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Ein Omega auf der Flucht. Ein Alpha, der ihn mit Gewalt beanspruchen will. Und ein Wolfswandler, der ihm zeigt, dass Liebe keine Fesseln braucht. Lucas glaubte, im Rudel seiner Mutter endlich sicher zu sein – bis Dennis, der Sohn des Alphas, ihn zu seinem Gefährten erklären will, ohne ihm eine Wahl zu lassen. In einer Nacht voller Panik bleibt Lucas nur die Flucht in die schottischen Highlands. Dort nimmt eine Gestaltwandler-Spezialeinheit seine Spur auf. Unter ihnen Finley: loyal, stark und mit einem unfehlbaren Instinkt. Schon in dem Moment, als er Lucas sieht, weiß er, dass dieser Omega sein Schicksalsgefährte ist. Aber Lucas kann diesen Fakt nicht riechen und sieht nur einen Fremden vor sich. Sein Vertrauen ist zerstört, und Finley muss vorsichtig kämpfen, um sein Herz zu gewinnen. Denn Liebe, so glaubt Finley, lässt Raum zum Atmen. Statt Forderungen und Druck schenkt er Lucas Geduld, Schutz und Nähe. Während die Highlands still und gefährlich zugleich wirken, wächst zwischen ihnen etwas Zartes und Echtes: leise wie das Rascheln der Bäume, tröstlich wie Wärme im Winter – und so stark, dass es Lucas zum ersten Mal das Gefühl gibt, wirklich frei zu sein. Aber was geschieht, wenn Dennis nicht aufgibt? Und was, wenn die Gesetze des Rudels Lucas' Flucht niemals zulassen? Eine gemütliche/cozy MM Wolfswandler-Romance im Omegaverse mit Formwandlung. Dieses Buch ist in sich abgeschlossen. Weitere Bücher drehen sich um andere Paare. Arren und Dylan - Band 1 Finley und Lucas - Band 2
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Seitenzahl: 274
Veröffentlichungsjahr: 2025
The Wolf’s Soulmate
Finley & Lucas 2
Katharina Fendt
Impressum:
Herstellung: Epubli
Neopubli GmbH
Köpenicker Straße 154a
10997 Berlin
1. Auflage, 2025
© by Katharina Fendt 2025
Brunnengasse 9
86856 Hiltenfingen
Lektorat, Korrektur und
Buchsatz: Lektorat Fidelitas
Kapitelzierde:
Coverdesign © by Hannah Sternjakob unter Verwendung von lizenzierten Motiven von Shutterstock und Depositphotos.
Landkarte © Asuka Lionera
Charakterdesign © yum.a.rt
Webseite: www.katharina-fendt.de
E-Mail-Adresse: [email protected]
** explizit ausgeschriebene Sexszenen
Content Warnung: Verlust geliebter Menschen
Band 1: The Wolf’s Soulmate – Arren und Dylan
Band 2: The Wolf’s Soulmate – Finley und Lucas
Lucas
Zwei Wochen zuvor
„… cas lässt sich immer noch nicht auf Dennis ein. Denkst du, wir tun das Richtige, Coldon? Dennis weiß langsam nicht mehr, was er machen soll, um Lucas näherzukommen.“
Luc wurde kalt, als er die Stimme seiner Mutter hörte, die sich offensichtlich mit ihrem neuen Mann im angrenzenden Wohnzimmer befand. Sein Herz raste in seiner Brust und er fühlte seinen Puls bis hoch zu seinem Hals klopfen. Steif drehte er sich zur Seite und lehnte sich mit dem Rücken an die halbhoch vertäfelte Wand neben dem Durchgang zum Wohn- und Essbereich des Hauses. Seine Mom und er wohnten erst seit wenigen Wochen bei Coldon.
Eigentlich wollte er sich in der Küche nur eben etwas zu trinken einschenken. Doch um in diese zu gelangen, hätte er durch die offene Flügeltür, an dem großen, runden Esstisch vorbei, in die angrenzende Küche gemusst. Ein Weg von mehreren Metern. Natürlich hätte er auch gehen und später wiederkommen können – doch ganz ehrlich: Er wollte wissen, was sie über die Situation zu sagen hatten. Es war der Grund, weshalb er ganz bewusst stehenblieb.
Luc war klar, dass er, dank der offenen Bauweise des Erdgeschosses, niemals unbemerkt in die Küche gelangen würde. Doch Durst verspürte er eh keinen mehr. Es war unüberhörbar, dass sie über ihn und den Alphasohn des Rudeloberhauptes sprachen, der in den letzten Tagen immer wieder versucht hatte, sich ihm anzunähern.
Wie festgewachsen stand Luc an Ort und Stelle, verborgen hinter der Wandecke und der schräg stehenden Tür aus dunklem Holz und Glas, und lauschte dem Gespräch. Seine Hände zitterten leicht, während er seine Zähne fest zusammenbiss. Seit er wusste, dass Dennis ihn als seinen Gefährten wollte, spielten seine Emotionen und Gefühle verrückt. Es war, als wäre seine normale emotionale Ordnung durcheinandergeraten, was ihn zunehmend überforderte. Und gerade eben schlug seine innere, von Einsamkeit und Bedrücktheit durchzogene Gefühlslandschaft erneut in wütend, verbittert und gereizt um, während er Coldons Antwort hörte.
„Wir tun das Richtige, Anna. Ich weiß nicht, weshalb Lucas nicht auf Dennis’ Annäherungsversuche eingeht. Zugegeben – es ärgert mich, zumal Luc klar sein sollte, dass er seinen Seelengefährten so nicht finden wird. Was eh keine Rolle mehr spielen würde, wenn er sich von Dennis markieren lässt. Schließlich würde sein Seelengefährte ihn nach der Bindung mit Dennis nicht einmal mehr erkennen und andersherum genauso, da sich mit dem Biss auch Lucas’ Geruch ändert. Lucas hätte nach der Bindung gar kein Interesse mehr an anderen Männern. Aber das muss ich dir ja nicht erklären. Ich kann nicht sagen, was sein Problem ist. Mit Dennis als seinem Gefährten kann er in diesem Rudel bleiben, unter Menschen, die ihn akzeptieren.
Was macht er, wenn sein Gefährte, für den er bestimmt ist, ihn nicht anerkennt oder in einem Rudel lebt, das Omegas verachtet? Zumal ja nicht einmal sicher ist, dass sein vorherbestimmter Gefährte ein Alpha ist, wenn unsere Mondgöttin auch meistens den Alphas einen Omega als Gefährten schenkt.
So würde er Luna werden, sobald ich als Rudeloberhaupt zurücktrete, was Sicherheit, Schutz und Respekt für ihn bedeutet. Er sollte froh sein, dass sich mein Sohn für ihn interessiert. Es ist egoistisch von Lucas, Anna. Er scheint zu vergessen, dass Dennis für ihn ebenfalls bereit ist, auf seinen Seelengefährten oder seine Seelengefährtin zu verzichten.“
Lucas strich sich eine Träne aus dem Augenwinkel. Seine Verärgerung war verraucht, stattdessen war er einfach nur noch traurig.
War er wirklich egoistisch?
Sein zugeschnürter Hals fing an zu brennen. Verzweifelt kämpfte er die aufkommenden Tränen nieder und ließ mutlos seinen Kopf hängen. Zur gleichen Zeit drang die leicht gedämpfte Stimme seiner Mom an seine Ohren.
„Es ist nicht egoistisch von ihm, Coldon. Lucas’ Vater und ich waren Seelengefährten, was er weiß. Vielleicht hält er an der Hoffnung fest, ihn ebenfalls zu finden. Wir Omegas sind da nicht sehr pragmatisch.“
„Das ist gut möglich. Allerdings kann er ebenso sehen, wie glücklich du mit einem anderen Mann bist. Eine Verbindung mit Dennis bringt der ganzen Familie nur Vorteile. Vor allem Lucas selber. Aber gut, wir werden uns erst einmal nicht weiter einmischen und die beiden machen lassen.“
Lucas schlang seine Arme um den Oberkörper, während auf Coldons Worte sanftes Lachen seiner Mom folgte und Geräusche, die er nicht ganz einordnen konnte. Er stellte sich vor, wie der Alpha seine Mom in die Arme zog und sie nun mit liebevollen Küssen besänftigte.
Luc schloss seine Augen und atmete einmal tief durch. Dann stieß er sich von der Wand ab. Er brauchte frische Luft.
„Lucas? Hey … ist alles in Ordnung?“
Luc blieb abrupt stehen und drehte seinen Kopf in Richtung der männlichen, tiefen Stimme. Ihre Blicke trafen sich. Der Alpha stand am Fuß der modernen Holztreppe im Flur, die hinauf in den ersten Stock führte, und sah ihn besorgt an. Er war auf dem Weg zur Haustür so in Gedanken gewesen – hatte sich das eben belauschte Gespräch immer wieder in Erinnerung gerufen –, dass er Coldons Sohn gar nicht bemerkt hatte. Doch nun klopfte sein Herz erneut hektisch in seiner Brust, während er seine Arme in einer abwehrenden Haltung verschränkte. Dennoch rang er sich ein kleines Lächeln ab und antwortete:
„Klar … warum?“ Sein Blick schweifte über das glatt rasierte Gesicht. Wie eigentlich immer steckte Dennis’ trainierter Körper in einem sauber gebügelten Hemd und Jeans. Der nur wenige Jahre ältere Alpha sah gut aus und dennoch fühlte sich Luc in keiner Weiße zu diesem hingezogen. Was sich mit der Bindung ändern würde, das wusste er.
Sollte er Dennis also doch eine Chance geben?
„Du hast ganz rote Augen, Lucas, und wirkst ein wenig durch den Wind.“ Luc sah, wie Dennis seine Stirn runzelte, während er ihn musterte.
„Es ist alles okay. Ich will nur etwas Luft schnappen.“ Lucas steckte seine Hände in die Taschen seiner Jeans, seinen Blick weiterhin stur auf Dennis geheftet. Wie schon die Tage zuvor stieß ihn Dennis’ selbstverständlicher Ton und das Fehlen echter Sensibilität ab. Dieser machte in diesem Moment einen Schritt auf ihn zu und antwortete:
„Ich komm mit. Ich hab ein wenig Zeit. Du solltest nicht alleine draußen umherwandern, es kann sonst was passieren und so könnten wir uns besser kennenlernen.“
Lucas merkte, wie seine getrübte Stimmung in Feindseligkeit umschlug. Ein Schauer ließ ihn leicht erzittern. Er ballte seine Hände in der Tasche und reckte sein Kinn. Dennis’ Freundlichkeit, die sich für ihn nur aufgesetzt anfühlte, empfand er nicht nur als kontrollierend – sie war übergriffig. Jedes von Dennis’ Worten gab ihm mittlerweile das Gefühl fehlender Wertschätzung, dem die Einstellung seiner Mom und Coldon nicht gerade entgegenwirkte.
„Wie wäre es, mich erst mal zu fragen, ob ich das überhaupt will – hm?“ Luc schnaubte, wandte sich ab und zog sich anschließend seine Sneaker an.
Mit der Hand an der Türklinke drehte er sich noch einmal zu Dennis um und fügte in einem freudlosen Ton an:
„Aber irgendwie scheint es derzeit eh keinen so recht zu interessieren, was ich will. Ich denke, ich bin alt genug, um ein wenig Zeit alleine draußen verbringen zu dürfen. Also – danke, aber nein … ich hab gerade echt keine Lust, mich mit irgendjemandem zu unterhalten, und einen Aufpasser brauch ich auch nicht.“ Mit einem Ruck zog er die Tür hinter sich zu, lief die Stufen hinunter und machte sich auf zum See, an dem sie wohnten.
Luc brodelte innerlich und dennoch kämpfte er erneut mit den Tränen. Denn genau das war der Punkt, der ihm so schwer auf dem Herzen lastete. Alle drei schienen nur das Beste für ihn und die Familie zu wollen – dabei verschwendeten sie jedoch nicht einen einzigen Gedanken daran, ob es ihn auch glücklich machte.
Luc blieb an der Böschung stehen und starrte hinaus auf das glitzernde Wasser. Die Sonne stand hoch am Himmel. Über ihm kreischten ein paar Vögel und der leichte Wind ließ die einzelne Tränenspur auf seiner Wange kalt werden.
Was sollte er tun?
Finley
Finley Reid grummelte bei dem penetranten, sich alle paar Sekunden wiederholenden Piepen in sein Kopfkissen. Woraufhin er sich regelrecht darin vergrub und dabei stöhnend die Seiten des fluffigen Kissens mit seinen Händen nach oben drückte. Wie jeder normale Mensch hasste er seinen Wecker nahezu abgrundtief, der ihn, wie so ziemlich jeden Morgen, ohne Gnade aus seinen Träumen riss, an die er sich meistens noch nicht einmal erinnern konnte.
Man könnte meinen, mit seinen siebenundzwanzig Jahren hätte er sich mittlerweile daran gewöhnt, um kurz nach sechs aufstehen zu müssen. Doch genau das war eines jener Dinge, an die er sich wohl nie gewöhnen würde. Stattdessen hatte er gute Lust, das doofe Ding einfach an die nächstbeste Wand zu pfeffern und sich noch einmal umzudrehen … was natürlich nicht ging.
Ohne aufzusehen tastete er fahrig über das Nachtkästchen neben seinem Bett und gab dem Übeltäter unsanft von oben eine mit, als er ihn ausfindig gemacht hatte. Was das nervtötende Gerät prompt zum Schweigen brachte. Fin stöhnte leidend und zog die Bettdecke über den Kopf, doch die ersten Sonnenstrahlen des neuen Tages fielen längst durch das Stück Fenster, das nicht von seinen dunklen Vorhängen verhangen war. Was bedeutete, sein Wecker hatte recht, er sollte seinen Hintern aus dem viel zu kuschelig warmen Bett schwingen. Eine Meinung, der auch seine Weckerapp auf seinem Handy war, die in diesem Augenblick losging, was einen weiteren genervten Laut seitens Finley zur Folge hatte.
Er war definitiv kein Morgenmensch, das wusste er selber … Und dennoch konnte er nichts dagegen machen, dass er nun mal zur Arbeit musste. Zumindest wenn er weiterhin unabhängig von seinem Vater bleiben wollte. Zum Glück hatte er die nächsten zwei Wochen Urlaub.
Es war viel zu viel Zeit seit seinem letzten vergangen, das merkte er selber. Er brauchte dringend etwas Ruhe und eine längere Zeit am Stück, in der er nicht ständig mit seinen Gedanken bei der Arbeit war oder auf Abruf bereitstand. Hin und wieder wünschte er sich echt, er könnte alles einfach hinwerfen und etwas anderes machen, das ihm Spaß machte. Ein Wunsch, der sich in letzter Zeit immer häufiger in seine Gedanken schlich.
Fin seufzte in sein Kissen, bevor er den blumigen Geruch seines frisch gewaschenen Überzugs ein letztes Mal inhalierte. Dann schlug er die Decke zurück und zwang seinen protestierenden Körper aus dem Bett. Es half schließlich alles nichts.
Kaffee – das war es, was er jetzt brauchte. Einen großen Pott davon … schwarz. Nichts ging über eine frisch aufgebrühte Tasse seines aromatischen Gebräus am Morgen, das die dunkle Brühe auf der Wache in den Schatten stellte. Mittlerweile wusste jeder seiner Freunde und Kollegen, dass mit ihm auch erst etwas anzufangen war, wenn er mindestens eine Tasse davon in aller Ruhe genossen hatte.
Mit kleinen Augen und nichts weiter als einer leichten Stoffhose bekleidet, die tief auf seiner schmalen Hüfte hing, schlurfte der Wolfswandler aus seinem Schlafzimmer. Der Schlafbereich war separat, doch der Rest seiner heimelig eingerichteten Wohnung war größtenteils offen. Wie auch die in Weiß gehaltene Küche mit ihrer dunklen Arbeitsplatte, welche nur durch einen Tresen vom Wohnbereich abgegrenzt wurde. Sie sah nobel aus und wurde von Deckenspots beleuchtet, wenn sich Fin auch keine dunkle Arbeitsplatte mehr kaufen würde, weil man jedes noch so kleine Krümelchen sah.
Da er jedoch nur für sich selber nie viel kochte, ließ sie sich relativ leicht sauberhalten.
Mit gemächlichen Schritten überbrückte er die paar Meter zwischen Schlafzimmer und Kochbereich. Wo er sogleich seinen gut sichtbaren Kaffeevollautomaten ansteuerte, um ihn anzuschalten. Anschließend schnappte er sich seine Lieblingstasse – ein Geschenk seiner Mom – aus dem Hängeschrank darüber, während das Gerät mit lautem Rumpeln und zischenden Geräuschen in die Gänge kam. Stellte das Porzellangefäß, begleitet von dem charakteristischen Klirren, an ihren Platz, startete den Automaten und machte sich hinterher auf ins Badezimmer, um fix zu duschen und sich für den Tag fertig zu machen. In der Zwischenzeit drang der Duft nach frisch gemahlenem Kaffee in alle Räume seiner kleinen, ordentlich aufgeräumten Zweizimmerwohnung. Er hatte es schon immer gern sauber um sich herum gehabt, was seinen Eltern damals sehr gefallen hatte.
Nachdem Finley das Bad verlassen hatte, schnappte er sich seine Tasse, nur um hinterher seinen zufriedenen Blick einmal durch sein Wohnzimmer schweifen zu lassen. Über seine braune Veloursledereckcouch, den beigen Hochfloorteppich samt Tisch, auf dem wie immer ein paar Kerzen standen, bis hinüber zu seiner mit grauen Kunststeinen beklebten Wand mit Sideboard und Fernseher. Auch dort hatte er einige Kerzen und passende Deko stehen. Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Er liebte warme Farben und ein wenig Dekoration, welche die Räume gleich viel gemütlicher machten. Womöglich lag es an seinem inneren Wolf, aber die naturverbundenen Farben ließen ihn sich behaglich fühlen.
Wie jeden Morgen stellte er sich an sein Wohnzimmerfenster, um noch einen Moment lang die Ruhe zu genießen, bevor er seinen Rückzugsort verlassen musste. Tankte Sonne, deren Strahlen durch das Glas wundervoll warm waren, und beobachtete dabei die Menschen, welche teils hektisch durch die Fußgängerzone eilten. Womöglich um selber nicht zu spät auf ihrer Arbeit zu erscheinen.
Noch zwei Tage.
Vielleicht sollte er mal ein paar Tage wegfahren. Raus aus Inverness. Einfach mal etwas anderes sehen. Nicht, dass er nicht gerne in der Stadt an der Nordküste Schottlands lebte. Der größten in den schottischen Highlands. Doch hatte ihm sein letzter Einsatz nur zu deutlich vor Augen geführt, wie sehr er es vermisste, auf vier Pfoten durch die Wälder zu streifen. Ohne Verpflichtungen oder Kollegen, die ihn begleiteten. Finleys Mundwinkel verzogen sich zu einem sachten Lächeln. Er hob die dampfende Tasse und führte sie an seine Lippen, den Blick dabei weiterhin auf sein Wohnzimmerfenster gerichtet.
Zwar war es ein fantastisches Gefühl gewesen, seinen Freund aus Kindheitstagen wiederzusehen und dessen Gefährten in Not helfen zu können. Diesen hatte es erst vor wenigen Wochen, samt seinem Rudel, zurück auf die Burg seiner Eltern in den Highlands verschlagen. Hatte es doch das Gefühl von Freiheit, wenn einem der leichte Wind über das Fell strich, während einem die Gerüche der Natur in der Nase hingen. Oder zumindest gleich auf mit dem Wissen, jemanden vor großem Schaden bewahrt zu haben.
Vielleicht sollte er, anstatt in Richtung der Central Lowlands, mit einem Rucksack samt Zelt nach Westen. Der Old Man of Storr war ein exzellentes Ausflugsziel und den Touristen, die sich die Isle of Skye ansahen, konnte er dank seiner feinen Wolfsnase auch ohne Probleme aus dem Weg gehen. Er könnte in Portree übernachten, wenn das Wetter allzu miserabel sein sollte, dann wären auch seine Mahlzeiten gesichert. Längere Wanderungen auf zwei Beinen machten ihm schließlich nichts aus … und Zeit hatte er ja genügend.
Finley lächelte gegen die Fensterscheibe, stürzte den letzten Rest Kaffee in einem Schluck hinunter und wandte sich nun deutlich motivierter vom Anblick der gepflasterten Straße und den Altbauten der Innenstadt Inverness ab.
In dieser Ecke Schottlands gab es nichts als schmale Flüsse, kleine Seen und zerklüftete Landschaft, weit ab jeglicher Zivilisation. Aber wenn man bedachte, dass hier teilweise nur acht Erwachsene pro Quadratkilometer wohnten, suchten Touristen in den Highlands diese sowieso vergebens.
Ja … das klang in seinem Kopf nach einem ausgezeichneten Plan. Doch zuerst musste er die angebrochene Woche überstehen.
Ohne das Unvermeidliche noch länger hinauszuzögern, stellte Fin die benutzte Tasse in seine winzige Spülmaschine. Anschließend machte er sich auf in den Flur, um sich seine Schuhe anzuziehen, als unvorhergesehen sein Smartphone in der Hosentasche klingelte.
Auf der Stirn des 27-Jährigen bildeten sich Falten, als sich seine Augen verengten. Ein Ausdruck der Überraschung, der auch nicht aus seinem Gesicht verschwand, als er sein Handy aus der Tasche zog, es mit einer Hand entsperrte und den Anruf entgegennahm.
„Hey – Taylor … was gibt’s?“ Fin fluchte leise, während er die andere Hand nutzte, um ungelenk in den zweiten Sneaker zu schlüpfen, der mal wieder für dieses Vorhaben deutlich zu eng gebunden war. Schnaubend richtete er sich auf, fischte seinen Schlüsselbund aus der hölzernen Schale, die auf der Kommode stand und schnappte sich seine Jacke.
„Du klingst wie ein Walross, Kumpel. Das heißt, du bist noch nicht ...“ Doch bevor Taylor den Satz zu Ende sprechen konnte, fiel Finley ihm auch schon mit genervt klingender Stimme ins Wort.
„Wenn du anrufst, weil dein Rostkübel mal wieder nicht anspringt und du keinen Bock hast, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren, hast du echt verdammtes Glück gehabt.“ Finley schmunzelte, als ein Glucksen von Taylor zu hören war. Da hatte er wohl mal wieder voll ins Schwarze getroffen. Was allerdings nicht schwer war, so oft wie der Leopardenwandler ihn deswegen schon angehauen hatte.
„Ich bin gerade auf dem Weg zum Auto. Brauch wie immer fünf bis zehn Minuten.“ Damit legte er auf und ließ sein Handy in seiner Hosentasche verschwinden.
„Wie wär’s mal mit einem neuen Auto, Tay?“ Finleys Mundwinkel zuckte nach oben, samt seiner Augenbraue, als der Schneeleopardenwandler sich schwerfällig auf den Beifahrersitz fallen ließ und gleichzeitig die Autotür hinter sich zuzog. Wie immer trug sein Kumpel ein T-Shirt, obwohl die Temperaturen nicht wirklich danach waren. Außerdem hatte er seine dichten Augenbrauen leicht zusammengezogen, was ihm einen ernsten Ausdruck verlieh. Taylor sah mit seinen leicht gewellten, hellbraunen Haaren, verbunden mit seinen markanten Gesichtszügen, den blauen Augen und dem kurzen Bart, wirklich fantastisch aus. Ganz zu schweigen von seinem muskulösen, nicht zu übermäßig gebräunten Körper.
„Dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Fin.“ Tayler schenkte seinem erheitert grinsenden Kollegen ein genervtes Schnauben, das allerdings nicht dem Wolf galt.
„Sobald ich etwas Geld übrig hab, ist das auf jeden Fall das Nächste, was ich mir zulege, das kannst du mir glauben. Der Schrotthaufen geht mir gewaltig auf die Nüsse. Sollte nach dem nächsten oder übernächsten Gehalt jedenfalls kein Problem sein – wenn nichts dazwischenkommt zumindest.“ Taylors Blick traf Finleys, nur Sekunden bevor sich auch seine Laune deutlich hob.
„Danke fürs Einsammeln Kumpel. Du bist mal wieder meine Rettung vor der umständlichen Alternative.“
„Katze eben – hm.“ Fin grinste. Dann setzte er den Blinker, wandte sich um, um sich zu vergewissern, dass er sich in den fließenden Verkehr einordnen konnte, und fuhr los. Sie hatten noch gute zwanzig Minuten, um die Zweigstelle der Wandlerbehörde zu erreichen, bei der sie beide arbeiteten, bevor ihre Schicht begann. Inverness Department of Shapeshifters and Enforcement, auch IDSE genannt. Die wiederum eng mit den Behörden der normalen Menschen zusammenarbeitete, um Recht und Ordnung aufrechtzuerhalten, ohne dass die Existenz der Wandler gleich eine Massenhysterie und Chaos auslöste. Wobei Taylor und er zu der Spezialeinheit der IDSE gehörten – der Truppe, die man rief, wenn es drohte, unschön zu werden. Schließlich war auch nicht jeder Wandler für jede Art von Einsatz geeignet.
„Nur weil es nicht jeder geil findet, bei Wind und Wetter mitten im Nirgendwo durch die Prärie zu rennen und Hasen zu jagen … Sorry. Ich habs halt lieber warm und kuschelig.“
Finley schenkte Taylor ein schnelles, schiefes Grinsen auf dessen empörte Aussage hin, bevor er seinen Blick wieder ganz vorbildlich auf die Straße richtete.
„Sag ich doch. Was ist – hast du Lust, heute Abend auf ein oder zwei Cocktails mit ins Jacks zu kommen? Natürlich nur, wenn dich deine Kuscheldecke gehen lässt.“
„Du bist ein Arsch, Fin, weißt du das? Klar komm ich mit … was natürlich nur geht, wenn wir in zehn Minuten immer noch am Leben sind – wir werden mindestens ganze hundertzwanzig Sekunden zu spät sein.“
Finley brummte zustimmend, während er an der nun grünen Ampel anfuhr. Seit Tay eingestiegen war, roch es im gesamten Innenraum nach Kaffee und herbem Parfüm, was ihm zunehmend Kopfschmerzen bereitete. Zum Glück war es die letzte Ampel, die sie noch von ihrer Arbeitsstelle trennte. Nur wenig später bogen sie schließlich in eine Seitenstraße ein, von der aus sie auf das großzügige Gelände der IDSE gelangten. Auf welchem Fin bei Ankunft seinen Hyundai prompt auf einem der letzten noch freien Parkplätze parkte, die sich in unmittelbarer Nähe zum Eingang befanden.
Finley seufzte und schielte auf die digitale Zeitanzeige im Display. Taylor hatte recht. Jetzt blieb ihnen nur noch zu hoffen, dass Stevenson, ihr direkter Vorgesetzter, einen guten Tag hatte. Wenn der Mann eines nicht leiden konnte, dann war es Unpünktlichkeit … und die Ausrede, dass sie dank eines Unfalls auf ihrem Weg einen Umweg fahren mussten, zählte bei dem Alpha nun einmal nicht.
„Wird schon, Tay.“ Finley schenkte seinem Sitznachbarn ein wenig überzeugendes Grinsen, bevor er ausstieg und die Tür hinter sich zuschlug, was Taylor ihm eilends gleichtat.
„Na, wenn du meinst.“
Ohne auch nur einen Schritt langsamer zu werden, eilten sie die steinernen Stufen zum Haupteingang hinauf. Woraufhin Fin auch sogleich die Tür aufstieß und hineinlief. Doch kaum betreten, hallte auch schon Kjell Stevensons dunkle, dominante Stimme durch den Raum, in welchem, hinter den Tresen sitzend, ihre Kollegen arbeiteten und Fragen von Wandlern beantworteten. Es war ein harter Klang, der wunderbar zu dieser ausgeprägten Wangenpartie und dem festen Kinn passte. Die Haare ihres Chefs waren bereits graumeliert, wenn auch kurz gewellt, was perfekt mit dem gepflegten Bartansatz harmonierte. Überhaupt strahlte seine Haltung eine gewisse Reife, Überlegenheit und Selbstsicherheit aus, was zu seinem Rang als Alpha passte.
„Wo verdammt nochmal bleibt ihr? Im Besprechungszimmer warten alle nur noch auf euch … Wir haben die Meldung reinbekommen, dass ein einzelner junger Wolf am Ausläufer des Beinn Dronaig gesehen wurde. Nahe dem Loch an Laoigh. Wir sollen das prüfen.“
Finleys Augenbrauen hoben sich überrascht, dann flog sein Blick auch schon zu Taylor, der ebenso verwundert dreinblickend neben ihm stand. Denn alle in freier Wildbahn ausgestorbenen Tierarten wurden, bis auf den Bären, heutzutage in den beiden schottischen Nationalparks am Loch Lomond und in Grampians wieder angesiedelt, welche beide ein ganz gutes Stück vom Sichtungsort weg waren. Doch der Beinn Dronaig war ein Berg, neben einer ganzen Reihe von Bergen, rein zufällig ganz in der Nähe des Loch Dùghaill. Es war keine Gegend, in welcher Touristen Gefahr liefen, einfach mal so über junge Wölfe zu stolpern. Und das einzige dort ansässige Rudel unter der Führung von Arren McConway wusste es besser, als sich in der Nähe von Unwissenden aufzuhalten.
Finley
„Tja … sieht ganz so aus, als würde es heute Abend wohl nichts werden.“ Tays Unterton hatte etwas Leidendes, woraufhin Finleys Blick den des Schneeleopardenwandlers kreuzte, der missmutig dreinsah, und er zuckte mit seiner Schulter.
„Na, jetzt lass uns doch erstmal schauen.“ Dann richteten sich seine Augen auf den Boss ihrer Einheit, der immer noch am Kopf des U-förmigen Besprechungstisches stand. Alle anderen ihres Teams waren ebenfalls da. Es war warm, beinahe stickig, wobei das Fin definitiv lieber war, als zu frieren.
Sie hatten zuerst eine Lagebesprechung mithilfe einer großen Karte, die den Great Glen und die Nordwest Highlands zeigte, gehabt. Doch nun gab es gerade eine Pause, in der Stevenson bereits fast durchgehend sein Handy ans Ohr hielt.
In Finleys Stimme war die Neugierde deutlich herauszuhören.
„Hast du McConway schon über den felligen Besucher auf seinem Land informiert? Schließlich gehört das gesamte Gebiet dort ihm.“
Nicht, dass diese Tatsache irgendwo schriftlich festgehalten und notariell beglaubigt war. Nicht immer zumindest. Allerdings hatte seinesgleichen, oder besser ausgedrückt Wandler, die in einem Rudel lebten und sesshaft waren, nahezu immer ein Gebiet, das ihnen gehörte. Es war, als wäre die Landkarte mit zusätzlichen Linien durchzogen, nur für Wandler sichtbar, welche die jeweiligen Territorien kennzeichneten. Je einflussreicher und mächtiger das Oberhaupt, desto größer das Revier, das normalerweise mit Grenzsteinen abgesteckt oder durch Flüsse und Bäche getrennt wurde.
Doch anstelle eine Antwort von Stevenson zu bekommen, stieß Taylor ihn in die Seite und lenkte damit Fins Aufmerksamkeit auf sich.
„Soweit ich weiß, ist der Clan von McConway seit etlichen Jahren der einzige in dieser Gegend der Highlands, der aus einer Handvoll Mitgliedern besteht. Weißt du, ob sie ihre Grenzen ablaufen?“ Fin runzelte seine Stirn. Viele Rudel hoben genau diese unsichtbaren Markierungslinien deutlicher für andere erkennbar hervor, indem die Grenze nicht nur im übertragenen Sinn regelmäßig von Rudelmitgliedern abgelaufen wurde. So war einem Wandler am Boden, dank seines feinen Geruchssinns und seines Gespürs schneller bewusst, dass er ein fremdes Gebiet betrat.
Andersherum wusste das Rudel natürlich auch rascher darüber Bescheid, ob sich jemand Unangekündigtes in ihrem Gebiet aufhielt und konnte sich beraten, wie sie weiter vorgingen. Schließlich wuchsen Territorien durch Kämpfe unter den Rudeln. Wodurch unangekündigtes Betreten auch noch in der heutigen Zeit zumindest Resignation hervorrief, da der Alpha für das Wohl und die Sicherheit seiner Rudelmitglieder verantwortlich war. Wobei dem alten Clan der McConways tatsächlich ein ganz beachtlicher Teil des Landes um ihren Hauptsitz am Loch Dùghaill gehörte.
Fin schüttelte seinen Kopf.
„Da die meisten größeren Clans mittlerweile eher in den Lowlands rund um Edinburgh, Glasgow und Dundee angesiedelt sind, glaub ich nicht, dass Arren das Ablaufen der Grenzen verlangt. Schließlich droht ihnen keine unmittelbare Gefahr von angrenzenden Rudeln. Allerdings sollten wir ihn trotzdem darüber informieren – es ist sein Land.“ Kaum hatte Finley geendet, antwortete Kjell Stevenson auf Finleys Frage, indem er sein Handy in seiner Hosentasche verschwinden ließ, das projizierte Bild der Landschaft auf der weißen Wand weiterhin im Rücken:
„Ich habe soeben mit dem den Alpha gesprochen.“ Er stützte sich mit beiden Händen auf der Tischkante ab und ließ den Blick durch die Runde schweifen. „Ich hatte bereits versucht, ihn zu erreichen, als ich die Nachricht erhielt, doch der Flieger mit Arren McConway und seinem Gefährten ist erst vor wenigen Minuten am Inverness Airport gelandet. Sie waren eine Zeit lang nicht im Land, sind nun aber auf dem Rückweg nach McConway-Castle. Wir können sein Territorium jederzeit mit so vielen Beamten betreten, wie wir es für notwendig halten. Er möchte lediglich regelmäßig informiert werden. In dieser Hinsicht gibt es also keine Schwierigkeiten. Sein Beta wird sich allerdings noch für eine Weile im Ausland aufhalten – laut Arren ein wahrer Spezialist, wenn es ums Aufspüren geht. Sollten wir dennoch die Unterstützung eines Fährtenlesers benötigen, könnten wir jederzeit auf die Hilfe seines Rudels zurückgreifen.“
„Ich denke, das werden wir auch ohne Hilfe Außenstehender hinbekommen, nicht wahr?“ Draven Morrows Stimme – monoton, rau und fast schon frostig – durchschnitt die Stille und lenkte die Blicke seiner Kollegen zum hinteren Ende des langen Tisches.
Ihre Einheit bestand insgesamt aus sechs Wandlern, doch Draven gehörte zu jenen, die es jedem potenziellen Partner äußerst schwer machten, mit ihnen zusammenzuarbeiten. Einer der wenigen, mit denen der verschlossene Jaguar und Alpha sich verhältnismäßig gut verstand, war Milan – der einzige Omega in der Gruppe. Ein Baumfalkenwandler, der in diesem Moment warm lächelnd seine Hand auf Dravens geballte Faust legte. Die Berührung genügte, um die Anspannung aus der Haltung des Jaguars zu vertreiben. Nicht, dass jemand außer Stevenson je gewagt hätte, dem Alpha verbal Paroli zu bieten.
Hinter vorgehaltener Hand war es ein offenes Geheimnis, dass man Draven mit Vorsicht begegnen sollte – nicht zuletzt, weil ihm sein Ruhepol fehlte. Der Gefährte, der ihn erdete und davor bewahrte, in den Abgrund zu stürzen und zu verwildern.
Jeder von ihnen lief Gefahr, dass die wilde, unberechenbare Seite in ihnen eines Tages die Oberhand gewann, wenn sie niemanden fanden, der zu ihnen passte und mit dem sie sich banden. Bei einigen geschah es nur früher als bei anderen. Wobei das Finden des Seelengefährten natürlich das Nonplusultra, jedoch kein Muss, war.
Es war einer der Gründe, weshalb es sich die Wandlerbehörden auf der ganzen Welt insbesondere zur Aufgabe gemacht hatten, die Omegas zu schützen. Denn sie, völlig egal welcher Art sie angehörten, waren diejenigen, die allein durch ihre Anwesenheit eine beruhigende Wirkung auf Wandler hatten, die drohten, sich selbst zu verlieren. Sie waren wie das Gegenteil zu den Alphas. Sanft … ruhig … friedliebend, wie Yin und Yang. Wenn es auch nicht bedeutete, dass Alphas und Omegas immer Seelengefährten waren. Da die Omegas jedoch solch eine Wirkung hatten und männliche Omegas sogar den Fortbestand ihrer Art sichern konnten – wofür sie von einigen verspottet wurden –, hatte nicht jeder immer das Beste für sie im Sinn. Was mitunter dazu führen konnte, dass Omegas in eine Verbindung gedrängt wurden, die sie nicht wollten. Was bedeutete, es hatte schon Alphas gegeben, die Omegas gegen ihren Willen markiert und somit an sich gebunden hatten.
Es war einer der Gründe, weshalb sie die Meldung über einen kleinen, allein in der Wildnis umherstreifenden Wolf so ernst nahmen und keine unnötige Zeit verloren. Schließlich konnte es sich um ein Omega handeln. Ein Alpha, ein Beta und selbst der Großteil der Delta waren durchaus in der Lage, sich zu verteidigen – Omegas und Kinder hingegen waren in den meisten Fällen schutzlos und leichte Beute für jedermann. Dabei spielte das Geschlecht keine Rolle; es gab sowohl weibliche Alphas als auch männliche Omegas. Beide waren jedoch selten, was Milan unter ihnen einen besonderen Schutz verschaffte – auch wenn er längst nicht so hilflos war, wie es den Anschein hatte.
„Ich wollte mit der Aussage keineswegs andeuten, dass ich dir die Aufgabe nicht zutraue … Du weißt genau, wie sehr ich deine Fähigkeiten als Fährtenleser schätze.“ Stevensons Stimme klang ruhig, während sein Blick kurz den von Draven kreuzte.
„Doch wie jedem anderen von uns ist dir mit Sicherheit auch klar, wie weitläufig und unübersichtlich das Gebiet ist, von dem wir hier reden. Was meinst du, weshalb Milan hier ist, obwohl er Urlaub hat?
Ihr werdet im Übrigen zusammenarbeiten, bis wir wissen, mit was und wem wir es hier zu tun haben.“ Stevensons Augen funkelten erheitert. Gleichzeitig verengten sich die von Draven.
„Und was ist mit Kolkraben, Bussarden, Adlern, Wanderfalken und allen anderen Greifvögeln, die unserem kleinen Baumfalken hier gefährlich werden könnten, so vollkommen ohne Schutz mehrerer Bäume oder Gebäude? Es fliegen zwar nicht viele in den Hochebenen …“
„Du machst dir zu viele Sorgen, Draven.“ Milan schmunzelte, während der Jaguar auf die Aussage des Omegas hin schnaubte und das Gesicht abwandte. Doch davon ließ sich Milan keineswegs beirren. Stattdessen wurde sein Lächeln eine Spur breiter. Gleichzeitig stupste er mit seinem ausgestreckten Zeigefinger in einer neckischen Geste gegen die locker gekrümmten Finger des Alphas, die auf dem Tisch lagen.
„Aber keine Sorge, Drav. Wenn ich ins Visier genommen werde, gehe ich in den Sturzflug, halte direkt auf dich zu – und du kannst dann das übergroße Vögelchen vom Himmel pflücken. Na, was hältst du davon?“
„... Vorausgesetzt, ich bin nicht schneller.“ Das kam mit leichtem Amüsement von Aiden, einem weiteren Mitglied ihres Teams, bevor Draven reagieren konnte. Die Antwort war nicht einmal so abwegig, schließlich konnte Aiden als Puma bis zu fünf Meter hoch springen, und das, obwohl er nur ein wenig kleiner war als der Jaguar.
Finley grinste breit, während er seine Kollegen und Freunde noch einen Moment lang beobachtete. Sie waren der einzige Grund, weshalb er noch bei der IDSE blieb. Dann richtete er sich wieder zu Stevenson. „Heißt das, wir sollten besser schleunigst aufbrechen – oder, Boss?“
Finley
Und da waren sie nun – auf einer einspurigen Schotterstraße mitten im Attadale Forest, die verrostete Schranke längst hinter sich gelassen. Eigentlich sollte sie neugierige Touristen davon abhalten, diesen Weg zu nehmen.
Der Wald lag genau zwischen Stromeferry und Loch Dùghaill, flankiert von Bergen, deren Massive in Schottland ab einer Höhe von 3000 Fuß als Munro bezeichnet wurden. Darunter ragten der Lurg Mhòr, der Biden a’ Choire Sheasgaich und der Bein Tarsuinn hervor – an dessen Ausläufern der Wolf zuletzt gesehen worden war.
„Was für eine Suppe!“, grummelte Taylor, nachdem er aus dem Wagen gestiegen war und sich mit einem leicht angefressenen Gesichtsausdruck umsah. Womit er wahrlich nicht unrecht hatte. Finley seufzte leise, sich ebenfalls umsehend. Den Nebel hätten sie nun wirklich nicht gebraucht. Der Vormittag war zwar schon weit vorangeschritten, und dennoch hielt sich hier oben zwischen den Bergen die zu Tröpfchen kondensierte Feuchtigkeit hartnäckig. Was Ihnen nicht nur ihre Sicht erschwerte, sie machte die Hoffnung auf ein schnelles Aufspüren damit ebenfalls zunichte.
„Na los, Prinzessin, du als Nächstes. Ich gehe nach dir.“ Finley wurde von Tays Stimme aus seinen Gedanken gerissen, der ihn grinsend mit einem Ellenbogen halbstark in die Seite stieß. Fin wandte sich seinem Kumpel zu und verengte seine Augen. Dann erst bemerkte er Draven, der leise fauchend auf seinen vier Pfoten an ihm vorbeilief. Stimmte ja …
