The S-Files: Die Succubus Akten -  - E-Book

The S-Files: Die Succubus Akten E-Book

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Beschreibung

Hinter vorgehaltener Hand wird über sie gesprochen. Im Flüsterton, mit blitzenden Augen und schamhaft geröteten Wangen: Succubi und Incubi. Dämonen der Leidenschaft. Genauso gefährlich wie unwiderstehlich. Wer aber verbirgt sich hinter sinnlicher Aura und legendärem Ruf? Wie vereinen sie Job und Partnerschaft? Wie ist das Verhältnis zu den Kollegen? Und wer verführt eigentlich die Verführer? In 32 Geschichten enthüllen die Succubus-Akten skandalöse Wahrheiten über das verruchteste Wesen der Mythenwelt. Hier werdet ihr alles finden: Familiendramen und Federvieh. Lust und List. Abenteuer und Ungeheuer. Zauber und Zorn. Magie und Märchen.

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Herausgeber Sascha Eichelberg

The S-Files

Die Succubus Akten

Besuchen Sie uns im Internet:

www.talawah-verlag.de

www.facebook.com/talawahverlag

erschienen im Talawah Verlag

1. Auflage 2021

© Talawah Verlag

Herausgeber: Sascha Eichelberg

Umschlaggestaltung: Marie Graßhoff,

www.marie-grasshoff.de

Lektorat: Sascha Eichelberg

Satz: Julia Antonia Reimann

unter Verwendung von: © Pixabay

Julia Antonia Reimann - Buchsatz | Facebook

ISBN: 978 394 7550 685

Aktenverzeichnis

VORWORT

EINE SCHNAPSIDEE

THE SINGLE GIRL

SUCCUBUSSMILE

INTERVIEW MIT EINEM SUKKUBUS

DIE RACHE DER VERSCHMÄHTEN

LOVE HURTS

ROWENA

HEUMSIMILIBUMFLUM

FELDSTUDIEN

NOLAS HÖLLE

SUCCUBYTE

SCHLAFLOSE NÄCHTE

IMMER WIEDER HOUSTEN

PRINZ DER DÄMONEN

VON HÜHNERN UND ANDEREN DÄMONEN

HELL’S NEXT TOP-SUKKUBUS

SCHWESTER UND NOVIZIN

LILITHS VERLORENES BORDOLL PARADISE

SUCCUBÉ

FÜR IMMER VEREINT

BELLATRIX DE MIEZEKATZ

IHR KUSS SCHMECKTE NACH KIRSCHEN

SCHUTZUBUS

SUCC. INC.

FLUCHT AUS DEM PARADIES

TRÄNEN LÜGEN NICHT

HAUER, HÜFTGOLD UND EIN AUFTRAG AUS DER HÖLLE

LILLY – EIN SUCCUBUS AUF ABWEGEN

GEZWITSCHER

MEIN FLUCH

EIN DÄMON TISCHT AUF!

TOCHTER DER HÖLLE

ILLUSTRATIONEN

DER HERAUSGEBER

Vorwort

D

iese Kurzgeschichtensammlung, die Succubus Akten, ist inzwischen schon das fünfte Buch in der Reihe unserer Anthologien. Die ersten Einhorn Akten sind damals als fixe Idee während einer Autofahrt nach einer Messe entstanden und keiner hätte damals wohl daran gedacht, was daraus einmal werden würde. Mehr als 150 Kurzgeschichten von über 70 Autoren in 5 Büchern, ausgezeichnet mit 2 deutschen Phantastik Preisen und einem Skoutz-Award.

Deswegen dachte ich, dass ich dieses Vorwort diesmal nicht nur diesem Buch widme, sondern einfach mal nutze, um mich bei all den Menschen zu bedanken, die uns in den vergangenen Jahren begleitet haben. Allen voran natürlich all den tollen Autoren, die es immer wieder schaffen, unsere verrückten Vorgaben in so wundervolle Geschichten zu verwandeln. Viele von ihnen begleiten euch und mich jetzt schon sehr viele Jahre und vollbringen immer wieder Höchstleistungen. Da wird bei Nacht und Nebel durch die halbe Republik gefahren, eine spontane Innenstadtlesung wegen ausgefallener Messe organisiert und wenn ich dann doch mal meinen Stand irgendwo aufbaue, dann kann ich mich immer darauf

verlassen, dass ich einige Kurzgeschichtenautorinnen und -autoren

an meiner Seite stehen habe. Neben den Autoren gibt es aber noch

viele weitere, die an der Entstehung der Bücher mitgewirkt haben

und meistens gar nicht so sehr im Mittelpunkt stehen. Deswegen

ein Danke an Norman Doderer, ohne den es weder Talawah noch mich als Verleger geben würde. Danke an Sandra Florean und Tom

Finn, die sich die Mühe gemacht haben, sich als Herausgeberin und Herausgeber für uns durch den Geschichtendschungel zu wühlen. Danke an Jessie Weber, Melina Coniglio und Annette Brauer für die vielen Lektorate und Korrektorate. Danke an unsere Buchsetzerinnen Grit von Grittany Design und Julia Reimann. Ein

großes Danke auch an Marie Graßhoff, die sich immer morgens um

ein Uhr noch Zeit nimmt, um Änderungen am Cover zu diskutieren. Und selbstverständlich auch danke an euch Leser, die unsere Bücher mit Begeisterung lesen. Ohne all diese Menschen zusammen wäre unsere Anthologie nicht das, was sie ist.

Jetzt noch einige wichtige Worte zu diesem Buch. Wie euch vielleicht am Cover und Buchtitel aufgefallen ist, geht es diesmal um die dämonische Sukkubus (oder Succubus, beide Schreibweisen sind richtig) und den teuflischen Incubus. Aufgrund der eher bösartigen Natur von Dämonen gibt es diesmal eine kleine Triggerwarnung. Unsere Kurzgeschichten richten sich von jeher an Erwachsene und sind nicht für Kinder geeignet. Außerdem geht es in diesem Buch an unterschiedlichsten Stellen um Sex, Mord, Suizid, Depressionen, Mobbing und Sucht. Keines dieser Themen sollte auf die leichte Schulter genommen werden. Außerdem gibt es wie in jeder unserer Kurzgeschichtensammlungen einige homosexuelle, queere oder sonstig orientierte Dämoninnen und Dämonen. Ich finde es fast schon traurig, das heutzutage noch sagen zu müssen, aber: Das ist alles ganz normal! Unsere Welt ist bunt und alle Menschen sind gleich viel wert. Unabhängig von Geschlecht, Alter, Hautfarbe oder

sexueller Orientierung. Solltet ihr damit ein Problem haben, würde

ich empfehlen, das Buch zurück ins Regal zu stellen.

Und jetzt genug der Warnungen und viel Spaß beim Lesen.

Eine Schnapsidee

A.M. Winter

H

i, der Talawah-Verlag hat noch bis Ende Januar eine Geschichtenausschreibung laufen – Thema Succubus und Incubus.«, so der Inhalt der SMS, die ich kürzlich von meiner Zwillingsschwester Heidrun erhalten habe.

Da mich ihre Nachricht während der Arbeit erreichte und ich gerade absolut keine Zeit hatte mich näher damit zu beschäftigen, habe ich die SMS erst einmal wieder mit fragendem Blick geschlossen. Was wollte mir mein Schwesterherz denn damit bloß sagen? Und was sollen überhaupt diese Begriffe, Succubus und Incubus, bedeuten?

Recht schnell schwante mir dann aber, dass Heidrun von mir erwartete, ich solle eine Geschichte schreiben. Oh nein! Das war wegen der verlorenen Wette im vergangenen Sommer. Ich hatte das eigentlich schon vergessen gehabt, naja, vielleicht auch eher verdrängt gebe ich zu.

Und ausgerechnet ich soll nun die Wettschuld einlösen, indem ich diese Geschichte schreibe. Aber dabei kann ich so etwas doch gar nicht! Ich war schon immer ein rein analytisch denkender Mensch, der sich von jeher mehr für Zahlen interessierte. Schon während der Schulzeit waren Fächer wie Mathematik, Physik und dergleichen meine Welt. Deutsch und Aufsätze? Fehlanzeige!

Ganz anders allerdings meine Schwester Heidrun. Obwohl wir Zwillinge sind, hat sie für die Logik rein gar nichts übrig. Ihre Spezialität sind eher die kreativen Sachen, eben so etwas wie phantasievolle Geschichten erfinden und diese dann auch noch fein säuberlich zu Papier bringen. Da geht sie voll drin auf, was ich ja überhaupt nicht verstehen kann.

Na jedenfalls ging mir ihre SMS seither nicht mehr aus dem Kopf. Ich wollte mich bei Heidrun deswegen mal melden, sobald ich die Zeit für ein nettes längeres Gespräch finden würde. Aber dafür war es heute nun definitiv schon wieder zu spät, nachdem ich erst zu fortgeschrittener Stunde von der Arbeit heimgekehrt bin.

Und doch will ich nun noch schnell meine Neugier befriedigen, welche sich den ganzen Tag mehr und mehr gesteigert hat, indem ich mich zumindest mal informiere was diese Begriffe »Succubus und Incubus« eigentlich zu bedeuten haben, um nicht ganz wie der erste Mensch da zu stehen, falls mich jemand irgendwann mal danach fragen sollte. Man kann ja schließlich nie wissen wofür man das mal brauchen kann.

Ich gebe die Begriffe in der Suchmaschine des Browsers ein und werde auch recht schnell fündig. Eigentlich reicht es mir aber auch schon, dass ich die Suchergebnisse rasch überfliege, die mir auf der ersten Seite angezeigt werden. Demnach handelt es sich um männliche oder weibliche Dämonen, die etwas nymphomanisch veranlagt zu sein scheinen und wohl hauptsächlich Sex im Kopf haben.

Auch nicht gerade ein Thema, zu dem mir viel einfallen würde zu schreiben. Wie war Heidrun nur auf diese Schnapsidee gekommen mir ausgerechnet so ein abstraktes Thema vorzuschlagen? Stattdessen könnte ich mir wunderbar vorstellen die Bedienungsanleitung für irgendein technisches Gerät zu schreiben, oder von mir aus auch ein Kochrezept. Na jedenfalls irgendwas mit Struktur drin.

Mit einem etwas verständnislosen Kopfschütteln schließe ich das Browserfenster, ohne mich weiter über besagtes Thema zu informieren, und fahre anschließend den PC wieder runter.

Der Tag ist nun ohnehin schon fast gelaufen und ich habe noch einiges an Hausarbeit zu erledigen, bevor ich zu Bett gehe. Doch die ganze Zeit, während ich mich meinem Haushalt widme, verfolgt mich das Thema Succubus und Incubus. Es will mir einfach unter keinen Umständen gelingen, diese nagenden Gedanken zu vertreiben. Vielleicht sollte ich die Sache doch weiter verfolgen wie Heidrun sich das offensichtlich von mir wünscht?

Als es schon auf Mitternacht zugeht und es demzufolge bereits stockdunkle Nacht ist, stelle ich fest, dass ich längst noch nicht müde genug bin, um schlafen zu gehen. Ganz im Gegenteil sogar. Mein Inneres fühlt sich irgendwie aufgewühlt an. Noch dazu geht mir der Hinweis von Heidrun diese Geschichte zu schreiben nun gar nicht mehr aus dem Kopf.

Anstatt mich ins Bett zu begeben, setze ich mich also erneut an meinen PC und informiere mich darüber was denn dieser Verlag eigentlich für Vorgaben macht. Gleichzeitig keimt in mir die Frage auf warum ich das Schreiben nicht einfach mal versuchen soll, zumal ich nun ja wirklich überhaupt nicht mehr müde bin. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich vielleicht sogar Lust darauf haben könnte auch mal etwas Kreativität an den Tag zu legen.

Aber dazu sollte ich mich zuvor vielleicht doch noch etwas genauer mit diesen lüsternen Dämonen auseinander setzen und gehe zunächst mal auf Wikipedia, um mich ausführlicher zu informieren. Demnach scheinen diese Wesen Gegenstand der Mythologie zu sein. Aha. Filme und weiterführende Literatur gibt es anscheinend auch darüber. Soso. Einerseits gibt es weibliche Wesen, die Männer verführen, um diesem in der Nacht seinen Samen zu stehlen und den Gegenpart dazu, der männliche Dämon, der schlafende Frauen quasi vergewaltigt. Klingt weder realistisch noch nach einer tollen Liebeserfahrung für mich, aber sei‘s drum.

Da könnte jemand, dem das Schreiben in die Wiege gelegt ist, jetzt natürlich eine richtig phantasievolle Geschichte daraus basteln, die auch garantiert nicht jugendfrei wäre.

Aber wie schon gesagt, die Phantasie ist doch eher Heidruns Gebiet. Vielleicht sollte ich nun doch lieber zu Bett gehen und morgen mit meiner Schwester reden. Das kann sie doch unmögliche ernst meinen, dass gerade ich ausgerechnet zu diesem Thema was zu Papier bringen soll.

Plötzlich höre ich wie die Wohnungstür geöffnet wird. Ach ja, Peter kommt ja heute. Peter ist mein fester Freund, der ebenso unmögliche Arbeitszeiten hat wie ich. Wir haben es bisher allerdings noch nicht geschafft, dass wir zusammen in eine Wohnung ziehen. Aus diesem Grund treffen wir uns mal hier, mal da bei einem von uns zu Hause. Und heute scheint er wohl zu mir zu kommen. Das hatte ich angesichts meiner saukomischen Aufgabe, die Heidrun mir eingebrockt hat, doch glatt vergessen. Na immerhin ein Grund, diese Sache auf morgen zu vertagen. Um mich vor unliebsamen Aufgaben zu drücken, war ich um Ausreden noch nie verlegen.

Noch während ich so darüber nachdenke, ist Peter schon zu mir in mein Arbeitszimmer gekommen, ohne ein Wort zu sagen. Ich möchte mir meine Überraschung wegen seines Erscheinens nicht anmerken lassen und begrüße ihn lediglich mit einem einfachen »Hallo«, ohne mich zur Tür umzudrehen. Er steht jetzt hinter meinem Bürostuhl und ich hoffe, dass er nicht unbedingt wahrgenommen hat, was vor kurzem noch im Browserfenster zu sehen gewesen ist. Schnell habe ich das Ding nämlich minimiert, als er eintrat. Wie sollte ich ihm das denn erklären, so etwas wäre mir unsäglich peinlich, in jeder Hinsicht. Erstens schreibe ich nie irgendetwas, aber schon gar keine Geschichte, die ich dann auch noch einem Verlag präsentieren möchte. Und dazu auch noch dieses aufreizende Thema, das mir in meinem ganzen bisherigen Leben noch nicht untergekommen ist.

Dankbar bemerke ich, dass sich Peter überhaupt nicht für das zu interessieren scheint was mein Monitor anzeigt. Seine warmen Hände, die nun auf meinen Schultern liegen, beginnen mich langsam, sanft und rhythmisch zu streicheln. Dabei wandern sie zunächst auf meinen Oberarmen entlang, über meinen Rücken und einige Zeit später auch über meine Brust. Ich spüre wie meine Brustwarzen hart werden. Peter scheint das ebenfalls aufgefallen zu sein, da er sich diesen Stellen nun etwas intensiver widmet. Dass wir beide schweigen, scheint dieses Erlebnis noch intensiver werden zu lassen.

Ich atme tief durch, genieße jeden Moment und schließe die Augen, während die warmen Hände jetzt immer tiefer meinen Bauch entlang wandern. Die liebkosenden Berührungen meines nach wie vor hinter mir stehenden Besuchers entlocken mir unwillkürlich ein leises und lustvolles Stöhnen, während ich mich mit geschlossenen Augen weiter auf meinem Bürostuhl zurücklehne. Meine Begierde ist nun fast schon ins Unermessliche gewachsen und als sich das Streicheln der Hände schließlich der Innenseite meiner Oberschenkel widmet, würde ich die Sache am liebsten beschleunigen. Doch immerhin ist es eine sehr lustvolle Qual, die ich zu ertragen habe und somit beschließe ich, mich weiter mit geschlossenen Augen den sinnlichen Freuden hinzugeben und meinem Besucher das Timing zu überlassen.

Knopf für Knopf wird nun langsam meine Bluse geöffnet, so dass meine Brüste frei liegen und sich der weiteren zärtlichen Massage entgegen recken. Ich kann es nun kaum mehr ertragen und habe das Gefühl gleich zu verbrennen. Nun öffnet er meine Hose, langsam und genussvoll. Ich helfe mit einer einladenden Beckenbewegung nach, sie nach unten zu streifen.

Gemeinsam gleiten wir nun endlich langsam und sanft zu Boden, ich spüre den warmen, muskulösen Männerkörper über dem meinen…

Du meine Güte, warum ist es plötzlich so hell? Erschreckt schlage ich die Augen auf, als ich mich aufrichte. Die gleißende Morgensonne, die direkt durchs Fenster auf meinen Schreibtisch scheint, blendet mich und ich frage mich wie spät es eigentlich sein mag.

Da muss ich letzte Nacht doch tatsächlich an meinem Schreibtisch sitzend eingeschlafen sein! Warum bin ich nicht im Bett? Und wo ist eigentlich Peter abgeblieben? War er nicht gestern Abend noch zu mir gekommen?

Ja und überhaupt: Gestern Abend, da war doch noch was. So langsam kehrt die Erinnerung an das unsagbar sinnliche Erlebnis zurück. War das eigentlich wirklich alles geschehen, oder hatte ich es gar geträumt, nachdem ich mich intensiver mit diesem Dämonen-Thema befasst habe?

Die blinkende LED an der Frontseite meines PC verrät mir, dass der Rechner zwar noch an ist, sich aber im Ruhemodus befindet, ebenso wie mein Bildschirm, der nur eine gähnende schwarze Leere anzeigt.

Meine Gedanken an das lustvolle Abenteuer, das ich erlebt oder geträumt habe, beschäftigen mich weiterhin. Ein Blick an mir herunter verrät mir, dass ich angekleidet bin wie ich es war, als ich mich gestern spät abends an meinen Schreibtisch gesetzt habe. Das ist so weit doch schon mal recht beruhigend, finde ich. Es scheint also nichts passiert zu sein. Und doch fühle ich mich seltsam erregt und kann mich nicht entsinnen, wann ich jemals zuvor schon so intensiv geträumt habe, dass es mir wie die Realität erschien.

Durch ein Drücken des Schalters versetze ich meinen PC wieder in den aktiven Zustand. Es dauert auch gar nicht lange bis mein Monitor ebenfalls zum Leben erwacht. Von meinem Bildschirm grinsen mich die Abbildungen von Succubus und Incubus vielsagend an.

The Single Girl

Günter Gerstbrein

I

Regie

D

ie Anwesenden in der Regiezentrale verfolgten in gebannter Erwartung den letzten Spot des aktuellen Werbeblocks. Darin erzählte ein Mann in einem seriös wirkenden Anzug von seinen außerordentlich positiven Erfahrungen mit einem großen Finanzdienstleister.

»In Ordnung Leute«, sagte der Regisseur, »wir sind gleich wieder drauf. Das Intro in - fünf, vier, drei, ...«

Der Werbespot endete und wich dem Logo der beliebtesten Kuppelshow der letzten Jahre. Der markante Jingle erklang und aus sanft geschwungenen Buchstaben bildeten sich die Worte The Single Girl. Eine tiefe Männerstimme verkündete: »Eine Frau und zwölf Männer. Wer wird der Glückliche?«

Der Schriftzug verschwand und eine attraktive junge Frau lächelte in die Kamera. Ihre regelmäßigen Gesichtszüge ließen sie fast unwirklich erscheinen. Dunkle Augen verhießen Feuer und Leidenschaft, gleichzeitig lag auch etwas Geheimnisvolles darin. Das lange Haar trug sie zu einer außergewöhnlichen Frisur hochgesteckt. Es war eine Art breiter Haarkranz, der nicht am Hinterkopf, sondern weit vorne über der glatten Stirn thronte.

»Für wen wird Samara sich entscheiden?«, fuhr die Männerstimme fort. Bei diesen Worten kräuselten sich die Lippen der jungen Frau zu einem verführerischen Lächeln und sie zwinkerte in die Kamera. »Wer bekommt die Rose?«

Nun erschienen die Gesichter von zwölf jungen Männern im Bild. Untermalt vom Geräusch eines Bleistifts, der über Papier kratzt, wurden die meisten durchgestrichen. »Neun Kandidaten mussten die Show bereits verlassen«, sagte die Männerstimme. »Drei Finalisten sind noch im Rennen. Wer wird es sein? Wer erobert das Herz von unserem Single Girl Samara?«

Die Lautstärke der Musik steigerte sich, ehe sie in einem dramatischen Akkord ausklang.

»Okay, Kamera Sechs in drei, zwo, eins.«

Per Knopfdruck bekamen die Fernsehzuseher zuhause eine Totale vom Studio zu sehen. Ein Leuchtschild mit dem Schriftzug The Single Girl schmückte die Rückwand. Davor versprach ein breites Sofa Gemütlichkeit. Im Gegensatz dazu wirkten die drei Barhocker daneben alles andere als bequem.

Neben dem Schriftzug schwang eine Tür auf, und Samara betrat die Bühne.

»Auf die Zwei.«

Samara in Großaufnahme. Sie trug ein atemberaubendes Abendkleid in Rot, das Outfit einer Verführerin, die wusste, was sie wollte. Man hatte sie perfekt gecoacht. Erst ein Lächeln für die Kamera, dann ging sie - nein, sie schwebte - mit schwingenden Hüften zum Sofa. Mit tänzerischer Grazie ließ sie sich dort nieder, ohne ihr Kleid zu verknittern.

»Und jetzt die Acht.«

Das Live-Publikum. Tosender Applaus. Offenstehende Münder.

»Wieder die Sechs.«

Das Bild wechselte zur Bühne. Die drei Finalisten traten durch die Tür. Jeder von ihnen nahm auf einem der Hocker Platz.

»Nacheinander auf die Drei, Vier und Fünf, dabei die Namen einblenden. Kommentar abspielen.«

Der erste Mann. Ein kräftig gebauter Fitnesstrainer, der in mehreren Folgen wie zufällig sein T-Shirt ausgezogen hatte, um einen Oberkörper wie den einer griechischen Statue zu präsentieren. Heute Abend trug er ein weißes Hemd, dazu ein blaues Jackett. Die pechschwarze Mähne war mit Gel perfekt in Form gebracht worden. Seine ganze Erscheinung versprach viele schweißtreibende Stunden, nicht nur im Fitness-Studio.

Am unteren Rand des Bildes erschien der Schriftzug mit seinem Namen: Alex.

Die Männerstimme aus dem Off ergriff wieder das Wort. »Für wen wird Samara sich entscheiden? Für Alex, der sie in jeder Lebenslage zum Schwitzen bringen will?«

Schnitt zum nächsten Kandidaten. Ein unscheinbarer, glatt rasierter junger Mann, der in einer Bank arbeitete. Zu Beginn hatte ihm niemand große Chancen eingeräumt, doch dann war er aus jeder Folge mit einer Rose hinausgegangen. Unter dem blonden Haarschopf, den die Maskenbildner zu einem perfekten strubbeligen Chaos geföhnt hatten, glitzerten blaue Augen. Ständig in Bewegung, nahm ihr Blick alles in sich auf, nichts schien ihnen zu entgehen.

Der Name des Kandidaten wurde eingeblendet, gleichzeitig verkündete die Männerstimme: »Oder für Lars, der mit ihr die Geheimnisse des Lebens enthüllen will?«

Es folgte der letzte Finalist. Er war der Archetyp eines Latin Lovers. Gebräuntes Gesicht, Augen wie Kohlestücke, krauses Brusthaar, das sich hinter den geöffneten obersten Hemdknöpfen erahnen ließ. Auf dem Kopf trug er stets ein verwegen in die Stirn geschobenes Barett. Mit einem Lächeln, hinter dem strahlend weiße Zähne aufblitzten, zwinkerte er in die Kamera.

Sein Name erschien im Bild. »Oder Miguel«, sagte die Männerstimme, »der ihr Tage und Nächte voller Leidenschaft und Abenteuer verspricht?«

Von den Fernsehzusehern ungehört, meinte eine Frauenstimme in der Regiekabine: »Ich hoffe, sie nimmt Miguel. Alex und Lars sind ja so Nullachtfuffzehn.«

»Ruhe! Konzentration bitte. Auf die Sechs und Monitor ausfahren. Dann Wechsel zum Rückblick.«

Hinter dem Sofa schob sich ein Teil der Wand beiseite und gab den Blick auf einen überdimensional großen Bildschirm frei. Samara änderte ihre Haltung, um ihn besser sehen zu können. Auch die Finalisten richteten ihre Aufmerksamkeit darauf.

Begleitet von der Männerstimme, begann der Rückblick auf die Highlights der Show. »Zehn Wochen, zwölf Kandidaten. Viel ist passiert, viele mussten gehen.« Während Kamera Sechs den großen Monitor heranzoomte, huschten die Gesichter der Ausgeschiedenen in rascher Abfolge darüber hinweg.

»Und Übergang.« Für die Zuseher zuhause wechselte das Bild, sodass sie nun direkt die Einspielung verfolgen konnten.

Die Männerstimme berichtete von den Kandidaten, welche die Show verlassen hatten. Manche freiwillig, andere, weil Samara ihnen keine Rose gegeben hatte.

Nachdem die ersten vier Folgen nicht besonders aufregend gewesen waren, verkündete die Männerstimme schließlich: »Und dann die fünfte Folge, das Date zu dritt.«

Samara erschien in einem traumhaften Kleid in Blau, das Haar wie üblich zu ihrer komplizierten Frisur über der Stirn hochgesteckt. Gemeinsam mit dem Autoverkäufer Georg und dem Masseur Andreas besuchte sie ein Nobelrestaurant, in dem die Regel galt: Je höher der Preis, desto kleiner die Portion.

Eine rasche Abfolge von verschiedenen Szenen des Abends folgte. In jeder davon buhlten die beiden Kandidaten um die Gunst vom Single Girl Samara.

»Aber Georg sorgte für ein abruptes Ende«, verkündete die Männerstimme. Geschickt zusammengeschnitten wurde gezeigt, wie der Genannte seinen Stuhl immer näher an Samara heranrückte. Die ließ es lächelnd geschehen, warf jedoch mehrere herausfordernde Blicke auf Andreas. Es war, als wolle sie den Masseur herausfordern, sein Glück ebenfalls zu versuchen.

Georg war nun direkt neben ihr. Während er ihr etwas zuflüsterte, das die Mikrofone nicht erfassten, streckte er eine Hand aus, um ihr über die Wange zu streichen. Samara ließ es zu und schloss in einem genießerischen Ausdruck die Augen. Dann berührte er ihr Haar und die kunstvolle Frisur.

Blitzschnell schoss Samaras Arm nach oben und packte ihn am Handgelenk. Er stieß einen Schrei aus, bei dem nicht klar war, ob aus Schrecken oder Schmerz. »Nicht die Haare«, zischte sie, das ebenmäßige Gesicht kurz zu einer Grimasse verzerrt.

»Tja, Georg«, verkündete die Männerstimme freundlich, »Samaras Haar ist ihr Heiligtum. Das wusstest du aber.«

Das Bild wechselte und zeigte einen kurzen Clip aus dem Interview vom Ende dieser Folge, nachdem Georg keine Rose erhalten hatte. »Es war merkwürdig«, meinte er. »Unter dem Haar konnte ich eine Beule fühlen.« Mit nachdenklichem Gesicht sah er in die Kamera. »Vielleicht gibt es ja einen Grund dafür, dass sie immer diese komischen Frisuren trägt.«

»Und offensichtlich wird Georg diesen Grund nicht mehr erfahren«, fügte die Männerstimme fröhlich hinzu. »Ebenso wenig wie Andreas.«

Das Bild wechselte und zeigte den Angesprochenen, der mit einigen kurzen Worten erklärte, die Show ebenfalls verlassen zu wollen. »Sie hat mir Angst gemacht«, sagte er. »Ich dachte schon, sie will ihm die Hand brechen.«

»Schade um Andreas«, kommentierte die Männerstimme. »Seine Chancen wären nicht schlecht gewesen. Aber die anderen Kandidaten durften sich freuen. Denn wenn jemand freiwillig geht, bleibt der Rest automatisch im Rennen. Und da sich sogar zwei der Jungs verabschiedet haben, musste auch in der nächsten Folge keiner gehen.«

Der Rückblick ging weiter.

»Die siebte Folge: das Übernachtungsdate.«

Zwei Kandidaten, Niclas und Benny, klopften an eine Haustür. Samara, gekleidet in einen Bademantel, öffnete ihnen. Auch diesmal trug sie das Haar zu der üblichen Frisur aufgetürmt. »Was dann wohl passiert ist?«, fragte die Männerstimme in verschwörerischem Tonfall.

Die beiden Männer traten ein, und Samara schloss die Tür. Die Kamera blieb draußen. Es folgte ein Schnitt zu einer Verandatür. Hinter zugezogenen Vorhängen waren Schemen zu erkennen, die sich bewegten. »Wir werden es wohl nie erfahren.«

Wieder wechselte das Bild und zeigte das Interview von Benny, als dieser nach dem Übernachtungsdate die Show freiwillig verließ. Er wirkte übermüdet mit roten Ringen unter den Augen. Durch sein dunkles Haar zogen sich graue Strähnen. »Ich kann mich an kaum etwas erinnern«, sagte er matt. »Wir haben ein Glas Wein getrunken, dann bin ich wohl eingeschlafen.«

Natürlich ließ die Männerstimme das nicht unkommentiert. »Wer bei einer Frau wie Samara einschläft, hat in dieser Show nichts verloren. Also tschüß, Benny.«

Es folgten Szenen aus weiteren Episoden, die man in der Regie gebannt verfolgte.

»In Ordnung, Leute. Bereitmachen, gleich sind wir wieder da. Auf die Sechs in drei, zwo, eins.«

Die Bühne kam ins Bild. Hinter dem Sofa schloss sich die Klappe und verbarg den Monitor. Samara wandte sich mit einem Lächeln um und strahlte erst das Publikum, dann die Kandidaten an.

»Die Zwei.«

Samaras Lächeln in Großaufnahme.

»Und die Sieben.«

Die drei Kandidaten auf ihren Hockern. Alex und Miguel lächelten zurück. Lars wirkte nachdenklich. Dann schien er zu merken, dass die Kamera ihn im Bild hatte, und seine Mundwinkel wanderten nach oben.

Abermals erklang die Männerstimme. »Und jetzt wird Samara uns verraten, wer von den Dreien die letzte Rose erhält. Mit wem will sie die nächsten Wochen und vielleicht sogar den Rest ihres Lebens verbringen? Und wen wird sie nach Hause schicken?«

»Wieder auf die Nummer Zwei.«

Samaras lächelndes Gesicht füllte das Bild, dann zoomte die Kamera langsam hinaus, bis sie und das Sofa ganz zu sehen waren. Auf einem Kissen neben ihr lag eine langstielige Rose. Sie griff danach, drehte sie in den Händen und legte sie schließlich wieder zurück, ehe sie aufstand.

»Auf die Sieben.«

Die Hüften schwingend trat Samara vor die Kandidaten, die sich beeilten, von ihren Hockern zu springen.

»Alex«, sagte sie in einem Tonfall, der aufrichtiges Bedauern ausdrückte. »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«

»Jetzt auf die Drei und rauszoomen.«

Der Fitnesstrainer kniff die Lippen zusammen, dann nickte er. Samara, die vor ihm stand, breitete die Arme aus. Er tat es ihr gleich, und sie umarmten einander. Als sie sich wieder lösten, wechselten sie einige Worte, jedoch zu leise, als dass die Mikrofone sie hätten aufnehmen können.

»Auf die Acht.«

Das Publikum applaudierte.

»Einer ist raus, bleiben noch zwei«, verkündete die Männerstimme.

»Auf die Sechs.«

Samara glitt zum Sofa zurück und nahm die Rose. Dann wandte sie sich wieder den Kandidaten zu.

»Für wen wird sie sich entscheiden?«, fragte die Männerstimme.

II

Kandidat

D

ie Tür schloss sich, als Samara hindurchgetreten war. Mit einer Handbewegung gab der Assistent Lars und den beiden anderen Finalisten zu verstehen, dass sie sich bereithalten mussten.

Das Publikum im Studio applaudierte pflichtbewusst, dann wurde es wieder ruhig. »Also gut, raus mit euch«, sagte der Assistent und zog die Tür auf.

Alex ging als Erster, gefolgt von Lars. Den Abschluss bildete Miguel.

Mit dem Fitnesstrainer war Lars nie wirklich warm geworden. Der Kerl schien ihm immer - zu viel zu sein. Zu viel Training, zu viel Proteinshakes, zu viel ›Ich bin der Beste‹. Nur Gesprächsthemen waren dünn gesät.

Ganz anders Miguel. Der war ein netter Kerl. In Wahrheit hieß er Michael und hatte erzählt, dass er ein kleines Szene-Lokal betrieb. Sie hatten vereinbart, in Kontakt zu bleiben, ganz egal, wie die Show endete.

Natürlich konnte Miguel nicht ahnen, was für ein Ende er im Sinn hatte. Denn er wusste nicht, was Samara wirklich war.

Ganz anders als Lars.

Sie gingen zu den Hockern und nahmen Platz. Samara beobachtete sie mit dem üblichen Lächeln. Ahnte sie, dass er sie erkannt hatte? Dass er wusste, was sie war? Warum sie diese ungewöhnliche Frisur trug?

Die nervende Moderationsstimme vom Band stellte jeden von ihnen kurz vor. Als ob die Fans der Serie das nicht ohnehin schon längst wussten.

Lars fühlte den Stoffbeutel in seiner Hosentasche. Wenn es stimmte, was er recherchiert hatte, würde er Samara damit enttarnen und besiegen können. Damit und mit dem Anhänger um seinen Hals.

Endlich hatte die Nerv-Stimme die Vorstellung beendet. Es folgte eine Einspielung der Highlights der Show. Lars erinnerte sich an alle Kandidaten, doch zwei davon waren besonders hervorgestochen. Denn sie hatten untermauert, was er ohnehin schon wusste.

Hinter dem Sofa, auf dem Samara wie eine dunkle Königin thronte, öffnete sich die Wand und ein Bildschirm erschien. Als die Einspielung begann, eilte ein junger Mann zu ihnen. Die Zuseher zuhause merkten davon nichts, denn über deren Bildschirme flimmerte nun der Rückblick.

»Ein paar Schweißperlen«, sagte der Junge und tupfte mit einem Wattebausch über Alex’ Stirn. Der rümpfte die Nase, ließ es aber geschehen.

»Jetzt wird’s ernst, Kumpel«, raunte Miguel.

Du hast ja keine Ahnung, wie ernst, dachte Lars. Laut sagte er: »Genau. Aber wir trinken auf jeden Fall mal was miteinander, ja?«

»Sicher, Bro.« Er streckte Lars die Faust entgegen, und der schlug mit den Fingerknöcheln dagegen.

»Alter«, murmelte Alex neben ihnen. »Nehmt euch doch ein Zimmer.«

Nachdem der Assistent noch einen prüfenden Blick auf die Gesichter von Miguel und Lars geworfen hatte, verschwand er wieder hinter der Bühne.

Auf dem Monitor liefen gerade Ausschnitte aus dem Date zu dritt. Als die Szene kam, als Samara Georgs Handgelenk packte und verdrehte, beobachtete ihr reales Gegenstück dies mit steinerner Miene.

Du hast in diesem Moment die Beherrschung verloren, dachte Lars, und alle konnten es sehen.

Georgs Interview folgte. »Ganz kurz konnte ich etwas wie eine Beule unter dem Haar fühlen«, sagte er.

Lars wusste, dass er damit nicht ganz unrecht hatte. Samara verbarg tatsächlich etwas unter ihrer ungewöhnlichen Frisur. Nur war es keine Beule, sondern etwas ganz anderes.

»Das soll sie bei mir versuchen«, murmelte Alex.

Lars schenkte ihm einen kurzen Blick. Innerlich riet er seinem Mit-Finalist, sich besser nicht zu wünschen, dass es dazu kam. Er ahnte, dass Samara Georgs Handgelenk genauso gut hätte brechen können. Und vermutlich wäre sie dabei noch nicht einmal ins Schwitzen gekommen.

Weitere, uninteressante Sequenzen folgten, dann kam das Übernachtungsdate. Die Kandidaten dafür waren nach dem Zufallsprinzip ermittelt worden. Lars hatte sich gewünscht, dass das Los auf ihn fiel, denn das hätte ihm die Möglichkeit gegeben, die Sache vorzeitig zu beenden. Doch Fortuna hatte anders entschieden.

Er beobachtete, wie Niclas und Benny das Haus betraten, das der Sender für diesen Zweck gemietet hatte. Niclas war nach dieser Nacht unbeschadet zurückgekehrt.

Benny nicht.

»Seht euch den an«, meinte Alex. »Der hat sich die ganze Zeit die Haare gefärbt.«

Er spielte auf die grauen Strähnen an Bennys Schläfen an, die sich bei seinem Abschiedsinterview zeigten. Doch Lars wusste, dass Benny sich nie die Haare gefärbt hatte. Ebenso war ihm klar, dass die Müdigkeit, die er in dieser Szene zur Schau stellte, nicht gespielt war. Samara hatte ihm etwas geraubt, das er nie wieder zurück erhalten würde.

Wenn es nach Lars ging, würde so etwas sich nicht mehr wiederholen.

Die Einspielung endete. Samara und die Kandidaten wandten sich wieder den Kameras zu, darauf wartend, dass über einer davon das Licht anging.

Es erschien zuerst an der Kamera, von der Lars wusste, dass sie die ganze Bühne erfasste. Danach wechselte es zu jener, die für das Single Girl reserviert war. Pflichtbewusst zeigte Samara ihr verführerischstes Lächeln.

Lars machte sich keine Illusionen. Hätte er nicht herausbekommen, wer - was - sie war, wäre es bei diesem Lächeln auch um ihn geschehen. Ein Blick hätte gereicht, und er wäre ihr mit Haut und Haaren verfallen. Doch die Erkenntnis und das Wissen bildeten den wirksamsten Schutz.

In seine Gedanken versunken bemerkte er zu spät, dass das Licht über der Kandidatenkamera angegangen war. Seine beiden Mitstreiter grinsten vermutlich schon wie die Honigkuchenpferde, während er noch mit finsterer Miene vor sich hin grübelte. Er zwang sich zu einem Lächeln, dann ging das Licht der Kamera auch schon wieder aus. Gleichzeitig verkündete die Nerv-Stimme den oft gehörten Sermon von Samara, die nun ihre Entscheidung treffen musste.

Die Bewegungen des Single Girls wirkten auf Lars unnötig lasziv, als sie aufstand und vor sie trat. In diesem Moment, so war ihnen von der Regie vor der Show eingetrichtert worden, hatten sie ebenfalls aufzustehen.

Er folgte dieser Anweisung, ebenso die beiden anderen. Gab es vielleicht ein Anzeichen des Begreifens in Samaras Gesicht? Hatte sie erkannt, dass er sie durchschaut hatte?

Sie schenkte jedem von ihnen einen Blick, dann verharrte sie vor Alex. Seine aufeinander mahlenden Kiefer verrieten, dass er begriff, was das bedeutete.

»Alex«, sagte sie. Fast hätte Lars das Bedauern in ihrem Tonfall für echt halten können. »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«

Mit steinerner Miene nickte Alex, doch dann breitete Samara mit einem zuckersüßen Lächeln die Arme für eine Umarmung aus. Als sie wieder von ihm abließ, murmelte er ihr etwas zu. »Du machst einen Fehler, Babe«, glaubte Lars zu verstehen.

»Bestimmt nicht«, flüsterte Samara zurück.

Während die Nerv-Stimme das Offensichtliche verkündete, nämlich dass nun noch zwei Kandidaten übrig waren, spendete das Publikum Alex einen aufmunternden Applaus zum Abschied. Samara holte indessen die Rose vom Sofa und kehrte mit schwingenden Hüften zu Lars und Miguel zurück, mal den einen, mal den anderen ansehend.

Lars schob eine Hand in die Hosentasche, umfasste den kleinen Stoffbeutel darin. Die andere hob er wie zufällig zur Brust, um rasch seinen Anhänger herausziehen zu können.

»Für wen wird sie sich entscheiden?«, fragte die Nerv-Stimme.

Sie machte es spannend. Eine gefühlte Ewigkeit stand sie da und betrachtete die beiden letzten Finalisten. Lars vermutete, dass diese Szene für die Fernsehzuseher von dramatischen Akkorden untermalt wurde.

»Diese Rose«, sagte Samara schließlich mit klarer, gut verständlicher Stimme, »ist für ...« Sie verstummte mit einem Lächeln.

Lars zog die Hand mit dem Beutel aus der Tasche. Die andere schob er langsam unter sein Hemd, tastete nach dem Anhänger. Samara merkte, dass er etwas im Schilde führte. Ein Stirnrunzeln erschien auf ihrer glatten Haut.

»Lars?«, sagte sie. Es war unklar, ob sie damit ihre Entscheidung verkündete, oder nur ihre Verwirrung über sein Verhalten zum Ausdruck bringen wollte.

Für die Regie schien die Sache jedoch klar. Fanfarenklänge erschollen aus verborgenen Lautsprechern, und ein Konfettiregen ergoss sich über sie. Das Publikum brach in tosenden Applaus aus.

»Was zum ...«, begann Miguel.

Lars zog den Anhänger hervor. Es handelte sich um einen fünfzackigen Stern. Ein Drudenfuß. Dieses Amulett sollte Schutz vor dem Bösen in seinen verschiedenen Ausformungen bieten. Mit einem Ruck zerriss er die dünne Kette, um es Samara am ausgestreckten Arm entgegenzustrecken.

Sie ließ die Rose fallen und wich zurück. Ihr Gesicht verwandelte sich in eine Grimasse.

Nun führte Lars die Hand mit dem Beutel zum Mund und zog mit den Zähnen an der Schnur, die ihn geschlossen hielt. Mit einer schwungvollen Bewegung schüttete er den Inhalt in Samaras Richtung.

Getrocknete und zerkleinerte Blätter der Verbene, auch als Eisenkraut bekannt, flogen durch die Luft. Samara schaffte es nicht, ihnen auszuweichen. Wo die Krümel die Haut berührten, rötete sie sich und schlug Blasen. Sie kreischte. Hinter ihrem Rücken erschienen zwei schattenhafte Gebilde, wurden zu ledrigen Flügeln. Gleichzeitig verdrehten sich ihre Beine unter dem roten Abendkleid. Die zierlichen Schuhe platzten mit einem reißenden Geräusch auf und Hufe kamen zum Vorschein.

In Schmerzen warf Samara ihren Kopf hin und her. Dabei löste sich ihre Frisur, und das, was sie darunter verborgen hatte, kam zum Vorschein. Keine Beulen, wie Georg vermutet hatte, sondern kleine, geschwungene Hörner.

»Jetzt vernichte ich dich, Sukkubus«, brüllte Lars und stürzte sich auf sie, das Amulett vor sich gestreckt.

III

Single Girl

E

s war aufregend, fand Samara. Ständig von Männern voller Testosteron umgeben zu sein, war einfach nur berauschend. Und die Show stellte eine nette Abwechslung zu der üblichen Weise dar, wie sie an ihre Beute kam. Hier musste sie nicht jagen, nicht lauern. Stattdessen kam die Beute zu ihr und balgte sich darum, sich ihr zu unterwerfen. Doch noch durfte sie nicht zugreifen. Denn die Regeln der Show sorgten dafür, dass sie ihre Ernte erst am Ende einfahren durfte.

Und sie wollte nach den Regeln spielen. Zumindest diesmal.

Jetzt saß sie hier, im großen Finale von The Single Girl. Auf dem Monitor hinter ihrem Sofa liefen noch die Höhepunkte der Show, doch schon in wenigen Minuten würde sie sich entscheiden. Im Moment wusste sie selbst noch nicht, wen sie wählen würde. Sie wusste nur, wer es bestimmt nicht wurde. Dieser Alex war uninteressant. An ihn zu denken, verursachte in ihr Empfindungen, die wohl dem glichen, was die Menschen beim Gedanken an Fast Food fühlten. Es gab nur einen Grund, warum er noch in der Show war: Sie liebte es, Typen wie ihn verlieren zu sehen. Um seine Enttäuschung perfekt zu machen, hatte sie ihn immer wieder mal angeflirtet. Hatte angedeutet, er hätte eine Chance. Was für ein Genuss würde es sein, sein Gesicht zu sehen, wenn sie ihn jetzt, so kurz vor dem Ziel, aus der Show kickte.

Wenn Alex nur Fast Food war, dann konnte sie die beiden anderen Männer wohl als Gourmet-Dinner betrachten. Aber für wen von ihnen sollte sie sich entscheiden? Da würde sie sich wohl spontan auf ihr Bauchgefühl verlassen.

Sie beobachtete die Szenen aus den vergangenen Folgen.

Ach ja, dieses verfluchte Dreier-Date. Georg hatte sie am Kopf berührt. Nicht, dass sie etwas gegen eine Berührung an sich einzuwenden hatte, ganz im Gegenteil. Aber er hätte es wohl nicht verstanden, wenn er gemerkt hätte, dass sie unter ihrer Frisur Hörner verbarg.

Diese verfluchten Hörner.

Wie alle von ihrer Art konnte Samara ihr Aussehen verändern. Die Bocksbeine so zu verdrehen, dass sie zu dem wurden, was menschliche Männer für wohlgeformt hielten? Kein Problem. Die Flügel unsichtbar machen? Nichts leichter als das.

Nur nicht die vermaledeiten Hörner. Die ließen sich nicht verwandeln. Sie zwangen sie dazu, Hüte und Mützen zu tragen. Oder, wie für diese Show, das Haar zu abenteuerlichen Frisuren hochzutürmen. Und alles nur, um sich unbemerkt unter Menschen bewegen zu können.

Georg gewähren zu lassen, hätte zu Fragen geführt. Fragen, die sie nicht beantworten wollte. Trotzdem sie hatte in ihrem Schreck überreagiert, das wusste sie nun. Zum Glück hatte Georg sich eine Erklärung zurechtgelegt, die in ein Weltbild passte, in dem es keinen Platz für Wesen wie sie gab.

Aber das war noch nichts gegen die Sache mit dem Übernachtungsdate, dessen Bilder nun über den Monitor flimmerten. Mit Niclas hatte sie an jenem Abend leichtes Spiel gehabt. Er war betrunken weggeschlummert, ehe sich die Gelegenheit zu irgendwelchen Dummheiten geboten hätte.

Nicht aber Benny. Er hatte mehr Wein vertragen als sein Konkurrent. Und sie war schwach geworden, hatte ihr Bestreben vergessen, die Regeln der Show einzuhalten.

Immerhin hatte sie sich zurückgehalten.

Der Ausschnitt seines unbeholfenen Interviews wurde nun gezeigt. »Wir haben ein Glas Wein getrunken, und dann bin ich wohl eingeschlafen.«

Es war mehr als nur ein Glas gewesen. Und eingeschlafen war er nur, weil sie dafür gesorgt hatte. Doch dann waren Gier und Lust zu stark geworden. Das graue Haar an seiner Schläfe sah sie als Mahnmal für ihre Schande. Sie hätte sich besser im Griff haben müssen. Zwar hatte sie ihm nicht viel entnommen, aber immer noch genug, um diese Spur zu hinterlassen. Zumindest hatte sie ihm die Erinnerung an diese Nacht nehmen können.

Dann war es so weit. Die Stimme aus dem Off verkündete, dass sie sich entscheiden musste. Neben ihr auf dem Sofa lag die Rose. Sie hob sie hoch und betrachtete sie aus der Nähe. Eine schöne Blume. Ein Symbol für das Band, das es in Kürze zwischen ihr und dem Sieger der Show geben würde.

Sie legte die Rose wieder hin und trat vor die Kandidaten.

Um für das Publikum die Spannung zu erhöhen, zögerte sie einen Augenblick, als hätte sie nicht schon längst entschieden, dass Alex gehen musste.

Sie wandte sich an ihn. »Alex«, sagte sie, »Wir hatten viel Spaß, aber es hat nicht gefunkt.«

Er war in seiner Männlichkeit gekränkt, das fühlte sie deutlich, denn es strahlte wie in Wellen von ihm aus. Gierig sog sie diese Empfindungen in sich auf. Nein, er war kein Fast Food. Eher ein Aperitif.

Sie bot ihm eine Umarmung an, um besser in seine Enttäuschung eintauchen zu können. Er akzeptierte.

Zwar war es längst nicht so berauschend wie die Gefühle beim Sex, doch sein testosterongeschwängerter Zustand sorgte zumindest für einen kurzen Genuss.

Einen Aperitif eben.

»Du machst einen Fehler, Babe«, raunte er ihr zu.

Natürlich. Seine gekränkte Männlichkeit ließ keine andere Sichtweise zu.

Sie unterdrückte ein Lachen. »Bestimmt nicht«, sagte sie.

Während sie zurück zum Sofa ging, um die Rose zu holen, sagte die Moderationsstimme etwas. Sie hörte nicht darauf, denn nun wurde es ernst. Für wen wollte sie sich tatsächlich entscheiden? Sie sah beide Männer an.

An der Oberfläche wirkte Lars wie der Bravere der beiden. Doch da gab es auch eine Tiefe, die Alex gefehlt hatte. Sie ahnte, dass sie mit ihm kein so leichtes Spiel haben würde, wie bei den anderen. Das reizte sie. Wie lange mochte es wohl dauern, bis sie sich an ihm nähren konnte?

Oder Miguel. Bei ihm war es wohl leichter als bei Lars. Und er strotzte vor Energie. An ihm würde sie sich tagelang sättigen können, und selbst dann wäre immer noch genug übrig.

Lars bewegte sich und steckte eine Hand in die Hosentasche. Machte er nun etwa auf lässig? Gleichzeitig ruhte die andere Hand an der Brust und schien nach etwas zu tasten. Vielleicht nach einem Glücksbringer?

Genüsslich zögerte sie den Moment hinaus. »Diese Rose ist für ...«, sagte sie schließlich und verstummte, um die Spannung noch ein wenig zu steigern. Dann sah sie, dass Lars sich bewegte. Er zog ein Stück Stoff aus der Hosentasche.

Sie runzelte die Stirn. »Lars?« Eigentlich wollte sie ihn fragen, was er da machte, doch die Regie schien es für ihre Entscheidung zu halten. Laute Musik erklang, gefolgt von einem Konfettiregen. Das Publikum applaudierte.

Als Lars etwas unter seinem Hemd hervorzog, erkannte Samara sofort, was es war. Ein Drudenfuß, jenes verhasste Symbol, mit dem die Menschen in alter Zeit sie und andere Ihrer Art in die Flucht geschlagen hatten.

»Was zum ...?«, brachte Miguel hervor, der das Geschehen fassungslos beobachtete.

Samara ließ die Rose fallen und wich zurück. Entsetzt sah sie zu, wie Lars die andere Hand zum Mund führte. Das Stück Stoff, erkannte sie, war ein Beutel, den er nun mit den Zähnen öffnete.

In diesem Moment nahm sie den widerlichen Geruch wahr. Verbene, jene Pflanze, die sie ebenso verabscheute wie den Drudenfuß.

Der Arm mit dem Beutel zuckte nach vorn, und streute den Inhalt über sie. Samara versuchte auszuweichen, war jedoch zu langsam. Wo die Blätter und Krümel sie trafen, bohrte sich brennender Schmerz in ihre Haut. Die Verbene leistete ganze Arbeit.

Samara fühlte ihre Tarnung in sich zusammenbrechen. Die Beine nahmen ihre richtige Form an, und hinter ihr materialisierten sich die Flügel. Dass sich ihre Frisur löste und so auch die Hörner preisgab, nahm sie nur mehr am Rande wahr.

»Jetzt vernichte ich dich, Sukkubus«, hörte sie Lars brüllen. Durch einen Schleier aus Tränen hindurch sah sie, wie er sich auf sie stürzte.

Vernichten würde er sie weder mit dem Amulett noch mit den Kräutern. Beides verbrannte ihre Haut und hinterließ schmerzhafte Spuren, die lange sichtbar blieben. Aber nicht mehr.

Mehr aus Instinkt, als dass sie sah, was sie tat, streckte sie ihren eigenen Arm aus, und bekam ihn am Hals zu fassen. Langsam hob sie ihn hoch, so dass seine Füße mehrere Handbreit über dem Boden zappelten. Der Drudenfuß segelte in hohem Bogen davon.

Das Publikum verharrte wie in Schockstarre, doch sie achtete nicht darauf. »Das war ein Fehler«, spie sie Lars entgegen, dessen Gesicht über ihrem Griff eine bläuliche Farbe annahm.

Dann stand Miguel neben ihr. »Nicht«, sagte er.

Sie erkannte, wie das Barett, das er alle Folgen hindurch getragen hatte, verrutschte. Darunter kamen Hörner zum Vorschein.

Hörner wie ihre eigenen.

Ein Inkubus.

Sie blinzelte die Tränen weg und ließ Lars los. Mit einem dumpfen Laut fiel er zu Boden.

»Sieht so aus, als hätten wir ähnliche Ideen gehabt«, meinte Miguel ruhig.

Allmählich beruhigte sich das Brennen auf ihrer Haut wieder. Vielleicht würden die Spuren ja schneller wieder verschwinden, als sie befürchtet hatte.

»Ähnliche Ideen?«, fragte sie barsch. »Mir ging es um das Spiel. Um die Auswahl«, sagte sie.

»Und ich wollte wissen, ob ich mich in dieser Show gegen menschliche Konkurrenten durchsetzen kann. Ganz ohne - du weißt schon.«

»Und was jetzt?«

Er deutete auf Lars, der am Boden saß und entsetzt zu ihnen empor sah. »Lass ihn gehen.«

»Warum?«

»Ich mag ihn.«

Sie seufzte. Na schön, sollte Miguel seinen Willen haben. »Hier sind wir aufgeflogen«, sagte sie. »Verschwinden wir.«

Er nickte. Hinter seinem Rücken flimmerte es, dann erschienen ledrige Schwingen. »Ich würde immer noch gern was mit dir was trinken gehen«, sagte er freundlich zu Lars. »Das erste Bier geht auf mich.«

Dann breitete er die Flügel aus und stieg in die Luft. Nach einigen Metern verschwand er in einer schwarzen Rauchwolke.

Auch Samara wandte sich an Lars. »Du weißt nicht, was dir entgangen ist.«

Damit stieß auch sie sich vom Boden ab und wechselte, eine Rauchwolke hinterlassend, in die andere Welt.

Succubussmile

Nele Sickel

H

ier«, sagte Mutter und hielt mir einen Lippenstift vor die Nase. »Versteck damit dein Succubussmile, ehe du zur Beichte gehst.«

Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen das kühle Metall unserer Zimmertür, unterdrückte dabei ein Stöhnen. Am liebsten hätte ich gebockt wie früher als junges Mädchen. Nur hatten wir diese spezielle Diskussion mittlerweile zu oft geführt, als dass ich noch Spaß daran hätte haben können. Also nahm ich das blöde Ding einfach.

»Leihst du mir wenigstens deine Mirror-App zum Auftragen?«

Mutter verschränkte die Arme. »Wozu? Du willst doch nur noch mal sehen, wie voll und rot sie sind, ehe du sie verdeckst. Oder willst du kontrollieren, ob deine Wimpern immer noch so dicht sind? Ob das goldene Haar noch glänzt, hm?«

»Jetzt hör aber auf. Ich will es richtig machen, sonst nichts.«

»Du kriegst das schon hin. Kannst doch sonst immer alles allein.«

Wie ich sagte: Diskussionen waren völlig sinnlos. Also öffnete ich den Lippenstift, fand darin ein kränkliches Beige und schmierte mir das auf die Lippen. So entstellt lächelte ich Mutter an, bleckte die Zähne.

»Besser?«

»Kaum. Schlag diese verdammten Hexenaugen nieder, wenn du draußen bist, und lass die Haare unter der Kapuze.«

Wenn sie gewusst hätte … Ich seufzte bloß. »Schon klar. Wie immer.«

»Und bleib nicht so lange!«

»Nur so lange, wie der Herr Pfarrer mich dort haben will, Mutter.«

Ich wandte mich um, betätigte das Türterminal und schlüpfte hinaus, ehe ich mir einen weiteren Insult von ihr einfangen konnte.

Kaum war ich auf der Straße, sah ich die hohen Mauern der Cathedral vor mir aufragen. Grau wie die Häuser links und rechts, nur viel höher und mit einem großen, neongelb blinkenden Kreuz anstelle der unaufgeregten Werbetafeln in Pastelltönen, die auf diese Drogerie und jenes Restaurant hinwiesen. Eine Drohne summte leise über meinen Kopf hinweg. Zwei Männer und eine Frau in beigen Arbeitsoveralls warfen mir im Vorbeigehen neugierige Blicke zu. Ich schlug die Kapuze über das allzu blonde Haar und senkte den Blick auf den Asphalt zu meinen Füßen. So ungern ich tat, was Mutter mir auftrug, gerade heute war es keine gute Idee, aufzufallen.

Der Weg kam mir länger vor als sonst. Wieder und wieder spielte ich in Gedanken den Streit durch, den ich gerade vermieden hatte. Hörte mir an, wie verdorben ich doch wäre. Warf Mutter an den Kopf, dass – wäre ich wirklich ein Dämon, wie sie sagte – sie sich lieber fragen sollte, mit wem sie da herumgehurt hatte, um mich zu zeugen. Bekam darauf zu hören, dass ich die Hure sei, nicht sie.

Meine Handflächen wurden feucht. Ich ballte die Fäuste, versenkte sie so tief in den Manteltaschen, dass meine Knöchel über die groben Salzkörner kratzten, die sich da im Stoff verfangen hatten. Vielleicht hatte Mutter recht. Womöglich war ich verdorben, unrein. Aber dafür war ich wenigstens jemand. Mehr als ein betender, psalmenleiernder Schatten. Und ich wollte doch nichts Böses. Ich wollte nur endlich wissen, wie es war.

Noch gut fünfzig Meter von der Cathedral entfernt, trat ich bereits in ihren Schatten. Prompt heizte die Luft sich auf, wurde stickiger trotz des freien Himmels über meiner Kapuze. Der Asphalt füllte sich mit Füßen. Ich hielt den Blick gesenkt, die Hände in den Taschen. Mein Smartphone in der Mantelinnentasche drückte schwer gegen meine Brust. Den Lieferdienstflyer, den ich daneben geschoben hatte, spürte ich nicht. Hätte ich mich getraut, hätte ich danach getastet, hätte ihn herausgeholt und noch einmal die Wünsche nach Verbindung und Zärtlichkeit gelesen, die ich heimlich an den Rand gekritzelt hatte. Doch ich wagte es nicht. So kurz vor der Cathedral hatte die Stadt tausend Augen.

Weihrauch lag schwer in der Luft. Ich war immer wieder überrascht, dass man ihn nicht nebelhaft umherschweben sah, wenn man durch das gigantische Tor in den Vorraum trat. Ich stellte mich in die Schlange vor dem Spendenscanner, zückte mein Smartphone, berührte flüchtig eine raue Ecke des Flyers und versuchte, nichts als Erleichterung dabei zu fühlen, dass er noch da war.

Aus den offenen Löchern links und rechts im Boden klangen Klagelaute. Dort hungerten und dürsteten Sünder, weil sie ihre Spende nicht entrichtet hatten oder weil sie sich in der Kirche entblößt hatten oder – na ja, eben weil sie etwas getan hatten, was man in Gottes Haus nicht tat. Direkt unter mir kauerte eine Frau, die mich schmerzlich an meine Mutter erinnerte. Derselbe strenge Kurzhaarschnitt, die gleichen müden Schultern im mausgrauen Kleid. Sie klagte nicht, schaute nur voll stechender Reue herauf. Das Loch im Boden war so breit, die Zelle so niedrig, ich hätte mich mit dem Oberkörper hinunterhängen und sie heraufziehen können. Doch ich tat es nicht. Weil sie es wohl nicht gewollt hätte. Vor allem aber, weil ich nicht hergekommen war, um die Heldin zu spielen. Ich war hier, um etwas Verbotenes zu wagen – und hoffentlich mit heiler Haut davonzukommen.

Die Schlange rückte weiter. Ich kam an die Reihe, ließ mein Smartphone scannen und gab meine Einwilligung zur Spendenbuchung mit einem flüchtigen Daumendruck. Sonst machte ich mir immer Sorgen darum, wie hoch der gewünschte Betrag diesmal sein mochte, doch heute schaute ich gar nicht hin. Ich konzentrierte mich auf meinen Atem, auf meine Haltung. Ruhig jetzt, auch wenn mein Herz raste. Ich hatte das hier lange vorbereitet. Ich hatte den richtigen Mann gefunden, den richtigen Ort auch. Salz und Salbei waren gestreut, alle Zauber gewirkt, bis auf den letzten, den, den ich in meiner Mantelinnentasche trug. Wenn es einen richtigen Moment gab, dann war es dieser.

Ich atmete tief ein und aus. Der Weihrauch ließ mich husten.

So trat ich mit tränenden Augen in die Düsternis der Cathedral. Hohe Säulen erwarteten mich, kalter Beton, unruhiges Murmeln, Psalmen und hohles Echo. Vorn am Altar ragten die Windows auf – keine echten Fenster, sondern riesige, geschwungene Bildschirme, opulent und farbgewaltig zeigten sie Engel mit riesigen Flügeln und wenig Kleidung, manche in der Form vollbusiger Frauen, manche in der breitschultriger Männer. Die Windows strotzten von dem, was sonst in der Stadt keiner wagte: grelle Farben, sogar sündhaftes Rot, entblößte Körper, die rein waren, trotz allem, weil sie Seraphim und Cherubim gehörten und nicht uns sündigen Menschen. Mein Smartphone kannte nur eine Handvoll Pastelltöne und hätte mir kaum einen entblößten Knöchel gezeigt, geschweige denn einen Oberschenkel oder ein Schlüsselbein. Viele der ach so Gläubigen kamen wohl vor allem für den Anblick der Engel derart häufig zum Gebet. Gut. Solange sie die Windows anstarrten, ließen sie die Augen von mir und meinem Succubussmile, wie Mutter es nannte. Der Abdeckstift auf meinen Lippen juckte.

Ich hielt den Kopf gesenkt, klammerte mich an mein Smartphone und wanderte durch die Reihen der eng stehenden Stahlbänke bis zur dritten von hinten. Wir trafen uns immer auf der dritten von hinten. Dort setzte ich mich also. Das Metall war kalt, selbst durch meinen langen Mantel hindurch.

Ich ignorierte das Tuscheln um mich herum, die Mischung aus Furcht, Missgunst und Übereifer, die diesem Ort eine so unangenehme Energie verlieh. Auf meinem Smartphone rief ich eine Passage des Hohelieds Salomons auf und tat, als würde ich darüber meditieren.

Tatsächlich kannte ich die Worte auswendig. Fast alle. Hatte ich sie doch benutzt, um meinem Erwählten zu zeigen, was ich von ihm begehrte.

Früh wollen wir dann zu den Weinbergen gehen

und sehen, ob der Weinstock schon treibt,

ob die Rebenblüte sich öffnet,

ob die Granatbäume blühen.

Dort schenke ich dir meine Liebe.

Ich biss mir auf die juckenden Lippen. Ich fürchtete, hoffte, schwitzte. Vielleicht kam er ja gar nicht. Vielleicht hatte er heute keinen Dienst und ich dürfte noch etwas warten. Nur noch eine Nacht oder zwei, eine kurze Schonfrist …

»Wofür betest du, Tochter?«

Meine Hand am Smartphone verkrampfte sich beim Klang seiner warmen Stimme. Ich war mir nicht sicher, ob vor Freude oder vor Furcht.

Am liebsten hätte ich ihn nicht angesehen. Jeder falsche Blick konnte uns verraten. Doch ein Gespräch ganz ohne Blick wäre noch verdächtiger gewesen, also sah ich auf. Langsam, scheu, so wie Mutter es mich gelehrt hatte.

Ich nannte ihn Father, doch er war so jung wie ich. Unter dem weißen Chorhemd waren seine Schultern schmal, der Bauch ein wenig nach außen gewölbt. Fern von dem Bild der physischen Stärke, das die Engel in den Windows abgaben, durchdrang ihn etwas Besseres: Zärtlichkeit. Ich sah sie in seinem sanften Gesicht, in seinen ruhigen Bewegungen, in der geschickten Handarbeit, mit der er hier in der Cathedral alles an seinem Platz hielt. Er lächelte mich an und ich hätte gern zurückgelächelt. Nur aus Vorsicht ersparte ich etwaigen Zuschauern mein ach so verruchtes Succubussmile.

»Was ist, Tochter?«, fragte mein Erwählter und ließ sich neben mir auf der Bank nieder. »Bedrückt dich etwas?«

Ich senkte den Blick zurück auf mein Smartphone. »Ganz im Gegenteil. Ich habe das Gefühl, dass heute ein besonderer Tag sein könnte. Ein Tag, an dem etwas Gutes passiert.«

»Nun, oftmals haben wir mit solchen Gefühlen recht. Nennen wir es himmlische Eingebung … Ich sehe, du liest in der Bibel. Eine bestimmte Stelle?«

Ich reichte ihm mein Smartphone. »Schaut selbst, Father.«

»Du, den meine Seele liebt«, las er vor, »sag mir: Wo weidest du die Herde? Wo lagerst du am Mittag? – Eine interessante Passage. Voller Fragen, die gewiss jeder von uns schon einmal auf den Lippen hatte. Weißt du eine Antwort darauf, Tochter? Deine persönliche Antwort, meine ich.«

»Es geht noch weiter. Swiped zur nächsten Seite.«

»Wozu soll ich erst umherirren bei den Herden deiner Gefährten?«, rezitierte er unbeirrt weiter, obwohl er nichts davon auf meinem Smartphone lesen konnte. Ich hatte dort eine Map versteckt, die Adresse für unser geheimes Treffen. »Wenn du das nicht weißt, du schönste der Frauen, dann folge den Spuren der Schafe, dann weide deine Zicklein dort, wo die Hirten lagern.«

Er gab mir mein Smartphone zurück und ich widerstand der Versuchung nachzusehen, ob er klug genug gewesen war, die Map direkt zu löschen.

»Salomons Hohelied spricht zu mir, Father. Mehr sogar noch, wenn Ihr es lest.«

»Du sehnst dich nach einer Vereinigung. Mit Gott. Das ist überdeutlich.«

»Ich … ja. Ich fühle mich bereit. Ich meine, so bereit man für so eine Vereinigung sein kann.«

»Gut.« Ich schaute nicht auf, aber ich hörte sein Smile. »Dann bin ich mir sicher, dass der Herr dich erhören und deinen Wunsch gewähren wird. Noch heute. Der Weg wird nicht leicht sein, aber wenn du ihn mit Mut gehst, wirst du dein Ziel gewiss erreichen. Wer weiß, vielleicht schon vor dem Nachmittagsgebet.«

»Das wäre fast zu schön, um wahr zu sein.«

»Sind das die Dinge, die Gott uns zuteilwerden lässt, nicht oft?« Er stand auf. »Ich überlasse dich damit wieder dem Gebet, Tochter. Mögest du finden, was du suchst.«

Sein Ministrantenrock raschelte, als er ging.

Ich schloss die Augen, faltete die Hände um das Smartphone, tat, als würde ich beten. Meine Gedanken aber hingen nicht bei Gott und schon gar nicht in der Cathedral. Sie ruhten auf den Decken, die ich in den letzten Wochen nach und nach an unseren geheimen Treffpunkt getragen hatte. Es war die Abstellkammer einer Schule, die mittlerweile seit fast zwei Jahren für Umbauarbeiten geschlossen war. Die Baustelle lag still, die wertvollen Arbeitsgeräte waren zu anderen Einsatzorten geschafft worden. Deshalb hingen auch keine Wachdrohnen in der Luft darüber.

Wir würden in wunderbarer Stille liegen. Nur mein Erwählter und ich, die Decken und unser Atem. Er würde durch den Eingang für die Jungen eintreten. Ich durch den für die Mädchen. Niemand würde uns zusammen sehen. Niemand würde zu uns hereinkommen. Sollte jemand anderes zur falschen Zeit neugierig werden, würden Salz und Salbei ihn von der Schwelle vertreiben.

Ich vertraute auf meinen Zauber. Auf die Kraft meiner Wünsche und meiner positiven Gedanken.

Am Eingang unseres Verstecks gab es eine Stelle, an der der Asphalt aufgeplatzt war und weiche Erde frei lag. Dort würde ich den Flyer mit meinen Worten von Zärtlichkeit und Vereinigung vergraben, würde ihn mein Sehnen tief in das Innere der Welt tragen lassen. Dann würde ich gehen, mich auf die Decken legen und endlich herausfinden, wie es sich anfühlte, begehrt und berührt zu werden. Ich würde meinen Körper erkunden, genauso wie seinen. Und wer weiß, vielleicht würde ich sogar seinen Namen erfahren. Ich würde …

Das Smartphone glitt mir aus den Händen. Ich schrak auf, versuchte es zu fangen, doch eine Hand an meiner Schulter presste mich zurück.

»Tochter«, sprach eine scharfe Stimme. »Sag, was hast du getan?«

Ich schaute auf, schrumpfte unter dem strengen Blick des Pfarrers. »Verzeiht«, krächzte ich. »Ich weiß nicht, was Ihr meint.«

»Tu nicht so. Ich habe schon länger ein Auge auf dich. Du versuchst, meine Ministranten zu verführen.«

»Was?« Das Blut toste mir in den Ohren. Der Schweiß machte meine Handflächen glitschig. »Aber ich …«

»Überleg dir gut, was du als Nächstes sagst.« Der Pfarrer streckte die offene Hand aus und der Ministrant zu seiner Linken reichte ihm mein Smartphone. »Lügen werden dir nicht helfen.«

»Ich weiß nicht, was Ihr hören wollt«, log ich verzweifelt.

Da waren nur Psalmen und Bibelverse auf meinem Smartphone. Dazu eine Handvoll Nachrichten von Mutter. Nichts, was mich in Verruf bringen konnte, wenn mein Erwählter nur die Map gelöscht hatte. Er musste einfach.

Der Pfarrer swipete und swipete. Ich warf einen nervösen Blick durch die Cathedral, suchte nach einem Ausweg, einem freundlichen Gesicht. Doch da war nichts.

»Ah, da haben wir es ja. Willst du mir das erklären?«

Er drehte mir das Smartphone zu, ließ mich den Beweis meiner Schuld sehen. Es war tatsächlich meine Map. Das war der Bildausschnitt, den ich gewählt hatte, die gleichen pastellvioletten Häuser … Nur das Zielkreuz war gewandert, befand sich jetzt etliche Straßenzüge südlicher als zuvor. Mein Erwählter musste es neu platziert haben. Fool!

»Hier.« Der Pfarrer reichte mein Smartphone an den Ministranten weiter. »Weit kann er noch nicht sein. Nimm dir Hilfe mit. Sucht ihn und bringt ihn zurück!«

Der Ministrant nickte und verschwand.

Noch ein Blick durch die Cathedral. Die meisten Betenden hatten ihre Köpfe extra tief gesenkt, doch das Murmeln war leiser geworden. Sie lauschten. Kaum würden sie die Cathedral verlassen, würden sie sich die Mäuler über mich zerreißen. Und dann würde irgendwer meine Mutter ins Bild setzen …

»Du bist still geworden«, sagte der Pfarrer. »Siehst du nun also ein, Mädchen, dass du vom Weg abgekommen bist? Dass du gesündigt hast?«

»Ich verspreche Euch, ich wollte niemandem etwas Böses.«

»Darüber wirst du im Loch nachdenken können.«

Ich starrte ihn an, wollte protestieren, doch die Worte blieben mir auf den Lippen hängen. Was hatte ich erwartet? Drei Ave-Maria und alles wäre wieder gut? Es waren schon Leute für weniger ins Loch gewandert.

Ich stand auf, folgte, sträubte mich nicht. Es hätte keinen Sinn gehabt.

Der Keller der Cathedral war niedrig. Deutlich weniger beeindruckend als die große Halle darüber und entschieden weniger bunt. Der Pfarrer brachte mich in eine Zelle so eng, dass ich mit drei Schritten von einer Ecke zur gegenüberliegenden kam. Licht fiel nur aus dem Loch in der Decke, von dem aus die Gläubigen aus dem Vorraum der Cathedral anklagend und sensationsgeil zu mir herunterschauten. Eine Räucherschale stand an der unverputzten Betonwand. Ihr Weihrauch hing so schwer in der Luft, dass ich meinte, ihn im Schummerlicht tatsächlich nebelig wabern zu sehen.

»Meditiere über deine Sünden«, sagte der Pfarrer. »Und dann bitte Gott um Vergebung, Succubus!«

Jetzt war es auch schon egal. Ich antwortete ihm mit einem Lächeln voller Zähne.

Er schnaubte, verließ die Zelle und schlug die Tür ins Schloss. Mein Smartphone behielt er.

Einen Augenblick lang starrte ich wie gelähmt auf die geschlossene Tür. Dann drückte ich dagegen. Sie gab nicht nach. Eine Klinke existierte nicht und auch kein Terminal für einen Code. Dort kam ich also nicht raus, bis mich nicht jemand holte.

Allerdings gab es da noch das Loch in der Decke. Ich trat darunter, ignorierte die ungnädigen Blicke der Menschen über mir, streckte mich, so hoch ich konnte. Vergeblich. Auch wenn ich sprang, fuhren meine Finger nur durch die dicke, weihrauchschwangere Luft. Noch mal. Noch mal. So hoch ich konnte. Keine Chance.

Eine Frau in schmutzigen High Heels stand oben und lachte mich aus.

Das war es also. Ohne Hilfe kam ich nicht heraus und wenn ich den herablassenden Blick der verdammten Frau zum Maßstab nahm, dann konnte ich auf Hilfe lange warten.

Seufzend lehnte ich mich gegen den kalten Beton und zwang mich, nachzudenken. Es musste einen Weg geben. Es musste einfach. Ich hatte schon zu viel verloren, um aufzugeben. Mutter würde mich umbringen. Da sollte ich mich vorher wenigstens amüsieren.

Ich stieß mich von der Wand ab, ging mit drei Schritten durch die Zelle.

Mein Erwählter wartete am geheimen Treffpunkt auf mich. Da war ich mir sicher. Wieso sonst hätte er fliehen sollen? Wieso sonst hätte er das Zielkreuz auf der Map verschoben? Er hatte ihnen einen Beweis dagelassen. Etwas, dem sie nachjagen konnten. Deshalb ließen sie mich hier schmoren, ohne Verhör, ohne Guards. Eine bessere Chance zur Flucht würde ich nicht bekommen.

Drei Schritte zurück.

Meine Mittel waren begrenzt. Ich hatte meinen Mantel, doch es gab keine Stelle oben am Loch, wo ich ihn hätte befestigen können, keine Möglichkeit, daran hinaufzuklettern. Damit blieben mir das bisschen Salz in den Taschen und der Flyer mit meinen Wünschen für eine erfüllte Begegnung. Zaubermittel, klar, aber ich hätte nicht gewusst, wie ich damit eine Leiter hätte erschaffen können.

Noch mal drei Schritte durch die Zelle, wieder und wieder. Im Laufen rieb ich mir die Farbe von den Lippen, lächelte mein trotziges Succubussmile ins Dämmerlicht hinein.