Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie (Leben Lernen, Bd. 66) - Irvin D. Yalom - E-Book

Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie (Leben Lernen, Bd. 66) E-Book

Irvin D Yalom

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Beschreibung

Jetzt nur für kurze Zeit: Preiswerte Jubiläumsedition! Der amerikanische Psychotherapeut und Autor auflagenstarker Romane ist zugleich Verfasser des Lehrbuches zur Gruppenpsychotherapie. Es versteht sich als praktische Anleitung für Psychotherapeuten aller Schulen, die mit Gruppen arbeiten. Es reflektiert zugleich aber auch die wissenschaftlichen Grundlagen des Fachs. Der Fülle der Gruppentherapien wird Irvin Yalom gerecht, indem er sie nach ihren Methoden und »therapeutischen Faktoren« ordnet. Fallbeispiele aus mehr als 2000 Gruppensitzungen machen den Text so anschaulich, dass auch ein praktisch wenig erfahrener Therapeut die besonderen Schwierigkeiten einer Gruppenbehandlung meistern kann. Ein Buch, das sich seit über zwei Jahrzehnten als anerkanntes Lehrbuch halten kann, benötigt von Zeit zu Zeit eine gründliche Überarbeitung. In diese Ausgabe, die teilweise neu übersetzt wurde, gingen zahlreiche Anpassungskorrekturen ein. Überholte Therapieansätze wurden gestrichen, viele neue theoretische und methodische Erkenntnisse wurden integriert. Am grundsätzlichen Aufbau des Buches und an seiner Zielrichtung wurde jedoch nicht gerüttelt.

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Seitenzahl: 1544

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Informationen zum Autor

Das umfassende Standardwerk zur Gruppenpsychotherapie setzt den Therapeuten in die Lage, Gruppenprozesse in ihrer Differenziertheit zu verstehen und therapeutisch nutzbar zu machen. Das Material von mehr als 2000 Gruppensitzungen des Autors gibt hierzu anschauliche Fallbeispiele. Ein weiterer zentraler Aspekt des Buches ist die Herausarbeitung der wichtigsten Wirkfaktoren in einer Therapie und speziell im Gruppenprozess. Das Buch ist für psychoanalytisch und verhaltenstherapeutisch orientierte TherapeutInnen gleichermaßen relevant.

Die Neuausgabe des Bandes enthält sämtliche Änderungen und Erweiterungen der letzten (5.) amerikanischen Ausgabe: Neueste Forschungsergebnisse wurden eingearbeitet. Neu hinzugekommen sind Ausführungen über gruppenpsychotherapeutische Kurztherapien, über Internet-Therapiegruppen, ethno-kulturelle Besonderheiten und über das große Thema »Trauma«.

Sämtliche Kapitel wurden auf der Basis neuer Praxis- und Theorieerkenntnisse genau überprüft und zum Teil geändert.

Irvin D. Yalom, Ph.D., ist Professor em. für Psychiatrie an der Stanford University School of Medicine. 1974 erhielt er den Edward-Strecker-Preis und 1979 den Foundations-Fund-Preis für Psychiatrie. Er ist Mitglied der Internationalen Psychoanalytischen Vereinigung; zahlreiche Veröffentlichungen.

Molyn Leszcz, Ph.D., ist Professor für Gruppenpsychotherapie an der Universität von Toronto, Institut für Psychiatrie. Er lebt in Toronto, Kanada.

Irvin D. Yalom

Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie

Ein Lehrbuch

Unter Mitarbeit von Molyn Leszcz

Aus dem Amerikanischen von Teresa Junek, Theo Kierdorf und Gudrun Theusner-Stampa

Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Speicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Klett-Cotta

www.klett-cotta.de

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel

»The Theory and Practice of Group Psychotherapy«,

5th edition, Published by Basic Books, A Member of the Perseus Books Group, 1995/2005

© 2005 by Irvin Yalom and Molyn Leszcz

Für die deutsche Ausgabe

© 1996/2007 by J.G. Cotta’sche Buchhandlung Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten

Neuübersetzung der Kapitel 1 bis 5 und der Erweiterungen dieser Auflage von Theo Kierdorf

Umschlag: Roland Sazinger

Unter Verwendung eines Fotos von © 1stGallery/fotolia.com

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

Printausgabe: ISBN 978-3-608-89162-1

E-Book: ISBN 978-3-608-10108-9

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20314-1

Dieses E-Book entspricht der aktuellen Ausgabe der Printausgabe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie;

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dem Andenkenmeiner Mutter und meines Vatersgewidmet:

Ruth Yalom und Benjamin Yalom

Dem Andenkenmeiner Mutter und meines Vatersgewidmet:

Clara Leszcz und Saul Leszcz

Inhalt

Vorwort zur fünften amerikanischen Auflage

Danksagung

Vorwort zur deutschen Ausgabe (Peter Kutter)

KAPITEL 1Die therapeutischen Faktoren

Hoffnung wecken

Universalität des Leidens

Mitteilen von Informationen

Altruismus

Die korrigierende Rekapitulation des Geschehens in der primären Familiengruppe

Die Entwicklung sozialer Kompetenz

Imitationsverhalten

KAPITEL 2Interpersonales Lernen

Die Bedeutung interpersonaler Beziehungen

Das korrigierende emotionale Erlebnis

Die Gruppe als sozialer Mikrokosmos

Der soziale Mikrokosmos: Eine dynamische Interaktion

Das Erkennen von Verhaltensmustern im sozialen Mikrokosmos

Existiert der soziale Mikrokosmos tatsächlich?

Überblick

Übertragung und Einsicht

KAPITEL 3Die Kohäsionskraft der Gruppe

Die Bedeutung der Gruppenkohäsivität

Der Wirkmechanismus

KAPITEL 4Die therapeutischen Faktoren – Ein integrierender Überblick

Der Wert der einzelnen therapeutischen Faktoren aus der Sicht des Klienten

Unterschiede in der Einschätzung therapeutischer Faktoren durch Klienten und Therapeuten

Kräfte, die die Wirkung therapeutischer Faktoren verändern

KAPITEL 5Der Therapeut: Grundlegende Aufgaben

Wie beeinflusst der Gruppenleiter die Entstehung von Gruppennormen?

Beispiele für therapeutisch wirksame Gruppennormen

KAPITEL 6Der Therapeut: Arbeiten im Hier und Jetzt

Definition von Prozess

Die Konzentration auf den Prozess: Die Kraftquelle der Gruppe

Die Aufgaben des Therapeuten im Hier und Jetzt

Techniken der Aktivierung des Hier und Jetzt

Techniken zur Klärung des Prozesses

Wie man Klienten zu einer Prozessorientierung verhilft

Wie man Klienten hilft, klärende Prozesskommentare zu akzeptieren

Der Prozesskommentar: ein theoretischer Überblick

Die Nutzung der Vergangenheit

Kommentare zum Prozess der Gruppe als Ganzes

Die Grundlagen von Kommentaren zum Gesamtgruppenprozess

KAPITEL 7Der Therapeut: Übertragung und Transparenz

Die Übertragung in der Therapiegruppe

Der Psychotherapeut und die Transparenz

KAPITEL 8Die Auswahl der Klienten

Ausschlusskriterien

Aufnahmekriterien

Ein Überblick über das Auswahlverfahren

Zusammenfassung

KAPITEL 9Die Zusammensetzung von Therapiegruppen

Die Voraussage von Gruppenverhalten

Grundsätze der Zusammenstellung von Gruppen

Überblick

Eine abschließende Warnung

KAPITEL 10Die Entstehung der Gruppe: Ort, Zeit, Größe, Vorbereitung

Vorüberlegungen

Dauer und Häufigkeit der Sitzungen

Kurzzeittherapie mit Gruppen

Vorbereitung auf die Gruppentherapie

KAPITEL 11Zu Beginn

Die Entstehungsphasen der Gruppe

Der Einfluss der Klienten auf die Entwicklung der Gruppe

Probleme der Gruppenmitgliedschaft

KAPITEL 12Die fortgeschrittene Gruppe

Die Bildung von Untergruppen

Konflikte in der Therapiegruppe

Selbstoffenbarung

Das Beendigen der Therapie

KAPITEL 13Arbeit mit schwierigen Gruppenmitgliedern

Der Alleinunterhalter

Der schweigende Klient

Der Langweiler

Der jede Hilfe ablehnende »Jammerer«

Der psychotische oder bipolare Klient

Klienten mit schwerwiegenden charakterologischen Störungen

KAPITEL 14Der Therapeut: spezielle Behandlungsformen und Anleitungen für die Nutzung spezieller Techniken und Ressourcen

Gleichzeitige Einzel- und Gruppentherapie

Kombinieren einer Gruppentherapie mit einer Zwölf-Schritte-Gruppe

Co-Therapeuten

Die Sitzung ohne Gruppenleiter

Träume

Audiovisuelle Technik

Schriftliche Zusammenfassungen

Protokollieren von Gruppentherapiesitzungen

Strukturierte Übungen

KAPITEL 15Spezialisierte Therapiegruppen

Die Abwandlung der traditionellen Gruppentherapie für spezielle klinische Situationen: Grundlegende Schritte

Die Therapiegruppe für akut kranke, hospitalisierte Klienten

Gruppen für Klienten mit physischen Krankheiten

Adaptation von KVT und IPT an die Gruppentherapie

Selbsthilfegruppen und Internet-Unterstützungsgruppen

KAPITEL 16Vorfahren und Cousins der Gruppentherapie

Was ist eine Encountergruppe?

Vorläufer und Entwicklung der Encountergruppe

Gruppentherapie für nichtklinische Teilnehmer

Die Wirksamkeit der Encountergruppe

Die Beziehung zwischen der Encountergruppe und der Therapiegruppe

KAPITEL 17Die Ausbildung des Gruppentherapeuten

Das Beobachten erfahrener Kliniker

Supervision

Eine Gruppenerfahrung für Ausbildungskandidaten

Persönliche Psychotherapie

Zusammenfassung

Über die Technik hinaus

Anhang

Informationen und Leitlinien für die Teilnahme an einer Gruppentherapie

Anmerkungen

Fußnoten

Vorwort zur fünften amerikanischen Auflage

Bei dieser fünften Neuauflage meines Buches Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie hatte ich das Glück, mit Molyn Leszcz zusammenarbeiten zu können. Ich habe Dr. Leszcz 1980 kennengelernt, als er bei mir an der Stanford University ein Jahr lang als Stipendiat Gruppentherapie studierte. Er hat zur Erforschung der Gruppentherapie und zur Weiterentwicklung ihrer klinischen Arbeit einen wichtigen Beitrag geleistet und leitet seit zwölf Jahren das größte Ausbildungsprogramm für Gruppentherapie der Welt, das im Rahmen der psychiatrischen Abteilung der University of Toronto organisiert wird, in der Dr. Leszcz als außerordentlicher Professor tätig ist. Sein umfassendes Wissen über die heutige gruppentherapeutische Praxis und seine fast enzyklopädische Kenntnis sowohl der wissenschaftlichen als auch der klinischen Literatur zum Thema Gruppentherapie waren bei der Vorbereitung dieser Neuausgabe von unschätzbarem Wert. Wir haben uns wie Co-Therapeuten sorgsam bemüht, neues und altes Material nahtlos zu integrieren. Obwohl wir uns aus stilistischen Gründen entschieden haben, im Text die Ich-Form beizubehalten, steht hinter diesem Ich doch stets das Wir unserer gemeinschaftlichen Arbeit.

Bei der vorliegenden Neuauflage ging es uns darum, die vielen neuen Phänomene, die im Bereich der Gruppentherapie aufgetaucht sind, zu dokumentieren und überholte Ideen und Methoden aus dem Text zu entfernen. Allerdings sahen wir uns bei diesem Bemühen mit einem Dilemma konfrontiert: Was wäre, wenn einige der Veränderungen in der gruppenpsychotherapeutischen Szene keine Fortschritte, sondern Rückschritte wären? Und wenn die von der Gesundheitsökonomie geforderten schnelleren, billigeren und effizienteren Verfahren den wohlverstandenen Interessen der Klienten nicht entsprächen? Und wenn der Begriff der »Effizienz« nichts weiter als eine Beschönigung der Tatsache wäre, dass Klienten zwecks Kostenersparnis so schnell wie möglich »gesundgeschrieben« werden sollen? Und was wäre schließlich, wenn diese verschiedenen ökonomischen Faktoren Therapeuten dazu zwängen, ihren Klienten weniger zu bieten, als sie eigentlich könnten?

Sollten diese Vermutungen sich als zutreffend erweisen, sind die Anforderungen, die an eine Neuauflage wie die vorliegende zu stellen sind, wesentlich komplexer als zunächst angenommen, denn dann sehen wir uns mit einer zweifachen Aufgabe konfrontiert. Es geht dann nicht nur darum, aktuelle Entwicklungen und Methoden zu beschreiben und Therapeuten auf ihre heutige Arbeitssituation vorzubereiten, sondern es geht auch um die Erhaltung des gesammelten Wissens und des Schatzes gruppentherapeutischer Techniken, auch wenn einige junge Therapeuten dieses Wissen nicht sofort anwenden können.

Seit die Gruppentherapie in den Vierzigerjahren eingeführt wurde, hat sie zahlreiche Anpassungsprozesse durchlaufen, um den sich wandelnden Anforderungen der klinischen Praxis gerecht werden zu können. Mit dem Auftauchen neuer klinischer Syndrome, Situationen und theoretischer Ansätze sind entsprechende Varianten der Gruppentherapie entstanden. Die Vielfalt der Formen tritt heute so deutlich hervor, dass man besser von Gruppentherapien als von einer Gruppentherapie spricht. Gruppen für Menschen mit akuter oder chronischer Depression, Gruppen für die Prävention von Rückfällen bei Depressiven, Gruppen für Klienten mit Essstörungen, für Krebskranke und Aids-Patienten, für Patienten, die unter rheumatoider Arthritis, multipler Sklerose, chronischer Darmreizung, Fettleibigkeit, Querschnittslähmung oder Parkinson leiden, Gruppen für Gesunde, die aufgrund eines genetischen Defekts damit rechnen müssen, an einer bestimmten Krebsart zu erkranken, Gruppen für Opfer sexueller Gewalt, für verwirrte Senioren, für Menschen, die unter Panikstörungen, Zwangsstörungen oder chronischer Schizophrenie leiden, Gruppen für erwachsene Kinder von Alkoholikern, für Eltern sexuell missbrauchter Kinder, für gewalttätige Männer, für Menschen, die zur Selbstschädigung neigen, Gruppen für Geschiedene, Trauernde, gestörte Familien, verheiratete Paare, Patienten mit Herzinfarkt oder mit beidseitiger Lähmung, Gruppen für Patienten mit diabetischer Erblindung, Nierenversagen, Knochenmarkstransplantationen – dies alles sind Formen von Gruppentherapie, und es gibt noch wesentlich mehr.

Auch die klinischen Zusammenhänge, in denen Gruppentherapien stattfinden, sind vielfältig: Eine auf starke Fluktuation eingerichtete Gruppe für chronisch oder akut psychotische Klienten in einer sterilen Krankenhausstation ist ebenso Gruppentherapie, wie Gruppen für inhaftierte Sexualtäter und für die Bewohnerinnen eines Frauenhauses es sind, aber das Gleiche gilt auch für eine fortlaufende Gruppe, in der sich relativ gut angepasste Menschen, die an neurotischen Störungen oder Persönlichkeitsstörungen leiden, in der komfortablen Praxis eines Psychotherapeuten treffen.

Auch die verwendeten therapeutischen Ansätze, die im Rahmen von Gruppentherapien zum Einsatz kommen, sind geradezu verwirrend vielfältig: Gestalttherapie, Kurzzeittherapie, unterstützende Ausdruckstherapie, kognitiv-behaviorale Therapie, psychoanalytische, psychoedukative, interpersonale, dynamisch-interaktive Therapie, Psychodrama – diese und viele andere Ansätze kommen im Rahmen von Gruppentherapien zum Einsatz.

Noch weiter vergrößert hat sich die Familie der Gruppentherapien durch entferntere Verwandte: durch die Selbsterfahrungstrainingsgruppen (oder Prozessgruppen) an Schulen und die zahlreichen Selbsthilfegruppen, beispielsweise die der Anonymen Alkoholiker, und anderer Zwölf-Schritte-Gruppen, die der Gruppen für Inzestopfer, Sexsüchtige, Eltern ermordeter Kinder, Übergewichtige und schließlich die Gruppen von Recovery, Inc. Zwar handelt es sich in den genannten Fällen nicht um formelle Therapiegruppen, doch ist ihre Arbeit trotzdem sehr oft therapeutisch und bewegt sich in einem fließenden Bereich zwischen Selbsterfahrung, Unterstützung, Psychoedukation und Therapie (Kapitel 16 geht ausführlich auf dieses Thema ein).

Wie soll man nun ein Buch schreiben, das all diesen Formen von Gruppentherapie gerecht wird? Die Strategie, die ich vor fünfundzwanzig Jahren beim Schreiben der ersten Auflage dieses Buches wählte, erscheint mir noch heute angemessen. Zunächst trennte ich bei den verschiedenen Arten von Gruppentherapie jeweils die Fassade vom Kern. Die Fassade besteht aus dem Aufputz, der Form, den Techniken, der Spezialsprache und der Aura, die jede ideologische Schule umgibt, der Kern aus den Aspekten des Gruppenerlebens, die für den therapeutischen Prozess entscheidend sind: den eigentlichen Veränderungsmechanismen.

Lässt man die »Fassade« außer Acht und betrachtet nur die eigentlichen Methoden, die Veränderungen bewirken, stellt man fest, dass die Zahl der Veränderungsmechanismen relativ klein ist und dass diese bei den verschiedenen Arten von Gruppen erstaunliche Ähnlichkeiten aufweisen. Hinsichtlich ihrer äußeren Form sehr verschiedene Therapiegruppen mit unterschiedlichen Zielsetzungen nutzen die gleichen Veränderungsmechanismen.

In den ersten beiden Auflagen dieses Buches habe ich diese Mechanismen unter dem Einfluss jenes positivistischen Zeitgeistes, in dessen Bann die damals neu auftauchenden Psychotherapien standen, als »Heilfaktoren« bezeichnet. Im Laufe der Jahre bin ich erfahrener und bescheidener geworden, und heute weiß ich, dass der Lohn der Psychotherapie nicht die Heilung ist – das wäre eine Illusion –, sondern die Veränderung oder die Förderung der Entwicklung. Deshalb bezeichne ich die Veränderungsmechanismen heute nicht mehr als »Heilfaktoren«, sondern als »therapeutische Faktoren«.

Die therapeutischen Faktoren sind das zentrale Organisationsprinzip dieses Buches. Ich werde zunächst die elf therapeutischen Faktoren ausführlich darstellen und anschließend einen psychotherapeutischen Ansatz beschreiben, der auf ihnen basiert.

Doch mit welchen Arten von Gruppen sollten wir uns befassen? Die Vielfalt der Gruppentherapien ist heute so groß, dass es selbst in einem Buch wie diesem unmöglich ist, jede einzelne Gruppenart separat darzustellen. Wie aber könnte man sonst vorgehen? Ich habe mich dafür entschieden, meiner Darstellung eine Art Prototyp von Gruppentherapie zugrunde zu legen und darauf aufbauend eine Anzahl von Prinzipien herauszuarbeiten, die es Therapeuten ermöglichen, das Grundmodell so abzuwandeln, dass es sich für jede spezielle klinische Situation eignet.

Das prototypische Modell ist die intensive, heterogen zusammengesetzte ambulante Psychotherapiegruppe, die mindestens über einen Zeitraum von einigen Monaten zusammenkommt und ehrgeizige Ziele sowohl hinsichtlich der Symptomlinderung als auch hinsichtlich der Persönlichkeitsveränderung verfolgt. Doch warum konzentriere ich mich auf diese spezielle Art der Gruppentherapie, obwohl die heutige gruppentherapeutische Szene aufgrund ökonomischer Zwänge von einer anderen Art von Gruppe geprägt ist: von einer homogenen, symptomorientierten Gruppe, die für eine kürzere Zeitspanne zusammentrifft und begrenztere Ziele verfolgt?

Die Antwort lautet, dass die Langzeitgruppentherapie seit vielen Jahrzehnten existiert und dass über diese Therapieform mittlerweile ein gewaltiger Wissensfundus sowohl aufgrund empirischer Untersuchungen als auch durch die aufmerksame Auswertung klinischer Erfahrungen zusammengetragen wurde. Ich habe bereits darauf hingewiesen, dass Therapeuten heute in der klinischen Praxis nicht oft auf die bestmögliche Weise arbeiten können; meiner Meinung nach ist die prototypische Gruppe, die wir in diesem Buch beschreiben, der Zusammenhang, in dem Therapeuten ihren Klienten am besten helfen können. Diese intensive und anspruchsvolle Therapieform verlangt sowohl dem Klienten als auch dem Therapeuten viel ab. Um eine solche Gruppe leiten zu können, muss ein Therapeut sehr komplexe Strategien und Techniken beherrschen. Doch wenn er sie beherrscht und außerdem in der Lage ist, sie an spezielle Therapiesituationen anzupassen, kann er eine Gruppentherapie so gestalten, dass sie sich für jede klinische Population in jedem Rahmen eignet. Studenten in der Ausbildung sollten sich bemühen, sich zu kreativen und mitfühlenden Therapeuten zu entwickeln mit einem tiefen Verständnis für die theoretischen Grundlagen ihrer Arbeit, also nicht zu »Arbeitern« mit wenig Weitblick und noch weniger innerer Begeisterung für ihre Tätigkeit zu werden. Die Verfechter des Managed-Care-Ansatzes im Gesundheitswesen stilisieren die Gruppentherapie zur wichtigsten Behandlungsform der Zukunft. Gruppentherapeuten sollten auf diese Entwicklung, die für sie ja auch eine Chance ist, so gut wie möglich vorbereitet sein.

Weil die meisten Leser dieses Buches wahrscheinlich Kliniker sind, steht in der Darstellung die unmittelbare klinische Relevanz im Vordergrund. Ungeachtet dessen glaube ich, dass Kliniker mit der aktuellen Forschung in Kontakt bleiben sollten: Auch Therapeuten, die nicht selbst forschen, müssen in der Lage sein, die Resultate der Untersuchungen anderer adäquat einzuschätzen. Deshalb nimmt dieses Buch in starkem Maße auf relevante klinische, sozialwissenschaftliche und psychologische Untersuchungen Bezug.

Als ich beim Schreiben der ersten Versionen dieses Buches die Regale von Bibliotheken durchstöberte, habe ich oft in antiquierten psychiatrischen Lehrbüchern geblättert. Es kommt mir geradezu gespenstisch vor, wenn ich mir klarmache, dass die Anhänger psychiatrischer Therapiemethoden wie Hydrotherapie, Schlafkuren, Lobotomie und Insulinschocks Kliniker von hoher Intelligenz und Integrität waren, die sich ihrer Arbeit mit großer Hingabe widmeten! Dasselbe gilt für noch frühere Generationen von Psychiatern, die Aderlass, Hungerkuren, die Behandlung mit Abführmitteln und die Trepanation befürworteten. Ihre Abhandlungen sind ebenso gut geschrieben und ihr Optimismus war ebenso grenzenlos wie die entsprechenden Produkte und Aktivitäten zeitgenössischer Kliniker, und die Erfolge, über die sie berichten, müssen als ebenso eindrucksvoll erscheinen wie die der Verfechter heutiger Methoden.

Frage: Warum wurden in anderen Bereichen der Gesundheitspflege so wesentlich größere Fortschritte erzielt als im Bereich der Behandlung psychischer Störungen? Antwort: Weil die Vertreter jener anderen Bereiche seit langem die Prinzipien wissenschaftlicher Methodik anwenden. Solange sich die heutigen Psychotherapeuten keine fundierte wissenschaftliche Grundlage zu eigen machen, ähneln sie hinsichtlich der Begeisterung, die sie für die heute üblichen Behandlungsmethoden aufbringen, in bedauerlichem Maße den früheren Hydrotherapeuten und den Verfechtern der Lobotomie. Solange wir die Grundprinzipien der heute gängigen Behandlungsverfahren und die mit ihrer Hilfe erzielten Resultate nicht mit wissenschaftlicher Strenge prüfen, bleibt unser Tätigkeitsbereich ein Spielball wechselnder Moden. Deshalb bezieht sich der im vorliegenden Buch beschriebene Ansatz wann immer möglich auf exakte und relevante wissenschaftliche Forschung, und die Aufmerksamkeit des Lesers wird immer wieder auf Bereiche gelenkt, in denen weitere Untersuchungen als besonders ratsam erscheinen. Einige Aspekte gruppentherapeutischer Arbeit (beispielsweise die Vorbereitung auf eine Gruppentherapie oder die Gründe für deren Abbruch) sind sehr gründlich untersucht worden, während andere (beispielsweise das »Durcharbeiten« oder die Gegenübertragung) erst seit kurzem erforscht werden. Natürlich spiegeln sich diese Unterschiede des aktuellen Standes wissenschaftlicher Erkenntnis zu den verschiedenen Aspekten gruppentherapeutischer Arbeit im Text: In einigen Kapiteln werden Kliniker den Eindruck gewinnen, der Forschung werde eine zu große Bedeutung beigemessen, während stärker an der Forschung interessierte Kollegen bei anderen Teilen einwenden werden, dass es ihnen an Exaktheit mangelt.

Wir sollten von der Psychotherapieforschung nicht mehr erwarten, als sie zu leisten vermag. Wird es ihr gelingen, die psychotherapeutische Praxis schnell und tief greifend zu verändern? Wahrscheinlich nicht. Und warum nicht? Ein Grund hierfür ist »Widerstand«. Die Anhänger komplexer Therapiesysteme, die oft viele Jahre auf die Ausbildung in der betreffenden Tradition verwendet haben, halten häufig starr am mühsam Erlernten fest und verändern sich deshalb nur sehr langsam und zudem nur dann, wenn sie für einen solchen Sinneswandel sehr fundierte Gründe sehen. Außerdem können Psychotherapeuten, die tagtäglich mit den akuten Problemen ihrer Klienten konfrontiert werden, verständlicherweise nicht auf neue plausible wissenschaftliche Resultate warten. Auch der ökonomische Aspekt der Forschung darf in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Worauf sich die psychologische Forschung jeweils konzentriert, hängt in starkem Maße von den Wünschen und Erfordernissen der Gesundheitsindustrie ab. Als Gesundheitspolitiker und Krankenkassenmanager in ihrem Bemühen um wirksame Sparmaßnahmen auf eine umfassende Neuausrichtung hin zu kurzen symptomorientierten Psychotherapien drängten, häuften sich in der Fachliteratur plötzlich Berichte über Forschungsprojekte, die sich mit der Wirkung von Kurzzeitbehandlungen befassten. Gleichzeitig wurden die Mittel für die Erforschung der Langzeittherapie drastisch gekürzt, obwohl Kliniker sich über die Relevanz von Untersuchungen, die deren besondere Vorzüge bestätigen, weitgehend einig sind. Wir erwarten, dass sich der aktuelle Trend irgendwann umkehren wird und dass man dann die Wirksamkeit psychotherapeutischer Arbeit in der realen klinischen Praxis wieder stärker erforschen wird, um die aus randomisierten kontrollierten Untersuchungen kurzzeittherapeutischer Verfahren gewonnenen Erkenntnisse zu ergänzen. Eine weitere Überlegung ist, dass sich viele Aspekte der Psychotherapie naturgemäß und anders als die Forschungsgegenstände der Naturwissenschaften nicht quantifizieren lassen. Psychotherapie ist Wissenschaft und Kunst. Erkenntnisse, die aus wissenschaftlichen Untersuchungen gewonnen wurden, mögen sich auf die peripheren Aspekte psychotherapeutischer Praxis auswirken, doch die menschliche Begegnung im Zentrum der Therapie wird stets eine zutiefst subjektive, nicht quantifizierbare Erfahrung bleiben.

Eine der wichtigsten Grundannahmen dieses Buches ist, dass interpersonale Interaktion im Hier und Jetzt für eine wirksame Gruppentherapie entscheidend ist. Eine Therapiegruppe, die wirklich etwas verändert, bietet ihren Mitgliedern zunächst einen Freiraum, in dem sie ungehindert interagieren können, hilft ihnen dann, die Mängel ihrer Interaktionen zu erkennen und zu verstehen, und ermöglicht ihnen schließlich, diese dysfunktionalen Verhaltensmuster zu verändern. Ich bin überzeugt, dass es Gruppen, die ausschließlich von anderen Annahmen – beispielsweise von psychoedukativen oder kognitiv-behavioralen Prinzipien – ausgehen, nicht gelingen kann, aus der Gruppentherapie maximalen therapeutischen Nutzen zu ziehen. Die Wirkung erhöht sich, wenn man die aufmerksame Beobachtung interpersonaler Prozesse in sie einbezieht.

Dies ist ein für die Zukunft der klinischen Praxis ungeheuer wichtiger Punkt. Die zunehmende Bedeutung der Einzelfall-Kostenkontrolle im Gesundheitswesen wird zwangsläufig zu einer verstärkten Nutzung von Therapiegruppen führen. Doch in ihrem Bemühen um die Nutzung effizienter, kurzer und verlässlicher Behandlungsverfahren machen die Entscheidungsträger der Gesundheitskonzerne mit ihren Managed-Care-Bestrebungen den Fehler zu dekretieren, dass bestimmte therapeutische Richtungen (Kurzzeittherapie, kognitiv-behaviorale oder symptomorientierte Therapie) wünschenswerter seien, weil diese Ansätze in einigen Aspekten anderen wirksamen medizinischen Behandlungsverfahren ähneln: in der Festlegung klar definierter und deutlich abgegrenzter Ziele; im häufigen und regelmäßigen Messen der Fortschritte auf dem Weg zum definierten Ziel; indem sie einen sehr detaillierten und auf den konkreten Fall abgestimmten Behandlungsplan entwickeln und sich generell einer replizierbaren, einheitlichen, manualgesteuerten, stark strukturierten Therapie mit einem präzisen Protokoll für jede Sitzung bedienen. Es wäre jedoch ein gravierender Fehler, den Anschein von Effizienz mit tatsächlicher Wirksamkeit zu verwechseln!

Im vorliegenden Buch beschäftigen wir uns ausgiebig mit dem auf Interaktion zielenden Fokus und mit dessen starkem Einfluss auf entscheidende Veränderungen der Persönlichkeit und des zwischenmenschlichen Verhaltens. Die Fokussierung auf Interaktion ist die Triebfeder der Gruppentherapie, und Therapeuten, die diese Kraft zu nutzen wissen, sind bei der Arbeit mit Therapiegruppen jeglicher Art deutlich im Vorteil, auch wenn das betreffende Gruppenmodell die zentrale Bedeutung der Interaktion nicht in den Vordergrund stellt oder auch nur anerkennt.

Anfänglich war ich nicht sonderlich darauf aus, die Mühe einer erneuten Überarbeitung dieses Buches auf mich zu nehmen. An den theoretischen Grundlagen und den technischen Aspekten der Gruppentherapie hat sich seit der vierten Auflage nicht viel geändert, und sie erscheinen mir weiterhin als solide und nützlich. Doch ein Buch, das sich mit einem noch stark in der Entwicklung begriffenen Thema befasst, ist zwangsläufig früher oder später überholt, und die vorige Auflage wurde in verschiedener Hinsicht dem neuesten Entwicklungsstand nicht mehr gerecht. Sie enthielt bei näherem Hinsehen nicht nur veraltete und überholte Bezugnahmen, sondern außerdem hat sich der gesamte Bereich gruppentherapeutischer Arbeit inzwischen stark verändert. Kostenkontrolle und Case-Management im Gesundheitswesen sind mittlerweile Realität; der Text des DSM-IV wurde einer Revision unterzogen (DSM-IV-TR); und die klinische und wissenschaftliche Literatur eines ganzen Jahrzehnts musste durchgesehen und in den Text eingearbeitet werden. Außerdem sind viele neue Arten von Gruppen entstanden, während andere verschwunden sind. Kognitiv-behaviorale, psychoedukative und problemspezifische Kurzzeittherapiegruppen werden häufiger, und wir haben uns besondere Mühe gegeben, in der vorliegenden Neuausgabe auf die für diese Gruppenformen wichtigen speziellen Aspekte einzugehen.

In den ersten vier Kapiteln geht es um elf therapeutische Faktoren. In Kapitel 1 behandle ich das Wecken von Hoffnung, die Universalität menschlichen Erlebens, die Übermittlung von Informationen, Altruismus, die korrektiv wirkende Rückerinnerung an Erlebnisse in der primären Familiengruppe, die Entwicklung von Sozialisationstechniken und das Imitationsverhalten. In den Kapiteln 2 und 3 werden die komplexeren und wirksameren Faktoren interpersonales Lernen und Kohäsion dargestellt. In Kapitel 4 geht es um Katharsis und existenzielle Faktoren, und es wird versucht, eine Synthese zu erreichen, indem die jeweilige Bedeutung aller elf therapeutischen Faktoren in Abhängigkeit voneinander thematisiert wird.

In den folgenden beiden Kapiteln geht es um die Arbeit des Therapeuten. In Kapitel 5 werden die Aufgaben des Gruppentherapeuten behandelt – insbesondere diejenigen, die für den Aufbau einer therapeutischen Gruppenkultur und für die therapeutische Nutzung der Interaktion innerhalb der Gruppe wichtig sind. In Kapitel 6 wird beschrieben, dass der Therapeut zunächst das Hier und Jetzt aktivieren (d.h. die Gruppe in ihr eigenes Erleben hineintreiben) und dann die Bedeutung des Hier-und-Jetzt-Erlebens hervorheben muss. In der aktuellen Neuauflage relativieren wir die Bedeutung bestimmter Modelle, die besonderen Wert auf die Untersuchung der Gesamtgruppendynamik legen (beispielsweise gilt das für den Tavistock-Ansatz), weil diese sich mittlerweile in der klinischen Arbeit als uneffektiv erwiesen haben. (Ein Teil des in der vorliegenden Ausgabe nicht mehr enthaltenen Materials steht interessierten Lesern weiterhin auf der Website www.yalom.com zur Verfügung.)

Während die Kapitel 5 und 6 sich damit befassen, was der Therapeut tun muss, geht Kapitel 7 darauf ein, wie der Therapeut sein muss. Es erklärt die Rolle des Therapeuten und die Nutzung seiner persönlichen Eigenarten, wobei die Darstellung sich auf die beiden wichtigen Aspekte Übertragung und Transparenz konzentriert. In früheren Ausgaben fühlte ich mich veranlasst, Therapeuten zur Zurückhaltung aufzufordern, da viele von ihnen noch so stark von der Encountergruppenbewegung beeinflusst waren, dass sie zu oft und zu gründlich »in die Vollen gingen«. Mittlerweile hat sich vieles verändert, und konservativere Kräfte haben an Bedeutung gewonnen. Deshalb erscheint es mir erforderlich, Gruppentherapeuten in dieser Neuauflage von einer generell defensiven Haltung bei ihrer Arbeit abzuraten. Viele von ihnen sind heute angesichts der Gefahr einer strafrechtlichen Verfolgung (das Resultat verantwortungslosen und ethisch fragwürdigen Verhaltens einiger Therapeuten und einer rücksichtslosen und von Gier motivierten amerikanischen Anwaltsszene, die sich auf die Verfolgung von »Kunstfehlern« und unethischen Verhaltensweisen von Psychotherapeuten und Ärzten spezialisiert hat) übertrieben vorsichtig geworden und verhalten sich ihren Klienten gegenüber betont distanziert. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit der Nutzung der persönlichen Ressourcen des Therapeuten für die psychotherapeutische Arbeit in dieser Neuauflage ein wichtiger Schwerpunkt.

Die Kapitel 8 bis 14 enthalten eine chronologische Darstellung des Geschehens in der Therapiegruppe, wobei jeweils die Gruppenphänomene und Techniken hervorgehoben werden, die für eine bestimmte Phase wichtig sind. Die Kapitel 8 und 9, in denen es um die Auswahl der Klienten für die Gruppenarbeit und um die Zusammenstellung der Therapiegruppe geht, berichten über neue Forschungsergebnisse zu den Aspekten der Teilnahme am Gruppengeschehen, der »Aussteiger« und der Resultate einer Gruppentherapie. In Kapitel 10 werden praktische Aspekte des Beginns der Arbeit mit einer Gruppe erörtert; es enthält einen längeren neuen Abschnitt über Kurzzeittherapie in Gruppen und berichtet über viele wichtige neue Untersuchungen bezüglich der Vorbereitung von Klienten auf die Gruppenarbeit. Der Anhang dieses Kapitels enthält ein Dokument, das Therapeuten neuen Gruppenmitgliedern zum Lesen geben können, um sie auf die Arbeit in der Therapiegruppe vorzubereiten.

In Kapitel 11 geht es um die Anfangsphasen der Therapiegruppe; außerdem enthält es neues Material über den Umgang mit Therapieabbrechern. In Kapitel 12 behandle ich Phänomene, die in der Reifephase der gruppentherapeutischen Arbeit auftreten: Bildung von Untergruppen, Konflikte, Selbstoffenbarung und Abschluss.

Kapitel 13, das den Umgang mit problematischen Klienten behandelt, enthält neues Material über Weiterentwicklungen der interpersonalen Theorie und referiert außerdem, welche Rollen die Theorie der Intersubjektivität, die Bindungstheorie und die Selbstpsychologie für die Gruppentherapie spielen. Kapitel 14 befasst sich mit speziellen therapeutischen Techniken, beispielsweise mit einer gleichzeitigen Einzel- und Gruppentherapie (sowohl kombiniert in einer einzigen Veranstaltung bzw. bei ein und demselben Therapeuten als auch nebeneinanderher laufend bei verschiedenen Therapeuten, die miteinander kommunizieren), weiterhin mit Co-Therapie, Gruppensitzungen ohne den Therapeuten, mit der Einbeziehung von Träumen in die Gruppenarbeit, der Nutzung von Videoaufnahmen und strukturierter Übungen, der Verwendung schriftlicher Zusammenfassungen der Gruppenarbeit sowie mit der Integration von Gruppentherapie und Zwölf-Schritte-Programmen.

Kapitel 15 behandelt spezielle Therapiegruppen, nämlich die vielen neuen Gruppen, die für Klienten mit bestimmten klinischen Syndromen sowie für solche, die sich in einer bestimmten klinischen Situation befinden, entwickelt wurden. Es beschreibt die Prinzipien, die bei der Modifikation grundlegender gruppentherapeutischer Techniken zu beachten sind, wenn die Entstehung einer Gruppenstruktur ermöglicht werden soll, die den Erfordernissen einer speziellen klinischen Situation oder Population gerecht wird. Außerdem wird die Nutzung der kognitiv-behavioralen und interpersonalen Therapie in Gruppen beschrieben. Die genannten Grundprinzipien werden durch die detaillierte Beschreibung verschiedener Gruppentypen veranschaulicht, beispielsweise einer Gruppe für stationär behandelte Psychiatriepatienten mit akuten Störungen und verschiedener Gruppen für Patienten mit bestimmten körperlichen Krankheiten (wobei eine Gruppe für Krebspatienten besonders ausführlich geschildert wird). Weiterhin werden in Kapitel 15 Selbsthilfegruppen sowie das jüngste Mitglied der Familie der Gruppentherapien, die Internet-Unterstützungsgruppe, thematisiert.

Die Überarbeitung von Kapitel 16, das sich mit der Encountergruppe befasst, gestaltete sich besonders schwierig. Da »die Encountergruppe« heute kaum noch eine Rolle spielt, wollten wir dieses Kapitel zunächst ganz streichen. Dagegen sprachen aber einerseits die Bedeutung der Encountergruppenbewegung für die Entwicklung der Technologie, welche die wissenschaftliche Erforschung der Gruppenarbeit ermöglichte, und andererseits die Tatsache, dass Encountergruppen (auch Prozessgruppen, T-Gruppen [T steht für »Training«] oder Selbsterfahrungstrainingsgruppen genannt) auch heute noch in der Ausbildung von Gruppenpsychotherapeuten genutzt werden.

Kapitel 17, in dem es um die Ausbildung von Gruppentherapeuten geht, enthält zusätzlich Informationen über neuere Arten des Umgangs mit dem Supervisionsprozess sowie über die Nutzung von Prozessgruppen in Ausbildungszusammenhängen.

In den vier Jahren, in denen ich an der erneuten Revision dieses Buches arbeitete, habe ich gleichzeitig einen Roman mit dem Titel Die Schopenhauer-Kur geschrieben, den man als eine Art Begleitlektüre verstehen und entsprechend nutzen kann. Es geht darin um eine Therapiegruppe, und es werden viele der Prinzipien von Gruppenprozessen und therapeutischen Techniken beschrieben, die im vorliegenden Handbuch erläutert werden. Deshalb beziehe ich mich in dieser fünften Auflage an mehreren Stellen auf bestimmte Passagen des Buches Die Schopenhauer-Kur, in denen psychotherapeutische Techniken anklingen.

Dicke Bücher landen gewöhnlich in dem für »Nachschlagewerke« vorgesehenen Regal. Um dem vorliegenden Buch dieses Schicksal zu ersparen, haben wir uns bemüht, den Text nicht noch länger zu machen. Doch da viel neues Material hinzugekommen ist, sahen wir uns gezwungen, zahlreiche ältere Abschnitte und Zitate zu streichen. (Wenn ich abends meinen Schreibtisch verließ, klebte jedesmal das Blut zahlreicher exekutierter Passagen an meinen Fingern.) Um die Lesbarkeit zu verbessern, wurden fast alle Einzelheiten über die bei wissenschaftlichen Untersuchungen angewandten Methoden und über die Kritik an ihnen in Fußnoten oder in Anmerkungen am Ende des Buches verbannt. Die in den letzten zehn Jahren neu erschienene Literatur über Gruppentherapie wird ausführlich besprochen.

Die meisten Kapitel enthalten 50–100 neue Anmerkungen. An zahlreichen Stellen im Buch weist ein Pfeil (↗) darauf hin, dass zum betreffenden Zusammenhang stützende wissenschaftliche Studien existieren. Die zugehörigen Literaturhinweise finden an dieser Thematik Interessierte auf meiner Website, www.yalom.com.

Danksagung

Ich danke der Stanford University dafür, dass sie mir die akademische Freiheit, die Recherchemöglichkeiten und die administrativen Hilfen gewährt hat, die ich für diese Überarbeitung brauchte. Jerome Frank, einem meisterhaften Mentor (der kurz vor der Veröffentlichung dieser Neuausgabe starb), danke ich dafür, dass er mir die Gruppentherapie nahegebracht hat und dass er für mich mit seiner Integrität, seiner Neugier und seiner Hingabe ein wichtiges Vorbild war. Viele haben mich bei dieser Überarbeitung unterstützt: Stephanie Brown, Ph.D. (bezüglich der Zwölf-Schritte-Gruppen), Morton Lieberman, Ph.D. (bezüglich der Internet-Gruppen), Ruthellen Josselson (bezüglich Interventionen, die die Gruppe als Ganzes betreffen), David Spiegel (bezüglich der Gruppen für Patienten mit physischen Krankheiten) und mein Sohn Ben Yalom, der mehrere Kapitel lektoriert hat.

Irvin Yalom

Ich danke der psychiatrischen Abteilung der University of Toronto für ihre Unterstützung bei diesem Projekt. Meine dortigen Kollegen haben mir durch ihre Kommentare zu vorläufigen Fassungen dieser Neuauflage sehr geholfen und außerdem zur Fertigstellung der endgültigen Fassung wichtige Beiträge geleistet. Zu ihnen zählen Joel Sadavoy, M.D., Don Wasylenki, M.D., Danny Silver, M.D., Paula Ravitz, M.D., Zindel Segal, Ph.D., Paul Westlind, M.D., Ellen Margolese, M.D., Jan Malat, M.D., und Jon Hunter, M.D. Liz Konigshaus hat gewissenhaft, effizient und mit unverwüstlichem Humor die schwierige Aufgabe der Überarbeitung der ursprünglichen Textfassung am Computer auf sich genommen. Benjamin, Talia und Noah Leszcz, meine Kinder sowie Bonny Leszcz, meine Frau, haben mir während der gesamten Arbeit mit ihrem Verständnis und ihrer Ermutigung geholfen. Ihnen allen möchte ich hiermit danken.

Molyn Leszcz

Vorwort zur deutschen Ausgabe

Schon in der ersten Auflage dieses Buches (1970 auf englisch, 1974 auf deutsch) ging es um zwei Ziele: 1. um eine Anleitung für Psychotherapeuten, die mit Gruppen arbeiten, 2. um die wissenschaftlichen Grundlagen der Gruppenpsychotherapie. Der Bedarf an einem solchen Lehrbuch ist inzwischen größer geworden. Es existieren im deutschen Sprachraum zwar viele Weiterbildungsinstitute für Psychoanalyse, analytische Psychotherapie und Tiefenpsychologie; alle diese Institutionen widmen sich aber der psychischen Behandlung des einzelnen. Was die Gruppenpsychotherapie betrifft, so gibt es zwar einige private Institutionen, an denen bereits in Einzeltherapie weitergebildete Psychologen und Ärzte Gruppenpsychotherapie erlernen können (in Selbsterfahrungsgruppen, durch Supervision und Theorievermittlung).

Was aber lange fehlte, war ein aktuelles, die neuesten Entwicklungen berücksichtigendes Lehrbuch der Gruppenprozesse, das dem Lehrbuch von Thomä & Kächele (1985/1988) über die Psychoanalyse des einzelnen an die Seite zu stellen ist. Diese Lücke füllte Yaloms 3. Auflage von »Theorie und Praxis der Gruppenpsychotherapie«, die 1989 auf dem deutschen Buchmarkt erschien. Mit dieser Neuausgabe liegt nun wieder eine Bearbeitung und Erweiterung vor, die den Veränderungen der wissenschaftlichen Forschung und den Gegebenheiten des Gesundheitswesens Rechnung trägt, einschließlich einer aktuellen Methodik der Gruppen-Kurzpsychotherapie. Das Buch mag manchen Psychoanalytikern nicht psychoanalytisch genug erscheinen, dem einen oder anderen verhaltenstherapeutisch arbeitenden Psychologen zu psychoanalytisch, Praktikern zu wissenschaftlich und Wissenschaftlern zu praxisbezogen. Der Grund für diese Eindrücke liegt darin, dass Yalom alle genannten Gesichtspunkte in einer Person vereinigt. Er hat sich keiner bestimmten Schule oder Richtung verschrieben. Yalom ist vor allem Wissenschaftler, dem es auf Fakten ankommt, auf empirisch überprüfbare Ergebnisse und auf direkte beobachtbare Veränderungsprozesse. Er kann deswegen in logischer Konsequenz feststellen, dass es keine empirischen Beweise für die psychoanalytische Erfahrung gebe, Übertragungsprozesse und deren Durcharbeitung seien die Voraussetzung für Veränderung. Manche Positionen des Autors scheinen der Lerntheorie und Verhaltenstherapie eher verpflichtet als der Psychoanalyse, wenn er z.B. folgende Wirkfaktoren der Gruppenpsychotherapie betont: Hoffnung, Universalität des Leidens, Mitteilung von Informationen, korrigierende Rekapitulation der Herkunftsfamilie, Entwicklung von Techniken des mitmenschlichen Umgangs, nachahmendes Verhalten und interpersonales Lernen. Der Autor macht auch kein Hehl daraus, dass er dem Erlernen neuer Verhaltensweisen mehr Veränderungspotential zutraut als »tiefen« Einsichten. Eine solche Einstellung kommt dem Trend entgegen, sich in der Psychotherapie weniger unbewussten Prozessen zu überlassen, sondern sich vielmehr gezielt auf das strategische Ziel der »Verhaltens-Modifikation« zu konzentrieren. Kurztherapheutische, themen-zentrierte und gesprächstherapeutisch orientierte Gruppenverfahren belegen diesen Trend. Insofern spiegelt Yaloms vierte überarbeitete Auflage der »Gruppenpsychotherapie« durchaus die aktuelle therapeutische Szene wider.

Gruppenpsychotherapie spielt in der psychotherapeutischen Versorgung der Bevölkerung eine große Rolle: ein Drittel aller Behandlungen in analytischer Psychotherapie findet in Gruppen statt. Gruppenpsychotherapie hat gegenüber der Einzeltherapie viele Vorteile: sie entspricht eher der sozialen Realität unseres Lebens als die duale Situation. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich Übertragungen entwickeln, ist wegen der Anwesenheit von mehreren Personen höher als in der Einzeltherapie. Das therapeutische Potential ist größer, denn andere Gruppenmitglieder und die Gruppe als Ganzes können manches wahrnehmen, beobachten und interpretieren, was der Gruppentherapeut nicht sieht. Außerdem hat jede Interpretation in einer Gruppe insofern eine größere Überzeugungskraft, als die anderen Anwesenden die Interpretation als Öffentlichkeit im guten Sinne kontrollieren können.

Es gibt also viele Gründe, sich der Gruppentherapie zuzuwenden. An Yaloms Standardwerk führt dabei kein Weg vorbei, weil hier ein Autor wissenschaftlich begründet argumentiert und ebenso fundiert wie umfassend informiert, mögen auch manche seiner Thesen und Resultate zum Widerspruch herausfordern.

Wer sich weiterbilden will, kann dies auch über die Lektüre einschlägiger Bücher tun. Es gibt Einführungen von Argelander (Gruppenprozesse, 1972), Battegay (Der Mensch in der Gruppe, 1967-1969), S.H. Foulkes (Praxis der gruppenanalytischen Psychotherapie, 1978), Heigl-Evers (Konzepte der analytischen Gruppenpsychotherapie, 1978), Grotjahn (Analytische Gruppentherapie, 1985), Kutter (Elemente der Gruppentherapie, 1976), Sandner (Psychodynamik in Kleingruppen, 1978), W. Schindler (Die analytische Gruppentherapie nach dem Familienmodell, 1980), Schmidbauer (Selbsterfahrung in der Gruppe), ders. (Sensitivitätstraining und analytische Gruppendynamik) oder König und Lindner (Psychoanalytische Gruppentherapie, 2. Aufl. 1992). Von diesen hat sich die Foulkessche Richtung der London Group-Analytic Society im deutschen Sprachraum am ehesten durchgesetzt, wie das »European Group Analytic Training Institutions Network« (E.G.A.T.I.N., 1988 gegründet) beweist.

Peter Kutter

Hinweis des Verlages

Der Autor konnte eine Vielzahl an Quellenangaben und Literaturempfehlungen nicht in das Buch aufnehmen. Diese ergänzenden Angaben finden sich auf der Homepage von Irvin Yalom: www.yalom.com

Im Buch sind Hinweise zu Angaben auf der Homepage mit ↗ markiert. Da die Homepage die Seitenzahlen der amerikanischen Originalausgabe zugrunde legt, findet der Leser der deutschen Ausgabe eine Seitenkonkordanz auf Seite 704 dieses Buches.

Kapitel 1Die therapeutischen Faktoren

Hilft Gruppentherapie Klienten? Natürlich tut sie das. Überzeugende Ergebnisstudien belegen, dass Gruppentherapie eine sehr wirksame Form psychotherapeutischer Arbeit ist und dass sie der Einzeltherapie in ihrer Fähigkeit, Klienten zu befriedigenden Therapieresultaten zu verhelfen, zumindest nicht nachsteht.1

Doch wie hilft Gruppentherapie Klienten? Vielleicht ist das eine naive Frage. Doch wenn wir sie mit einer gewissen Genauigkeit und Sicherheit beantworten könnten, stünde uns ein zentrales Organisationsprinzip zur Verfügung, mit dessen Hilfe wir eine Chance hätten, einige der bedrückendsten und umstrittensten Probleme der Psychotherapie zu lösen. Wenn wir die entscheidenden Aspekte des Veränderungsprozesses kennen, verfügen wir über eine rationale Grundlage für die Entwicklung einer Taktik und Strategie zur Beeinflussung des Gruppengeschehens und zur Maximierung seiner Wirkung bei unterschiedlichen Klienten und in unterschiedlichen Zusammenhängen.

Therapeutische Veränderung ist ein sehr komplexer Vorgang, der auf einem diffizilen Zusammenspiel menschlicher Erfahrungen basiert, die ich »therapeutische Faktoren« nenne. Es ist von Vorteil, sich dem Komplexen vom Einfachen her zu nähern, also dem Gesamtphänomen von den Teilprozessen her, die ihm zugrunde liegen. Deshalb beginne ich mit einer Beschreibung und Untersuchung dieser elementaren Faktoren.

Nach meiner Auffassung lässt sich das Geschehen in der Gruppentherapie aufgrund natürlicher Gegebenheiten in elf Primärfaktoren unterteilen:

Hoffnung wecken

Universalität des Leidens

Mitteilen von Informationen

Altruismus

Korrigierende Rekapitulation des Geschehens in der primären Familiengruppe

Entwicklung von sozialer Kompetenz

Imitationsverhalten

Interpersonales Lernen

Gruppenkohäsion

Katharsis

Existenzielle Faktoren

Im weiteren Verlauf dieses ersten Kapitels werde ich die ersten sieben der genannten Faktoren erläutern. Interpersonales Lernen und Gruppenkohäsivität halte ich für so wichtig und komplex, dass ich sie in den nächsten beiden Kapiteln getrennt behandeln werde. Existenzielle Faktoren werden im vierten Kapitel behandelt, weil sie in Zusammenhang mit dem dort vorgestellten Material am besten verständlich werden. Katharsis ist mit anderen therapeutischen Faktoren eng verwoben und wird gleichfalls im vierten Kapitel erläutert.

Meine Unterscheidung zwischen den einzelnen Faktoren ist in gewisser Weise willkürlich. Obwohl ich sie einzeln bespreche, sind sie interdependent und kommen weder einzeln vor, noch können sie isoliert wirksam werden. Außerdem können sie verschiedene Teile des Veränderungsprozesses repräsentieren: Einige Faktoren (beispielsweise die korrigierende Rekapitulation des Geschehens in der primären Familiengruppe) wirken auf der Ebene der Kognition; andere (beispielsweise die Entwicklung von Techniken des mitmenschlichen Umgangs) wirken auf der Ebene der Veränderung von Verhalten; und wieder andere (beispielsweise Katharsis) wirken auf der Ebene der Emotion; und schließlich gibt es Faktoren (beispielsweise den der Gruppenkohäsivität), die man vielleicht zutreffender als Vorbedingungen für eine Veränderung bezeichnen sollte.↗ Obwohl die gleichen therapeutischen Faktoren in jeder Art von Therapiegruppe wirksam sind, variieren ihr Zusammenspiel und ihr Gewicht je nach Art der Gruppe sehr stark. Außerdem können die verschiedenen Mitglieder ein und derselben Gruppe aufgrund ihrer individuellen Unterschiede aus sehr unterschiedlichen Konstellationen therapeutischer Faktoren Nutzen ziehen.↗

Wenn wir bedenken, dass die therapeutischen Faktoren im Grunde willkürliche Konstrukte sind, können wir sie als Lieferanten einer kognitiven Landkarte verstehen. Die in diesem Buch beschriebene Zusammenstellung therapeutischer Faktoren ist kein Dogma, und andere Psychotherapeuten und Forscher haben andere, ebenso willkürliche Zusammenstellungen therapeutischer Faktoren entwickelt.2 Kein Erklärungsansatz vermag alles zu erfassen, was Therapie beinhaltet. Da der Therapieprozess in seinem Kern unvorstellbar komplex ist, gibt es eine unüberschaubare Zahl von Möglichkeiten, ihn zu erleben. (Auf alle hier angeschnittenen Fragen werde ich in Kapitel 4 ausführlicher eingehen.)

Die Liste therapeutischer Faktoren, die ich hier vorstelle, ist aus meiner persönlichen klinischen Erfahrung sowie aus der klinischen Erfahrung anderer Therapeuten, aus den Äußerungen erfolgreich behandelter Gruppenmitglieder und aus relevanten Ergebnissen systematischer Untersuchungen hervorgegangen. Keine dieser Quellen ist über jeden Zweifel erhaben; weder Gruppenmitglieder noch Gruppenleiter sind völlig objektiv, und unsere Forschungsmethoden sind oft ziemlich undifferenziert und häufig nicht anwendbar.

Gruppentherapeuten liefern uns divergierende und in sich unstimmige Aufzählungen therapeutischer Faktoren (siehe Kapitel 4). Therapeuten sind keineswegs unparteiische oder unvoreingenommene Beobachter, denn sie haben viel Zeit und Energie auf das Erlernen eines bestimmten therapeutischen Ansatzes verwendet. Ihre Antworten sind weitgehend von der Schule geprägt, der sie sich zugehörig fühlen. Selbst zwischen Therapeuten der gleichen theoretischen Überzeugung, die »die gleiche Sprache sprechen«, herrscht nicht immer Einigkeit darüber, aus welchen Gründen Klienten Fortschritte machen. Im Rahmen unserer Auseinandersetzungen mit Encountergruppen fanden meine Kollegen und ich heraus, dass viele erfolgreiche Gruppenleiter ihren Erfolg Faktoren zuschrieben, die für den Therapieprozess irrelevant waren: beispielsweise der Hot-Seat-Technik oder nonverbalen Übungen oder der unmittelbaren Wirkung der Persönlichkeit des Therapeuten (siehe Kapitel 16).3 Doch das überrascht uns nicht. In der Geschichte der Psychotherapie gibt es eine große Zahl erfolgreicher Heiler, die aus völlig anderen Gründen Erfolg hatten, als sie selbst annahmen. In anderen Fällen sind wir einfach völlig ratlos über die plötzlichen Fortschritte eines Klienten – welcher Therapeut hätte so etwas noch nie erlebt?

Am Ende einer Gruppentherapie können die Teilnehmer Angaben über die therapeutischen Faktoren machen, die ihnen selbst als die nützlichsten oder die am wenigsten nützlichen erschienen sind. Doch ist uns klar, dass solche Einschätzungen immer unvollständig und nur bedingt verlässlich sind. Konzentrieren die Gruppenmitglieder sich möglicherweise hauptsächlich auf oberflächliche Faktoren und vernachlässigen sie tiefer reichende heilende Kräfte, die sie nicht wahrnehmen? Könnten ihre Aussagen von Faktoren beeinflusst werden, die kaum »dingfest« zu machen sind? Beispielsweise können ihre Ansichten durch die Art ihrer Beziehung zum Therapeuten oder zur Gruppe verzerrt sein. (Ein Forscherteam hat nachgewiesen, dass Klienten, die vier Jahre nach Abschluss ihrer Therapie befragt wurden, viel eher bereit waren, über hinderliche oder schädliche Aspekte ihrer Gruppenerfahrung zu sprechen, als dies bei einer Befragung unmittelbar nach Abschluss der Gruppenarbeit der Fall gewesen war.)4

Auch wurde nachgewiesen, dass die therapeutischen Faktoren, die Gruppenmitglieder für wichtig halten, völlig andere sein können, als ihre Therapeuten oder Beobachter für wichtig hielten5 – eine Entdeckung, die auch bezüglich der Einzeltherapie gemacht wurde. Außerdem beeinflussen viele eher verwirrende Faktoren die Art, wie Klienten die Wirkung therapeutischer Faktoren beurteilen, beispielsweise die Behandlungsdauer und die allgemeine psychische Funktionsfähigkeit des Betreffenden,6 die Art der Gruppe (ob es sich etwa um eine Gruppe für ambulante oder stationäre Patienten oder für die Besucher einer Tagesklinik handelt oder um eine Kurztherapie in Gruppenform),7 Alter und Diagnose des Klienten8 und theoretische Orientierung des Gruppenleiters.9 Ein weiterer Aspekt, der die Suche nach allgemeingültigen therapeutischen Faktoren verkompliziert, ist die unterschiedliche Wahrnehmung und Erlebensweise ein und desselben Ereignisses durch die einzelnen Gruppenmitglieder.↗ Alles, was in einer Gruppe passiert, kann für einige Gruppenmitglieder wichtig oder nützlich und für andere belanglos oder sogar schädlich sein.

Trotzdem sind Berichte von Klienten eine ergiebige Informationsquelle, die relativ wenig genutzt wird. Schließlich geht es einzig und allein um ihr Erleben und Erfahren, und je weiter wir uns als Therapeuten davon entfernen, umso fragwürdiger werden unsere Schlussfolgerungen. Natürlich nimmt der Klient bestimmte Aspekte des Veränderungsprozesses nicht wahr, doch wäre es eine gefährliche Fehlentscheidung, deshalb das, was er sagt, völlig zu ignorieren.

Klienten aussagekräftige Berichte zu entlocken, ist eine Kunst. Schriftlich verfasste Berichte und die Beantwortung von Fragebögen liefern zwar auf unkomplizierte Weise Informationen, doch erfassen sie häufig nicht die Nuancen und die Vielfalt dessen, was der Klient erlebt hat. Je besser sich der Fragende in das Erleben eines Klienten hineinversetzen kann, umso klarer und bedeutungsvoller wird dessen Bericht darüber, was er in der Therapie erlebt hat. Insoweit es dem Therapeuten gelingt, seine persönliche Voreingenommenheit beiseite zu lassen und die Antworten des Klienten nicht zu beeinflussen, wird er zum idealen Fragesteller: Der Klient vertraut ihm, und er versteht besser als jeder andere Mensch, was im Inneren seines Gesprächspartners vor sich geht.

Abgesehen von der Sichtweise des Therapeuten und den Berichten des Klienten gibt es noch einen dritten wichtigen Aspekt, der zur Einschätzung der relevanten therapeutischen Faktoren beitragen kann: der Ansatz der systematischen Forschung. Die am weitesten verbreitete Forschungsstrategie besteht darin, die in der Therapie als relevant erkannten Variablen nach Abschluss der Therapie zum tatsächlich erzielten Therapieerfolg in Beziehung zu setzen. Indem man feststellt, welche Variablen in signifikanter Korrelation zum Therapieerfolg stehen, kann man eine rationale Grundlage für die Definition relevanter therapeutischer Faktoren schaffen. Allerdings ist diese Vorgehensweise mit vielen Problemen behaftet: Schon die Erfolgsmessung an sich ist ein methodologischer Morast, und die Variablen auszuwählen und zu messen ist ebenso problematisch.1*10

Um die im vorliegenden Buch erörterten therapeutischen Faktoren herauszukristallisieren, habe ich mich aller genannten Methoden bedient. Trotzdem sehe ich das Ergebnis, zu dem ich auf diese Weise gelangt bin, nicht als »der Weisheit letzten Schluss« an, sondern ich verstehe es als eine Art zeitweiliger Orientierungshilfe, als etwas, das andere klinische Forscher überprüfen und vertiefen können. Was mich persönlich angeht, bin ich vollauf damit zufrieden, dass die therapeutischen Faktoren, die ich definiert habe, auf den besten zur Zeit verfügbaren klinischen und wissenschaftlichen Daten basieren und dass sie die Grundlage eines effektiven Therapieansatzes bilden.

Hoffnung wecken

Hoffnung zu wecken und zu erhalten ist in jeder Psychotherapie sehr wichtig. Hoffnung motiviert den Klienten dazu, die Therapie fortzusetzen, und schafft dadurch erst die Möglichkeit, dass andere therapeutische Faktoren wirksam werden können. Darüber hinaus hat das Vertrauen zu einer Behandlungsmethode auch an und für sich eine therapeutische Wirkung. Aus mehreren Untersuchungen geht hervor, dass die starke anfängliche Erwartung von Klienten, ihnen werde in der Therapie geholfen, in einer signifikanten Korrelation zu einem Therapieerfolg steht.11 Man denke in diesem Zusammenhang auch an die eindrucksvollen Ergebnisse von Untersuchungen, in denen die Wirksamkeit des Gesundbetens und von Placebo-Behandlung dokumentiert wurde – also von Therapien, deren Wirkung ausschließlich auf Hoffnung und Glauben beruht. In einer Psychotherapie ist ein positives Behandlungsergebnis wahrscheinlicher, wenn Klient und Therapeut hinsichtlich der Behandlung ähnliche Erwartungen haben.12 Erwartungen wirken nicht nur auf die Vorstellung. Kürzlich durchgeführte Brain-Imaging-Untersuchungen haben gezeigt, dass ein Placebo keineswegs immer völlig unwirksam ist, sondern durchaus unmittelbar physiologisch auf das Gehirn wirken kann.13

Gruppentherapeuten können diesen Faktor nutzen, indem sie alles ihnen Mögliche tun, um den Glauben ihrer Klienten an die Wirksamkeit der gruppentherapeutischen Behandlungsmethode zu stärken. Diese Aufgabe beginnt vor der eigentlichen Gruppenarbeit, nämlich während der Einführung in die Gruppentherapie, in deren Verlauf der Therapeut positive Erwartungen verstärkt, negative Vorurteile korrigiert und auf klare und überzeugende Weise erklärt, inwiefern die Gruppe zu heilen vermag. (Die Vorbereitungsphase vor Beginn der Gruppentherapie wird in Kapitel 10 ausführlich erläutert.)

Die Gruppentherapie nutzt nicht nur die allgemein zustandsverbessernde Wirkung positiver Erwartungen, sondern profitiert auch von einer Quelle der Hoffnung, die nur im Falle einer Gruppentherapie ihre Wirkung entfaltet. In Therapiegruppen gibt es immer Teilnehmer, die sich an unterschiedlichen Punkten des Problembewältigungs-Zusammenbruchs-Kontinuums befinden. Jedes Gruppenmitglied hat starken Kontakt zu anderen, oft mit ähnlichen Problemen kämpfenden Mitgliedern, die aufgrund der Therapie Fortschritte erzielt haben. Ich habe Klienten oft am Ende ihrer Gruppentherapie sagen hören, es sei für sie ungeheuer wichtig gewesen mitzuerleben, wie andere sich positiv entwickelten. Erstaunlicherweise kann Hoffnung sogar in Gruppen zu einer hochwirksamen Kraft werden, deren Mitglieder mit Krebserkrankungen im fortgeschrittenen Stadium kämpfen, wobei erschwerend hinzukommt, dass die Betreffenden im Laufe ihrer gemeinsamen Arbeit immer wieder erleben, dass andere, die sie sehr geschätzt haben, sie für immer verlassen. Hoffnung ist flexibel; sie definiert sich ständig neu und passt sich so der jeweils aktuellen Situation an, sodass sie zu Hoffnung auf Trost, auf Würde, auf Verbundenheit mit anderen oder auf möglichst wenig körperliches Unbehagen werden kann.14

Gruppentherapeuten sollten sich keinesfalls darüber erhaben fühlen, diesen Faktor zu nutzen, indem sie die Aufmerksamkeit der Gruppe immer wieder auf die Fortschritte einzelner Mitglieder richten. Wenn mir beispielsweise Gruppenteilnehmer, die ihre Therapie kürzlich beendet haben, über die weitere Verbesserung ihres Zustands auch nach Abschluss der Therapie berichten, lege ich stets Wert darauf, dies der Gruppe, mit der ich aktuell zusammenarbeite, mitzuteilen. Oft übernehmen ältere Gruppenmitglieder diese Funktion, indem sie neu hinzugekommenen und noch skeptischen Mitgliedern aus eigenem Antrieb über derartige Erfolge berichten.

Es wurde nachgewiesen, wie ungeheuer wichtig es ist, dass ein Gruppentherapeut sowohl an sich selbst als auch an die Wirksamkeit seiner Arbeit mit der Gruppe glaubt.15 Ich persönlich bin fest davon überzeugt, dass ich jedem motivierten Klienten helfen kann, der bereit ist, mindestens ein halbes Jahr in einer von mir geleiteten Gruppe mitzuarbeiten. Wenn ich mit potenziellen Gruppenteilnehmern Erstgespräche führe, teile ich ihnen dies mit und versuche, sie mit meinem Optimismus anzustecken.

Viele Selbsthilfegruppen (Gruppen für Eltern, die ein Kind verloren haben, für gewalttätige Männer, für Inzestopfer und für Herzpatienten nach einer Herzoperation) verlassen sich in starkem Maße auf die Wirkung des Weckens von Hoffnung.16 Ein Großteil der Zusammenkünfte der Gruppen von Recovery Inc. (einer Organisation, die sich um derzeitige und frühere Psychiatriepatienten kümmert) und der Anonymen Alkoholiker ist dem Zeugnisablegen gewidmet. Bei jeder Zusammenkunft von Mitgliedern von Recovery Inc. berichten die Teilnehmer über erlebte Situationen, die für sie belastend hätten werden können, in denen es ihnen jedoch durch Anwendung von Methoden, die ihre Organisation ihnen beigebracht hat, gelungen ist, eine Verstärkung ihrer inneren Anspannung zu vermeiden. Und erfolgreiche Mitglieder der Anonymen Alkoholiker erzählen bei jeder Zusammenkunft die Geschichte ihres Wegs nach immer weiter unten und ihrer Rettung durch die AA. Eine der großen Stärken der Anonymen Alkoholiker liegt darin, dass die Leiter ihrer Gruppen alle Alkoholiker2* sind und dass sie deshalb für die übrigen Mitglieder als lebender Ansporn fungieren können.

Ähnlich mobilisieren auch viele Programme, die zur Behandlung von Substanzabhängigen eingesetzt werden, bei den Teilnehmern Hoffnung, indem sie ehemalige Drogenabhängige als Gruppenleiter einsetzen. Dadurch werden die Gruppenmitglieder angespornt, und durch den Kontakt mit Menschen, die auf ähnliche Abwege wie sie selbst geraten sind und den Weg zurück gefunden haben, werden ihre Genesungserwartungen gestärkt. Vergleichbar wird bei der Behandlung von Menschen mit chronischen körperlichen Krankheiten wie Arthritis und Herzerkrankungen verfahren. In diesen Selbsthilfegruppen ermutigen eigens ausgebildete Leidensgenossen die Gruppenmitglieder dazu, aktiv an der Verbesserung ihrer körperlichen Situation zu arbeiten.17 Dadurch gelingt es oft, den physischen Zustand der Betreffenden stark zu verbessern, die Krankheitskosten drastisch zu senken und das Gefühl der Patienten zu stärken, dass sie ihrer Krankheit nicht hilflos ausgeliefert sind. Gruppeninterventionen sind aufgrund dieser Vorarbeit oft wirksamer als Einzeltherapien.18

Universalität des Leidens

Viele Menschen haben zu Beginn einer Gruppentherapie das Gefühl, sie seien in ihrem Elend einzigartig und nur sie allein hätten bestimmte erschreckende oder Abwehr auslösende Probleme, Gedanken, Impulse und Fantasien. Darin liegt natürlich ein Körnchen Wahrheit, da die meisten Klienten unter einer ungewöhnlichen Konstellation schwerer Belastungen leiden und ihr Bewusstsein von Zeit zu Zeit von beängstigenden Inhalten ihres Unbewussten überschwemmt wird.

Dies gilt mehr oder minder für uns alle, doch haben viele Klienten aufgrund ihrer extremen sozialen Isolation verstärkt das Gefühl, dass ihre spezielle Situation einzigartig ist. Weil sie so große Schwierigkeiten im Umgang mit anderen Menschen haben, ist es ihnen nicht möglich, echte und tief reichende Nähe zuzulassen. Deshalb merken sie im Alltag nicht, dass andere ähnliche Gefühle haben und Ähnliches erleben wie sie, und sie sind auch nicht in der Lage, die Gelegenheit zu nutzen, sich anderen Menschen anzuvertrauen und dadurch letztendlich von diesen bestätigt und akzeptiert zu werden.

In Therapiegruppen wirkt die Entkräftung des Gefühls der Einzigartigkeit insbesondere im Anfangsstadium der Arbeit sehr entlastend. Nachdem die Klienten andere Gruppenmitglieder über Probleme haben sprechen hören, die ihren eigenen stark ähneln, fühlen sie sich nach eigenen Äußerungen manchmal stärker in Kontakt mit der Welt, und sie beschreiben den Gruppenprozess als ein Erlebnis der »Wiederaufnahme in die menschliche Gesellschaft«. Vereinfacht ausgedrückt kommt dieses Phänomen auch in Redensarten wie »Wir sitzen alle im gleichen Boot« oder auch in dem zynischeren Satz »Not liebt Gesellschaft« zum Ausdruck.

Nichts, was Menschen tun oder denken, ist anderen Menschen völlig fremd. Ich habe Gruppenmitglieder Handlungen wie Inzest, Folter, Einbruch, Unterschlagung, Mord, Selbstmordversuche und Fantasien über noch schrecklichere Taten eingestehen hören, und ich habe in solchen Situationen jedesmal beobachtet, dass andere Gruppenmitglieder sich den Bekennenden sehr nahe fühlten und dass sie offen eingestanden, selbst auch zu solchen Handlungen fähig zu sein. In vielen Fällen wurden die Betreffenden durch das Vertrauen und den Mut des Bekenners sogar dazu angespornt, sich selbst ebenfalls zu offenbaren. Schon vor langer Zeit hat Freud festgestellt, dass die unerschütterlichsten Tabus (die gegen Inzest und Vatermord gerichteten) eben deshalb geschaffen wurden, weil die Impulse dazu dem tiefsten Wesen des Menschen eigen sind.

Hilfe in Form einer Relativierung der Einzigartigkeit persönlichen Leidens spielt nicht nur in der Gruppentherapie eine Rolle, sondern die implizite oder explizite Thematisierung der Universalität des Leidens hat auch in der Einzeltherapie eine wichtige Funktion, wobei in diesem Zusammenhang die konsensuelle Einschätzung der bestehenden Probleme jedoch schwieriger ist, weil Therapeuten ihren Klienten gegenüber nur sehr wenig über ihre persönliche Situation offenbaren.

Während meiner eigenen sechshundert Stunden umfassenden Einzelanalyse habe ich einmal eindrucksvoll die Wirkung des therapeutischen Faktors Universalität erlebt. Ich war gerade dabei, meine extrem ambivalenten Gefühle meiner Mutter gegenüber zu beschreiben, und es machte mir sehr zu schaffen, dass ich nicht nur starke positive Empfindungen ihr gegenüber hatte, sondern ihr gleichzeitig den Tod wünschte, weil ich dann einen Teil ihres Besitzes erben würde. Mein Analytiker kommentierte dies nur mit der simplen Feststellung: »So sind wir eben.« Diese ungeschminkte Äußerung erleichterte mich nicht nur, sondern ermöglicht mir auch, mich gründlicher mit meiner Ambivalenz auseinanderzusetzen.

Trotz der fraglosen Komplexität und Spezifität menschlicher Probleme sind gewisse Gemeinsamkeiten zwischen Menschen deutlich zu erkennen, und die Mitglieder einer Therapiegruppe merken schnell, in welcher Hinsicht sie den übrigen Gruppenteilnehmern ähneln. Das folgende Beispiel veranschaulicht dies: Seit vielen Jahren bitte ich die Mitglieder von T-Gruppen (dies sind keine Klienten, sondern hauptsächlich Medizinstudenten, Ärzte in der psychiatrischen Facharztausbildung, Krankenpflegepersonal, Psychiatriehelfer und Peace-Corps-Freiwillige; siehe hierzu Kapitel 16), bei einer »Top-Secret«-Aufgabe mitzuwirken. Die Betreffenden werden aufgefordert, anonym auf einem Zettel ihr größtes Geheimnis zu notieren, das sie in der Gruppe auf keinen Fall preisgeben wollen. Die Geheimnisse, die auf diese Weise zu Papier gebracht werden, ähneln einander in erstaunlichem Maße, und einige Themen wiederholen sich ständig. Am häufigsten wird der tiefen Überzeugung Ausdruck gegeben, man sei generell unzulänglich – dem Gefühl, man sei im Grunde völlig unfähig und mogele sich mittels Bluff durch das Leben. Als zweithäufigstes Geheimnis wird ein tiefes Gefühl der Entfremdung von anderen Menschen genannt – das Gefühl, man empfinde entgegen allem äußeren Anschein keine echte Liebe und Zuneigung einem anderen Menschen gegenüber und sei dazu auch gar nicht in der Lage. Am dritthäufigsten werden persönliche Geheimnisse sexueller Art genannt. Diese drei größten Sorgen, über die Nichtklienten berichten, sind identisch mit den wichtigsten Problembereichen von Menschen, die psychotherapeutische oder psychiatrische Hilfe suchen. Fast ausnahmslos haben unsere Klienten Probleme mit ihrem Selbstwertgefühl und mit ihrer Fähigkeit, zu anderen Menschen in Beziehung zu treten.3*

Einige sehr spezielle Gruppen, für deren Mitglieder Geheimhaltung ein besonders wichtiger und isolierend wirkender Faktor war, messen ihrer Ansicht über die Universalität des Leidens besonders großen Wert bei. So machen strukturierte Kurzzeitgruppen für Bulimiker die Selbstoffenbarung zur Pflicht, insbesondere Äußerungen über das eigene Körperbild und ausführliche Berichte über Essrituale und Praktiken zur Beschleunigung der Ausscheidung. Fast ausnahmslos zeigen sich die Mitglieder solcher Gruppen sehr erleichtert, wenn sie merken, dass sie sich nicht als Einzige so verhalten, sondern dass andere die gleichen Dinge erleben wie sie und sich in der gleichen Zwickmühle befinden.19

Auch Mitglieder von Gruppen sexuell Missbrauchter profitieren sehr vom Erleben der Universalität ihrer Probleme.20 Ein wichtiger Bestandteil der Arbeit dieser Gruppen ist, dass deren Mitglieder oft zum ersten Mal in ihrem Leben anderen Menschen Einzelheiten über den erlebten Missbrauch und über die im Anschluss daran erlebten verheerenden Empfindungen mitteilen. Die Teilnehmer begegnen in solchen Gruppen anderen, die als Kinder unter ähnlichen Übergriffen gelitten haben, die für das, was mit ihnen geschehen ist, nicht verantwortlich waren und die ebenfalls von tiefen Gefühlen der Scham, Schuld, Wut und des Beschmutztseins heimgesucht wurden. Das Gewahrwerden der Universalität des selbst erlebten Leidens ist oft ein entscheidender Punkt in der Therapie von Klienten, auf denen Schamgefühle, Stigmatisierung und Selbstbeschuldigungen lasten, beispielsweise von HIV-Positiven oder von Menschen, die unter den Nachwirkungen eines misslungenen Selbstmordversuchs leiden.21

Mitglieder homogener Gruppen können besonders authentisch miteinander reden, weil ihnen allen bestimmte Erlebnisse gemeinsam sind. Dies ermöglicht eine Authentizität in der Kommunikation, zu der die Therapeuten selbst nicht immer in der Lage sind. Beispielsweise habe ich einmal als Supervisor einen 35-jährigen Therapeuten betreut, der eine Gruppe für depressive Männer in den Siebzigern und Achtzigern leitete. In einer Sitzung dieser Gruppe hatte ein 77-jähriger Mann, der kurz vorher seine Frau verloren hatte, erklärt, er denke daran, sich umzubringen. Der Therapeut sagte zunächst nichts dazu, weil er fürchtete, was immer er sage, könnte ihn als naiven Grünschnabel erscheinen lassen. Dann meldete sich ein 91-Jähriger zu Wort und beschrieb, wie er nach dem Tod seiner Frau, mit der er 60 Jahre zusammengelebt hatte, völlig verzweifelt gewesen sei und ebenfalls daran gedacht habe, sich umzubringen, dass es ihm jedoch irgendwann gelungen sei, dieses Tief zu überwinden und sich wieder dem Leben zuzuwenden. Diese Äußerung ging dem Leidensgenossen zu Herzen, und er konnte sie nicht so leicht als »naiv« abtun.

In multikulturellen Gruppen muss der Therapeut dem klinischen Faktor der Universalität oft besondere Aufmerksamkeit schenken. Kulturelle Minderheiten in einer von Weißen (bzw. Angehörigen einer bestimmten Nation) dominierten Gruppe fühlen sich aufgrund ihrer kulturbedingt anderen Einstellung gegenüber Selbstoffenbarung, Interaktion und dem Ausdruck von Gefühlen schnell isoliert. Ein Therapeut, der mit einer solchen Gruppe arbeitet, muss den Teilnehmern helfen, die Konzentration auf konkrete kulturelle Unterschiede zu überwinden und sich auf transkulturelle – also universelle – Reaktionen auf menschliche Situationen und Tragödien zu konzentrieren.22 Gleichzeitig muss er die wirksamen kulturellen Faktoren genau im Blick haben. Psychotherapeuten und Psychiatern mangelt es oft in bedauerlichem Maße an Wissen über kulturelle Besonderheiten – eine Voraussetzung für die Arbeit mit Klienten aus unterschiedlichen Kulturen. Es ist für sie unverzichtbar, sich so gut wie eben möglich über die Kultur ihrer Klienten, über deren Bindung an ihre Ursprungskultur oder über ihre Entfremdung von dieser zu informieren.23

Die Universalität des Leidens lässt sich wie die übrigen therapeutischen Faktoren nicht deutlich abgrenzen; sie überschneidet sich mit ihnen. Wenn Klienten erkennen, dass sie anderen Menschen ähneln und dass diese ihre tiefsten Sorgen teilen, profitieren sie auch davon, wenn es bei der Arbeit mit diesen anderen zur Katharsis kommt und sie von ihnen völlig akzeptiert werden (siehe Kapitel 3 über Gruppenkohäsivität).

Mitteilen von Informationen

Zu dieser Kategorie zähle ich sowohl die didaktische Unterweisung des Therapeuten über seelische Gesundheit, seelische Krankheit und allgemeine Grundlagen der Psychodynamik als auch Ratschläge, Empfehlungen oder direkte Anleitungen, die entweder der Therapeut oder andere Klienten geben.

Didaktische Unterweisung

Die meisten Klienten wissen nach Abschluss einer erfolgreichen interaktionsorientierten Gruppentherapie viel über die Funktionsweise der Psyche, über die Bedeutung von Symptomen, über interpersonale Dynamik und Gruppendynamik und über den psychotherapeutischen Prozess. Dieser Lernprozess findet gewöhnlich implizit statt; die meisten Gruppentherapeuten bieten in der interaktionsorientierten Gruppentherapie keine explizite didaktische Unterweisung an. Im Laufe des letzten Jahrzehnts haben jedoch viele gruppentherapeutische Ansätze die formelle Unterweisung oder Psychoedukation zu einem wichtigen Bestandteil ihres Programms gemacht.

Eine eindrucksvolle historische Vorläuferform der Psychoedukation wird Maxwell Jones zugeschrieben, der in den 1940er-Jahren im Rahmen seiner Arbeit mit großen Gruppen seine Klienten wöchentlich drei Stunden lang über Struktur und Funktion des Zentralnervensystems und dessen Bedeutung für psychiatrische Symptome und Störungen aufklärte.24

Auch Marsh, der seine Schriften in den 1930er-Jahren publizierte, hielt die Psychoedukation für sehr wichtig, und er organisierte in den Dreißigerjahren für seine Klienten Kurse, in denen er Vorträge hielt, Hausaufgaben stellte und Noten vergab.25

Recovery Inc., das älteste und größte Selbsthilfeprogramm der Vereinigten Staaten für Psychiatriepatienten und ehemalige Psychiatriepatienten, orientiert sich weitgehend an didaktischen Grundsätzen.26 Diese Selbsthilfeorganisation, die 1937 von Abraham Low gegründet wurde, umfasst heute über siebenhundert aktive Gruppen.27 Die Teilnahme an diesen Gruppen ist freiwillig, und die Gruppenleiter gehen aus den Reihen der Gruppenmitglieder hervor. Die Gruppen werden zwar nicht von professionellen Psychotherapeuten geleitet oder supervidiert, doch ihre Zusammenkünfte verlaufen gemäß einer von Dr. Low entwickelten sehr differenzierten Struktur, und bei jeder Zusammenkunft werden Teile seines Lehrbuchs Mental Health Through Will Training (»Seelische Gesundheit durch Willensstärkung«)28 laut vorgelesen und diskutiert. Psychische Krankheit wird anhand einiger sehr einfacher Prinzipien erklärt, die die Mitglieder auswendig lernen – beispielsweise dass es wichtig ist, störende und hinderliche Verhaltensweisen zu erkennen; dass neurotische Symptome zwar sehr unangenehm, aber nicht gefährlich sind; dass Angespanntheit Symptome intensiviert und erhält und deshalb vermieden werden sollte; und dass die Nutzung des eigenen freien Willens die Probleme von »Nervenkranken« zu lösen vermag.

Auch viele andere Selbsthilfegruppen legen großen Wert auf die Vermittlung relevanter Informationen. Gruppen wie Adult Survivors of Incest (Erwachsene Inzestüberlebende), Parents Anonymous (Anonyme Eltern), Gamblers Anonymous (Anonyme Spieler), Make Today Count (Nutze den Tag – eine Gruppe für Krebspatienten), Parents Without Partners (Alleinerziehende) und Mended Hearts (Patienten, die am Herzen operiert worden sind) fördern den Informationsaustausch zwischen ihren Mitgliedern und laden oft Fachleute zu Gruppenvorträgen ein.29 Wichtig ist, in welcher Art von Umgebung das Lernen stattfindet. Ideal ist eine von partnerschaftlichem Denken und Zusammenarbeit geprägte Atmosphäre, also keine, in der Vorschriften und Unterordnung dominieren.

In der neueren gruppentherapeutischen Literatur wird eine große Zahl spezieller Gruppen beschrieben, die für Klienten mit bestimmten Leiden oder Störungen und für Menschen in bestimmten Lebenskrisen gedacht sind: beispielsweise Gruppen für Patienten mit einer Panikstörung,30 Übergewicht,31 Bulimie,32 Scheidungsproblemen,33 Herpes,34 Koronarerkrankungen,35 für Eltern missbrauchter Kinder,36 für Täter familiärer Gewalt,37 Trauernde,38 Aids-Kranke und HIV-Positive,39 Menschen mit sexuellen Funktionsstörungen,40 Vergewaltigungsopfer,41 für die Anpassung des Selbstbilds nach einer Brustamputation,42 für Patienten mit chronischen Schmerzen,43 für Patienten, die eine Organtransplantation erhalten haben44, und Gruppen für die Rückfallprävention bei Depression.45

Diese Gruppen ermöglichen ihren Mitgliedern nicht nur, einander zu unterstützen, sondern beinhalten gewöhnlich auch eine psychoedukative Komponente, da sie die Mitglieder genau über das Wesen ihrer Krankheit oder ihrer speziellen Lebenssituation informieren und ihnen helfen, sich mit eventuellen falschen Vorstellungen über ihre Krankheit und mit kontraproduktiven Reaktionsweisen auf diese auseinandersetzen. Beispielsweise beschreiben die Leiter von Gruppen für Klienten mit Panikstörungen die physiologische Ursache von Panikanfällen: dass starker Stress und ein erhöhtes Erregungsniveau die Adrenalinproduktion verstärken, was Hyperventilation, Kurzatmigkeit und Schwindelgefühle hervorrufen kann, die der Klient wiederum falsch deutet (»Ich sterbe« oder »Ich werde verrückt«), wodurch ein Teufelskreis entsteht. Die Therapeuten solcher Gruppen weisen darauf hin, dass Panikattacken nicht gefährlich sind; sie leiten die Gruppenmitglieder zunächst dazu an, einen leichten Panikanfall auszulösen, und bringen ihnen später bei, Panikanfälle zu vermeiden. Sie lehren sie, bestimmte Atemtechniken richtig einzusetzen, und schulen sie in der Technik der progressiven Muskelentspannung.

Auch die relativ neue Methode der Stressverringerung mithilfe der Achtsamkeitsmeditation wird häufig im Rahmen von Gruppen vermittelt. Durch die Entwicklung einer disziplinierten Fokussierung lernen deren Mitglieder, ihre Gedanken und Gefühle klar, akzeptierend und nicht urteilend zu beobachten und so ihren Stress, ihre Angst und ihre Anfälligkeit für Depression zu verringern.46