Together we fall - Justine Loogen - E-Book
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Together we fall E-Book

Justine Loogen

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Beschreibung

Ich würde es nicht ertragen, sie mit in meine Dunkelheit zu ziehen. Lieber lebte ich in einer Welt, in der ich sie nie würde haben können, als dass ich das Risiko einging, Valerie zu zerbrechen.

Kunststudentin Valerie kann es nicht fassen: Graham Harper, der Shootingstar der New Yorker Kunstszene, zerreißt ihre Abschlussarbeit! Dabei war er ihr großes Vorbild - jetzt empfindet Valerie nur noch Abscheu und möchte ihn zur Rede stellen.

Doch als sie vor ihm steht, ist ihre Wut verflogen. Sie blickt in seine Augen, die so viel Schmerz verraten, und kann sich seiner düsteren Aura nicht entziehen. Was verbirgt sich hinter der harten Fassade des Künstlers mit den verstörenden Bildern?

Als Valerie Stück für Stück zu Graham durchdringt, ist es für sie längst zu spät, sich von ihm und seiner Vergangenheit abzuwenden.

Together we fall - emotional, sinnlich und tiefgründig. Band 2 der Together-Romance-Reihe von Justine Loogen.

Das sagen die Leserinnen und Leser in der Lesejury:

»Eine düstere aber auch unerwartet packende Liebesgeschichte, die ich nur so verschlungen habe.« (Sasa03)

»Ich habe geschmunzelt, geweint und hatte Gänsehaut, nur um im nächsten Morgen ein wohlig warmes Gefühl zu verspüren. Die Geschichte hat mich sofort gefesselt und völlig in ihren Bann gezogen. Meisterhaft spannend, mega emotional und voller Gefühl.« (gremlins2)

»Eine gefühlvolle und authentische Liebesgeschichte, die einige ernste Themen behandelte.« (xJohannax04)

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Inhalt

Cover

Über dieses Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Zitat

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Kapitel 29

Epilog

Brief an Jonah

Danksagung

Über dieses Buch

Ich würde es nicht ertragen, sie mit in meine Dunkelheit zu ziehen. Lieber lebte ich in einer Welt, in der ich sie nie würde haben können, als dass ich das Risiko einging, Valerie zu zerbrechen.

Kunststudentin Valerie kann es nicht fassen: Ihre Abschlussarbeit wird von Graham Harper, DEM Shootingstar der New Yorker Kunstszene, zerrissen. Er war ihr großes Vorbild – doch jetzt empfindet Valerie nur noch Abscheu und möchte ihn zur Rede stellen. Als sie dann aber vor ihm steht, ist ihre Wut verflogen. Sie blickt in seine Augen, die so viel Schmerz verraten, und kann sich seiner düsteren Aura nicht entziehen. Was verbirgt sich hinter der harten Fassade des Künstlers mit den verstörenden Bildern? Als Valerie Stück für Stück zu Graham durchdringt, ist es für sie längst zu spät, sich von ihm und seiner Vergangenheit abzuwenden.

Together we fall – emotional, sinnlich und tiefgründig. Band 2 der Together-Romance-Reihe von Justine Loogen.

Über die Autorin

Justine Loogen, 1993 geboren und im Kreis Aachen aufgewachsen, hat in Maastricht studiert und lebt mittlerweile in Bonn. Wenn sie sich nicht im Schreiben oder Lesen von Romanen aller Genres verliert, reist sie um die halbe Welt. Sie hat bereits in den Niederlanden, Kanada, Polen und Neuseeland gelebt. Am besten kann man sie mit gutem Kaffee und Käsekuchen jeglicher Art bestechen.

JUSTINE LOOGEN

Togetherwe fall

beHEARTBEAT

Originalausgabe

»be« – Das eBook-Imprint der Bastei Lübbe AG

Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, Köln

Covergestaltung: Christin Wilhelm, www.grafic4u.de unter Verwendung eines Motivs von © Tuzemka/shutterstock

eBook-Erstellung: Jilzov Digital Publishing, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-0887-6

be-heartbeat.de

lesejury.de

In order to rise from its own ashesa Phoenix must first burn

Octavia E. Butler

Kapitel 1

Graham

Immer wenn mein Geist zur Ruhe kam, setzte die Angst ein.

Zunächst nur ganz schwach.

Ein Aufblitzen in einem Gewitter, doch noch lag es in weiter Ferne. Mehr eine blasse Ahnung als ein greifbares Gefühl.

Aber es kam schnell näher. Ein tobender Sturm, der rücksichtslos vorwärtspreschte. Der den Himmel verdüsterte, bis nichts mehr existierte, außer allgegenwärtiger Schwärze. Bevor ich mich darauf gefasst machen oder meinen Geist auf die Angst vorbereiten konnte, traf sie mich.

Unaufhaltsam.

Das ungemütliche Kribbeln in meiner Brust wurde zu einer Enge, die mir die Luft zum Atmen nahm. Das Blut floss nicht mehr gemäßigt durch meine Adern, es wurde von meinem Herzen im Rekordtempo durch mich hindurch gepumpt. Trotz des Adrenalins stand mir kalter Schweiß auf der Stirn, und meine Zunge fühlte sich trocken und pelzig an. Der Atem kam immer stockender über meine Lippen, und mein Körper wippte unkontrollierbar vor und zurück. Ein Wiegen, das mich einlullen sollte, aber nicht mehr als eine kurze Ablenkung für meinen Körper darstellte.

Derweil terrorisierten Gedanken meinen Geist, so düster und allumfassend, dass sie mich schmerzerfüllt aufkeuchen ließen. In diesem Zustand konnte ich nicht kontrollieren, was ich dachte. Was ich fühlte. Nichts war mehr wichtig und nichts konnte den Schmerz lindern.

Denn alles war meine Schuld gewesen.

Nur meine, denn ich hatte all die Zeichen ignoriert.

Und nun war es zu spät. Es war vollbracht, und nichts konnte mehr ändern, was einst geschehen war.

Wegen mir. Und mit dieser Schuld war ich für den Rest meines Lebens konfrontiert. Ich wusste das, und es machte mir so unwahrscheinlich große Angst. Dass ich jeden Tag aufs Neue daran erinnert werden würde, dass ich der Schuldige war. Denn ich war hier und er nicht.

Erst irgendwann, wenn mein Körper vor Erschöpfung zusammenbrach, ebbte die Panik ab. Ein Gewitter, das weiterzog, dessen Nachklang jedoch weiterhin in meinem Körper rumorte.

Denn es kam immer wieder.

Immer. Wieder.

Um der drückenden Schuld zu entkommen, gab es nur einen Ausweg für mich: Niemals zur Ruhe kommen. Keine Zeit haben, um Luft zu holen, zu genießen oder vor sich hin zu träumen.

Bloß nicht träumen. Denn meine Träume bestanden ausschließlich aus Albträumen.

Um kurzfristige Abhilfe zu schaffen, wenn ich meinte, eine nächste Panikattacke zu erahnen, gab es für mich drei Möglichkeiten:

Belanglose Ficks. Drogen. Und Schmerz.

In genau dieser Reihenfolge und – wenn Bedarf bestand – auch in Kombination miteinander. Frauen halfen, denn sie beanspruchten meinen Körper. Drogen waren besser, denn mit ihnen wurde mein Verstand betäubt. Schmerz war das beste Mittel von allen, denn es beschäftigte meinen Körper und meinen Verstand.

So abgefuckt war mein Leben.

Genau so hatte meine Welt in den letzten Jahren ausgesehen. Ohne dass die Menschen, die ich liebte, auch nur die geringste Ahnung hatten, dass etwas mit mir nicht stimmte. Dass ich krank war.

Damit meinte ich nicht einmal die Angstzustände. Sondern meinen selbstzerstörerischen Lebensstil. Erst wenn ich um drei Uhr morgens erschöpft auf meinem Bett zusammenbrach, wusste ich, dass ich alles richtig gemacht hatte. Der Angst und der Schuld entkommen war.

So hatte ich gelebt, tagein, tagaus. Gelegentlich hatte ich eines meiner Hilfsmittel genutzt. Irgendwann brauchte ich sie immer öfter, denn die Angst vor einer nächsten Panikattacke schien ständig neue Wege zu finden, meinen Geist zu erobern. Bis dann kurz vor Weihnachten mein Herz aufgehört hatte zu schlagen.

Und das meinte ich wortwörtlich. Nach einer Überdosis und siebzehn Stunden exzessiver Feierei hatte mein Herz gestreikt. Es hatte das Handtuch geschmissen und gerufen: Ich bin raus. Den Scheiß mache ich nicht mehr mit.

Zu meinem Glück – oder vielleicht auch Verderben, darüber war ich mir noch nicht ganz im Klaren – hatte man mich in einem zwielichtigen Club mit einem dieser Science-Fiction-Defibrillatoren, die selbsttätig Anweisungen geben konnten, zurück ins Leben geschossen.

Dass ich danach ins Krankenhaus eingeliefert wurde und man darüber nachgedacht hatte, mich zwangseinzuweisen, war wohl selbsterklärend. Nur mit Mühe und viel Überzeugungskraft in Form von Schmiergeld hatte ich mich rausreden können und war einer Therapie in irgendeiner Anstalt in Idaho entkommen.

Nun war ich hier, ein halbes Jahr später, und versuchte mit aller Macht, meine Angst in ein anderes Medium umzuwandeln. Sie mir irgendwie zunutze zu machen, denn das hatte bereits früher funktioniert. Zumindest bevor die Panikattacken ein regelmäßiger Teil meines Alltags geworden waren und meine Schuld mich wegen vergangener Taten immer weiter zu erdrücken schienen.

Als freischaffender Künstler konnte ich meine Gefühle in der Malerei verarbeiten. Das fiel mir sogar so leicht, dass ich in den letzten Monaten genug Bilder kreiert hatte, um eine ganze Galerie zu füllen.

Hier stand ich nun auch. In einer überteuerten Galerie in SoHo, im Herzen New York Citys. Auf der zweiten Etage eines schmalen Hauses, die man nur über die restaurierte Feuerleiter an der Häuserfront erreichen konnte.

Mit fünfundzwanzig Jahren hatte ich etwas erreicht, wofür andere ihr halbes Leben arbeiteten. Denn ich war nicht bloß irgendein freischaffender Künstler. Ich war Graham Harper, das Jungtalent der letzten Jahre.

Bereits jetzt waren die Eintrittskarten für die kommenden Wochen restlos ausverkauft. Alle Ausgaben, die durch meine erste eigene Galerie auf mich zugekommen waren, hatte ich somit noch vor der Eröffnung wieder reingeholt. Denn alles, was meinen Namen trug, wurde förmlich zu Gold. Würde Geld bloß glücklich machen.

Ich lief grübelnd ein letztes Mal durch den großen Raum. Drei Wände bestanden aus dem für New York typischen Backstein, der dunkelgrau überstrichen war. Eine frei stehende Wand, die den Eingangsbereich von der Galerie abschirmte, diente als Künstlerprofil.

Mit der Zeit hatte ich begonnen, den Ruhm, der mit meinem Erfolg gekommen war, zu hassen. Hatte ich ihn einst herbeigesehnt, so verabscheute ich ihn mittlerweile.

Denn Ruhm lockte falsche Menschen an. Die, die teilhaben wollten an dieser glanzvollen Welt im Rampenlicht. Gleichzeitig aber brauchte ich den Erfolg. Ohne ihn, ohne die Publicity und das Rampenlicht würde mein Name schneller in Vergessenheit geraten, als es gebraucht hatte, bekannt zu werden.

Daher hatte sich Annabelle, meine Assistentin, durchgesetzt und auf mein Künstlerprofil am Eingang bestanden. Es sei essenziell, denn auch ich hatte Rechnungen zu bezahlen – und nicht gerade wenige. Diese beglich man allerdings nur durch Aufträge. Und Aufträge bekam man nur, wenn man wusste, wie man den Künstler erreichen konnte.

Nicht, dass ich das noch nötig hätte.

Neben der Kunst schrieb ich als Kolumnist für eine der renommiertesten Kunst-Magazine des Landes. Da man meine Meinung nicht nur achtete, sondern anpries, brachte mir dieser Job ein mehr als solides Grundeinkommen. Und noch viel wichtiger: lukrative Aufträge, deren Profit so viele Nullen besaßen, dass ich sie nicht laut auszusprechen wagte.

Trotz des Erfolgs knirschten meine Zähne verräterisch, als mir meine eigenen Augen auf dem Foto gegenüber verschmitzt entgegenblickten. Es war nur ein DIN A4 großes Porträt neben einem kurzen Profil, auf dem meine Laufbahn und meine Erfolge festgehalten waren. In der Auslage vor der frei stehenden Wand stapelten sich Prospekte des Kunstmagazins Metropole Art und Visitenkarten.

Visitenkarten.

Gott, es war so erbärmlich.

Mein Portfolio ragte direkt hinter der Eingangstür in die Höhe und schirmte die Garderobe und den Tresen von der eigentlichen Ausstellung ab. Betrat man den Raum, sah man nicht zuerst Kunst. Sondern mich.

»Ich tippe auf dreizehn.«

»Dreizehn?«, erwiderte ich verwirrt und sah in Jeffs braun-goldene Augen. Er hatte die Arme vor dem Oberkörper verschränkt und begutachtete ebenfalls mein Porträt.

»Dreizehn Frauen, die dir ihre Nummern auf deine Visitenkarte kritzeln und in deine Brusttasche stecken werden.«

Ich lachte kopfschüttelnd auf. »Dann ziehe ich besser kein Hemd mit Brusttasche an.«

Jeffs Augenbrauen schossen in die Höhe, während er sich zu meinem richtigen Ich umdrehte. »Ich bestehe darauf, dass du ein Hemd mit Brusttasche anziehst.«

»Ich mache das nicht, um Frauen aufzureißen.«

»Aber ich«, entgegnete Jeff vielsagend. Lachfältchen bildeten sich um die dunkle Haut seiner Augen.

»Verstehe. Ich bin also nur der Vermittler.«

Jeff nickte bestätigend. »Könnte man so sagen.«

»Dann werde ich das mit dem Hemd mit Brusttasche wohl noch mal überdenken müssen.«

»Unbedingt.«

Ich lachte auf, und Jeff stimmte mit ein. Dann klopfte er mir freundschaftlich auf die Schulter. »Ich bin echt stolz auf dich, weißt du das?« Der weiche Ton seiner Stimme drang bis in meine Brust.

»Ohne deine Hilfe hätte ich das nicht geschafft«, entgegnete ich mit trockenem Mund.

»Quatsch.« Jeffs Augen glänzten mich dennoch verräterisch an.

Meine Stimme blieb ernst, als ich leise erwiderte: »Doch. Ohne dich wäre ich vielleicht gar nicht mehr hier.«

Jeff drückte meine Schulter und presste die Lippen aufeinander. Er widersprach nicht, denn er wusste, ich hatte recht.

»Jetzt hast du es überstanden, Gram. Also zerbrich dir nicht den Kopf über Dinge, die nie eingetroffen sind.«

Ich stimmte ihm nickend zu und warf einen letzten Blick auf meine ernste Miene an der Wand. »Lass uns von hier verschwinden, ich bin kurz vorm Verhungern«, wechselte ich dann das Thema.

Jeffs ernster Gesichtsausdruck löste sich ebenfalls. »Endlich. Ich warte seit zwei Stunden auf dich, weißt du das?«

»Wieso hast du nichts gesagt?«

»Weil du wie ein Irrer durch den Raum gerannt bist und immer wieder Sachen verschoben hast, nur um sie dann wieder an ihre ursprüngliche Stelle zurückzuschieben.«

»Ich bin nur nervös.«

»Hört, hört. Graham Harper, der kanadische Goldjunge ist nervös?«

Ich boxte Jeff spielerisch gegen die Schulter. »Ach, halt doch die Klappe.«

»Nur, wenn wir uns endlich was zu essen holen. Ich schwöre, ich habe bei der Warterei bereits zwei Kilo abgenommen.«

»Wohl kaum«, merkte ich an, griff aber nach den Schlüsseln und schaltete die Alarmanlage der Galerie ein.

Als ich in die frühsommerliche Nachtluft New Yorks trat, dem unablässigen Summen des Straßenverkehrs lauschend, legte ich den Kopf in den Nacken und starrte in den sternenlosen Himmel.

Sechs Tage ohne Panikattacken. Das war ein neuer Rekord.

Kapitel 2

Valerie

Ich pulte an den Überresten des schwarzen Nagellacks auf meinen Fingernägeln und wippte ungeduldig mit einem Bein. Nach einigen Minuten der angespannten Stille spürte ich Willows Hand auf meinem Oberschenkel. Unvermittelt hielt ich in der Bewegung inne und formte wortlos ein Sorry in ihre Richtung. Ich hatte nicht einmal bemerkt, dass der Esstisch angefangen hatte zu wackeln, von meiner Nervosität angesteckt.

»Ich halte das nicht aus. Wo ist er denn?«, rief ich schließlich aus. Ich starrte auf die Uhr in meiner Miniaturküche, die gleichzeitig als Esszimmer, Wohnbereich und Flur diente.

Viertel vor zehn.

Wo blieb Ho?

»Vielleicht gab es nicht genug Ausgaben am Kiosk«, vermutete Zachary wenig überzeugend.

Ich begann an meinem Daumennagel herumzuknabbern. Verdammt. Diese Angewohnheit hatte ich mir mühsam in der Highschool abtrainiert. Doch meine Aufregung musste ich in irgendetwas umleiten, und in diesem Moment standen mir einzig meine Fingernägel zur Verfügung.

Als es schließlich an der Wohnungstür klopfte, sprangen Zachary, Willow und ich aufgeregt auf. Willow lief zur Tür und riss sie schwungvoll auf.

»Na endlich!«, stöhnte sie. Sie war mindestens so nervös wie ich. Vielmehr, wie wir alle.

Hos kleine Gestalt sprang flink in den Raum. »Ich hab sie«, rief er aus. Er hielt mehrere Zeitschriften in die Höhe.

»Wieso hat das so lange gedauert?«, fuhr ich ihn angespannt an.

»Sorry, Autounfall auf der 7th Avenue. Die haben die gesamte Straße, plus Gehwege gesperrt«, erklärte er.

Erst jetzt bemerkte ich den Schweißfilm auf seiner gebräunten Stirn, und wie abgehackt sein Atem klang.

»Jetzt bist du ja hier«, schob ich etwas versöhnlicher hinterher.

Ich setzte mich. Doch nun, wo ich die Zeitschriften vor mir sah, schoss mein Puls erneut in die Höhe. Mein Herz flatterte wie ein Kolibri in der Brust. Meine Hände waren so verschwitzt, dass ich sie an den Hosenbeinen abwischen musste. Ich sah in die Runde meiner Freunde. Wir alle starrten ehrfurchtsvoll auf die Metropole Art, als wäre sie der heilige Gral.

»Soll es einer vorlesen – oder jeder für sich?«, fragte Willow unsicher. Ich biss mir zweifelnd auf die Lippe.

Schließlich opferte sich Zachary. »Ich lese es vor«, sagte er und öffnete die Zeitschrift mit zittrigen Fingern. Dann suchte er das Verzeichnis ab, bis sein Zeigefinger an einer Stelle hängen blieb.

»Neunundzwanzig«, verkündete er.

»Das ist gut« flüsterte Ho. »Ist es doch, oder? Ist neunundzwanzig gut?« Er schaute fragend in die Runde. »Oder ist das wie bei Zeitungen? Je höher die Seitenzahl, desto unwichtiger der Artikel?«

»Ich glaube, nicht«, beschwichtigte ich ihn. »Selbst wenn, die Metropole Art hat fast hundert Seiten pro Ausgabe. Wir liegen damit im ersten Drittel. Das ist bestimmt gut.«

Eigentlich hatte ich keine Ahnung, ob das gut war oder nicht. Ich kannte mich mit Journalismus nicht aus.

»Na, mach schon«, drängte Willow.

Zachary stieß hörbar Luft aus und blätterte zur besagten Seite. Als der Artikel aufgeschlagen vor uns lag, beugten wir uns mit großen Augen über die Zeitschrift.

Ein Panoramabild, mit einer Weitwinkelkamera geschossen, prangte vor uns. Es zeigte den gesamten Raum unserer Abschlussausstellung. Das Foto war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme, wodurch die rote Überschrift des Artikels deutlich hervorstach.

»Wow«, flüsterte ich.

»Mmm-hmm«, ergänzte Ho anerkennend.

Mein Herz machte freudige Hüpfer. Da war sie endlich. Die Rezension zur Abschlussausstellung unseres Kunststudiums, für die Willow, Ho, Zachary und ich monatelang geackert hatten.

Doch dann zog ich verwundert die Augenbrauen zusammen.

»Wenn sich Studenten an Kunst versuchen«, las ich die Überschrift des Artikels vor.

Mein Mund wurde trocken. Mit einem Mal hatte ich ein sehr mulmiges Gefühl. Ich schaute angsterfüllt in die Runde. Ich war nicht die Einzige, die zweifelnd auf den Titel starrte.

»Bringen wir es einfach hinter uns.« Zacharys Stimme war belegt. Er schob unsicher seine runde Brille auf die Nasenwurzel, doch in seinen dunklen Augen stand Sorge. Er zog den Artikel etwas näher zu sich und holte Luft. »Die New Yorker Kunstszene platzt vor pathetisch-alternativen Einsteigern, die meinen, ihre Kunst wie … wie -« Zachary stockte. »… wie Plastik im Meer verewigen zu können.«

Ich sog scharf die Luft ein, Willow plumpste zurück auf den wackeligen Stuhl, und Ho schluckte hörbar.

»Meint er uns?«, fragte Ho dann. »Meint er damit uns?« Seine Stimmlage schraubte sich mit jedem Wort eine Oktave höher.

»Vielleicht will er nur eine Anspielung darauf machen, dass wir uns von der Menge abheben? Wie ein literarisches Hilfsmittel oder so?«, versuchte sich Willow an einer Erklärung. Aber Zachary war mittlerweile so weiß im Gesicht, dass ich befürchtete, er würde gleich einfach nach hinten umfallen.

»Dabei kann man nicht einmal mehr von Kunst sprechen, denn das wäre eine Beleidigung an alle Künstler, die Blut, Schweiß und Tränen in ihre Werke stecken. Vielmehr gleicht die Ausstellung der Gruppe CHROMAS Legacy einem verwaisten Studio, in dem sich farbenblinde Affen ausgetobt haben.«

»WAS?«, schrie ich auf. Meine Tonlage war bestimmt dreimal höher als die von Ho.

Willow waren bereits jetzt Tränen in die hellblauen Augen getreten. Sie schniefte vor sich hin, alle Aufregung verflogen. Ho hingegen stammelte nur Unverständliches, das waren keine Worte, die seinen Mund verließen. Nur Geräusche der Verwirrung. Zacharys Stimme dafür war mehr als belegt, als er den Artikel zu Ende vorlas. Danach hallten seine Worte in mir wider, und ich konnte das höhnische Lachen des Autors förmlich in meinen Ohren hören.

Armselig hatte er uns genannt. Talentfrei und man solle besser gut darüber nachdenken, uns das Abschlussdiplom doch nicht auszuhändigen, um dem Ruf der Universität willen.

»Dieses Arschloch«, schimpfte ich.

»Ich hasse Graham Harper«, bekräftigte Zachary heiser. »Ich meine, wie konnte ich den Typen jemals heiß gefunden haben?«

Ich stand hastig auf. Dabei scharrten die Beine des Stuhls kreischend über das Parkett, doch ich ignorierte es. Meine Hände fanden quasi blind die schwere Glasflasche im Küchenregal und schon stapelte ich fünf Shotgläser aufeinander.

»Es ist zehn Uhr morgens«, meinte Zachary, als ich mit der Whiskeyflasche und den Gläsern wieder an den Tisch trat.

Ich wischte meine fliederfarbenen Haarspitzen zurück und zuckte mit der Schulter. »Mir egal. Ich überstehe diesen Tag, nein, mach den Rest meines Lebens daraus, nicht ohne Alkohol.«

Ich knallte Flasche und Gläser hörbar auf den Tisch und fuhr mir mit den Händen über das Gesicht. Das war ein schlechter Scherz, ein Albtraum, aus dem ich aufwachen wollte. Aber es war Realität. Graham Harper hatte uns mit seinem Artikel förmlich in der Luft zerrissen.

»Was für ein scheiß Riesenego hat dieser Kerl eigentlich?«, fragte Willow mit tränenerstickter Stimme.

»Ich hoffe, er hat einen Mikropenis«, fügte Zachary ernst hinzu.

Derweil schenkte ich Whiskey in die Gläser, wartete mit dem Trinken aber nicht auf die anderen. Es gab immerhin nichts, worauf wir anstoßen konnten. Ich exte das Getränk und kippte direkt ein zweites hinterher.

Dann schnappte sich Ho ein Glas, und Zachary tat es ihm gleich. Ich schob auch Willow ein Glas entgegen, doch sie weinte mittlerweile unkontrolliert und verschüttete mit zitternden Händen den Alkohol auf den Boden. So kannte ich Willow gar nicht. In den vier Jahren, in denen wir Freundinnen waren, hatte ich sie bloß ein einziges Mal weinen sehen.

»Was machen wir nur jetzt, Val?«, flüsterte sie und sah mich mit ihren tränennassen blauen Augen verzweifelt an. Ich seufzte hörbar und kippte mir einen weiteren Whiskey in die Kehle. War das Nummer drei? Oder vier? Ich hatte bereits aufgehört zu zählen. Dabei hatte ich noch nicht einmal gefrühstückt. Was sich auch umgehend in meinem Kopf bemerkbar machte.

»Uns eine neue Berufung suchen?«, schlug ich zynisch vor.

»Meint ihr, damit ist unsere Karriere beendet, bevor sie richtig angefangen hat?« Zachary starrte weiterhin auf die Metropole Art. Er fuhr sich mit den Händen durch sein hellblondes, sonst so perfekt gestyltes Haar, das ihm nun wirr vom Kopf stand. Auch Ho neben ihm wirkte niedergeschlagen. Für uns alle hätte das ein Eintrittsticket in die Kunstwelt werden sollen. Doch diese Hoffnung hatte Graham Harper mit seinem unverschämten Artikel zunichtegemacht.

Vielleicht lag es am Alkohol, aber meine Fassungslosigkeit wurde mit einem Schlag von Wut abgelöst.

Unbändiger Wut.

Ich schnappte mir die Zeitschrift und riss den Artikel kurzerhand heraus. Wütend zerfetzte ich die Seite, bis nur noch kleine Schnipsel übrig blieben. Doch das war nicht genug.

Schließlich nahm ich die Zeitschrift und versuchte sie entzweizureißen. Scheiterte jedoch kläglich, denn die massiven Seiten des Covers konnte man nicht so einfach zerrupfen wie gewöhnliches Papier.

»Verdammt«, fluchte ich und biss die Zähne zusammen. Dabei zog ich an der Metropole Art, bis sie endlich nachgab. »Dieser«, murrte ich und riss Seite um Seite heraus. »Scheiß. Kerl.«

»Ich wollte den Artikel einrahmen«, stotterte Ho zwischenzeitlich. »Ich habe bereits den Rahmen gekauft und mir einen Platz an der Wand ausgesucht. Mom hatte vor, den Artikel in die Philippinen zu schicken, dann wäre ich dort der erfolgreichste Enkel meiner Generation geworden.« Seine Stimme war so hoffnungslos, dass ich in meinem Wutanfall innehielt und aufblickte. Ho starrte, wie alle anderen, betrübt vor sich hin. Meine Freunde sahen so niedergeschlagen aus, dass mein Herz brach. Wir hatten so viel Zeit, Schweiß und Herzblut in die Ausstellung investiert. Als Teil der Abschlussprüfung unseres Kunststudiums hatte sie einen großen finanziellen, emotionalen und körperlichen Aufwand dargestellt.

Das alles hatte Graham Harper, das Naturtalent, der Goldjunge, wie man ihn getauft hatte, mit einem fünfhundert Zeilen langen Artikel in dem renommiertesten Kunstmagazin des Landes niedergetrampelt.

Darauf gespuckt und es angezündet.

All meine Bewunderung für diesen Mann war verflogen. An ihrer Stelle brannte ein unerbittlicher Hass. Ich musste etwas unternehmen. Wir mussten etwas unternehmen.

»Das können wir nicht auf uns sitzen lassen«, brach es aus mir heraus.

Zachary zuckte mit einer schmalen Schulter. »Es interessiert sich keiner für unsere Meinung, Val.«

Ich schnaubte. »Der Kerl scheißt auch kein Gold.«

»Da sagen die Kritiker aber etwas anderes«, warf Ho ein.

»Mir egal. Leute«, ich sah flehend in die Runde. »Das können wir doch nicht mit uns machen lassen!«

Willow hatte sich weitestgehend gefasst. Sie wischte die letzten Tränen aus ihrem Gesicht und sah zu mir. »Was sollen wir deiner Meinung nach tun? Der Artikel ist gedruckt. Jeder kann ihn lesen. So bekomme ich nie einen Auftrag.« Sie sprach meine Sorgen laut aus. Aber das erlaubte ich mir in diesem Moment nicht zuzugeben.

»Quatsch. In einem Monat hat sich Harper ein neues Opfer gesucht, und der Artikel ist vergessen«, sagte ich wenig überzeugend.

»Also sollen wir einfach so tun, als hätte es ihn nie gegeben?« Zachary dachte über den Vorschlag nach. »Ich glaube, das ist das Beste. Es schlichtweg begraben.«

»Wir sollten ihm zeigen, dass sein Wort nicht in Stein gemeißelt ist. Der Kerl hat doch jeglichen Bezug zur Realität verloren!«

»Und was bitte stellst du dir vor, um es ihm zu zeigen?«

Meine Augen blitzten gefährlich auf. »Rache«, flüsterte ich verheißungsvoll. »Das ruft nach Rache.«

Später am Tag, nachdem Zachary, Ho, Willow und ich fanatisch Rachepläne geschmiedet hatten und ich den Schwips mit einem deftigen Vormittags-Frühstück unter Kontrolle gebracht hatte, lief ich die belebte Straße der West 8th Street entlang, bis das Residual vor mir auftauchte. Es war ein Künstler-Café, das sich direkt neben der – meiner Meinung nach – besten alternativen Kunstausstellung namens Silent Quartier befand.

Sowohl die Kunstausstellung als auch das Café boten grandiose Arbeitsplätze. Ich hatte hier die perfekten Nebenjobs als Kunststudentin gefunden, von denen ich mich nach wie vor nicht hatte trennen können. Ich arbeitete weiterhin eine Schicht in der Woche in der Ausstellung und an drei Tagen im Residual.

Meine Stimmung besserte sich umgehend, als ich in das gemütliche Café trat, mit seiner wild zusammengewürfelten Ausstattung und dem Geruch von Gebäck und Kaffeebohnen, der mir direkt in die Nase stieg.

Dann sah ich das große Plakat am schwarzen Brett neben dem Tresen hängen, das mir höhnisch entgegenlachte. Ohne lange zu zögern, riss ich es herunter, da es mit diskreter, aber hochprofessioneller Aufschrift für Graham Harpers neueste Ausstellung warb.

»Alles gut?«, begrüßte mich Jess, die meinen kurzen Wutanfall stumm beobachtet hatte. Sie wischte sich Mehl an der Schürze ab und sah mich mit ihren hellbraunen Augen mitleidig an. »Ich konnte den Kerl noch nie leiden«, meinte sie dann und deutete auf die Überreste des Plakats.

Ein schwaches Lächeln stahl sich in mein Gesicht. »Sorry«, murmelte ich und stopfte die Papierreste in den Müll.

»Aller Anfang ist schwer.«

Jess beobachtete mich weiterhin, wie ich hinter den Tresen trat, den Rucksack verstaute und nach meiner Schürze griff. Ich krempelte den langen Stoff ein paarmal um und klemmte ihn zwischen den Vorbinder. Da ich relativ klein war, musste ich aufpassen, dass die lange Schürze mich nicht beim Gehen behinderte.

Natürlich hatte Jess den Artikel bereits gelesen. Ich hatte in der letzten Woche von nichts anderem gesprochen. Außerdem lag die Metropole Art an jedem zweiten Tisch des Cafés. Jeder, der sich etwas aus Kunst machte, las die Zeitschrift. Es war wie die New York Times für Wirtschaftsfreaks. Das Rolling Stone der Musiker.

Ich konnte nur von Glück sprechen, dass Graham Harper uns nicht bei unseren eigentlichen Namen, sondern bei dem Namen unserer Künstlergruppe genannt hatte. Sonst hätte ich mich wahrscheinlich krankgemeldet. Für die nächsten drei Monate.

»Ich glaube, ich kann darüber gerade nicht reden«, gestand ich und zuckte entschuldigend mit den Achseln. Jess verstand umgehend. Ein mütterliches Lächeln umspielte ihre Lippen.

»Ich bin hinten und Sorge für Nachschub. Die veganen Peanutbutter-Cupcakes sind schon wieder vor der Mittagszeit aus gewesen.« Damit verschwand sie in die Küche, nicht, ohne meine Schulter noch kurz zu drücken und mir einen gutmütigen Blick zuzuwerfen.

Ich seufzte zum gefühlt hundertsten Mal an diesem Tag, dann überflog ich mit einem raschen Blick die Gäste des Cafés.

Da wir ausschließlich am Tresen bedienten, gab mir das genug Zeit, Dexter hinterherzuputzen. Mein Kollege hatte die hektische Schicht bis zur Mittagszeit geschoben. Daher würde die nächste Stunde relativ ruhig verlaufen, bis es zur Nachmittagszeit erneut voller wurde.

Ich füllte die Auslage auf und tauschte die übrig gebliebenen Frühstücks-Teilchen und Sandwiches mit mehr Kuchen und veganen, gluten- oder laktosefreien Snacks.

Trotz der Ablenkung saß der Stich der Enttäuschung über Harpers Artikel tief. Ich stellte fest, dass ich mich persönlich davon angegriffen fühlte. Wahrscheinlich musste ich noch lernen, eine emotionale Barriere zwischen meinen Gefühlen und meiner Arbeit zu errichten.

Er hatte uns unkreativ und ausdruckskarg genannt. Zudem hatte er meinen und Hos interaktiven Teil der Ausstellung als abgedroschen bezeichnet. Alles schon gesehen, alles schon gehört, schossen mir seine Worte erneut durch den Kopf. Was bringt man der Jugend von heute eigentlich noch über Kunst bei?

Jugend von heute, dass ich nicht lache. Ich wusste ziemlich genau, dass Graham Harper in diesem Frühling selbst erst fünfundzwanzig geworden war. Er war damit keine drei Jahre älter als ich.

Verlogener, besserwisserischer Scheißkerl.

Ich schrubbte den Tresen, bis meine Finger schmerzten. Dann setzte zum Glück die Nachmittagskundschaft ein und hielt mich bis Ladenschluss auf Trab. Nach meiner Schicht griff ich nach meinem in die Jahre gekommenen iPhone und schrieb in unsere Gruppe.

Lama an Krokodil, gibt es Neuigkeiten?

Krokodil und Spanferkel an Lama, wir haben das Anwesen in den letzten Stunden beschattet, ohne Auffälligkeiten zu entdecken.

Lama an Spanferkel, ich bitte um Statusupdate.

Spanferkel anwesend. Ich habe den rosa Spatz befragt, er wird uns um zehnhundert Zutritt gewähren. Ende.

Gut gemacht, Spanferkel. Rinus und Lama werden die letzten Vorbereitungen treffen, dann sehen wir uns um Punkt neunhundertdreißig in der neutralen Zone. Over and out.

Over and out.

Keine Stunde später nippte ich erneut an der altbewährten Whiskeyflasche. Wow, ich hoffte inständig, dass das nicht der Anfang einer Alkoholsucht wurde. Doch musste ich meine Nerven irgendwie unter Kontrolle bringen.

Ich saß in der stickigen und ewig voll besetzten Subway zwischen Zachary und meinem Mitbewohner Leonard, der zwei seiner Freunde mitgebracht hatte, die, seinen Angaben nach, vor nichts zurückschreckten. Trotz unserer für die warme Jahreszeit ungewöhnliche Kleidung, komplett in braun und schwarz, in ärmellangen Sweatshirts, störte sich niemand an unserer Erscheinung. Selbst die offensichtlich in braunem Papier eingewickelte Alkoholflasche, die wir herumreichten, interessierte hier keinen. In New York blieb jeder für sich. Das war eine unausgesprochene Regel, von der wir an diesem Abend schonungslos Gebrauch machten.

»Ich kann nicht fassen, dass wir das machen. Das ist so aufregend.« Zacharys Euphorie war ansteckend. Er schnappte sich die Flasche aus meiner Hand und nahm einen großen Schluck. »Das fühlt sich so verboten an. Illegal oder so.«

»Wahrscheinlich, weil es das ist«, gab Leonard trocken zurück. Seine Freunde lachten auf, als wäre es für sie extra spaßig, etwas komplett Illegales zu tun.

Ich wusste, dass Leo und seine Freunde als Umweltaktivisten nichts gegen illegale Aktivitäten hatten, dennoch bereitete mir seine Aussage Sorgen. Mein Plan war nicht einfach nur ein Hirngespinst mehr. Wir würden ihn in die Tat umsetzen. Alle möglichen Konsequenzen mit inbegriffen.

»Kann man für so was ins Gefängnis kommen?«, fragte Zachary und fummelte nervös an dem Reißverschluss seiner braunen Sweatshirt-Jacke. Er hatte, wie ich, seine Haare bereits halb unter einer dunklen Mütze versteckt.

»Nein«, antwortete Leonard gelassen, dann trat ein verschmitztes Grinsen in sein Gesicht. »Zumindest wenn du dich nicht erwischen lässt.«

»Toll«, murmelte Zachary in sich hinein. »Ganz toll. Innerhalb eines Tages bin ich von einem künstlerischen Nachwuchstalent zu einem in der Öffentlichkeit geteertem und gefedertem Loser mutiert, um dann zu einem kriminellen Friedensstörer zu werden, der seine Nächte im Knast verbringt.«

»Leo macht nur Spaß, Zach«, erwiderte ich und massierte seine angespannten Schultern. Dieser schob sich aufgeregt die Brille auf die Nasenwurzel und sah mich skeptisch an. Er glaubte mir kein Wort, aber er war schlau genug, nicht mehr zu widersprechen. Es war zu spät, jetzt noch einen Rückzieher zu machen.

Zwei Haltestellen später stiegen wir aus und trafen auf Spanferkel und Krokodil, auch bekannt als Ho und Willow. Diese standen an einer Gasse, etwas abseits der belebten Straße mitten im SoHo. Beide hüpften aufgeregt auf der Stelle, als sie uns erspähten.

»Spanferkel. Krokodil«, nickte ich den beiden zu.

»Donkey Kong befindet sich im Käfig«, grüßte uns Ho breit grinsend.

Meine Nervosität war mit einem Schlag einer Adrenalin-geladenen Aufregung gewichen. Jetzt gab es kein Zurück mehr.

»Bereit zum Angriff?«, flüsterte ich nervös in die Runde meiner Freunde.

Kapitel 3

Graham

»He-heey!«, rief ich aus, als ich urplötzlich aus dem Schlaf gerissen wurde. Etwas Nasses und Kaltes traf mein Gesicht und ließ mich umgehend aufschrecken.

»Steh auf, Gram. Sofort!«, knurrte eine eindringliche Stimme über mir.

»Was ist denn los?«, wollte ich überrumpelt wissen und fuhr mir mit den Händen über das nasse Gesicht. Als ich aufsah, straften mich stechend goldene Augen mit einem tadelnden Blick. Ich sah Jeff entgegen, der eine leere Wasserkaraffe in der Hand hielt.

»Du verpasst deine eigene Galerieeröffnung.«

»Was? Nein«, erwiderte ich lahm und rappelte mich aus dem Bett auf. »Ich habe mich nur ku–« Ich verschluckte mich an den letzten Worten. Meine Handyuhr zeigte 21:03 Uhr. Dabei hatte ich mich nur nachmittags hingelegt, um kurz zu dösen. Um etwas Kraft zu tanken, nachdem ich die vergangene Nacht und den Morgen durchgemacht hatte.

»Und wer ist die da?«, meinte Jeff und deutete neben mich.

Ich drehte mich um und erhaschte einen Blick auf karamellfarbene Haut und braunes Haar, noch halb unter meinen Decken vergraben.

Ach ja. Mir fiel die vergangene Nacht wieder ein. Ich hatte durchgefeiert und ein Mitbringsel im Schlepptau. Das dafür gesorgt hatte, dass ich nicht nur die letzte Nacht, sondern auch die meiste Zeit am Morgen und Vormittag abgelenkt gewesen war. Meine Begleiterin schien jedoch noch halb komatös zu sein, denn außer unverständlichem Gemurmel gab sie nichts von sich.

»Du hast fünf Minuten. Fünf«, wies mich Jeff an. »Ich kümmere mich in der Zeit um sie.« Er zeigte auf die Fremde neben mir. Chelsea? Sheela? Shiley? Irgendwas in der Art.

Ich stemmte mich ächzend hoch, stolperte immer noch leicht schlaftrunken aus dem Zimmer in Richtung Bad und drehte den Wasserhahn unter der Dusche auf. Eiskalt. Denn ich musste zu Sinnen kommen.

Als ich genau drei Minuten später zurück in den Raum trat, war besagte Che…, Shi…, ach verdammt, mein Gast verschwunden, und Jeff stand an der Eingangstür, die Arme verschränkt und mit einem Fuß ungeduldig auf das Parkett tippend.

»Ich hab’s gleich«, brummte ich abwehrend und zog ein Hemd und Slacks aus meinem Schrank.

»Deine eigene Galerieeröffnung«, murmelte Jeff, als wir kurze Zeit später die Treppen hinunterstiegen. »Das ist einfach unglaublich.« Und ausnahmsweise hatte ich ihm nichts entgegenzusetzen.

Er hatte recht. Es war meine erste Galerieeröffnung. Für die ich monatelang gearbeitet hatte. Dessen ausgestellte Werke waren mein Ein und Alles. Doch irgendwie war mir die Eröffnung selbst egal.

Was brachte es mir, wenn irgendwelche aufgeblasenen Kritiker mit schmalen Brillen auf den Nasenspitzen und pikierten Gesichtsausdrücken über meine Kunstwerke schrieben? Ich war bereits ganz oben angekommen. Ich konnte machen, was ich wollte. Ich musste niemandem mehr in den Arsch kriechen, und erst recht brauchte ich deren Meinung nicht.

»Versuch dich wenigstens an einer weniger grimmigen Miene«, meinte Jeff und riss mich aus meinen trübseligen Gedanken. Er öffnete die Tür zu einem wartenden Auto, und kurz darauf rasten wir durch die allzeit beleuchteten Straßen der Stadt, über die Brooklyn Bridge bis nach SoHo.

In dieser Zeit versuchte ich, mich zusammenzuraffen. Mir einzureden, dass das hier wichtig war. Dass ich da durch musste, auch wenn ich solche Veranstaltungen hasste.

»Der Künstler kommt immer als Letzter«, probierte ich noch einmal schwach, mich zu verteidigen, als wir an der Galerie ankamen.

»Doch nicht zweieinhalb Stunden zu spät«, meinte Annabelle, die genau in dem Moment die Tür des parkenden Ubers aufgerissen hatte. »Deine Gäste werden ungeduldig, Graham. Und ich mit ihnen.«

»Die sollen sich nicht so anstellen«, grummelte ich, wurde dann aber von Annabelle, die ein silber-glitzerndes Minikleid trug und ihre blonden Haare in einen strengen Dutt gefasst hatte, umgehend aus dem Sitz gezogen.

»Du setzt jetzt ein freundliches Lächeln auf und spielst den perfekten Gastgeber«, murmelte sie in scharfem Tonfall in mein Ohr. »Wenn es dir schon egal ist, dass du dich blamierst, dann denk wenigstens an das Wohl deiner Mitarbeiter.« Anschließend schob sie mich die Treppen zur Galerie hinauf.

Ich drängte mich durch die Gäste der Eröffnungsfeier, zwang mir ein wenig glaubhaftes Lächeln ins Gesicht, wann immer man meine neusten Werke hochlobte, und kippte einen Gin Tonic nach dem anderen.

Dabei ging ich Annabelle so gut wie möglich aus dem Weg, denn jedes Mal, wenn sie mich entdeckte, warf sie mir einen dieser mahnenden Blicke aus ihren grünen Augen zu, nahm mir wortlos das Glas aus der Hand und ersetzte es mit einer Wasserflasche. Sie verstand nicht, dass das alles für mich eine Folter war. Oder vielleicht wusste sie es, doch als meine Assistentin wusste sie ebenso, dass eine Galerieeröffnung unumgänglich für mich war.

Natürlich wollte ich, dass man meine Werke sah, dass sie jeden Besucher berührten, etwas mit den Menschen machten. Trotz alledem suhlte ich mich in dem Ruhm, der mit allem kam. Liebte es zu provozieren. Vielmehr waren es die Menschen, die ich verabscheute. Diese falschen, eingebildeten, hochnäsigen …

»Ein Meisterwerk nach dem anderen, Mr Harper«, riss mich eine fremde Stimme aus den Gedanken. Annabelle tauchte neben mir auf und stellte mir zwei Agenten vor, die mit kommerziellen Drucken von Kunstwerken Geld verdienten. Die beiden versicherten mir, dass ich meine Bilder bald in jeder Arztpraxis im Nordwesten des Landes hängen haben könnte, würde ich mit ihnen zusammenarbeiten.

Ich dankte gezwungen freundlich für das Angebot. Nach dem Gespräch landeten deren Visitenkarten jedoch unauffällig im nächstbesten Mülleimer.

»Ernsthaft?«, fragte ich Annabelle. »Das hier?« Ich machte eine Geste, die den ganzen Raum umfasste. »In irgendeiner Onkologie in New England?«

Sie zuckte bloß entschuldigend mit den Schultern. »Man sollte sich alle Tü–«

Das Licht erlosch.

Dann verstummte die Musik, die Fat Dee im Hintergrund aufgelegt hatte.

Ein Stromausfall? Aber nein, der Kühlschrank hinter der schmalen Theke der Bar leuchtete weiterhin grell vor sich hin. Die Menge murmelte aufgeregt, doch es tat sich nichts.

»Was ist los, Anna?«, wollte ich wissen und machte Anstalten, in den Nebenraum zu laufen, um trotzdem nach dem Stromgenerator zu schauen. Noch bevor sie antworten konnte, glomm ein neon-grünes Licht in der Nähe des Eingangs auf.

Ich erstarrte mitten in der Bewegung, zu verwirrt, um zu realisieren, was gerade passierte.

Jemand grölte: »Ohohoh.« Daraufhin füllten weitere grüne Lichter den Raum.

Knicklichter?, schoss es mir durch den Kopf. Neben mir ertönte ein verräterischer Knacks und dann erleuchteten auch gelbe Lichter die Dunkelheit.

»Awawawawaw«, machte jemand zu meiner Rechten.

Schließlich brach regelrecht die Hölle los. Eine Gruppe Menschen, in braunen Oberteilen gekleidet und mit Affenmasken auf dem Kopf, schwirrten durch die Menge. Um ihre Hälse und Arme wanden sich Knicklichter. Sie ahmten eine Horde Affen nach, mit ihrem ständigen uhuhuh, ohohoh und awawawaw. Dabei hüpften sie durch die Menge, die Hände unter den Armen und warfen irgendetwas in die Luft.

Im Hintergrund ertönten Waldgeräusche. Nein, Regenwald- oder Urwaldgeräusche.

Was zum Teufel?

Ich machte Anstalten zum DJ-Pult zu laufen, aber eine schmale Hand hielt mich auf.

»Das ist er!«, rief die Person, die mich am Arm gepackt hatte, mit weiblicher Stimme. Ich konnte zwar nicht viel unter der Affenmaske erkennen, doch die Gestalt musste über einen Kopf kleiner sein als ich.

»Donkey Kong!«, schrie eine männliche Stimme, weiter entfernt.

»Uhuhuh«, grölte ein anderer und warf erneut etwas in die Menge. Es landete mit einem platsch vor mir.

Bananenschalen.

»Donkey!«, rief die Fremde vor mir auf. Dann echoten die anderen Stimmen: »Kong!«

Die Gruppe wiederholte den Gesang wie einen Schlachtruf:

Donkey …

… Kong!

Donkey …

… Kong!

Mir kroch der chemische Geruch von Farbe in die Nase. Ich sah, wie die Gäste einen Kreis in der Mitte des Raums gebildet hatten. Aber ich konnte nicht erkennen, was da vor sich ging.

Panik stieg in meinem Brustkorb auf.

Wenn sie meinen Werken etwas antaten, sie verunstalteten, dann könnte ich mich direkt selbst in die nächste Anstalt einweisen lassen. Das, was hier an den Wänden hing, war das Einzige, was ich im Leben hatte, was mir Glück verschaffte. Ohne diese Kunstwerke war ich ein Niemand.

Weitere Bananenschalen und Knicklichter flogen durch die Luft. Ich war zu perplex, um irgendwas zu unternehmen. Mich zu bewegen, die Fremden rauszuwerfen, die Polizei zu rufen.

Was um alles in der Welt passiert hier gerade?

Dann spürte ich einen Blick auf mir.

Die Fremde stand weiterhin vor mir und beobachtete mich. Wegen der Affenmaske und dem leicht schräg gelegten Kopf erinnerte sie mich an Heath Ledgers Eröffnungsszene von The Dark Knight.

»Man erntet, was man sät, Graham«, meinte die Affenfrau und machte Anstalten zu gehen. Ich sprang instinktiv nach vorne, um ihren Arm zu ergreifen, doch sie huschte flink davon.

Keine Sekunde später verstummte auch das stete Grölen, und die Urwaldgeräusche aus den Lautsprechen brachen abrupt ab. Die Gruppe war weg. Die Menge fing erst verhalten, dann immer stetiger an zu klatschen, als wäre all das inszeniert gewesen.

War es allerdings nicht.

Ich rannte umgehend zum Nebenraum, in dem sich der Hauptschalter befand, und schaltete das Licht in der Galerie wieder ein. Ein Blick auf meine Kunstwerke zeigte mir, dass sie unbeschadet waren.

Dennoch raste mein Puls. Ich wusste nicht, ob ich lachen oder schreien sollte. Ich war noch zu geschockt, um Wut oder Empörung zu empfinden.

Ich lief zu dem kleinen DJ-Pult, doch der war unbesetzt. Suchend blickte ich mich um, von Fat Dee war jedoch keine Spur. Ich ging zu den angrenzenden Toiletten, dann erneut in den Angestelltenbereich hinter dem Eingangstresen, bis ich ein gedämmtes »Hey, lasst mich raus« hörte.

Der DJ war in der Angestelltentoilette eingesperrt, die für die meisten Gäste verborgen blieb.

»Oh, Graham, endlich!«, meinte er völlig verschwitzt und trat aus der Toilette.

»Wer hat dich da eingeschlossen?«

»Die eine da! Also da war so eine Blondine, mit ganz unschuldigen Augen, also, die … die hat, du weißt schon …« Fat Dee wackelte mit seinen dichten Augenbrauen und zeigte Richtung Tür.

»Du hast dich von einer Fremden verführen und auf der Toilette einsperren lassen?«, hakte ich ungläubig nach.

»Ja, also«, stotterte Fat Dee ungelenk. »Irgendwie schon«, gab er dann zerknirscht zu. Würde er nicht so unschuldig aussehen, wäre ich ihm an die Gurgel gesprungen.

Ich fasste mit zwei Fingern an meine Nasenwurzel und versuchte, mich zu beruhigen.

»Kannst du sie beschreiben?«

Fat Dee grinste. »Heiß«, war alles, was er sagte.

»Graham«, unterbrach uns Annabelle. Schock stand in ihren Augen. »Da ist etwas, was du sehen solltest.«

Ich stutzte. Was war denn noch?

Sie zog mich in die Mitte des Raums, wo die Menschenmenge einen Kreis gebildet hatte. Diese schien äußerst entzückt über das, was da gerade geschehen war.

Mein Blick huschte zu dem steinernen Boden.

Und endlich setzte die Wut ein.

Willkommen im Affenhaus, hatte jemand als grünes Graffiti auf den Boden geschrieben.