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Indonesien in der nahen Zukunft.
Die Hauptstadt Jakarta platzt aus allen Nähten. Unsägliche Hitze in Folge des Klimawandels und Überschwemmung aufgrund des schnellen Absinkens der Stadt machen das Leben der Armen zu einem täglichen Überlebenskampf.
Kinder wie Siti und Kadek sind nahezu auf sich allein gestellt und versuchen, mutig ihren Weg zu gehen. Sie leben von den Resten der technologisch rasanten Wegwerfgesellschaft und finden ihre ganz eigenen Lösungen für die Probleme des Alltags.
Doch die Demokratie des Landes selbst steht auf dem Prüfstand, als sich die von Korruption und Nepotismus durchzogene Politik unfähig oder nicht willens sieht, den grassierenden radikalen und gewalttätigen Islamismus unter Kontrolle zu bringen und mächtige Konzerne das Land nach ihren eigenen Regeln formen.
Als die toughe Chief Inspector Tika Suryono mit dem heiklen Fall des Mordes an einem einflussreichen Abgeordneten betraut wird, steht sie vor einem Rätsel. Nichts an dem Fall scheint Sinn zu machen. Bald wird ihr klar, dass der Schlüssel zum Rätsel in der verschwundenen Tochter des Abgeordneten zu finden ist. Doch mit jedem Schritt in den Sumpf aus Politik, Intrigen, religiösem Fanatismus und Konzernmachenschaften macht sie sich mächtige Feinde.
Anmerkung für die Leserinnen und Leser:
Dies ist der erste Teil der Geschichte um Tika und er "endet" mit einem offenen Ende. Wenn Du absolut nichts mit offenen Enden anfangen kannst, dann ist meine Geschichte höchst wahrscheinlich nichts für Dich. Wenn Du der Geschichte doch eine Chance geben möchtest, dann sei versichert, dass ich derzeit an der Fortsetzung schreibe und Du auf jeden Fall erfahren wirst, wie es weitergeht. Du musst nur ein wenig Geduld haben ;-)
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Veröffentlichungsjahr: 2020
- TIKA -
(1. Teil)
Jeremy Iskandar
1. Auflage: Juli 2020
Impressum
Texte: © Copyright by Jeremy IskandarUmschlag: © Copyright by Dio Sundoro
Verlag: Jeremy Iskandar
c/o AutorenServices.de Birkenallee 24 36037 Fulda
Kontakt: [email protected]
Indonesien in der nahen Zukunft...
Die Hauptstadt Jakarta platzt aus allen Nähten. Unsägliche Hitze in Folge des Klimawandels und Überschwemmung aufgrund des schnellen Absinkens der Stadt machen das Leben der Armen zu einem täglichen Überlebenskampf.
Kinder wie Siti und Kadek sind nahezu auf sich allein gestellt und versuchen, mutig ihren Weg zu gehen. Sie leben von den Resten der technologisch rasanten Wegwerfgesellschaft und finden ihre ganz eigenen Lösungen für die Probleme des Alltags.
Doch die Demokratie des Landes selbst steht auf dem Prüfstand, als sich die von Korruption und Nepotismus durchzogene Politik unfähig oder nicht willens sieht, den grassierenden radikalen und gewalttätigen Islamismus unter Kontrolle zu bringen und mächtige Konzerne das Land nach ihren eigenen Regeln formen.
Als die toughe Chief Inspector Tika Suryono mit dem heiklen Fall des Mordes an einem einflussreichen Abgeordneten betraut wird, steht sie vor einem Rätsel. Nichts an dem Fall scheint Sinn zu machen. Bald wird ihr klar, dass der Schlüssel zum Rätsel in der verschwundenen Tochter des Abgeordneten zu finden ist. Doch mit jedem Schritt in den Sumpf aus Politik, Intrigen, religiösem Fanatismus und Konzernmachenschaften macht sie sich mächtige Feinde.
Der Mann, der ihnen gegenübersaß, trug eine Kette, die aus menschlichen Fingerknochen gefertigt war. Zum wiederholten Male fragte sich Sadewa, wem diese Finger wohl einst gehört haben mochten. Sadewa war der Ansicht, dass die Finger eines Menschen viel über diesen aussagten. Ihre Beschaffenheit, und auch die Art und Weise, wie sie sich bewegten. Er hatte gelernt, diese Zeichen zu deuten. Ihnen zu entlocken, was sein Gegenüber zu verbergen versuchte, seine Finger aber verrieten. Doch die Finger, die dort auf dem Tisch ruhten, verrieten ihm nicht das Geringste. Er war unfähig, sie zu lesen, wie es ihm überhaupt unmöglich schien, diesen Mann zu deuten. Er war groß, von muskulöser Statur, und unter seinem schlichten, kurzärmligen grauen Shirt breiteten sich seine schwarzen Stammestätowierungen aus, die – wie Sadewa aus Erzählungen wusste – den Großteil seines Körpers bedeckten. Er war ein Dayak, ein Stammesmann aus dem Norden des Archipels. Einst waren die Dayak gefürchtete Kopfjäger gewesen – Gerüchten zur Folge waren sie dies noch immer, hatten ihre Jahrhunderte alte Tradition trotz des Einzugs moderner Technologien und Wertesysteme niemals gänzlich aufgegeben. Und deshalb war der Mann in dieser Nacht zu ihnen gekommen, hatte Nakula ihn hierher beordert. Dabei war sich Sadewa nicht einmal sicher, ob der Dayak diese delikate Mission, die für sie, Nakula und ihn, von solch großer Bedeutung war, überhaupt meistern würde. Er selbst zweifelte stark daran, aber Nakula hatte da wie immer ganz andere Vorstellungen.
Sadewa erinnerte sich noch gut an das Gespräch, das Nakula und er zuletzt geführt hatten. Wie immer hatten sie in einem der klaustrophobisch kleinen Separees über dem ‚Bintang‘ in der Jalan Jaksa, der Straße der Sünde, bis weit in die Morgenstunden hinein hitzig diskutiert. Die Straße lag nicht weit vom Merdeka Square entfernt, dem Zentrum des endlosen Sprawl, der unter dem Akronym ‚Jabodetabek‘ bekannt war, den die nach Abkürzungen gierenden Indonesier aber meist einfach nur ‚Jabo‘ nannten. Einst hatte die Stadt ‚Jakarta‘ geheißen, und auch schon damals war sie eine Mega City gewesen.
Jetzt dachte Sadewa wieder an den Raum, das Separee, das den Regierungsgebäuden am Merdeka Square so nahe war und doch inmitten eines Kosmos aus Prostitution, Drogen und kriminellen Machenschaften ruhte. Sadewa fand diesen Umstand äußerst bezeichnend.
Der Raum war nur spärlich möbliert gewesen, und durch das einzige abgedunkelte Fenster, das zur Straße hin zeigte, war verwaschen das grell-bunte Licht der Hologramme in das Separee gefallen, hatte Nakulas Gesicht wie damals das nächtliche Mündungsfeuer des Krieges einer Fratze gleich erscheinen lassen, die ihn auf die Grundzüge dessen reduzierte, was er war – ein Mann, der dem Krieg niemals entkommen war. Sadewas Augen hatten bereits getränt durch den beißenden, süßlichen Rauch der unzähligen kretek, der Nelkenzigaretten, die Nakula und er im Verlauf ihres Gespräch konsumiert hatten. Auch vermochte es die altersschwache, wie ein im Sterben liegender Mann röchelnde Klimaanlage kaum, die rauchgeschwängerte, trotz der nächtlichen Stunde aufgeheizte Luft auf ein erträgliches Maß herab zu kühlen.
Sadewa hatte halb versunken in dem alten, aufgerissenen Ledersessel gehockt, der nahe der Tür gestanden hatte. Nakula hingegen hatte, wie er es üblicherweise tat, mit seinem massigen Rücken direkt an der nackten Wand geruht. Sie hatten sich schon immer gut zu streiten gewusst, schon damals, als sie beide noch wesentlich jünger gewesen waren und das Blut einen ständigen Begleiter dargestellt hatte. Nur in einem Punkt waren sie beide sich stets vorbehaltslos einig: die Republik Indonesien, dieses gewaltige, aufgedunsene Gebilde, ihre geliebte Heimat, war nur noch ein halbtoter Moloch, der in seinen letzten, verzweifelten Zuckungen lag, in den die Demokratie ihn gebracht hatte. Nach einem halben Jahrhundert ‚Herrschaft des Volkes‘ war die Zeit gekommen, Indonesien zu seiner alten Größe und Stabilität zurückzuführen, es aus den Fängen der Parteienwirtschaft zu befreien, die immer nur bis zur nächsten Wahlperiode dachte, an die nächste Runde auf dem großen Glücksrad, das von einer Masse leicht zu manipulierender und politisch völlig unerfahrener Wähler in Schwung versetzt wurde. Und die Menschen gingen auf die Straße, demonstrierten, weil es ihr Recht war zu demonstrieren. Doch niemand wusste genau, warum. Sie waren unwissend. Sie alle.
Unfähig, rechtzeitig auf die rasanten technologischen Entwicklungen und ihre gesellschaftlichen Auswirkungen zu reagieren, geschwächt durch die Bildung von Oppositionen und im Deckmantel der Meinungsfreiheit agierender radikal-islamistischer Gruppierungen, die insgeheim oder zunehmend auch immer offener den Gottesstaat forderten, und halb erstickt an seiner eigenen, überkommenen Bürokratie war dieser sterbende Gigant, die Demokratie Indonesien, ein wahres Ungetüm, dem sie den Todesstoß zu versetzen gedachten.
„Ein Dayak?“, hatte Sadewa seinen Kampfgefährten zweifelnd gefragt. Und Nakula hatte ihm dieses Lächeln gezeigt – eine Mischung aus hinterlistiger Gerissenheit und verachtungsvoller Arroganz. Er beherrschte es gut, dieses Lächeln.
„So ist es. Ein Dayak, ein Stammesmann. Sein Name lautet Sarak. Und er ist ein erfahrener Krieger.“
„Daran zweifele ich nicht, Nakula. Aber warum muss es ein Dayak sein? Noch dazu ein einzelner Mann? Warum nehmen wir nicht ein Team aus Männern, die wir sonst für so etwas anheuern?“
Nakula hatte sich eine neue Nelkenzigarette angezündet, und für kurze Zeit waren nur das Knistern der neu entzündeten Zigarette und das Rattern der Klimaanlage zu hören gewesen.
„Abgeordneter Raharjo ist ein abergläubischer Mann, wie überhaupt viele in unserem Volk noch immer dem Aberglauben anhängen. Er hat einen einflussreichen Dukun damit beauftragt, über sein Anwesen zu wachen. Zusätzlich zu den Sicherheitskräften, versteht sich. Magie muss man mit Magie bekämpfen. Sarak kennt sich damit aus. Er wird uns die Prinzessin bringen. Und dann, mein Freund, werden wir unserem Ziel einen bedeutenden Schritt näher sein.“
Und Nakula hatte gelächelt – gelächelt wie ein Dämon aus dem wayang kulit, dem Schattenspiel javanischer Tradition.
Vor ihnen flammte der kleine Holoprojektor auf, der in den Tisch installiert war. Sarak, der Dayak, starrte in das dreidimensionale, gestochen-scharfe Bild seiner Zielperson. Samayanti, die Tochter des Abgeordneten, war eine junge Frau von großer Schönheit, aber ihre schmalen Lippen und der funkelnde Blick ihrer tiefbraunen Augen zeugte gleichermaßen von einem eigensinnigen wie auch starken Wille, den ihr Inneres in sich barg und der sie keinesfalls so gefügig und verletzlich machte, wie es ihr zartes Äußeres suggerieren mochte. Sadewa hatte gelernt, diesen Umstand nicht zu unterschätzen. Neben dem Holo Samayantis öffnete sich ein Informationsfenster über dem Tisch, das die Privatadresse der Familie offenbarte. Nakula bestand darauf, dass man Samayanti aus dem Anwesen entführte und nicht etwa, wenn sie unterwegs war. Wir müssen dem Abgeordneten Raharjo zeigen, dass es ihn überall treffen kann, selbst in den innersten Winkeln seines Herzens. Und Sadewa wusste, dass Nakula – wie so meist – recht hatte. Aber das Anwesen war schwer bewacht. Der Abgeordnete war wohlhabend. Der Dienst für den Staat hatte ihm nicht nur Privilegien, sondern auch üppige Bestechungsgelder beschert, von denen er sich ein erstklassiges Sicherheitsteam leisten konnte. Männer und Frauen, die dafür Sorge trugen, dass all die angenehmen Dinge, die der Abgeordnete in seinem Anwesen hortete, auch die seinen blieben.
„Das Anwesen ist schwer bewacht. Eine Truppe der KerisCombat Inc. ist rund um die Uhr vor Ort“, sprach Nakula in Richtung des noch immer völlig bewegungslos dasitzenden Dayaks. Ein weiteres Hologrammfenster öffnete sich in der Luft, zeigte einen Mann der KerisCombat Inc. in seiner gepanzerten, schwarzen Sicherheitsuniform mit dem Logo, das einen silbernen Kris, einen javanischen Dolch mit gewellter Klinge, zeigte, eine FN P120 vor der Brust verschränkt. Die Weiterentwicklung der berühmten P90 des belgischen Waffenherstellers vereinte wie ihr Vorgängermodell ein vergleichsweise geringes Gewicht und die Handlichkeit des schlichten und kompakten Designs mit einer hohen Kadenz und einer ehrfurchtgebietenden Durchschlagskraft.
Der Dayak musterte das Hologramm, doch er stellte keine Fragen. Weder wollte er wissen, über wie viele Personen die Sicherheitstruppe, die für die Bewachung des Anwesens zuständig war, verfügte, noch mit welcher technischen Sicherheit, Sensoren, Drohnen oder ähnliches, die Residenz selbst ausgestattet war. Er sprach nur einen einzigen Satz.
„Wenn die kamang tariu einmal erwacht sind, dann kann nichts sie aufhalten.“
Diesen einen Satz sprach der massige Mann mit einer Sicherheit und Selbstverständlichkeit, als sei er ein ehernes Naturgesetz. Die kamang tariu, die Geister des Krieges. Sadewa erinnerte sich an alte Aufzeichnungen in den Militärarchiven. Dayak in Trance, besessene Krieger mit ihren Mandau, ihren wie Macheten geformten Schwertern, die wie Geister aus dem nächtlichen Urwald aufgetaucht waren, um einen Militärposten zu überfallen. Und die Kugeln der Gewehre waren an ihren mit Tätowierungen übersäten Körpern abgeprallt, als würde eine übernatürliche Macht sie beschützen. Eine Nacht voller Blut und Schmerz. Und dann waren da natürlich noch die Gerüchte über die kannibalischen Sitten der Dayak, dem Glaube, dass der Verzehr der Organe ihrer Feinde ihnen deren Kraft verleihe. Sadewas Blick glitt zu seinem Partner hinüber, und an Nakulas Lächeln erkannte er, dass der Mann dieselben Gedanken hatte. Nur waren diese von einer Düsternis getränkt, die Sadewa fast erschauern ließ. Er konnte es deutlich vor seinem geistigen Auge erkennen, wie Nakula sich selbst in dieser Szenerie verortete, ein dämonisches Lächeln auf seinen mit Blut besudelten Lippen, froh darüber, endlich einen Gegner gefunden zu haben, der seiner würdig war.
„Wir brauchen die Person lebend. Das ist von größter Wichtigkeit“, sprach Sadewa in den Moment der Stille hinein, um Nakula wieder in das Hier und Jetzt zurückzuholen.
„So ist es“, fügte Nakula hinzu und blickte den Dayak dabei an. Der Mann nickte unmerklich. Sadewa erhob sich, nickte Nakula zu und dann auch Sarak. Wortlos verließ er den kleinen, stickigen Raum. Nakula würde den Rest erledigen. Als Sadewa das Ende des Flures erreichte, der mit den Türen zu den Separees gesäumt war, stieß er die zerkratzte Metalltür am Korridorende auf und trat auf den kleinen Balkon, der zu einer der Gassen zeigte, welche die Jalan Jaksa schnitten. Aus der Ferne konnte er den Verkehrslärm vom nahegelegenen Merdeka Square hören, während aus der Jalan Jaksa selbst das Treiben der Nacht zu vernehmen war. Gruppen an Bule, Ausländern, die es hier nach Sex und Alkohol gierte. Die liebreizenden Stimmen der kupu-kupu malam, der Nachtfalter, die in ihren aufreizenden Aufmachungen um die Gunst zahlungskräftiger Kunden warben. Sadewa lehnte sich an das Geländer und zündete sich eine Zigarette an, die er der halbzerknüllten Schachtel entnahm. Über der Jalan Jaksa zog ein Paar Drohnen seine Bahnen, erfasste das Treiben in der schmalen Straße mit seinen elektronischen Augen. Und überall war diese Werbung. Sie strahlte von Hologrammen in die verwinkelten Straßen hinab, füllte die Displays entlang der Gehwege, die im Neonlicht schimmernde Haut der kupu-kupu malam und die Kleidung der Nachtschwärmer aus.
Sadewa zog an seiner Zigarette, stieß den Rauch in die Nacht hinaus. Wenn sie Samayanti in ihrer Gewalt hatten, dann war Abgeordneter Raharjo ihnen ausgeliefert. Er würde es nicht wagen, die Behörden einzuschalten. Das konnte er sich im Moment nicht leisten. Nicht in dieser aufgeheizten Atmosphäre, wo im MPR, dem Parlament der Republik, über Fragen entschieden wurde, die die Zukunft des Landes bestimmen würden. Eine feste Zahl an Sitzen für das Militär, so wie in der alten Zeit, und eine Wiedereingliederung der POLRI, der nationalen Polizeikräfte, in die Armee – das war es, was Nakula und er, und die Organisation, für die sie standen, erreichen wollten. Vorerst. Es würde der erste Schritt zum Ende dieser ohnehin schon toten Demokratie sein.