Theater in blau - Andreas Breidert - E-Book

Theater in blau E-Book

Andreas Breidert

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Beschreibung

Jung und alt arbeitet zusammen an einem Theaterstück. Die Proben laufen auf Hochtouren und bald soll Premiere sein. Schorsch Wackermann als Regisseur steckt bis über beide Ohren in seiner ehrenamtlichen Arbeit. Jedoch stellen sich ihm dabei allerlei Hindernisse in den Weg. Hier ein Ausfall, den es zu ersetzen gilt, dort eine Verwandte, die sich in alles einmischen will und obendrein ein ängstlicher und gesundheitlich angeschlagener Freund, der kurz vor dem Umzug steht. Die Gerüchteküchte beginnt zu brodeln, als auf einigen Hauswänden Schmiereien auftauchen und man sie mit Todesfällen in Verbindung bringt. Der Hobbyermittler will sich davon nicht anstecken lassen. Lieber verbringt er die Zeit mit seinem Enkel Jimmy sowie seiner Therese. Zwischen all den Proben und Turbulenzen gilt es die wenige freie Zeit sowie den Sommer zu genießen. Alle Probleme sind umschifft, nur noch die letzten Weichen müssen gestellt werden, damit die Aufführungen starten können. Der Enthusiasmus ist bei allen greifbar, doch dann kommt alles anders als gedacht... Bevor sie sich versehen beginnt es: das Theater in blau. Aller guten Dinge sind bekanntermaßen drei. Nach Mord am Hessenplatz und Tatort Sportheim? findet die Lokalkrimi-Reihe um Schorsch Wackermann und Peter Strock nun eine weitere Fortsetzung. Wieder schaut Andreas Breidert dabei den Bewohnern seines Heimatdorfes aufs Maul, überzeichnet so manche Gegebenheit und bringt allerlei Dorfleben gekonnt auf den Punkt. Mal spitz, mal humorvoll und auch mal mit eher leisen Tönen ergeben seine Geschichten abwechslungsreiche Bücher, welche nicht nur dem einfachen Leser gefallen: Für seine bisherigen Mundart-Krimis wurde der Autor 2017 mit dem Spirwes-Künstlerpreis - Darmstädter Preis für Maulkunst und Lebensart ausgezeichnet.

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Seitenzahl: 209

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Table of Contents
Personenübersicht
Prolog
Kulturprogramm
Beobachtet
Deckbett
Schmiererei
Geburtstag
Verwechslung
Zaungast
Umplanen
Rotzfahne
Nächster
Weite Welt
Angst
Freundschaft
Technik
Kopfschütteln
Abschied
Beschwerde
Mohnkuchen
Nachgeben
Nachtisch
Kleingärtnerei
Vertauscht
Durchwahl
Dienstreise
Unschuld
Farbe
Durcheinander
Absicht
Entlastung
Beweise
Tricks
Ergänzung
Ausführung
Ableben
Kevin
Cognac
Premiere

 

 

Theater in blau

 

 

Ein weiterer Lokalkriminalroman von

Andreas Breidert

 

 

Dies ist eine weitere Episode eines Lokalkrimis. Dieser Kriminalroman erzählt eine fiktive Geschichte, die in und um Erzhausen bei Darmstadt spielt. Die Handlung sowie die darin mitwirkenden Personen sind wieder einmal frei erfunden – Ähnlichkeiten sind rein zufällig.

 

Eine weitere Krimikomödie in und um Erzhausen. Eine Geschichte ohne realen Bezug, aber an realen Orten, die man kennt oder kennen sollte. Eine Karikatur, eine Überzeichnung des urbanen Lebens in einem Ort wie Erzhausen einer ist: klein und liebenswert und zugleich auch wieder nicht.

 

 

Wer die ersten beiden Bücher gelesen hat, der weiß schon Bescheid. Für alle Neulinge gilt die alte Regel:

Der Lektor war kaputt, besonders der für die Dialektschreibweise. Wer also einen Rechtschreibfehler findet, darf ihn – markiert oder unmarkiert – behalten.

 

 

Besonderer Dank geht auch diesmal an alle, die bei der

Verwirklichung dieses Buches mitgewirkt haben:

 

Sven Klügl

Ilse und Manfred Breidert

Silke Heidler

Marco Schramma

Petra Fuhrmann

René Lehr

 

Melanie Niesik - Fotografie und Design

 

Artistbase – Tim Heidler

 

Buchbinderei Friedrich Dingeldein

Inhaber: Renate Hallstein e.K.

 

Printdesign24 GmbH

Bernd Hassenzahl und Sebastian Zils

 

 

 

„Als Dankeschön für jede Rückmeldung zu meinen Büchern, die mir stets als Ansporn gedient haben.“

 

 

1. Auflage - 2017

 

Impressum:

Herausgeber und Copyright: Andreas Breidert – Buchautor, Hauptstraße 70, 64390 Erzhausen

 

Weitere Informationen unter:

www.andreas-breidert.de

 

Erschienen sind ebenfalls:

„Mord am Hessenplatz“ (2014)

„Tatort Sportheim?“ (2015)

 

 

Personenübersicht

 

Georg „Schorsch“ Wackermann            Rentner

Therese Lohmeyer                  Rentnerin, Partnerin von Georg

Peter Strock                        Hauptkommissar

Andrea Kasser                        Kommissarin, Partnerin von Peter

Tim „Jimmy“ Wäckermann            Schulkind, Enkel von Georg

August „Gustl“ Wackermann            Rentner, Onkel von Georg

Simon Docht                        Gerichtsmediziner der KTU Darmstadt

Kurt Borger                        Rentner

Meike Gracht                        Krankenschwester, Enkelin von Kurt

Ralph Gracht                        Autoverkäufer, Ehemann von Meike

Gerda Ruch                        Vorsitzende des Heimatvereins

Dirk Wäscher                        Bürgermeister

Reinhold                        eine nicht mehr ganz so arme Sau

Ilse Gerner                        Frührentnerin

Michael Gerstbecker                  Hausarzt

Helmut Lugner                        Bestatter

 

Die Theatergruppe besteht aus:

Schorsch Wackermann                   Regie; Zweitbesetzung Gehilfe

Kurt Borger                         Souffleur

Meike Gracht                         Vampirfrau

Ralph Gracht                         Doktor

Peter Strock                         Gehilfe      

Ilse Gerner                         Oberschwester

Gesine Brock                        Empfangsdame

Reinhold                         Hausmeister

Elke Weyers                        Vampirtochter

Tobias Frunn                         Vampirsohn

Boris Stjulja                         Vampir

 

Prolog

 

Man soll es nicht für möglich halten, aber es gibt Tage, an denen ist in Erzhausen keine Menschenseele auf der Straße. Mitten im Juli zum Beispiel, wenn die Sonne vom Himmel brennt und es das Thermometer immer weiter in die Höhe treibt. Dann sind die Erzhäuser entweder im Schwimmbad in Egelsbach und bewahren dies vor der nun schon seit Jahren (mehr oder weniger) drohenden Schließung; oder sie bleiben still und leise im Haus, am Besten noch im kühlen Keller, sitzen und kommen erst dann wieder zum Vorschein, wenn die Sonne sich anschickt im Rhein zu ertrinken. Dann geht es an die Gießkannen, Wassertonnen und Gartenschläuche und es wird gewässert was das Zeug hält.

Mit diesem wunderbar eisenhaltigen Wasser aus den Grundwasserbrunnen (den eigentlich keiner haben darf, aber jeder hat), welches Wände, Böden und auch manche Blätter rostbraun färbt. Damit wird versucht, der anhaltenden Hitze Paroli zu bieten und die Pflanzen am Leben zu erhalten.

 

Viel Neues gibt es aus Erzhausen nicht zu berichten. Eigentlich ist alles beim Alten geblieben in diesem kleinen Dorf nördlich von Darmstadt. Es gibt immer noch viele, die es lieben hier zu wohnen und genauso viele, die es nicht so sehr lieben, hier ihr Dasein zu fristen. Die einen sind hier geboren und haben sich mit Zug-, Flug- und Autobahnlärm irgendwie arrangiert. Sie merken meist erst etwas davon, wenn es fehlt: weil die Bahn die Gleise renoviert, weil die A5 gesperrt ist oder weil der Flughafen geschlossen wurde.

Die anderen sind irgendwann hier her gezogen, in eines der Neubaugebiete. Manche haben erst nach ihrer Wahl eines verkehrsgünstig gelegenen Domizils und ihrem Einzug in dasselbige gemerkt, dass es hier nicht so leise ist wie in den Tälern des Odenwalds, der bayrischen Alpen oder gar der sibirischen Tundra. Dann wird elf Zwölftel des Jahres versucht, alle Lärmquellen abzuschaffen, um dann das zwölfte Zwölftel des Jahres in Fernost, der Karibik oder Südeuropa zu verbringen. Natürlich nicht mit dem Auto, zu Fuß oder per Rad geht es an den Urlaubsort - nein: der Flughafen ist so schön nah, dass man gar nicht anders kann als im Morgengrauen mit der ersten Maschine (man will ja was vom Anreisetag haben am Urlaubsort) um Schlag 5 Uhr über die Dächer Erzhausens zu fliegen und sich von den Daheimgebliebenen mit ein wenig Fluglärm zu verabschieden.

Weil die Bewohner dieses kleinen Dorfes sich scheinbar mit allem abfinden, quoll nun irgend einem klugen Kopf die Idee aus selbigem, dass man ja die Flugroute direkt über Erzhausen führen könnte, um den Norden Darmstadts zu entlasten. Wahrscheinlich auch noch, um im Zweifelsfall die Bahnstraße als Landebahn nutzen zu können… Oder weil dieser schlaue Kopf vielleicht seit einiger Zeit in Darmstadts Norden wohnt und von dem Fluglärm über seinem eigenen schlauen Kopf nicht besonders angetan ist? Man weiß es nicht, man munkelt nur. Das jedoch finden alle Erzhäuser nicht mehr ganz so witzig. Da ist nun Widerstand zu spüren.

 

Die als Hessenplatz bezeichnete Dorfmitte und deren Nutzung beziehungsweise Umgestaltung ist wieder einmal oder viel mehr immer noch Thema im politischen Geschäft, um welches sich der frisch wiedergewählte Bürgermeister kümmern darf. Bis es hier eine tragfähige Entscheidung gibt, wird noch viel Wasser den Rhein hinunterlaufen. Manche glauben, dass es schnellere Ergebnisse bei der Kommission zur Findung eines Atommüllendlagers geben werde als beim Thema Hessenplatz.

 

So viel zu den örtlichen Gegebenheiten. Nun schauen wir wieder einmal auf die persönlichen und zwischenmenschlichen Geschehnisse dieses kleinen Ortes...

 

Kulturprogramm

 

Die alltäglichen Probleme waren ebenfalls gegenwärtig: von wilder Müllablagerung über Parkplatzprobleme bis hin zu Schmierereien an Häusern und der Bahnunterführung erregten sich die Gemüter mehr oder weniger.

Da gab es ein politisches Statement am Bahnhofsgebäude „Ihr Polliticker: verpisst Euch!“, was allseits für Schmunzeln sorgte. Eine linksgewinkelte Swastika am Rathaus sorgte für Erheiterung und Gelächter wie zum Beispiel „Das spricht Bände!“ oder „Zu blöd, um ein Hakenkreuz richtig zu malen!“ Die große römische I in blau an einem der nassauischen Blöcke am alten Sportplatz sorgte für Fragezeichen.

 

Nach dem Wahlsieg im Frühjahr diesen Jahres hatte der Bürgermeister zum Anfang des Monats Juli seine neue Amtszeit angetreten, inklusive seiner neuen Sekretärin in Gestalt seiner Frau. Diese hatte, nachdem sie am Wahlabend von dem Verhältnis zu einer Erzhäuserin erfahren hatte, ihm klipp und klar gesagt, dass jetzt die Uhren anders gingen und er ab sofort Personenschutz durch sie bekäme. So wurde er jetzt auf Schritt und Tritt von ihr verfolgt. Bei der Amtseinführung im Bürgerhaus sprachen einige davon, dass diese Variante dem offenen Strafvollzug oder gar der elektronischen Fußfessel 2.0 (die mit der integrierten Kaffee- und Kochfunktion) glich. Entsprechend kleinlaut war seitdem das Auftreten von Dirk Wäscher, wenn er sich bei offiziellen Anlässen blicken ließ. Verflogen die anzüglichen Sprüche und die auszüglichen Blicke. Er wirkte nun eher wie ein dressierter Affe, den seine Dompteuse stets an kurzer Leine führte. Dass er alleine Getränke wegbringen durfte, wunderte viele.

Kurz nach der Bürgermeisterwahl hatte auch der neue Vorsitzende der Gemeindevertretung sein Amt angetreten. Gerda Ruch hatte auf Drängen von mehreren Seiten ihr Amt abgegeben - freiwillig. Im Gegensatz zu ihrem Amt im örtlichen Spargelbauernverband. Hier hatte sie sich geweigert von ihrem Amt zurückzutreten und wurde in einer außerordentlichen Mitgliederversammlung abgewählt. Eine herbe Enttäuschung für sie. Ihr Nachfolger im Amt des Parlamentsvorstehers entstaubte erst einmal die Sitzungen. Mit lockerer Ausdrucksweise und einem gänzlich anderen und doch irgendwie förmlichen Ton brachte er nicht nur frischen Wind in die parlamentarische Arbeit; es gelang ihm auch, den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr das Gefühl zu geben, gehört und verstanden zu werden. So sieht zum Beispiel die Hessische Gemeindeordnung ein Rederecht während der Sitzung für Zuhörer nicht vor. Also beschloss er kurzerhand, dass der Sitzungsbeginn um 15 Minuten nach hinten verlegt wurde und vorher - quasi inoffiziell offiziell - Bürgerinnen und Bürger dem Parlament gegenüber Meinungen, Anregungen und Kritik äußern konnten. Das hatte ihm viele Pluspunkte gebracht und die Menschen wieder interessierter gemacht.

 

Durch den nun endlich sichtbar voranschreitenden Baufortschritt am neuen Pflegeheim hatten die Rentner Erzhausens in ihrer Funktion als ehrenamtliche Bauaufsicht eines öffentlichen Bauprojekts wieder alle Hände voll zu tun. Jede Bautätigkeit wurde genau beäugt, bewertet und auf den Stammtischtreffen diskutiert. Sogar auf die Ausführung der Bauarbeiten wurde wie immer minutiös geachtet.

 

Ein weiteres Thema war die Eigenständigkeit der nördlichsten Gemeinde im Landkreis Darmstadt-Dieburg. Der vor einigen Jahren eingerichtete Standesamtsbezirk zusammen mit Weiterstadt hatte die ersten Diskussionen ausgelöst, ob vielleicht doch irgendwann der Weg in die wohlhabenden Arme der Stadt Weiterstadt ginge. Seit nun der gemeinsame Ordnungsamtsbezirk mit Egelsbach, der Nachbargemeinde im Landkreis Offenbach, mit der Erzhausen eher feindlich-freundschaftlich verbunden ist, angedacht war, stellten sich viele die Frage, ob das mehr der Spagat zwischen zwei potenziellen Bräuten oder jeweils eine Freundschaft mit besonderen Vorzügen - besser bekannt als: friendship with benefit - sei.

 

Da man in Erzhausen Kultur nicht nur vom gleichnamigen Beutel kennt und dies auch nach außen hin zeigen wollte, hatte man sich zu einem Kulturförderprogramm entschlossen. Erste Veranstaltung im Rahmen dieses Programms sollte ein Theaterstück sein. Die Theatergruppe, die sich um Georg Wackermann, den rüstigen und rastlosen Erzhäuser Rentner mit kriminologischer Vergangenheit, gegründet hatte, begann im April zu arbeiten. Wackermann, der nun immer öfter mit Therese unterwegs war - einerseits, weil sie beide die gemeinsame Zeit genossen; andererseits, weil Therese Schorsch nur maximal zwei Stammtischbesuche pro Woche zubilligte - hatte sich bereit erklärt die Regie zu übernehmen.

 

Sonntag, 13. Juli

Heute, an einem dieser heißen Tage, sollte es soweit sein: die erste Leseprobe stand auf dem Programm. Wackermann wollte etwas Neues zeigen. Nicht eines der bekannten guten Stücke, die mittlerweile jede Laienspielgruppe endlos rauf und runter gespielt hatte und auch nicht eines der eher unzähligen unlustigen Stücke, die es bei den vielen Theaterverlagen zu erwerben gab.

Er hatte Kontakt zu einem Erzhäuser aufgenommen, der seiner Meinung nach den richtigen Humor besaß, um eine schnelle und abwechslungsreiche Boulevardkomödie zu schreiben. Mit dem Vampirstück „Bis(s) zum letzten Tropfen“ hatte sich ein Stück ergeben, von dem sie glaubten, dass es beim Publikum ankäme und viele Lacher hervorrüfe.

Es hatte nicht lange gedauert, da lag ein erster Entwurf auf dem Tisch, der in Wackermanns Augen genau die richtige Mischung zwischen Humor, Verwechslung, Geschwindigkeit und ein wenig Frivolität hatte, um die Zuschauer zu begeistern. Der Autor und er arbeiteten dann den Entwurf noch aus, bis beide wirklich und sichtlich zufrieden waren. Sie sahen damit eine gute Basis für eine erfolgreiche Aufführung geschaffen.

Um dieses Ziel zu erreichen, hatte der Hobbyregisseur bei der Vergabe der Rollen besondere Sorgfalt walten lassen. Die Hauptrolle dachte er einem großbewachsenen, jungen Deutsch-Kroaten namens Boris Stjulja zu, der mit seinen blonden Haaren und den Sommersprossen wie die große Ausgabe des „Michel aus Lönneberga“ aussah. Seit einiger Zeit wohnte er hier und suchte nun Anschluss. Er sprach einen herrlichen Dialekt, Pfälzer Platt mit kroatischem Akzent. Schon allein dadurch wurde die Rolle des Vampirfürsten, der einen Überfall auf die Blutbank plant, für ihn zur Paraderolle, denn der Wechsel zwischen dem gebrochenen Deutsch mit rollendem R und ‚ner verdammt schee braade Schnuud‘ war einfach urkomisch.

An dessen Seite stellte Schorsch Meike Gracht, eine etwas untersetzte, sehr liebenswürdige und sanfte Frau mit brünetten Locken. Für sie bestand die Herausforderung darin, die herrschsüchtige Ehefrau des Vampirs zu spielen, die im Grunde die Hosen an hat. Eine Rolle, die im wahren Leben so gar nicht zu ihr passte, die aber Schorsch auf jeden Fall in ihr sah. Den begriffsstutzigen Gehilfen des Paares gab Peter Strock. Den Arzt der Blutbank hatte er an Meikes Ehemann Ralph vergeben; ein gut aussehender Enddreißiger mit dunkelblonden Haaren und markantem Gesicht. Es hatte Meike einiges an Überzeugungsarbeit abverlangt, bis er die Rolle annahm. Seit der Übernahme seines Arbeitgebers durch einen Platzhirschen in der Autobranche war er öfter auf Fortbildungen, Schulungen und Verkaufstrainings. Daher zögerte er eine Zeit lang, sagte dann aber aufgrund des eher geringen Rollenumfangs doch schließlich zu. Schorschs Freund Reinhold übernahm die Rolle des arbeitsscheuen, dafür aber umso lüsternen Hausmeisters und seine neue Lebensgefährtin Ilse Gerner mimte die forsche Oberschwester. Letzteres war Wackermann nicht ganz so recht gewesen, da Ilse ihm nicht behagte. Wie auch, sie war mit Gerda Ruch befreundet, zu der er schließlich auch keine gute Beziehung pflegte.

Als Souffleur konnte er Kurt Borger gewinnen, der mit seinen 95 Jahren noch genauso fit und gesund war wie Schorschs Onkel Gustl.

Für die jüngeren Rollen konnte er drei Abiturienten gewinnen, die gerade zwischen ihrem Schulabschluss und dem Beginn eines Studiums standen. Elke Weyers, Gesine Brock und Tobias Frunn waren begeistert und fühlten sich geehrt, dass man sie gefragt hatte.

Mit Elke hatte Schorsch wohl eine der begehrtesten jungen Mädchen ausgesucht, die es in ihrem Alter gab. Ihr dachte er die Rolle der Vampirtochter zu. Bisher war sie zu jedem Treffen der Gruppe von einem anderen jungen Mann bis zur Tür gebracht worden. Stand dann nach Ende des Treffens wieder ein anderer Jüngling vor der Tür, um sie mit Mofa, Roller oder Auto abzuholen, staunten die anderen nicht schlecht. Sie hatte eine gertenschlanke Figur mit einem weichen Gesicht, welches von dunkelbraunen langen Haaren umspielt wurde. Eine wirklich bildhübsche Erscheinung.

Im Gegensatz zu Gesine. Sie war ein wenig untersetzt, eher der Typ Streberin und trug eine furchtbar hässliche Brille. Dieses Modell war so altmodisch gewesen, dass Wackermann dem Mädchen die Rolle der einfältigen Krankenschwester am Empfang fast auf das Gestell schneidern ließ. Die Rolle passte optimal zu ihrem Aussehen. Ihrem Intellekt entsprach sie keineswegs. Intelligent und klug, dabei dezent und leise. Sie war meist in sich gekehrt und sehr still und stand kurz vor dem Beginn ihres Physikstudiums. Das alles verschwand leider hinter ihrer Sehhilfe. Dieses Nasenfahrrad engte ihr Gesicht ein, machte es uninteressant und langweilig. Nahm sie die Brille ab, stand plötzlich ein ganz anderer Mensch da. Doch das kam faktisch nie vor. Ihre Vorliebe für Kaugummi sollte Wackermann noch kennenlernen.

Für den pseudoveganen Vampirsohn hatte Schorsch sich auf Tobias Frunn festgelegt. Privat war er immer absolut trendig gekleidet, für die Rolle musste er Birkenstock und Strickpullover tragen. Das sagte ihm zwar nicht so zu, doch Wackermann hatte gleich vom ersten Gespräch an gesehen, dass in diesem jungen Freund ein Schelm wohnte und Schorsch wollte diesen zum Vorschein bringen. Eine schöne Aussprache und eine wohlklingende Stimme mit einem vorwitzigen Grinsen auf den Lippen hatten Schorsch schon vor einigen Jahren begeistert, als ihm derJugendliche zum ersten Mal bei einem Feuerwehrfest vorgestellt wurde.

 

Bereits am Vormittag hatte er zusammen mit seinem Freund und Neu-Erzhäuser Peter Strock, dem Polizisten mit dem er bisher bereits zwei Fälle gelöst hatte und die mittlerweile eine gute und tiefe Freundschaft verband, alles im Bürgerhaus vorbereitet, um am Abend zum ersten Mal mit allen Beteiligten die Texte im Dialog durchzugehen, erste Regieanweisungen zu besprechen und die Auf- und Abgänge zu besprechen.

Peter hatte kürzlich eine Wohnung am Ende der Wixhäuser Straße bezogen und hatte seine Kollegin und Freundin Andrea Kasser gleich mitgebracht. Sie tat ihm gut und die Sympathie, die ihm mittlerweile in Erzhausen entgegenschlug und an der Schorsch nicht ganz unschuldig war, trug ebenfalls zu Strocks Wohlbefinden bei. Endlich hatte er wieder das Gefühl zu wohnen, nicht einfach nur eine Schlafstätte aufzusuchen, wie er es bisher in Kranichstein getan hatte. Dort hatte ihm schlichtweg der persönliche Anschluss gefehlt. Davon hatte er jetzt in Erzhausen sicherlich ausreichend.

 

Auf der Bühne hatten sie mit Stühlen und Tischen die Kulissen grob nachgebaut. Links sollte der Empfangstresen stehen, rechts die Warteplätze. Eine Reihe aus 3 Stühlen in der Mitte sollte den Paravant darstellen, der vor dem Abgang nach hinten stand. Ein spezieller Stuhl mit gekürzten Beinen war für den Souffleur vorgesehen und stand mittig vor der Bühne. Wackermann wollte gleich von Beginn an alles im richtigen Aufbau haben, denn die Probezeit war mit Juli bis September kurz bemessen. Bereits am Wochenende nach Kerb war die Premiere angesetzt. In einigen Treffen hatten sie bereits die Rollenverteilung besprochen, waren die Textbücher grob durchgegangen und machten sich dann fleißig ans Lesen und Lernen.

So traf die Theatergruppe am Sonntag Abend nach und nach im Bürgerhaus ein. Der Begrüßung folgte das übliche Palaver darüber, wie man das Wochenende verbracht habe und dem Klagen über diese unendliche Hitze. Obwohl Kurt noch fehlte, wollte Schorsch keine weitere Zeit verlieren und sagte laut in die Runde: „Alla hopp, jetz mache mer emol Stigger. Mer fange weil oo. Wos waaß dann isch, wo de Kurt sisch erum driggt. Waaßt du wos, Meike?“, fragte er seine Mitspielerin, da sie die Enkelin von Kurt war und mit Ralph zusammen das Hinterhaus auf dem Grundstück bewohnte, wo Kurt von Geburt an lebte. „Er wollt zum Haasse Peeder…“, zuckte sie mit den Schultern. „Noja, so schlimm is des jo jetz noch nett, dass unsern Oiflisterer nett do is. Es hott jo jeder soin Text in de Hond. Also: Vunn vorne. Unn glei mit Schmagges, gell!“, forderte er seine Gruppe auf.

Ilse, die nun alleine auf der Bühne stand, begann mit ihrem Text: „Herrgott, wos treibst du dann do hinne so lang? - Die dabbisch Nuss iss widder emol so longsom wie ner wos“. Aus dem Hintergrund links antwortete die 20-jährige Elke gelangweilt: „Ich muss mich noch zurecht mache. Ich war heut morsche…“ Wackermann brach ab: „Halt! Elke! Mit Schmagges. Nett aafach ablääse, dodefier howwe mer kaa Zeit. Du bist e schee bleed Schnegg, die nett waaß wie bleed se is. Fer disch is alles aafach schee. Rosa geblimmelt mit gähle Dubbe. Verstanne? Also, noch emol de ganze Satz!“ „Okeee“, flötete es nun übertrieben von hinter dem Vorhang. Mit übertriebener Dümmlichkeit hörte man sie nun sagen: „Ich muss mich noch zurecht mache. Ich war heut morsche e bissje knapp unn desweije muss ich mich do ferddisch mache unn schminke.“ Ilse zuckte unverständlich mit den Schultern und während Gesine von links die Bühne betrat und sich Schminke auftragend an ihren improvisierten Tresen setzt sagt sie: „DES? Des is doch nett schminke, des is Höhlemalerei!“

 

Gerade als Gesine zum nächsten Satz ansetzte öffnete sich mit lautem Geräusch die Tür zum großen Saal; aber noch ein weiteres Geräusch war deutlich zu vernehmen, dann folgte ein Schrei. Alle schauten verdutzt durch die Gegend. Es dauerte eine Weile bis alle realisierten, dass zum einen Kurt nun endlich eingetroffen und Peter mit samt dem Souffleurstuhl umgefallen war und nun fluchend vor der Bühne lag. „Wo kimmst dann du jetz her? 19 Uhr hadde mer ausgemacht. Middlerweile is es Verddel nooch…“, raunzte Wackermann durch den Saal zu Kurt hinüber, der nun versuchte, leise die Tür hinter sich zu schließen. Im nächsten Moment wandte er sich zu Peter um: „Unn du? Do siehste, wos mer devoo hott, wonn mer gahlert. Loss mer bloß die Oirischdung gonz. Säh zu, dass de wie die annern uff die Biehn kimmst und drigg disch nett do hunne erum, wo de nix se suche host.“

Mit schmerzverzerrter Miene entgegnete der am Boden liegende Peter: „Können vor Lachen. Und gegahlert hab ich nicht. Ich wollte nur hier unten auf meinen Einsatz warten und mal schauen, wie das hier so läuft. Und jetzt wär es nett, wenn mir mal jemand hilft!“ Erst jetzt hatten sich auch die anderen Mitspieler aus ihrer Irritation gelöst und verließen die Bühne, um ihrem Kollegen aufzuhelfen. Dieser saß einige Momente später, nachdem er unter Ächzen und Autschen sowie der Hilfe von Ralph und dem jungen Tobias, der den vegetarischen Vampirsohn spielte, vom Boden aufgestanden und auf einem anderen Stuhl Platz genommen hatte, mit gekrümmtem Rücken da und litt sichtlich unter Rückenschmerzen. „Was such ich mir auch den ältesten Stuhl im ganzen Haus aus. So ein Mist. Verdammt, tut das weh!“ Meike, die als Krankenschwester in der Chirurgie der Städtischen Kliniken in Darmstadt arbeitete, sah grübelnd drein und meinte schließlich, nachdem sie Peter um einige Bewegungen sowie eine genaue Beschreibung des Schmerzes gebeten hatte: „Des gefällt mir nett. Maanste, Schorsch, de Mischel Gerstbecker kann sisch des emol oogugge? Mir is des nett geheuer… Es könnt was an de Bandscheib soi.“

Gesagt - getan. Ohne mit der Wimper zu zucken hatte er sein Mobiltelefon, welches ihm schon so oft gute Dienste erwiesen hatte, herausgeholt und wählte die Nummer seines Hausarztes und Freundes. Nur wenige Minuten später war er zur Stelle. Je länger er sich seinen Patienten ansah, desto mehr verfinsterten sich seine Gesichtszüge. „Taubheitsgefiehl in de Finger? Kribbelts oder bizzelts? Wenn ja, wie stark?“, wollte er nun wissen. „Von eins bis zehn?“, wollte Strock eingrenzen. Auf das Nicken des Arztes sagte er: „So etwa vier.“

Mit schneller Hand hatte er sein Telefon parat und sagte währenddessen er wählte: „Meike, isch tipp aach uff die Bandscheib. Isch lass disch jetz von de Sannis abholle. Des solle sisch die Kolleesche genau angugge. - Ja, Genabend! Gerstbecker aus Erzhause hier… Ja, genau! De Hausarzt. Isch hätt hier…“

„So ne Scheisse!“, rutschte es Strock heraus, der sonst immer Fassung behielt. „Wos hoste dann geschafft?“, wollte Schorsch nun wissen. „Hoste doch gegahlert?! Himmel, wann de mer jetzt ausfällst! Dann howwe mer de Schlamassel!“, blickte er nach oben zur Decke, als ob er betete. „Ich hab nicht gegahlert… Ich hab ja noch nicht mal… richtig gesessen, da ist dieses… dieses Uraltmodell von Stuhl schon unter meinem Hintern zusammengekracht… Da ist bestimmt der Holzwurm drin, in dem Teil. Das… das ist ja noch von vorm Krieg“, versuchte Strock sich zu rechtfertigen, immer wieder von Schmerzen unterbrochen. Kopfschüttelnd betrachtete Wackermann die Teile des alten Stuhls. Das neueste Modell war es nicht mehr, aber so alt war er nun auch wieder nicht.

Der Krankentransportwagen ließ nicht lange auf sich warten. Vorsichtig lagerten sie Strock auf die Trage um und fuhren ihn hinaus. Wackermann hatte es übernommen, seine Andrea zu informieren, die vom Revier aus direkt in die Klinik fahren wollte.

 

Im Grunde war es jedem klar, dass Peter die Rolle nicht würde spielen können, wenn es etwas mit der Bandscheibe war. So saßen sie nun alle zusammen im Bürgerhaussaal und schauten zu Boden. „Ei jo, es bringt jo alles nix, wie mache mer dann jetz weider?“, wollte Boris wissen. „So is es rischdisch!“, klatschte Wackermann in die Hände. „So lang de Strock malladd leijt mach isch die Roll unn dann sähje mer weider.“

„Jetz will isch awwer noch wos saache!“, schob Kurt in Schorschs Euphorie ein. „Es duht mer laad, dass es spät worn is, awwer isch hatt doch Klassetreffe beim Haasse Peeder!“ Wackermann prustete los. „Wie dann des? Dinner for one im Jäscherstibbsche? Worste die Miss Sophie oder de dabbische James? Es is doch gor kaaner meh do vunn doine Schulkolleesche!“ - „Vergess mer doin Ungl Gustl nett!“, ermahnte Kurt ihn nun. „Ui, den hätt isch wärgglisch fast vegesse…“, fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Awwer wer wor dann wer?“, lachte Wackermann weiter. Belustigt schüttelten die anderen mit dem Kopf. Mit schräg gelegtem Kopf fragte Kurt nun fordernd: „Macht sisch do grad aaner iwwer alde Mensche lusdisch?“ - „Naa, nie im Lääwe!“, log Schorsch, „Awwer isch stell mer grad vor, wie ihr zwaa feiert wie de Lump am Stegge.“

Reinhold ergänzte diese Gedanken: „Wahrschoins mit Nudde, Koks unn Schampus.“ - „Puffbrause? Die kannste selwer saufe!“, warf Kurt empört ein. Er wollte noch etwas ergänzen, aber in das Lachen, welches sich in der Theatergruppe nun auf alle Gesichter gelegt hatte, fiel Schorsch mit beruhigender Stimme ein: „So derfste des nett saache. Die Generation seegt dodezu noch Woi, Weib unn Gesang!“ Nun konnte Kurt fortfahren und teilte der Runde mit, dass sie es gewöhnt seien mit Stil und Anstand zu feiern, im Gegensatz zu nachfolgenden Generationen. Der junge Tobias fühlte sich sofort angesprochen, nahm all seinen Mut zusammen und konterte keck: „Des heißt wahrscheinlisch nix anneres wie: koffeinfreie Kaffee, eingeschenkt von ner Pflegerin und dadezu Musik aus em Mutantenstadl.“

Gelassen, fast gleichgültig reagierte Kurt darauf: „So alt wie isch soin, so alt misst ihr all menanner erst emol wern. Wanns gonz bleed leeft fer eisch, dann hott der do owwe misch vegesse unn isch iwwerlääb eisch all menanner. Unn jetz dähd isch gern oofange. Moi Pflescherin will misch um korz vor de Zeije hieleije“, sprach er, nahm sich einen Stuhl, setzte sich vor die Bühne und sah die anderen auffordernd an.