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Sichern Sie sich jetzt die Jubiläumsbox - 6 Romane erhalten, nur 5 bezahlen! Diese Bergroman-Serie stillt die Sehnsucht des modernen Stadtbewohners nach einer Welt voller Liebe und Gefühle, nach Heimat und natürlichem Leben in einer verzaubernden Gebirgswelt.Toni, der Hüttenwirt liebt es ursprünglich. In Anna hat er seine große Liebe gefunden. Für ihn verzichtete Anna auf eine Karriere als Bänkerin im weit entfernten Hamburg. Jetzt managt sie an seiner Seite die Berghütte. Ihre Serie hat Geschichte geschrieben. Die Idee dahinter hat exemplarischen Charakter. "Toni, der Hüttenwirt" aus den Bergen verliebt sich in Anna, die Bankerin aus Hamburg. Anna zieht hoch hinauf in seine wunderschöne Hütte – und eine der zärtlichsten Romanzen nimmt ihren Anfang. Hemdsärmeligkeit, sprachliche Virtuosität, großartig geschilderter Gebirgszauber – Friederike von Buchner trifft in ihren bereits über 400 Romanen den Puls ihrer faszinierten Leser. Erfolgreiche Romantitel wie "Wenn das Herz befiehlt", "Tausche Brautkleid gegen Liebe" oder besonders auch "Irrgarten der Gefühle" sprechen für sich – denn sie sprechen eine ganz eigene, eine unverwechselbare Sprache. E-Book 283: Was ist mit Franziska los? E-Book 284: Wo ist seine Herzensheimat? E-Book 285: Eine Überraschung für Amelies Eltern E-Book 286: Eine ungewöhnliche Rechnung E-Book 287: Höchste Zeit für Wunder E-Book 288: Jüngere Schwestern – manchmal eine Plage
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Seitenzahl: 777
Veröffentlichungsjahr: 2018
Was ist mit Franziska los?
Wo ist seine Herzensheimat?
Eine Überraschung für Amelies Eltern
Eine ungewöhnliche Rechnung
Höchste Zeit für Wunder
Jüngere Schwestern – manchmal eine Plage
Amelie weilte am ›Erkerchen‹. Sie lehnte am Geländer, schaute über das Tal und knabberte an einem Müsliriegel.
»Hallo, Amelie!«
Sie drehte sich um.
»Grüß Gott, Henry!«, antwortete sie. »Schon so früh auf dem Rückweg zur Berghütte?«
Henry machte ein etwas verlegenes Gesicht.
»Ja, das schlechte Gewissen trieb mich an.«
»Nanu? Hast du etwas angestellt? Soviel ich weiß, fehlen Anna keine silbernen Löffel.«
Sie lachten beide.
Henry ließ seinen Rucksack von den Schultern gleiten.
»Ich habe noch warmen Kaffee in der Thermoskanne, Amelie. Kann ich dich einladen?«
»Fein, das sage ich nicht Nein.«
Amelie ging zur Bank, auf der sie ihren Rucksack abgestellt hatte, und holte ihren Emaillebecher heraus.
Henry schenkte ihn voll und nahm sich den Rest. Es war ganz wenig.
»Nein, nein, so geht das nicht!«, protestierte Amelie. »Bergkameraden teilen. Gib her!«
Sie goss einen Teil ihres Kaffees in Henrys Becher. Er dankte und lächelte.
Sie tranken und hielten dabei Augenkontakt.
»Nun, ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich in deine Unterhaltung mit Toni hinter der Berghütte hineingeplatzt war. Zu spät erkannte ich, dass es ein sehr vertrauliches Gespräch war. Es war ungeschickt, dich zu fragen, ob du mit mir wandern gehen wolltest. Ich hätte bis nach eurer Unterredung warten sollen. Es ging wohl um etwas sehr Wichtiges.«
»Wie kommst du darauf?«
»Du hast ein sehr ernstes Gesicht gemacht. Inzwischen kenne ich dich ganz gut. Nun ja, vielleicht ist das übertrieben in Anbetracht der wenigen Tagen, die wir uns kennen. Aber ist es nicht so, dass wir ein Gefühl für jeden Menschen bekommen, der uns begegnet? Der eine ist einem näher, als der andere. Und es kommt vor, dass man vergisst, dass man sich erst vor wenigen Tagen begegnet ist, weil man so fühlt, als kenne man sich schon ganz lange.«
»Stimmt! Das lässt sich nicht leugnen. Und dein Eindruck war, ich habe sehr ernst ausgesehen?«
»Ja!«
Henry stellte den Kaffeebecher neben sich auf die Bank und hob abwehrend die Hände.
»Du musst mir nicht erzählen, worüber du mit Toni gesprochen hast. Das ist deine Privatangelegenheit und geht mich nichts an. Ich habe nur festgestellt, dass du sehr ernst und nachdenklich warst. Es war sicherlich ungeschickt, euch zu unterbrechen. Bitte entschuldige!«
»Alles vergeben und vergessen! Mach dir bitte keine Gedanken.«
»Das freut mich. Ich hoffe, du hast erreicht, was du mit Toni klären wolltest.«
Amelie schaute Henry an und grinste.
»Du bist doch neugierig. Gib es zu!«
»Ein wenig, aber nur, weil ich dich noch nie so ernst gesehen hatte.«
»Das glaube ich dir gern«, sagte Amelie. »Es gab nichts zu klären. Toni und ich sind nur in einer Angelegenheit verschiedener Meinung. Er behauptet zwar, er könne mich verstehen. Ob jemand einen anderen Menschen wirklich verstehen kann, ist ein anderes Thema. Darüber möchte ich jetzt nicht nachdenken. Toni ist ein freundlicher und hilfsbereiter Bursche. Er ist für jeden da und genießt in Waldkogel großes Ansehen, Anna ebenso. Nur kann er sehr hartnäckig sein, wenn er denkt, jemand handle falsch. Dann mischt er sich ein.«
»Einmischung ist die Kehrseite der Hilfsbereitschaft«, sagte Henry.
»Gut gesagt! Das gefällt mir. Allerdings möchte ich Toni in Schutz nehmen. Er mischt sich nicht ein, weil er ein bestimmendes Wesen hat und jemand bevormunden möchte. Er hat es mir so erklärt: Ein Außenstehender hat einen anderen Blickwinkel, als der Betroffene. Darin gebe ich ihm recht. Er sagt auch, dass es Menschen oft nicht leicht falle, einen einmal gefassten Entschluss zu verwerfen.«
Amelie seufzte.
»Ich bin wohl auch so ein Fall. Ich will einfach nicht über meinen Schatten springen. Da hat er mir ins Gewissen geredet.«
Henry hörte aufmerksam zu und sah sie erwartungsvoll an.
»Er meint es sicherlich gut, Amelie.«
»Absolut! Ja, das tut er. Toni hat so ein unschuldiges Herz. Er kann keine üblen Hintergedanken haben. Das ist nicht seine Art.«
»Ich kann wenig dazu sagen, da ich nicht weiß, um was es geht«, sagte Henry. »Aber ich höre dir gern zu. Wenn man in einer Frage keine Lösung findet, genügt es oft, wenn man laut darüber nachdenkt.«
Amelie trank einen Schluck Kaffee, dann nickt sie eifrig.
»Henry, es geht um Folgendes: Ich habe in einer Angelegenheit eine Entscheidung getroffen, aber Toni bat mich, meine Entscheidung zu überdenken. Er hat mir eine Eselsbrücke gebaut. Allerdings muss ich entscheiden, ob ich darüber gehe.«
»Fürchtest du, dass die Brücke nicht hält? Denkst du, du könntest abstürzen? Du kannst dich anseilen. Ich biete dir gern an, das Seil an einem Ufer zu sichern.«
Amelie gefielen seine Worte und sie schenkte ihm ein Lächeln.
»Der Punkt ist, ich weiß nicht, ob ich die Richtung ändern soll. Weißt du, Henry, ... wie soll ich es beschreiben? Ich hatte Meinungsverschiedenheiten mit meinen Eltern und Großeltern. Deshalb habe mich auf die Berghütte zurückgezogen. Nein, das ist eine Untertreibung. Ich habe mich versteckt. Und verstecke mich immer noch. Zuerst war ich im Pfarrhaus, jetzt bin ich auf der Berghütte.«
»Das klingt dramatisch, Amelie.«
»Es war dramatisch, Henry. Ich bin kein konfliktfreudiger Mensch. Ich gebe zu schnell nach. Ich verzichte lieber auf etwas oder tue etwas, was ich nicht will, statt einen klaren Standpunkt zu beziehen.«
»Du bist sehr harmoniebedürftig.«
»Das war ich, Henry, ich war es. Ich war es, bis ich an einem Punkt ankam, wo ich mich nicht mehr im Spiegel erkannte. Genauso war es. Es gibt eine alte Weisheit: Man soll immer so handeln, dass man sich im Spiegel anschauen kann. Ich hielt das für eine blöde Redewendung. Doch dann erkannte ich die Wahrheit, die darin steckt. Es war bei meiner Schneiderin. Ich stand in einem wunderschönen Kleid vor dem großen Spiegel. Es war bei der Anprobe. Ich sah mich an und plötzlich wurde mir bewusst, das bin ich nicht. Ja, das Spiegelbild war schön anzusehen, aber die Person in dem prächtigen Kleid spielte Theater. Es war das falsche Stück und das falsche Kostüm. Das war ich nicht.«
Henry war ganz still geworden. Er hörte zu. Er erkannte, wie schwer es Amelie fiel, darüber zu sprechen. Sie quälte sich mit jedem Satz.
»Es war wirklich dramatisch, Henry. Ich hatte einen Zusammenbruch. Die Schneiderin alarmierte den Arzt. Etwas später lag ich im Gästezimmer des Pfarrhauses im Bett. Unser Pfarrer und seine Haushälterin nahmen sich meiner an und beschützten mich. Ich versteckte mich einige Tage im Pfarrhaus. Dann konnte ich nicht länger dort bleiben, also wechselte ich, durch die Vermittlung des Geistlichen, auf die Berghütte. Der ursprüngliche Plan war, dass ich mich in einer Schutzhütte verkrieche und Toni und Anna mich regelmäßig mit Proviant versorgen. Doch dann bin ich auf der Berghütte geblieben.«
Henry schaute Amelie fragend an.
»Und wie lange geht das schon so?«
»Bald sind es zwei Wochen. Meine beste Freundin heiratet. Wenn sie in die Flitterwochen fährt, kann ich ihre kleine Wohnung in München benutzen, bis sie zurückkommt. Ich werde die Zeit nutzen, um mir eine eigene Wohnung zu suchen. Ich hoffe, ich kann meinen alten Arbeitsplatz bekommen. Im Augenblick habe ich Urlaub. Aber davor hatte ich gekündigt. Ich werde mit meinem Chef sprechen, wenn ich in München bin.«
»Und wann willst du nach München?«
»Nach dem Wochenende. Toni wird mich abends hinfahren, wenn es dunkel ist. Dann ist die Gefahr geringer, dass mich jemand sieht. Meine Familie weiß nicht, wo ich bin. Das heißt, meine Eltern wissen es nicht. Zu meiner Großmutter und ihrer Freundin habe ich losen Kontakt über den Geistlichen.«
»Das hört sich wie eine unglaubliche Räuberpistole an, Amelie. Es könnte sich um eine Geschichte um Don Camillo handeln.«
Amelie lächelte.
»Doch niemand würde sich einen solchen Roman ausdenken.«
»Ohne Happy End«, ergänzte Henry.
»Oh, es gibt ein Happy End. Meine Freundin Flora heiratet Paul. Die beiden lieben sich schon lange. Danach bin ich frei. Vielleicht gibt es eines Tages eine höfliche Ebene, auf der ich mit meinen Eltern kommunizieren kann. Aber ich bin mir sicher, so schnell verzeihen sie mir mein Verschwinden nicht.«
»Das hört sich alles sehr dramatisch an, Amelie. Aber was hat dein Versteckspiel mit der Hochzeit von Flora und Paul zu tun?«
Amelie seufzte tief.
»Weil ich Paul hätte heiraten sollen.«
»Wie bitte? Wo sind wir denn hier? Das gibt es doch nicht.«
»Doch es war so! Wir sind beide schuld, Paul und ich. Wir haben uns da in etwas hineindrängen lassen. Das Aufgebot war bestellt und alles für eine gigantische Hochzeit vorbereitet. Dann verschwand die Braut. Verstehst du?«
»Ich bemühe mich, Amelie. Aber ich kann es nicht ganz verstehen, entschuldige bitte. Dazu müsste ich mehr wissen.«
»Gut, dann werde ich es dir erklären. Ich war bei der Schneiderin zur Anprobe meines Brautkleids, als ich plötzlich erkannte, das will ich nicht. Nein, das ist nicht richtig. Ich wusste immer, dass ich Paul nicht heiraten möchte, und ihm ging es genauso. Wir waren seit dem Sandkasten engbefreundet, Paul, Flora und ich. Meine Eltern und Großeltern verstehen sich prächtig mit Pauls Eltern und Großeltern. Beide Familien haben einen großen Besitz. Die Grundstücke grenzen aneinander.«
»Aha, verstehe! Da wollte man euch verkuppeln? Das ist eine bodenlose Gemeinheit.«
»Nein, nicht ganz.«
»Du nimmst sie in Schutz?«, staunte Henry.
»Nein, Paul und ich mögen uns – als Freunde. Wir sind da hineingeschlittert. Ich weiß, es klingt blöd, aber es war so. Es hat uns einfach überrollt. Wir spielten auf Zeit. Wir verlobten uns und dachten, dann gäben sie Ruhe. Doch das war ein Trugschluss. Wir planten, irgendwann die Verlobung zu lösen. Verstehst du? Aber wir kamen nicht dazu. Alle freuten sich und planten unsere Hochzeit. Ich sagte nur, dass mir das alles zu schnell ging. Aber niemand nahm mich ernst und Paul auch nicht. Dabei war Paul viel schlimmer dran als ich, denn er liebt Flora. Nun, jetzt kann er sie heiraten. Ich habe Flora mein Brautkleid geschenkt. Sie hat es etwas ändern lassen. Sie und Paul wünschen, dass ich zur Hochzeit komme. Aber ich will nicht.«
»Das kann ich verstehen«, brach es aus Henry hervor.
»Du bist wunderbar, Henry. Danke für dein Verständnis!«
»Das Verständnis beruht auf eigenen Erfahrungen.«
»So? Erzählst du sie mir?«
»Ja, aber jetzt nicht. Jetzt kümmere ich mich um dich.«
»Das hast du schön gesagt«, strahlte Amelie ihn an.
Sie seufzte erneut.
»Henry, Toni wollte mich überreden, doch zu Hochzeit zu gehen.«
»Du hast Angst, dass etwas passieren könnte, dass es zu einem Eklat käme?«
»Ja, so ähnlich! Ich will den beiden nicht ihren schönsten Tag verderben. Es wird eine große Hochzeit werden. Okay, nicht so groß wie die geplante von Paul und mir, aber auch sehr groß. Außerdem wird nach der kirchlichen Trauung auf dem Hof von Pauls Eltern gefeiert. Es ist üblich, dass jeder kommen kann, der seine Glückwünsche aussprechen will. Ich galt zwei Wochen als verschollen. Meine Verwandten haben bei der Polizei eine Vermisstenanzeige aufgeben. Alle in Waldkogel wissen es. Es hat ziemlich viel Wirbel gegeben. Ich stelle mir vor, dass ich umlagert werde und jeder, aber auch jeder wissen will, warum ich getürmt bin.«
Henry rieb sich das Kinn.
»Ja, so wird es sicherlich sein. Und dir werden nicht nur verständnisvolle Herzen zufliegen.«
»Genau! Du hast es erfasst.«
Amelie seufzte wieder.
»Es bricht mir fast das Herz, dass ich nicht dabei sein kann. Flora und ich hatten es uns versprochen. Immerhin habe ich ihr mein Brautkleid geschenkt. Ich hoffe, sie fühlt, dass ich in Gedanken bei ihr bin. Das gilt auch für Paul. Die beiden werden sicherlich sehr glücklich. Für beide war es die erste Liebe, da gingen wir noch alle zusammen in die Schule. So jetzt weißt du, warum ich so ernst ausgesehen habe.«
»Danke für dein Vertrauen! Entschuldige, aber ich bin verwirrt. Das ist einfach unglaublich. Darf ich dich nach Einzelheiten fragen, wie es kam, dass sich alles so zuspitzte?«
»Du darfst, Henry. Darüber zu reden tut mir gut. Danke, dass du mir zuhörst. Ich gestehe, ich habe meine Entscheidung getroffen. Es war ein harter Weg. Mich bedrückt, dass ich vielen Leuten Kummer gemacht habe.«
Henry rutschte auf der Bank dichter an Amelie heran. Er lächelte sie gütig an.
»Das verstehe ich. Du musst kein schlechtes Gewissen haben. Sei stolz auf dich! Durch deinen Mut haben Paul und Flora endgültig zueinander gefunden. Ohne deinen Mut, deine Entschlusskraft, deine Entscheidung und dein Durchhaltevermögen wäre das nicht geschehen. So und jetzt erzählst du mir mehr aus deinem Leben.«
Amelie lächelte Henry an.
»Da fange ich am besten ganz früh in der Kindheit an«, sagte sie.
Amelie redete und redete. Sie schilderte ihre Kindheit und Schulzeit und die Nähe zu Paul, dem Nachbarsbub.
»Wir sind fast wie Geschwister aufgewachsen. Dann kam Flora nach Waldkogel, weil ihre Eltern in Marktwasen ein Haus bezogen. Marktwasen war früher eine kleine selbständige Gemeinde. Später kam sie im Zuge der Gemeindereform zu Waldkogel hinzu. Wir drei besuchten die weiterführende Schule in Kirchwalden. Im Teenageralter verliebten sich Paul und Flora. Bei dieser ersten Liebe ist es geblieben.«
»Warst du nie eifersüchtig auf sie?«
»Oh nein, mich verband nur echte Freundschaft mit Paul. Ich war nie eifersüchtig. Natürlich kicherte ich und neckte sie, wenn sie sich in meinem Beisein küssten.«
Amelie erzählte weiter. Dabei seufzte sie immer wieder. Sie bekam hochrote Wangen vor Aufregung.
Henry war klar, dass sie in Gedanken alles noch einmal erlebte und dabei litt.
Als sie geendet hatte, schwieg Henry eine Weile. Amelie ließ ihm Zeit.
»Und jetzt willst du die Hochzeit meiden?«
»Ja, ich kann mich nicht dazu überwinden hinzugehen. Wie du selbst erkannt hast, würde es Aufsehen erregen, wenn ich komme. Und dann ist da noch die Sache mit meinen Eltern. Es ist alles sehr schwierig. Klar wäre ich gern dabei. Aber ich habe Angst, ich könnte Paul und Flora das Fest verderben, den schönsten Tag in ihrem Leben. Sie sollen im Mittelpunkt stehen.«
»Das verstehe ich gut. Und welche Eselsbrücke hat Toni dir angeboten?«, fragte Henry.
»Oh, er zeigte mir zwei Möglichkeiten auf. Er bot an, dass Anna und er mich begleiten, gemeinsam mit Wendy, Sebastian und Franziska. Die ganze Familie Baumberger würde mich beschützen. Toni meinte, er würde jedem den Mund verbieten und Paroli bieten, der eine spitze Bemerkung mache.«
»Das nehme ich Toni gern ab. Außerdem hat er Autorität. Da fällt mir ein, dass du noch einen anderen Beschützer hast.«
»Wen?«
»Nun, ich denke, dass Pfarrer Zandler sicherlich ein Machtwort spräche, wenn dir jemand zu nahe träte. Auf dem Land ist es noch anders, als in der Stadt. Hier hat die Stimme des Geistlichen noch Gewicht. Hast du mit ihm schon darüber gesprochen? Er ist dir doch wohlgesonnen. Nach allem, was du mir erzählt hast, ist er ein sehr vernünftiger Mann.«
»Oh ja, das ist er. Er ist sehr froh, dass er nicht gezwungen ist, mich und Paul zu trauen. Es sei eine Sünde, das heilige Sakrament der Ehe einzugehen, wenn man sich nicht liebt.«
Henry rieb sich das Kinn.
»Amelie, ich schätze dich, ich mag dich sehr. Deshalb fällt es mir schwer, etwas Kritik anzubringen. Nun, das Wort ›Kritik‹ ist dafür vielleicht ein zu starkes Wort. Lass es mich anders sagen. Ich möchte dir etwas zu bedenken geben.«
»Du darfst auch gern Kritik üben, Henry. Ich weiß, dass du es ehrlich meinst.«
Henry bedankte sich. Danach führte er aus, dass die Situation schlimmer und schlimmer werde, ja länger sich Amelie verstecke.
»Mm, Toni hatte dasselbe Argument. Aber ich teile es nicht ganz. Je länger ich warte, desto mehr Gras wächst über die Sache. Du weißt doch selbst, wie schnell eine Nachricht veraltet. Wenn ich nicht hingehe, begegne ich den Waldkogelern nicht auf einmal. Verstehst du? Sicher werde ich später einmal darauf angesprochen, aber dann ist es mir möglich, einzelnen Personen Rede und Antwort zu stehen. Außerdem haben bis dahin meine Großmutter und Pauls Großmutter die Hintergründe dargelegt. Da bin ich mir sicher. Und es geschieht nicht ausgerechnet auf Floras und Pauls Hochzeit.«
Henry nickte verständnisvoll.
»Du hast vorhin von zwei Möglichkeiten gesprochen, die dir Toni angeboten hat. Welche Idee hatte er noch?«
Amelie warf ihm einen Seitenblick zu und schmunzelte.
»Toni hatte eine ganz ungewöhnliche Idee. Er meinte, ich sollte mir von einer Agentur einen Begleiter mieten. Der könnte dann meinen Freund spielen und mit mir tanzen. Er müsste den eifersüchtigen Beschützer spielen und alle von mir fernhalten, mit denen ich nicht reden möchte.«
»Ah, es sollte so aussehen, als hättest du einen Freund, einen anderen Liebsten und deshalb seiest du getürmt.«
»Ja, so in etwa. Was hältst du davon?«
Henry lachte.
»Das ist eine großartige Idee. Stopp, ich will es anders sagen. Dass du in männlicher Begleitung zum Hochzeitsfest deiner besten Freunde gehen sollst, ist eine wirklich gute Idee. Nur, dass du dafür jemand mietest, gefällt mir nicht. Du kennst den Fremden nicht. Sicher kannst du ihm Anweisungen geben. Aber ohne dass er die ganze Geschichte kennt, die dahintersteckt, ist das Risiko zu groß. Ich finde es nicht gut, wenn du einem Fremden deine Herzensnöte anvertraust.«
»Das möchte ich auch nicht. Bei dir war es etwas Anderes. Wir kennen uns schon einige Tage. Wir waren wandern. Wir haben uns halbe Nächte am Kamin über Gott und die Welt unterhalten.«
»Und du hast mir versprochen, dass du nur mit mir eine Seilschaft bildest, um auf den Gipfel des ›Engelssteigs‹ zu klettern.«
»Ja, das habe ich versprochen und das werde ich halten. Wir machen das nach der Hochzeit. Dann habe ich den Kopf frei. Sonst wäre es zu gefährlich.«
»Richtig, Amelie! Außerdem kann ich bis dahin mein Knie noch schonen.«
»Wie sieht es aus? Und reibst du es noch schön ein, mit dem Kräuterbalsam?«
Henry streckte sein Bein aus und krempelte das Hosenbein herauf.
»Oh, nur noch leicht verfärbt«, sagte Amelie.
»Ja, es heilt schnell, dank deiner guten Behandlung.«
Amelie lächelte.
Er rieb sich das Kinn. Dabei sah er etwas verlegen aus.
»Darf ich dir einen Vorschlag machen?«
»Natürlich«, antwortete Amelie und sah ihn dabei mit großen Augen an.
»Also, ich meine, ich denke, ich habe da so eine Idee. Da wir unbestreitbar wunderbare Bergkameraden sind, biete ich mich als deinen Begleiter an.«
»Das würdest du tun?«, rief Amelie aus und errötete tief. Schnell schaute sie weg. Sie schlug für einen Augenblick die Hände vor das Gesicht.
»Was ist? Habe ich etwas Falsches gesagt?«
»Nein, nein! Henry, das war auch ein Vorschlag von Toni.«
»Siehst du, Amelie! Warum hast du mich nicht gefragt? Fast könnte ich verärgert sein, aber nur fast. Ich verstehe dich. Also nimmst du mein Angebot an? Ich verspreche dir, ich werde jeden sehr diplomatisch abfertigen. Ich kenne mich nämlich sehr gut aus, in Sachen Konflikte und Diplomatie. Das musst du mir glauben.«
Amelie schaute ihn unschlüssig an. Er las in ihren Augen wie in einem Buch.
»Amelie, ich sage jetzt einfach, dass wir es so machen. Außerdem ziehen wir eine große Show ab. Das macht jeden mundtot, der tratschen will. Das garantiere ich dir.«
»Jetzt übertreibst du, Henry«, widersprach ihm Amelie.
»Nein, das tue ich nicht. Während du geredet hast, habe ich einen Plan entwickelt. Jeder Feldherr, der in die Schlacht zieht, hat eine Strategie.«
»Okay, dann lass sie mich hören. Hast du als kleiner Junge mit Zinnsoldaten gespielt?«, fragte sie lachend.
»So kann man es sagen.«
Henry ließ seinen Arm, der auf der Lehne der Bank lag, langsam auf Amelies Schultern gleiten. Er näherte sich ihrem Gesicht und sprach ganz leise.
»Flora und Paul sollen dafür sorgen, dass ganz vorn in der Kirche zwei Plätze freigehalten werden. Wir warten, bis alle Hochzeitsgäste in der Kirche sind. Im letzten Augenblick betreten wir die Kirche und gehen Arm in Arm durch den Mittelgang zu unseren Plätzen. Du wirst ein aufregendes Kleid tragen, sehr elegant und einen Hut. Ich trage einen Cut und einen Zylinder. Kaum, dass wir uns gesetzt haben, wird die Orgel aufbrausen und das Brautpaar zum Altar schreiten. Alle werden nur noch Augen für das Brautpaar haben. Nach der Zeremonie sprechen wir Paul und Flora unsere Glückwünsche aus. Du kannst kurz deine Verwandten begrüßen. Wir verabschieden uns eilig, weil ich beruflich einen wichtigen Termin habe, und versprechen, am Abend wiederzukommen. Ich werde dich drängen, dass wir sofort gehen müssen. Pfarrer Zandler wird uns durch die Sakristei hinausgehen lassen. Auf dem Marktplatz steigen wir in eine Limousine. Der Chauffeur hatte auf uns gewartet und wir rauschen davon, irgendwohin, wo wir allein sind. Später, wenn die meisten Hochzeitsgäste heimgegangen sind, kommen wir wieder und feiern mit Paul und Flora im kleinen Kreis.«
Amelie benötigte einen sehr langen Augenblick, bis sie etwas sagen konnte.
»Mei, ich habe mich nicht verhört oder?«, stieß sie hervor.
Henry lachte laut. Dann flüsterte er Amelie etwas ins Ohr.
»Wirklich?«, fragte sie mit großen Augen.
»Wirklich und wahrhaftig«, antwortete Henry.
Amelie lächelte.
»Ja, so machen wir es. Danke, Henry! Alle werden staunen und es wird ihnen die Sprache verschlagen.«
»Ja, das wird es, Amelie. Jeder erwartet eine schuldbewusste Amelie. Aber ihre Vorstellungen werden Lügen gestraft. Sie werden eine wunderschöne und sehr selbstbewusste Amelie sehen. Außerdem schwöre ich dir, dass niemand mehr nach dir fragen wird, da ich alle Neugierde auf mich ziehen werde, Amelie.«
Amelie grinste.
»Sie alle werden sich fragen, wer der gut gekleidete Bursche an meiner Seite ist?«
»So wird es sein«, lächelte Henry.
»Wir müssen Toni und seine Familie einweihen. Toni wird ebenfalls seinen Spaß haben, genauso wie Pfarrer Zandler, da bin ich mir sicher.«
»Gut, dann ist die Sache abgemacht, Amelie. Hand drauf?«
»Okay, Hand drauf!«
Sie reichten sich die Hände.
Sie spürten, wie ihre Herzen schneller schlugen und es zwischen ihnen knisterte. Doch Henry unternahm keinen Versuch, Amelie zu küssen. ›Das kommt noch, bald sogar,‹ dachte er.
Sie packten den Rest an Proviant zusammen und gingen zurück zur Berghütte. Dort weihten sie Toni und Anna ein. Amelie telefonierte mit Flora und verabredete sich mit ihr und Paul, um ihnen alles zu erklären.
Die beiden freuten sich sehr, dass Amelie zur kirchlichen Trauung kommen würde. Sie waren gespannt, was sie ihnen noch zu erzählen hatte.
*
Der Postbote klingelte an der Tür der Tierarztpraxis.
»Grüß Gott, Beate!«
»Oh du bist es, Urban. Grüß Gott!«, grüßte ihn die Tierärztin. »Du bist heute aber früh unterwegs. Es ist nicht einmal acht Uhr.«
Urban Geller, der Postmeister, lächelte.
»Ja, heute ist wieder viel Werbung dabei. Deshalb habe ich früh angefangen. Schon kurz nach sechs bin ich zu den Aussiedlerhöfen unterwegs gewesen.«
»Magst du einen Kaffee?«, fragte Beate.
»Danke, eigentlich gern. Ich habe nur wirklich keine Zeit. An einem anderen Tag trinke ich gern einen Kaffee bei dir.«
Urban reichte Beate einen dicken Packen Briefe.
Beate schloss die Haustür und ging zurück in die Küche. Sie war am Frühstücken gewesen. Das heißt, eigentlich hatte sie nur starken Kaffee getrunken. Es war eine kurze Nacht gewesen. Kurz nach drei Uhr war sie wegen eines Notfalls aus dem Bett geklingelt worden. Eine Kuh tat sich beim Kalben schwer. Aber nach zwei Stunden stand ein kräftiger Jungbulle auf seinen Beinchen und suchte die Zitzen.
Danach hatte sich Beate nicht mehr schlafen gelegt. Die Sprechstunde am Vormittag versprach ruhig zu werden. Es standen nur einige vierbeinige Patienten im Kalender, die wegen der jährlichen Impfung kamen. Wer nicht unbedingt in die Tierarztpraxis musste, würde es wahrscheinlich auf einen anderen Tag verschieben. Wenn Beate nachts für einen Stallbesuch aus dem Bett geholt worden war, sprach sich das am nächsten Tag schnell herum und man schonte sie, wenn es möglich war.
Beate schenkte sich den großen Kaffeebecher voll. Dann schaute sie die Post durch. Beim letzten Brief bekam sie sofort Herzklopfen, sie erkannte die Schrift und riss ihn auf.
Carl hatte ihr einige Zeilen geschrieben. Es war nicht viel. Bedeutsamer schwangen die ungeschriebenen Worte zwischen den Zeilen mit. Beate musste für einen Augenblick die Augen schließen. Sie legte die Hand auf ihr Herz, als wollte sie es festhalten.
»Martin würde akute Herzrhythmusstörungen diagnostizieren«, flüsterte sie. Sie atmete einige Male tief durch. Langsam beruhigte sich ihr Herz wieder.
Sie schob den Becher mit dem Kaffee von sich, stand auf, ging zum Kühlschrank und holte sich Saft. Während sie sich ein Glas einschenkte, versuchte sie einen klaren Gedanken zu fassen. Das war nicht leicht. In ihrem Kopf wirbelten Gedankenfetzen wild durcheinander.
»Wie konnte er nur?«, flüsterte Beate vor sich hin.
Sie atmete tief durch.
»Was mache ich jetzt bloß?«, fragte sie sich laut.
Sie schaute auf das Blatt Papier, das Carl in seiner schönen, für ihn charakteristischen, Handschrift beschrieben hatte.
»Weg damit! Lass dich nicht durcheinanderbringen«, ermahnte sie sich.
Sie faltete den Brief zusammen und steckte ihn in den Umschlag. Zuerst wollte sie ihn zerreißen und die Schnipsel in den Papierkorb werfen. Dann sah sie davon ab.
Sie raffte alle Briefe zusammen und ging in die Praxis. Dort sah sie andere Post durch, warf Reklame gleich fort und legte wichtige Briefe zur Seite. Sie hatte sich vorgenommen, nicht mehr an Carls Brief zu denken, den sie unter die Schreibunterlage gelegt hatte.
Aber es gelang ihr nicht, nicht daran zu denken.
Ich muss aufpassen, dass ich heute keinen Fehler mache, überlegte sie. Sie spürte, wie aufgeregt sie war. Es war eine Mischung aus Ärger, Empörung und Wut. Doch es war auch Freude dabei. Dass sie sich über seine Zeilen freute, ärgerte Beate. Wie kommt er dazu, mir zu schreiben, fragte sie sich immer wieder. Und dabei tut er, als sei nichts geschehen. Gleichzeitig war ihr Herz voller Freude, dass er ihr geschrieben hatte, auch wenn er so tat, als wäre nichts zwischen ihnen vorgefallen. Beate seufzte. Dann kam ihr eine Idee.
Sie steckte Carls Brief ein. Sie nahm die Impfstoffe aus dem Schrank und überprüfte noch einmal ihre Arzttasche. Sie zog ihre Jacke an. Im Stehen schrieb sie einen Zettel.
Sie heftete den Zettel an die Tür. Darauf stand:
›Praxis heute geschlossen!
Bin nur für dringende Notfälle über das Handy erreichbar!
Beate‹
Dann stieg sie in ihren Geländewagen und fuhr hinauf zu Wendys Alm.
Wendy kniete vor der Almhütte auf dem Boden. Bella, die Neufundländerhündin, lag vor ihr auf dem Boden. Sie genoss, dass Wendy sie kämmte und bürstete. Als Wendy sah, dass Beate kam, fasste sie Bella am Halsband und hielt sie fest.
»Hallo, Wendy!«
»Grüß Gott, Beate! Augenblick, ich muss mich zuerst um Bella kümmern. Sie ist sehr wachsam und lässt keinen näher heran, den sie nicht kennt.«
Wendy ließ Bella Sitz machen. Sie stellte sich vor die Hündin. Jedes Mal, wenn sie aufstehen wollte, wiederholte Wendy den Befehl.
»Sie wird mit jedem Tag folgsamer, Beate.«
Doktor Beate Brand lächelte.
»Dann haben Toni und Anna also auf mich gehört und Bella zu dir gebracht«, sagte Beate.
»Ja, Bella ist schon eine Woche bei mir.«
»Versucht sie nicht, hinauf zur Berghütte zu laufen?«, fragte Beate.
»Nach Annas Anweisung trainiere ich mit ihr jeden Tag mit den Packtaschen und dem Aluminiumwägelchen. Bella lernt schnell. Sie bleibt auf dem Geröllfeld stehen und geht auch schön wieder mit mir hinunter auf die Alm. Jedenfalls läuft alles reibungslos, solange sie Bello und Benno nicht zu Gesicht bekommt.«
»Es wird schon werden. Es dauert seine Zeit, bis sie sich eingewöhnt hat und so weit ist, dass sie Bellos Aufgaben übernimmt. Bello war in jeder Beziehung ein ungewöhnlicher Hund.«
»Toni und Anna bedauern sehr, dass Bella sich nicht mit ihm verträgt.«
»Das kommt vor. Kein Experte kann dir sagen, warum das so ist, Wendy.«
Wendy schmunzelte.
»Es wird bei Hunden nicht anders sein als bei Menschen. Wir mögen auch nicht jeden.«
»Ja, so ist es.«
Bella stand auf, ging auf die Tierärztin zu. Sie setzte sich und hob die Pfote.
»Aha, sie hat dich akzeptiert. Komm, gehen wir in die Almhütte! Es ist Kaffee in der Thermoskanne. Ich wollte ohnehin einen Becher trinken. Nach dem morgendlichen Bürsten mache ich immer eine kleine Pause.«
Beate folgte Wendy in die Almhütte.
»Die Neufundländer, mit ihrem dicken und dichten Fell, machen Arbeit«, sagte Beate.
»Das stimmt. Aber ich habe gleich mein Herz an Bella verloren, als ich sie zum ersten Mal sah. Und bei ihr war es wohl auch Liebe auf den ersten Blick. Als Annas Großeltern sie brachten und sie aus dem Auto ließen, stürmte sie freudig auf mich zu. Sie folgt mir auf Schritt und Tritt. Ich muss ihr nur noch beibringen, sich nicht auf mein Bett zu legen. Ich habe einige Male vergessen, die Tür abzuschließen und schon hatte sie es sich bequem gemacht. Toni will den Türgriff gegen einen runden Knauf austauschen. Dann ist das auch gelöst.«
Wendy schickte Bella auf das Sofa, das sie mit einer großen Decke abgedeckt hatte.
»Man sieht es«, sagte Beate, »Bella fühlt sich sehr wohl bei dir.«
»Oh ja, Beate! Sie ist im Grunde eine sehr fügsame Hündin. In ein paar Wochen wird sie weitere Lektionen gelernt haben, dann wird es einfacher für mich. Sie muss lernen, den Stall und die Käsekammer nicht zu betreten. Es gab Tage, da habe ich Bella vier Mal gebadet. Ich habe mir überlegt, dass ich ihr das Fell etwas kürze. Wir haben Sommer und da braucht sie das dicke Fell nicht und für mich wäre es einfacher. Anna will mir dabei helfen. Sie wird etwas verunstaltet aussehen, die gute Bella.«
»Ach, das macht nichts. Neufundländer sind mit ihrem langen, dichten Fell eigentlich keine Hunde für auf den Bauernhof oder eine Alm. Da sie aber sehr gute Arbeitshunde sind, kann man schon einen Kompromiss machen.«
Wendy schenkte zwei Becher voll. Sie tranken Kaffee.
Beate erzählte von ihrem nächtlichen Einsatz im Kuhstall.
»Es war ein großes, starkes Bullenkalb, ein richtiges Prachtexemplar. Ich bin sicher, der kleine Bulle wird ein prächtiger Zuchtbulle, der Preise gewinnt. Dann haben wir wieder einen jüngeren Zuchtbullen in Waldkogel. Der andere ist schon älter. Franzl heißt er. Er war ein schwaches Kälbchen, als er zur Welt kam, aber er wurde aufgepäppelt. Doch nun kommt er in die Jahre. Gut, dass jetzt ein weiterer Bulle heranwächst«, erzählte Beate.
»Hat er schon einen Namen?«
»Ja, sie nennen ihn Heinrich.«
Bella kam vom Sofa herunter und kuschelte sich an Beate.
»Sie mag dich«, lächelte Wendy.
Beate lachte.
»Dann wollen wir hoffen, dass sie mich nach der Untersuchung und der Impfung auch noch mag.«
»Dann ist dein Besuch dienstlich und nicht freundschaftlich«, bemerkte Wendy.
»Er ist beides.«
»Ich hoffe, du besuchst mich auch mal so, nur zu einem Kaffee«, sagte Wendy.
»Sicher, wenn ich Zeit habe, mache ich das. Jetzt werde ich Bella untersuchen. Hast du ihre Papiere?«
Wendy holte eine dünne Mappe. Darin waren Bellas Papiere, der Stammbaum, Berichte des Tierarztes und das Impfbuch. Beate las Seite für Seite.
Sie beugte sich zu Bella herab und streichelte sie.
»Alles in Ordnung, Bella. Du musst erst im nächsten Jahr wieder geimpft werden«, sagte Beate. »Wenn du zum Einkaufen im Dorf bist, Wendy, komme mit Bella vorbei. Dann lernt sie die Praxisräume kennen. Es ist gut, wenn ein Tier recht oft bei mir in der Praxis ist und lernt, dass das kein schlimmer Ort ist. Falls mal ein Notfall eintritt, ist das ein Vorteil. Die Tiere sind dann ruhiger.«
»Das mache ich, Beate.«
»Komm spät, dann machen wir uns einen schönen Abend.«
»Danke für die Einladung! Das werde ich tun, ganz sicher. Die Abende sind ohnehin etwas langweilig, jedenfalls gelegentlich.«
»So?«, wunderte sich Beate. »Aber Franziska ist doch bei dir, richtig?«
»Ja, das stimmt. Franziska hat sich für eine Weile hier einquartiert. Aber sie geht abends meistens aus, Kino, Disco und so weiter. Du kennst das.«
»Und du hast keine Lust mitzugehen?«, fragte Beate erstaunt.
»Weniger, ich bin nicht so der Discofreak. Das ist mir zu laut. Außerdem könnte Franziska denken, ich käme als Aufpasserin mit. Es ist gelegentlich nicht leicht, die große Schwester zu sein, habe ich festgestellt.«
»Aber ihr versteht euch doch gut oder nicht?«
»Ja, wir verstehen uns gut. Ich habe Franziska sehr gern. Aber sie kann auch stur sein. Hinter der zarten Fassade verbirgt sich noch eine ganz andere Franziska.«
»Ist das nicht immer so, in dem Alter?«, lachte Beate. »Wenn ich zurückdenke, wie ich in dem Alter war!«
Wendy schmunzelte.
»Stimmt, Beate! Franziska macht wohl die Phase der Freiheit durch, jetzt nach ihrem achtzehnten Geburtstag.«
»Das geht auch vorbei«, lächelte Beate. »Wahrscheinlich machst du es richtig, dass du sie allein um die Häuser ziehen lässt mit ihren Freundinnen.«
Beate trank ihren Kaffee aus. Sie stand auf.
»Ich will noch hinauf zur Berghütte, nach dem kleinen Welpen sehen.«
Sie verabschiedeten sich voneinander.
Beate schenkte Bella noch ein Hundeleckerli. Dann machte sie sich auf den Weg hinauf zur Berghütte.
Als Beate das Geröllfeld betrat, sah sie, dass Toni und Anna auf der Terrasse saßen. Benno saß neben Anna und kaute an einem Stück Holz.
»Grüß Gott, alle zusammen!«, rief Beate.
»Grüß Gott. Beate!«, sagte Toni. »Freut mich, dass du doch nicht so nachtragend bist. Du warst ganz schön verärgert, nachdem du mit Carl zusammengetroffen bist.«
Beate grüßte Anna.
»Ich möchte mich bei euch entschuldigen. Ich war wütend auf Carl und ärgerlich über mich. Ihr habt es gut gemeint. Ich war nur so überrascht, als ich ihn auf Wendys Alm sah. Ich war nicht vorbereitet und fühlte mich irgendwie ausgeliefert. Ich habe mich verhalten wie eine dumme Gans, und binnen Minuten haben Carl und ich uns angegiftet. Dabei wollte ich es nicht. Ich regiere über, bei allem, was sich um Carl dreht. Meine Gefühle schwanken von einem Extrem ins andere. Ich kann es heute nicht mehr verstehen, dass ich ihm damals den Laufpass gegeben habe – aus dummer und eigentlich unbegründeter Eifersucht.«
»Magst du Kaffee?«, fragte Toni.
»Nein danke, ich habe mit Wendy einen Becher getrunken. Später nehme ich vielleicht einen kalten Kräutertee. Als ich bei Wendy war, habe ich mir die Papiere von Bella angeschaut. Es ist alles in Ordnung. Sie muss erst nächstes Jahr wieder geimpft werden.«
Beate erzählte, dass sie Wendys zu sich eingeladen hatte, damit Bella die Praxis kennenlernte.
»Und ihr kommt auch öfters mit Benno vorbei, damit er mich kennenlernt und im Fall eines Notfalls weiß, dass die Praxis keine Bedrohung ist.«
Anna und Toni versprachen es.
Toni holte Bennos Papiere. Beate las sie.
»Mit ihm ist auch alles bestens in Ordnung. Er muss nicht geimpft werden. Dafür haben deine Großeltern schon gesorgt. Das ist fein.«
Beate blickte neben sich und betrachtete den jungen Hund. Sie lächelte.
»So ein Stück Holz mit Rinde ist gut für ihn. Da kann er darauf herum beißen. Wenn nach den Milchzähnen die richtigen Zähne kommen, juckt das, und dann ist so ein Stück Holz genau richtig.«
Beate kniete sich kurz neben den jungen Hund und überprüfte sein Gebiss.
»Es ist so, wie ich es gesagt habe«, sagte Beate.
Sie ging zum Gebirgsbach und säuberte sich die Hände.
Als sie zum Tisch zurückkam, hatte Toni einen Krug mit kalten Kräutertee geholt. Er schenkte Beate das Glas voll.
»Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast heraufzukommen«, sagte Anna. »Einer von uns wollte schon längst mit Benno in die Praxis kommen. Aber wir haben viel zu tun.«
Beate schaute sich um.
»Wo ist Alois?«, fragte sie.
»Alois ist in München bei seiner Enkelin und den beiden Urenkeln. Er besucht Charlotte und Magnus sehr oft. Die kleine Hedwig und ihr Bruder Mauritius sind überglücklich, wenn Alois zu Besuch ist. Sie wollen ihn gar nicht mehr fortlassen. Und Alois tun die Besuche gut«, erzählte Toni.
Beate stimmte ihm zu, wusste sie doch, dass es Alois nicht vergönnt gewesen war, seine Enkel Kuno, Sophie und Charlotte aufwachsen zu sehen, wegen der Familienfehde.
Beate trank einen Schluck Kräutertee.
»Also, dass ich heute heraufgekommen bin, habt ihr eigentlich Carl zu verdanken«, sagte Beate.
Dabei schaute sie etwas verlegen aus und errötete leicht. Sie griff in ihre Jackentasche und zog den Brief heraus.
»Hier, der ist heute Morgen gekommen. Ich musste mit jemanden darüber reden. Ihr könnt ihn lesen.«
Toni nahm das Blatt aus dem Umschlag und faltete es auf. Anna und er lasen gemeinsam.
»Und?«, fragte Anna und schaute Beate dabei an.
Beate zuckte mit den Schultern.
»Der Brief ist kurz und sachlich«, bemerkte Toni.
Er las ihn laut vor:
»Liebe Beate,
sicherlich weißt Du, dass Petra und Adam am Bodensee ihre Hochzeit feiern. Dir wird auch bekannt sein, dass wir herzlich eingeladen sind. Adam besteht darauf, dass ich sein Trauzeuge bin. Ich weiß von den beiden, dass Du nicht mitfeiern möchtest. Ich hoffe, ich bin nicht der Grund dafür. Petra ist sehr betrübt, dass Du abgesagt hast.
Als wir uns unverhofft auf Wendys Alm begegnet sind, ist unser Gespräch nicht glücklich verlaufen. Wir sind erwachsene Menschen und es sollte uns möglich sein, unter die Vergangenheit einen Schlussstrich zu ziehen und uns zivilisiert zu verhalten.
Petras und Adams Hochzeit könnte für uns der Anfang einer neuen Gesprächskultur werden.
Ich würde mich sehr freuen, Dich auf der Feier zu sehen.
Mit lieben Grüßen
Carl«
Toni steckte den Brief wieder in das Kuvert und gab ihn Beate zurück.
»Das klingt doch gut, Beate. Und um in Carls Worten zu bleiben, es klingt sehr zivilisiert. Fährst du hin?«
Beate zuckte mit den Schultern.
Anna griff über den Tisch nach Beates Hand.
»Du liebst ihn doch. Du hast Carl immer geliebt. Jetzt gib dir einen Ruck, Beate!«
Beate errötete tief. Sie seufzte hörbar.
»Ich habe Herzrasen bekommen, als ich die Zeilen las, Anna. Sagt, ob ich mich irre! Steht da nicht noch mehr zwischen den Zeilen? Oder bilde ich mit das nur ein?«
»Man kann es so deuten, dass er auf eine neue Chance hofft«, sagte Toni. »Vielleicht sogar auf eine Chance zur Erneuerung der alten Freundschaft. Ob damit auch Liebe gemeint ist, das musst du selbst herausfinden, Beate. Auf jeden Fall rate ich dir, zur Hochzeit deiner Freundin zu fahren. Es ist nicht weit bis zum Bodensee. Sicherlich kann ein Kollege oder eine Kollegin aus Kirchwalden für ein oder zwei Tage deine Praxis mit übernehmen.«
Toni drehte sich zu Anna um, die neben ihm saß.
»Anna, wie deutest du den Brief?«
»Ich deute ihn genauso wie du, Toni. Carl bietet an, einen Schlussstrich zu ziehen und einen neuen Anfang ins Auge zu fassen.«
Anna sah Beate an.
»Beate, es scheint ihm etwas an dir zu liegen. Ich denke, dass er über euer misslungenes Zusammentreffen auf Wendys Alm genauso betrübt ist wie du.«
»Meinst du wirklich, Anna?«
»Ja, da bin ich mir sehr sicher. Das wird schon, Beate!«
»Mir ist es etwas flau, gestehe ich. Auf der Hochzeit sind viele Leute und ich kann sicher sein, dass wir kaum Gelegenheit haben werden für eine ruhige Aussprache. Es wäre schon ein Fortschritt, wenn wir uns nicht mit spitzen Worten attackieren«, sagte Beate.
Toni und Anna sahen sich an.
»Darf ich dir einen Vorschlag machen, Beate?«
»Ja, Toni. Was geht dir durch den Kopf?«
Toni rieb sich das Kinn.
»Es ist nur ein Vorschlag. Bitte, höre ihn dir in aller Ruhe an! Dann entscheide. Du kannst dir auch gern Zeit lassen, um in Ruhe darüber nachzudenken.«
Anna lächelte. Sie ahnte, was Toni sagen wollte.
»Beate«, sagte Toni mit ruhiger Stimme, »du könntest Bello zu Annas Großeltern bringen. Dort bleibst du einige Tage und nimmst Kontakt mit Carl auf. Er ist der Nachbar von Annas Großeltern. Und wenn du nicht weißt, wie du es anstellen sollst, helfen dir Annas Großeltern bestimmt dabei.«
»Beate«, sagte Anna, »meine Großeltern sind mit Carl befreundet. Sie bemuttern ihn nach dem Tod seiner Frau. Ich weiß, dass sie ihn oft einladen. Wahrscheinlich hat er mit ihnen über dich gesprochen. Was er gesagt hat, weiß ich nicht. Du solltest selbst mit meinen Großeltern sprechen. Wenn du dich entscheidest, Carl sehen zu wollen, dann können sie ihn einladen. Oder er kommt von selbst zu Besuch, weil er gehört hat, dass du Bello bringst. Ich denke, das wäre eine gute Gelegenheit für euch zu reden, bevor ihr euch eventuell auf der Hochzeit von Petra und Adam begegnet. Überlege es dir, Beate.«
Beate seufzte tief.
»Nun, wahrscheinlich habt ihr recht. Aber das ist keine endgültige Entscheidung. Bitte versteht mich! Ich muss noch einmal darüber schlafen. Außerdem muss ich eine Praxisvertretung suchen. Der Gedanke ist schon reizvoll. Ich hätte auch einmal einen überfälligen Tapetenwechsel. Diesmal könnte ich mir genau überlegen, was ich zu ihm sagen will. Sollte ich ihn sehen, dann würde es mich nicht unvorbereitet treffen.«
»Genau darum geht es, Beate. Mach dir doch schriftlich Stichpunkte! Oder schreibe alles auf und gib ihm einen Brief. Das ist vielleicht besser, falls du dich fürchtest, in der Situation doch nicht die richtigen Worte zu finden«, schlug Toni vor.
Beate nickte.
»Dein Vorschlag ist nicht schlecht, Toni. Anna, frage mal bei deinen Großeltern an, wann ich Bello bringen und wo ich übernachten könnte.«
»Du quartierst dich bei meinen Großeltern ein. Das ist doch klar. Es gibt dort immer noch mein Zimmer, das ich in den Ferien bewohnte, wenn ich bei ihnen war. Das kannst du haben.«
Anna schaute auf die Uhr.
»Ich werde meine Großeltern später anrufen. Danach ruf ich dich in der Praxis an.«
»Kannst du sie ein wenig aushorchen?«, fragte Beate verlegen.
»Das mache ich, darauf kannst du dich verlassen.«
Beate erzählte, dass sie die Praxis für heute geschlossen hatte.
»Es war eine anstrengende Nacht gewesen. Dann kam der Brief, der mich sehr aufgewühlt hat. Könnt ihr mir einen Biwakschlafsack geben? Ich will eine Wanderung machen. Ich suche mir irgendwo ein ruhiges Plätzchen und lege mich hin. Es gibt ja jetzt genug, worüber ich nachdenken kann.«
Toni stand auf. Er richtete für Beate Proviant und gab ihr eine Bodenmatte und einen Biwakschlafsack. Er empfahl ihr, hinauf zum ›Paradiesgarten‹ zu wandern.
»Dort wirst du allein sein und dein Herz wird Ruhe finden.«
Beate brach auf. Der kleine Benno lief ihr nach. Er reagierte nicht, als Anna und Toni ihn riefen.
»Es sieht so aus, als wollte er mitkommen«, lachte Anna.
»Gut, dann gib mir die Leine! Ich nehme ihn gern mit.«
Beate nahm Benno an die Leine und ging jetzt endgültig los.
»Anna, Benno spürt, dass Beate Beistand und liebe Gesellschaft braucht.«
»Ja, das tut er. Darin ist er genau wie Bello.« Anna seufzte tief. »Ach, Toni, Bello wird mir sehr fehlen, wenn er fort ist.«
Toni nahm Anna fest in den Arm.
»Mir wird er auch fehlen. Aber er wird es bei deinen Großeltern sehr gut haben. Wir werden ihn im Winter besuchen.«
Toni hielt Anna eine Weile fest an sich gedrückt. Er streichelte ihr das Haar und drückte ihr einen Kuss darauf.
»Es ist ganz natürlich, traurig zu sein, wenn Bello uns verlässt, Anna. Ich bin es auch. Bello gehört zu uns. Ohne ihn hätten wir uns nie kennengelernt.«
Anna schlang ihre Arme um Tonis Hals und sie küssten sich.
»Wie zwei junge Verliebte. Was für ein schönes Bild!«
Toni fuhr herum.
»Wendy, wir haben dich gar nicht kommen gehört!«
Toni und Anna begrüßten Wendy herzlich.
»Wo ist Bella?«, fragte Anna.
»Bella habe ich in die Almhütte eingeschlossen. Deshalb kann ich nicht lange bleiben. Sie muss lernen, allein zu bleiben. Ich wollte euch nur schnell Hallo sagen, dann mache ich mich wieder auf den Weg. Wo ist Ole?«
»Ole ist in seiner Kammer und sitzt über Unterlagen«, erklärte Anna.
»Das hat bestimmt etwas mit der neuen Stelle zu tun, die ihm angeboten wurde. Ich sage ihm auch schnell Hallo«, sagte Wendy und lief in die Berghütte.
Es dauerte nicht lange, dann kam sie mit Ole auf die Terrasse.
»Ole kommt mit mir auf die Alm«, sagte Wendy.
Anna packte Kuchen ein, den sie am frühen Morgen gebacken hatte. Dann gingen Ole und Wendy los.
*
Wendy polierte ihren Oldtimertraktor. Bella lag in ihrer Nähe im Schatten.
Es kam ein Auto und parkte. Wendy sah auf und erkannte Lukas Meininger. Er stieg aus und kam auf Wendy zu.
»Grüß Gott, Wendy!«
»Hallo, Lukas! Das ist ja eine Überraschung. Heute keine Uni?«
Wendy zeigte ihm ihre verschmierten Hände. Lukas lächelte. Seine Augen glitten über den alten Traktor.
»Tolles Teil« , sagte er anerkennend.
»Ja, ich bin auch sehr stolz darauf. Die alte Walli Schwanninger hat ihm mir überlassen. Er ist noch von ihrem Mann. Er fährt zuverlässig und verbraucht wenig Kraftstoff. Ich decke ihn mit einer Plane ab, bis der Carport fertig ist. Wir bauen eine breite Überdachung rund um die Almhütte, so groß, dass der Traktor an der Giebelseite ein schönes trockenes Plätzchen hat. Im Winter stelle ich ihn bei Martin in die Scheune. Es wäre zu schade, ihn Schnee und Eis auszusetzen.«
Lukas lachte. »Du spricht liebevoll und besorgt von dem alten Stück.«
»Ja, so machen das Oldtimerliebhaber.«
»Der ist ganz schön was wert.«
Wendys Gesicht verfinsterte sich.
»Lukas, ich kann es nicht ausstehen, wenn man beim Anblick eines alten Stücks so materiell denkt. Da werde ich wütend. Ich warne dich. Ich kann ungehalten werden. Neulich war ich mit ihm unterwegs in Kirchwalden, da wurde ich angesprochen und so ein Großkopferter wollte ihn mir abschwatzen. Den habe ich vielleicht zurechtgestaucht, das sage ich dir. Es gibt Werte, die sind nicht in Geld zu beziffern.«
Bella reagierte auf Wendys erhöhte und spitze Stimmlage. Sie stand auf und knurrte leise. Wendy lachte.
»Siehst du, Bella ist meiner Meinung. Sie liebt den Traktor ebenfalls und sitzt stolz auf einem der Sitze über den Radkappen, wenn ich ins Dorf einkaufen fahre.«
Wendy ließ Bella Sitz machen.
Lukas hob abwehrend die Hände.
»Entschuldige bitte, Wendy! Ich wollte dich nicht kränken.«
»Okay, Entschuldigung angenommen.«
»Das freut mich.«
»Wendy, ist Franziska drin?«
»Nein, sie ist wandern.«
Lukas rieb sich das Kinn. »Schade! Weißt du, wann sie zurück ist?«
»Nein.«
»Mm, dann muss ich noch einmal wiederkommen. Ich wollte sie fragen, wie es ihr geht.«
Wendy sah Lukas fragend an. »Wieso? Deshalb bist du extra hergekommen? Du hättest sie auch anrufen können.«
Lukas schüttelte den Kopf.
»Glaubst du nicht, das hätte ich nicht versucht? Sie drückt meine Nummer weg.«
Wendy unterdrückte ein Schmunzeln. Blitzschnell entschied sie, sich nicht einzumischen. Dass sich Franziska mit Liebeskummer quälte, war allein ihre Angelegenheit. Es war ohnehin schon kompliziert genug mit ihr. So sagte sie:
»Franziska hat sich heute und morgen freigenommen, weil sie am Wochenende bei euch auf dem Hof ist.«
»Ich weiß. Franziska macht im Augenblick Dienst nach Vorschrift. Sie rechnet ihre Arbeitszeit minutengenau ab.«
»Dazu kann ich nichts sagen, Lukas. Das ist Franziskas Angelegenheit.«
Lukas seufzte.
»Ja, das stimmt schon«, sagte er leise. »Außerdem bin ich nach dem Vorfall neulich besorgt um Franziska. Nicht nur, dass sie sich verändert hat. Sie übernachtet nicht mehr bei uns und weigert sich, an den Mahlzeiten teilzunehmen. Sie sitzt in den Pausen im Garten oder hinter der Scheune. Meine Eltern werden aus ihr nicht schlau. Und seit der Sache kürzlich machen sich meine Eltern Gedanken und ich ebenso. Meine Eltern hatten die Hoffnung, dass ich etwas aus Franziska herausbekomme. Okay, wenn sie nicht da ist, dann komme ich wieder. Bitte sage ihr nicht, dass ich hier war!«
»Warum?«
»Weil ich vermute, dass sie mich nicht sehen will. Sie nimmt meine Gespräche nicht an. Sie ruft mich nicht zurück, wenn ich ihr auf den Anrufbeantworter spreche.«
»Franziska wird ihre Gründe haben, Lukas.«
»Ja, jeder hat mal eine Phase, in der er am liebsten vor sich hin brütet. Aber bei Franziska scheint es etwas Ernstes zu sein. Kannst du mir sagen, ob Franziska bei Doktor Martin Engler war?«
»Bei Martin? Du meinst nicht zu Besuch, sondern als Patientin?« Sie sah ihn überrascht an. »Ihr vermutet, sie ist krank? Wieso?«
Lukas erkannte, dass Franziska Wendy nichts von dem Ohnmachtsanfall erzählt hatte. Er bereute, etwas gesagt zu haben und wurde tiefrot.
In Wendys Kopf rasten Gedanken und Vermutungen durcheinander. Bei jungen Frauen gab es oft einen Grund, der tief in das Leben eingriff. Solle Franziska … nein… dann hätte ich etwas bemerkt… aber ich habe auch nicht darauf geachtet. So eine Möglichkeit musste Wendy in Erwägung ziehen, nach Lukas Andeutungen.
Wendy wollte mehr erfahren. Waren sich Lukas und Franziska nähergekommen?
»Ich bin mit dem Traktor fertig. Ich wasche mir schnell die Hände. Ich wollte sowieso eine Kaffeepause machen. Darf ich dich einladen?«
»Gern, Wendy, sehr gern. Ich war nämlich noch nicht daheim. Ich komme geradewegs aus München.«
Wendy bat Lukas in die Almhütte zu gehen. Sie säuberte ihre Hände am Brunnen.
Als Wendy hereinkam, stand Lukas mitten in dem großen Raum, der Küche, Wohnzimmer und Esszimmer in einem war.
»Mei, hat sich die Almhütte verändert! Sie ist nicht wiederzuerkennen. Sieht großartig aus«, sagte er.
»Danke! Ich werde noch Einiges verändern. Seit Bella hier ist, thront sie gern auf dem Sofa. Aber ich bin froh, dass sie bei mir ist.«
»Sie ist eine sehr schöne Hündin. Sie hat ihren Namen zurecht. Bella bedeutet schließlich ›die Schöne‹.«
Wendy lachte.
»Ich bin sicher, sie ist sich ihrer Schönheit bewusst.«
Sie lachten.
Wendy holte Becher, Sahne und Zucker. Sie stellte auch die Keksdose mit Plätzchen auf den Tisch, die sie nach einem norwegischen Rezept gebacken hatte. Dann schenkte sie Kaffee aus der Thermoskanne ein.
»So und jetzt will ich alles wissen. Was ist passiert? Du hast gewisse Andeutungen gemacht, Lukas, aus denen ich nicht schlau werde. Warum sollte Franziska zu Doktor Martin Engler gehen?«
Lukas wurde verlegen. Um Zeit zu gewinnen, nickte er erst einmal. Er gab Sahne und Zucker in seinen Kaffee und rührte langsam um.
Wendy betrachtete ihn. Er war in Gedanken.
Endlich schaute er sie an.
»Du weißt nicht, dass Franziskas kürzlich bei uns auf dem Hof das Bewusstsein verloren hat?«
»Wie bitte?«, schrie Wendy erschrocken auf.
»Ja, sie war am Brunnen und kühlte sich ab, dann fiel sie zu Boden. Zum Glück hat sie sich zuerst auf den Boden gesetzt, als sie bemerkte, dass ihr schummrig wurde. Dann sank sie zur Seite. Ronja war dabei und rief um Hilfe.«
Wendy hielt sich die Hand vor den Mund. Sie war entsetzt.
»Nein, Franziska hat es mit keinem Piep erwähnt. Erzähle weiter!«
Lukas berichtete, was er von seinen Eltern und Tante Erika erfahren hatte. Simon Meininger, Lukas Vater, hatte Franziska ins Haus getragen. Sie kam bald wieder zu sich. Nach mehreren Gläsern Wasser ging es ihr wieder gut.
»Meine Eltern wollten Martin verständigen. Aber Franziska wurde wütend, als sie es hörte. Sie behauptete, nicht gefrühstückt zu haben. Sie machte dann eine Pause und aß etwas. Tante Erika brachte ihr einen starken Kaffee.«
Wendy seufzte und schüttelte den Kopf.
»Sie hat nichts erzählt, sonst hätte ich sie zu Martin gebracht.«
»Franziska musste versprechen, Martin aufzusuchen«, sagte Lukas. »Wir machen uns natürlich alle Sorgen.«
»Das ist verständlich. Ich bin ebenfalls entsetzt und sehr besorgt. Was hat sie nur? Warum macht sie ein Geheimnis daraus?«
Lukas zuckte mit den Schultern.
Er berichtete, dass sein Vater Franziska alle Arbeiten verboten hatte, bei denen sie irgendwo herunterfallen könnte.
»Sie darf nicht auf den Heuboden, soll auf keine Leiter und keinen Stuhl klettern. Sie hält sich aber nicht daran.«
Wendy seufzte.
»Lukas, danke, dass du mir das erzählt hast. Ich hatte keine Ahnung.«
»Dann hast du auch nicht bemerkt, ob ihr mal wieder schummrig war?«
»Nein, niemals! Aber sooft sehe ich Franziska auch nicht. Früh am Morgen macht sie sich auf den Weg zum Hof. Abends geht sie aus. Sie trifft sich wohl mit ihren Freundinnen.«
»Okay, jetzt weißt du es, Wendy. Aber bitte sage ihr nicht, dass du die Information von mir hast. Franziska ist im Augenblick stur und verbohrt. Sie würde nie mehr ein einziges Wort mit mir sprechen, sagt sie. Sie beschränkt ohnehin jedes Gespräch auf das Notwendigste. Okay, ich sehe sie auch nicht mehr so oft wie früher. Ich bin viel in München, und sie ist selten da, wenn ich zu Besuch komme.«
Wendy nickte und dachte sich ihren Teil. Lukas hatte keine Ahnung von Franziskas Liebeskummer und ihrer Eifersucht auf Hella. Aber das Thema wollte sie nicht berühren.
»Also, ich kann nur sagen, dass mir an Franziska keine körperlichen Schwächen aufgefallen sind, Lukas. Wenn wir zusammen essen, greift sie tüchtig zu. Sie ist lebhaft und sehr unternehmungslustig. Sie geht viel aus. Vielleicht macht ihr euch unnötig Sorgen. Franziska war nie unvernünftig. Wenn sie sich krank fühlte, hätte sie sicher Martin konsultiert. Außerdem ist sie nicht verpflichtet, mit euch oder mit mir über ihre Befindlichkeit zu sprechen. Wahrscheinlich war sie wirklich nur überhitzt und hatte zu wenig gegessen und getrunken.«
Damit versuchte sie nicht nur Lukas zu beruhigen, sondern auch sich selbst. Sie versuchte ihren Verdacht zu verdrängen, dass Franziska in einen ›Zustand‹ gekommen sein könnte, wie man es im Volksmund diskret umschrieb.
Sie lächelte Lukas an. »Du kannst gern noch einmal vorbeikommen, wenn Wendy da ist.«
Lukas zog die Stirn in Falten.
»Ich muss nach München zurück. Sicher kann ich jederzeit herfahren. Aber ich wüsste dann schon gern, dass sie wirklich hier ist.«
»Du kannst mich vorher anrufen, Lukas. Franziska braucht nichts davon zu wissen. Das kann gern unter uns bleiben. Ich möchte auch keinen Streit mit Franziska, von wegen, ich hätte versucht, sie zu manipulieren oder mich einzumischen. Du hast vollkommen recht. Mit Franziska ist im Augenblick nicht gut Kirschen essen.«
»Ja, das stimmt. Sie braust schnell auf, wird wegen jeder Kleinigkeit wütend oder sie ist tief beleidigt. Ronja und sie brüllen sich öfters an. Früher hatte Franziska unendlich Geduld mit meiner kleinen Schwester. Jetzt unterliegt sie Stimmungsschwankungen.«
Wendy deutete das als weiteren Hinweis für ihren Verdacht.
Lukas redete weiter: »Ronja ist sehr quirlig und mischt sich in alles ein. Du kennst sie. Früher hat Franziska über sie gelacht und über vieles hinweggesehen, wo ich sehr ärgerlich geworden wäre. Sie sagte immer zu mir, dass ein solches Verhalten bei Madln in Ronjas Alter normal sei. Das gehe vorüber.«
»Normal ist ein dehnbarer Begriff, Lukas«, sagte Wendy. »Aber es stimmt, die Pubertät ist nicht einfach. Ich erinnere mich an meine Zeit. Damals dachte ich, keiner versteht mich. Die Welt schien mir verschroben und ungerecht. Ich versuchte, meine Vorstellungen zu ordnen und der Alltag wurde nicht besser, sondern schwieriger. Meine Eltern, also Ole und Jette, hatten viel Geduld mit mir.« Wendy lächelte. »Von Anna weiß ich, dass die Launen der Pubertät fast spurlos an Franziska vorbeigegangen waren. Sie war nicht streitlustig, hatte keine Launen. Vielleicht hat sich diese Launenhaftigkeit einfach verschoben? Damals, in Franziskas Pubertät, litt sie vielleicht heimlich noch unter dem Verlust ihrer leiblichen Eltern, und war deshalb sehr ruhig. Wer kann das schon wissen? Das Verhältnis von Franziska und ihrem Bruder Sebastian zu Toni und Anna war immer großartig. Doch wer weiß, was sich unter der Oberfläche abspielte.«
»Das stimmt, Wendy. Du bist eine kluge Frau. Der Verlust ihrer Eltern hat Franziska sehr getroffen. Sie hängt am Bichler Hof. Bevor sie so launenhaft wurde, will ich mal sagen, verging kein Tag, an dem sich nicht von ihrer Kindheit auf dem Hof gesprochen hat. Besonders wenn sie mit mir allein war, erzählte sie viel davon, wie es damals war.«
Wendy trank einen Schluck Kaffee.
»Es kann sein, dass die Zeit bei euch auf dem Hof alte Wunden aufgerissen hat. Vielleicht grollt Franziska nur dem Schicksal, das ihr und Sebastian die Eltern genommen hat? Manch einer verarbeitet solche Verluste gleich in der darauffolgenden Zeit. Bei anderen kommt es erst später heraus. Aber darüber hinweg kommt wohl niemand. Klar muss jeder einmal im Leben den Verlust der Eltern bewältigen oder eines Elternteils. Du weißt, dass ich meine Mutter verloren habe. Aber ich hatte noch Ole. Er war ein sehr lieber Vater. Unserer Zuneigung tat es keinen Abbruch, als ich dann erfuhr, dass er nicht mein leiblicher Vater war. Außerdem war ich schon älter, und Jette war sehr krank gewesen. Franziska war zehn Jahre alt und ihr Bruder Sebastian zwölf, als ihre Eltern vor ihren Augen verunglückten, bei dem Bergrutsch am unteren Hang des ›Höllentors‹. Sie waren beide noch Kinder. Vielleicht hatte Franziska vieles verdrängt.«
»Das wäre ein mögliche Erklärung«, sagte Lukas.
»Dann nehmen wir das einfach mal an und warten ab. Vielleicht ist unsere Sorge unbegründet, Lukas.«
Wendy lächelte Lukas an und fuhr fort.
»Also, ich verspreche dir, dass ich Augen und Ohren offenhalte. Sollte ich eine…« Wendy suchte nach Worten, die neutral klangen, »sollte ich eine Schwäche bemerken, dann gehe ich der Sache nach. Aber ich werde dabei ganz behutsam vorgehen, sonst bekomme ich nichts heraus. Ich verspreche dir, dass ich dich anrufe, falls etwas vorfällt, okay?«
»Danke! Hast du meine Handynummer?«, fragte Lukas.
Wendy verneinte. Schnell tauschten sie die Telefonnummern aus.
»So, dann wäre das geregelt«, sagte Wendy zufrieden.
Sie machte nach außen hin einen ruhigen und sicheren Eindruck. Doch innerlich schrillten bei ihr alle Alarmglocken. Es kostete sie viel Kraft, sich zu beherrschen. Doch sie hütete sich davor, sich etwas anmerken zu lassen.
Wendy dachte an die Abende, an denen sie gemeinsam die Almhütte verschönt hatten. Dabei hatte Franziska munter wie ein Fisch geplaudert. Sie hatte von ihren Träumen erzählt, wie sie später den Hof ihrer Eltern renovieren würde, wenn sie dort Bäuerin wäre. Dabei hatte sie Lukas in ihre Pläne einbezogen. Lukas und sie würden als Paar auf dem Hof leben und ihn bewirtschaften. Sie würden seltene Schweine, Ziegen und Schafe züchten und sich damit eine solide Existenz schaffen. Lukas und sie würden Kinder haben. Dem Jungen wollte sie den Vornamen ihres Vaters geben, Albrecht. Das erste Mädchen sollte nach ihrer Mutter heißen, Wilhelma.
Dass nach dem Auftauchen von Helene von Markschlottens Franziskas Traumwelt einen tiefen Riss bekommen hatte, verstand Wendy nur zu gut. Vielleicht hatte dies Franziska die Beine weggezogen? Zu gern hätte Wendy gefragt, wie Lukas ganz privat zu Franziska steht.
Magst du meine Schwester?
Bist du in Franziska verliebt?
Weißt du, dass sie in dich verliebt ist?
Kannst du dir vorstellen, dass sie sich ein Leben mit dir auf dem Bichler Hof ausmalt?
Diese Fragen lagen Wendy auf der Zunge. Doch sie hielt sich zurück. Dafür gab es verschiedene Gründe. Lukas hatte mit keinem Wort angedeutet, dass er sich um Franziska sorgte, weil sie ihm besonders am Herzen läge, wie es bei einem Burschen der Fall ist, der ein Madl liebt. Was wäre, wenn Franziska und Lukas sich in ein Abenteuer verstrickt hatten, auch wenn es nur einmal gewesen war, aber mit den bekannten Folgen? Sie wollte Lukas nicht in Verlegenheit bringen. Außerdem, würde er die Wahrheit sagen? Und wenn er es verneinen würde, könnte sie ihm glauben?
»Du siehst immer noch besorgt aus, Wendy«, riss Lukas sie aus ihren Gedanken.
Sie lächelte. »Entschuldige, ich war in Gedanken. Sicher bin ich etwas beunruhigt. Das musst du verstehen.«
Lukas nickte.
»Ich hatte erwartet, dass du von Franziskas Ohnmacht weißt. Ich verstehe nicht, dass sie es dir verschwiegen hat.«
»Lass nur, Lukas, es ist müßig, darüber zu spekulieren. Du hast mich informiert, und ich werde aufpassen. Ich lasse mir nicht anmerken, dass du mir den Hinweis gegeben hast. Und jetzt warten wir erst einmal ab.«
»Du bist großartig, Wendy. Es war gut, mit dir darüber zu sprechen. Ich fühle mich jetzt besser.«
Er trank seinen Kaffee aus.
»So, dann mache ich mich auf den Weg. Ich fahre kurz zu meinen Eltern, dann muss ich zurück nach München. Ich treffe mich heute Abend mit der Arbeitsgruppe.«
»Macht dir dein Studium Freude?«
»Oh ja, Landwirtschaft zu studieren, war mein Traum. Ich werde später sicherlich als Landwirt arbeiten. Die meisten streben eine Tätigkeit in einer Verwaltung an, bis auf diejenigen, die einen großen Hof oder ein Gut erben. Aber das sind nicht viele.«
Wendy blinzelte Lukas zu.
»Dann musst du einfach einheiraten«, sagte sie.
Lukas errötete leicht.
»Erst mal das Studium beenden, irgendwo ein paar Jahre arbeiten, Erfahrung sammeln und Geld sparen. Ich will in eine Ehe auch etwas einbringen. Ein Bursche muss etwas haben und etwas darstellen.«
Wendy lachte.
»Sag mal, hörst du dir selbst zu? Was redest du da? Das klingt wie vor hundert Jahren. So ein Schmarrn! Vermögen ist vergänglich. Und wenn das Madl dich nicht mit leeren Taschen will, dann ist es nicht die Richtige. Es kommt doch nur auf die Liebe an, Lukas, oder?«
»So sagt man. Aber Armut kann zur Belastung werden, Wendy. Wie schnell kann der Hof in eine Krise geraten, Unwetter, Hitze, zu viel oder zu wenig Regen, Viehkrankheiten und so weiter, du weißt schon. Dazu schwanken die Preise. Und die Gesetze lassen einem Landwirt immer weniger Möglichkeiten. Trotzdem werde ich Landwirt werden.«
Lukas zog seine Jacke an, die er über die Stuhllehne gehängt hatte.
»Danke für den Kaffee, Wendy, und das Gespräch!«, sagte Lukas und reichte Wendy die Hand.
Wendy begleitete Lukas hinaus. Er half ihr noch die Plane über den alten Traktor zu ziehen, da es zu zweit einfacher war.