Toni der Hüttenwirt 104 – Heimatroman - Friederike von Buchner - E-Book

Toni der Hüttenwirt 104 – Heimatroman E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt.Toni, der Hüttenwirt liebt es ursprünglich. In Anna hat er seine große Liebe gefunden. Für ihn verzichtete Anna auf eine Karriere als Bänkerin im weit entfernten Hamburg. Jetzt managt sie an seiner Seite die Berghütte. Toni kam mit Bello von der Oberländer Alm herauf. Auf dem Geröllfeld nahm er dem Hund die Packtaschen ab und ließ ihn laufen. Mit großen Sprüngen spurtete der junge Neufundländerrüde zum nahen Gebirgsbach und stürzte sich ins Wasser. Toni und Anna standen auf der Terrasse der Berghütte und schmunzelten. Anna griff nach den Packtaschen mit dem Vorräten. "Lass das doch, Anna. Wir packen später aus. Im Augenblick sind keine Hüttengäste hier und wir können uns ungestört unterhalten." Toni ließ seinen Rucksack vom Rücken gleiten. Aus der Vordertasche nahm er einen großen hellbraunen Umschlag. "Schon wieder ein Brief an Franzi?", fragte Anna und runzelte die Stirn. "Ja, Franzi hat wieder Post bekommen."

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Toni der Hüttenwirt –104–

So war es nicht geplant

Roman von Friederike von Buchner

Toni kam mit Bello von der Oberländer Alm herauf. Auf dem Geröllfeld nahm er dem Hund die Packtaschen ab und ließ ihn laufen. Mit großen Sprüngen spurtete der junge Neufundländerrüde zum nahen Gebirgsbach und stürzte sich ins Wasser. Toni und Anna standen auf der Terrasse der Berghütte und schmunzelten.

Anna griff nach den Packtaschen mit dem Vorräten.

»Lass das doch, Anna. Wir packen später aus. Im Augenblick sind keine Hüttengäste hier und wir können uns ungestört unterhalten.«

Toni ließ seinen Rucksack vom Rücken gleiten. Aus der Vordertasche nahm er einen großen hellbraunen Umschlag.

»Schon wieder ein Brief an Franzi?«, fragte Anna und runzelte die Stirn.

»Ja, Franzi hat wieder Post bekommen.«

Toni reichte Anna den Umschlag. Sie setzen sich zu Alois, der an einem der Tische saß und noch seinen Kaffee trank. Anna zeigte Alois den Umschlag.

»Der schaut genauso aus wie die anderen beiden. Und wieder ist kein Absender darauf.«

»Richtig, Alois! Der Umschlag schaut genauso aus, die gleiche Handschrift. Abgeschickt wurde er in Kirchwalden.«

Toni nahm Anna den Umschlag ab und öffnete ihn. Er holte einen Brief heraus und ein kleines Kästchen, das in buntem Papier mit einer Schleife eingepackt war. Anna packte das Geschenk aus. In dem Kästchen war ein kleiner goldener Anhänger.

»Jetzt haben wir schon drei Stück davon, einen kleinen Schornsteinfeger, ein Hufeisen und dieses Mal ist es ein kleines Herz. Des wird ja immer sonderbarer. Da müssen wir etwas tun! Vielleicht soll ich mal mit dem Wolfi reden?«

»Toni, warte, vielleicht steht etwas in dem Brief! Außerdem, was soll da die Polizei tun?«

Anna riss das Kuvert auf und faltete das Blatt auseinander.

»Da steht der gleiche Text wie in den beiden letzten Briefen.«

Anna las laut vor:

Liebe Franzi! Ich denke jeden Tag an dich und schicke dir als Zeichen meiner Liebe einen kleinen Anhänger. Ich hoffe, er gefällt dir. Ich warte auf dich! Dein Berni

»Himmel! Ganz allmählich wird mir des unheimlich, Anna. In den letzten Wochen ist jede Woche so ein Umschlag gekommen. Was für ein Glück, dass wir den ersten aufgemacht haben. Nur so konnten wir die Sache vor der Franziska verbergen. Doch jetzt habe ich die Faxen dick, Anna. Normal ist des net! Wer kann nur dieser Berni sein?«

»Toni, ich weiß es nicht! Ich habe schon vorsichtig mit Franziska gesprochen. Sie kennt keinen Berni. Und in der Schule gibt es auch keinen Berni. Wir haben mit deiner Mutter und deinem Vater geredet. Niemand kennt jemanden, der Berni heißt und die Franzi gerne sieht.«

»Anna, unsere Franzi ist noch ein Kindl! Ein kleines Madl ist sie!«

Anna schmunzelte.

»Sicher, Toni, aber auch unter Kindern gibt es die erste zarte Liebe. Hast du als junger Bub nicht für jemanden geschwärmt?«

Toni grinste. Er rieb sich verlegen das Kinn.

»Ja, schon!«, brummte er.

»So, so! Wer war sie denn?«

»Sie hieß Pia und war ein Feriengast bei meinen Eltern in der Pension. Sie war mit ihrer Tante in die Berge gereist. Sie war nur zwei Wochen geblieben. Eigentlich war sie mehr mit meiner Schwester Maria befreundet. Die Mädchen verstanden sich gut. Ich war mehr oder weniger das fünfte Rad am Wagen. Aber sie gefiel mir. Es war das erste Mal, dass ich mich für das andere Geschlecht interessierte und einem Madl schöne Augen machte oder es wenigstens versuchte.«

»Siehst du! Und wie hat sie reagiert?«

»Pia war etwas ruppig. Aber damals dachte ich, sie mag mich. Ich pflückte ihr Blumen und legte sie vor ihre Tür.«

»Toni, der Blumenkavalier!«, lachte Anna. »Wie hat sie es aufgenommen?«

»Mei, ich dachte mir, damit erobere ich ihr Herz. Die Blumen hat sie genommen, aber für einen Kuss hat es nicht gereicht. Sie war nie alleine. Dabei wollte ich sie nur auf die Wange küssen.«

Anna machte eine gespielt anteilsvolle Miene.

»Du armer Toni, bist du so enttäuscht worden? Was du nicht sagst! Du musst ja ganz schön unter Liebeskummer gelitten haben.«

»Naa, des habe ich net. Ich war von den Madln erst mal geheilt. Ich dachte mir, die sind alle zu zickig.«

»Es gibt bei Mädchen ein Alter, in dem sie sehr zickig sind.«

Anna lachte. Sie erinnerte sich genau, wie es damals bei ihr und ihren Freundinnen war. Sie fanden Jungs eklig und schworen heilige Eide, sich nie und nimmer mit einem Jungen einzulassen.

»Ich kann dich trösten, Toni, diese Zeit geht auch vorbei, sonst wäre die Menschheit schon ausgestorben. Madln sind in der Entwicklung etwas früher dran und bei ihnen läuft die Pubertät etwas komplizierter ab. Da bleiben sie gern unter sich. Als ich in diesem Alter war, da wusste ich nichts, über was ich mit einem Buben reden sollte. Mit meinen Freundinnen redete ich über Mode, Kosmetik oder über Tiere. Wir liebten alle Hunde und trafen uns regelmäßig im Reitstall. Die Jungs, die redeten über Fußball. Einmal bekam ich eine Einladungskarte zu einem Spiel geschickt. Ich schickte sie zurück. Der Junge war wohl sehr enttäuscht, aber ich hatte kein Interesse an Fußball.«

»Aber sonderbare Umschläge mit kleinen Anhängern hast nicht bekommen, wie?«

»Nein, Toni! Ich kann mich auch nicht erinnern, dass eine meiner Schulfreundinnen einen solchen Brief bekommen hätte.«

»Himmel! Wer kann nur dahinterstecken? Wir müssen das unbedingt herausfinden, Anna. Des kann gefährlich für die Franzi werden! Am Ende steckt da ein übler Kerl dahinter.«

»Das glaube ich nicht, Toni. Aber wenn es dich beruhigt, dann sollten wir überlegen, ob wir Sebastian ins Vertrauen ziehen. Er kann noch mehr als gewöhnlich ein Auge auf seine jüngere Schwester haben.«

Toni rieb sich da Kinn.

»Des wäre zu überlegen. Aber beunruhigen will ich den Bub auch nicht. Meinst net, es wäre besser die Angelegenheit mit dem Gewolf Irminger zu bereden? Als Leiter der Polizeistation ist er bestimmt auch in solchen Dingen geschult und kann uns raten.«

Anna streichelte Tonis Wange.

»Wenn es dich beruhigt, Toni, dann rede mit ihm.«

Toni dachte einen Augenblick nach.

»Das werde ich tun. Wo hast die anderen Umschläge?«

»Ich habe sie in unserem Kleiderschrank versteckt. Ich hole sie dir!«

Anna ging hinein. Der alte Alois schaute Toni nach.

»Mei, Toni, mache dir net so viele Gedanken. Die Franzi und der Basti sind jeden Tag nach der Schule bei deinen Eltern in der Pension zum Mittagessen. Vielleicht ist es mit Franzis heimlichem Verehrer genauso wie bei dir damals und der Pia.«

»Naa, Alois! Ich hab’ doch schon mit den Eltern geredet. Wir sind zusammen die Namensliste durchgegangen. Seit Monaten gab es keine Pensionsgäste, die einen Buben hatten, der Berni oder Bernhard geheißen hat. Auch bei den etwas älteren Jugendlichen ist niemand mit diesem Namen dabei gewesen. Mei, Alois, ich kann mir darauf einfach keinen Reim machen. Ich bin eben besorgt. Da läuft irgendwo jemand herum, der hat ein Auge auf die Franzi geworfen. Ich weiß nicht, wie er mit Familiennamen heißen tut, wer er ist, wo er wohnt und wie alt er ist. Was denkt er sich dabei? Alois, ich kann deswegen schon nimmer schlafen. Des musst mir glauben. Ich sorg’ mich um die Franzi.«

»Dass dich sorgen tust, des ist dein gutes Recht als Vater. Dass du der Franzi ihr Adoptivvater bist, macht dir die Sache nicht leichter, denke ich. Im Gegenteil, du bist vielleicht sogar noch mehr besorgt.«

»Bist du net besorgt?«, fragte Toni den alten Alois.

»Sicher beschäftigt mich des auch. Aber allzu überbewerten solltest des net. Wir hatten Kirchweih, die Kinder haben mit anderen Kindern gespielt. Die Franzi und der Basti gehen zum Grafen und lernen ein Instrument. Dort treffen sie auch auf Gleichaltrige in der Musikklasse. Vielleicht gehört dieser Berni zu den jungen Musikern, um die sich Tassilo kümmert. Hast schon mit dem Grafen geredet?«

»Naa, des hab’ ich net, Alois. Aber des ist eine gute Idee. An die Möglichkeit habe ich noch net gedacht. Die Franzi geht net nur in die Musikschule im Waldschlösschen, sie geht auch reiten. Sie kann auch auf dem Reiterhof von diesem Berni aus Kirchwalden gesehen worden sein. Enger bekannt scheinen die beiden net zu sein. Die Franzi würde uns des sagen, wenn sie einen Berni kennt.«

Der alte Alois grinste.

»Da kannst dir nicht ganz sicher sein, Toni. Irgendwann haben alle Kinder mal Geheimnisse vor ihren Eltern. Des gehört dazu, wenn sie langsam erwachsen werden. Madln und Buben bereden dann die Sache mit ihren Freundinnen und Freunden.«

»Forsthaus!«, sagte Toni laut.

Anna kam an den Tisch und legte Toni die beiden anderen Umschläge hin.

»Forsthaus? Was ist damit, Toni?«, fragte Anna.

»Anna, der Alois hat mich auf Ideen gebracht. Ich sollte mich vielleicht mal mit dem Hofer unterhalten. Die Franzi ist mit der Ulla befreundet und der Basti mit dem Paul. Die Kinder sind mindestens einmal in der Woche bei ihren Freunden im Forsthaus. Vielleicht kann ich dort etwas über diesen Berni herausfinden. Ich will auch noch auf den Reiterhof und in die Musikschule. Anna, ich will wissen, wer dahinter steckt!«

Anna lächelte Toni an.

»Dann nimmst jetzt die Umschläge und machst dich auf den Weg. Du gehst zuerst zum Forsthaus und redest mit dem Lorenz und der Lydia. Vielleicht wissen die beiden etwas. Dann fährst zum Waldschloss. Wenn der Graf nicht da ist, dann redest mit der alten Zenzi. Sie weiß immer alles.«

»Ja, und sage der alten Zenzi einen schönen Gruß von mir, Toni«, warf der alte Alois ein.

»Das werde ich tun, Alois.«

Toni trug die Packtaschen und den Rucksack in die Küche der Berghütte. Dann machte er sich auf den Weg. Anna stand auf der Terrasse der Berghütte und schaute ihm nach.

»Du schmunzelst, Anna. Was denkst du?«

»Ach, Alois! Der Toni redet seit drei Wochen von nix anderem mehr, als von den Briefen – morgens – mittags – abends – nachts.«

»Ich weiß, er ist eben sehr besorgt.«

»Ja, das ist er. Aber ist das nicht übertrieben?«

»Die Frage kann ich dir net beantworten, Anna. Es kann ein bisserl übertrieben sein. Aber die Welt ist leider nimmer so sicher, wie sie einmal war, Anna. Da muss man schon ein bisserl aufpassen.«

»Ich weiß, Alois! Doch vielleicht sollte man die Sache einfach auf sich beruhen lassen. Ich hatte so gehofft, dass sich die Angelegenheit klärt und kein Brief mehr kommt. Vielleicht gibt der Absender auf, der in die Franzi verliebt ist? Des muss ihm doch zu denken geben, wenn er auf seine schönen Geschenke keine Antwort erhält.«

»Was für eine Antwort?«, fragte Alois. »Auf den Briefen steht kein Absender.«

»Sicher, Alois, aber die Franzi könnte die Anhänger an einem Armband tragen. Dafür sind so kleine Anhängsel. Vielleicht wartet der Bub darauf, bis er die Franzi mal mit den Anhängern sieht.«

»Des ist gut möglich, Anna. Aber dann müsste der Bub aus Waldkogel sein oder regelmäßig irgendwie mit Franzi zusammen treffen.«

»Doch in der Beziehung tappen wir total im Dunkeln. Es ist, als suchten wir die berühmte Stecknadel im Heuhaufen, Alois. Ich mache mich auch schon verrückt. Toni steckt mich mit seiner Besorgnis an.«

»Des bringt alles nix! Ihr müsst einen kühlen Kopf bewahren, dürft net so viel hineindenken und hineinlegen. Es wird alles ganz harmlos sein, denke ich. Aber jetzt ist der Toni unterwegs und redet mit den Hofers. Er geht zum Waldschloss und zum Reiterhof. Irgendetwas wird schon dabei herauskommen. Und denke immer daran, Anna! ›In der Ruhe liegt die Kraft!‹ Ich denke, da ist ein kleiner Bub, dem die Franzi gefällt. Er hat aber net den Mut, sie anzusprechen, wie Toni damals die kleine Pia. Und jetzt hören wir auf, darüber nachzudenken, Anna. Wir gehen jetzt in die Küche und tun was arbeiten. Bis zum Mittag muss was auf dem Herd stehen! Der Toni wird erst am frühen Nachmittag aus Waldkogel raufkommen, frühestens. Aber wir beide, wir schaffen des schon.«

Der alte Alois und Anna gingen in die Küche.

»Ich schäle jetzt die Kartoffeln für die Rösti, Anna!«, sagte der alte Alois und begann.

Anna fuhr fort, andere Vorbereitungen für das Mittagessen zu treffen.

*

Pfarrer Zandler stand im Türrahmen der Küchentür des Pfarrhauses und beobachtete seine Haushälterin. Helene Träutlein saß am Küchentisch und schrieb in ein dickes Heft.

»Bist wieder am Schreiben, Träutlein?«

»Ja, Herr Pfarrer! Ich will alles genau aufschreiben, damit meine Vertretung genau weiß, wie sie Sie versorgen muss.«

Pfarrer Zandler lachte.

»Ich werde schon nicht unter die Räder kommen. Die vier Wochen gehen schneller vorbei, als man denkt.«

»Des sagt sich so leicht, Herr Pfarrer! Wenn es nach mir ginge, dann würde ich nicht in Kur fahren. So schlecht fühle ich mich nicht. Der Doktor übertreibt.«

Pfarrer Zandler, der Geistliche von Waldkogel, schmunzelte.

»Mei, Herr Pfarrer! Ich hatte einen Husten, hab’ eine Sommergrippe gehabt. Des kann doch mal vorkommen. Ich kann net verstehen, dass so ein Aufheben daraus gemacht wird. Besteht der doch darauf, dass ich in Kur gehe! Ich sage Ihnen, des ist Unsinn. Ich soll fort, fort aus Waldkogel. Dabei kommen die Leute hierher in die schönen Berge und erholen sich. Nirgends ist es schöner und die Luft besser als bei uns in Waldkogel.«

»Bist ganz schön grantig, Träutlein! Du hast seit Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Stimmt es?«

»Ich brauche keinen Urlaub. Und eine ruhige Minute habe ich weder in einem Urlaub, noch in dieser Kur. Ich kann alles noch so gut aufschreiben, Herr Pfarrer, es wird doch net so sein, wenn ich hier wäre.«

»Da magst schon Recht haben, Träutlein. Aber ich werde schon net untergehen. Wenn mir des Essen net schmeckt, dann gehe ich zu den Baumbergers und esse mich im Wirtshaus satt. Nun sei ganz beruhigt! Keine wird mich so gut umsorgen, wie du es machst, Träutlein. Aber wenn der Martin als Doktor sagt, dass du in Kur musst, dann musst Folge leisten. Da musst du dich fügen und ich auch. Der Martin ist ein guter und gewissenhafter Arzt, und gewissenhaft ist er.«

»Ja, ja! Ich weiß schon. Es ist doch nur so …«

»Himmel, jetzt ist aber Schluss! Du bringst es noch fertig, dass ich ärgerlich werde. Du reist morgen ab und hörst jetzt auf, dir Gedanken zu machen.«

Helene Träutlein machte ein schuldbewusstes Gesicht. Pfarrer Zandler sehnte die Stunde herbei, in der seine langjährige Haushälterin endlich abfuhr. Seit vier Wochen stand der Reisetermin zur Kur an der Ostsee fest. Seither hatte der Geistliche im Pfarrhaus keine ruhige Minute mehr. Helene Träutlein, die er meis­tens mit Träutlein ansprach, stellte das ganze Pfarrhaus auf den Kopf. Sie putzte, polierte, wusch alle Vorhänge und bohnerte die Dielen. Es war um ein vielfaches schlimmer, als würde man den Weihnachtsputz und die Frühjahrsputzerei zusammenlegen. Die letzten zwei Wochen hatte sich der Geistliche selten im Pfarrhaus aufgehalten. Er machte so viele Hausbesuche wie nie zuvor. Das Gejammer seiner Haushälterin nervte ihn sehr. Als kluger Kopf wusste er natürlich, was dahinter stand. Helene Träutlein wollte sich nichts nachsagen lassen und ihrer Vertretung keinen Anlass zur Kritik geben. Am meisten beunruhigte Helene Träutlein, dass sie ihre Vertretung nicht vor ihrer Abreise kennenlernen konnte. Sie hatte sich vorgestellt, dass die Vertretung vielleicht eine Woche vorher anreiste, damit sie ihr alles zeigen könnte.

Doch das hatte Pfarrer Zandler verhindert. Er hatte ausführlich mit der zuständigen Dame im Ordinariat gesprochen und sie gebeten, so zu tun, als könnte sie vorher niemand zur Verfügung stellen. Ebenso wenig wusste Helene Träutlein, dass sie auf das heimliche Betreiben des Pfarrers hin, von Doktor Martin Engler in Kur geschickt wurde.

Es war ein Komplott, das Pfarrer Heiner Zandler zusammen mit dem jungen Doktor Martin Engler ausgeheckt hatte. Diese Vorgehensweise war nach Pfarrer Zandlers Ansicht dringend notwendig, da Helene Träutlein sich seit Jahren geweigert hatte, ihren Urlaub zu nehmen. Sie nahm höchsten einmal einige Tage frei, um ihre Verwandten zu besuchen. Pfarrer Zandler stieß bei ihr immer auf taube Ohren, wenn er sie darauf ansprach, dass sie in Urlaub gehen sollte. Als sie dann zwei Tage mit hohem Fieber im Bett lag, witterte der Geistliche seine Chance. Er hatte den Doktor abends außerhalb der Sprechzeiten aufgesucht und mit ihm geredet. Martin hatte den Pfarrer sofort verstanden.

»Wenn sie auf Ihre Autorität nicht hört, dann werde ich mein Glück versuchen, Herr Pfarrer. Vielleicht können wir die gute Helene Träutlein auf diese Weise eine Weile zur Ruhe zwingen. Einen Versuch ist es allemal wert.«