Thomas Rendalen - Bjornstjerne Bjornson - E-Book

Thomas Rendalen E-Book

Bjornstjerne Bjornson

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Beschreibung

Ein historischer Roman des norwegischen Schriftstellers und Literatur-Nobelpreisträgers. Bjørnson verfasste unter anderem die norwegische Nationalhymne Ja, vi elsker dette landet und war der Begründer des Riksmålsforbundet.

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Thomas Rendalen

Bjornstjerne Bjornson

Inhalt:

Bjornstjerne Bjornson – Biografie und Bibliografie

Thomas Rendalen

1. Das Gut und seine Bewohner.

2.Was sich auf dem Gute weiter begab.

3.John Kurt.

4.Ein Genie.

5.Thomasine.

6.Ein Eheleben.

7.Die Folgen.

8.Eine Entthronung.

9.Auf dem »Berge«.

10.Erziehungssorgen.

11.Die letzten Flegeljahre.

12.Die Rede.

13.Eine große Rede und eine kleine Stadt.

14.Der Generalstab.

15.Der Verein.

16.Auf der Treppe.

17.Frau oder Kind?.

18.Im Taubenschlag.

19.In den Ferien.

20.Auf der Jagd.

21.Bei Hofe.

22.Eine Unglückliche.

23.Abrechnung.

24.Krieg.

25.In beiden Lagern.

26.Man flaggt in der Stadt und im Hafen.

Thomas Rendalen, B. Bjornson

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

Loschberg 9

86450 Altenmünster

ISBN: 9783849604974

Cover Design mit Erlaubnis der norwegischen Nationalbibliothek, Bild #no-nb_blds_01191

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

Bjornstjerne Bjornson – Biografie und Bibliografie

Norweg. Dichter, geb. 8. Dez. 1832 in Österdal als Pfarrerssohn, verlebte seine Kindheit in der mächtigen Natur von Romsdal, studierte in Christiania seit 1852, begann seine literarische Tätigkeit mit Kritiken und Feuilletons, eroberte sich das ganze Publikum mit der originellen Bauerngeschichte »Sýnnöve Sólbakken«, debütierte als Bühnendichter mit dem Einakter »Zwischen den Schlachten« (gedruckt 1858) und wurde 1857 als Theaterdirektor nach Bergen berufen. Als Redakteur der »Bergenspost« (1858) verwickelte er sich in leidenschaftliche Polemiken und zog, um Muße für seine dichterische Tätigkeit zu gewinnen, nach Rom, Deutschland und Frankreich (1860–63). In dieser Zeit entstanden seine epochemachenden Bauerngeschichten: »Arne« (1858), »Ein frischer Bursche« (1860) u. a., die Dramen: »Hinkend'-Hulda« (1858), »König Swerre« (1861) und die Trilogie »Sigurd Slembe« (1862). Kurz nach seiner Rückkehr gewährte ihm das Storthing eine Dichtergage (1800 Kronen), auf die B. 1885 verzichtete, weil sie Kielland verweigert wurde. 1865 bis 1867 leitete er das Theater zu Christiania, gab 1866–71 das »Norwegische Volksblatt« heraus, bildete 1870 eine Art freie Bühne, hielt in Skandinavien literarische Vorträge und zog 1873 wieder nach Deutschland und Rom. 1875 erwarb er ein Gut in Gudbrandsdal und wohnt jetzt abwechselnd dort und im Auslande, vorzugsweise in Paris. In Björnsons Schaffen lassen sich zwei Entwickelungsstufen unterscheiden: 1) eine romantisch-religiöse bis 1874, in der er, außer den oben erwähnten, die folgenden Werke schuf: die historischen Dramen »Maria Stuart in Schottland« (1864) und »Sigurd Jorsalfar« (1872), das seine Lustspiel »Die Neuvermählten« (1865, 10. Aufl. 1891), das Epos »Arnljot Gelline« (1870) und die kernigen »Gesammelten Gedichte und Gesänge« mit der Nationalhymne Norwegens (1870); 2) eine realistisch-kritische seit 1874. Seine feine psychologische Beobachtungsgabe und sein scharfer Wirklichkeitssinn führen ihn künstlerisch dem Naturalismus zu. Er wird aggressiv, reformatorisch, polemisch. Die Bühnenwerke dieser Periode sind: »Ein Fallissement« (1874), »Der Redakteur« (1875), »Der König« (1877), »Leonarda« (1879), »Das neue System« (1879), »Ein Handschuh« (1883; die darin ausgesprochene Keuschheitsforderung für Männer rief eine Flut dichterischer Entgegnungen hervor), »Über die Kraft« (1. Teil 1883, 2. Teil 1895), das treffliche Lustspiel »Geographie und Liebe« (1885), das politische Schauspiel »Paul Lange und Tora Parsberg« (1898), zuletzt »Laboremus« (1901); die Romane: »Magnhild« (1877), »Kapitän Mansana« (1879), »Det flager i byen og paa havnen« (1884; deutsch von Jonas: »Das Haus Kurt«, Berl. 1886, und von W. Lange: »Thomas Rendalen«, das. 1902); »Ragni« (»Paa Guds veje«, 1889), die »Neuen Erzählungen« (1893). Björnsons Stil ist bei allem Detailreichtum kurz, knapp. Er besitzt eine mächtige Rednergabe, vermöge deren er im Kampf um seine Ideale: Norwegens politische Selbständigkeit und die nationale Hebung des Bauernstandes, viele Siege über seine zahlreichen Gegner davongetragen hat. Fast alle Werke sind mehrfach übersetzt (deutsch von Lobedanz, Jonas u. a., zum größten Teil in Reclams Universalbibliothek). Seit 1900 erscheint in Kopenhagen eine Volksausgabe seiner »Samlede Værker«. Vgl. G. Brandes, B. og Ibsen (Kopenh. 1882); Derselbe, Moderne Geister (4. Aufl., Frankf. 1901); Chr. Collin, B. B. (deutsch, Münch. 1903, 2 Bde.).

Thomas Rendalen

1.  Das Gut und seine Bewohner.

Vermutlich war das Gut entstanden, wie die meisten großen Besitzungen in allen Ländern und zu allen Zeiten: durch das Recht des Stärkeren; vielleicht durch mehr oder minder erzwungene Heiraten oder durch ehrlichen Kauf; vielleicht aber auch durch Überlistungen, Betrügereien und andere Niederträchtigkeiten; wir wissen es nicht mehr.

Vor zweihundert Jahren war es ein sehr umfangreiches Besitztum. Der Haupthof lag damals, wie noch heutigen Tages, am waldbekleideten Bergeshang über der Stadt. Und die ganze Stadt kann man von dort überschauen, sowohl die Altstadt diesseit des Hafens wie die Neustadt drüben auf der Landzunge, die den Hafen gegen das Meer schützt. Doch liegt die Landzunge nicht offen vor dem Meere selbst: es befinden sich dort Inseln und Schären, und zwischen diesen Inseln und Schären haben sich zwei Einfahrtssunde gebildet. Dies alles und eine weite Meeresfläche überschaut man vom Gute aus. In noch weiterer Ferne gewahrt man rechts den Elv, der sich schäumend zwischen seinen Lehmufern in den Hafen stürzt. Einst gehörten der Elv und alle Anlagen an seiner Mündung zum Gute; ebenso der ganze Grund und Boden der Stadt, die Inseln und die Küstenstrecke. Dann weiter am Elv hinauf die untersten Gehöfte sowie die Waldungen. So war es vor zweihundert Jahren.

Das Hauptgebäude des Gutes ist ein großes massives Haus, über welches ein kurzer, plumper Turm emporragt. An der rechten Seite hat es einen langen Flügel; der linke fehlt merkwürdigerweise. Hinter dem Hause liegen eine Menge alter, massiver Gebäude, die als Stallungen und Wohnungen für das Gesinde dienen. Von der großen, halbrunden Haupttreppe des Hauses führt eine ehrwürdige Allee bis zum Marktplatz. An beiden Seiten der Allee ist eine hohe Steinmauer aufgeführt, und auch diese zieht sich fast bis zum Markte; denn so weit reicht der Garten, den die Allee durchschneidet. Zu beiden Seiten der Gärten sowie zwischen diesen und der Stadt befinden sich offene Felder. Oberhalb der Häuser ziehen sich den Berg hinauf Laubwälder, worin jedoch die Nadelhölzer wieder ihren stillen Krieg begonnen haben. In alten Zeiten nämlich herrschte hier unumschränkt die Nadelwaldung.

Wer hat diese großen Anlagen gemacht, diese ungeheuren Häuser gebaut? fragt jeder, der zum erstenmal die Häuser des Gutes und die Gärten erblickt.

Es war vor mehr als zweihundert Jahren, so um 1660, als ein deutscher Schiffer namens Kurt zum erstenmal mit einem Schiff im Hafen einlief, das er dort neu bemalen und betakeln ließ; vermutlich, um es unkenntlich zu machen. Jetzt wissen wir, daß er wegen einer Gewalttat längst aus seinem Vaterlande vertrieben war und aus einer großen deutschen Fürstenfamilie stammte, die noch jetzt einen berühmten Namen trägt. Es hat keinen Zweck, ihn hier mitzuteilen. Er nannte sich nur mit seinem Vornamen Kurt. Noch hatte er sich nicht lange dort aufgehalten, als er um die Tochter und Erbin des Gutes freite; wobei er sich, wie aus dem Nachstehenden zu ersehen, keinerlei Zwang antat.

Zu Beginn des achtzehnten Jahrhunderts hat ein alter Küster und Kantor »bei Sankt Marien« eine Beschreibung der Stadt und des Gutes verfaßt; und dieser Chronist schildert uns die Brautwerbung und das fernere Schicksal des deutschen Flüchtlings folgendermaßen:

»Es war die wohlgeborene Jungfrau Ingeborg Klaustochter, um die er warb. Und sie versteckte sich auf dem Boden, im Keller und im Stall, auch lief sie wohl hinaus in Wald und Feld, so oft der riesenstarke ausländische Schiffer Kurt auf die Freierei kam; denn dann war er gewöhnlich betrunken. Der wohlgeborene Herr Klaus Matthiassohn mußte ihm Bier aus seinem Keller holen und ihm ferner vorsetzen, was jenem zu begehren beliebte, und hernach schlug Kurt ihn fast zuschanden, wenn Herr Klaus das Jungfräulein ihm nicht zur Zwiesprache herbeischaffen konnte, und jagte auf dem Hofe hinter allem her, was Leben hatte. Und er tat den Schwur, jedwedem den Hals umzudrehen, der sich erdreisten möchte, sie zu seinem Eheweib zu nehmen; desgleichen ihr selbst und ihrer Sippe, sofern sie einem andern, als ihm zu Willen sein sollte.

Und den Hans Fürst am Markt – gegenüber der Sankta-Mariakirche – dem die Leute nachsagten, auch er gehe auf Freiersfüßen, suchte Kurt am Karfreitagmorgen, da Hans noch in seinem Bette lag, auf und schlug ihn dermaßen mit einem gewaltigen Prügel, daß Hans lange Zeit bloß eine blutige Masse war. Hans Fürst getraute sich nicht in der Stadt zu bleiben, wenn der Schiffer Kurt mit seinen Fahrzeugen kam, was von nun an recht häufig geschah. Imgleichen der Bürgermeister Herr Bernhard von Klüwer, der ihn zur Rechenschaft ziehen wollte. Kurt verankerte seine Schiffe just bei denen des Bürgermeisters; denn da hatte er zwei, sowie Kanonen und eine Bemannung, Und der Bürgermeister wagte es nicht mehr allein auszugehen und seines Amtes zu walten, sondern verließ die Stadt. So geschah es, daß diese wohl ein Jahr lang ohne Oberhaupt war. Aber dann ward ein Deutscher, der Kurt in allen Dingen zu Willen war, zum Bürgermeister gewählt. Der frühere bekam anderswo ein Amt.

Es wurde allgemein von Kurt behauptet, daß er sein erstes Schiff durch Räuberei in der Nordsee bekommen. Später fuhr er mit zwei Schiffen, und die Leute hielten es für ausgemacht, daß er auch dieses sich einfach geraubt habe. Aber seine Schiffsleute ließen nichts darüber verlauten, und so ward er von niemand behelligt.

Und also ging es zu, daß er die Hand des Edelfräuleins erhielt. Es kam ein Schreiberbursch von seiner hohen Exzellenz dem Statthalter Ulrich Friedrich Güldenlöwe mit einer Verfügung von dem Allergnädigsten, nunmehr hochselig im Herrn ruhenden König Friedrich III. an den edelgeborenen Klaus Matthiassohn auf dem Gute, sowie an den Rat und die Bürger der Stadt, daß sie es für den Schiffer Kurt, der von einem hochadligen Geschlecht in Deutschland abstamme, so einrichten sollten, daß er die wohlachtbare Ingeborg Klaustochter zu seinem ehelichen Gemahl erhalte, allen denen seine königliche Huld und absonderliche Gewogenheit verheißend, so Herrn Kurt hierin ohne Verzug zu Diensten wären.

Da geschah des Königs Wille. Der Schreiberbursch aber war mit Sören Rasmussen seiner Jacht von Oslo (Christiania)gekommen und war ein Deutscher, der nur unvollkommen die dänische Sprache redete. Und dieser verlangte große Aufwartung, die ihm auch zuteil wurde, denn er ward auf dem Rathaus einquartiert und eingeladen, bis zur Hochzeit zu verbleiben und bis dahin bei unterschiedlichen Bürgern fürlieb zu nehmen. Die Hochzeit ward mit großem Pomp, aber unter vielen Tränen des Edelfräuleins Ingeborg, sowie ihres Vaters Klaus Matthiassohn gefeiert, denn dieser wußte, daß es nun mit seinen guten Tagen vorbei war. Aber am Hochzeitstage betrank sich Kurt, und da fiel er über den Schreiberbursch her, prügelte ihn und jagte ihn von der Tafel. Dieweil er nicht würdig sei, mit ehrenhaften Männern und deren Frauen zusammenzusitzen. Denn er war nicht Schreiber bei dem Statthalter, sondern ein vagabondierender Bader, der bei Kurts Schwager im Pommerschen Waldhüter gewesen.

Aber der Bader flüchtete nach der Landzunge und um dort auf den nördlichen Holm, von wo er einem vorübersegelnden Schiffe zurief und an Bord stieg. Hiermit wäre die Hochzeit zu Ende, aber darum kümmerte sich Kurt wenig, denn nun hatte er die Braut.

Und also ging es zu mit dem Betrug: Schiffer Kurt war in Oslo gewesen und hatte dort einen Holsteiner Georg von Bregentwedt, getroffen, der Rittmeister war und den Statthalter im Kriegshandwerk unterstützte. Und Georg von Bregentwedt und Kurt kannten einander von Deutschland her, und dieser Georg war ein großer Spitzbube mit vielen lustigen Einfällen, und so war er Kurt bei dem Schelmenstück mit dem Königsbrief behilflich. Der Bader aber mußte ihn anfertigen.

Der alte Klaus Matthiassohn reiste sofort hinunter nach Kopenhagen, um seine Sache dem König vorzutragen, bei welchem er auch dreimal Audienz hatte. Und der König geriet jedesmal in einen gewaltigen Zorn, muß aber die Klage über andern Staatssorgen wieder vergessen haben. Denn Kurt hatte Landsleute am Hofe. Inzwischen gingen die Gelder aus, mit denen Klaus Matthiassohn sich versehen, und Kurt hatte das Gut genommen und weigerte sich, ihm Geld zu schicken, wie er auch die bedrohte, so ihm helfen würden. Und da inzwischen Klaus von seiner Tochter einen heimlich mit einem Jachtschiffer geschickten Brief erhielt, daß sie nun bald Mutter würde, daß aber Kurt es mit anderen Weibern auf dem Gut und in der Stadt hielte, da achtete Klaus es seiner nicht mehr würdig, nach Hause zurückzukehren. Und niemand hat später wieder von ihm gehört. Klaus Matthiassohn war von dänischer Herkunft und ein braver Mann.

Aber das Gut war dazumal eine außerordentlich große Besitzung mit vielen Gerechtsamen und Pertinenzien, wie auch dem Eigentumsrecht am Elv mehrere Meilen aufwärts. Denn alle Waldungen und Gehöfte gehörten damals zum Gute. Und Kurt legte in der Nähe des Flusses eine große Ziegelei an und rief viele Holländer ins Land. Ebenso errichtete er eine Schiffsbauerei, welche der Stadt großen Nutzen und Gewinn gebracht hat. Auch erbaute er eine höchst kunstvolle Sägemühle, wesgleichen man zuvor niemals gesehen.

Und er reiste hinunter zum König, das war dazumal unser großmächtigster Erbfürst und Herr König Christian V., jetzt hochselig im Herrn ruhend, um mit Hilfe seiner mächtigen, fürnehmen Landsleute am Hofe in königliche Gunst und Gewogenheit zu kommen. Auch hatte er unterschiedliche Male Audienz und belustigte den König mit seiner großen Stärke wie auch mit seiner ganzen Person. In aller Untertänigkeit sagte er dem König, es sei ein altes Herkommen, daß der König, wenn er in die Gegend zu kommen geruhe, auf dem Gute einkehre. Zwei Könige hätten dort geschlafen, der hochselige König Christian IV. sogar zweimal. Und erwarte er in aller Untertänigkeit dieselbe Gnade. Und der König versagte sie nicht. Aber des Kurt Absicht dabei war, wieder in die adligen Rechte und Gerechtsame eingesetzt zu werden, die ihm in seinem Vaterlande aberkannt waren. Und er reiste wieder heim und beschloß in seinem Hochmut, das alte Haus auf dem Gute, wenn es schon in jeder Hinsicht ein ausgezeichnetes Haus war, groß und kostbar, niederzureißen und an dessen Stelle ein Schloß zu bauen, dem König zu Ehren, wenn er ins Land komme.

Und er legte sofort Hand an. Aber da sein Sinn sich auf das Haus des Hans Fürst, gegenüber Sankta Maria am Markt, richtete, nämlich zu seiner Wohnstatt, während das neue Schloß gebaut wurde, so vertrieb er besagten Hans daraus, bis das Schloß unter Dach und Fach gebracht war. Das ging also zu. Er verbot den Matrosen und Handwerkern und Fischern, bei Hans Fürst irgendwelche Gerätschaften zu kaufen. Denn Kurt hatte von Anbeginn den gemeinen Mann auf seiner Seite. Liederliches Seevolk und seine Freunde sind ja nicht wie Landleute, sie halten es mit dem, der Macht über sie hat. Sie und ihre Vorfahren haben sich zu Wasser und zu Lande von jeher niederträchtig behandeln lassen. Sie gedeihen nicht, wenn sie nicht kommandiert, beschimpft und geprügelt werden und bei des Schiffers Lotterleben assistieren können.

Aber zugleich übergab Kurt diesen Seeleuten und Handwerkern den Berg zur freien Bebauung, so viele dort nach allen Seiten Platz finden konnten. Des weitern billiges Bauholz, so daß es jetzt eine ganz weithin sichtbare Stadt ist. Und ganz oben auf der Spitze haben die Lotsen sich einen Auslug gebaut.

Es mag dreist behauptet werden, daß ohne diese Vergunst gegen den gemeinen Mann Kurt und sein Geschlecht niemals so hätten regieren und wirtschaften können, wie es bis auf diesen Tag geschehen. Je ärgere Gewalttaten sie begingen, um so mehr stiegen sie in den Augen des gemeinen Mannes. Denn also ist seine Art.

Und darum konnte es Kurt getrost unterlassen, wegen seiner Verbrechen Buße zu zahlen. Ja, er zahlte überhaupt niemals einem Menschen etwas bei seinen Lebzeiten! Noch gibt es in unserer Gegend ein Sprichwort, das die Leute gebrauchen, so jemand Buße verlangt: »Mit dem Tauende geb' ich dir Buße, du verdammter Bauer-Bonde!« Denn richtig hat er unsere Sprache nie gesprochen, und jeden Menschen, auf den er zornig wurde, nannte er einen Bauer-Bonde. In seinem Lande nämlich soll der Bauer in großer Verachtung stehen und kaum mehr als ein Tier gelten; er besitzt weder Haus noch Grund und Boden, sondern arbeitet nur für die Herrschaft, er und seine ganze Familie. Und davon kann er vor dem Tode nicht loskommen; ganz wie in Dänemark.

Aber anbelangend besagten Hans Fürst, so hatte er nichts anderes als seinen Handel und mußte darum auf die andere Seite des Marktes ziehen, in des Siegfried Brandenburg altes Haus; in das zur Linken; denn er hatte zwei. Und darin wohnte er, bis Kurt sein Schloß bezog.

So wie dieses jetzt ist, hat Kurt nicht das Ganze gebaut. Er hat nicht den großen rechten Flügel erbaut und nicht die großen Wirtschaftsgebäude. Auch die große Gartenmauer zu beiden Seiten hat er nicht aufführen lassen; das hat sein Sohn getan. Aber das große Haus mit der prachtvollen Treppe und dem Turm hat er gebaut, ebenso die Allee angelegt zwischen den beiden Mauern; denn früher war dort nur ein Weg, und der war nicht der gerade, sondern führte rechts um den Garten herum, wie man noch jetzt sehen kann. Desgleichen sind die Bäume zu beiden Seiten dieser großen Allee samt und sonders von Kurt selbst gepflanzt; denn in diesen Dingen hatte er eine glückliche Hand, was er wohl wußte. Und auch der größte Teil des Gartens, den man jetzt zu beiden Seiten des Gutes erblickt, ist von ihm angelegt, und er ließ gar viele neue und kostbare Bäume setzen und Pflanzen und Blumen aus Holland kommen, an denen seine gemütskranke Ehefrau ihre Freude hatte, wenn sie frei umhergehen durfte; denn sie war eine große Blumenfreundin.

Auch das Innere des Schlosses rührt zumeist nicht von Kurt her; denn was er darin einrichtete, machte sein Sohn, Herr Adler, wieder anders; denn so nannte er ihn nach dem großen Seehelden Kurt Adler. (Es war eine Art Scherz von Kurt, daß er des Admirals Namen umkehrte und seinen Sohn Adler nannte.) Das königliche Bett aber und die übrigen Mobilien in der Königskammer, die noch jetzt gezeigt wird, die waren auch nicht von Kurt. Was dieser dazu angeschafft hatte, steht jetzt in dem zweiten Zimmer vom Eingang links; in dem Bett schlief Herr Adler selbst. Dort stehen auch die Mobilien. Aber für die Königskammer schaffte Herr Adler alles neu aus Holland an, indem er selbst mit seinen Schiffen von Kopenhagen dorthin reiste und es mitbrachte.

Das war dazumal, als er die Tapeten kaufte, welche jetzt in der Königskammer neben seinem Schlafgemach hängen, sowie auch die große Karosse, von welcher wir später handeln werden. Dagegen stammen sämtliche Schildereien in der güldnen Kammer aus Kurts Zeit. Die in dem Rittersaal sind kopieret nach denen Originalen in seiner Väter Schloß und stellen seine Ahnherren und Ahnfrauen vor.

Ich habe ganz vergessen zu erzählen von dem Turm, der nicht vollendet wurde, sowie auch, aus wes Ursache nicht. Derjenige, welcher von Anfang an dem Bau vorstand, war ein Meister aus Lübeck. Und er ward des Unternehmens überdrüssig, so oft er Geld verlangen mußte, und reiste heimlich fort. Herr Kurt setzte ihm nach auf einem schnellsegelnden Schiffe, das einem Dänen gehörte, der gerade im Hafen lag; aber er holte den Baumeister nicht ein. Der war aus Holstein oder da herum. Kurt hatte dazumal ein Frauenzimmer von großer Schönheit bei sich. Sie war eines vlamländischen Schiffers Weib, das Kurt zu sich gelockt hatte und das er nicht wieder auslieferte, so daß der Schiffer ohne sie weiterfahren mußte. Zu dieser faßte der Baumeister große Liebe und sie zu ihm. Da malträtierte Herr Kurt sie beide in schrecklicher Weise und ließ sie nackt hinunter auf den Markt jagen. Dann entflohen sie mit einem Boote. Der Baumeister war ganz zuschanden geschlagen. Ich weiß nicht, was ferner aus ihm und dem Schifferweib geworden.

Da ließ Kurt den Turm liegen, der sehr schwer zu bauen war. Und es ging die Rede, daß der König im Sommer kommen wolle, und so ließ er das breite Dach darüber bauen und mit Ziegelsteinen bedecken. So steht der Turm noch heutzutage, denn niemand hat seitdem wieder daran gerührt.

Kurt hatte sich in außerordentliche Kosten gestürzt wegen der großen Ehre, den König unter seinem Dach zu sehen. Damals war noch das ganze Gut beisammen. Zu jener Zeit waren die Anhöhen zu beiden Seiten des Elv und der Talgrund, soweit das Auge reichte, mit Nadelwaldung bedeckt. Desgleichen die Inseln. Das ward später anders, als die Kaufleute die Waldungen als Faustpfand nahmen. Aber diese Verpfändung begann schon zu Kurts Lebzeiten.

Nunmehr ist noch von Kurts übrigem Leben zu berichten. Zunächst, daß seine Frau von früh auf gemütskrank war. Sie war ein außerordentlich feines Geschöpf und mochte ihn, wie er war, nicht leiden. Da ward sie eingesperrt. Noch jetzt kann man in der Kammer zur Linken Spuren und Zeichen vor der Tür von ihr sehen, da wo sie hinaus wollte und nicht konnte. Ebenso kann man noch Merkmale an den Eisenstangen vor dem Fenster sehen, welche Kurt einsetzen ließ, als sie einmal hinunter in den Garten gesprungen war und großen Schaden genommen hatte. Als das Schloß nach Kurts Tode allen offen stand und seine Söhne im Auslande waren, da konnten wir sehen, was sie ringsherum an die Wände geschrieben. Denn Kurt achtete dessen nicht und auch diejenigen nicht, so das Gut während der Minderjährigkeit und Abwesenheit der Knaben verwalteten. Aber die Söhne ließen die Wände abwaschen. Auch ich sah die Inschriften, da ich als Studiosus hierher in die Stadt kam. Es waren zumeist Gesangbuchverse; aber auch Klagen und artige Einfälle, die mich wegen ihrer Treuherzigkeit rührten. So ein Spruch auf eine Himbeere, welche erfroren. Das ist der lieblichste Anblick der Natur, schrieb sie, und dessen habe ich später oft gedenken müssen.

Aber eine Historie muß ich berichten, welche sich zutrug, als sie gesund war und mit Meneer van Geelmuyden, Herrn Kurts besonderem Freunde, einem gespaßigen Mann, zu Tische saß. Plötzlich überkam sie wieder die Tollheit und sie warf ihr Messer nach Kurt und sagte, heut habe ihr jemand gesagt, Kurt habe hundert Kinder in der Stadt herumlaufen. Da äußerte Meneer van Geelmuyden launig:

»Hochverehrte Frau Ingeborg, von dem, was böse Menschen sagen, darf man nie mehr als die Hälfte glauben.«

Da lachten Kurt und alle seine Gäste über alle Maßen, und wegen dieses Wortes beschenkte Herr Kurt Meneer van Geelmuyden, auf den er auch sonst großes Fidutz setzte, mit dem Hause am Bommen, das mit dem fast zwei Ellen weit überbauten zweiten Stock neben dem Hause des Bürgermeisters liegt. Zum Gedächtnis an jenen pikanten Ausspruch ward das Haus bon mot genannt, woraus das gemeine Volk Bommen gemacht hat, und so heißt jetzt die ganze Straße.

Wohl niemals leerten sie auf dem Gute die Gruben, ohne daß Kinderleichen darin gefunden wurden. Denn er lebte ein Lotterleben mit seinen Dienstmädchen und den Weibern, die er in sein Haus lockte. Als der nunmehr selig im Herrn entschlafene Bischof von Christiansand, der hochehrwürdige Magister Jersin, auf seiner Visitatsreise kurz vor dem Tode des Kurt die Stadt besuchen wollte, und Kurt das zu Ohren kam, erbat er sich vom Bischof die Gnade, ihn während seines hiesigen Aufenthalts zu beherbergen und zu bewirten, was der Bischof auch nicht abschlug. Da fuhr ihm Kurt mit einem seiner Schiffe entgegen und nahm den Stadtpfarrer und den Rat und des Königs treue Diener und viele Bürger mit sich und veranstaltete dem Bischof zu Ehren an Bord eine große Gasterei. Und alle kamen sie in einem solchen Zustande an Land, daß es ein großes Spektakulum war. Kurt führte den Bischof, und als sie an die Prachttreppe am Schloß gekommen waren und hinaufgehen wollten, da wendete der Bischof sich um und sagte so laut, daß alle es hörten, das sei die größte Treppe, die er hierzulande gesehen. Darauf antwortete Kurt: »Diese Treppe, bischöfliche Gnaden, hat noch eine andere Eigenschaft; es sind nämlich mehr Jungfrauen hinauf- als hinabgestiegen,« Ich habe dies von einem, der damals noch jung war, aber mit dem Willkommsbier auf der Treppe stand, um es Herrn Kurt zu geben, der dem Bischof zutrank und ihm dann den Krug überreichte. Aber der auf der Treppe stand, war der spätere Ratsherr Niels Ingebrechtsohn, der dazumal bei Kurt Schreiber war; dieser erzählte es.

Und nun von dem Tode des Kurt. Damit ging es also: Es war ein Bauer in die Stadt gekommen mit Weib und Tochter, und wenngleich eine große Menge Bauern zu der Zeit in der Stadt war, so hatte doch noch niemand so schöne Leute gesehen, und davon wurde bei einem Gelage auf dem Gute erzählt. Absonderlich die Tochter ward sehr gepriesen. Da geschah es, daß am folgenden Tage der Bauer samt Weib und Tochter sich auf dem Schlosse einfanden, als Kurts geladene Gäste. Und dort wurden sie wie seine Leute traktieret und in allen Räumlichkeiten umhergeführt. Aber das Ende davon war, daß unterschiedliche von Kurts Leuten dazukamen und die Tochter vom Vater getrennt und vergewaltigt wurde.

Sie war über alle Maßen erbittert und bat den Vater eine große Buße zu verlangen. Und das tat der Vater; aber Kurt kehrte sich an nichts. Da führte der Bauer Klage bei des Königs Vogt, der ihm den Rat gab, sich das gefallen zu lassen; sintemalen noch kein Mensch Buße von Kurt erlangt, weil er die ganze höhere Obrigkeit auf seiner Seite habe, die geistliche, militärische und weltliche, sowie auch viele Patrone an des Königs Hof. Und dazu könne Kurt ganz sicher auf den gemeinen Mann hier in der Stadt bauen.

Aber der Bauer ging allein hinauf zu Kurt, und er traf ihn auf dem Hofe hinter dem Stall, und dort verlangte er wieder Buße. »Ich gebe dir Buße mit dem Tauende, du. verdammter Bauer-Bonde,« antwortete Kurt; das war seine gewöhnliche Rede. Da packte der Bauer Herrn Kurt und hob ihn wie ein Kind von der Erde und nahm sich seine Buße mit seinem Messer. Und es war niemand auf dem Hof als ein paar Frauenzimmer samt einem alten Stallknecht. Die standen da und sahen zu. Dann warf der Bauer Kurt auf den Düngerhaufen. Dort endete er sein Leben.

Die Leute wollten es nicht sogleich glauben und kamen hinauf aufs Gut. Noch niemals zuvor hatte Kurt gegen irgend jemand verloren, und nun war er wie ein kleines hilfloses Kind gepackt worden. Und dann ging die Rede, der Gottseibeiuns selbst sei in der Stadt gewesen und habe das Strafgericht vollzogen. Und das wurde erhärtet dadurch, daß der Bauer später nicht zu finden war und auch niemand seinen Namen angeben konnte, weil niemand von den Bauern, die damals in der Stadt waren, ihn kannte. Aber die Bauern können schweigen, so daß dieses nicht feststeht.

Wer es nun auch gewesen, so hatte Gott, der Allmächtige, sich offenbaret. Denn ohne seinen Willen fällt kein Sperling vom Dach. Er hat sich seine Wege zum voraus gezeichnet, und darum sollte der große Sünder dort auf dem Düngerhaufen sein Leben enden. Gottes Name sei hochgelobt in Ewigkeit, Amen!

2. Was sich auf dem Gute weiter begab.

Kurts Söhne waren zu jener Zeit in Kopenhagen bei dem Magister Owe Gude. Mit diesem reisten sie auch später ins Ausland und hielten sich namentlich bei Kurts vornehmen Verwandten längere Zeit auf. Dann kam Adler nach Hause, um das Gut zu übernehmen. Aber Max blieb im Ausland und widmete sich, da er große Rednergaben besaß, der Gottesgelahrtheit.

Herrn Adler bekam man in der Stadt nur sehr selten zu sehen, und niemals ging er darin promenieren, sondern ließ sich in einer Portechaise tragen, begleitet von Dienern in großer Livree. Ebenso war's auf dem Schloß; da stand der eine Diener dem andern im Wege, und alle gingen stets gekleidet wie zu einem Fest bei einem großen Fürsten. Herr Adler lebte ganz für sich, er hatte keinen Umgang mit den achtbaren Bürgern der Stadt, die in seinen Augen nichts waren. Nach und nach wurde Herr Adler über die Maßen dick und schwer von Körper, und nahm allerlei wunderliche Gewohnheiten an. So redete er niemals mit den Leuten, sondern hörte nur zu.

Nachdem er einige Jahre hiergewesen und mit den vielen Geschäften, die von Thorbjörn Christoffersen tüchtig geleitet wurden, Glück gehabt, reiste Herr Adler nach Kopenhagen. Denn da weilte Christian V. hochseligen Angedenkens nicht mehr unter den Lebenden, sondern sein Sohn, unser allergnädigster König und Herr, Friedrich IV. (den Gott mit allen Tugenden zieren und schmücken möge!) war unser Landesvater geworden. Und vor diesem tat Herr Adler mit großer Mühe einen Kniefall und bat ihn, seines hochseligen Herrn Vaters allergnädigstes Versprechen gegen seinen Vater selig zu erfüllen, daß er nämlich geruhen möchte, in unsere Stadt zu kommen und unter seinem bescheidenen Dach zu schlafen, wenn er das erstemal Norwegen, wo alle seiner harrten, besuche. Und die heimliche Absicht dabei war, wie der König wohl merkte, daß Herrn Adler wieder der hohe Adelstitel verliehen werde, dessen sein Vater einst in seiner Jugend verlustig gegangen. Diese Bitte geruhte der König allergnädigst zu erhören.

Da reiste Herr Adler sofort nach Holland; denn nun war nichts gut genug von dem, was der Vater geschaffen. Und von dieser Reise kam er heim mit der großen Karosse, die man hier zum erstenmal zu sehen bekam. Und der Kriegskommissar, Herr von Synnestwedt, meinte, es komme Herrn Adler nicht zu, in einer Karosse zu fahren, denn er sei keine Standesperson. Und so ward Klage angestellt. Da wurde es von Kopenhagen her zum erstenmal bekannt, daß die Kurts von sehr hohem Adel waren. Seit der Zeit fuhr er nie ohne Vorreiter und Jäger samt zween Lakaien hintenauf. Weshalb er auch vier Pferde haben mußte, der steilen Anhöhen wegen. Aber die Stadt schätzte es sich zur Ehre, daß sie einen Mann mit solchen Rechten in ihrer Mitte hatte.

Aber Herr Adler hatte in Kopenhagen herausgefunden, daß in dem Schloß, das der König dort bewohnte, nicht seine Diener schliefen, sondern, wie recht und schicklich, nur er und seine hohe Familie. Wogegen die königliche Dienerschaft in einem Flügel wohnte. Darum geschah es, daß Herr Adler den großen rechten Flügel an das neue Haus fügen ließ. Dort sollte des Königs Aufwartung und Dienerschaft sich aufhalten, wie auch Herr Adler und seine Dienerschaft, wenn der König komme. Aber Thorbjörn Christoffersen, sein Vertrauter, weigerte sich entschieden, auch einen linken Flügel anzubauen und drohte ihn zu verlassen. Darum hat das Haus nur einen rechten Flügel. Auch den Turm zu vollenden, gelang Herrn Adler nicht. Denn um dieser großen Pracht willen waren viele Hypotheken auf das Gut genommen, und Thorbjörn Christoffersen konnte nicht die Zinsen zahlen, so daß einige der wertvollsten Grundstücke mit großem Verlust verkauft werden mußten. Ebenso wurden die Bauplätze in der Stadt an jeden, der zahlen konnte, verkauft. Damals war es, wo das Parzellieren des Gutes begann.

Herrn Adlers jüngerer Bruder, der Geistliche Herr Max, war in allerlei Geschäften ein sehr erfahrener Mann, und so ging er Herrn Thorbjörn Christoffersen zur Hand. Und wenn ich mich jetzt anschicke, eine Schilderung des Herrn Max zu entwerfen, so bitte ich Gott, mich zu bewahren, daß ich mißgünstig urteile über den verstorbenen Mann, der mir in vielen Stücken Leids getan. Denn im selben Jahre war ich bei Sankt-Marien hier in der Stadt Küster und Kantor geworden; will aber nun hier nicht das kostbare Papier mit unserm Streite anfüllen, der den Becher, welcher nach Herrn Kurts Tode auf der Auktion gekauft war und durch Erbgang in meinen Besitz gekommen, betraf; oder mit dem Zank, der entstand, als ich an dem Tage infolge eines Trinkgelages unpäßlich war, die Predigt aus des Doktors Martinus Buch vorlesen wollte und Herr Max auf die Kanzel kam und mich niederschlug. Dies alles soll nunmehr, da er unter der Erde ruht, für mich vergessen sein. Also nicht darum geschieht es, daß ich die Wahrheit über ihn aufzeichne. Sondern auf daß die kommenden Geschlechter erfahren, wie wunderbar des Herrn Wege gewesen mit diesem Geschlecht. Auch daß es offenbar werde, wie diese Stadt vor allen anderen in Gottes Schutz stand, da er so sichtbarlich sie beschirmet, indem er ihre Quälgeister heimgesucht.

Von dem Tage an, da Herr Max hierher kam, dominierte und regierte er seinen Bruder und alle auf dem Gute, wie auch die Kirche und alles was dazu gehörte und die ganze Stadt. Er war schlimmer als sein Vater, Herr Kurt, maßen er gelehrt war und mit großer Klugheit und Geschicklichkeit Menschen und Dinge drehen und wenden konnte. Auch auf der Kanzel war er ein gar gewaltiger Mann. Als das schreckliche Unglück geschah, daß die Sankta Maria-Kirche niederbrannte, entzündet durch den Blitz des Himmels, uns allen zum ewigen Gedächtnis, wie anderweitig in diesem Manuskriptum berichtet, da predigte Herr Max den ganzen Sommer über auf dem Markt von einer Erhöhung herab. Und da hörten sie ihn an der einen Seite durch die ganze Stadt hin; da draußen im Hafen drängten sie sich auf den Fahrzeugen zusammen, und auch dort und in den Fenstern auf der Landzunge hörten ihn die Leute, doch konnten sie nicht die Worte unterscheiden. Ja, ein Schiff wurde hereinbugsiert, und der Schiffer hat es mir selbst berichtet, wie sie es alle draußen im nördlichen Sund vernahmen, und daß es ihnen von der Stadt her tönte, wie von einer Frau in Kindesnöten. Denn eine Mannesstimme tönt in großer Entfernung wie eine Weiberstimme. Darum muß zu des Herrn Max Lob und Ruhm gesagt werden, daß alle einen heiligen Schreck bekamen und zu seiner Zeit in die Kirche gingen.

Und er duldete es auch nicht, daß einer draußen blieb. Er forschte nach ihm auf der Kanzel oder suchte ihn im Hause auf. Vor allem die gemeinen Leute waren ihm zugetan wie vordem seinem Vater. Denn er ließ sich oft herab, ihren Hochzeiten und Begräbnissen beizuwohnen und ihr Bier zu kosten, wie auch ihnen nützlichen Rat in allen ihren Angelegenheiten zu erteilen; war er doch gar sehr verständig und kannte sie alle, Mann und Weib, bei Namen. Und er unterwarf sich nach und nach die ganze Stadt, so daß in jenen Tagen niemand etwas erwarb, ohne davon dem Geistlichen zu spenden. Auch durfte nicht geschlachtet oder gebraut werden, ohne daß ihm davon zugeteilt wurde. Und konnte ihm der Arme nichts anderes schenken, so gab er Fische. Auch durfte in jener Zeit niemand, ob hoch oder niedrig, seine Tochter verheiraten oder in anderer Weise seine Lage verändern, ohne erst Herrn Max um seinen Rat anzugehen.

Und wenn gute Gaben und andere Arten von Vergünstigungen insgeheim bei der Hand waren, so konnte mancher durch Herrn Max erlangen, was auf anderem Wege nicht zu erreichen war. Das weiß ich; denn ich erzähle, was ich weiß und nicht, was ich nicht weiß. Wer aber wider seinen Willen handelte, den konnte er verfolgen und quälen bei Tag und bei Nacht: ihn und sein Haus und sein Geschlecht, sowohl durch die Obrigkeit, die weltliche und militärische, wie auch durch Freunde und Freundesfreunde, bis hinunter nach Kopenhagen.

Aber mitunter kam dies auch der Stadt zugute, so daß niemand zu der Zeit einen Prozeß anhängig machte, sondern seine Sache Herrn Max vortragen mußte, der sie entschied. Ebenso als die neue Kirche an Sankta Mariä Stelle gebaut werden sollte, die, welche jetzt im Volksmunde Kreuzkirche heißt, da war er in allen Stücken dabei, so daß er der richtige Baumeister der Kirche ist, weshalb dieses Prachtwerk der Stadt zur Ehre und ihm zum ewigen Gedächtnis dasteht. Es war eine schreckliche Menge Geld, was sie kostete, und das floß alles in die Hände seines Bruders; denn das Gut schaffte Bausteine und Bäume, wie auch alles andere auf dem Handelswege herbei. Aber Herr Max sammelte das Geld und das machte er so, als ob die Stadt vom Feinde okkupieret sei und gebrandschatzt würde. Wenn ich berechne, was ich allein alles hingeben mußte, so verstehe ich nicht, wie ich mich herausfand. Aber er war ein schrecklicher Mann. Er paßte selbst auf jedes Schiff, indem sein erster Gang ihn jeden Morgen nach der Herberge führte, um nachzusehen, und so auch gar oft am Tage, und dann mußten die Leute zahlen. Alle Reisenden, ob Mann, ob Weib, denen er auf die Spur kam, mußten für die Kirche beisteuern.

In der Herberge der Sara Andersen, Witwe, welche ein Logierhaus für Seeleute hielt, kam er jedoch einmal sehr übel an. Denn sie verwarnte ihre Gäste, wenn sie ihn kommen sah, und so versteckten sie sich oft auf dem Boden oder im Keller. Denn seinen Überredungen und Drohungen widerstand niemand. So der reiche Heinrich Arendt aus Lübeck. Der war hier wegen des Schiffes, das ihm seeräuberisch weggenommen und hier verkauft worden. Er kannte Herrn Max von früher sehr wohl und kroch auf den Boden. Aber Herr Max war an solche Praktiken gewöhnt und kletterte ihm nach. Allein da er sehr schwer war, brachen die Treppenstufen unter ihm und er glitt in diese hinein und blieb darin stecken. Da aber kam ein großes Gericht über Sara Andersen, und sie mußte statt des reichen Heinrich Arendt eine gewaltige Summe hergeben. Heinrich Arendt aber wollte ihr diese nicht erstatten, sondern hielt sie mit Reden hin, so daß sie nichts zurückerhielt, wie sie mir oft unter vielen Tränen erzählt hat.

Bemeldete Sara Andersen, Witwe, verstarb übrigens an demselben Tage, ja in derselben Stunde, als Herr Max mit Tode abging. Ich habe oft darüber spintisiert, um Gottes tiefe Absicht hier wie in vielen anderen Dingen zu ergründen. Aber es wäre nicht gut, wenn wir Menschenkinder alles begreifen könnten.

Und also ging es zu mit Herrn Maxens Tode. In der ersten Zeit, da er hierher kam, konnte er alles vertragen; aber nicht mehr gegen den Abend seines Lebens. Und hatte er zu viel getrunken, so war er den Frauen gefährlich, so daß sie sich vor ihm hüten mußten. Und so geschah es einmal auf dem Schloß, daß er seinen Bruder zwang, ein großes Gelage zu veranstalten. Aber bevor ich berichte, was dabei sich zutrug, muß ich erzählen, daß es auf dem Gute sehr finster ist in dem großen Gang, wenn die Doppeltüren geschlossen sind. Und damals waren sie geschlossen wegen eines gewaltigen Regensturmes, wie er oft an der Küste wütet. Und so verwechselte Herr Max Karen Monstochter, deren Vater Ratsherr, mit Anna Trulstochter, weil sie beide ein rotes Kattunkleid trugen. Es war im Zwielicht. Aber des Ratsherrn Töchterlein ließ nicht mit sich spaßen, ja sie erdreistete sich sogar, ein groß Geschrei zu machen, und da gab es viel Gelärm und Aufregung. Der Ratsherr ging zum Hausherrn und dieser kam und redete seinem Bruder zu und sagte, ihm gefalle all diese Wirtschaft auf dem Schlosse nicht, und Herr Max werde ihn und alle anderen noch zugrunde richten. Noch niemand hatte bisher so viele Worte von Herrn Adler auf einmal gehört, aber alle fanden sie wohlbedacht und passend. Herr Max jedoch ließ sich das nicht gefallen, denn er stand da im Priesterkleid. Und so stürzte er sich auf seinen Bruder, und da Herr Adler über die Maßen schwer war, hielt er nicht die Balance, sondern fiel erst gegen die Wand und dann zu Boden, indem er beide Male hart mit dem Kopfe aufschlug. Von nun an hatte Herr Adler nicht mehr seinen Verstand und nicht lange darauf starb er.

Da nahm Herr Max für sich und seine Erben von dem Gute Besitz. Aber von dem Augenblick an, da er im Schloß einzog, war er wie ein Rasender. Er glaubte sich von Geistern verfolgt. Er sagte, es wäre seines Bruders Geist, wie auch der seines Vaters und seiner Mutter, und unterschiedliche andere Geister, und ihrethalb konnt' er nicht schlafen und zog von Kammer zu Kammer im ganzen Hause und schrie und predigte wider die Geister mit großer Kraft. Auch duldete er nicht, daß die Fenster geschlossen wurden; denn zu diesen sollten die Geister hinaus. Aber es mußte eine Wache an den Fenstern stehen, auf daß er sich nicht selbst hinausstürzte. Und die Leute unten in der Stadt konnten das Predigen hören; das hörte sich an, als prügelte er sich mit jemand. Da ging die Rede, Herr Max kämpfe mit dem Teufel, und von ihm seien all die bösen Geister geschickt. Ja es wurde allgemein gesagt, Herr Max habe die ganze Zeit über bei allen seinen glücklichen Unternehmungen den Teufel zum Bundesgenossen gehabt. Und nun wolle dieser ihn haben; denn nun sei die Zeit gekommen; aber Herr Max wolle dem Teufel ein Schnippchen schlagen. So kämpften sie aus Leibeskräften bei Tag und bei Nacht; denn Herr Max mußte fortwährend auf der Hut sein, um nicht überlistet zu werden. Und die ganze Stadt ging auf den Markt und die Allee hinauf, um zuzuhören. Alle aber waren wie versteinert vor Schreck. Kein Priester aber war zu haben, wenn schon Tag für Tag nach allen Gegenden geschickt wurde. So gab es denn niemand, der Herrn Max wider den Teufel und seine Werke mit der Macht des göttlichen Wortes beistand.

Da strahlten eines Abends alle Fenster da oben wie auch das ganze Haus in einem Glanze, als stände es in Flammen. Aber Anders aus dem Rathaus, auch Anders Rotnase genannt, kam von der Stadt durch die Allee gegangen. Und er hörte den armen Mann mit heiserer Stimme rufen und sah über dem ganzen Hause eine mächtige Lohe und mitten darin den Bösen quer über dem Haus sitzen, gerade über Herrn Maxens Fenster, und hörte ihn sagen: »Nun mußt du mit, Max.«

Anders ging nicht weiter, sondern kehrte nach der Stadt um. Und als er rufend und schreibend unten auf dem Markt angelangt war, erzählte er, was er gesehen und gehört. Und er ward gerade so rasend wie Herr Max, und auch er mußte eingesperrt und festgehalten werden.

Und nun war es den Leuten klar, wer zum Schluß gewonnen. Und alle warteten auf den Ausgang. Ganz richtig endete am folgenden Tage Herr Max sein Leben; aber still und bei vollem Verstande, was gar manche verwunderte. Ja er gab durch Zeichen kund, daß er in seiner Mutter Zimmer sterben wollte, und erst als er dort hineingetragen war, kam unerwartet der Priester Thomasius, und der betete für Herrn Max und spendete ihm die heiligen Sakramente. Und auch Herr Max konnte jetzt beten, doch nur mit schwacher Stimme. Darauf verstarb er in demselben Bett, in welchem ehemals seine selige Mutter ihr Leben beschloß. Diejenigen, welche dabei waren, bemerkten, daß in demselben Augenblick auch die Glocken der Kirche, die er gebaut, zu läuten anfingen. So daß es zweifelhaft sein darf, wer schließlich gewonnen, er oder der Teufel.

Ich möchte wünschen, ich besäße eine große Skribentengabe und könnte diesen Mann in allen Stücken schildern, so wie er war. Denn so wie er zu seinen Lebzeiten war, also kann niemand ihn sich vorstellen, der nicht um ihn gelebt, so wie ich gar manches Jahr. Noch jetzt kann ich des Nachts davon träumen. Und dann erwacht mein Eheweib über meine große Angst und weckt mich, mir versichernd, daß er nunmehr tot sei. Aber dann bin ich zumeist ganz in Schweiß gebadet.

Er war dreimal beweibt, und als er starb, wollte er sich gerade zum viertenmal eine Frau nehmen. Ich habe mit allen drei Frauen gesprochen, denn von Amts wegen hatte ich ja oft im Hause zu tun. Da klagten sie mir ihre Not, eine nach der andern. Und am meisten mußte ich immer die Klagen anhören von Aadel Knutstochter, die sein zweites Ehegespons war. Sie verstarb um Lichtmeß.

Aber kurz vor ihrem Hinscheiden saß sie in dem großen Stuhl in dem grünen Zimmer und rief mich herein; denn sie hörte mich in der Küche. Sie war schon sehr schwach und ihre Hand zitterte. Ich fragte sie, was ihr fehlte. Das fehlte ihr, sagte sie, daß er, so mein Eheherr, mich Zeit meines Lebens gequält und geplagt, so daß es nun mit mir aus ist. Gott weiß, wer seine nächste Frau wird. Aber vielleicht weiß er es auch. Das sagte sie. Und kurz darauf verstarb sie.

Aber die nächste Gattin war Brigitta, des Apotheker Mons Tochter. Und es waren drei Monate, seitdem die selige Aadel unter der Erde ruhte, daß die Hochzeit stattfand. Wenn die Brigitta gleich ein großes, kräftiges Frauenzimmer war, ward ihr doch so angst, als sie hörte, sie sollte sein Ehegemahl werden, daß sie seitdem starke Getränke zu sich nahm, wenn sie von denen bekommen konnte, mit welchen ihr Vater, der Apotheker, handelte. Sie selbst hat es mir erzählt, weshalb sie sich aufs Trinken legte, und dies war wohl der Grund. Aber sie schlug sich mit ihm, wenn sie getrunken, und endete damit, daß sie sich mit Gift das Leben nahm.

Das hat mir Doktor Mogens Mauritius später erzählt. Sie starb nicht am Trunk, wie damals gesagt wurde. Sie war drei Jahre verheiratet und hatte zwei Söhne mit ihm. Im ganzen hatte er dreizehn Kinder, obschon er bei seinem Tode noch kein bejahrter Mann war. Den ältesten, Adler, schlug er auf beiden Ohren taub, so daß er wie im Traum umhergeht.

Und selbst, wenn ich mit meinen geringen Gaben schildern könnte, wie er gegen seine Frauen und Dienstboten und Kinder und sonst war, wenn er in Zorn geriet, so würde ich es doch unterlassen. Denn wir sahen es bei seinem Hinscheiden, daß Gott in seiner unergründlichen Gnade (ja wahrlich sie ist groß!) ihm vergeben hat. Warum sollten wir Menschen, gegen die er weit weniger gesündigt, nicht dasselbige tun? Wie auch der Bischof in seiner herrlichen Gedächtnisrede sagte. Denn seine Beerdigung wurde mit großer Pracht und Herrlichkeit gefeiert, desgleichen ich nimmer gesehen. Viele Seiten könnte ich füllen, wollte ich all die Standespersonen aufzählen, die dabei waren, und angeben, was hier während der drei Tage geredet, gegessen und getrunken wurde. War er ja mächtiger bei seinen Lebzeiten als irgend ein anderer Mann hier in dieser Stadt. Niemand als der König selbst hatte etwas zu sagen, solange er noch bei Verstand und bei Kräften war. In der Weise nämlich, daß er den Leuten bei ihren schwierigsten Unternehmungen half, insonderheit bei ihren Berechnungen über Bauten. Von der Kirche habe ich schon berichtet; aber ich habe zu erzählen vergessen, daß er auch ein großer Schiffsbaumeister war. Das verstand er, weil er schon als kleiner Knabe auf der Werft und später in Kopenhagen auf dem Holm hantierte, wie er auch im Ausland in diesem Gewerbe auf alles achtete. Das habe ich von ihm selbst gehört. Die Schiffe, die hier auf seines Bruders Werft gebaut wurden, waren alle von ihm, und viele davon wurden im Ausland mit großem Ruhm und Gewinn verkauft. Aber nun muß es genug sein von Herrn Max.

In dieser Historie haben wir klar und deutlich Gottes Wege erkannt, nämlich weil Vater Kurt seine Frau und sich selbst, und Herr Max sowohl seinen Bruder wie auch sich selbst und zum Teil auch seinen ältesten Sohn zugrunde richtete. Es gereichte ihnen wenig zum Segen, was sie dem Klaus Matthiassohn und sonst vielen anderen geraubt. Ebenso war ihre Körperstärke ihnen nur zum Verderben. Demnächst müssen wir uns erinnern, daß des Königs hoher und geheiligter Name betrügerischerweise gebraucht wurde, um das Gut zu erlangen, daß es aber zur Strafe in demselben geweihten Namen wieder zerfiel.

Viele andere als ich unwürdiger Küster und Kantor haben das beobachtet. Denn als der vorhin benannte Ratsherr Niels Ingebrechtsohn in Kopenhagen war, sagte er es des Königs Beichtvater, den er kannte. Und als Niels bei dem König Audienz nachsuchte, da folgte ihm der königliche Beichtvater und forderte ihn auf, vor dem König freimütig zu erzählen, was er ihm berichtet. Und da nun der König ganz richtig vernahm, wie es sich begeben, daß das Gut in Kurts Hände kam, und was den Untergang herbeigeführt, daß nämlich des Königs geheiligter Name unwissentlich Gevatter gestanden, da geruhte der König in Gnaden nachdenklich zu äußern: »Der liebe Gott ist listiger als alle Schelme zusammen.«

Und dieses Königswort mache ich in aller Untertänigkeit zu dem meinen, indem ich hier die Geschichte des Kurt beschließe und mich auf andere Territorien begebe.«

Um das Jahr 1830 bestand das Gut noch aus dem »Berg« mit der Laubwaldung, worin die Nadelhölzer sich wieder geltend machten; den großen verfallenen Gebäuden, den ungeheueren ummauerten Gärten, sowie einigen Strecken Ackerland zwischen den Gärten und der Stadt. Außerdem gehörten zum Gut irgendwo noch einige ausgeschlagene Waldflächen.

Der damalige Besitzer, ein großer, schwarzer Mann mit langer, grüner Schürze, betrieb eine Gärtnerei auf seinem Grundstück. Und diese sowie einige Kühe waren das einzige, wovon er lebte.

Auch war er der einzige Stammhalter des ganzen Geschlechts hier im Lande, und er war unverheiratet.

3. John Kurt.

Konrad Kurt war als fünfzehnjähriger Knabe von Hause fortgelaufen. Länger vermochte er es nicht zu ertragen, seine Mutter mißhandelt zu sehen. Diese Eigentümlichkeit hatte sich in der Familie vererbt. Er war auf einem Schiffe nach Hull geflüchtet, wo ein Bruder seiner Mutter lebte.

Aber Konrad Kurt wurde auf dem Lande erzogen; die Kosten bestritt sein Oheim. Denn der Arzt hatte gesagt, das Nervensystem des Knaben sei nicht das beste. Sollte ein gesunder Mensch aus ihm werden, müsse er in frischer Luft leben, z. B. als Gärtner. Nun war es in dem Geschlecht der Kurts von jeher eine Liebhaberei gewesen, sich mit Gärtnerei zu beschäftigen, und so wurde sie sein Beruf.

Als der Vater starb und er nach Hause zurückkehrte, um für seine arme Mutter und sich selbst zu sorgen, wußte er nicht, was er sonst beginnen sollte. Sein liebenswürdiger Vater nämlich hatte die letzten Waldungen zum vollständigen Niederschlagen, die letzten Schiffsanteile und schließlich die Ziegelei verkauft, und aus dem Erlös sich eine Leibrente geschaffen. Mit einem Worte – er besaß nur noch die Käufer, die Gärten und ein wenig Feld; im übrigen hatte er alles um sich her gewissermaßen aufgezehrt.

Und der Sohn – er konnte ja seinerseits damit beginnen, die Felder zu verkaufen. Sie grenzten unmittelbar an die Stadt und eigneten sich ausgezeichnet zu Baustellen; ebenso die untersten Partien beider Gärten. Aber Konrad Kurt meinte, es sei genug von dem Gut verkauft und nahm ein Anlehen auf, das er dazu verwendete, Felder und Gärten zu drainieren und die Häuser so weit wieder in den Stand zu setzen, daß sie nicht zerfielen. Außerdem erweiterte er das Gewächshaus und baute später noch ein zweites; kurz – er bewies den Leuten, daß er von seinem Besitztum noch leben und namentlich aus seinen Gärten sich einen lohnenden Gewinn verschaffen konnte, und das war zu jener Zeit und in jener Gegend etwas Neues. Anfangs schickte er fast alle Erzeugnisse seiner Gartenkunst mit den Schiffen nach auswärts; aber allmählich wurde auch dies anders.

Er schlief, speiste und schrieb in dem Zimmer, das unmittelbar am Eingang links lag. Es war dasselbe, in welchem der erste Kurt und nach ihm alle die gewohnt, die das Gut besessen. Das daran stoßende Zimmer hatten sie als Schlafgemach benutzt, aber dieses überließ Konrad Kurt seiner Mutter. Sie hatte jetzt ihre glücklichsten Tage.

Die Dienstboten und Arbeiter wirtschafteten in der Küche auf der anderen Seite des breiten Ganges, der das ganze Haus durchschnitt und es in zwei gleiche Hälften teilte. Im übrigen war das Hauptgebäude öde und verlassen. Doch breitete Konrad Kurt im Herbst oft seine Gartenerzeugnisse in den verschiedenen Zimmern und Sälen zum Trocknen aus.

Er war ein heftiger Mann, manchmal wortkarg, manchmal polternd, hatte aber ein gutes Herz. Das Gesinde und die Arbeiter waren ihm zugetan, da er redlich für sie sorgte. Den auf dem Berge wohnenden Seeleuten und Fischern gab er Sämereien und unterwies sie, wie sie Gärten anlegen und deren Erzeugnisse verwerten konnten. Und so bildete sich im Laufe der Zeit um jedes Haus ein Gärtchen, wozu die Leute sich Erde von Kurt holen konnten, wenn sie den wilden Boden durch Vermischung mit besserem Erdreich veredeln wollten. Jeden Sonntag während des Frühlings und Sommers ging Konrad Kurt bei den Leuten umher und half ihnen. Und dieser Gewohnheit blieb er sein ganzes Leben lang treu. Aber dies waren fast die einzigen Fälle, wo man ihn außerhalb seiner Gärten, seines Hauses und seiner Keller zu sehen bekam.

Im Frühjahr und Sommer war er schon morgens vier Uhr draußen und im Herbst und Winter, sobald es hell zu werden anfing. Im Sommer trug er Beinkleider von englischem Leder, einen grauweißen Linnenrock, eine bis auf die Füße herabgehende grüne Schürze und eine Mütze mit großem Schirm; im Winter dieselbe englische Lederhose, eine festzugeknöpfte Matrosenjacke und dieselbe lange Schürze, aber auf dem Kopfe hatte er dann eine Pelzmütze mit breiten Klappen, die stets herabgelassen waren, so daß die losen Enden ihm ins Gesicht schlugen. Nie hatten die Leute ihn anders gekleidet gesehen, außer am Sonntage. Dann sah man ihn mit rasiertem Gesicht, einem gestärkten Hemdenkragen und ohne Schürze.

Er hatte nicht die breite, trotzige Stirn der Kurts; dagegen war die seine ziemlich hoch und schien auffallend weiß zu sein; vielleicht nur deshalb, weil er im übrigen so wettergebräunt war. Aber die unruhigen, wilden Augen des Geschlechts waren auch ihm eigen. Das Gesicht war länger, als man es früher an den Kurts gekannt, und ziemlich mager, die Nase etwas breit.

Die Hausfrauen und Kinder hatten es bald heraus, daß es vorteilhaft war, hinaufzugehen zu dem barschen, oft polternden Mann und dort mit ihm zu handeln, statt in seiner Bude auf dem Markt; denn er war entgegenkommend im geschäftlichen Verkehr; und im Grunde des Herzens ein Kinderfreund. Aber man durfte nicht lange aussuchen, vor allem aber nicht feilschen.

Es ging ihm gut; seine Kühe und Gärten ernährten ihn immer besser. Aber nach einigen Jahren verbreitete sich das Gerücht, seit dem Tode seiner Mutter sitze er Abend für Abend allein und trinke Whisky, bis er betrunken sei. Wolle man wissen, ob es damit seine Richtigkeit habe, so müsse man kurz vor neun hinaufgehen, denn dann begab er sich regelmäßig zu Bett. Und das tat denn auch der eine und andere. Ja, die Sache hat ihre Richtigkeit: Schlag halb neun war er vollständig betrunken. Das Reden wurde ihm dann schwer; aber er geriet leicht ins Weinen.

Das kam dem alten Pastor Green zu Ohren; der hieß schon damals, als er noch ein junger Mann war, der »alte« Pastor, weil bei einem schrecklichen Erlebnis sein Haar ergraut war. Pastor Green gehörte zu denen, welche schon vor langer Zeit in Norwegen gegen die Trunksucht auftraten, – zu denen, welche dieser Sache ihr Leben gewidmet.

Sein Hauptgrundsatz war, daß es nichts nütze, gegen die Trunksucht zu predigen, sondern daß es hier zu handeln gelte, und daß nicht daran zu denken sei, den einzelnen Trinker zu bekehren, wenn man nicht wisse, aus welchem Grunde er sich dem Trunke ergeben. Und immer gibt es einen solchen bestimmten Grund; und nur wenn dieser nicht in einem zu alten Erb- und Familienfehler oder in einer zu tief eingewurzelten Gewohnheit liege, könne die Trunksucht geheilt werden.

Er begab sich zu Konrad Kurt und redete ihm so lange freundlich zu, bis er erfuhr, daß Kurt mit der Frau des Gärtners, bei dem er in England in der Lehre gewesen, ein Liebesverhältnis gehabt. Er hatte ein Kind mit ihr. Sie starb ungefähr zu der Zeit, als er seine Mutter verlor. Er hatte sie so rasend lieb gehabt. Es war ihnen entsetzlich gewesen, ihren Mann zu betrügen. Aber sie hätten nicht anders gekonnt. Und dann begann er zu weinen ... Der Knabe, den sie bekommen – oh, etwas Prächtigeres gab's auf der ganzen Welt nicht! Und der betrunkene Mann schluchzte vor Sehnsucht nach seinem Kinde und klagte sich mit wilden Worten an.

Pastor Green suchte ihn zu bestimmen, dem Gärtner seine Sünde abzubitten und den Knaben zu sich zu nehmen; aber dazu war Konrad Kurt zu feig. Und so blieb denn nichts anderes übrig, als daß Pastor Green sich an andere wandte, und eines Sommerabends kam er mit einem langen schwarzlockigen Knaben von etwa zwölf Jahren herauf zum Gut und fragte nach Kurt, der noch im Garten beschäftigt war. Da hätte man sehen sollen, wie Konrad Kurt sich von einem Beet, auf dem er hockte und grub, erhob und sich die Erde von den Händen zu reiben anfing, – und dann plötzlich mit dieser Beschäftigung aufhörte, unter dem großen Mützenschirm hervor bald den Pastor Green, bald den dunkelhaarigen großen Burschen anstarrte, und dann schließlich die lebhaften wilden Augen, die noch größer waren als die seinen, und die lange, etwas breite Nase und sein mageres Gesicht erkannte! Und unwillkürlich begann er Englisch zu sprechen:

»I beg your pardon; but this lad –?«

Mehr konnte er nicht hervorbringen ... Da mußte Pastor Green das Wort nehmen: ja, es war sein Sohn.

An diesem Abend vergaß Kurt die Whiskyflasche hervorzulangen. Und als er das nächste Mal nach ihr greifen wollte, nahm der Knabe die Flasche und schleuderte sie zum offenen Fenster hinaus gegen einen Stein. Es war ein ausgezeichneter Wurf! Und Glas und Zuckerschale und Teelöffel folgten – alles flog in kunstgerechtem Wurf zum Fenster hinaus.

Pastor Green hatte den Knaben gebeten, darauf zu achten, wenn der Vater seine Whiskyflasche zur Hand nehme, und sie auf gute Art zu entfernen. In dieser Weise hatte der Knabe den Auftrag ausgeführt.

Der Vater stand da und starrte seinen Sohn an – – dann brach er in ein unbändiges Lachen aus.

4. Ein Genie.

Niemals ist jemand fester überzeugt gewesen, ein Genie von Sohn zu haben, als Konrad Kurt. Gar nicht davon zu reden, daß der Knabe ein vollendeter Botaniker und in alle Geheimnisse der Gärtnerei eingeweiht war – keine Hantierung gab es auf dem Hof, vom Stall bis zur Küche, womit er nicht bald Bescheid wußte. Man sah es ihm an, er war unter Gärtnern, Küchen- und Hofgesinde aufgewachsen, zugleich aber auch, daß er was Tüchtiges gelernt hatte.

Jetzt mußte er auch hinaus auf die Schiffe und in die Boote, um auch damit umgehen zu können; bisher war er nie in einem Hafen gewesen.

Und wie er Norwegisch lernte! In ein paar Wochen! Zunächst Fluchen. Der Vater lachte sich halb krank über all die Flüche, deren der Knabe sich mit komischer Betonung bediente. Und wie er erzählen konnte! Noch bevor er mit der Sprache sich zurechtfand, flößte er den Arbeitern ein Interesse für seine Geschichten ein, das in der Tat erstaunlich war. Darum konnt' er sich auch alle möglichen Streiche herausnehmen; es war gar zu lustig. Und als er endlich mit der Sprache sich etwas leichter zurechtfand – was konnte er den Leuten alles vorreden!

Der Vater kannte keine größere Lust, als sich um eine der großen Hecken herumzuschleichen und ihm zuzuhören. Der Knabe erzählte den Arbeitern, wie es am königlichen Hof in England zuging, wo er Page gewesen. Er und einige andere Kameraden waren beständig der schönen jungen Königin vorausgeschritten; hinter ihr gingen all die großen Perücken. Vermutlich hatte er so etwas in einem Theater oder auf einem Bilde gesehen. Und die furchtbaren Kriegstaten, an denen er in Indien teilgenommen, als er sich dort auf einem Ausfluge befand in Gesellschaft der Königin von England!

Von jetzt an trank der Vater keinen Whisky mehr: er berauschte sich an den Abenteuern des Sohnes. Welch ein Genie! Oh, welch ein Genie! ...

Eine besondere Plage im Garten waren die Katzen, welche von der nahen Stadt heraufkamen auf die Vogeljagd. Eines Tages hatte John – so hieß der jüngste Herr Kurt – einen der ärgsten Vogelfänger erwischt, und er beschloß, den Mörder lebendig zu kreuzigen. Da selbst von den jüngsten Arbeitern niemand mittun wollte, sperrte er vorläufig die Katze ein und gab ihr gut zu fressen, während er selbst hinunter zum Hafen ging, um sich von dort ein paar Schelme von Knaben zu holen.

Der Vater vernahm bald einen so ungewöhnlichen Jubel, daß er nachsehen mußte, was los sei, namentlich als sich Töne der Verzweiflung in den Jubel mischten. Und da sah er die Kreuziger vor der Gekreuzigten, einer armen, an einer Stalltür blutenden Katze einen Indianertanz aufführen. Im Übermaß der Freude bemerkte der Sohn seinen Vater nicht. Dessen erster Gedanke war diesmal gerade nicht, daß sein Sohn John ein Genie sei. Und doch – wenn er später daran dachte, mußte er trotzdem zugeben, daß es ein merkwürdiger Einfall war. Und verwünscht kunstgerecht war er auch ausgeführt. An und für sich ist's gar nicht so leicht, eine lebendige Katze zu kreuzigen.

Aber eines Tages hatte der Vater dem Knaben verboten, hinunter zum Hafen zu gehen – das Wetter war gar zu gefahrvoll. Zur Entschädigung für diese Freiheitsbeschränkung begab sich John zu des Vaters feinstem Apfelbaum – einem jungen Schößling, der zum erstenmal Früchte trug – sägte dessen Wurzeln durch, eine nach der andern, und belegte sie wieder mit Erde. Diesmal geriet der Vater nicht in Entzücken über die Kunstgerechtigkeit der Arbeit, geschweige denn über den Einfall selbst. Auch vergaß er, daß der Knabe ein Genie war, – vergaß es so sehr, daß er ihn in seinem Zimmer mit einer frisch abgeschnittenen und wohlgewundenen Birkenrute in der Hand erwartete.