Together we dream - Justine Loogen - E-Book
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Together we dream E-Book

Justine Loogen

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Beschreibung

Ein Loch klaffte in meinem Herzen. Für Gwen und all die Dinge, die ich nie mit ihr erleben würde. All die Dinge, die ich nicht über sie und sie nicht über mich erfahren würde. All die Gefühle, die wir niemals füreinander entwickeln würden - denn sie sah mich. Sie sah meine Zerrissenheit und erkannte in diesem Moment, dass es hoffnungslos war, mehr von mir zu erwarten.

Für Gwen bedeutet Liebe nur Schmerz und Enttäuschung. So hat sie es schon bei ihren Eltern beobachtet. Und auch in ihrer letzten eigenen Beziehung. Darum darf sie sich niemals auf Luke, den Star der Eishockey-Mannschaft an ihrem College, einlassen. Zumal er noch immer das toxische Verhältnis zu seiner Exfreundin verarbeiten muss.

Doch Gwen und Luke ziehen sich wie zwei Magnete an - nur um sich im selben Moment wieder abzustoßen. Jede Begegnung verstärkt das Prickeln zwischen ihnen und lässt die Mauer Stück für Stück bröckeln, die beide um sich herum errichtet haben.

Wird Luke es gelingen, Gwen von ihren schmerzhaften Erfahrungen zu heilen? Und kann Gwen das vergiftete Band zwischen Luke und seiner Exfreundin endgültig durchtrennen und ihn befreien für eine neue Liebe?

Together we dream ist der emotionale, sinnliche und tiefgründige Auftakt der Together-Romance-Reihe von Debütautorin Justine Loogen.

Das sagen die Leserinnen und Leser in der Lesejury:

»Mich hat diese Buch total umgehauen und ich würde mich auf weitere Teile freuen. Ich kann nur jedem diese Buch empfehlen, der diese Uni-Lovestorys liebt.« (_lovely_books)

»Spannende und emotionale Geschichte von bedingungsloser Freundschaft, von Liebe und Hass, von Hoffnung und Enttäuschung, von Erfolgen und Niederlagen. Großer Herzschmerz garantiert.« (1Leseratte)

»Starke Protagonistin und ganz viel Drama.« (tkmla)

eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.



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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Widmung

Zitat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Kapitel 30

Kapitel 31

Danksagung

Über dieses Buch

Ein Loch klaffte in meinem Herzen. Für Gwen und all die Dinge, die ich nie mit ihr erleben würde. All die Dinge, die ich nicht über sie und sie nicht über mich erfahren würde. All die Gefühle, die wir niemals füreinander entwickeln würden – denn sie sah mich. Sie sah meine Zerrissenheit und erkannte in diesem Moment, dass es hoffnungslos war, mehr von mir zu erwarten.

Für Gwen bedeutet Liebe nur Schmerz und Enttäuschung. So hat sie es schon bei ihren Eltern beobachtet. Und auch in ihrer letzten eigenen Beziehung. Darum darf sie sich niemals auf Luke, den Star der Eishockey-Mannschaft an ihrem College, einlassen. Zumal er noch immer das toxische Verhältnis zu seiner Exfreundin verarbeiten muss.

Doch Gwen und Luke ziehen sich wie zwei Magnete an – nur um sich im selben Moment wieder abzustoßen. Jede Begegnung verstärkt das Prickeln zwischen ihnen und lässt die Mauer Stück für Stück bröckeln, die beide um sich herum errichtet haben.

Wird Luke es gelingen, Gwen von ihren schmerzhaften Erfahrungen zu heilen? Und kann Gwen das vergiftete Band zwischen Luke und seiner Exfreundin endgültig durchtrennen und ihn befreien für eine neue Liebe?

TOGETHER WE DREAM ist der emotionale, sinnliche und tiefgründige Auftakt der Together-Romance-Reihe von Debütautorin Justine Loogen.

Über die Autorin

Justine Loogen, 1993 geboren und im Kreis Aachen aufgewachsen, hat in Maastricht studiert und lebt mittlerweile in Bonn. Wenn sie sich nicht im Schreiben oder Lesen von Romanen aller Genres verliert, reist sie um die halbe Welt. Sie hat bereits in den Niederlanden, Kanada, Polen und Neuseeland gelebt. Am besten kann man sie mit gutem Kaffee und Käsekuchen jeglicher Art bestechen.

JUSTINE LOOGEN

Togetherwe dream

beHEARTBEAT

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2021 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung von Motiven von © oneinchpunch/shutterstock

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0886-9

be-ebooks.de

lesejury.de

Für alle,deren Herz einstunwiderruflich gebrochen

»The sun watches what I do, but the moon knows all my secrets«

– J.M. Wonderland

Kapitel 1

Gwendolyn

Meine Haare wehten mir so unnachgiebig ins Gesicht, dass ich sie im Sekundentakt erfolglos hinter mein Ohr streichen musste. Der starke Oktoberwind trieb das Laub in die Luft und wehte es in kleinen Wirbeln über die schmale Grünanlage, die den Weg säumte. Schnell lief ich auf die doppelflügelige Tür des Margot Connell Recreation-Centers zu und atmete erleichtert auf, als ich Bostons unablässigen Herbstwind hinter mir ließ.

Ich öffnete meinen gelben, wasserfesten Parka, schob mir dabei abermals das wirre Haar aus dem Gesicht. Hinter den Türen des Sportzentrums war es nun viel zu warm für meine Herbstjacke, sodass ich sie schnell auszog und über meinen Arm faltete.

Der Eingang des Sportzentrums sah nach allem aus, außer einer typischen College-Sportanlage. In der Mitte ragte ein rechteckiger polierter Tresen auf, auf dem sich mehrere Desktop-Computer aneinanderreihten. Zu beiden Seiten befanden sich Drehtüren, die sich nur durch das Scannen der Studentenkarte öffneten. Sonst war der Eingangsbereich kahl, und lediglich der ferne Geruch von Schweiß und zitronigem Oberflächenreiniger erinnerte an den eigentlichen Zweck des imposanten Gebäudes.

Es war Donnerstagabend, und das hieß Stoßzeit in den verschiedenen Sporthallen. Das Center war riesig mit seinen vier Etagen. Es umfasste nicht nur mehrere Fitnessräume, sondern auch ein Schwimmbad, Tennisplätze, Basketballplätze, eine 400-Meter-Laufbahn, Gruppenfitness- und Freihantelräume und eine Boulderwand.

Es war einfach riesig. Es zeigte deutlich, wie viel Wert das Boston College darauflegte, die verschiedenen sportlichen Tätigkeiten seiner Studenten zu fördern.

Mir kam das nur recht. Ich hatte zwar nie meine Berufung in einer bestimmten Sportart gefunden, aber ich bewegte mich gerne, im Gegensatz zu vielen meiner Kommilitonen. Ich war nicht sonderlich athletisch, aber die Gruppenklassen machten mir Spaß, und in den Sommerferien joggte ich zu Hause liebend gerne am Lake Ontario entlang.

Zudem hatte ich schlicht keine Wahl. Ich war zwar weder pummelig noch übergewichtig, aber die Zeiten, in denen meine alte, verstaubte Waage mir ein Gewicht weit unter siebzig Kilogramm angezeigt hatte, waren lange vorbei. Meine freshman fifteen, diese Pfunde, die man sich in den ersten Semestern draufgefuttert hatte, war ich seither nie mehr ganz losgeworden.

»Gwen«, ertönte eine Stimme hinter den Drehtüren. Olivia winkte mir zu. Sie trug bereits ihre Sportkleidung: Einen dunkelblauen Sport-BH mit ineinander verschlungenen Trägern auf dem Rücken, die einem Mandala ähnlich sahen, und eine Hotpants in ähnlichem Farbton. Ihre hellbraunen Haare waren zu einem gewollt unordentlichen Dutt geschlungen, und es schimmerte immer noch ein Abglanz der Sommerbräune auf ihrer Haut. Selbst jetzt noch, Ende Oktober.

»Na, endlich. Ich dachte schon, du drückst dich«, meinte sie, während sie mich mit einer Umarmung begrüßte.

»Niemals«, erwiderte ich und löste mich aus ihren Armen. Aber Olivia war nicht überzeugt. Sie wusste, dass ich mich nicht sonderlich wohl dabei fühlte, halb nackt von den Umkleidekabinen in die dritte Etage zu den Kursräumen zu stolzieren. Das war auch das Einzige, was ich an dem Sportcenter hasste. Jeder checkte jeden ab. Alle Studentinnen wollten die neuesten sexy Sportoutfits tragen und bei jeder Übung so grazil wie möglich aussehen. Wohingegen alle männlichen Studenten entweder allen Hintern in ihrer Umgebung nachgafften oder in Höhlenmenschen-Manier mit zu viel Gewichten und in zu schlechter Form Hanteln stemmten. Genau deshalb bevorzugte ich Kurse. Man sah oft dieselben Leute, und das leicht gedimmte Licht, zusammen mit der dröhnenden Musik, ließen mich meine Unsicherheiten vergessen.

»Ich zieh mich nur schnell um«, erklärte ich an Olivia gerichtet.

»Kein Problem. Ich schmachte in der Zwischenzeit Adam und seine Freunde an.« Ich kommentiere Olivias Worte bloß mit hochgezogenen Augenbrauen und ging zu den Umkleideräumen.

Einige Minuten später trug ich ebenfalls enge Hotpants und Sport-BH, hatte jedoch noch ein locker fallendes Top übergestreift. Olivia war von Natur aus schlank und hatte keine Probleme damit, ihren Körper zu zeigen. Ich fühlte mich zwar in meinem eher kurvigen Körper nicht unwohl. Aber halb nackt durch eine Meute von schwitzenden und testosteronvernebelten Studenten laufen? Nein, danke. Darauf konnte ich durchaus verzichten.

»Also, ich bin zu dem Entschluss gekommen, dass ich mich an Halloween an Adam ranmachen werde. Ich meine, schau dir das doch mal an.« Olivia sah zu Adam. Ich folgte ihrem Blick. Sie hatte schon recht. Der Footballstar unseres Colleges war groß und gut gebaut mit wohldefinierten Muskeln. Der blonde Undercut brachte seine schmalen Gesichtszüge perfekt zur Geltung. Obwohl ich Quarterbacks grundsätzlich für überbewertet hielt, schien Adam viel Wert auf einen athletischen Körper zu legen.

»Mhm, ja«, gab ich zurück. »Ich glaube, ich würde Adam auch nicht von der Bettkante stoßen.«

In der Zwischenzeit arbeiteten Adam und einige seiner Kumpels an ihrem Bizeps. Er war wahrscheinlich nicht die hellste Kerze auf der Torte. Aber ich war mir sicher, dass er wusste, was Frauen wollten – und brauchten. Denn jemand wie Adam konnte sich am College definitiv nicht vor entfesselten Football-Groupies retten.

»First bids, meine Liebe«, meinte Olivia nur trocken.

Ich verdrehte die Augen, wandte meinen Blick von Adam und seinen Freunden ab und peilte den Aufzug an. »Kein Problem. Ich überlasse dir den Vortritt.«

Ich drückte auf die Pfeiltaste, und schon öffneten sich die metallenen Türen vor uns. Es mag vielleicht ironisch scheinen, dass wir zum Sport gingen, um dann den Aufzug in die dritte Etage zu nehmen. Aber man musste ja nicht gleich übertreiben.

»Weißt du, ich glaube, Adam hat einige wirkliche gut aussehende Freunde. Vielleicht solltest du dir endlich mal überlegen, mit Du-weißt-schon-wem abzuschließen.« Ich beobachtete, wie sich die Türen vor uns schlossen, ehe ich Olivia antwortete.

»Ja, kann schon sein«, murmelte ich und spielte mit dem Saum meines Shirts.

»Es ist jetzt fast drei Monate her. Um ehrlich zu sein, wart ihr ja nie wirklich ein Paar. Es ist höchste Zeit, dass du von Du-weißt-schon-wem wegkommst.«

Natürlich hatte Olivia recht. Meine sogenannte Affäre mit jemandem, dessen Namen Olivia, Tessa und ich nicht mehr laut aussprachen, war bereits im Sommer wegen, nun ja, entscheidender Faktoren im Sand verlaufen. Seitdem hatte ich mich nicht mehr wirklich für das andere Geschlecht interessiert. Weniger aus Trauer oder Herzschmerz. Denn insbesondere Letzteres hatte ich ganz sicher nicht gefühlt. Es war mehr, dass es danach niemanden gab, der mich interessierte. Auch war ich nicht bereit, mich auf einer Dating-App vor der gesamten männlichen Studentenschaft des Boston Colleges als Freiwild anzubieten. Das hatte ich in meinen ersten zwei Jahren am College nicht gemacht und würde es jetzt auch nicht tun.

»Vielleicht sehe ich ja auf der Party jemanden, der mich interessiert«, erwiderte ich dennoch und war froh, als wir in der dritten Etage ankamen und von zwei weiteren Studentinnen begrüßt wurden, die wir aus der Poledance-Klasse kannten.

Keine fünf Minuten später schloss sich die Tür des Kursraums, und zusammen mit acht weiteren Studentinnen standen wir vor den an Boden und Decke montierten Stangen.

Ja, Olivia hatte mich tatsächlich zu Beginn des Semesters dazu überredet, an einem Poledance-Kurs teilzunehmen. Zuerst hatte ich mich wegen der offensichtlichen Vorurteile geweigert. Olivia hatte mir erklärt, dass ihre Cousine bereits seit Jahren Poledancing machte und nicht nur einen atemberaubenden Körper hatte –sondern weder Stripperin war noch sich in den Kursen ihrer Kleidung entledigte.

Um ehrlich zu sein, mochte ich den Kurs. Sehr sogar. Alle meine Vorurteile hatte ich bereits nach den ersten zehn Minuten in den Wind geschossen. Das, was wir hier machten, war alles, außer billig. Poledance benötigte so viel Kraft und Flexibilität, die ich nie in meinem Leben gehabt hatte, und oftmals verstand ich nicht, wie ein menschlicher Körper zu solchen Verrenkungen fähig war. Die Kursleiterin Katharena mit ihrer seidigen dunklen Haut, unter der sich deutlich Muskeln abzeichneten, hatte uns vorgemacht, wozu wir nach einem halben Jahr Training fähig sein würden.

»So, meine Lieben. Wir beginnen wie immer mit ein paar Dehnübungen. Findet euch zu zweit an den Stangen zusammen und dann geht’s los!« Ihre Euphorie war ansteckend. Katharena dimmte das Licht und drehte die Musik lauter. Jetzt zog auch ich mein Top aus, denn ohne Kontakt von Stange und Haut konnte man viele Positionen nicht ausüben.

Wenig später hing ich selbst an der Stange. Ich hatte das Metall zwischen meine Oberschenkel gequetscht, und mithilfe von Olivia beugte ich meinen Oberkörper nach hinten, löste den Griff meiner Hände von der Stange und konnte die Position tatsächlich einige Sekunden halten.

Dann fingen meine Oberschenkelmuskeln unkontrollierbar an zu zittern. Schmerzhaft und quietschend glitt ich schließlich an der Stange hinab.

Was mir niemand mitgeteilt hatte, war, wie schmerzhaft Poledancing sein konnte. Immer wieder rutschte man unfreiwillig von der Stange ab. Regelmäßig waren meine Beine und Armbeugen mit blauen Flecken und Blutergüssen übersät. Zudem war ich mehr als einmal auf den Kopf gefallen, im Übermut eine komplizierte Position nachzuahmen. Zu allem Überfluss hatten sich an meinen Handinnenflächen wegen der Flüssig-Kreide, die wir regelmäßig benutzten, tatsächlich leichte Schwielen gebildet.

So viel also zum Thema Poledancing sei aufreizend und sexy.

»Super, Gwendolyn!«, rief mir Katharena vom anderen Ende des Raums aus zu. Jeder andere Mensch hätte ihr Lob als ironisch abgetan. Doch da ich nicht die Einzige war, die mit der Position Schwierigkeiten hatte, sah ich es als Kompliment.

»Okay, dann mal los!« Olivia klatsche in die wegen der Kreide weißen Hände und versuchte, die gleiche Position nachzuahmen. Auch sie, zu meinem Glück, konnte sich nur wenige Sekunden ohne den Griff ihrer Hände halten, bevor sie mit einem quietschenden Geräusch und schmerzverzerrtem Gesicht abrutschte. »Au, au, au«, jammerte sie und presste ihre Hände auf die Haut zwischen ihren Oberschenkeln, um das Brennen zu stillen. »Diese verdammte Stange«, murrte sie. Ich lachte auf.

Eine Dreiviertelstunde später war ich mehr als erschöpft. Ich spürte bereits einen dicken blauen Fleck, der sich an meinem Schenkel bilden würde. Von dem drohenden Muskelkater in meinen Armen und dem Nacken ganz zu schweigen.

»Wie machst du das nur?«, fragte ich Katharena, nachdem die Stunde geendet hatte. Ich wischte mir mit meinem Top den Schweiß von der Stirn und zog es dann über.

»Jahrelange Übung«, erklärte sie lachend, als sie den Kursraum abschloss. Sie schien weder erschöpft noch verschwitzt.

Unfair.

»Außerdem viel Krafttraining, weißt du«, fügte sie hinzu.

»Wir quälen uns hier bereits drei Mal in der Woche«, murrte Olivia neben mir und starrte in Richtung Freihantelbereich. Sie rieb sich weiterhin die Innenseite der Oberschenkel. Ich konnte bereits rot-blaue Flecken auf ihrer Haut ausmachen.

»Wisst ihr, ich habe mich jahrelang mit dem Training an Maschinen abgekämpft. Ich dachte immer, dass ich fit sei, bis mich mein Ex-Freund dazu aufgefordert hat, einen Klimmzug zu machen. Ich dachte, ich sei stark genug, aber Fehlanzeige. Ich konnte mich keine drei Zentimeter hochziehen. Also habe ich angefangen so zu trainieren wie die Jungs.«

Ich starrte auf die Eishockeymannschaft, die jeden Donnerstag ihr Krafttraining im Sportzentrum absolvierte. Eigentlich war es mehr ein Zurschaustellen ihrer stählernen Körper. Eine Verhaltensweise, deren Faszination sich mir völlig entzog.

»So was?«, meinte Olivia ungläubig. Auch sie starrte entgeistert auf die Eishockeyspieler. Einige hatten vier oder fünf Scheiben auf eine Langhantel geschoben und stachelten sich beim Bankdrücken gegenseitig an. Andere machten Kniebeugen mit einem Gewicht, das wahrscheinlich mehr als Olivias und mein Körpergewicht zusammen ergab. Das waren keine Collegejungs, sondern Männer. Muskulös und unverschämt gut aussehend, aber vor allem viel stärker als Olivia oder ich.

»Ganz genau. Ihr braucht keine Angst vor schweren Gewichten zu haben. Außerdem ist es bloß ein Mythos, dass man als Frau durch Krafttraining bullig wird.«

Ich musterte Katharenas Körper. Ja, sie hatte die Schatten eines Sixpacks am Bauch und sehr definierte Arme und Beine. Aber es ließ sie in keinem Fall bullig oder maskulin wirken.

Ich seufzte schicksalsergeben. So einen Körperbau würde ich niemals erreichen – und genau deshalb war mein Hauptfach Geschichte und nicht Sport.

»Krafttraining«, murrte Olivia vor sich hin und schob sich eine Handvoll Popcorn in den Mund. Wir hatten es uns mit Tessa, meiner zweiten Mitbewohnerin, auf dem Boden unserer Drei-Bett-Suite gemütlich gemacht. Eigentlich hatten wir lernen wollen, doch die anstehende Halloweenparty hatte sämtliche guten Vorsätze zunichte gemacht.

Ich lag mit dem Rücken auf dem Teppich und hatte die Beine auf meinem Bett über mir abgelegt. Tessa fütterte mich derweil mit einzelnen Popcornflocken und kicherte vor sich hin.

»Vielleicht solltest du dich als Zombie-Poledancerin verkleiden«, meinte sie. Olivia warf Tessa lediglich einen vernichtenden Blick zu.

»Also als Stripperin«, entgegnete ich und versuchte, mein Grinsen zu unterdrücken.

»Nur zur Info, Gwen. Das hier wird ein Partnerlook«, entgegnete Olivia vielsagend. Dann wendete sie sich an Tessa. »Und die Einzige in diesem Raum, die so etwas tragen könnte, ist unsere fromme Mamacita hier.«

Tessa zuckte unaufgeregt mit den Schultern.

Ja. Unsere mexikanische Mitbewohnerin und meine zweite beste Freundin hatte Göttinnen-gleiche Gene. Sie war eine lateinamerikanische Schönheit mit dickem braunem Haar, dunkler ebenmäßiger Haut und einem Körper mit perfekten Kurven. Wäre ich ein Mann, ich würde ihr wohl tagtäglich sabbernd hinterherlaufen. Würde sie sich in einem knappen Kostüm als Zombie-Poledancerin kleiden, würde es ihr kein Mann übelnehmen. Ganz im Gegenteil.

Nur hatte Olivia recht. Ein Partnerlook mit knappen Outfits kam für keine von uns, aus verschiedenen Gründen, infrage.

»Jetzt im Ernst: Hat jemand Ideen?«, fragte ich und setzte mich im Schneidersitz zwischen die beiden. Ich zog den Laptop näher an mich heran und scrollte durch Kostümideen auf Pinterest. »Halloween ist in einer Woche, und wir haben noch keine Idee.«

»Vielleicht Zombie-Krankenschwestern?«

Ich schnaubte bei dieser Idee.

»Zombie-Hexen?«

Jetzt schnaubte Tessa.

»Es ist eine der besten Partys des Jahres. Wir brauchen etwas, um uns von der Menge abzuheben.« Ich seufzte uninspiriert.

Sigma Phi war zwar die einzig offizielle Studentenverbindung am Boston College, aber obwohl es nicht offiziell anerkannt war, kamen auch wir in den Genuss einer Greek Row. Eine Straße voller mehr oder weniger etablierter Studentenschaften. Sigma Phis Halloweenparty, ganz dem Thema Zombieapokalypse gewidmet, war allerdings eines der wenigen Party-Highlights des Semesters auf dem Campus.

»Wieso beschmieren wir uns nicht einfach mit Kunstblut und gut ist?«, schlug Olivia wenig überzeugt vor. »Immerhin ist das kein Kostümwettbewerb.«

»Aber ein gutes Kostüm zieht die Aufmerksamkeit von bestimmten männlichen Partygästen auf uns«, spornte ich sie an. Tessa kicherte vor sich hin und stieß Olivia spielerisch an die Schulter.

»Welcher arme Kerl hat denn nun das Glück?«, fragte sie. Olivia zog eine Schnute und schnappte sich die Schüssel mit dem Popcorn. Sie nahm eine Handvoll und schaufelte sich das Süßzeug in den Mund.

»AdaSokowskss«, stammelte sie mit vollem Mund.

Tessa prustete los. »Wer?«

Olivia schluckte mehrfach, bevor sie antwortete. »Adam Sokolowski«, wiederholte sie deutlicher.

»Du hast dir aber hohe Ziele gesetzt.« Tessa schnappte sich ein einzelnes Popcorn, doch bevor Olivia etwas erwidern konnte, ertönte ein greller Laut.

Mein Handy vibrierte, und ich fischte es aus den Untiefen meiner tausend Kissen, die ich auf meinem Bett drapiert hatte.

›Hey, Schöne … was machst du gerade?‹

Ich seufzte. Olivia und Tessa hielten in ihrer Recherche inne und sahen neugierig zu mir herüber.

»Ist es der Ehebrecher?«, mutmaßte Olivia. Ich nickte stumm. »Arschloch«, fügte sie hinzu. Dann beugte sie sich vor. »Was wirst du ihm antworten?« Zerknirscht blickte ich auf mein Handydisplay.

Mit Olivia und Tessa hatte ich einen Jackpot gezogen. Wir hatten einander unsere tiefsten Gefühle und Geheimnisse anvertraut, waren nun bereits seit zwei Jahren Zimmergenossinnen und beste Freundinnen. Daher wussten sie auch von meinem Fauxpas im letzten Sommer. Und wie hin- und hergerissen ich deswegen immer noch war.

»Die Wahrheit.« Schnell tippte ich eine belanglose Antwort an Bruce, den Olivia in meinem Handy als Ehebrecher gespeichert hatte und den wir offiziell nur mit Du-weißt-schon-wen ansprachen. Sie hatte mir verboten, seinen Spitznamen in meinen Kontakten zu ändern, geschweige denn, Bruce’ Namen jemals wieder laut auszusprechen. Sein Spitzname sollte außerdem als Erinnerung dafür dienen, was Bruce war.

Er war zwar kein wirklicher Ehebrecher, denn auf dem Papier waren er und Amanda noch nicht verheiratet. Dennoch waren sie verlobt, und das war auch nicht besser. Vielleicht machte es alles sogar noch schlimmer, denn sollte man gerade als verlobtes Paar nicht in der Blüte seiner Zuneigung und Liebe stehen?

Ein Grund mehr, weshalb ich so etwas wie Liebe für mich selbst abgeschrieben hatte.

›Hast du später Zeit zu telefonieren?‹

Ich wunderte mich über seine Nachricht. Ja, ab und an

pflegten wir noch Kontakt zueinander. Er hatte mich tatsächlich mehr als einmal gefragt, ob ich ihm ziemlich eindeutige Fotos von mir schicken könnte. Was ich natürlich nicht getan hatte. Aber dass er an einem Donnerstagabend, wenn er doch mit Amanda zusammen sein sollte, mit mir telefonieren wollte, wunderte mich. Zudem waren seine Nachrichten in den letzten Wochen immer weniger geworden. Ein Blick auf den Nachrichtenverlauf zeigte an, dass wir das letzte Mal vor knapp drei Wochen Belanglosigkeiten ausgetauscht hatten.

›Heute habe ich keine Zeit … vielleicht die Tage?‹, wich ich ihm aus. Bruce’ hinterhältiges und selbstsüchtiges Verhalten hatte mir einen ordentlichen Denkzettel verpasst. Ich stellte mein Handy auf stumm und schmiss es zurück auf mein Bett, bevor Bruce mir antworten und mich in ein Gespräch verwickeln konnte.

»Er will mit mir telefonieren«, erklärte ich, denn Tessa und Olivia starrten mich weiterhin schweigend an.

»Was hat der dir denn noch zu sagen?«, knurrte Olivia mit zusammengekniffenen Augen. Ich zuckte nur mit den Schultern. Dann ließ ich meinen Kopf gegen die Bettkante sinken und starrte auf unsere voll beklebte Zimmerwand. Zwischen Fotos von uns, Schauspielern, die auf jeden Fall irgendwann einmal unsere Ehemänner oder geheime Liebschaften werden würden, und inspirierenden Zitaten hing eine übergroße Flagge der Boston Eagles in Dunkelrot und Gold.

Dann kam mir eine Idee.

Kapitel 2

Luke

Dankend nahm ich das Bier entgegen, das Otiz mir reichte. Ich lehnte mich auf unserer braunen Ledercouch zurück und öffnete die Dose, was von einem leisen Zischen begleitet wurde.

Meine Muskeln schmerzten bereits jetzt. Nachdem unsere Eishockeymannschaft drei Spiele in Folge verloren hatte, hatte unser Coaching-Team die Trainingseinheiten hochgeschraubt. Krafttraining zweimal die Woche, plus extra Konditionstraining und all das zusätzlich zu unseren regulären Trainingseinheiten auf dem Eis.

Zugegeben, wir hatten haushoch verloren, mit einem 3:1, 2:0 und einem erbärmlichen 4:0. Was das Sondertraining vielleicht sogar rechtfertigte. Unser Division I Team, das in den letzten Jahren in den Top Fünf der Collegemannschaften der Nation gestanden hat, hatte einen nicht ganz so erfolgreichen Start in die Saison hingelegt.

Der Grund dafür war, dass zwei unserer Teamkollegen im letzten Sommer bei einem tragischen Autounfall ums Leben gekommen waren. Es hatte uns alle komplett aus der Bahn geworfen. Aber das bedeutete auch, dass unserem Team plötzlich zwei der besten Spieler und ein Kapitän fehlten. Die ersten Spiele hatten wir eher mit Glück als Können für uns entscheiden können. Dann hatte die Flaute eingesetzt.

Nun saß ich auf der Wohnzimmercouch und befürchtete, dass mein rechter Ellbogen bis zum Morgen zu einem Tennisarm anschwellen würde. Von meinen schmerzenden Beinen, dem Bauch und Nacken ganz abgesehen.

»Ich sterbe«, keuchte Martin neben mir. Er wurde meistens Abel genannt, denn sein eigentlicher Name lautete Martin Abelman. Er hatte unfreiwillig die Rolle unseres Teamkapitäns übernommen und fühlte sich somit persönlich für unsere Niederlagen verantwortlich. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, sich lautstark über die Sondertrainings zu beschweren.

Ich lachte, aber dadurch wurde mir umgehend bewusst, dass meine Bauchmuskeln so sehr schmerzten, dass mir dabei schlecht wurde. Der fröhliche Laut erstarb auf meinen Lippen, während ich langsam durch die Nase ausatmete, um meine Muskeln zu entspannen.

Es war die reinste Folter.

»Das kann Coach doch nicht mit uns machen. Ich musste letzte Woche in meiner Freistunde Jessica anrufen, weil mein Arm zu sehr geschmerzt hat, um mir einen runterzuholen, Mann«, fügte Bosman hinzu. Jetzt musste ich wirklich lachen und versuchte, die schmerzenden Muskeln meines Bauchs zu ignorieren.

»Du ziehst deine Hand ernsthaft einem Blowjob vor?«, neckte Abel ihn. »Das ist grotesk!« Er schüttelte missbilligend den Kopf. Seine schwarzen langen Locken, die er sonst immer in einem Zopf zusammenband, flogen dabei wild um sein Gesicht.

»Ganz ehrlich. Jessica ist heiß und alles, aber es gibt einfach Dinge, die sie nicht gut kann. Ich mein, das hier«, Bosman zeigte auf seinen Schritt, »ist kein kandierter Apfel, okay? Da sollte man nicht abbeißen.«

Ich musste so laut lachen, dass mir Bier aus den Nasenlöchern lief und Tränen in die Augen stiegen. Gleichzeitig entfuhr mir ein schmerzerfülltes »Au«, und ich fasste abermals an meine Mitte. Bosmans Unverblümtheit war zu köstlich, um sie zu ignorieren.

»Vielleicht ist es Zeit, ihr den Laufpass zu geben«, empfahl Otiz ernst. Seine Eltern kamen aus Chile, und er war ein hoffnungsloser Romantiker. Ob das eine etwas mit dem anderen zu tun hatte, wusste ich nicht genau. Doch Otiz hatte uns oft erklärt, dass es in Chile nicht unüblich war, schnell zu heiraten, wenn man sich einmal in einer ernsthaften Beziehung befand. Das machte Otiz irgendwie romantisch. »Du wirst schon noch die richtige Frau finden.«

Ich grinste Otiz zu, der unschuldig an seinem Bier schlürfte. Seine Worte wurden mit einem Rülpser seitens Bosman quittiert.

»Weil du ja so viel Erfahrung mit Freundinnen hast«, erwiderte Bosman trotzig.

»Du könntest Valera fragen. Er ist immerhin der Einzige in der Gruppe, der bereits eine ernsthafte Beziehung hinter sich hat.« Ich drehte die Dose Pale Ale in meinen Händen, plötzlich überaus an dem Aufdruck auf der Dose interessiert. »Also? Was denkst du, Luke?«, wandte sich Otiz direkt an mich.

»Hey, ich war auch schon mal in einer Beziehung«, mischte sich Abel empört ein.

»Highschool zählt nicht«, kommentierte Otiz.

»Valera hat seine Freundin auch in der Highschool kennengelernt.«

»Aber die beiden sind noch auf dem College zusammen gewesen. Das ist was anderes«, beharrte Otiz.

Er hatte recht. In meinem engen Freundeskreis war ich der Einzige, der eine ernste, langjährige Beziehung hinter sich hatte. Auch wenn ich mittlerweile den Eindruck auf andere machte, über Abigail hinweg zu sein, sprach ich dennoch nicht gerne über sie oder unsere Vergangenheit.

»Was soll ich dazu sagen?«, erwiderte ich schließlich. »Nur weil sie Bosman nicht das eine geben kann, heißt es ja nicht, dass sie ein schlechter Mensch ist. Ich mein, hast du Jessica mal gefragt, ob du sie auf diese Weise befriedigst?«

»Touché.« Abel hielt mir sein Bier entgegen und stieß mit einem imaginären Getränk an.

»Was?«, rief Bosman gespielt empört auf. »Hast du mal

meine Zunge gesehen, Alter? Die ist dazu geschaffen, Frauen um den Verstand zu bringen.«

»Ja, klar«, kommentierte Abel.

»Sicher«, fügte Otiz hinzu. Ich grinste Bosman nur mit hochgezogenen Augenbrauen an, der eine wegwerfende Handbewegung machte.

Für den Rest des Abends diskutierten wir weiter über –nun ja, Dinge. Irgendwann klinkte ich mich aus und ging in mein Zimmer. Bosman war ein talentierter Alleinunterhalter, doch auf Dauer waren seine anzüglichen Kommentare und Übertreibungen zu anstrengend für mich.

Ich scrollte gelangweilt durch Instagram und stieß auf mehrere Stories, in denen Mädels aus meinen Kursen Umfragen gestartet hatten, welches Halloweenkostüm sie tragen sollten. Sexy Katze, sexy Lehrerin, sexy Krankenschwester …

Die Wahrheit war, mir war so was völlig gleich. Sie zeigten in jedem Outfit gleichviel Haut, und keines der Kostüme war auch nur im Ansatz originell. Nicht, dass ich mir eh viel aus Halloweenkostümen machen würde.

Die Outfits der meisten Mädchen waren wie eine unausgesprochene Einladung an respektlose Männer, die sich vorstellten, wie sie den kurzen Rock eines Halloween-Bunnys hochzogen und es sonst wo anfassten. Das sollte natürlich nicht heißen, dass Frauen sich anders anziehen sollten. Oder dass Kleidung eine Rechtfertigung für unangebrachtes Verhalten von Männern war. Dennoch konnte ich mit Kostümen, die deutlich die fehlende Unterwäsche ihrer Trägerinnen preisgaben, nicht viel anfangen.

Außer, ich wäre der Einzige, der in den Genuss solch eines Anblicks kommen würde …

In meine Gedanken über Playboy-Bunnys und Halloweenkostüme vertieft, ließ ich mich auf mein Bett fallen und schaute mir gelangweilt die Fotos auf der App an.

Dann stolperte ich über Abigails Profil. Ich hatte wohl den größten Fehler der Menschheitsgeschichte begangen, indem ich sie nicht nach unserer Trennung aus meiner Abonnentenliste gelöscht hatte. Oder sie auch sonst aus allen Bereichen meines Lebens zu streichen. Nun musste ich die Konsequenzen für meine Entscheidungen tragen.

Abigail hatte ein Video auf ihrem Profil veröffentlicht. Sie tanzte mit einem Stab in der Hand, an dem ein langer Streifen Stoff befestigt war. Abi betrieb Rhythmische Sportgymnastik seit ihrer Kindheit. Genauso wie das Eishockey meine Leidenschaft war, war die Sportgymnastik die ihre.

Der Anblick ihres schlanken Körpers, der sich gekonnt über die Trainingsmatte bewegte, war ein vertrauter Anblick für mich. Auch heute trug sie einen roten Body, der wenig Raum für Fantasie ließ, und tanzte grazil auf den Matten. Ich schluckte hart und versuchte nicht daran zu denken,

wie es sich anfühlte, wenn ich ihr die dünnen Träger des Bodys über die Schultern streifte.

Verdammt.

Ich klickte schnell weiter. Nur um dann doch wieder auf ihrem Profil zu landen und ihr schließlich einen kurzen Kommentar zu ihrer Choreografie zu senden. Ich wusste, dass sie an diesen Schrittfolgen lange gearbeitet hatte.

Außer Abel wussten nicht viele, dass ich selbst nach fast einem Jahr der Trennung noch immer regelmäßig Kontakt zu meiner Exfreundin pflegte. Jede Faser meines Körpers wusste, wie ungesund das war. Abel verkündete es regelmäßig und kommentierte Abigails gelegentliches frühmorgendliches Verschwinden aus unserem Haus bloß mit missbilligendem Kopfschütteln.

Ich für meinen Teil bekam ihren Anblick, die Erinnerungen an unsere Zweisamkeit und das Gefühl meiner Hände auf ihrem Körper einfach nicht aus meinen Gedanken. Ihren Geruch, wenn sie sich an mich presste und ihr leises Stöhnen an meinem Ohr.

Es war, als wäre ich ein Drogenabhängiger. Ich wusste, dass mein Verhalten selbstzerstörerisch war. Unsere Beziehung hatte vor langer Zeit geendet und würde auch nie, nie, nie wieder zu der werden, die sie einst gewesen war. Dennoch hatte ich bis heute nicht gelernt, von ihr abzulassen.

Ich brauche eine Ablenkung, beschloss ich. Und zwar schnell.

Zwei Tage später stand ich auf dem Eis und ließ mich von Coach Roswell durch den Ring jagen.

»Verdammt, Abelman, reiß dich zusammen«, schrie er. Ich war mir sicher, würden wir weiter Spiele verlieren, dann würde Coach einen Herzinfarkt erleiden.

Es tat niemandem gut, so viel zu schreien.

Ich fuhr zu Abel, der verdattert in der Nähe des Tors stand.

»Er bringt mich um, Valera. Im Ernst«, meinte er mit viel zu hoher Stimme. Seine Hand zitterte, und ich sah Schweiß, der unter seinem Helm an der Schläfe hinablief. Mir selbst erging es nicht besser. Ich hatte einfach keine Kraft mehr, aber Coach ließ nicht locker.

»Meint ihr, so gewinnt man eine Meisterschaft? Meine senile Großmutter spielt besser Eishockey als ihr.«

»Muss ja ’ne richtige GILF sein, Coach«, rief Bosman laut genug, dass das Team ihn verstand, aber nicht Coach Roswell. Die Jungs lachten laut, und Unruhe machte sich auf dem Eis breit. Es war offensichtlich, dass keines der Teammitglieder mehr in der Lage war, weitere Drills über sich ergehen zu lassen.

»Was gibt es da zu lachen. Ihr … ihr …!« Roswell stockte, und einen Moment war ich ernsthaft davon überzeugt, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Sein Kopf war einfach zu rot, und seine Augen schienen aus den Höhlen zu quellen. Dann schüttelte er nur den Kopf und murmelte etwas Unverständliches in sein Sweatshirt. Er pfiff ab und machte eine ausladende Bewegung mit dem Arm. »Lasst gut sein. Das Training ist beendet.«

Das Team seufzte kollektiv erleichtert auf und machte sich auf den Weg in die Umkleidekabinen. So erschöpft ich auch war, das Training tat mir immer gut. Es lenkte mich von allen Problemen, Deadlines und Prüfungen ab.

Besonders aber von Abigail. An sie hatte ich seit zweieinhalb Stunden nicht mehr gedacht. Großer Fortschritt.

»Also, ich habe gehört, dass Sigma Phi eine Gästeliste aufgestellt hat, weil so viele Leute die Party sprengen wollen«, bekundete D’Lawress, unser Goalie, in der Umkleide.

»Zum Glück stehen wir auf jeder Liste.« Bosmans Augenbrauen hüpften vielsagend auf und ab.

»Gott segne das Eishockey«, stimme Otiz zu.

»Vielleicht findest du ja diesmal deine Traumfrau«, neckte Abel Bosman. Dieser prustete los, widersprach jedoch nicht.

Wenn es einen Star in unserem Team gab, den jede Frau in ihrem Bett und jeder Mann als Freund haben wollte, war es Martin Abelman. Mit den halblangen Locken und den tiefsinnigen dunklen Augen war er unser Eishockey-Star. Ich wusste zwar, dass dadurch auch ein wahnsinniger Druck auf seinen Schultern lastete, aber Abel hatte mir immer versichert, dass es das wert sei. Er war einer der Spieler, der irgendwann mal in die Profiliga einziehen würde. Bereits in der Highschool hatte man ihn als besten nationalen Nachwuchsstürmer seines Jahrgangs gekürt. Ich war mir sicher, dass sich bereits jetzt Rekruten verschiedener NHL-Mannschaften die Finger leckten, wann immer der Name ›Abelman‹ fiel.

Sein Wunsch, Profispieler zu werden, konnte ich zwar nachvollziehen, aber ich hatte jenes Bestreben bereits vor langer Zeit für mich verworfen.

Zu viel Aufmerksamkeit. Zu viel Verantwortung. Zu wenig Privatsphäre …

Ich stieg unter die Dusche und spürte schmerzhaft, dass ich noch nicht gefrühstückt hatte. Es war Sonntagmorgen, und aller Stereotypen eines Studenten-Athleten zum Trotz, hatte uns Coach Roswell bereits um sechs Uhr morgens auf die Eisfläche geordert. Ohne Rücksicht darauf, dass viele andere Teamkameraden und ich in weniger als zwei Wochen gleich mehrere Hausarbeiten abzugeben hatten.

Ich schleppte mich nach dem Training zähneknirschend in die Universitätsbibliothek. Soziologie als Hauptfach war nicht schlecht. Es war weder zu anspruchsvoll noch zu einfach. Außerdem würde es mir erlauben, später als Lehrer oder Trainer zu arbeiten.

Zu Kindern hatte ich schon immer einen guten Draht gehabt. Vielleicht war das nur natürlich, wenn man vier Geschwister hatte. Ich mochte Kinder einfach, und meistens mochten sie mich auch.

Das änderte jedoch nichts daran, dass ich meine Hausarbeit in Kognitiver Psychologie II noch nicht angerührt hatte. Es war also mehr als an der Zeit, mich aufzuraffen.

Ich lief zu Fuß vom Eisring zur Bibliothek und kaufte mir auf dem Weg noch einen großen Kaffee und zwei Muffins in einem Campuscafé. In der Bibliothek angekommen, stellte ich glücklicherweise fest, dass noch viele Plätze unbelegt waren. Der wirkliche Ansturm auf die Bibliothek kam erst in gut einer Woche. Genau dann, wenn es für die meisten bereits zu spät war.

Ich suchte nach einem Einzeltisch am Fenster, der auf den Innenhof zeigte. Die Bibliothek war eine Mischung aus alt und neu. Backstein und Holz, gemischt mit Metall und Glas. Sie war, wie so vieles am Boston College, riesig, und wenn man wollte, konnte man hier einen Platz ergattern, an dem einen den ganzen Tag keine einzige Person über den Weg lief.

Ich zog mein MacBook aus der Tasche und scrollte über die Kursthemen und dazu empfohlenen Lektüren. Letztendlich entschied ich mich für die Analyse von Werturteilen und die damit verbundene Literatur von Max Weber.

In den Regalen suchte ich nach einer der Lektüren, die essenziell für meine Hausarbeit waren. Ich wurde jedoch nicht fündig, wie ich schnell feststellte. Verzweifelt sah ich mich um. Ohne die Kernliteratur von Weber müsste ich mir ein anderes Thema aussuchen.

In einem gegenüberliegenden Gang sah ich, dass eine studentische Aushilfskraft Bücher in Regale sortierte. Kurzentschlossen ging ich zu ihr und stellte mich neben den Rollwagen, auf dem sich Bücher über Bücher stapelten.

Die meisten Titel sagten mir absolut nichts. Ich wunderte mich, wie sie als Studentin einen so guten Überblick über die verschiedene Literatur hatte, angefangen bei Wirtschaft bis hin zu Theologie.

»Entschuldige?«, sprach ich sie an. Die Aushilfe starrte konzentriert auf ein Sachbuch. Sie schien so vertieft in den Band, dass sie mich nicht bemerkte. Ich räusperte mich laut und gewann endlich ihre Aufmerksamkeit. Ein Blick aus tiefbraunen Augen traf den meinen.

»Oh, sorry«, erwiderte sie. Die rotbraunen Locken der Aushilfe waren zu einem hohen Zopf gebunden. Sie trug ein kurzes, kariertes Kleid über schwarzen Strumpfhosen. Damit passte sie sich optisch ihrer Rolle als Bibliothekarin perfekt an. Es fehlte nur die Brille und ein etwas tieferer Ausschnitt.

Mein Blick glitt für einen kurzen Moment über ihren Körper. Der Gedanke an Halloweenkostüme streifte mein Bewusstsein. Dann riss ich mich zusammen, denn ich konnte schlecht vor einer Fremden in einen Sex-Tagtraum verfallen.

Ein Namensschild wies die Aushilfe als Gwendolyn Harper-Lee aus. Ich kannte Gwendolyn nicht persönlich, aber sie und ihre Freundinnen waren an der BC nicht unbekannt. Man sah sie gelegentlich auf Partys oder Veranstaltungen. Ich glaube, ich hatte bisher noch nie mit ihr gesprochen. Wahrscheinlich war mir daher nie aufgefallen, wie unschuldig und dennoch attraktiv Gwendolyn mit ihrer Lockenmähne und den vereinzelten Sommersprossen unter den Augen war.

»Hi«, wiederholte ich und hoffte, dass sie meine heimliche Musterung nicht bemerkt hatte. Sie war gut einen Kopf kleiner als ich, selbst mit ihren Absatzstiefeln. »Ich suche nach Webers Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis«, erklärte ich. Innerlich verurteilte ich diesen deutschen Wissenschaftler für seinen viel zu abstrakten und geschwollenen Sprachgebrauch.

»Klar. Einen Moment.« Gwendolyn machte sich auf den Weg zu dem Regal, wo ich zuvor auch nach der Lektüre gesucht hatte.

»Da ist es nicht«, erklärte ich auf dem Weg zu der gegenüberliegenden Seite. Doch Gwendolyn schenkte mir nur ein kurzes Lächeln, das so viel sagte, wie: Lass mich mal machen, ich finde es schon. Ihre Augen wanderten über die Buchrücken, doch auch sie konnte es nicht ausmachen. Eine steile Falte bildete sich zwischen ihren Brauen. Auch als sie mehrere Bücher hin und her schob, blieb ihre Suche erfolglos.

»Ich hab’s ja gesagt, es ist nicht hier«, neckte ich sie. Gwendolyns Kopf drehte sich in meine Richtung. Ihr Blick musterte mich abschätzend. Dann riss sie sich zusammen und setzte ein wenig überzeugendes Lächeln auf.

»Danke für den Tipp, aber nimm’s mir nicht übel. Jungs wie du scheinen öfter mal Probleme mit unserem alphabetischen Sortiersystem zu haben«, kommentierte Gwendolyn trocken. Ich musste trotz ihrer Zurechtweisung lachen.

»Da kann ich mich ja glücklich schätzen, so eine kompetente Aushilfe wie dich gefunden zu haben.« Ich schaute länger als nötig auf ihr Namensschild. »Gweny«, schloss ich dann, nach wie vor grinsend. Gweny stimmte allerdings nicht in mein Lachen ein, sie schien tatsächlich in ihrem Stolz gekränkt. Zumindest vermutete ich das, denn ihre Augen verengten sich, ohne auf meine Schmeichelei einzugehen.

Anscheinend war sie leicht aus der Fassung zu bringen. Dass man Rotschöpfen Temperament nachsagte, wahr wohl kein leeres Gerede.

»Ich werde im Archiv nach einer Ausgabe suchen, solche Werke haben wir eigentlich immer noch in einer älteren Auflage vorrätig. Falls dir das nichts ausmacht«, erklärte sie gespielt professionell. Ihr Blick war weiterhin angriffslustig und wurde nur von dem neutralen Ton ihrer Stimme gedämpft. Gwenys dunkle Augen musterten mich in meiner Collegejacke, auf dessen Rücken in Großbuchstaben mein Nachname prangte. Sie war offensichtlich weder von meiner Statur noch der Tatsache, dass ich für eine der besten Hockeymannschaften des Landes spielte, beeindruckt.

»Gar kein Problem, Gweny«, erwiderte ich höflich. Immerhin war Max Webers Werk bereits ein Jahrhundert alt. Der Kerl war schon lange tot, also sollte sich inhaltlich nicht viel geändert haben.

»Wo sitzt du?«, fragte Gweny dann und sah über meine Schulter zu den Sitzreihen. Ich deutete auf meinen Platz. Sie versprach, mir den Band in der nächsten Stunde zu bringen.

Noch bevor ich mich bedanken konnte, machte sie auf dem Absatz kehrt und ging durch die Bücherregale in Richtung Archiv.

Ihr Abgang sollte wohl unbeteiligt wirken. Bloß nicht mehr mit mir sprechen als unbedingt nötig. Dem Eishockeyspieler unter keinen Umständen zu viel Aufmerksamkeit schenken. Ich kannte das Spiel. Nein, ich war ein Meister in diesem Spiel.

Doch die Rückseite ihres kurzen Rocks weckte – trotz der kalten Schulter, die sie mir gezeigt hatte – noch ganz andere Dinge bei mir. Schmunzelnd vergrub ich die Hände in meinen Jeanstaschen und folgte ihr mit dem Blick, bis sie hinter einer weiteren Bücherwand verschwand.

Als ich mich ein wenig später erneut auf meinem Stuhl niederließ, vibrierte mein Handy in der Hosentasche. Ich zog es heraus und sah, dass ich eine Nachricht von Barbie hatte.

Ja. Ihre Eltern hatten sie tatsächlich Barbie genannt. Und ja, sie war wirklich blond. Auch wenn ich mir sicher war, dass sie ihre eigentliche Haarfarbe unter falschen hellen Strähnen versteckte.

Barbie war die Art Frau, die für ihre Eltern so perfekt dastehen wollte wie möglich. Sie engagierte sich ehrenamtlich, besuchte jeden Sonntag den Gottesdienst und sang im Schulchor. Ich wusste aber auch, dass sie eine der versautesten Frauen im Bett war, der ich jemals über den Weg gelaufen bin.

›Heute Zeit?‹, schrieb sie bloß.

Ich antwortete: ›Vielleicht heute Abend. Ich bin in der Bib. Hausarbeiten und so …‹

›Schade‹, lautete ihre einsilbige Antwort. Dann: ›Ich hatte gehofft, dass du mir helfen könntest, ein Outfit für Halloween zu finden.‹

Barbie fügte ein Bild hinzu, das sie in pinken Dessous zeigte. Sie hatte ein Selfie geschossen, in dem sie im Schneidersitz saß und die Kamera mit ausgestrecktem Arm über sich hielt. Ich konnte ihr genau in den Ausschnitt schauen –und auch erkennen, dass sie kein Höschen trug. Barbie war nicht der Typ Mensch, mit dem ich jemals eine vernünftige Konversation führen könnte. Doch ihr Körper war unschlagbar.

Als ich ihre vollen Brüste in dem pinken Spitzen-BH betrachtete und ihre weiche Mitte deutlich ausmachen konnte, übermannte mich stumpfes Verlangen. Das spürte ich an der beginnenden Erektion in meiner Hose nur zu sehr. Wenn ich schon nicht die Aufmerksamkeit einer süßen Bibliothekarin auf mich lenken konnte, dann mit Sicherheit die von Barbie.

›Heute Abend. Sechs Uhr. Bei mir‹, antwortete ich schnell und sendete drei Ausrufezeichen hinterher.

Ein Räuspern riss mich aus meinem Tagtraum mit Barbie und ihrer unvollständigen Unterwäsche. Ich sperrte schnell mein Handy und legte es auf dem Tisch ab.

Gwendolyn Harper-Lee stand neben meinem Tisch. Ein Band von Die Objektivität sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis in der Hand. Ihre braunen Augen waren nicht auf mich gerichtet, sondern auf mein Handydisplay, das jetzt ein unschuldiges Bild meiner Geschwister und mir zeigte. Doch ihr Blick verriet deutlich, was sie von dem Foto hielt, das sie noch eine Sekunde zuvor von Barbie gesehen hatte.

Für sie war ich nicht mehr als ein testosterongefüllter, schwanzgesteuerter Sportler, der sich nur wegen seines Stipendiums und des Ruhms seiner Mannschaft am College durchschlug. All das las ich mit einem kurzen Blick in ihre dunklen Augen.

»Hier.« Sie legte den Band lautstark auf dem Tisch ab und sah mir ernst in die Augen. »Viel Spaß dabei.« Ohne ein weiteres Wort drehte Gweny sich um und zeigte mir abermals ihre Rückseite. Als sie mit angespannten Schultern den Gang entlanglief, konnte ich nicht anders, als über Gwendolyn Harper-Lees zweideutige Antwort zu schmunzeln.

Kapitel 3

Gwendolyn

In meinem früheren Leben musste ich Maskenbildnerin gewesen sein. Jedes Jahr im Oktober freute ich mich darauf, mich als Zombie-Irgendwas zu verkleiden und mit Gelatine, Kunstblut und Farbe zu experimentieren. Ich liebte es, mir YouTube-Videos anzuschauen, die einem erklärten, wie man sich Schusswunden, Narben und Messerstiche auf die Haut fabrizierte und es so echt wie möglich aussehen ließ.

Gerade war ich dabei, Olivia eine Platzwunde an die Stirn zu basteln, als Tessa mit einer braunen Tüte durch die Tür stürmte.

»Happy Halloweeeeen«, rief sie und tanzte hin und her. Sie packte eine Flasche Gin, Tonic Wasser und eine Zitrone aus, stellte eine Packung Plastikbecher und eine Tüte Gummibärchen, in Form von Fledermäusen und Kürbissen, daneben.

»Meine Rettung«, jubelte Olivia. Ich schlug ihr mahnend auf den Oberarm. Mit der anderen Hand hielt ich weiterhin den Streifen Papiertaschentuch, den ich mit dem extra dafür gemachten Kleber an ihre Stirn befestigte.

»Stillhalten«, befahl ich ihr. Olivia schloss die Augen, setzte sich auf theatralische Weise aufrecht hin und hörte auf, sich zu bewegen. Sie hielt weitere Taschentuchstreifen in der einen Hand und reckte den Hals in die Höhe.

»Also, wer will einen Drink?« Olivia machte ein bejahendes Geräusch. Ihre Augen öffneten sich erneut hoffnungsvoll. Doch sie blieb regungslos sitzen. Ich lachte und nickte Tessa ebenfalls zu.

»Ich glaube, unsere Outfits sind der Knaller!«, lobte Tessa, als sie drei Gin Tonic mixte und einen ersten Blick auf Olivias Schusswunde erhaschte.

»Natürlich. Wir sind einfach zu talentiert«, stimmte ich ihr halb sarkastisch, halb ernst zu. Denn ich fand unsere Outfits tatsächlich gelungen. Vielleicht waren sie nicht sonderlich originell. Mit unseren Kunstwunden verpasste ich ihnen aber den gewissen Kick, den andere Kostüme bestimmt nicht haben würden.

Fleißig bastelte ich weiter an Olivias Stirn, bis die Schicht Taschentücher dick genug war, um eine Wunde auszuhöhlen und sie mit Gelatine, Kunstblut und Farbe auszumalen.

»Also, glaubst du wirklich, dass Barbie sich als Barbie verkleiden wird?«, frotzelte Olivia, während ich die Tube Kunstblut öffnete. »Oder meinst du, sie kreuzt tatsächlich ohne Höschen auf?«

»Ihhh«, machten Tessa und ich gleichzeitig.

»Ich glaube nicht, dass das eine das andere ausschließt«, erklärte ich, was Tessa zum Losprusten brachte.

Natürlich hatte ich Olivia und Tessa von Barbies Nacktfoto auf Luke Valeras Handy erzählt. Es war allgemein bekannt, dass Barbie vorgab, etwas zu sein, was sie einfach nicht war. Jeder wusste, dass sie gerne mit den unterschiedlichsten Männern schlief. Doch vor den Professoren oder ihren Eltern gab sie sich als brave, gesittete Studentin aus. Das war für mich einfach verlogen.

Außerdem fand ich es umso betrüblicher, dass sich jemand wie Luke Valera für Barbie interessierte. Er war mir immer wie einer der bodenständigeren Eishockeyspieler im Team vorgekommen. Weniger laut und weniger von sich selbst überzeugt.

Luke war wahnsinnig attraktiv. Zumindest hatte ich bis zu diesem Wochenende so über ihn gedacht. Nachdem ich definitiv zu viel von Barbie auf seinem Handy sehen musste und den eindeutigen Wortwechsel zwischen den beiden hatte überfliegen können, zweifelte ich an meiner Einschätzung von ihm. Er war süß und gewitzt, ließ sich gleichzeitig jedoch von Nacktfotos scharfmachen. Bei äußerlich so attraktiven Männern schien es immer so zu laufen. Sie interessierten sich nur für Brüste und Hintern. Je freizügiger, desto besser.

Erfolgreiche Athleten wurden im College oft hoch gefeiert. Wenn einem fast jedes Wochenende zehntausend Menschen in einem vollen Stadium zujubelten und Spiele auf nationaler Ebene im Fernsehen übertragen wurden, wirkte sich das schnell mal auf das Ego junger Spieler aus. Wahrscheinlich hatte der ganze Ruhm Luke Valera jegliche Bescheidenheit ausgetrieben.

Mädchen wie ich? Die hatten keine Chance gegen die Barbies dieser Welt.

»Jetzt bekomme ich das Bild von Barbie einfach nicht mehr aus dem Kopf, Olivia!«, jammerte ich und versuchte nicht an Barbies intimste Stelle zu denken.

»Vielleicht verkleidet sich Luke ja als ihr Ken«, überlegte Tessa laut. Ich verdrehte die Augen. Innerlich jedoch schien mir das nicht allzu abwegig.

»Zu schade, dass sich jemand wie er ernsthaft für Barbie interessiert«, sprach Tessa meine Gedanken aus.

»Ich glaube, er ist nicht wirklich an ihrer Person interessiert, sondern an ihren«, Olivia fasste sich an die eigenen Brüste, was Tessa und mich auflachen ließ.

»Wahrscheinlich«, erwiderte ich seufzend und starrte zufrieden auf die sehr echt wirkende Platzwunde an Olivias Kopf.

»Du findest ihn echt toll, oder?«, riss mich Tessa aus meinen Gedanken.

»Er ist schon irgendwie süß«, gab ich zu und nahm dankend mein Getränk entgegen. »Aber auch ein überheblicher, oberflächlicher und hirnloser Eishockeyspieler«, fügte ich die wichtigsten Punkte hinzu.

Luke Valera war sogar mehr als süß. Er hatte schwarzes Haar, das fast lockig war, und ein sehr markantes Gesicht mit kräftigen Wangenknochen. Seine grauen Augen waren groß und hatten lange Wimpern, was ihm einen verträumten Eindruck verlieh. Was im starken Kontrast zu seiner eindrucksvollen Statur stand – eine gefährliche Kombination aus Männlichkeit und Sensibilität.

»Er ist bestimmt heute auch auf der Sigma-Phi-Party.« Ich sah zu Tessa, die sich nun vor mich auf den Schreibtischstuhl setzte, und konzentrierte mich auf ihr Gesicht, bis ich entschied, wo ich ihre Schnittwunde platzieren würde.

»Mag schon sein«, gab ich nur zurück. Ich war mir sicher, dass seine Mannschaft eine der heiß begehrten Tickets auf die Verbindungsparty ergattert hatte.

»Vielleicht könnte er ja den Bann brechen?«, spann Olivia Tessas Gedanken weiter. Ihre Augenbrauen wackelten auf und ab, was ihrer Schusswunde etwas Groteskes verlieh.

»Nie im Leben«, entgegnete ich. »Luke Valera ist tabu. Das würde sich wie ein Lauffeuer rumsprechen.«

»Wohl wahr«, merkte Tessa an.

Da ich alle Gedanken an körperliche Nähe in den letzten Monaten vehement im Keim erstickt hatte, wurde ich langsam unruhig. Es war weniger der Sex, als das Gefühl der Geborgenheit, das ich vermisste. Ich wusste natürlich, dass das besonders bei einmaligen Sachen bloß Fassade war. Und die bröckelte schneller als es dauerte, mit jemandem ins Bett zu steigen.

Das war gut so. Zumindest für mich. Ich wollte keine Verpflichtungen eingehen. Dennoch sehnte ich mich nach der Aufmerksamkeit des anderen Geschlechts. Seit letztem Sommer hatte mich kein Mann mehr interessiert. Bis Luke vor mir aufgetaucht war und in seiner Collegejacke und den engen Jeans einfach nur unwiderstehlich ausgesehen hatte.

»Ich habe gehört, dass er und Abigail Schmitt Highschool-Sweethearts gewesen sind«, erzählte Olivia. Sie kannte jeden Tratsch und jedes Geheimnis, war quasi berüchtigt dafür, Skandale aufzudecken. Es entsprach genau ihrem Können, alles über jeden herauszufinden, der nicht genügend Vorsicht walten ließ, wenn es um Männergeschichten ging. »Sie hat wohl mit ihm Schluss gemacht, oder er mit ihr? Hm. Auf jeden Fall sind sie schon einige Zeit getrennt, und seitdem steigt Valera von einem Bett ins andere.«

Das hatte ich auch gehört. Genau deshalb würde ich mich nie, nie, nie, niemals auf jemanden wie Luke Valera mit den grauen Gewitteraugen einlassen.

»Das erklärt sein Interesse an Barbie«, meinte Tessa und nahm einen großen Schluck aus ihrem Becher.

»Ich habe nicht unbedingt Lust, mich mit jemandem wie Barbie auf eine Stufe zu stellen«, gab ich zu und bastelte weiter an Tessas Schnittwunde.

»Aber nehmen wir mal an, er würde Interesse an dir zeigen?« Ich zog bloß die Augenbrauen hoch. Sowohl Barbie als auch Abigail waren ein ganz anderer Typ Frau als ich. Dass jemand wie Luke Valera Interesse an mir zeigen würde, war mehr als unwahrscheinlich.

Dennoch durfte man ja träumen. Über Dinge zu sinnieren, die man nicht haben konnte, war so viel aufregender …

»Nein«, stellte ich entschlossen fest. »Ich würde niemals auch nur einen Finger an jemanden wie Luke Valera legen.«

Stur konzentrierte ich mich auf die sich langsam formende Wunde an Tessas Wange. Ich legte Schicht um Schicht von Taschentüchern auf und klebte sie aneinander, während Tessa und Olivia unbeirrt von den Mitgliedern des Eishockey- und Footballteams schwärmten. Doch der Gedanke, was wäre, wenn Luke wirklich Interesse an mir zeigte, ließ mich trotz all meiner Vorsätze nicht mehr los.

Zwei Stunden später betraten Tessa, Olivia und ich das Haus der Sigma Phi. Dank Olivias Beliebtheit hatte man uns auf die Gästeliste der Zombieapokalypse gesetzt. Sofort ernteten wir anerkennende Blicke einiger Studenten, die in dem rechteckigen Hausflur standen und sich angeregt unterhielten.

Wir trugen die übergroßen dunkelrot-goldenen Trikots der Boston Eagles, gepaart mit roten Kniestrümpfen und Kinder-Eishockeyschlägern, die wir mit Kunstblut bespritzt hatten.

Tessa hatte sich sogar einen Helm an die Hüfte geklemmt, den sie von einem Typen aus ihrer Lerngruppe ausgeliehen hatte. Olivia hatte ich eine Platzwunde auf die Stirn gebastelt, und Tessas Wange zierte ein großer blutender Messerstich.

Ich hatte mir quasi die Kehle aufgeschlitzt, als wäre jemand mit scharfen Schlittschuhen über meinen Hals gefahren. Zwar ziepten die vielen Schichten Küchenpapier und Gelatine an meinem Hals, aber ich war mir sicher, bis jetzt noch nie eine so echt aussehende Verletzung angefertigt zu haben. Diese Wunden zusammen mit der grau-weißen Schminke und den dunkelrot umrandeten Augen machte unser Kostüm komplett. Wir waren perfekte Zombie-Eishockeyspielerinnen.

»Fuuuuuuck«, rief jemand aus, der im Vorbeigehen stehenblieb und uns mit offenem Mund anstarrte. »Schau dir die mal an, Abel!« Der Fremde trug seine Haare millimeterkurz, so wie es bei der Army üblich gewesen wäre, und hatte durchdringend blaue Augen, die bereits glasig vom Alkohol waren. Er hatte sich einen weißen Kittel umgelegt und trug ein Fleischermesser mit sich, das er in rote Farbe getaucht hatte, genauso wie eine Hälfte seines Gesichts.

Jetzt kam auch Abel, oder auch Martin Abelman, der Star-Eishockeyspieler, aus dem Esszimmer. Seine schwarzen langen Locken, die ihm bis auf die Schultern fielen, und die dunklen Augen passten hervorragend zu seinem Kostüm. Zusammen mit dem weißen Hemd und dem langen Umhang verkörperte er so den perfekten Vampir.

Ich hätte wirklich nichts dagegen, mich von ihm beißen zu lassen.

»Nicht schlecht, Ladys«, grüßte er uns anerkennend. Überraschenderweise musterte Olivia ihn abschätzig. Alarmglocken schrillten umgehend in meinem Kopf. Ich warf ihr einen eindringlichen Blick zu. Doch all meine Warnungen an Olivia, sich vor dem großen attraktiven Vampir zu benehmen, wurden von ihr ignoriert.

»Sorry, aber ich glaube, du hast das Thema verfehlt, mein Lieber. Das hier ist eine Apokalypse und keine Twilight-Mottoparty«, bemerkte sie kühl und ging erhobenen Hauptes an den beiden Eishockeyspielern vorbei. Abel sah ihr verdattert hinterher. Ich hingegen konnte nicht anders, als über Olivias bissigen Kommentar zu schmunzeln.

Wenn Olivia jemandem die kalte Schulter zeigte, bedeutete das nur eines: Sie stand auf besagte Person. Im Vorbeigehen bemerkte ich, wie der Schlachter uns weiterhin anstarrte und anerkennend den Kopf schüttelte, als könne er nicht fassen, was er dort vor sich sah. Wäre Olivia nicht so schnell den Gang hinuntergeschwirrt, hätte ich mich vielleicht sogar noch etwas länger in seiner Bewunderung gesonnt. Stattdessen ging ich an ihm und Abel vorbei und folgte meinen Freundinnen in den nächsten Raum.