anderen sagten. Er war nett zu ihr.

»Erzählst du mir auch eine Geschichte?«

»Werd nicht unverschämt, Kira!«

Aber seine Stimme klang liebevoll, und sie wusste, dass ihre Chancen nicht schlecht standen. Jon Jon konnte tolle Geschichten erzählen. Doch dann klingelte sein Handy erneut, und sie seufzte. Als er wieder anfing, zu schreien und zu fluchen, wurde ihr klar, dass sie die Gutenachtgeschichte vergessen konnte. Sie ging in ihr Zimmer und zog ihren Schlafanzug an.

Anschließend machte sie es sich im Bett gemütlich und sah Queer As Folk USA auf Sky, bis sie einschlief.

Kapitel zwei

Joanie war gerade von der Arbeit gekommen und brühte sich einen Kaffee auf, als Jon Jon die Küche betrat.

»Wie geht’s, Mum? War die Nacht okay?«

Sie nickte. Sie war hundemüde, hatte dunkle Ringe unter den Augen, und ihre Haut war grau. Sie sah aus wie eine Frau, die die Nacht mit zu vielen Männern verbracht hatte, lauter Fremden, die alle ihren Körper benutzten. Außerdem hatte es einen Zwischenfall mit einem Freier gegeben, der es mit ihr getrieben hatte und dann nicht zahlen wollte. Das war das Letzte, was sie brauchen konnte, denn sie wollte versuchen, im Salon Fuß zu fassen. Die Arbeit dort war einträglich und erheblich sicherer als der Straßenstrich.

Diese Perle der Weisheit behielt sie allerdings für sich – ihr Sohn hatte zweifellos anderes im Kopf. Aber es wurmte sie. Sie bediente ihre Kunden gut, das konnte niemand bestreiten, und nun musste sie fürchten, wegen dieses Vorfalls nicht wieder dort eingesetzt zu werden, zumal Patsy, die den Salon in East Ham leitete, sie nicht besonders gut leiden konnte. Der Grund dafür war, dass Joanie länger etwas mit Paulie gehabt hatte als irgendein anderes Mädchen, und das, nachdem die arme Patsy einmal ernsthaft geglaubt hatte, sie würde Mrs Paulie Martin werden. Eigene Dummheit, doch das hatte Patsy nicht einsehen wollen. Und wer war Joanie schließlich, ihrer Rivalin die Show zu stehlen? Dabei war Paulie in Wirklichkeit längst verheiratet. Seine Frau Sylvia, übergewichtig und eine der Säulen der Kirche, war die Ehrbarkeit in Person, und insbesondere war sie dumm – aus Paulies Sicht die idealen Voraussetzungen dafür, dass seine zwielichtigen Machenschaften und seine zahlreichen Affären mit anderen Frauen nicht aufflogen. Paulie sicherte seiner Frau und seinen beiden Töchtern den Lebensstandard, an den sie mittlerweile gewöhnt waren, und genoss es, die zwei Seiten seines Lebens strikt getrennt zu halten. Wenn seine Frau erfahren hätte, was er in Wirklichkeit trieb, hätte es sie umgebracht, davon war er überzeugt. Allerdings hatte Joanie sie in den letzten Jahren ein- oder zweimal in den Gegenden gesehen, wo er seine Geschäfte machte. Doch davon hatte sie niemandem erzählt, am allerwenigsten Paulie. Sie wusste, wann es ratsam war, die Klappe zu halten. Auch das gehörte zu den unabdingbaren Voraussetzungen für ihren Job.

Jetzt sagte sie bemüht heiter: »Ich habe im Salon gearbeitet, das war gar nicht schlecht.«

Jon Jon schwieg. Nicht, dass sie mit einer Antwort gerechnet hätte – er sprach nie direkt über ihren Job, immer nur in allgemeinen, unverfänglichen Umschreibungen.

»Und wie hat sich meine kleine Kira benommen?«

Er lächelte.

»Das reinste Engelchen, Mum. Wie immer.«

Als sie an ihre jüngste Tochter dachte, glätteten sich die Furchen der Anspannung in Joanies Gesicht für eine Sekunde. Jon Jon mühte sich indessen mit dem Bügelbrett ab, das in der engen Küche gar nicht so leicht aufzustellen war. Joanie erriet, dass er Kiras Schuluniform bügeln wollte. Wie fürsorglich er doch war!

»Ich trinke einen Kaffee mit, Mum.«

Sie roch noch den Schlaf an ihm. Er war ein gutaussehender, liebenswürdiger Junge. Alles andere wollte sie gar nicht wissen, sonst würde sie nie wieder eine Nacht ruhig schlafen können. Beziehungsweise einen Tag, wie ihr Beruf es mit sich brachte.

Während er das Bügeleisen einsteckte, sagte Joanie bemüht

beiläufig: »Ach, ich soll dir übrigens von Paulie ausrichten, falls du an einem Job interessiert bist, hätte er Verwendung für dich.«

Jon Jon brauchte eine Weile, um zu begreifen, was seine Mutter da gesagt hatte. Er starrte sie fassungslos an.

»Er hat was?«, stieß er schließlich ungläubig hervor.

»Er will, dass du für ihn arbeitest.«

Joanie wusste, was nun käme, aber sie versuchte es dennoch. Wenn er für Paulie arbeiten würde, wüsste sie wenigstens, wo er steckte und was er tat.

»Red doch wenigstens mal mit ihm. Er ist gar nicht so übel –«

»Sag ihm, er kann mich am Arsch lecken!«

Jon Jons hübsches Gesicht war völlig ausdruckslos. Er war unfähig zu begreifen, wie diese Frau, die ihn zur Welt gebracht hatte, etwas derart Verrücktes von ihm verlangen konnte.

»Red gefälligst nicht so mit mir! Ich habe dir nur ausgerichtet, was er mir aufgetragen hat. Im Übrigen ist er wirklich kein schlechter Kerl.«

»Nein, sicher nicht – nur dass er zufällig meine Mutter auf den Strich schickt. Verdammt, Mum, meinst du, da geh ich hin und gebe ihm artig die Hand?«

Joanie schloss gequält die Augen.

»Komm schon, Junge, das hab ich nicht verdient, das weißt du selbst.«

Sie sprach leise, und ihre Augen verrieten, wie gekränkt sie war – auch wenn ihr Sohn nichts als die Wahrheit gesagt hatte.

»Denk doch mal dran, wie viel Kohle dir das bringen würde, ganz zu schweigen von dem Statusgewinn.«

Jon Jon knallte das Bügeleisen hin.

»Seh ich vielleicht aus wie ein verdammter Zuhälter? Na los, Mum, antworte mir!«

Joanie sah ein, dass sie etwas Falsches gesagt hatte. Inzwischen bereute sie, das Thema überhaupt angesprochen zu haben.

»Natürlich nicht – ich hab dir nur was ausgerichtet, weiter nichts!«

Sie schrie jetzt ebenfalls.

»Na, die Mühe kannst du dir in Zukunft sparen.«

»Du könntest es bei ihm zu was bringen. Er braucht jemanden mit ein bisschen Grips –«

»Also, mich braucht er jedenfalls nicht. Ich verkaufe keine Frauen, verdammt, auch wenn dus mir anscheinend zutraust.«

»Jetzt krieg dich mal wieder ein, Jon Jon. Du könntest ganz ordentlich Kohle machen, wenn du –«

Er unterbrach sie wütend.

»Ich weiß, dass ich mehr schwarz als weiß bin, Mum, aber davon bin ich noch lange kein Zuhälter. Oder war mein Dad vielleicht einer? Ich frage bloß, weil anscheinend niemand was über ihn weiß – du am allerwenigsten.«

Er ahnte, dass er zu weit gegangen war, und bereute es im selben Moment.

»Oh, Mum, warum bringst du mich so auf die Palme? Du weißt doch, was ich von Männern wie Martin halte.«

Joanie verließ wortlos die Küche.

Jon Jon bügelte weiter Kiras Schuluniform, aber er war nicht mehr recht bei der Sache. Er war immer noch aufgebracht und entsetzt über das, was seine Mutter gesagt hatte. Allein dass sie geglaubt hatte, er könnte auch nur eine Sekunde lang über das Angebot nachdenken, brachte ihn in Rage, auch wenn er ihre Beweggründe verstand.

Joanies Kaffeetasse stand noch immer neben seiner auf der Arbeitsplatte. Er brachte sie ihr ins Schlafzimmer.

»Hier, Mum. Jetzt hau dich erst mal ein paar Stunden aufs Ohr.«

Sie lächelte ihn traurig an. Plötzlich sah sie alt aus, niedergeschlagen und ausgelaugt.

»Es tut mir leid, Jon Jon.«

Er fuhr ihr mit der Hand durchs Haar, als sei sie das Kind und er der Erwachsene.

»Das weiß ich doch, Mum.«

Beiden war bewusst, dass er die Entschuldigung nicht erwiderte.

»Beweg dich, du fetter Bastard!«

Joseph Thompson sah zu, wie sein Sohn sich abmühte, eine Kanne Tee aufzubrühen – nahezu ein Ding der Unmöglichkeit, da er seinen massigen Körper in der engen Küche kaum bewegen konnte. Tommy schwitzte. Bereits um diese Tageszeit war es für jemanden von seiner Leibesfülle viel zu heiß. Er warf einen Blick aus dem Küchenfenster auf die Kinder, die zur Schule gingen. Als er spürte, wie sein Vater hinter ihn trat, zuckte er innerlich zusammen.

»Sieh sie dir an: kleine Mädchen, die angezogen sind wie verdammte Huren. Denen hast du gerade nachgeschaut, stimmt’s?«

Tommy wurde wütend, aber er beherrschte sich und erwiderte mit ruhiger Stimme: »Ich habe ihnen nicht so nachgeschaut, das weißt du ganz genau. Ich sehe einfach gern zu, wie sie sich unterhalten und Spaß haben, nichts weiter.«

Joseph grinste höhnisch.

»Klar doch! Jetzt mach den verdammten Tee fertig, du fetter Pädo. Ich muss zur Arbeit. Hast du mir Brote gemacht?«

»Sind im Kühlschrank.«

Danach wechselten die beiden Männer kein Wort mehr miteinander, bis der Vater zehn Minuten später grußlos das Haus verließ. Tommy watschelte in sein Zimmer und zerrte mühsam einen Karton unter seinem Bett hervor. Lächelnd öffnete er ihn.

Darin lagen lauter Barbies. Manche waren angezogen, fast allen fehlte der Kopf. Unter den Puppen lagen wild durcheinander Kleider und Miniatur-Zubehör – alles, was Barbie brauchte, um das vollendete Mädchen von Welt zu sein, von grell pinkfarbenen Minikleidern bis zu detailgetreuen kleinen Handtaschen und Stiefeln. Doch all das war nass, wie Tommy feststellte, und der Uringestank, der ihm in die Nase stieg, verriet ihm, was geschehen war. Es war nicht das erste Mal, und er wusste, dass es auch nicht das letzte Mal sein würde.

Tommy unterdrückte einen Schluchzer und machte sich daran, die Puppen wieder zusammenzusetzen. Die Kleider legte er beiseite, um sie zu waschen. Dabei lief ihm trotz der frühen Stunde der Schweiß von der Stirn. Tommy wischte sich mit seiner fleischigen Hand übers Gesicht, wobei sich der Schweiß mit Tränen vermischte.

Während er die Köpfe wieder aufsteckte, murmelte er wieder und wieder vor sich hin: »Dreckskerl!«

Kira und Bethany hockten kichernd im Treppenhaus. Sie schwänzten die Schule und genossen jede Sekunde.

Anders als Bethany machte Kira zum ersten Mal blau, und es war eine aufregende neue Erfahrung für sie. Bethany wollte am liebsten nur herumsitzen, chillen und rauchen.

»Ich weiß was – lass uns in die Bücherei gehen!«, schlug Kira vor.

Ihre Freundin schüttelte ungläubig den Kopf und versetzte sarkastisch: »Ist das dein Ernst? Zwei Schulkinder in der Bücherei, und das an einem Schultag?«

Kira erkannte die Logik dieses Einwands und kicherte erneut.

»Daran hab ich gar nicht gedacht.«

Irgendwo liefen im Radio die Top Ten. Die beiden Mädchen wiegten sich im Takt und alberten herum. Keiner der Erwachsenen hier würde sie bei ihren Müttern verpetzen, das hätte ihnen nur Ärger eingebracht.

»Lass uns in den Park gehen.«

Bethany schüttelte den Kopf. Sie steckte sich noch eine Consulate an, sog den minzigen Rauch tief in die Lunge ein und übte, Rauchkringel zu blasen.

»Willst du auch mal ziehen?«

»Nee, danke, ich hasse Rauchen.«

In diesem Moment ging eine Tür auf, und Little Tommys Kopf lugte heraus.

»Was macht ihr zwei denn da?«

Wie üblich war Bethany diejenige, die antwortete.

»Sieht man das nicht?«

Tommy musterte sie – kein besonders attraktiver Anblick, doch er strahlte sie an und fragte: »Möchtet ihr eine Tasse Tee?«

Die beiden Mädchen wechselten einen Blick und grinsten.

»Gern, danke.«

Sie folgten ihm in die Wohnung, wobei sie unentwegt darüber kicherten, dass er sie einlud wie zwei Erwachsene.

Paulie entdeckte Jon Jons unverkennbare Dreadlocks und hupte im Vorbeifahren. Jon Jon ging weiter, ohne ihn eines Blickes zu würdigen. Er war unterwegs zu seinem Freund, um dort eine Tasche voller Es loszuwerden. Nachdem der erste Ecstasy-Boom in den Neunzigern abgeflaut war, ging der Preis immer weiter in den Keller. Vor vier oder fünf Jahren hatte man gutes Geld damit machen können, einzelne Tabletten für fünfundzwanzig Pfund das Stück zu verkaufen, heute hingegen musste Jon Jon schon froh sein, wenn er für tausend Es noch fünfhundert Mäuse bekam.

Trotzdem – er verdiente daran, und das war die Hauptsache.

Außerdem stand noch etwas anderes auf der Tagesordnung, etwas, das er hinter sich bringen wollte, ehe er zum Geschäftlichen überging.

Er öffnete die Tür zu dem Abbruchhaus, in dem sein Freund wohnte, und rief laut: »Ich bin’s nur!«

»Komm rein, Kumpel.«

Carty stand in der Küche und kochte gerade Crack. Es stank widerlich, was allerdings hauptsächlich dem überquellenden Mülleimer und dem verstopften Abfluss zu verdanken war.

Carty war bereits völlig abgehoben, und das allein reichte aus, um Jon Jon auf die Palme zu bringen. Er konnte verstehen, wenn Leute Ecstasy oder andere Drogen nahmen, deren Wirkung auf Serotonin beruhte, aber nicht solche wie Crack, die ihre Wirkung über Dopamin entwickelten und nach der kurzen, heftigen Euphorie eine tiefe Depression auslösten. Es war solch eine selbstsüchtige Droge! Auf Es oder Gras erlebte man ein Gemeinschaftsgefühl, man genoss es, mit anderen zusammen zu sein – in der Welt des Glücks statt in der Hölle der Einsamkeit, in die einen Crack offenbar katapultierte.

Früher hatten Jon Jon und Carty an den Wochenenden ein wenig gekokst und dabei lange, sinnlose Gespräche geführt, die ihnen selbst zu dem betreffenden Zeitpunkt völlig vernünftig erschienen, in Wirklichkeit aber nur das Gelalle zweier Kumpel mit benebeltem Verstand waren. Doch seit Carty zum Freebasing übergegangen war, hatte er sich verändert. Solange sie nur schnupften, hatte die Sache Spaß gemacht, hatte sie ihnen wirklich einen Kick verschafft. Jetzt drehte sich Cartys gesamtes Leben um Rocks, und genau darüber wollte Jon Jon heute mit ihm reden.

»Findest du nicht, es ist selbst für dich noch ein bisschen früh?«

Carty seufzte.

»Halt’s Maul, Jon Jon, geh mir nicht auf den Sack, klar?«

Er war genervt.

»Du bist mein Kumpel, aber hast du in letzter Zeit mal einen Blick in den Spiegel geworfen, verdammt? Du siehst aus wie ein elender Wichser, und du benimmst dich auch so.«

Carty ignorierte ihn und maß stattdessen sorgfältig das Backpulver ab, wobei er in gespannter Erwartung den Atem anhielt. Seine Crackpfeife hatte er achtlos auf der Arbeitsplatte liegen gelassen. Jon Jon fasste sie an und stellte fest, dass sie noch warm war. Folglich befand sich sein Freund bereits für den Rest des Tages auf dem Weg nach Nirgendwo.

»Hast du die Es?«

»Klar. Wer will das Zeug eigentlich haben?«

»Marky Morgan. Er hat fünfhundert im Eisschrank hinterlassen. Will, dass du den Stoff bei ihm vorbeibringst.«

»Der Scheißkerl stellt ja überhaupt keine besonderen Ansprüche, wie? Ruf ihn an und sag ihm, er soll herkommen, sonst hau ich mit der Kohle und dem Stoff ab.« Jon Jon öffnete eine Bierflasche und trank einen tiefen Zug, ehe er fortfuhr: »Verdammt dreist, der Typ, wie?«

Aber Carty war schon wieder in seiner eigenen Welt verschwunden. Jon Jon betrachtete seinen Freund traurig, dann blickte er sich in der verdreckten Küche um. Sie war voller Crack-Utensilien, ein Anblick, der ihn erst recht in Rage versetzte. Natürlich lief er als Dealer ständig Gefahr, geschnappt zu werden, damit musste er leben. Aber mit Crack in Verbindung gebracht zu werden hätte er als echte Schande empfunden. Für ihn war dieser Stoff kein Freizeitvergnügen, sondern ein Todesurteil. Er würde solche Scheiße nicht mal an die Süchtigen verkaufen, die es verdammt noch mal nicht anders verdienten. An irgendwelche Standards musste man sich halten, und Jon Jon fand seine eigenen Standards ziemlich hoch – jedenfalls für einen hauptberuflichen Dealer wie ihn.

Er holte noch ein Bier aus dem Kühlschrank, dann rief er Carty beim Namen. Als sich dieser zu ihm umdrehte, schmetterte Jon Jon ihm die Flasche gegen den Kopf. Carty brach zusammen, und Jon Jon trat so lange auf ihn ein, bis er sich nicht mehr bewegte. Anschließend durchsuchte er systematisch die Wohnung und steckte alles Geld ein, das er finden konnte, dazu etwas Schmuck und Klasse-A-Drogen. Er nahm alles an sich, nur das Crack ließ er, wo es war. Wenn Carty wieder zu sich kam, würde er seine Rocks dringender denn je brauchen.

Jon Jon hatte unmissverständlich klargestellt, dass ihre Freundschaft beendet war.

»Scheiß drauf, er wollte ja nicht auf die Warnungen hören.«

Jon Jon rief sich ein Taxi und pfiff beim Warten leise durch die Zähne, während sein Handy ununterbrochen klingelte – sicher Marky, der auf seine Es wartete. Na, sollte er doch seinen Arsch in Bewegung setzen und sie sich holen kommen. Wofür zum Teufel hielt der sich eigentlich?

Als das Taxi eintraf, schlenderte Jon Jon selbstzufrieden aus dem Haus. Er fühlte sich so leicht wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr.

Es war Zeit für einen Frühjahrsputz, und gerade hatte er mit seinem besten Kumpel den Anfang gemacht.

Der Taxifahrer, der ihn kannte, brachte ihn schweigend und ohne weitere Anweisung zurück zur Wohnung seiner Mutter. Jon Jon genoss es, bereits einen solchen Ruf erlangt zu haben.

»Woher hast du die alle?«

Tommy strahlte vor Stolz über Kiras bewundernden Ton.

»Ich sammele sie schon seit Jahren.«

»Aber ist das nicht Mädchenspielzeug?«

Bethany interessierte sich nicht für die Puppen; aus dem Alter war sie heraus. Ihre Freundin hingegen war Feuer und Flamme.

»Ich liebe Barbie, Tommy! Ich finde sie wundervoll.«

Kira mit ihrer Begeisterung für prächtige Kleider und Make-up hatte endlich eine verwandte Seele gefunden.

Tommy schwebte dank ihrer Bewunderung im siebten Himmel, das war nicht zu übersehen.

»Weißt du was, Kira? Du siehst ein bisschen aus wie sie.«

Das Kompliment überwältigte das kleine Mädchen schier.

Bethany seufzte. Sie selbst, ganz die Tochter ihrer Mutter, näherte sich bereits der Sechzig-Kilo-Grenze. Sie beneidete Kira um ihren hübschen, schlanken Körper, so gern sie sie auch als Freundin mochte.

»Ehrlich? Stimmt das, Beth?«

Bethany grinste und nickte widerstrebend.

»Ja, stimmt wirklich.«

Tommy stapfte unbeholfen aus dem Zimmer, um den Tee zu holen.

»Er ist ganz schön durchgeknallt, findest du nicht auch, Kira?«

Sie schnalzte mit der Zunge.

»Sei nicht so gemein. Er ist nett, nur ein bisschen ...«

Bethany schnitt eine Grimasse und ergänzte: »Fett?«

Kira lachte wider Willen, dann entgegnete sie: »Nein, traurig.«

Bethany, die ihr krauses Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden trug, kicherte.

»Jedenfalls mag er dich.«

Kira schauderte.

»Sei still, ich höre ihn kommen.«

Tommy trat ins Zimmer und ließ seinen massigen Körper in einen großen Sessel neben dem Bett sinken. Seine feisten Hände hielten mühelos die drei Teetassen.

»Hier, Mädchen, für jeden ein feines Tässchen Tee.«

Tommy war in seinem Element. Er liebte es, Gäste zu empfangen, und diese beiden waren genau die Sorte, von der er immer geträumt hatte. Mädchen, kleine Mädchen, waren seine Lieblinge. Er vergötterte sie – die Art, wie sie redeten, wie sie dasaßen und sogar wie sie ihre kleinen Hände bewegten. Bei Bethany wusste er noch nicht recht. Er hatte das Gefühl, dass sie ein ziemliches Biest sein konnte, wenn ihr gerade danach war. Aber Kira ... sie war eine kleine Dame. Eine angehende Barbie.

»Ich mag besonders gern die Dornröschen-Barbie, das ist eine meiner liebsten. Und Barbie als Stewardess finde ich auch toll. Mit den vielen kleinen Koffern!«

Kira plapperte begeistert drauflos.

Bethany steckte sich noch eine Zigarette an, wobei sie Tommys Stirnrunzeln geflissentlich übersah.

Sie löschte das Streichholz aus und warf ihm einen Seitenblick zu, als wollte sie sagen: »Aschenbecher, aber dalli.«

Er betrachtete sie kopfschüttelnd und sagte betrübt: »Im Wohnzimmer.«

Bethany schlüpfte aus dem Zimmer, um sich auf die Suche nach dem Aschenbecher zu machen und sich bei dieser Gelegenheit ein wenig umzusehen.

»Sie meint es nicht so, Tommy. Sie bildet sich ein, dass sie dadurch erwachsener wirkt.«

»Tut sie aber nicht. Sie wirkt wie ein dreistes kleines Früchtchen.«

Darauf wusste Kira nichts zu erwidern. Stattdessen nahm sie die Malibu-Barbie in die Hand und seufzte hingerissen. Allmählich wurde es ein richtig toller Tag.

Joanie deckte die nächste Karte auf. Die Frau, die ihr gegenübersaß, wartete mit angehaltenem Atem.

»Na los, komm schon, Joanie!«

»König der Stäbe. Das ist er, ganz sicher.«