Liebe war nicht vorgesehen - Friederike von Buchner - E-Book

Liebe war nicht vorgesehen E-Book

Friederike von Buchner

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Beschreibung

Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Toni hatte seine Eltern nur kurz besuchen wollen, doch sie waren ins Plaudern gekommen. Meta Baumberger, Tonis Mutter, hatte von einer Freundin das Rezept eines Hefezopfs bekommen, wie man ihn früher in Waldkogel gebacken hatte. Bevor sie ihn in der Gaststätte ihren Kunden anbieten wollte, musste ihn Toni probieren. Toni war begeistert, weckte der Kuchen doch Erinnerungen an seine Kindheit. Das Läuten der Kirchturmuhr holte ihn zurück in die Gegenwart. Schnell trank er die Tasse Kaffee aus und stand auf. »So, meine Lieben, es hilft nichts, ich muss mich jetzt schleunigst auf den Weg nach Kirchwalden machen, Annas Einkaufsliste ist lang.« »Triffst du dich mit Leo?«, fragte Tonis Vater, Xaver Baumberger. »Eine Brotzeit im Biergarten lassen wir uns nicht entgehen. Das ist schon Tradition bei uns. Ich hole Leo zur Mittagszeit in der Bergwachtzentrale ab.« »Wenn du Zeit findest, Toni, dann gehe doch mal an der Touristeninformation vorbei und hole einige Broschüren über Museen heraus, die alte Handwerkskunst zeigen und wie die Leute früher gelebt haben«, bat ihn seine Mutter. »Das mache ich. Aber warum fragst du nicht die Sondermanns? Sie arbeiten doch in der Infozentrale und sitzen an der Quelle.« »Carmen und Florian Sondermann sind in Italien und besuchen Verwandte. Sie kommen erst in drei Wochen zurück. Alle sind im Süden.

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Toni der Hüttenwirt – 225–

Liebe war nicht vorgesehen

Ein »Arbeitsunfall« der besonderen Art …

Friederike von Buchner

Toni hatte seine Eltern nur kurz besuchen wollen, doch sie waren ins Plaudern gekommen. Meta Baumberger, Tonis Mutter, hatte von einer Freundin das Rezept eines Hefezopfs bekommen, wie man ihn früher in Waldkogel gebacken hatte. Bevor sie ihn in der Gaststätte ihren Kunden anbieten wollte, musste ihn Toni probieren.

Toni war begeistert, weckte der Kuchen doch Erinnerungen an seine Kindheit. Das Läuten der Kirchturmuhr holte ihn zurück in die Gegenwart. Schnell trank er die Tasse Kaffee aus und stand auf. »So, meine Lieben, es hilft nichts, ich muss mich jetzt schleunigst auf den Weg nach Kirchwalden machen, Annas Einkaufsliste ist lang.«

»Triffst du dich mit Leo?«, fragte Tonis Vater, Xaver Baumberger.

»Eine Brotzeit im Biergarten lassen wir uns nicht entgehen. Das ist schon Tradition bei uns. Ich hole Leo zur Mittagszeit in der Bergwachtzentrale ab.«

»Wenn du Zeit findest, Toni, dann gehe doch mal an der Touristeninformation vorbei und hole einige Broschüren über Museen heraus, die alte Handwerkskunst zeigen und wie die Leute früher gelebt haben«, bat ihn seine Mutter.

»Das mache ich. Aber warum fragst du nicht die Sondermanns? Sie arbeiten doch in der Infozentrale und sitzen an der Quelle.«

»Carmen und Florian Sondermann sind in Italien und besuchen Verwandte. Sie kommen erst in drei Wochen zurück. Alle sind im Süden. Auch Florians Eltern sind mitgefahren.«

»Und wer versorgt jetzt das Vieh?«, fragte Toni erstaunt.

»Hast du vergessen, dass wir jetzt tüchtige Dorfhelferinnen haben? Außerdem hat Marie versprochen, nicht nur den Einsatz auf dem Hof der Sondermanns zu koordinieren, sondern täglich selbst nach dem Vieh zu schauen. Wenn sie das nicht getan hätte, wären Florians Eltern niemals mit nach Italien gefahren.«

»Ich werde mal in einer Buchhandlung stöbern, ob ich einige Bücher zum Thema finde. Franzi und Basti sind sehr interessiert an diesen Geschichten von damals und löchern den alten Alois mit Fragen«, erzählte Toni.

»Toni, du hättest die Kinder erleben müssen, als sie uns letzte Woche geholfen haben, den Schuppen aufzuräumen und dabei auf die alten Gerätschaften gestoßen sind. Wir durften nichts vom alten Zeug wegwerfen. Jetzt spielen sie damit.«

»Ich weiß«, lächelte Toni. »Franzi ist ganz stolz auf das winzige Knäuel selbstgesponnener Wolle und zeigt sie jedem Hüttengast. Jetzt träumt sie davon, dass sie einmal einen alten Webstuhl in Betrieb sehen kann.«

»Als ich ein kleines Madl war, so ungefähr in Franzis Alter, da gab es noch einige alte Frauen in Waldkogel, die Webstühle besaßen. Aber sie leben nicht mehr. Was aus den Webstühlen geworden ist, das weiß ich nicht. Vielleicht wurden sie verkauft. Vielleicht stehen sie in der Ecke einer Scheune und stauben zu. Ein bissel schade ist es schon«, sagte Meta Baumberger etwas wehmütig.

»Meta, höre auf! Das war alles viel Arbeit«, sagte Xaver. »Ich erinnere mich gut daran, wie meine Großmutter immer wieder davon erzählte, wie mühsam alles war.«

»Sicher war es schwere Arbeit, Xaver. Das streite ich nicht ab. Aber etwas Gutes hatte es auch: Alles, was so mühevoll hergestellt worden war, wurde respektiert, und man ist achtsam damit umgegangen. Wenn heute etwas kaputt geht, landet es im Müll. Dann wird es eben neu gekauft.«

»Das stimmt«, sagte Toni. »Und man weiß genau, dass es nicht lange halten wird. Die alten Sachen, die waren noch von einer besonderen Qualität. Wir haben auf der Berghütte Gegenstände, die sind noch täglich im Gebrauch, und die hatte Alois’ Frau mit in die Ehe gebracht. Sie sind von Hand gefertigt und tun noch gute Dienste. Da kann man nur staunen. Anna mischt Teig in der alten hölzernen Backmulde und lässt ihn darin gehen. Sie sagt, die Teigmulde sei besser als jede moderne Schüssel. Nur um mal ein Beispiel zu geben.« Toni lächelte. »Und ich bin dem alten Alois dankbar, dass er uns Reisigbesen bindet.«

Er schaute auf die Uhr. Es war jetzt wirklich höchste Zeit zu gehen. Seine Eltern gingen mit zum Auto und sahen ihm nach, wie er davonfuhr.

»Ist schon schön, dass sich Franzi und Basti so für die alten Sachen interessieren«, sagte Meta. »Die meisten Kinder haben doch nur Computer und Technik im Kopf.«

»Da ist etwas Wahres dran, Meta. Es ist schön, dass sich Franzi und Basti nicht ausschließlich dafür interessieren. Aber wir leben in modernen Zeiten. Die Technik, Computer und Handys, die gehören dazu. Es sind die neuen Arbeitsmittel. Nur für Sebastian und Franziska sind sie nicht der Lebensinhalt – wie für viele andere Kinder. Du weißt, was am Stammtisch über Kinder und Enkel erzählt wird. Wenn diese Höllenmaschinen kaputt sind, dann hängt der Haussegen schief. Ja, es ist wirklich schön, dass Franzi und Basti nicht so abhängig von diesem Spielkram sind. Richtig bodenständig sind sie, und sie interessieren sich sehr für die alten Sachen.«

»Das mag auch am alten Alois liegen, der den beiden viele Geschichten von früher erzählt.«

»Das ist wahr, Meta.«

Tonis Eltern gingen wieder hinein.

Auf dem Weg nach Waldkogel dachte Toni nach. Er erinnerte sich an die Zeit, als er noch ein Bub war. Sein Großvater, der alte Gustav Baumberger, hatte seine Arbeitsschuhe noch selbst besohlt. Toni hatte ihm dabei immer fasziniert zugesehen.

Toni kaufte in Kirchwalden ein, dann holte er Leonhard Gasser vor der Einsatzzentrale der Bergwacht ab. Sie fuhren in den Biergarten und bestellten sich eine herzhafte Brotzeit und eine Maß Bier.

Toni erzählte von Franzis und Bastis Begeisterung für alte Handwerkskünste und ihr Interesse, zu erfahren, wie die Menschen in Waldkogel vor hundert Jahren gelebt haben.

»Ich habe Broschüren über Freilichtmuseen geholt. Wir werden mit den Kindern dorthin fahren. Ich werde meinen Vater bitten, uns einen Tag auf der Berghütte zu vertreten. Alois muss mitkommen, denn keiner kennt sich so gut aus wie er. Es wäre ein Erlebnis für die Kinder. Ich hoffe, Alois sagt zu. Es ist ein bissel mühsam für ihn, vor allem der Weg hinunter auf die Oberländer Alm und am Abend wieder hinauf. Du weißt, er bleibt den ganzen Sommer über bei uns auf der Berghütte und geht niemals ins Tal.«

Leonhard Gasser sah Toni an und schmunzelte.

»Da habe ich eine Idee, Toni. Es kommt darauf an, wann ihr mit den Kindern in das Museumsdorf wollt. Ich bringe euch nächste Woche wieder Bier auf die Berghütte, im Rahmen des vorgeschriebenen Übungsflugs. Ich könnte es so einrichten, dass ich ganz früh am Morgen zu euch raufkomme. Dann nehme ich den Alois mit und setze ihn auf der Wiese hinter der Oberländer Alm ab.«

»Das ist eine großartige Idee, Leo. Ich danke dir dafür. Aber runter ist es für ihn nicht so anstrengend wie hinauf. Kannst du es nicht so einrichten, dass du das Bier am Abend raufbringst? Dabei könntest du den Alois von der Oberländer Alm hinauf auf die Berghütte fliegen.«

Leonhard grinste.

»Toni, mach’ dir mal keine Gedanken! Ich deichsele das schon so, dass der alte Alois bequem runter und auch wieder rauf kommt.«

Sie prosteten sich zu. Dann machten sie sich über die verführerisch duftende Brotzeit her. Dabei schweiften Leos Gedanken weit zurück in frühe Erinnerungen. Alois hatte damals Leos Interesse an der Arbeit der Bergwacht geweckt. Heute war Leonhard Gasser der Leiter der Bergwacht in Kirchwalden.

»Wir haben beide dem alten Alois viel zu verdanken, Leo. Mir hat er die Arbeit eines Hüttenwirts nahegebracht, und bei dir hat er deine Leidenschaft für die Bergwacht geweckt.«

»So ist es, Toni«, sagte Leo. »Er hat sich immer Zeit für uns genommen, wenn wir bei ihm auf der Hütte waren. Das gilt auch für Martin und für Wolfi. Alois’ Buben sahen das nicht gern.«

»Das stimmt. Seine Söhne haben sich kaum für die Berge interessiert. Es stand für die beiden wohl schon früh fest, dass keiner in seine Fußstapfen treten wollte. Das Leben auf der Berghütte war ihnen zu langweilig und mit zuviel Arbeit verbunden.«

»Hört Alois mal etwas von ihnen?«, fragte Leo.

Toni seufzte tief.

»Er bekommt Post zu Weihnachten und zum Geburtstag. Das ist alles. Gesehen haben sie sich schon lange nicht mehr, soviel ich weiß. Der alte Alois spricht nicht darüber. Fragen möchte ich nicht. Ich will bei ihm keine Wunden aufreißen. Er liest die Briefe und sammelt sie in der Schublade seiner Kommode, die er immer sorgfältig abschließt. Es ist schon traurig, Leonhard. Ich vermute, der Schmerz sitzt tief.«

Leo trank einen Schluck Bier. Er sah Toni an.

»Toni, willst du, dass Sebastian oder Franzi später die Berghütte übernimmt?«

Toni rieb sich das Kinn.

»Lass mich es so sagen, Leo. Freuen würden wir uns sehr drüber, Anna und ich. Aber wir setzen die Kinder nicht unter Druck. Sie sollen den Beruf ergreifen, der ihnen Freude macht. Anna und ich sind uns darüber einig. Wirklichen Erfolg im Beruf und tiefe Zufriedenheit im Leben erreicht ein Mensch doch nur, wenn er das tut, was sein Herz erfüllt.«

»Das ist vernünftig. Man ist schnell dabei und schwärmt von den alten Zeiten. Aber es war nicht alles so rosig. Die Kinder hatten doch oft keine andere Wahl. Da musste jemand Bauer werden und bekam die Verantwortung aufgebürdet. Vielleicht wäre er in einem anderen Beruf glücklicher geworden. Das gilt auch für die Madln. Wenn kein Bub da war, musste ein Madl den Hof übernehmen. Dabei war es schon vor vielen Jahrzehnten abzusehen, dass kleine Landwirte von den Erträgen allein nicht leben konnten. Mein Großvater arbeitete im Winter, bei hohem Schnee, Eis und wirklich tiefen Temperaturen im Wald als Hilfsarbeiter. Und das für einen Hungerlohn! Aber das musste sein, damit die Familie durchkam.«

»Ich weiß«, sagte Toni. »Das waren harte Zeiten. Wir beide können froh sein, dass wir jetzt leben.«

»Das stimmt, Toni. Doch wir sollten über das Leben damals nicht schweigen und die Erzählungen weitergeben. Sonst gehen sie verloren. Schick doch Franzi und Basti am nächsten Wochenende vorbei! Dann habe ich frei. Auf dem Dachboden unseres Bauernhauses liegen noch viele alte Sachen herum. Dort können die Kinder Entdeckungen machen.«

»Sie werden sich über deine Einladung sehr freuen. Wir telefonieren vorher noch einmal miteinander.«

»Rufe mich an oder noch besser, Anna kann sich mit Heidi in Verbindung setzen. Vielleicht will Anna mitkommen? Heidi wird sich über Annas Besuch freuen.«

»Ich werde es ihr sagen.« Toni schaute auf die Uhr. »Wir sollten zahlen, Leo. Ich übernehme heute die Rechnung. Das nächste Mal bist du wieder dran.«

»Ja, zahlen wir. Ich muss auch zurück ins Büro. Meine Mittagspause ist um.«

Toni winkte die Bedienung herbei und bezahlte. Dann gingen sie zum Auto. Toni fuhr Leonhard zurück in die Dienststelle. Dann machte er sich auf den Heimweg.

Unterwegs hatte er eine Idee. Die wollte er bei der nächsten Gelegenheit mit Bürgermeister Fellbacher bereden.

*

Rechtsanwalt Dr. Heinrich Bergmann betrat die feudale Villa direkt am See. Er stellte seine Aktentasche auf der Kommode in der Halle ab und begab sich sofort in die Bibliothek. Dort öffnete er den großen Globus, in dem eine Bar versteckt war. Er schenkte sich einen Cognac ein und trank einen Schluck.

Seine Frau kam in den Raum. Nach fast vierzigjähriger Ehe kannte sie ihn gut. Wenn er seine Aktentasche nicht sofort in sein häusliches Arbeitszimmer trug sondern sich zuerst einen Drink holte, dann hatte er Stress oder Ärger in der Kanzlei gehabt.

Er lächelte sie an.

»Hallo, Adelheid«, sagte er, ging auf sie zu und küsste sie.

Sie streichelte ihm die Wange und schaute ihn zärtlich an, auch nach so vielen Jahren Ehe.

Er schenkte ihr Campari mit Tonic und Orangensaft ein. Sie setzten sich in die hohen Ledersesseln.

»Rede schon, Heinrich!«, ermunterte sie ihn.

Er trank wieder einen Schluck. »Ich musste Fabian Baumann anrufen, Petras Mann, und ihn einbestellen. Er kam auch sofort von Zürich herübergeflogen.«

»Oh, dann gibt es Neues über Petra? Und dieser Fabian Baumann? Wie ist er? Leider haben wir ihn nie kennengelernt. Doch sag zuerst, was ist passiert, dass du Kontakt zu ihm aufgenommen hast?«

Adelheid sah ihrem Mann an, dass es ihm nicht leicht fiel, darüber zu sprechen.

»Tja, es begann damit, dass die kanadische Botschaft mich vor einigen Tagen angerufen hat. Heute Morgen kam ein Bote aus Berlin und brachte mir Sachen, die Petra gehörten. Sie waren von Bergsteigern gefunden worden. Da Petra in ihrem Notizbuch mich und meine Kanzlei als Notfalladresse notiert hatte, wendete sich die Botschaft an mich.«

»So?«, staunte Adelheid. »Aber warum stand nicht ihre Züricher Adresse drin und nicht der Name ihres Mannes? Hast du eine Ahnung?«

»Ja«, sagte Heinrich und nickte. Er seufzte und schüttelte den Kopf.

»Das ist eine lange Geschichte, Adelheid. Ich kannte auch nur Einzelheiten. Petra hat mir nie alles erzählt. Und der Rest, den sie mir all die Jahre verschwiegen hatte, stand in diesem Brief. Er war für mich bestimmt für den Fall, dass ihr etwas zustoßen sollte.«

»So etwas wie ein Testament?«, fragte Adelheid betroffen.

Heinrich seufzte erneut. Er sah seine Frau an.

»Adelheid, ich kann dir nicht sagen, wie oft ich den Brief in den vergangenen Jahren in den Händen gehalten habe. Wie oft habe ich mein Gewissen geprüft, ob ich ihn öffnen sollte. Doch dann legte ich ihn immer wieder in den Safe.«

»Und heute hast du ihn geöffnet?«

»Ja, das habe ich. Ich habe ihn geöffnet, nachdem ich mit Fabian Baumann gesprochen hatte.«

»Hast du ihm gesagt, dass es einen Brief von Petra an dich gibt?«

Heinrich schüttelte den Kopf.

»Nein, das habe ich nicht. Petra hatte damals ausdrücklich betont, der Inhalt sei nur für mich. Darin stünden wichtige Informationen und eine Bitte, die ich ihr erfüllen sollte. Sie wusste, dass mich der Inhalt sehr bewegen und überraschen würde. Deshalb sollte ich mir genau überlegen, wie ich damit umgehe, und nichts übereilen. Ich sollte erst dann handeln, wenn ich einen guten Weg gefunden hätte, ihrer Bitte nachzukommen.«

»Und das liegt dir jetzt auf der Seele, richtig?«

»Ja, es ist ein Tonnengewicht. Ich gebe gern zu, dass mich der Inhalt, selbst als erfahrener Jurist und Notar, getroffen hat. Es ist schon ein sonderbares Gefühl. Da denkt man, man kennt einen Menschen und dann stellt man fest, dass man ihn doch nicht gekannt hat.«

»Du sprichst von Petra?«

»Genau! Aber nicht nur von ihr. Sie war ein armes Mädchen, das in etwas verstrickt wurde. Wir haben Petra aufwachsen gesehen, Adelheid. Ich war seit der Schulzeit mit ihrem Vater befreundet. Wir haben zusammen studiert. Er wurde Fachanwalt für Patentrecht. Als er heiratete, waren wir Trauzeugen, und wir sind Petras Paten. Wie gesagt, man könnte annehmen, dass wir einander gut kennen.«

Der alte Anwalt schüttelte wieder den Kopf, bevor er fortfuhr.