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»Tod auf Ibiza. In der gestrigen Nacht hat ein Massaker die sonst so beschauliche Partyinsel erschüttert. Mehr als zehn Menschen wurden auf einer privaten Party erschossen. Unter den Toten befindet sich Enrique Sanchez, nach dem seit Jahren wegen Drogendelikten gefahndet wurde. Die örtliche Polizei glaubt, die Toten seien die Opfer eines Drogenkrieges. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Interpol ist bereits eingeschaltet.« Nick, ein junger Personal Trainer, bekommt das Angebot seines Lebens: Er soll für einen der reichsten Männer Ibizas den Sommer über auf der Partyinsel arbeiten. Was wie ein Traum klingt, entwickelt sich schnell zu einem ausgemachten Albtraum. Nach einer Party in der Villa eines Drogenbosses wacht Nick verkatert inmitten von Leichen auf, die Waffe hält er noch in der Hand, sein Hemd ist voller Blut. Hat er all die Menschen umgebracht? Er flüchtet vom Tatort und versucht auf eigene Faust, die Wahrheit herauszufinden. Doch diese ist viel grausamer, als er befürchtet hat.
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Veröffentlichungsjahr: 2025
Über den Autor
Über das Buch
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Kapitel 75
Danksagung
Das Buch erschien 2014 im Selbstverlag und wurde von einem großen Verlag 1015 rausgegeben. Die Rechte gingen nun an die Autorin zurück.
Neuveröffentlichung 2025
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2014
Katja Piel Seestraße 93, 63110 Rodgau, [email protected]
Umschlaggestaltung: Katja Piel
Lektorat und Korrektorat: Susanne Pavlovic
All rights reserved.
No part of this book may be reproduced in any form or by any electronic or mechanical means, including information storage and retrieval systems, without written permission from the author, except for the use of brief quotations in a book review.
Katja Piel wurde 1972 in Kelkheim geboren und lebt seit 20 Jahren mit Mann und Kind in Rodgau in Hessen. Sie war über 16 Jahre in der IT-Branche tätig und hatte 2012 ihr Debüt als Autorin.
Seit 2016 ist sie im Kundenmanagement einer großen Versicherungsgesellschaft tätig.
Von Katja Piel sind folgende weitere Bücher erhältlich:
Tod auf Ibiza. In der gestrigen Nacht hat ein Massaker die sonst so beschauliche Partyinsel erschüttert. Mehr als zehn Menschen wurden auf einer privaten Party erschossen. Unter den Toten befindet sich Enrique Sanchez, nach dem seit Jahren wegen Drogendelikten gefahndet wurde. Die örtliche Polizei glaubt, die Toten seien die Opfer eines Drogenkrieges. Die Ermittlungen laufen auf Hochtouren. Interpol ist bereits eingeschaltet.
Nick, ein junger Personal Trainer, bekommt das Angebot seines Lebens: Er soll für einen der reichsten Männer Ibizas den Sommer über auf der Partyinsel arbeiten. Was wie ein Traum klingt, entwickelt sich schnell zu einem ausgemachten Albtraum.
Nach einer Party in der Villa eines Drogenbosses wacht Nick verkatert inmitten von Leichen auf, die Waffe hält er noch in der Hand, sein Hemd ist voller Blut. Hat er all die Menschen umgebracht?
Er flüchtet vom Tatort und versucht auf eigene Faust, die Wahrheit herauszufinden.
Doch diese ist viel grausamer, als er befürchtet hat.
Kalte Luft strich über ihren nackten Körper. Es roch nach Algen und Meer. Irgendwo tropfte Wasser. Es klang, als wäre sie in einem großen, geschlossenen Raum. Und dann waren da noch das Schluchzen und die lauten Hilferufe, die sie schließlich zwangen, die Augen zu öffnen.
Sie schnappte nach Luft. Etwas bohrte sich schmerzhaft in ihren Rücken. Sie versuchte, sich aufzusetzen, doch ihre Arme und Beine waren an den Untergrund gefesselt. Zunächst nahm sie nur Dämmerung und Schatten wahr, dann allmählich das Glitzern einer Wasserfläche. Sie lag auf nassen Felsen, ihre Arme und Beine waren gespreizt.
»Hallo?« Ihre kraftlose Stimme wurde von den Wänden zu ihr zurückgeworfen. Sie versuchte sich zu bewegen, aber ihre Gelenke wurden von dicken Stahlringen umklammert, die wiederum mit Ketten verbunden waren. Ketten, die laut rasselten, wenn sie ihre Arme und Beine bewegte.
»Hilfe!«, rief sie. Panik schnürte ihr die Luft zum Atmen ab. Sie leckte sich über die trockenen Lippen. Sie schmeckten nach Salz. War sie in einer Höhle am Meer?
Wasser schwappte über ihre nackten Füße.
Sie blickte nach unten und zuckte zusammen. Sie zappelte ängstlich hin und her, soweit es die schweren Ketten zuließen.
Wieder drang ein Wimmern zu ihr, diesmal aus direkter direkter Nähe. Sie drehte ihren Kopf, suchte mit den Augen in der fahlen Dunkelheit nach der Herkunft des Geräusches, konnte aber auf den dunklen Felsen nichts erkennen. Da irgendwo musste ein anderes Mädchen sein, vermutlich so jung wie sie selbst. Es musste ganz in ihrer Nähe sein.
»Hallo?«, flüsterte sie. Es kam keine Antwort.
Das Wasser stieg weiter. Mit jeder Welle höher und höher. Es war eiskalt. Sie musste doch irgendwie hier rauskommen.
Plötzlich brach Flutlicht über sie herein. Mädchen um sie herum schrien. Geblendet kniff sie die Augen zu. Als sie einigermaßen sehen konnte, drehte sie ihren Kopf, soweit es ihr möglich war, und sah links von ihr auf einem Felsen ein Mädchen. Erneut zerrte sie an den schweren Fesseln, die keinen Millimeter nachgaben. Sie lag auf dem Rücken, spürte, wie das Wasser gegen ihre Fingerspitzen schlug, eiskalt an ihren Rücken kam und bei der nächsten Welle über ihren Knien zusammenschlug. Sobald die Welle abebbte, lag sie im kalten Luftzug schutzlos auf dem Felsen.
Die nächste Welle kam rauschend auf sie zu, spülte eiskaltes Wasser über ihren Bauch. Sie zuckte zusammen, keuchte schwer vor Angst, hob ihre Arme erneut und riss an den Ketten. Immer und immer wieder, bis das harte Eisen an ihren Handgelenken so stark scheuerte, dass ein dumpfer Schmerz durch ihre Arme zog. Ein Schmerz, der ihr sagte, dass sie wach war, nicht träumte. Über sich entdeckte sie plötzlich einen roten, blinkenden Punkt. Eine Kamera? Jemand hatte eine Kamera auf sie gerichtet.
Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen. Zähneklappernd lag sie auf dem Felsen. Sie hätte sich am liebsten zusammengerollt, um sich zu wärmen. Stattdessen riss sie verzweifelt an ihren Fesseln.
Sie hoffte, dass sie nicht abrutschen würde, reckte sich nach oben und legte den Kopf in den Nacken. Es war ein verzweifelter Versuch zu überleben.
Sie tat das, was sie immer tat, wenn sie aus der realen Welt flüchtete. Sie dachte an einen Strand. Wie sie im warmen Sand lag, die Füße darin vergraben. Die Sonne wärmte ihre Haut und sie lauschte der Stimme ihres Vaters.
Papa, komm und rette mich …
Sonnenlicht blendete Nick durch seine geschlossenen Augenlider. Ein heftiger Schmerz durchzuckte seine Schläfen und seinen Rücken. Der Gestank von Erbrochenem kroch ihm in die Nase. Laute Musik drang zu ihm, die Beats waren langsam, hämmerten aber in seinem Kopf. Das genügte, um ihn endgültig aus dem Schlaf zu reißen. Er hob vorsichtig den Kopf, rieb sich über die Augen und streckte den Rücken durch. Schwindel erfasste ihn. Als er die Hand hob, rutschte ihm ein schwerer Gegenstand aus den Fingern und verursachte ein schepperndes Geräusch auf dem Fliesenboden.
Eine Pistole.
Eine Pistole?
Langsam drehte er seinen Kopf, blickte sich um.
Rund um ihn lagen leblos aussehende Menschen. Ein Mädchen, war es Nina? Er hatte doch gestern noch mit ihr getanzt. Nun blickte sie mit seltsam leeren Augen ins Nichts. In ihrer Stirn befand sich ein daumennagelgroßes Loch. Es hatte kaum geblutet, fast sah es aus, als hätte sie es sich aufgemalt. Neben ihr lag der Typ von der Bar. Wie hatte er noch geheißen? Luca? Lukas? Sein Hemd war voller Blut.
Es sah unbequem aus, wie er da lag, den Kopf merkwürdig nach hinten überstreckt, trotzdem rührte er sich nicht … Es sah aus wie inszeniert.
In Nick breitete sich eine Taubheit aus, die ihn mechanisch handeln ließ. Er nahm die Waffe in die Hand. Sie fühlte sich ungewohnt und bedrohlich an. Sein Blick glitt über die toten Menschen, die wie Puppen in einem grotesken Bühnenbild auf dem Boden lagen. Ein Gecko kletterte vom fahlen Gesicht eines Partygastes durch die Reste einer Hochsteckfrisur hinunter auf den weißen Marmorboden, wo er kleine rote Fußabdrücke hinterließ.
Zu schwach, um aufzustehen, rutschte Nick auf dem Hintern zur Seite und stieß gegen einen der leblosen Menschen. Jeden Moment erwartete er, man würde nach ihm greifen und alle würden lachend und johlend aufstehen. Doch die aufgerissenen Augen, in die er starrte, belehrten ihn eines Besseren. Niemand würde aufwachen!
Niemand würde rufen: »Überraschung. Wir haben dich verarscht!«
Schwankend kam er auf die Beine, stand wackelig in dem geräumigen Wohnzimmer, das ganz in Weiß gehalten war. Durch die offene Terrassentür strömte warme Luft, die langen, cremefarbenen Gardinen bewegten sich im Wind. Draußen zwitscherten Vögel, Sonnenstrahlen bahnten sich einen Weg ins Haus und spielten mit den Schatten der Gardinen. Irgendwo quietschte etwas in einem seltsamen und wiederkehrenden Rhythmus.
Nick sah an sich hinab. Seine Kleidung und seine Hände waren blutverspritzt.
Oh Gott! Was war hier passiert?
Was zum Henker machte er überhaupt mit einer Knarre?
Auf dem weißen Lacktisch stand ein riesiger Kübel. Champagnerflaschen schwammen darin in einer Pfütze aus geschmolzenem Eis und Blut. Halbvolle oder leere Gläser, Tellerchen und kleine Schälchen mit Essensresten zeigten ihm, dass hier eine Party stattgefunden haben musste. Ja natürlich. Die legendäre Ibiza White Party. Carlos hatte zum Insel Opening eingeladen. Nur elitäre Gäste. DJs, Yachtclub-Inhaber, Beachclub-Mitarbeiter vom Blue Marlin oder Nizza. Tänzer und Tänzerinnen vom Pacha, Amnesia und Privilege traten auf. Es war der gesellschaftliche Höhepunkt des Jahres, die Party des Jahres.
Was zur Hölle war passiert? Eben noch hatte er mit Verena, eigentlich Carlos‘ Mädchen, getanzt, und sie hatte ihn angeflirtet. »Treibt es nicht zu weit«, hatte Carlos in sein Ohr geraunt, aber dabei gelacht und ihm schließlich ein Glas Champagner in die Hand gedrückt. Während Verenas kleiner Po zum Beat wippte und an seinem Geschlecht rieb, hatte Nick versucht, an etwas anderes zu denken. Seit einigen Wochen hatten sie eigentlich schon ein Verhältnis gehabt. Er war drauf und dran gewesen, sich ernsthaft in die junge, hübsche Frau zu verlieben …
»Verflucht«, zischte er laut, »was ist passiert?« Je mehr Nick versuchte, sich an etwas zu erinnern, das über die Party hinausging, desto mehr quälte ihn der Kopfschmerz und der Nebel war undurchdringbar. Ihm fiel nicht ein, warum Menschen erschossen worden waren.
Erst jetzt überrollte ihn die Erkenntnis, dass er auf einem Friedhof stand und als einziger lebte. Vielleicht war der Mörder noch im Haus?
Mit wenigen Schritten hatte er das Wohnzimmer durchquert und ging hinter die hohe Theke, wo die Anlage stand. Er drückte auf mehrere Knöpfe und schaltete sie schließlich aus. Das gespenstische Quietschen blieb. Es kam von dem alten Ventilator, der direkt hinter ihm stand und die Anlage belüften sollte. Nick zog den Stecker raus, und eine gespenstische Stille umhüllte ihn plötzlich. Er lauschte, hob die Waffe leicht an. War sie überhaupt geladen? Könnte er überhaupt jemanden damit umbringen? Egal. Er fühlte sich damit sicherer.
Die grauen Schleier in seinem Kopf konnten nicht nur vom Alkohol stammen. Es mussten Drogen im Spiel gewesen sein. Er erfuhr die Nachwirkungen eines starken Rauschmittels. Noch nie in seinem Leben hatte er Drogen genommen. Möglicherweise war das der Grund für seinen Filmriss. Jemand musste ihm etwas untergejubelt haben. Aber warum? Und warum lebte er, während alle anderen tot waren?
Immer noch benebelt ging er in dem Wohnzimmer auf und ab, blieb vor den Leichen stehen, kniete sich zu einer hinab und spürte, wie sich erneut sein Magen umdrehte. Das konnte einfach nicht wahr sein.
Kalte, leblose Augen. Enriques Augen. Sein blütenweißes Hemd war durchlöchert von Kugeln. Grotesk verbogen lag er da, fast wie eine Puppe. Schweiß lief von Nicks Stirn. Seine Beine zitterten. Lange kniete er neben dem alten Drogenbaron Ibizas. Seine grauen langen Strähnen hingen dem Toten wirr ins bleiche, wächsern aussende Gesicht.
Schließlich stand Nick auf.
Helles, goldenes Haar war in Blut getaucht und er hatte das Gefühl, jemand würde nach seinem Herzen greifen, als er zu dem Sofa ging, hinter dem die Haare hervor lugten. Er musste nicht sehen, wer dort auf dem Boden lag, um zu wissen, dass sie es war. Aber er konnte seine Beine nicht stoppen. Mit einem jämmerlichen Stöhnen sank er auf den Boden. Verena. Mit ihren großen, dunkelblauen Augen starrte sie an die Decke. Fast erwartete er, dass sie blinzeln würde. Nick berührte ihre Wange, an der Blut klebte, sie war kalt. In ihrem schönen weißen Sommerkleid klaffte ein Loch in Brusthöhe. Überall Blut. Ein Massaker. Hier hatte jemand ein Massaker angerichtet! Wer?
Behutsam strich er ihr über das Gesicht und legte ihr ein Tuch auf die Augen.
Ob es noch jemanden gab, der überlebt hatte? Seine Gedanken ließen sich nicht festhalten, der Nebel sich nicht durchdringen. Um einen klaren Gedanken zu fassen, müsste er an die frische Luft gehen, etwas trinken.
Polizeisirenen kamen näher. Sie waren noch leise, also fuhren sie vermutlich gerade die Hauptstraße entlang. Wer zum Henker hatte die Polizei gerufen?
Panisch hastete er zur Terrasse, schlüpfte durch die Gardinen ins Freie, rannte die Stufen hinab in Richtung Pool, über die Holzplanken, die einen klebrigen Film auf seinen Schuhsohlen hinterließen, zur hinteren Mauer, und zog sich hoch. Ohne noch einen Blick zurückzuwerfen, ließ er sich auf der anderen Seite runter und stolperte durch den Pinienwald den Berg hinab. Die Waffe ließ er in die raschelnden Piniennadeln fallen, die den Boden bedeckten.
Die noch kühle Brise erfrischte Emile, während er mit lockeren Schritten über den Asphalt joggte und sich von der Musik aus seinen Kopfhörern treiben ließ. Emile liebte es, in den frühen Morgenstunden zu laufen. Seine Lieblingsstrecke befand sich direkt am Hafen von Eivissa, seiner Vila, wie er die Hauptstadt Ibizas liebevoll bezeichnete. Er freute sich schon auf seinen Espresso im La Plaza, nachdem er zu der alten Festung hochgejoggt war.
Bevor er jedoch weiter darüber nachdenken konnte, wie sein heutiger Arbeitstag im Präsidium aussehen würde, vibrierte sein Handy in seiner Bauchtasche. Emile schnippte die Ohrstöpsel aus den Ohren, lief locker weiter, griff nach dem Telefon und klemmte es sich zwischen Schulter und Kopf.
»Vancella«, brummte er etwas atemlos.
»Senor. Sie müssen sofort nach Santa Gertrudis kommen. Ein Massaker. Mehrere Tote. Sieht aus wie ein Massaker hier. Ein Opfer ist Enrique Sanchez …«, stieß sein Kollege hervor.
»Ich bin unterwegs«, sagte Emile knapp, legte auf und verstaute das Telefon wieder in seiner Bauchtasche.
Es war kurz nach acht Uhr morgens. Emile wusste nicht, ob er sich über die Neuigkeit freuen sollte.
Immerhin war er schon seit gefühlten Jahrzehnten hinter dem Drogenboss her, bislang ohne ihm etwas nachweisen zu können.
Er streckte sich, bewegte Schultern und Hals und joggte in Richtung seines Dienstwagens, den er in einer Seitenstraße geparkt hatte.
Zwanzig Minuten später traf er am Tatort ein. Die Polizei hatte die Zufahrt zu den Villen in den Weinbergen gesperrt. Als sie Emiles staubigen Seat erkannte, ließ sie ihn durch.
Er parkte den Wagen unter einem Mirabellenbaum und stieg aus. Am Tor zur Villa standen bereits einige Kollegen, die ihn freundlich begrüßten. In seiner Funktion als Hauptkommissar hatte er sich in den letzten Jahren einen guten Namen gemacht. Seine Hauptaufgaben lagen in der Drogenszene Ibizas. Das Netzwerk, mit dem er weltweit zusammenarbeitete, hatte er sich selbst aufgebaut. Bevor Emile nach Ibiza gekommen war, hatte er in Madrid in der Mordkommission gearbeitet. Gerade auf der Partyinsel der Balearen waren Drogen immer wieder ein Problem.
Emile hatte Jahre gebraucht, um den Drogenbaron Enrique hier auf Ibiza aufzuspüren. Und jetzt sollte er tot hier in der Villa seines Sohnes Carlos liegen? Unvorstellbar.
Im Inneren der Villa war ein großes Aufgebot an Spurensicherung, Beamten und Fotografen unterwegs. Seine junge Kollegin Eleonora Fernandez kam ihm schon entgegen. Sie war vor zwei Monaten nach Ibiza versetzt worden. Zusammen gaben sie ein hübsches Paar ab, wenn man vom Altersunterschied absah.
»Guten Morgen, Chef«, begrüßte sie ihn. Emile nickte ihr freundlich zu und sah über ihren Kopf hinweg auf die Szenerie, die sich ihm bot. Mitarbeiter von der Spurensicherung, die in ihren weißen Schutzanzügen auf dem Boden rumkrabbelten, und überall tote Menschen.
»Mindestens 15 Tote. Darunter der alte Sanchez und seine Bodyguards. Unsere Männer sind schon zur Villa unterwegs, um den Sohn zu informieren«, fasste Eleonora zusammen, während Emile auf die Leichen zuging und sich jede Einzelheit genau ansah.
»Auf den Tischen und an der Bar lagen einige von diesen Visitenkarten herum.« Sie gab ihm einen durchsichtigen Plastikbeutel mit einer Karte darin. Nicholas Behrends. Personal Trainer. Mit einer deutschen Handynummer. Emile seufzte. »Da werden wir wieder mit den Deutschen diskutieren müssen, warum wir seine GPS-Ortung und die letzten Nummern brauchen, die er angerufen hat. Gib das in die Abteilung, Eleonara. Moment. Haben wir noch eine?« Eleonara nickte. »Wir haben etwa zwanzig Stück in der Villa verteilt gefunden.« Sie gab ihm eine weitere in Plastik gehüllte Karte, die er einsteckte.
»Noch was? Wo ist die Tatwaffe?«
»Wir suchen bereits danach.«
»Könnte es nicht auch eine von denen gewesen sein?« Er deutete mit der Fußspitze auf einen der Bodyguards. »Oder waren die ohne Waffen unterwegs?«
»Schon bei den Beweisstücken.« Emiles Blick wurde von einer blonden Haarsträhne angezogen, die hinter der Couch hervorlugte. Sie gehörte zu einer Frau. Ihre Augen waren mit einem Tuch bedeckt.
Warum waren die Augen bedeckt worden? Er kniete sich neben die Spurensicherung, fummelte einen Gummihandschuh aus seiner Hosentasche und griff vorsichtig nach dem Tuch, das er an die Spurensicherung weiter reichte. Er blickte ihr ins Gesicht, das verkrampft wirkte. Jemand musste ihr das Tuch über die Augen gelegt haben, nachdem sie getötet worden war. Warum tat ein Amokläufer so etwas?
»Señor Vancella.« Eilige Schritte näherten sich ihm, er stand auf und drehte sich um. Er hob fragend eine Augenbraue, als er dem jungen Neuling in seinem Team gegenüberstand.
»Draußen steht so ein gelackter Reporter von CNN.«
»Und?«, fragte er barsch.
»Er wollte mit Ihnen sprechen.«
»Lassen Sie mich raten? Michael Farnsworth?«
Der junge Spanier nickte eifrig. Emile seufzte genervt. »Sagen Sie ihm, dass ich gleich komme.«
»Müssen Sie sich mit dem unterhalten?«, fragte Eleonara mit prüfendem Blick.
»Eigentlich nicht. Aber ich bin ihm etwas schuldig. Er hat mir ein paar wichtige Kontakte in den USA aufgemacht. Kommen Sie hier alleine klar?« Eleonara nickte, dass ihr Pferdeschwanz wippte. Emile war schon im Begriff, die Villa zu verlassen, als er sich noch einmal zu ihr umdrehte.
»Dieser Nicklas Behrends. Lassen Sie die Hoteldatenbank prüfen, und dann besuchen wir den Deutschen. Bin neugierig, was er zur letzten Nacht zu sagen hat.«
»Si Señor«, sagte Eleonara eifrig und kritzelte etwas in ihr Notizbuch.
»Ach ja. Und prüfen Sie die Interpol Datenbank, ob etwas gegen ihn vorliegt.« Eleonara hob genervt die Augenbrauen. »Das hätte ich sowieso gemacht«, murmelte sie verärgert. Emile hatte sie gehört und musste lächeln. Natürlich hätte sie das gemacht.
Seine Lungen brannten, Schweiß lief ihm in die Augen, nahm ihm die Sicht.
Scheiße, Scheiße, Scheiße, trommelte es in seinem Kopf im Takt seiner Schritte.
Während er sich durch das unwegsame Gelände arbeitete, versuchte er, einen klaren Gedanken zu fassen und die Drogen, die ihm offensichtlich verabreicht worden waren, aus seinem Körper zu schwitzen. Ich brauche meine Sachen, muss zum Hotel. Warum bin ich bloß nicht in der Villa geblieben? Warum bin ich weggelaufen? Ich habe ja nichts getan! Die Polizei, dein Freund und Helfer. Ich habe nichts getan. Oder?
Oder?
Nick warf einen raschen Blick auf seine Uhr. Die Sonne wärmte die Luft bereits auf, obwohl es erst acht Uhr morgens war. Im Juni war es zwar noch nicht so heiß, aber es reichte, um ihn ins Schwitzen zu bringen. Im Schutz der Pinienbäume war er der direkten Sonne nicht ausgesetzt, aber die Luft war unerträglich. Schweißperlen rannen ihm den Bauch hinab, und bald klebte sein T-Shirt nass auf seiner Haut. Er musste sich irgendwo verstecken. Vermutlich hatte er einen Vorsprung, die Polizei würde bestimmt die Umgebung sichern und nach dem Mörder suchen.
Sein Herz schlug heftig gegen seine Rippen bei der Vorstellung, sie könnten ihn finden.
Hier draußen mit blutverschmierter Kleidung, außer Atem, voll mit Drogen, und das Haus übersät mit seinen Fingerabdrücken. Siedendheiß fielen ihm die Visitenkarten ein, die er gestern überall in der Villa ausgelegt hatte.
Die Arme schützend vor das Gesicht gehalten, kämpfte er sich durch Gestrüpp und fand sich an einer der hohen, weißen Mauern wieder, die überall auf der Insel die Grundstücke umgaben. Hastig riss er sich das weiße Leinenhemd vom Körper, rieb sich seine Jeans mit Schmutz ein und vergrub das Hemd in der Erde. Er hoffte, die Blutspritzer würden durch den Dreck nicht so leicht zu sehen sein. Glücklicherweise war sein ärmelloses Shirt, das er darunter trug, nicht von Blut besudelt.
Er musste weg. Raus aus der Schusslinie. Seine Gedanken ordnen. Erneut überfiel ihn Panik. Knatternde Geräusche kamen näher. Motorräder? Quads? Nick blieb stehen und duckte sich hinter einen dichten Strauch, hob sein T-Shirt zur Stirn und rieb sich den Schweiß ab. Sein Atem ging hastig, sein Herz klopfte bis zum Hals.
Verzweifelt bemühte er sich, seine Erinnerung auszudehnen. Doch der Versuch verursachte ihm Kopfschmerzen. Wütend ballte er die Hände zu Fäusten. War er dazu fähig, mehrere Menschen zu ermorden? Hatte er etwas getan auf dieser Party? Was war aus dem Ruder gelaufen?
Mehrere Quads knatterten laut an ihm vorbei.
Erst als sie nur noch leise zu hören waren, stand Nick wieder auf und rannte weiter.
Weg. Weg von Ibiza. Hotel. Er musste nach San Antonio zu seinem Hotel. Seine Papiere holen. Von der Insel flüchten.
Wenn er sich richtig orientiert hatte, musste er oberhalb von Santa Gertrudis sein, einem kleinen, malerischen Ort nördlich von Eivissa, Ibiza Stadt. Wenn er Glück hatte, würde er direkt an der Hauptstraße ein Taxi zum Flughafen bekommen.
Er zwängte sich durch die Sträucher, rannte im Zickzack den Hang hinunter und kam an einem Fußballfeld wieder raus. Der Platz war leer. Nick rannte durch die kleinen verkehrsberuhigten Gassen, in der Hoffnung, die Hauptstraße würde sich gleich vor ihm auftun. Stattdessen stand er plötzlich auf einem großen Platz mit einer Kirche auf der linken Seite und Tapas-Bars auf der rechten. Gehetzt überquerte er den Platz, hielt sich links und sah von weitem die Hauptstraße, wo mehrere Taxis auf ihre Gäste warteten. Erleichtert überquerte er die Straße und öffnete die Beifahrertür des vordersten Taxis.
»Adonde?«, fragte der Fahrer. »Sant Antoni«, antwortete Nick und zog einen Fünfzig-Euro-Schein hervor. »Wie schnell können Sie dort sein? Mein Flug geht um 11.45 und ich muss vorher meine Sachen aus dem Hotel holen.« Nick wusste, dass die Airline zweimal am Tag Frankfurt am Main anflog. Er ging davon aus, dass der Taxifahrer keine Fragen stellen würde.
Der Fahrer entblößte grinsend seine stummeligen Zähne und bedeutete ihm, einzusteigen.
»Das nenne ich knapp, Señor. Aber ich schaffe bestimmt.«
Nick setzte sich auf das ausgeleierte Kunstleder und schnallte sich an. Der Taxifahrer presste den Fuß auf das Gaspedal. »Festhalten!«
Nick lehnte sich zurück. Kalter Schweiß rann über seinen Körper. Sein Blick fiel in den Rückspiegel. Weit und breit waren keine Polizeiautos zu erkennen. Das alles war eine Katastrophe, soweit war er schon mal. Aber nun galt es, einen kühlen Kopf zu bewahren und seine nächsten Schritte vorbereitet zu gehen.
Nick zog sein Handy aus der Hosentasche und schaltete es ein. Nur noch ein halber Balken Strom. Wen sollte er anrufen? Er verwarf den Gedanken wieder, schaltete das Handy aus und steckte es weg. Er war in einer verdammt beschissenen Lage.
»Welche Hotel muss Señor?«, fragte der Taxifahrer, als er dem Kreisel folgte und die erste Ausfahrt rechts einbog. Nick schreckte auf. Sie waren schon fast da. »Ocean Beach.« Der Fahrer nickte, fuhr Richtung Hafen und bog am nächsten Kreisel die dritte Straße ein.
»Warten Sie bitte vor dem Hotel. Ich brauche nicht lange«, bat Nick.
Wenig später hielt der Fahrer vor dem Hotel. Nick sprang aus dem Taxi und spurtete zum Haupteingang. Er war sich fast sicher, dass die Polizei bald auftauchen würde. Immerhin hatte er nicht mit Werbematerial gespart. Visitenkarten und Flyer mit seinem Foto lagen in der Villa verstreut herum, und einige der Opfer hatten sich eine Karte eingesteckt. Und wenn sie die Waffe fänden, die er fallengelassen hatte? Verflucht, er war so ein Dummkopf. Andererseits wäre es sicher auch nicht klug gewesen, sich mit einer möglichen Tatwaffe zu belasten. So war er vielleicht einfach nur ein Zeuge, den die Polizei suchte. Nick rannte zum Aufzug, der ihn in den zweiten Stock brachte. Sein Zimmer war in der Nähe des Fahrstuhls.
Mit zittrigen Fingern führte er die Karte in den Schlitz und öffnete die Tür. In seinem Zimmer herrschte Chaos.
Das Zimmermädchen war noch nicht da gewesen.
Er öffnete den Safe, holte sein Geld raus, suchte nach dem Ladekabel für sein Handy und stolperte über seine Schuhe. Zum Packen hatte er keine Zeit mehr. Dann würde er in Deutschland eben auf einige Hosen, Shirts und Schuhe verzichten müssen.
Außer Atem stieg er nach zehn Minuten wieder in das Taxi ein. »Schnell, Señor. Nicht viel Zeit.« Der Fahrer wendete das Taxi und fuhr den gleichen Weg zurück, den er gekommen war.
»Fahren Sie schneller, bitte. Wenn Sie eine Abkürzung kennen, nehmen Sie sie. Ich habe nicht mehr viel Zeit.« Der Fahrer nickte und bog kurzerhand links in eine Seitenstraße ein, um die nächste wieder links zu fahren.
Er schloss die Augen und schluckte trocken. Wenn er erst am Flughafen wäre, könnte er sich ein Ticket nach Deutschland kaufen und von der Insel verschwinden. Diesen Albtraum hinter sich lassen.