TOPmodel - Barbara Bongartz - E-Book

TOPmodel E-Book

Barbara Bongartz

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Beschreibung

Heidi Klum hat es geschafft: Das Thema "TOPmodel" ist in aller Munde. Barbara Bongartz hat das Phänomen erforscht: "Ich wollte wissen, wer diese Ikone der Massen wirklich ist. Meine Porträtanfrage wurde von Günter Klum abgelehnt. Also begann ich, bei Castings, Modeschauen und Shootings zu recherchieren. Und stellte fest: Die Totalität des Traums, über einen Laufsteg zu schweben, auf einer Plakatwand zu flattern, das Gesicht einer Marke zu sein, erwischt alle. "Es war schon immer mein Traum, mit Kleidern zu posieren", schrieb eine Leserin dem Frauenmagazin Brigitte, die ab 2010 ihre Fotostrecken nur noch mit Leserinnen bestreitet. Das Casting hat begonnen ...

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weissbooks.w

Bruchstücke einer Karriere

TOPmodel.

Barbara Bongartz

TOPmodel

Für Pascal

La gloire et le succès prouvent des émotions

hautes en couleur, mais qui ne sont pas le bonheur.

J’ai realisé avec l’âge que le bonheur consiste en

une succession d’instants discrets – pour moi,

c’est un bouquet de fleurs dans les bras

marcher dans la rue pour rentrer chez moi.

Inès de la Fressange

Zur Erinnerung an Ruslana Korshunova

… mehr kreativ als wie die anderen …

Heidi Klum

HEIDI

Das Mädchen ist ein Traum. Ihr Abbild klebt an jeder Ecke. Sie strahlt. Sie ist reich. Sie ist berühmt. Sie ist ein Mädchen, das Mädchen machen kann. Das Mädchen kommt uns entgegen. Ihre Plateau-Schuhe sind mörderisch hoch. Die Leute halten den Atem an. Das Mädchen steht. Das Mädchen dreht sich – und schwebt davon. Alle Mädchen wollen sein wie sie. Topmodel.

Manche lieben dieses Mädchen, manche verabscheuen es. Ich möchte wissen, wer sie ist. Ich will Heidi Klum porträtieren. 89 – 65 – 92. Augenfarbe braun. Haarfarbe hellbraun. So steht es Anfang der 90er auf ihrer Sedcard. Mehr nicht. Der Sedcard ist nicht anzusehen, was Heidi Klum hinter sich hat. Welcher Ehrgeiz sie treibt. Wie hart sie arbeitet. Wie weit, wie entbehrungsreich, wie mühsam der Weg von Bergisch-Gladbach nach Los Angeles war. Über das Lachen eines Mannes hinweg, der sie sitzen ließ mit einem Kind. Ohne Ehe. Bis in die Arme des schwarzen Sängers Seal. Heute ist sie das Model mit der Sendung, in der ein Mädchen Topmodel wird.

Ich schreibe einen Brief.Sehr geehrte Frau Klum,mit großem Interesse habe ich Germany’s Next Topmodel gesehen. Nach der letzten Sendung kam mir in den Sinn, dass ich Sie gern porträtieren würde …

Mit besten Grüßen nach Bergisch-Gladbach …

Die Antwort kommt unverzüglich. Der Brief hat ein Fenster, als schaute er in die Welt hinaus. Rückseitig ist er mit einem dicken, pflaumengroßen, erdbeerroten Siegel aus Kunststoff beklebt. In der Mitte der Plastikmasse ist ein H eingedrückt. H für Heidi. Ich öffne den Umschlag, ohne das Siegel zu brechen. Auch der Briefkopf trägt ein H. Statt eines Querstrichs hat es den Namen des Allerweltstraums eingraviert. Heidi in Rot, Klum in Schwarz. Darunter höfliche, gewählt freundliche Worte. Kurz und bündig.

Sehr geehrte Frau Dr…,Ihr Schreiben vom23. Juni … habe ich mit Interesse gelesen und bin der Meinung, dass Ihr Vorschlag für ein Porträt eine schöne Idee ist. Da Heidi jedoch in verschiedene umfangreiche Projekte eingebunden ist, möchte ich aus terminlichen Gründen von Ihrer Anfrage absehen. Ich wünsche Ihnen für Ihre weitere Arbeit viel Erfolg.Mit freundlichen Grüßen …

Der Brief ist von Günter Klum unterzeichnet, Heidi Klums Papa. Klum wieder in Rot. Am unteren Rand des Briefbogens ist vermerkt, dass das Schreiben von der Heidi Klum GmbH kommt, deren Komplementärin Heidi ist.

Ich hatte dabei sein wollen, wie ein Mädchen Germany’s Next Topmodel wird. Ich hatte die Patronin porträtieren wollen, um zu erfahren, wer sie ist, und zu sehen, wie sie das macht. Ich wollte ein Phänomen beschreiben, dass die Herzen der kleinen Mädchen in Deutschland schneller schlagen lässt und die amerikanischen Männer dazu verleitet, sie ähnlich willkommen zu heißen wie Sauerkraut und vw. Mit einer Absage habe ich nicht gerechnet.

Ich warte die Modewochen ab. Berlin ist in diesem Jahr die erste Stadt. Vor New York, Mailand, London, Paris. Ich schaue mir die Legionen großer schlanker Frauen an, die, als seien sie noch nicht geschlechtsreif, in der Branche nur Mädchen heißen. Models, deren Körper und Gesichter die weiblichen Teenies wirklich beschäftigen. Das Märchen vom Prinzen auf dem weißen Pferd ist von gestern.

Ich bin spät dran. Ich springe aus dem Taxi und renne, sehr unpassend mit hochhackigen Schuhen, auf den Bebelplatz. Man hat ein Zelt für die Schauen aufgestellt, wie im New Yorker Bryant Park. Ich peile schnurstracks den Eingang an. Da kommt mir ein Geschöpf in die Quere. Einen Kopf größer als ich. Fast verwahrlost. Jeans, Lederjacke, T-Shirt, alles abgetragen. In dem Glamour fällt das auf. Sie hat eine nahezu weiße Haut. Der Mund ist groß mit vollen Lippen, blass, die Augen dunkel, tiefblau oder braun, das kann ich so schnell nicht erkennen. Die Haare sind kohlrabenschwarz. Das gibt es eigentlich gar nicht, so helle Haut, so dunkles Haar. Ein verdrecktes Schneewittchen, das seinen Zwergen entkommen ist. Sie stürmt an mir vorbei, springt über die Absperrung und verschwindet in einem der hinteren Zelteingänge. Offenbar gehört sie zum Backstage-Personal. Plötzlich denke ich: Warum schreibe ich nicht über sie? Warum nicht den Alltag einer Arbeitsbiene dokumentieren, anstatt nach dem zu suchen, was alle im Blickfeld haben: Germany’s Next Topmodel?

Es ist der zweite Tag der Shows. Ich sitze in der ersten Reihe, weil ich mit dem Assistenten des Designers befreundet bin. Ich trage apfelgrüne Pumps aus Rochenleder. Absätze dünner als Essstäbchen. Als ich meine Wohnung verließ, war das Wetter schön. Kaum sitze ich, beginnt das Gewitter. Es gießt in Strömen. Der Regen ist geradezu lächerlich heftig. Mit der Wucht von Geschossen prasselt er auf das Zeltdach und verschlingt jeden Ton der Musik. Alle sind unkonzentriert und gucken in den Plafond anstatt auf die Mädchen. Jeder fürchtet, dass das Zelt augenblicklich zusammenbricht und die Wassermassen uns überfluten. Die einzige, die ungestört auf den Runway blickt, bin ich.

Die Show ist längst vorbei, da regnet es immer noch. Ich gehe nach hinten. Als ich inmitten der Kleiderständer und Schminktische stehe, wird mir bewusst, dass ich die Gazelle suche, die vor der Show über die Absperrung gesprungen ist. Aber ich sehe sie nicht.

Kurz danach hört der Regen auf. Das Pflaster ist immer noch überflutet. Unter den Linden sieht es aus wie in einem Katastrophenfilm. Ich treffe mich mit Freunden aus der Modeszene in Kreuzberg zum Essen. Kreuzberg gilt jetzt als cool. Türkenmüll und Undergroundchic mischen sich zu geheimnisvollem Chaos, durch das angeblich nur Insider navigieren können. Niemand merkt, dass das Viertel dadurch, dass es jetzt von coolen Leuten aufgesucht wird, längst kein Ort mehr für Insider ist. Also auch kein Geheimtipp mehr. Also auch nicht mehr cool.

Es gibt keine leeren Taxis, und die vollen stehen im Stau. Ich nehme meine Stöckel in die Hand und gehe barfuß durch den reißenden Strom. Der Gendarmenmarkt leer. Kein einziger Tourist am Französischen Dom. Die Treppen zum Konzerthaus blankgespült. Leere Kaffeehausterrassen. Leere Straßen, durch die das Wasser wie Priele rinnt, als Geräusche nur Tropfen und Blätterrauschen. Frische Luft, als befände ich mich an einem Strand. Eine Weile sprechen wir im Restaurant nur darüber, wie jeder von uns ins Restaurant gekommen ist. Erst als wir endlich bestellen, sehe ich sie.

Sie ist mit einer Gruppe von Leuten da, die sich in einer slawischen Sprache unterhalten. Stumm und teilnahmslos sitzt sie daneben. Ihr Essen ist unberührt. Unvermittelt wendet sie sich ab und geht. Auf dem Weg zur Toilette sehe ich sie im Innenhof stehen. Sie lehnt mit dem Rücken gegen die Hauswand, einen Fuß dagegengestemmt. Sie zündet sich eine Zigarette an. Als ich mit frischem Lippenstift zurückkomme, hat sie sich bereits eine neue angesteckt. Die vergammelten Jeans brauchen dringend eine Wäsche. Unter ihrem weißen, vorn geknöpften Hemdchen drücken sich die Nippel ihrer Brüste ab. Sie scheint zu frieren. Es steht ihr gut. Auch die Traurigkeit, die sie ausstrahlt, steht ihr gut. Sie sieht aus wie jemand, der eine Geschichte hat. Die schwarzen nassen Haare glänzen und kleben am Kopf, ein faszinierendes Schwarz, worin sich die Umgebung spiegelt, schillernd durch die Nässe, als hätte jemand Öl über einen Flügel gekippt. Eine Strähne fällt ihr ins Gesicht. Wieder denke ich: Ich sollte über dieses Mädchen schreiben. Aber niemand außer mir zeigt Interesse an ihr. Alle interessieren sich nur für Heidi Klum.

Auch am nächsten Tag ist unter den Sirenen, die auf den Catwalks die neuesten Kreationen präsentieren, keine, die für mein Vorhaben geeignet ist. Ich suche überall. Ich gebe mir wirklich Mühe. Ich gehe zu jedem aufgelisteten Ort. Ich sehe mir Modenschauen in abgedrehten Kulissen an. Schwimmbad. Postfuhramt. Parkhaus. Museum. Wenn das so weitergeht, werden sie die Kollektionen demnächst in einer Kirche präsentieren. Ich suche hinter den Kulissen. Sehe abgeschminkte Gesichter. Zurückgebundene Haare. Blasse, strenge, fast unscheinbare Mienen, verwirrend müde ohne die künstliche Farbe. Ohne die schönen Kleider wirken die Körper wie Skelette unter dünner Haut. Bestrumpfte Beine, meterlang. Konkave Wangen. Nackte Füße. Ein Mädchen schlüpft in seine Sandalen, sieht auf, als sie meine Schritte hört, sieht weg, als sie realisiert, dass ich nichts von ihr will. Eine Ecke mit vollen Aschenbechern. Bergeweise leere Mineralwasserflaschen. Keines der Mädchen ist für das zu gebrauchen, was ich beobachten will. Sie sind erschöpft. Kein Lächeln mehr. Kein Gekreische. Kein suchender Blick nach einer Kamera. Nur konzentriertes Räumen, Packen – und über allem die Erschöpfung nach einem anstrengenden Tag. Hier und da ein Lachen. Kurze Zeremonien des Abschieds. Keine, die weiter glitzern will. Keine, die nach persönlicher Aufmerksamkeit lechzt. Keine so wie Heidi Klum. Diese Mädchen haben ihren 10 000 Euro-Job gemacht und wollen verschwinden. Bis sie morgen die nächste Show eröffnen.

Ich brauche ein geschäftstüchtiges Mädchen, das sich vor nichts ekelt und für alles wirbt. Ein blondes Mädchen, nicht auf den Mund gefallen und kalt genug, in den Kloaken von Paris für Hygieneartikel zu werben. Ein Mädchen ohne jene distinguierte Allure, die man vor Heidi Klum mit europäischer Mode verband.

Es steht fest, dass Heidi (da ihr Vater mir gegenüber in seinem Brief so von ihr gesprochen hat, erlaube ich mir, den Vornamen zu verwenden) auch heute eine Ausnahme ist. Die Mädchen, die ich durch meinen Designerfreund Peter Som kenne, sind alle anders. Elfen eher, mythische Wesen, die man nur aus der Ferne betrachten und nicht anfassen darf, weil ihnen sonst der Blütenstaub von den Flügeln fällt.

Die große Zeit der unblutig jungen Russinnen, der Tschechinnen, der Estländerinnen hat ihren Höhepunkt bereits überschritten. Namen wie Eugenia Volodina, Hana Soukopova, Karolina Kurkova und – in der kurzen Spanne vor ihrem dramatischen Tod – Ruslana Korshunova wurden hoch gehandelt und als Novitäten begrüßt. In ihren ersten Saisons war man nicht nur verrückt nach ihren hohen Wangenknochen, dem slawischen Einschlag und den merkwürdig altmodischen Physiognomien. Man liebte vor allem den schwermütigen Schimmer, der unter der Haut ihrer Gesichter lag. Zudem waren sie alle keine Mädchen aus gutem Haus. Keine Mädchen, deren Papis Porsche fuhren. Keine Mädchen wie Carla Bruni oder Claudia Schiffer. Die Gesichter aus Europas östlichen Gefilden spiegelten die Gnadenlosigkeit der Straßen, vermischt mit der Intelligenz des Willens zur Fortune. Kampfgeist, unkonventioneller Witz und Durchschlagskraft. Mitten im Dreck hatte man sie aufgegabelt. Sie alle hatten in ihrer Kindheit keine Zeit gehabt, Wunden zu lecken. Ach was, Wunden. Sie hatten nicht einmal Zeit für Kindheit gehabt! Sie trugen ihre Geschichten im Gesicht. Das war ihre neue, geradezu sensationelle Anziehungskraft. Das machte ihr Charisma aus, ihre Unverwechselbarkeit.