Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen - Peter C. Gøtzsche - E-Book

Tödliche Psychopharmaka und organisiertes Leugnen E-Book

Peter C. Gøtzsche

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  • Herausgeber: Riva
  • Kategorie: Ratgeber
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2016
Beschreibung

In seinem zweiten Buch konzentriert sich Peter C. Gøtzsche auf die Missstände in der psychiatrischen Behandlung, bei der die Profitgier von Ärzten und Pharmaindustrie über das Wohl der Patienten gestellt wird. Anhand fundierter wissenschaftlicher Recherchen und Studien deckt er ein Geflecht aus Fehldiagnosen, Korruption und Lügen auf. Dabei geht er verbreiteten Falschaussagen wie diesen auf den Grund: -Psychische Krankheiten werden durch ein chemisches Ungleichgewicht im Gehirn hervorgerufen. -Behandlungen mit Psychopharmaka führen nicht zu einer Abhängigkeit. -Antidepressiva schützen Patienten vor Selbstmord. Betroffen sind davon nicht nur wenige psychisch Kranke, die in Kliniken behandelt werden, sondern darüber hinaus eine breite Masse der Bevölkerung, deren akutes psychisches Tief oft vorschnell zu einer chronischen Erkrankung aufgebaut wird. Neben einem tiefen Einblick in ein nur vermeintlich wissenschaftlich verlässliches Gebiet bietet der Autor aber auch Lösungen an und hilft so Patienten und Ärzten, einen Weg zu finden, der aus bestehenden Mustern hinausführt.

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Seitenzahl: 646

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Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.
Für Fragen und Anregungen:
[email protected]
1. Auflage 2016
© 2016 by riva Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH,
Nymphenburger Straße 86
D-80636 München
Tel.: 089 651285-0
Fax: 089 652096
© der Originalausgabe Peter C. Gøtzsche og People’s Press, København 2015
Die Originalausgabe erschein 2015 unter dem Titel Deadly Psychiatry and Organised Denial.
Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
Übersetzung: Martin Rometsch
Redaktion: Matthias Michel
Umschlaggestaltung: Stephanie Druckenbrod
Umschlagabbildung: Shutterstock/Peter Herman Furian; Shutterstock Gordan
Satz und E-Book: Daniel Förster, Belgern
ISBN Print 978-3-86883-756-8
ISBN E-Book (PDF) 978-3-95971-005-3
ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-95971-006-0
Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter
www.rivaverlag.de

Inhalt

Einführung
Silberrücken in Großbritannien und das organisierte Leugnen der Psychiatrie
Was bedeutet es, psychisch krank zu sein?
An geisteskranken Orten geistig gesund sein
Die Dämonen greifen an
Es werde eine Störung
Psychopharmaka führen zu vielen Fehldiagnosen
Die Industrie der Wohltaten
Patienten sind keine Konsumenten
Weitere komische und erfundene Diagnosen
Depression
Screening auf Depression
Antidepressiva helfen nicht bei Depression
Andere schwere Fehler in placebokontrollierten Studien
Das furchtbare Medikament Fluoxetin und Bestechung in Schweden
Schäden durch Antidepressiva werden geleugnet oder heruntergespielt
Die FDA schützt Eli Lilly
Erhebliche Untererfassung von Suiziden in randomisierten Studien
Die FDA-Metaanalyse zu Suiziden in Studien mit 100 000 Patienten ist extrem fehlerhaft
Ein weiterer schmutziger Trick: Statt Patienten werden Patientenjahre zugrunde gelegt
Fallgeschichten zu Suiziden bei Patienten, die SSRI einnahmen
Akathisie trägt die Hauptschuld
Lundbeck: Unsere Medikamente schützen Kinder vor Suizid
Völlig irreführende Beobachtungsstudien zu Suiziden
Durch Antidepressiva verursachte Tötungsdelikte
Die Pillen, die Ihr Sexualleben zerstören
Schädigung des Fetus
GlaxoSmithKline lügt und betrügt
Test 329 zu Paroxetin bei Kindern und Jugendlichen
Die STAR*D-Studie, ein Fall von Verbraucherbetrug?
Bildteil
Angst
Schlaftabletten
ADHS
ADHS bei Kindern
ADHS bei Erwachsenen
ADHS-Medikamente
ADHS-Medikamente für Kinder
ADHS-Medikamente für Erwachsene
Schäden durch ADHS-Medikamente
Schizophrenie
Menschliche Versuchskaninchen in Amerika
Chemische Lobotomie
Studien zu Schizophreniemedikamenten
Antipsychotika töten viele Menschen
Eine Patientengeschichte
Antipsychotika werden gepuscht
Eli Lillys Verbrechen mit Olanzapin
Stigmatisierung
Stimmen hören
Die bipolare Störung
»Stimmungsstabilisatoren«
Die Erfahrung eines jungen Mannes
Demenz
Wir machen Menschen mit Psychopharmaka dement
Elektroschocks
Psychotherapie und Bewegung
Psychotherapie bei Angst und Depression
Psychotherapie bei Zwangsstörungen
Psychotherapie bei Schizophrenie
Bewegung
Was geschieht im Gehirn?
Psychopharmaka wirken nicht »gegen« etwas
Genetische Studien und Transmitterforschung
Chronische Hirnschäden
Abhängigkeit von Psychopharmaka
Arzneimittelbehörden, der verlängerte Arm der Industrie
Arzneimittelabhängigkeit wird oft als Rückfall fehlgedeutet
Der Unsinn vom chemischen Ungleichgewicht
Das Absetzen von Psychopharmaka
Die schlimmste Arzneimittelepidemie aller Zeiten
Wie soll man vorgehen?
Organisiertes Verbrechen, Korruption bei Menschen und in der Wissenschaft und andere Übel
Lundbecks immergrünes Citalopram
Die Fantasiewelt der Psychiatrie
Eine dänische Hexenjagd
Vortragsreise in Australien
Die Psychiatrie ist keine evidenzbasierte Medizin
Können wir die Psychiatrie reformieren oder brauchen wir eine Revolution?
Tödliche Psychiatrie und Sackgassen
Der Zusammenhang zwischen Psychopharmaka und Tötungsdelikten
Wie wenig Medikamente brauchen wir?
Wie viele Menschen sterben durch Psychopharmaka?
Zwangsbehandlung und zwangsweise Unterbringung müssen verboten werden
Menschenrechte in Europa
Zwangsbehandlung
Patientenrechte
Meine Kommentare
Zwangsbehandlung muss verboten werden
Die Vereinten Nationen verbieten Zwangsbehandlung und zwangsweise Unterbringung
Liebe Luise
Was können Patienten tun?
Was können Ärzte tun?
Nützliche Webseiten
Danksagung
Über den Autor
Bücher von Peter C. Gøtzsche
Abkürzungen
Literaturnachweise

Einführung

Die Psychiatrie ist kein einfaches Fachgebiet. Sie erfordert eine Menge Geduld und Verständnis und es kommt zu vielen Enttäuschungen. Ich bin mir sicher, dass Psychiater manchmal frustriert über Patienten sind, die nicht aufhören, ihr eigenes Leben zu zerstören, und sich weigern, die ihnen gegebenen guten Ratschläge zu befolgen, damit sie ihre Einstellung zu den vielen Problemen des Lebens verbessern können.

In diesem Buch geht es jedoch nicht um die Probleme der Psychiater. Es widmet sich der Frage, warum es der Psychiatrie nicht gelungen ist, das zu geben, was die Patienten wollen, und welche Folgen es hat, wenn sie sich auf die Anwendung schädlicher Medikamente von fragwürdigem Nutzen konzentriert. Die meisten Patienten sprechen nicht auf die Arzneimittel an, die sie bekommen, und leider führt die Enttäuschung der Psychiater über mangelnde Fortschritte oft zur Verordnung weiterer Medikamente oder höherer Dosen, was den Patienten noch mehr schadet.

Psychopharmaka sind so schädlich, dass sie in den Vereinigten Staaten und Europa jedes Jahr mehr als eine halbe Million Menschen im Alter von 65 Jahren und darüber töten (siehe Kapitel 14). Das macht sie zur dritthäufigsten Todesursache nach Herzkrankheiten und Krebs.

Ich glaube, Psychiatriepatienten fürchten nichts mehr als Zwangsbehandlungen. Das ist ein wichtiger Grund dafür, dass ein enger Kontakt mit der psychiatrischen Therapie die Zahl der Suizide deutlich erhöht (siehe Kapitel 15). Ich werde erklären, warum Zwangsbehandlung unethisch ist und verboten werden muss, und ich werde zeigen, dass die Psychiatrie ohne sie auskommt.

Viele Psychopharmaka erhöhen nicht nur die Gesamtsterblichkeit, sondern auch das Risiko für Suizid und Tötungsdelikte, und keine Arzneimittelbehörde der Welt hat ein Medikament zur Prävention von Suiziden zugelassen. Lithium ist eine Ausnahme, da es möglicherweise die Zahl der Suizide senkt (siehe Kapitel 7). Ein weiteres Problem, das ich aufgreife, ist die Verbreitung von Überdiagnosen und Überbehandlungen. Es werden enorm viele Überdiagnosen gestellt, und wenn Sie erst einmal eine psychiatrische Diagnose erhalten haben, wird alles, was Sie tun oder sagen, verdächtig, weil Sie nun unter Beobachtung stehen – was bedeutet, dass die erste, vielleicht vorläufige Diagnose allzu leicht zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung wird (siehe Kapitel 2).

Ich glaube, wir könnten die derzeitige Verordnung von Psychopharmaka um 98 Prozent senken und gleichzeitig die geistige Gesundheit der Menschen verbessern und ihre Lebenserwartung erhöhen (siehe Kapitel 14). Der wichtigste Grund für die heutige Arzneimittelkatastrophe liegt darin, dass führende Psychiater der Pharmaindustrie erlauben, ihr Fachgebiet und sie selbst zu korrumpieren. Dieses Buch habe ich vor allem für die Patienten geschrieben, besonders für jene, die verzweifelt versuchen, von ihren Medikamenten loszukommen, aber bei ihren Ärzten auf Feindseligkeit und Arroganz stoßen. Ich werde erklären, wie es möglich ist, Medikamente nach und nach gefahrlos abzusetzen (siehe Kapitel 12).

Ich habe das Buch aber auch für junge Psychiater in der Ausbildung geschrieben, und zwar in der Hoffnung, dass es sie inspiriert, ihr Fachgebiet zu revolutionieren, was unbedingt notwendig ist. Ein Zeichen dafür, dass die Psychiatrie sich in einer tiefen Krise befindet, ist die Tatsache, dass mehr als die Hälfte der Patienten glaubt, ihre psychische Störung werde von einem chemischen Ungleichgewicht im Gehirn verursacht. Diese irrige Vorstellung geht auf ihre Ärzte zurück und das bedeutet, dass mehr als die Hälfte der Psychiater ihre Patienten belügt. Ich kenne keine anderen Fachärzte, die ihre Patienten belügen. Doch Psychiater belügen auch sich selbst und die Öffentlichkeit, und ich werde an vielen Beispielen zeigen, dass offizielle Erklärungen den Nutzen psychiatrischer Interventionen um das Fünf- bis Zehnfache übertreiben und die Schäden in etwa gleichem Umfang unterschätzen. Diejenigen an der Spitze der Hierarchie nenne ich »Silberrücken« – weil es fast nur Männer sind und sie sich wie die Gorilla-Silberrücken im Urwald benehmen, die anderen den Zugang zur Macht versperren, wofür sie in der Natur mit der leichten Verfügbarkeit von Weibchen belohnt werden und in der Psychiatrie mit Geld und Ansehen. Diese Silberrücken leiden an kollektivem, organisiertem Leugnen. Sie weigern sich, die von ihnen angerichteten Schäden wahrzunehmen, selbst wenn die Beweislage überwältigend ist. Zudem haben sie etliche Mythen und Irrtümer zusammengetragen, die sie stur verteidigen, obwohl sie den Patienten sehr schaden. Einige der schlimmsten – die ich in diesem Buch entlarven werde – sind:

•Psychiatrische Diagnosen sind zuverlässig.•Die Stigmatisierung wird verringert, wenn man Patienten eine biologische oder genetische Erklärung für ihre psychische Krankheit gibt.•Die Anwendung von Psychopharmaka spiegelt die Zahl der Menschen mit psychischen Störungen wider.•Im Gehirn von Menschen mit psychischen Störungen herrscht ein chemisches Ungleichgewicht, das Psychiater mit Medikamenten beheben können, so wie Endokrinologen Diabetes mit Insulin behandeln.•Eine Langzeitbehandlung mit Psychopharmaka ist gut, weil sie ein Wiederaufflammen der Krankheit verhindert.•Eine Behandlung mit Antidepressiva führt nicht zu Abhängigkeit.•Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen mit Antidepressiva schützt vor Suizid.•Depression, ADHS und Schizophrenie führen zu Gehirnschäden.•Medikamente können Gehirnschäden verhindern.

Außerdem werde ich erklären, wie ich zu dem Schluss gekommen bin, dass die psychiatrische Forschung überwiegend eine Pseudowissenschaft ist und dass zuverlässige wissenschaftliche Studien eine ganz andere Geschichte erzählen als die Märchen führender Psychiater.

Ich bin Facharzt für innere Medizin und begann mich 2007 für Psychiatrie zu interessieren, als Margrethe Nielsen von der dänischen Verbraucherberatung mir einen Entwurf für ihre Doktorarbeit unterbreitete: »Warum wiederholt sich die Geschichte? Eine Studie über Benzodiazepine und Antidepressiva (SSRI)«.

Ihre Forschungen belegten, dass die Geschichte sich in der Tat wiederholt. Wir begehen mit den SSRI die gleichen Fehler wie mit den Benzodiazepinen und vor ihnen mit den Barbituraten. Wir haben eine gewaltige Epidemie ausgelöst: den übermäßigen Gebrauch von Medikamenten. Die Zahl der von SSRI abhängigen Patienten ist etwa so hoch wie die Zahl derer, die von Benzodiazepinen abhängig sind (siehe Kapitel 12).

Margrethes Befunde wurden von zweien ihrer Prüfer, die ihr Revier verteidigen mussten, alles andere als wohlwollend aufgenommen. Der eine, Steffen Thirstrup, arbeitete für die dänische Arzneimittelbehörde, der andere, John Sahl Andersen, war Allgemeinmediziner. Unsere Arzneimittelbehörden tragen erheblich zur derzeitigen Misere bei und die meisten Schäden durch Medikamente werden von Allgemeinärzten verursacht, die etwa 90 Prozent aller Psychopharmaka verordnen.

Sie lehnten die Dissertation ohne guten Grund ab; doch nach einem Einspruch bei der Universitätsleitung konnte Margrethe sie erfolgreich verteidigen.1 Wäre der Psychiater David Healy nicht der dritte Prüfer gewesen, hätte sie ihren Doktortitel vielleicht nicht bekommen. Das wäre eine krasse Ungerechtigkeit gewesen, denn ihre Forschungen sind solide und ihre Dissertation ist erheblich besser als viele andere, die mir begegnet sind.

Unwillkommene Tatsachen werden immer wieder unterdrückt, und ich werde zahlreiche Beispiele dafür anführen, wie die »Zweifelindustrie« arbeitet, die andauernd stark fehlerhafte Studien veröffentlicht, um unhaltbare Hypothesen zu stützen.

Nach einer eingehenden Beschäftigung mit diesem wissenschaftlichen Gebiet habe ich festgestellt, dass einige Leute, die ich kennengelernt habe, und einige Organisationen zu dem Schluss gelangt sind, dass die Art und Weise, wie wir heute Psychopharmaka anwenden und Psychiatrie praktizieren, mehr Schaden als Nutzen bringt. Die Öffentlichkeit teilt diese Meinung und glaubt ebenfalls, dass Antidepressiva, Neuroleptika, Elektroschocks und die Einweisung in die geschlossene Abteilung öfter schädlich als nützlich sind (siehe Kapitel 13). Ich zweifle nicht daran, dass sie recht hat, und die randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien (die nicht so blind sind wie beabsichtigt) belegen ziemlich einhellig, dass zwar Psychiater, nicht aber ihre Patienten die Medikamente für wirksam halten (siehe Kapitel 3).

Forscher, die nicht wirksam verblindet wurden, sehen womöglich das genaue Gegenteil dessen, was richtig ist, wenn sie Patienten mit Medikamenten behandeln. Sie sehen, was sie sehen wollen, also das, was für sie und ihr Fachgebiet vorteilhaft ist, nicht das, was wirklich geschieht (siehe Kapitel 3 und 6).

Cochrane-Reviews belegen, dass die Wirksamkeit von Antidepressiva bei Depression (siehe Kapitel 3) und die Wirksamkeit von Psychopharmaka bei Schizophrenie (siehe Kapitel 6) zweifelhaft ist. Manche Medikamente können für einige Patienten bisweilen nützlich sein, vor allem in der akuten Phase, in der ein Patient womöglich so sehr von Panik oder Wahnvorstellungen gequält wird, dass es sinnvoll sein kann, die Emotionen mit einem Beruhigungsmittel zu dämpfen. Dennoch: Bis Ärzte nicht viel mehr über den Umgang mit Psychopharmaka gelernt haben – was bedeuten würde, sie sehr selten, in niedriger Dosierung und immer mit einem Ausschleichplan einzusetzen –, wäre unseren Bürgern viel mehr damit gedient, wenn wir alle Psychopharmaka vom Markt nähmen.

Manche Leute mögen dies für eine provokante Aussage halten, aber das ist sie nicht. Sie gründet auf solider Forschung, wie ich nachweisen werde. Ich bin es gewohnt, provokativ oder umstritten genannt zu werden, und schließe daraus, dass ich die Wahrheit sage. Im Gesundheitswesen ist die Wahrheit selten willkommen, weil viele Menschen viele falsche Vorstellungen und Hypothesen verteidigen müssen. Die Silberrücken der Psychiatrie haben sich ihre eigene Fantasiewelt erschaffen, die keine evidenzbasierte Medizin und mit schädlicher Polypharmazie überfrachtet ist (siehe ­Kapitel 13).

Silberrücken in Großbritannien und das organisierte Leugnen der Psychiatrie

Wer die Psychiatrie kritisiert, wird vom psychiatrischen Establishment oft persönlich angegriffen oder mit wenig überzeugenden wissenschaftlichen Argumenten konfrontiert. So erging es auch mir, nachdem ich 2014 bei der Eröffnungssitzung des Council for Evidence-based Psychiatry (Rat für evidenzbasierte Psychiatrie) unter dem Vorsitz des Earl of Sandwich im britischen Oberhaus eine Grundsatzrede gehalten hatte. Mein Thema lautete: »Warum Psychopharmaka möglicherweise mehr Schaden als Nutzen bringen«. Einen ähnlichen Tenor schlugen die anderen Redner an, die Psychiaterin Joanna Moncrieff und der Anthropologe James Davies; beide haben kritische Bücher über die Mainstreampsychiatrie geschrieben.2–5

Drei Monate später attackierten mich der Psychiater David Nutt und vier seiner ebenfalls männlichen Kollegen (ich werde sie im Folgenden kollektiv »DN« nennen) in der ersten Nummer einer neuen Zeitschrift namens Lancet Psychiatry.6 Ihr Beitrag ist nur zwei Seiten lang, aber er ist so typisch für die Reaktion der Silberrücken auf Kritik, dass ich näher auf ihn eingehen möchte.

Anti-alles

DN beginnen mit der Behauptung: »Die Psychiatrie wird von Außenseitern angegriffen, die gegen Diagnosen und gegen Therapien sind.« Silberrücken erklären häufig, dass diejenigen, die einem anderen Stamm angehören (»Außenseiter«), nicht das Recht haben, sie zu kritisieren. Diese arrogante Haltung hat fatale Folgen, weil viele Psychiater sie auf ihre Patienten übertragen und der Meinung sind, nicht auf sie hören und ihre Kritik an den Medikamenten, die sie schlucken, nicht ernst nehmen zu müssen. Zudem stigmatisieren die Silberrücken häufig Menschen, die es wagen, die Psychiatrie zu kritisieren, als anti-irgendwas. DN verwenden die Begriffe »antipsychiatrisch« und »antikapitalistisch« im Sinne von »extremen oder alternativen politischen Ansichten«.

»Ein neuer Tiefpunkt der irrationalen Polemik«

DN waren unzufrieden mit Zeitungsschlagzeilen wie »Forschern zufolge bringen Antidepressiva mehr Schaden als Nutzen«, die nach unserer Council-Sitzung in der Times und im Guardian erschienen waren, und bezeichneten sie als »einen neuen Tiefpunkt der irrationalen Polemik«. Sorgen bereitete ihnen vor allem, dass ich als Mitgründer der Cochrane Collaboration – einer Initiative, deren Ziel es ist, die klinische Praxis mit den zuverlässigsten wissenschaftlichen Befunden zu versorgen – anscheinend meine »Ausbildung in Evidenzanalyse zugunsten populistischer Polemik« vergessen hätte.

Silberrücken sprechen meist mit derselben Stimme wie die Pharmaindustrie, weil sie von dieser finanziell großzügig unterstützt werden (siehe Kapitel 13). DN sind keine Ausnahme. Sie erklären: »Depression ist eine schwere und wiederkehrende Störung und derzeit in Europa die häufigste Ursache für Arbeitsunfähigkeit. Man nimmt an, dass sie im Jahr 2030 in Ländern mit hohem Einkommen die vorherrschende Krankheitsursache sein wird.« Das ist nicht gerade das, was man als typisch britisches Understatement bezeichnet, aber es ist unmöglich, die Zahl der depressiven Menschen verlässlich zu bestimmen. Die Kriterien für die Diagnose sind willkürlich und konsensbasiert und inzwischen derart weit gefasst, dass ein großer Teil der gesunden Bevölkerung diese Diagnose erhalten kann (siehe Kapitel 3). Es ist daher irreführend zu sagen, Depression sei eine schwere Krankheit. Die meisten Menschen haben leichte Symptome von alltäglichem Stress, die bei den meisten von uns gelegentlich auftreten. Nur sehr wenige sind schwer depressiv. Schlimmer noch, die drastische Erhöhung der mit Depression zusammenhängenden Erkrankungsrate, von denen DN sprechen, wird von den Psychiatern selbst verursacht. Die von ihnen verordneten Medikamente heilen keine Depression, sondern machen selbstlimitierende Episoden möglicherweise zu chronischen (siehe Kapitel 12). Das hilft den Patienten nicht; es dient den Interessen der Psychiater und der Pharmaindustrie.

»Eindrucksvolle Fähigkeit, ein erneutes Auftreten von depressiven Störungen zu verhindern«

DN behaupten, Antidepressiva gehörten zu den wirksamsten Medikamenten in der gesamten Medizin, und verweisen auf ihre »eindrucksvolle Fähigkeit, ein erneutes Auftreten von depressiven Störungen zu verhindern, wobei etwa drei [Patienten] behandelt werden müssen[, um dem Wiederauftreten bei einem vorzubeugen]«. Das klingt gewiss eindrucksvoll – aber es stimmt nicht. Die Studien, die eine solche Wirkung behaupten – dabei wird eine Hälfte der Patienten nach ihrer Genesung weiter mit ihrem Antidepressivum behandelt, während die andere Hälfte auf ein Placebo umgestellt wird –, sind völlig unzuverlässig (siehe Kapitel 11). Das liegt daran, dass Patienten, die abrupt auf ein Placebo umgestellt werden, an Entzugserscheinungen leiden, weil ihr Gehirn sich an das Antidepressivum angepasst hat, so wie bei Alkoholikern, die in Schwierigkeiten geraten, wenn sie plötzlich aufhören zu trinken – ihre Symptome ähneln bisweilen der ­Depression.

In ihrem Loblied auf Antidepressiva behaupten DN außerdem, diese Mittel wirkten bei akuter Depression. Das stimmt nicht. Sie haben wahrscheinlich überhaupt keine Wirkung (siehe Kapitel 3).

DN heben hervor, dass Studienteilnehmer, die Antidepressiva einnehmen, seltener wegen derer ausbleibender Wirkung ausscheiden als jene, die ein Placebo bekommen. Ihrer Meinung nach ist das ein Beweis für die Wirksamkeit von Antidepressiva. Diese Interpretation ist falsch. Oft entscheidet der gefühlte Nutzen zusammen mit den gefühlten Nachteilen darüber, ob ein Patient weiter an einer Studie teilnimmt. Häufig merkt ein Patient an den Nebenwirkungen, dass er ein aktives Medikament einnimmt, und neigt daher vielleicht eher dazu, bei der Studie zu bleiben, selbst wenn das Mittel keine Wirkung hat. Das gilt umso mehr, als viele Psychiater ihren Patienten versichern, dass es eine Weile dauern kann, bevor sich die Wirkung einstellt. Patienten, die ein Placebo bekommen, haben hingegen keinen Anreiz weiterzumachen, weil sie keine Wirkung spüren, und scheiden daher öfter aus als die Mitglieder der Interventionsgruppe.

Lehrbücher über Forschungsmethoden empfehlen daher, sich nicht auf die Zahl derjenigen Patienten zu konzentrieren, die mangels einer Wirkung ausscheiden. Der einzig sinnvolle Ansatz besteht darin, die Gesamtzahl der Dropouts (Aussteiger) zu ermitteln. Das ist zudem das wichtigste Zielkriterium für Therapien, die nicht heilen, sondern nur eine Wirkung auf die Symptome des Patienten haben.

Die Patienten können am besten beurteilen, ob ein gefühlter Nutzen eines Medikaments seine Nebenwirkungen überwiegt, und sie halten die Medikamente für ziemlich nutzlos, denn Patienten als Studienteilnehmer brechen die Therapie mit Antidepressiva ebenso häufig ab wie die Einnahme von Placebos. Das gilt für Abbruchgründe aller Art.7

Erhöht die akademische Debatte die Zahl der Suizide?

DN erwähnen, dass viele Menschen, die keine Antidepressiva einnehmen, sich das Leben nehmen, und behaupten: »Eine pauschale Verurteilung von Antidepressiva durch Lobbygruppen und Kollegen kann diese Zahl erhöhen.« In meinem Buch über die Mammografie8 bezeichne ich dies als Du-tötest-meine-Patienten-Argument. Wer unbequeme Fragen zu gängigen Interventionen stellt, wird beschuldigt, für den Tod zahlreicher Menschen verantwortlich zu sein. Aber denken wir nach. Wenn wir dieses Argument verallgemeinern, bis es zum ethischen Standard wird, dürfen Forscher eine Intervention nie hinterfragen, wenn sie glauben, dass sie Leben rettet. Dann würden wir den Aderlass wahrscheinlich heute noch bei Krankheiten aller Art anwenden, sogar bei Cholera, wo er tödlich wäre.

Wichtiger noch: Der Kernpunkt des Arguments ist falsch. Antidepressiva schützen Menschen nicht vor Suizid (siehe Kapitel 3).

DN behaupten, wer sich das Leben nehme, sei meist depressiv. Die Daten, die dieser Behauptung zugrunde liegen, erlauben eine solche Schlussfolgerung jedoch noch.9 Eine viel zitierte Studie belegt, dass die meisten Suizide zwar mit der Diagnose »Depression« zusammenhängen, aber nur 26 % der Menschen nachweislich diese Diagnose erhielten, bevor sie sich das Leben nahmen. Bei allen anderen wurde die Diagnose erst nach ihrem Tod gestellt, und zwar auf der Basis einer sogenannten psychologischen Autopsie. Es leuchtet ein, dass die Diagnose einer psychiatrischen Störung bei einem Toten einem starken Verzerrungseffekt unterliegt. Die Rücksicht auf gesellschaftliche Vorurteile kann eine solche rückwirkende Diagnose wertlos machen. Angehörige suchen oft nach gesellschaftlich akzeptierten Erklärungen und sind möglicherweise nicht bereit, bestimmte Probleme offenzulegen, vor allem jene, die als Schande gelten oder ihnen eine Mitschuld geben würden. Es kann auch sein, dass die Angehörigen von diesen Problemen nichts wussten. Deshalb ist es verführerisch, die Schuld nicht einer Person zu geben, sondern beispielsweise einer Krankheit, die sich nicht wehren kann und vielleicht nie existiert hat. Die Meinung, dass die meisten Menschen, die Suizid begehen, depressiv waren, ist unter Psychiatern sehr verbreitet, doch ihre Richtigkeit ist zweifelhaft. Menschen nehmen sich aus vielen Gründen das Leben, nicht nur wegen einer Depression.

Das nächste Argument, mit dem DN ihren Standpunkt verteidigen wollen, nämlich dass Antidepressiva vor Suizid schützen, ist nicht besser. Sie machen geltend, dass mehr als 70 Prozent der Betroffenen zum Zeitpunkt ihres Todes kein Antidepressivum genommen haben. Aber wenn Menschen, die nicht depressiv sind, sich das Leben nehmen, liegt es auf der Hand, dass sie vor ihrem Tod kein Antidepressivum genommen haben. Zudem können Antidepressiva eine extreme Unruhe namens Akathisie auslösen, die Menschen anfällig für einen Suizid macht10,11 und dazu führen kann, dass ein Patient vor dem Suizid aufhört, das Medikament zu nehmen. Das abrupte Absetzen eines Antidepressivums, zum Beispiel weil dem Patienten die Tabletten ausgegangen sind, kann ebenfalls Akathisie und Suizid nach sich ziehen. Es gibt also mindestens drei gute Gründe dafür, dass Menschen, die sich das Leben nehmen, zum Zeitpunkt ihres Todes keine Antidepressiva eingenommen haben.

Das nächste Argument von DN überzeugt ebenfalls nicht. Sie behaupten, die Suizidrate sei in Ländern, in denen Antidepressiva richtig angewandt würden, deutlich gesunken. Nun, in Ländern, in denen Autos richtig benutzt werden (sodass es selten zu Verkehrsunfällen kommt), sind die Geburtenraten deutlich gesunken. Aber das beweist gar nichts. Wissenschaftlich solide Studien fanden nie einen Zusammenhang zwischen der häufigeren Anwendung von Antidepressiva und sinkenden Suizidraten oder umgekehrt (siehe Kapitel 3).

»Sie gehören zu den sichersten Medikamenten, die je hergestellt wurden«

Gegen Ende des Artikels treiben DN die Übertreibung auf die Spitze. Sie behaupten, Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) gehörten zu den sichersten Medikamenten, die je hergestellt wurden, und ihre Nebenwirkungen seien selten schwer oder lebensbedrohlich. Tatsache ist, dass SSRI einen von 28 Menschen über 65 Jahren, die ein Jahr lang behandelt wurden, töten, dass die Hälfte der Patienten an sexuellen Störungen als Nebenwirkung leidet und dass es der Hälfte der Patienten schwerfällt, Antidepressiva abzusetzen, weil sie von ihnen abhängig sind (siehe Kapitel 3). Wenn Silberrücken-Psychiater SSRI zu den sichersten je produzierten Medikamenten zählen, dann ist es meiner Meinung nach fair zu sagen, dass es für Menschen mit einer Krankheit, die möglicherweise mit einem SSRI behandelt wird, gefährlich ist, einen Psychiater aufzusuchen.

Kritiker »stellen Anekdoten über Beweise«

Für mich klingt es surreal, wenn DN behaupten: »Viele extreme Beispiele für Nebenwirkungen, auf die die Gegner der Antidepressiva hinweisen, sind sowohl selten als auch bisweilen so bizarr, dass sie mit Recht als ungeklärtes medizinisches Symptom bezeichnet werden können.« Und: »Extrem ungewöhnliche oder ernste Reaktionen Medikamenten zuzuschreiben, die in klinischen Doppelblindstudien überwiegend als harmlos erscheinen, heißt, Anekdoten über Beweise zu stellen.« DN gehen nicht auf den Hauptgrund dafür ein, warum SSRI in klinischen Studien als harmlos erscheinen: Die Produzenten manipulieren die Daten in außergewöhnlichem Umfang (siehe Kapitel 3).11–13

Außerdem hören DN ihren Patienten nicht zu. Wenn eine Nebenwirkung »bizarr« ist, dann ist sie deswegen nicht harmlos. Viele Patienten leiden an den gleichen, sehr bizarren Nebenwirkungen, die sich erneut einstellen, wenn sie das gleiche Medikament wieder einnehmen. Das ist in der klinischen Pharmakologie eine anerkannte Methode, eine Ursache-Wirkung-Beziehung zu belegen. Man spricht hier von Challenge, Dechallenge und Rechallenge (Exposition, Absetzen und erneute Exposition). Als ich im Jahr 2010 wieder einmal einen Vortrag vor dänischen Psychiatern hielt, kam ich mit diesem Argument bei einem amerikanischen Psychiater nicht weiter. Er meinte, randomisierte Studien belegten kein erhöhtes Suizidrisiko, aber er verstand nicht, dass nachgewiesene Nebenwirkungen nicht durch randomisierte Studien bestätigt werden müssen. Vielleicht hörte er zu sehr auf die Industrie, die die Nebenwirkungen ihrer Medikamente herunterspielt und behauptet, sie seien statistisch nicht signifikant – oft nachdem sie die Daten manipuliert hat, um sicherzustellen, dass keine signifikanten Unterschiede ans Tageslicht kommen.

DN schlagen vor, »ernste Reaktionen auf Medikamente« zu ignorieren, weil sie angeblich auf Anekdoten beruhten und vom »Anreiz, eine Klage zu erheben«, verzerrt würden. Dies ist der Gipfel des Leugnens und der Arroganz eines Berufsstandes. Es ist eine Beleidigung für Eltern, die ein gesundes Kind verloren haben, und für Menschen, die ihren Partner verloren haben, weil ein SSRI ihn in den Suizid oder zu einem Mord getrieben hat. Zudem haben Mitglieder des Council for Evidence-based Psychiatry in Lancet Psychiatry erklärt, dass britische gemeinnützige Organisationen, die Patienten beim Absetzen von Medikamenten unterstützen, von alarmierend vielen Menschen berichten, die nach dem Absetzen von Antidepressiva mehrere Jahre lang an Symptomen leiden, die sie arbeitsunfähig machen.14

»Eine Beleidigung für das Fachgebiet der Psychiatrie«

Abschließend beklagen DN, meine »extremen Behauptungen … [seien] eine Beleidigung für das Fachgebiet der Psychiatrie … und stigmatisieren in gewisser Weise psychische Krankheiten und Menschen, die an ihnen leiden«. In Kapitel 6 werde ich erklären, dass nicht die Kritiker der Psychiatrie, sondern die Psychiater die Patienten stigmatisieren.

DN behaupten außerdem: »Die Bewegung gegen die Psychiatrie hat sich mit ihrer neuesten Verschwörungstheorie selbst wiederbelebt. Danach haben sich die Pharmaindustrie und Psychiater verschworen, Krankheiten zu erfinden und Medikamente herzustellen, die nicht besser als ein Placebo sind. Der antikapitalistische Geschmack dieser Auffassung steht im Einklang mit der starken Neigung dieser Psychiatriegegner zu extremen oder alternativen politischen Ansichten.«

In meiner Erwiderung stellte ich fest: »So reden Leute, die keine Argumente haben.«15 Es war eine ziemliche Ironie, dass DN neben ihren anderen Vorwürfen auch klagen, die Kritiker der Psychiatrie seien der Meinung, die Pharmaindustrie und die Psychiater erfänden Krankheiten und verwendeten Medikamente, die nicht besser als ein Placebo seien – als ob dies ganz selbstverständlich eine absurde Position wäre. Wie ich später erläutern werde, trifft diese Meinung größtenteils zu. Die Behauptung von DN, die Kritiker des übermäßigen Gebrauchs von Psychopharmaka seien »extrem« oder »alternativ«, trifft dagegen nicht zu. Als ich dem Herausgeber der Lancet Psychiatry schrieb und verlangte, meinen akademischen Ruf verteidigen zu dürfen, erklärte er, der Artikel von Nutt et al. sei von unabhängigen Kollegen begutachtet und einer rechtlichen Prüfung unterzogen worden. Das ist schwer zu verstehen angesichts seiner vielen Fehler, der eindeutigen persönlichen Angriffe und der strengen britischen Verleumdungsgesetze. Auf die größten Irrtümer von DN ging ich in meiner Erwiderung ein.15 Außerdem erwähnte ich, dass Nutt und zwei seiner Koautoren, Guy M. Goodwin und Stephen Lawrie, selbst 22 Interessenkonflikte in Bezug auf Pharmakonzerne angegeben hatten, und fragte, ob das ihre Ablehnung der Psychotherapie erkläre, die wirksam ist und vom britischen National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfohlen wird.

Nachdem Sie bis hierher gelesen haben, denken Sie vielleicht, dass diese Psychiater – um ein Wort zu verwenden, mit dem sie ihre Kritiker charakterisieren – »extrem«, das heißt randständig sind, weil sie so viele unhaltbare Meinungen über ihr eigenes Fachgebiet hegen. Leider sind sie es nicht.

Professor David Nutt ist ein einflussreicher Mainstreampsychiater. Er war früher der Arzneimittelzar (der wichtigste Berater der Regierung), bis er gefeuert wurde, weil er behauptet hatte, Ecstasy sei nicht gefährlicher als Reiten. Letzteres nannte er equasy, kurz für »Equidae-Abhängigkeitssyndrom«.16 Nutt erhielt 2013 den John-Maddox-Preis für seinen Einsatz für die Wissenschaft. Die Juroren verliehen ihm trotz aller Widerstände und öffentlicher Kritik den Preis als Anerkennung für den Einfluss seines Denkens und Tuns auf die evidenzbasierte Klassifikation von Medikamenten sowie für seinen fortgesetzten Mut und sein Engagement für rationale Diskussionen. Mir fehlen die Worte.

Professor Guy M. Goodwin ist Leiter des Fachbereichs Psychiatrie der Oxford University und war von 2002 bis 2004 Präsident der British Association for Psychopharmacology.

Professor Dinesh Bhugra vom psychiatrischen Institut des King’s College der University of Edinburgh war früher Präsident des britischen Royal College of Psychiatry und ist derzeit designierter Präsident der World Psychiatric Association.

Professor Seena Fazel ist forensischer Psychiater im Fachbereich Psychiatrie der Oxford University. Er forscht über Gewaltkriminalität und Suizid.

Professor Stephen Lawrie ist Leiter des Fachbereichs Psychiatrie an der University of Edinburgh und Mitglied der Redaktionsleitung der Lancet Psychiatry.

Diese Psychiater stehen an der Spitze ihres Fachgebietes und vertreten dennoch Meinungen, die in unmittelbarem Gegensatz zur psychiatrischen Wissenschaft stehen. Das zeigt, dass die Psychiatrie in einer tiefen Krise steckt und ihre führenden Köpfe an organisiertem Leugnen leiden.

Ich nenne gerne Namen, weil wir Menschen für ihr Tun und für ihre Argumente verantwortlich machen sollten. Würden sie etwas Lobenswertes tun, wären sie enttäuscht, wenn sie anonym blieben. Aber das gilt für beide Richtungen. Würde ich Namen verschweigen, wenn Menschen etwas Tadelnswertes tun oder an einem Irrtum festhalten, wäre ich inkonsequent und meine Leser würden trotzdem herauszufinden versuchen, von wem ich spreche. Wissenschaft ist kein Ratespiel. Das ist ein weiterer Grund dafür, dass ich es vorziehe, Namen zu nennen. Es ist jedoch fair, darauf hinzuweisen, dass die Personen, die ich kritisiere, weil sie etwas tun, worauf sie nicht stolz sein sollten, nicht alleine stehen – Tausende von anderen tun das Gleiche oder teilen ihre Ansichten.

Was bedeutet es, psychisch krank zu sein?

Vielleicht verstehen wir die diagnostischen Probleme in der Psychiatrie besser, wenn wir zunächst einen Blick auf die Medizin im Allgemeinen werfen. Wir drücken Patienten mit ähnlichen Problemen den Stempel »krank« auf, damit wir leichter kommunizieren, forschen, Krankheiten behandeln und verhindern können. Diese diagnostischen Etiketten sind am treffendsten, wenn wir die Ursachen bestimmter Krankheiten kennen. Es ist beispielsweise sehr hilfreich zu wissen, dass eine bestimmte Lungenentzündung von Pneumokokken verursacht wird, da wir sie dann möglicherweise mit Penicillin heilen können. Darum teilen wir Lungenentzündungen nach ihrer Ursache ein und geben ihnen vielleicht sogar unterschiedliche Bezeichnungen. Deshalb sprechen wir zum Beispiel von Pneumokokken-Pneumonie.

Es gibt viele Arten von Diagnosen in der Medizin. Einige sind vorläufig und beschreiben lediglich ein Symptom, zum Beispiel Magenschmerzen. So kann auch die endgültige Diagnose lauten, wenn keine Ursache gefunden wird, doch die endgültige Diagnose könnte auch »Magengeschwür« sein.

Einige Diagnosen bezeichnen Syndrome und stützen sich auf mehrere Symptome, Anzeichen und paraklinische Befunde (z. B. auf die Ergebnisse von Blut- oder Röntgenuntersuchungen).1 Rheumatoide Arthritis ist ein gutes Beispiel dafür. Wir wissen noch nicht, was sie verursacht, vermuten aber, dass es sich um eine Infektion handelt. 1975 häuften sich in Connecticut Fälle von Arthritis, die man später auf ein Bakterium namens Borrelia zurückführen konnte, das von Zecken übertragen wird. Bevor die Ursache bekannt war, handelte es sich um eine Syndromdiagnose, und die Patienten litten neben der Arthritis möglicherweise auch an Ausschlag, Kopfschmerzen, Fieber und anderen Symptomen und Anzeichen.

Diese Krankheit können wir mit Penicillin und anderen Antibiotika heilen, im Gegensatz zur rheumatoiden Arthritis, die mit ziemlich gefährlichen Medikamenten behandelt wird. Die meisten Patienten bekommen nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR bzw. NSAID, nonsteroidal anti-inflammatory drugs) gegen ihre Schmerzen, und einige von ihnen sterben, weil diese Medikamente Magengeschwüre und Herzinfarkte hervorrufen können. Basistherapeutika sind ebenfalls gefährlich; darum ist die medikamentöse Therapie ein wichtiger Grund dafür, dass diese Patienten nicht so lange leben wie andere Menschen.Verglichen mit anderen Krankheiten, wissen wir ziemlich wenig über psychiatrische Erkrankungen, und die Therapien sind viel schädlicher und tödlicher als jene, die bei rheumatoider Arthritis angewandt werden (siehe Kapitel 14). Wir wissen nicht viel über die Ursachen psychischer Krankheiten, und die diagnostische Unsicherheit ist viel größer als in anderen Bereichen der Medizin.

Zur Syndromdiagnose »rheumatoide Arthritis« gehört unter anderem der Nachweis des Rheumafaktors im Blut, eines Antikörpers, der das eigene Gewebe eines Menschen angreift. Für psychische Krankheiten gibt es keinen Bluttest, und es ist nicht gelungen nachzuweisen, dass das Gehirn der Menschen, die an häufig vorkommenden psychischen Krankheiten leiden, sich vom Gehirn Gesunder unterscheidet (siehe Kapitel 11).

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