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Mit "Torwege zum Glück" ist dem Autor ein wunderschönes, spirituelles Märchen gelungen, das die Geschichte eines Menschen erzählt, der sich auf die Suche nach sich selbst begibt. Er ist ein ganz normaler Mensch, der unzufrieden mit seinem Leben ist. Doch eines Tages bringt ihn das Leben in eine seltsame Situation, und stellt ihn vor die wichtigste Entscheidung seines Lebens. Er bekommt die Chance, sein Leben grundlegend zu ändern und das zu erlangen, was er sich in seinem Innersten schon lange gewünscht hat. Glück, Zufriedenheit, Leichtigkeit und Liebe. Unser Held bricht aus dem üblichen Trott seines Lebens aus und beginnt seinen Torweg zum Glück. Mutig folgt er diesem durch ein erstaunliches Land und stellt sich kühn all den Erlebnissen und Prüfungen, die ihm hierbei begegnen. Seine Reise ist so heilsam, befreiend und erstaunlich, wie er es sich nie hätte träumen lassen.
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Seitenzahl: 353
Veröffentlichungsjahr: 2012
Mein besonderer Dank für ihre Hilfe bei der Entstehung
dieses Buches gilt Britta, der Liebe, die mir das Leben an
die Seite gestellt hat. Ohne sie wäre dieses Buch wohl
nie entstanden.
Danke!
Vorwort
Prolog – Der Beginn des Weges
Torweg ins Jetzt
Torweg des Verzeihens
Torweg des Vertrauens
Torweg der Freude
Torweg des Lebens
Torweg der Fülle
Torweg des Herzens
Torweg der Liebe
Torweg zur eigenen Wahrheit
Epilog
Nachtrag
Die Erkenntnisse aus diesem Buch
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Dieser Roman beschreibt eine Suche, auf der wir uns in der einen oder anderen Form alle befinden. Es ist die Suche nach einem Weg zurück zu uns selbst. Durch eine glückliche Fügung findet sich die Hauptperson dieses Romans auf dem Torweg zum Glück wieder. Ohne zu wissen, worauf er sich bei diesem Entschluss, den Weg zu gehen, einlässt, nimmt er die Chance wahr und begibt sich auf seine abenteuerliche Reise. Er folgt dem inneren Ruf, zu sich selbst heimzukehren und so begegnen ihm viele Erlebnisse und Erfahrungen auf dem Weg zu seinem eigenen Ich.
Der Torweg zum Glück spiegelt auch einen Teil meiner eigenen Erfahrung wieder, meine eigene Suche nach dem, der ich in Wahrheit wirklich bin. Nach dem Menschen, den ich in mir selbst entdecken durfte. Der Roman selbst hat sich dann eines schönen Urlaubstages in mir bemerkbar gemacht und wollte einfach zu Papier gebracht werden. Und so begann ich - ohne zu wissen, wo die Geschichte mich und die Hauptperson hin führen würde - zu schreiben. Ich war selbst immer wieder erstaunt und begeistert, welche Erfahrungen wir beide während des Erschaffens dieses Buches machen durften. Welche Wendungen die Geschichte nahm und wie sie auch für mich während des Schreibens ein immer klareres Bild annahm.
Es sind viele Wahrheiten in diesem Buch verborgen, die mir eingegeben wurden und plötzlich vor mir auf dem Papier standen. Diese Weisheiten helfen uns, in dem sie etwas in uns verändern und befreien. Und an Befreiungschancen ist in diesem Buch vieles enthalten und angeboten.
Ich wünsche dir liebe Leserin, lieber Leser genauso viel Freude dabei, diese Geschichte für dich zu entdecken, wie es mir gemacht hat, sie entstehen zu lassen. Ich wünsche euch viel Licht und Liebe und dass ihr selbst euren eigenen Torweg zum Glück findet.
Georg Karl Pousek
Juni 2012, Graz
Wie war ich nur hierhergekommen? Genau wusste ich es nicht. Wie war ich hierher auf diesen Jahrmarkt gekommen?, ich musste heute irgendwie auf meinem Nachhauseweg anders abgebogen sein, anders als sonst. Wenn ich es mir recht überlegte, hatte ich gar nicht gewusst, dass ein Jahrmarkt in der Stadt war. Nachdem mich mein Weg aber hierher geführt hatte, konnte ich mir den Jahrmarkt auch anschauen, beschloss ich. Ein wenig Abwechslung von meinem tristen Alltag würde mir außerdem sicherlich gut tun und wer weiß, vielleicht konnte ich meine Zeit hier sogar genießen. Neugierig schlenderte ich zwischen den Ständen auf und ab, begann die ausgelassene Stimmung am Markt mehr und mehr in mich aufzunehmen. Ohne Ziel ging und schaute ich, bis ich ein Jahrmarktzelt entdeckte, das mich irgendwie ansprach. Beinahe magisch wurde ich davon angezogen. „Fräulein Inga - Wahrsagerin“ stand in bunten Buchstaben auf dem Zelt.
Verächtlich rümpfte ich meine Nase, denn eigentlich hielt ich nicht besonders viel von Wahrsagern. In meinen Augen waren das alles Scharlatane, aber heute war wohl alles anders: Ich wollte etwas über meine Zukunft erfahren. Entschlossen näherte ich mich dem Zelt, wollte schon hineingehen, doch überlegte es mir im letzten Moment wieder anders und ging am Zelt vorbei. Nur, um wieder umzudrehen und das Spiel von neuem zu beginnen. Nach einer Zeit, die mir wie eine Ewigkeit vorkam, in der ich mit mir selbst rang, ob ich hineingehe sollte oder nicht, trat eine alte Frau aus dem Zelt und schaute sich suchen auf dem Jahrmarkt um. Ob das wohl Inga war?, fragte ich mich. War das die Wahrsagerin? Sie sieht zumindest so aus, wie ich mir eine Wahrsagerin vorgestellt hatte, dachte ich und musste lächeln.
Sie erblickte mich, winkte mir zu und rief ich solle ruhig zu ihr kommen. Ich ging also näher und auch aus der Nähe betrachtet war sie wirklich eine alte Frau, ich konnte nicht einschätzen wie alt, aber siebzig Jahre war sie sicher, dachte ich mir. Trotz des Alters stand sie aufrecht und mit einer gewissen Leichtigkeit, ihr weißes Haar glänzte sogar noch ein wenig und ihre Augen funkelten und leuchteten mich viel jünger an. Auch ihr Gesicht, das mir entgegenlächelte, wirkte junggeblieben und strahlte etwas unglaublich Freundliches und Vertrauenserweckendes aus. Ihre Augen, die mich schelmisch anschauten, hatten einen durchdringenden Blick, mit dem sie mich genau in Augenschein nahm. So, als ob sie tief in mich hinein schauen würde und einfach alles in mir sehen könnte, was selbst ich nicht sehen konnte. So intensiv fühlte sich zumindest ihr Blick an.
„Endlich bist du da! Willst du nicht reinkommen? Wir haben ja nicht den ganzen Tag Zeit“, lächelte sie mich an. Erstaunt schaute ich sie an. Auch wenn ihre Worte etwas schroff klangen, in ihrer Stimme schwang eine Güte und Liebe mit, wie ich es selten zuvor gehört hatte. Um ehrlich zu sein hatte ich eine Stimme wie diese noch nie gehört und doch klang sie so vertraut für mich. Ich folgte ihr in das Zelt, sie deutete auf den Besucherstuhl und ich setzte mich, ohne genau zu wissen, worauf ich mich da gerade eingelassen hatte. Neugierig schaute ich mich in ihrem Zelt um und versuchte, mir einen Überblick zu verschaffen. Meine Blicke blieben ihr nicht verborgen und sie grinste mich an. „Wenn du die Kristallkugel suchst, so etwas habe ich nicht. Aber wenn du gerne eine möchtest…“, sagte sie mit einer theatralischen Handbewegung und hielt plötzlich eine wunderschöne Kugel aus Kristall in ihrer Hand.
Jetzt hatte sie meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Wie hatte sie das nur gemacht? Wo war diese Kristallkugel so plötzlich hergekommen?, staunte ich mit offenem Mund. Fragen schwirrten mir durch den Kopf. „Du hast wohl immer so viele Fragen im Kopf“, stellte die Alte fest und grinste mich wieder an. „Zu viele Fragen, die deine Antworten übertönen.“ Ich schwankte zwischen: Mich ertappt zu fühlen wie ein kleiner Junge, der gerade ein Bonbon geklaut hatte und dem Bedürfnis, mich über sie zu ärgern, weil sie mich zu kennen glaubte. Und was mich wohl am meisten störte, ich fühlte mich von ihr beurteilt. Sie ließ sich davon nicht im Geringsten beeindrucken, sondern erklärte mir: „Du kannst dich jetzt entscheiden. Entweder du gehst, lebst dein eintöniges Leben, mit dem du sowieso nicht zufrieden bist, weiter und vergisst alles, was du hier gesehen hast.“
Sie schwieg, hatte die Augen geschlossen und machte eine Pause, die sich ewig für mich hinzuziehen schien. Angespannt und ungeduldig wartete ich darauf, was sie mir wohl als Alternative anbieten würde. Denn mit meinem Leben war ich wirklich nicht zufrieden, der Job erfüllte mich nicht, er machte mir nicht einmal richtig Freude. Früher war ich gerne in die Arbeit gegangen, jetzt aber fühlte sich das nur mehr sinnlos an. Ich ging in die Arbeit, weil ich keine andere Wahl hatte und nicht weil es mir Freude bereitete, was ich da täglich tat. Eine Beziehung hatte ich auch schon längere Zeit nicht mehr gehabt, denn um Frauen anzusprechen war ich zu schüchtern. Und so war auch keine neue Liebe in Sicht und das Glück zu zweit lies immer noch auf sich warten. Meine Wohnung gefiel mir nicht mehr, sie war zu eng, zu finster, zu städtisch. Im Grunde stimmte überhaupt nichts mehr wirklich in meinem Leben.
Ich lebte ein Leben, das besser schon zu meiner Vergangenheit gehören würde, an das ich mich aber immer noch verzweifelt klammerte. Ich wusste nicht einmal, wie und was ich hätte verändern können. Ich war festgefahren, gestand ich mir - hier in diesem schäbigen Zelt der Wahrsagerin - das erste Mal in meinem Leben selbst ein. Meine Stimmung, die sich am Jahrmarkt etwas aufgeheitert hatte, sank wieder auf ihr normales Niveau ab. Auch damit hatte ich mich bereits abgefunden, Glück und Zufriedenheit war wohl eher etwas für die anderen. Heute war alles ganz anders. Jetzt wollte ich etwas ändern, jetzt war ich bereit dazu, aber was und vor allem wie wusste ich nicht und hoffte darauf, dass die Wahrsagerin mir den entscheidenden Hinweis geben würde. Also blieb ich sitzen und wartete angespannt und von Sekunde zu Sekunde immer ungeduldiger auf das erlösende „oder“ aus ihrem Munde.
Endlich, nach einer Ewigkeit, wie es mir schien, fuhr sie fort zu reden: „Oder“, dabei zwinkerte sie mir zu, „oder du entscheidest dich, aufzuhören über dein Leben zu klagen und beschließt, endlich etwas zu tun. Du hörst endlich auf, gegen das Leben zu kämpfen und stellst dich dem, das dich daran hindert, Freude und Glück zu verspüren. Du stellst dich deinen Ängsten und deiner Verantwortung dir selbst gegenüber.“ Ich dachte nach, im Grunde war das alles nichts Neues für mich. Frustriert unterbrach ich sie daher: „Aber wie soll ich das machen, wenn ich das gewusst hätte, glaubst du nicht, ich hätte das schon längst gemacht?“ „Vielleicht“, meinte sie lächelnd. „Vielleicht aber auch nicht, wir werden es sehen“. Etwas melodramatisch fuhr sie dann fort. „Du hast jetzt die Möglichkeit, dich zu entscheiden, wählst du dein bisheriges Leben oder den Torweg zum Glück und folgst diesem, bis du an deinem Ziel angelangt bist?“
Ich schaute sie mit riesigen, fragenden Augen an. Sie lachte, freute sich und hatte definitiv ihren Spaß mit mir. Endlich hatte ich mich wieder etwas gefangen und traute mich zu fragen „Torweg zum Glück? Was ist das?“ „Ist das wirklich wichtig?“, fragte sie mich zurück. „Wäre nicht die vielleicht viel wichtigere Frage, ob du in Glück, Leichtigkeit und Freude leben möchtest? Ist es wirklich wichtig für dich, jetzt schon genau zu wissen, wie der Weg aussieht, der dich dorthin bringt? Abgesehen davon, dass dir das niemand sagen kann, nicht einmal ich und ich weiß sehr viel über dich. Wie der Weg sein wird, das könnte dir nur deine Seele verraten aber die wird das heute nicht tun. Ich kann dir aber sagen, wo dein Weg beginnt und auch wo er endet. Alles andere dazwischen ist noch nicht festgeschrieben und im Moment auch nicht wichtig.“ Ich musste plötzlich an den Film Matrix denken und die Szene, in der Morpheus Neo vor die Wahl stellt, eine von zwei Pillen zu nehmen.
Welche sollte ich denn nun nehmen überlegte ich mir, die rote oder die blaue Pille. „Und welche nimmst du?“, fragte sie mich, „die Pille, die dich zurück nach Kansas bringt, oder die, die dich nach Oz bringt?“ Definitiv Oz, dachte ich mir. Meine Seite des Regenbogens hatte ich satt, ich wollte sehen, wie es auf der anderen Seite war. Sofort fragte sie mich: „Bist du dir sicher? Ich kann dir nicht sagen, ob du den Goldkessel am Ende des Regenbogens findest.“ Ich fragte mich schon gar nicht mehr, woher sie das wusste und ob sie vielleicht meine Gedanken lesen konnte. Ich fragte mich auch gar nicht mehr, was gerade vor sich ging, denn ich war mit der Situation, die ich hier erlebte völlig überfordert. Mein Verstand hatte sich auch schon längst samt seinen Zweifeln irgendwohin verabschiedet und ich war wohl das erste Mal in meinem Leben wirklich dort anwesend, wo ich mich auch körperlich befand. Sie half mir und erklärte „Wenn du dich entscheidest, den Torweg zum Glück anzutreten, gibt es kein Zurück. Wenn du erst einmal auf dem Weg bist, wenn du erst einmal begonnen hast, etwas an deinem Leben, an dir selbst zu verändern, dann kannst du nicht einfach wieder damit aufhören. Du kannst dich nicht zurückentwickeln und alles wieder vergessen, das funktioniert nicht. Mit deiner Entscheidung, den Torweg zu gehen, beginnst du einen Prozess. Einen Wachstumsprozess, der dich immer mehr ins Licht und in die Liebe führen wird. Aber ich kann dir versprechen, du wirst die Entscheidung für den Weg nicht bereuen. Und du hast auch gerade Urlaub, kannst also sofort damit beginnen.“
Widerstand wollte sich in mir formieren und auch mein Verstand war plötzlich wieder zu bemerken. „Was du brauchst, bekommst du unterwegs“, unterbrach sie mich, als ich zu argumentieren beginnen wollte. „Kansas oder Oz?“, beharrte sie auf meine Entscheidung. „Werde ich es schaffen?“, fragte ich sie. „Das kann ich dir nicht sagen, aber ich verspreche dir, du wirst immer Hilfe bekommen, wenn du sie brauchst. Es kommt auch nicht auf die Zeitspanne an, die du für deinen Weg benötigst. Deine Chancen stehen gut, dass du es schaffst, denn deine Seele ist bereit dafür.“
Normalerweise hätte ich mindestens noch hundert Fragen an die seltsame Alte gehabt, zum Beispiel woher sie wusste, dass ich meinen Urlaub gerade angetreten hatte. Oder ob sie wirklich meine Gedanken lesen konnte, und, und, und. Vielleicht sollte ich besser aufhören sie Alte zu nennen, erschrak ich. Immerhin schien sie doch alles zu hören, was ich dachte.
Aber „normalerweise“ hatte mit dem, was ich gerade erlebte, nichts zu tun. Das war alles andere als normal. So betrachtete ich einfach mein bisheriges Leben und wie wenig ich damit zufrieden war.
Ich hatte Angst vor diesem Weg, große Angst sogar. Aber ich hatte auch Angst davor, weiterzuleben wie bisher. Hatte ich mich nicht mein ganzes Leben nach einem Weg ins Glück gesehnt? Ihn gesucht aber niemals gefunden. Nun bot mir die Alte diesen Weg an, einfach so, ohne die Hand dafür aufzuhalten. Zumindest bis jetzt, hatte sie nichts von Geld gesagt. Misstrauen begann in mir zu erwachen und meine Angst nutzte das aus. Plötzlich wurde ich unsicher und fragte mich, ob mein Leben wirklich so schlecht war, wie ich mir das vorhin selbst beschrieben hatte. Sollte ich nicht einfach mein bisheriges Leben weiterleben, ich war zwar nicht zufrieden damit, aber so schlimm war es ja vielleicht doch nicht. Immerhin kannte ich es schon und wusste, worauf ich mich einlassen würde. Meine Zuversicht und auch meine Entschlossenheit begannen zu schwinden.
„Du wirst deinen Ängsten begegnen, so wie gerade jetzt“, erklärte mir die Wahrsagerin. Wenn du glücklich und frei werden möchtest, musst du ihnen in die Augen schauen, sie anlächeln und deine Ängste überwinden“, fuhr sie fort zu reden. „Ich möchte auch keine Gegenleistung von dir. Wenn du den Weg gehst, wenn du ihn beendet hast, sollst du anderen davon erzählen, das ist alles, was ich von dir verlange. Mehr will ich gar nicht von dir. Mehr kannst du mir auch gar nicht geben. Wofür entscheidest du dich nun? Tor eins, das dich wieder nach draußen in dein altes Leben bringt?“ Sie wies zu dem Zelteingang, durch den ich gekommen war und es folgte wieder eine Pause, die meine Nerven auf die Probe stellte. „Oder…“ sie deutete auf einen zweiten Ausgang aus dem Zelt, „Tor zwei, das dich an den Beginn des Torweges zum Glück bringt“.
Ich musste noch eine Weile mit mir ringen, bis ich mich entscheiden konnte. Alles was anders wurde, war besser als mein momentanes Leben. Es konnte sich in Wahrheit also nur verbessern. „Dann nehme ich Tor zwei“, sagte ich mit einer Stimme, die viel sicherer klang, als ich mich in diesem Augenblick fühlte. Herzlich schaute sie mich an und freute sich sichtlich. „Schön“, sagte die Wahrsagerin lächelnd, „ich freue mich für dich und bin stolz auf dich, dass du deine Angst überwunden und losgelassen hast. Wir werden uns wiedersehen, da bin ich mir sicher. Ich wünsche dir viel Freude auf deinem Weg und genieße ihn. Er wird womöglich nicht immer leicht sein, er wird dir aber Freuden bieten, die du im Moment noch nicht erahnen kannst. Freude und Glück warten schon auf dich“. Dann deutete sie auf das Tor, das den Beginn meines neuen Weges darstellen sollte und sagte: „Dein Weg wartet auf dich“.
Ich stand auf und näherte mich dem Tor. Über dem Tor stand geschrieben „Im Jetzt beginnt der Torweg zum Glück“. Ich überlegte, was das wohl bedeuten sollte und beschloss, durchzugehen. Ich war so aufgeregt, dass ich sogar vergaß, mich von Inga, der Wahrsagerin, zu verabschieden. Ich ging einfach durch das Tor hindurch. Dann war ich auf der anderen Seite - ich war wirklich durchgegangen!
Ich hatte meinen Weg begonnen. Ich hatte den Torweg zum Glück betreten.
„Schau dich um, nimm deine Gefühle wahr. Sie sind es, die dich leiten werden“, hörte ich die Stimme der Wahrsagerin in meinem Kopf sagen. Ich schaute mich um und das Tor, durch das ich eben geschritten war, war verschwunden. Das also hatte sie gemeint, als sie sagte, es gibt kein Zurück, sobald ich den Weg begonnen hatte. Dann musste ich wohl einfach den Weg weitergehen, stellte ich pragmatisch fest. Ich schaute mich um, nahm die Natur wahr, die mich umgab. Ich atmete die wunderbar frische Luft ein und erblickte den Weg, der durch die Natur führte und ich beschloss, diesem Weg zu folgen. Wo würde er mich hinführen, der Torweg zum Glück, was würde ich alles erleben?, fragte ich mich.
Gedanken tauchten in mir auf und ich ließ sie wie Wolken am Himmel weiterziehen. Sie waren nicht wichtig. Ich war hier, ich war jetzt. Das war das einzig wichtige, was für mich zählte. Der Rest würde sich dann schon zeigen, vertraute ich Inga, der weisen Frau vom Jahrmarkt. So begann ich, mit gemütlichen Schritten dem Weg zu folgen, konnte den Boden unter meinen Füßen spüren. Alles nahm ich wahr, auch dass ich begann, meine Entscheidung zu genießen. Ich hatte endlich gewagt, etwas zu ändern. Ich hatte endlich etwas für mich selbst getan. Ich fühlte mich irgendwie leicht, sogar Freude konnte ich in mir empfinden und noch viele andere Gefühle mehr. Ich hatte mit meinem Weg begonnen.
Das Gefühl der Erstarrung, der Stagnation und der Schwere, das ich so oft gefühlt hatte, durfte nun endlich gehen. War das denn möglich, wo es doch allen anderen auch so ging wie mir? Warum war ausgerechnet mir die weise Alte auf diesen Jahrmarkt begegnet?, fragte ich mich. „Weil du es verdienst und auch du ein Teil Gottes bist, ein Teil seiner Schöpfung, der sich selbst erfahren möchte. Du wirst von Gott dermaßen geliebt, wie du dir das gar nicht vorstellen kannst. Gott ist immer in dir, bei dir und mit dir von Anbeginn der Zeit bis ans Ende aller Tage. Immer!“, fuhr die Stimme der weisen Alten fort zu erklären. „Immer wird für dich gesorgt, stets kümmert sich das Leben um dein höchstes Wohl, manchmal sträubt sich allerdings dein irdisches Selbst dagegen. Manchmal schmollt es und verleugnet Gott und die gesamte Schöpfung. Das ist normal. Du kannst darauf vertrauen und wissen, dass du geliebt wirst, was immer du tust. Nichts ändert an der Liebe Gottes zu dir etwas. Diese Welt war stets als glücklicher Ort geplant gewesen.
Selbst nach euren Überlieferungen stand am Anfang das Paradies, aus dem ihr vertrieben wurdet, weil Gott angeblich nicht gefiel, was ihr tatet. Doch das ist nicht wahr. Ihr alle habt euch nur selber aus dem Paradies begeben. „Macht Euch die Erde untertan“1, wurde euch gesagt. Und ihr habt begonnen, euch die Erde zu untertan zu machen und habt euch selbst über die Geschöpfe dieser Erde erhoben. Ihr habt euch so über die gesamte Schöpfung Gottes erhoben und euch von ihr abgetrennt. Ihr wolltet das Paradies beherrschen und habt es darüber aus den Augen verloren. In Wahrheit seid ihr immer noch im Paradies, nur könnt ihr das nicht sehen, denn so viele auf dieser Erde erklären euch bereits über so viele Jahre hinweg etwas anderes. Immer wieder wird euch gesagt, ihr wurdet aus dem Paradies verdammt, weil Gott böse auf euch ist. Aber wie sollte Gott böse sein auf euch? Gott ist die bedingungslose Liebe.
Ihr seid nicht verbannt worden, ihr habt euch selbst ausgeschlossen. Nur weil ihr es so oft gehört habt, nur weil sich eine Ansicht lange hält, macht es sie nicht zur Wahrheit. Du hast gebeten, darum ist dir der Torweg gegeben worden. „Bittet, so wird euch gegeben. Suchet, so werdet ihr finden. Klopft an, so wird euch aufgetan. Denn wer bittet, der wird bekommen. Wer sucht, der findet. Und wer anklopft, dem wird geöffnet“2, das hat Gott immer und immer wieder versucht euch klarzumachen. Unermüdlich hat er seine Boten geschickt und schickt sie immer noch. Aber viele wollen noch nicht zuhören. Du warst bereit zuzuhören, darum wurde dir geschenkt, in einem Ausmaß, wie du es vielleicht noch gar nicht fassen kannst. Das macht aber nichts, denn wenn die Zeit kommt, wirst du alles erkennen. Und wenn nicht, wirst du trotzdem unendlich geliebt. In deinem Leben, wie auch auf diesem Weg, wird für dich gesorgt werden, alles wird da sei, wenn du es brauchst, wenn du darum bittest. Darauf darfst du vertrauen, denn Gott bricht sein Versprechen niemals.“
Dann war die Stimme verschwunden. „Danke“, dachte ich mir und ich beschloss darauf zu vertrauen, dass es mir auf dem Weg an nichts mangeln würde. Ich begann, auch mir selbst immer mehr zu vertrauen, dass ich diesen Weg gehen konnte. Hier und jetzt am Beginn des Weges, gab ich mir daher selbst das Versprechen, diesen Weg zu Ende zu gehen. Und ich war mir sicher, ich würde mein Versprechen halten, ganz sicher war ich mir sogar. Ein Gefühl, dass ich zuerst gar nicht einordnen konnte, weil ich es schon so lange nicht mehr gefühlt hatte, tauchte auf in mir.
Ich spürte tatsächlich Glück in mir. War ich etwa glücklich in diesem Moment?, fragte ich mich etwas skeptisch, wie war das möglich? Bevor aber das Gefühl in meinen vielen Fragen wieder unterging, stellte ich mir vor, dass ich alle meine Gedanken auf eine Wolke legte und der Wind die Wolke mit meinen Gedanken fort trug. Das hatte ich einmal bei einer Meditation gehört und es funktionierte. Die Gedanken wurden ruhiger in meinem Kopf. Langsam begann ich, das Gefühl in meinem Inneren zu genießen, ich hatte meinen Weg begonnen.
So wanderte ich durch das helle, freundliche und wunderschöne Tal und genoss meinen Weg. Erinnerungen aus der Kirche, in die ich früher oft gegangen war, stiegen in mir auf, „und ob ich schon wanderte im finsteren Tal…“ „ein Leben voller Leiden…“, und vieles mehr. Da war aber echt etwas schief gelaufen mit der Wahrnehmung unserer Welt, dachte ich mir. Da war die Realität ziemlich weit verrückt worden in diesem Weltbild, das mich geprägt hatte. Ich schaute mich um und sah all die Schönheit der Natur. Hatten die Texter dieser Lieder und Zeilen denn ihre Augen niemals aufgemacht? Niemals wirklich die Schönheit der Schöpfung gesehen? Niemals die Liebe Gottes in sich gespürt? Sondern waren sie immer in der Rolle des trotzigen Kindes geblieben, das auf die Bestrafung wartet, weil es glaubt etwas angestellt zu haben?
Ich begann den Text umzudichten, soweit ich ihn noch wusste, das war zwar nicht viel, aber mir reichte es. So sang ich: „Ein Leben voller Freude, ein Leben voller Liebe, das ist, was mein Herz erfreut“, während ich durch die Schöpfung Gottes – das Paradies - ging, das wir Menschen zu unserer kaputten Welt gemacht haben. Ich begann zu erahnen, zu fühlen, dass diese Lieder nicht zufällig in mir aufgetaucht waren. Beim nächsten Tor, das vor mir lag, ging es wohl darum, meine alten Prägungen und andere übernommene, anerzogene Vorstellungen, die nicht mehr zu meinem höchsten Wohle sind, loszulassen, analysierte mein Verstand.
„Du hast recht“, meldete sich die Stimme meiner weisen Wegbegleiterin zu Wort, „es geht aber auch darum, deine alten Verletzungen zu heilen und zu verzeihen. Sie loszulassen, denn du trägst schwer an ihnen, sehr schwer sogar. Alles, was du in dir und mit dir herumträgst, nicht loslässt, weil du es nicht annehmen oder verzeihen kannst, blockiert dich auf deinem Weg“. Nachdenklich geworden ging ich weiter und achtete nicht mehr auf meinen Weg. Das Gefühl des Glücks in mir wich einer Anspannung, genauso, wie ich es aus meinem Leben nur allzu gut kannte.
Ich schaute mich um und entdeckte eine Mauer mit einem Tor darin. Es schien eine alte Mauer zu sein, zumindest war sie an manchen Stellen schon ziemlich verwittert. Auch auf Gleichmäßigkeit dieser Mauer hatte ihr Erbauer scheinbar nicht besonders geachtet. Denn die Mauer war unterschiedlich hoch, an manchen Stellen wäre sie mir wahrscheinlich bis zur Hüfte gegangen, gleich daneben dann hätte ich mit meinen Händen nicht mehr hinaufgelangt. Was ist das denn für eine Mauer und was umschließt sie?, fragte ich mich. Vor der Mauer saß eine alte Frau bei einem Picknick, die mir sehr bekannt vorkam, sollte das die weise Frau vom Jahrmarkt sein?, dachte ich mir, könnte das wirklich sein? Ich war mir aber nicht sicher. Sie schaute der Frau vom Jahrmarkt auf alle Fälle sehr ähnlich, sie schien mir aber etwas jünger zu sein.
„Inga?“, fragte ich vorsichtig, „bist du das“? „Inga?“, meinte sie, „so heiße ich hier nicht. Aber wenn du möchtest kannst du mich Rapha nennen.“ „Rapha?“, fragte ich. Sie nickte und lud mich ein, bei ihr auf der Decke Platz zu nehmen. „Hast du Hunger?“, fragte sie mich und wieder einmal musste ich feststellen, wie wenig ich eigentlich auf mich selbst achtete. Hungrig nahm ich das Brot und die Speisen, die sie mir reichte und aß. Selten noch hatte Essen so gut und so intensiv geschmeckt wie jetzt. Selbst das Essen schien hier auf meinem Weg intensiver zu schmecken als in meinem normalen Leben. Gesättigt fragte ich schließlich die Frau, was das denn für eine Mauer und für ein Tor sei und wo ich denn überhaupt war.
„Du bist auf deinem Weg und hinter der Mauer ist der Garten versteckt, in den du hineingeboren wurdest. Da sind alle deine Prägungen, deine Glaubensvorstellungen, deine Werte. In ihm ist all das verborgen, mit dem du in dein Leben gestartet bist. All das, was dir in deinen ersten Lebensjahren anerzogen worden ist, all das was du übernommen hast, ohne zu hinterfragen, ob es zu deinem höchsten Wohl ist oder nicht“. „Willst du damit sagen, meine Eltern hätten mir geschadet, hätten mir Werte und Überzeugungen in ihrer Erziehung vermittelt, die nicht gut für mich sind?“, wagte ich zu fragen und fand das Gefühl, das diese Frage in mir auslöste, sehr unangenehm. Ich musste meinen Eltern doch dankbar sein und sie hatten stets das Beste für mich gewollt und auch sehr gut für mich gesorgt, dachte ich bei mir.
“Nein sie wollten dir nicht schaden, sie wollten wirklich das Beste für dich. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten, Überzeugungen und Vorstellungen. Nur seid ihr Menschen nicht immer in der Lage, einzuschätzen, was für euch selbst das Beste ist, das ist aus eurer menschlichen Perspektive nicht immer möglich. Noch viel schwieriger ist es allerdings, für eine andere Person zu wissen, was für sie das Beste ist. Das könnt ihr gar nicht, dafür sind eure Möglichkeiten zu sehr eingeschränkt, eben irdisch. Eure Werte und Glaubensvorstellungen bestimmen, was ihr wahrnehmt und auch welche Werte und Überzeugungen ihr an eure Kinder weitergebt. Und oft stehen Vorstellungen, die dir mitgegeben und anerzogen worden sind, dir selbst im Wege. Sie stehen zwischen dir und deinem Leben und das ist nicht gesund oder heilend für dich.
Dennoch gibt es keinen Grund, deinen Eltern böse zu sein, oder gar ihnen etwas zu verzeihen, denn es gibt nichts zu verzeihen. Sie haben das Beste gegeben, dass sie zu geben hatten und das war mehr, als du von ihnen verlangen konntest. Du kannst und darfst mit deinen Eltern im Reinen sein, deinen Frieden mit ihnen machen und dennoch deine eigenen Werte leben und sie auch nach außen vertreten. Du kannst, du darfst und du bist es dir sogar selbst schuldig, deine Eltern aus ihrer Elternpflicht zu entlassen und ihnen auf energetischer Ebene alles zurückzugeben, das nicht das deine ist. Alle Projektionen, die du als Kind und Jugendlicher integriert hast, darfst du jetzt in Liebe loslassen.
Deswegen bist du hier, deswegen sitzt du vor dieser Mauer, die dein Leben umschließt. Das sind die Mauern, die du errichtet hast und die dich eingrenzen. Du bist hier, um dein Leben zu befreien, es auszumisten und alles zurückzulassen, das nicht zu deinem höchsten Wohle ist. Das da ist eine kleine Entscheidungshilfe für dich, um es dir leichter zu machen, deinen Ballast loszulassen“. Bei diesen Worten deutete sie auf einen Rucksack, einen wirklich großen Rucksack.
„Klein?“, rief ich aus und fragte mich selbst, ob der Rucksack vorher auch schon da gewesen war. Er war mir bis eben noch nicht aufgefallen. Sie grinste mich an und sagte: „Es ist nichts, woran du nicht gewöhnt wärest. Nimm ihn mit durch das Tor in den Garten. Du brauchst keine Angst zu haben, alles was dir begegnet ist zu deinem höchsten Wohle und dient dazu, dir zu helfen - das war schon immer so in deinem Leben. Das ist, was eure Seele ständig für euch erschafft. Die perfekten Umstände, um euer Lebensziel zu erreichen, um die Erfahrungen zu machen, die ihr euch für das Leben vorgenommen und gewünscht habt.
Nimm deinen Rucksack und geh durch das Tor, dann lass alles los. Lass in Liebe gehen, was dich begrenzt. Lass Raum für Neues entstehen in deinem Leben“. Mit diesen Worten stand sie auf, ging fort und lies mich mit dem Rucksack einfach stehen. Einmal noch drehte sie sich um, winkte mir zu und war dann verschwunden. Entschlossen nahm ich den Rucksack und wollte ihn mir schwungvoll schultern. Sein Gewicht verhinderte das allerdings und machte daraus eher ein mühsames auf meine Schultern hieven. Also das Gewicht hatte ich gründlich unterschätzt, dachte ich mir. Doch irgendwie fühlte sich der Rucksack dennoch auf eine sehr unangenehm Art und Weise vertraut an. Als ob ich ihn immer schon tragen würde. Ich fühlte auch gleich wieder diese Verspannung, die ich seit Jahren schon gewohnt war.
Mit meiner Last auf den Schultern näherte ich mich dem Garten und ich spürte Angst in mir aufsteigen. Was würde ich hinter den Mauern erleben? Wie würde es sein? Ich war nervös und angespannt. Ich öffnete die Gartenpforte und trat ein in den Garten, der sich dahinter verbarg. Alles war auf das fein säuberlichste gepflegt, kein Grashalm ragte über den anderen hinaus, die Hecken und Sträucher waren gleichmäßig in Formen geschnitten. „Der würde meinen Eltern gefallen“, schoss es mir durch den Kopf. „Da würden sie sich sicherlich wohlfühlen in diesem Garten“, dachte ich bei mir.
„Genau darum geht es ja“, hörte ich die mir inzwischen so vertraut gewordene Stimme. „Und wie gefällt er dir? Das ist die wirklich wichtige Frage. Das ist der Garten deines Lebens. Ist es wichtig, ob der deinen Eltern gefällt? Sollte er nicht vielmehr dir gefallen?“ Also darüber hatte ich mir noch keine Gedanken gemacht, musste ich mir eingestehen. Ich schaute mich um, es war alles so geordnet, so gepflegt. Für mich war das hier alles viel zu steril. Wohlfühlen konnte ich mich hier nicht, wenn das mein Leben war, dann wunderte ich mich nicht, dass ich nicht zufrieden oder gar glücklich gewesen war. Es war kein Platz für mein eigenes Leben hier in diesem Garten.
Und mit dieser Erkenntnis fühlte sich der Garten plötzlich genauso an, wie mein Leben. Alles sorgsam gepflegt, durchdacht geplant und angelegt, aber einfach zu eng, zu begrenzt für mich. „Nein“, schrie ich laut auf, „das will ich nicht mehr“. Mit meiner schweren Last auf den Schultern ging ich weiter auf dem Gartenweg. Wer hatte diesen Weg eigentlich angelegt?, fragte ich mich und blieb stehen. Ich hätte ihn weiter dort drüben angelegt, dort wo die Vegetation dichter wächst und wo auch ein kleiner Bach verspielt durch den Garten fließt. Dort im Gras wollte ich gehen, nicht hier auf diesem Weg. Konnte ich das, durfte ich das überhaupt?, meldeten sich plötzlich Bedenken. Aber wer sollte mich denn eigentlich daran hindern, dort unten zu gehen?, fragte ich mich. Immerhin war es ja mein Garten, das hatte zumindest die Frau vor dem Tor zu mir gesagt.
Also verließ ich den mir vorgegebenen Weg und ging über die Wiese auf den Bach zu. Mit jedem Schritt, so hatte ich das Gefühl, wurde das Gras etwas länger, natürlicher und viel schöner, wie ich fand. Ich fühlte mich jetzt schon etwas wohler, seitdem ich nicht mehr auf der vorgegebenen Spur ging. Dafür schien aber mein Rucksack immer schwerer zur werden, je weiter ich mich von dem Weg entfernte. Er drückte und die Last wurde immer schwerer auf meinen Schultern. Schon bald rann mir der Schweiß über die Stirn in die Augen. Das fühlt sich aber wirklich nicht gut an, stellte ich für mich fest, warum ich wohl diesen Rucksack mitnehmen hatte sollen? Ich wusste es nicht, aber ich fühlte, dass ich es schon bald wissen würde. So mit meinen Gedanken beschäftigt, war ich mittlerweile am Bach angelangt und folgte nun dem Lauf des Baches durch den Garten. Wo würde er mich hinführen dieser Bach?, war ich gespannt und genoss die Natur um mich herum. Die Bäume und Sträucher, die am Wasser wuchsen, waren wirklich wunderschön. Manche blühten, manche dufteten sogar paradiesisch gut.
Wenn das der Garten meines Lebens war, so gefällt er mir, so sollte er sein. Hier konnte ich das Leben wirklich fühlen, echtes Leben, nicht das vorkonfektionierte meiner Ahnen. Das Einzige, was mich noch wirklich störte, war mein Rucksack. Immer wieder blieb ich an Ästen und Zweigen der dichten Vegetation hängen, wodurch mir seine Last noch unangenehmer wurde. Dabei hatte ich mich noch gar nicht gefragt, was denn überhaupt in diesem Rucksack eingepackt war, fiel mir plötzlich auf. Was trug ich da eigentlich die ganze Zeit schon so mühsam mit mir herum? Ich hatte den Rucksack einfach genommen, ohne zu hinterfragen, warum ich das tun sollte, hatte nicht einmal einen kurzen Blick hineingeworfen. Ich hatte ihn akzeptiert, hatte zugelassen, dass er eben einfach zu meinem Weg dazugehört und dass das wohl schon seine Richtigkeit haben würde. Einfach so. Wie in meinem Leben. Was erledigt werden musste, war ich gewohnt zu erledigen, ohne es groß zu hinterfragen.
Sollte ich nicht vielleicht hineinschauen?, begann ich zu überlegen. Aber durfte ich das denn überhaupt? Ich wurde unsicher und hatte das Gefühl der Enge in meiner Brust wieder, dass ich so gut kannte. Hatte ich ein Recht dazu, mir den Inhalt anzusehen? Das und vieles andere schoss mir durch den Kopf, während ich weiter schlenderte. Wie groß war eigentlich dieser Garten?, fragte ich mich gerade, als mich ein Ast, an dem ich mit dem Rucksack hängen blieb, unsanft auf die Knie warf. Ein Fluch entfuhr mir, schuldbewusst schaute ich mich um. Hoffentlich hatte mich niemand gehört, dachte ich mir. „Hör auf damit, was sollen die Nachbarn von dir denken?“, hörte ich plötzlich die Stimme meiner Mutter so klar in meinem Kopf, als ob sie neben mir stehen würde. Das hatte mich zwar in jüngeren Jahren nicht besonders interessiert, aber ihr war das wichtig gewesen. Jetzt allerdings, mit meinem aufgeschlagenen Knie, dem schweren Rucksack auf dem Rücken, unfreiwillig in der feuchten Erde neben dem Bach kniend, waren mir meine Nachbarn so etwas von egal. „Sollen sie doch denken, was sie wollen“, sagte ich etwas trotzig, „interessiert mich nicht“.
Ich versuchte aufzustehen, aber mit der Last auf meinem Rücken schaffte ich es nicht, ächzend nahm ich den Rucksack ab und setzte mich erschöpft und frustriert in den Sand am Ufer des Baches. Mein Weg fing ja gut an. Warum sollte ich mir das eigentlich selbst antun und diesen Rucksack mit mir rumschleppen? Wenn mir deswegen ohnehin schon alles wehtat, dann wollte ich schließlich auch wissen, was sich in dem Rucksack befand. Es war mir mittlerweile auch nicht mehr wichtig, ob ich hineinschauen durfte oder nicht, ich tat es einfach. Es war mein Leben, mein Rucksack und vor allem mein Rücken, der unter dem Gewicht, das ich mir noch nicht einmal ausgesucht hatte, heftig leiden musste.
Als ich am Ufer des Baches kniete und mir die Last anschaute, die ich im Schweiße meines Angesichts die letzten Stunden mit mir mitgeschleppt und die mich so gequält hatte, kroch Wut in mir hoch. Diesen Krempel hatte ich geschultert, so einen alten Müll hat mir die Alte zum Tragen gegeben? Das kann doch nicht wahr sein, dass ich mich durch dieses Zeug, das ich nicht brauchte, die ganze Zeit hatte behindern lassen. Ich nahm den obersten Gegenstand heraus und hielt einen Kreisel aus lange vergessenen Kindertagen in der Hand. Damals hatte ich gerne und stundenlang damit gespielt, erinnerte ich mich und sah mich selbst als kleines Kind in meinem Zimmer sitzen und mit dem Kreisel spielen. Das kleine Kind, das ich früher einmal war, freute sich, lachte und strahlte richtig, als sich der Kreisel so schön drehte. So hatte ich mich früher freuen können, erkannte ich.
Das musste wirklich schon lange her sein, stellte ich frustriert fest. Jetzt brauchte ich den Kreisel aber nicht mehr. Er fühlte sich auch gar nicht beinahe Abneigung gegen ihn, so als ob er mich blockieren würde. Wollte ich diesen Kreisel weiterhin mit mir rumtragen?, fragte ich mich. „Nein, auf keinen Fall, was soll ich auch mit diesem alten Zeug?“ Ich hatte das wohl laut ausgesprochen, denn ich hörte das Kichern von Rapha, die mir in diesem Moment nicht mehr ganz so weise vorkam, wie zuvor, wenn ich ihre Stimme vernommen hatte. „Ich hatte mich schon gefragt, wie lange du den Rucksack noch mit dir herumtragen würdest, bevor du hineinschaust“, kicherte sie. „Sehr witzig“, schmollte ich. Sie hatte leicht kichern, mir tat mein Rücken und das Knie weh.
Doch irgendwie war es schon auch lustig und ich fühlte ein Lachen in mir aufsteigen. Wie hatte ich mich abgemüht, nur um die Last, die jemand anderer für mich eingepackt hatte, herumzutragen. Ich hatte nicht hinterfragt, hatte einfach alles als gegeben hingenommen. Das erinnerte mich schon sehr an mein Leben. Das Kichern und Lachen von Rapha war so ansteckend, dass ich auch lachen musste. Ich lachte über mich selbst und welchen alten Plunder ich die ganze Zeit mit mir rumgeschleppt hatte. Es war befreiend, so über mich und mein Leben zu lachen. Als mir vor Lachen alles wehtat, fühlte ich mich dennoch wieder deutlich besser und viel freier. Lachen war wirklich gesund und tat mir gut.
Neugierig packte ich den restlichen Inhalt des Rucksacks aus. Ich nahm Gegenstände heraus, die mich an Erlebnisse aus der Kindheit erinnerten. Dinge, die mich an Werte und Überzeugungen meiner Eltern und Großeltern erinnerten. Ich sah Bilder aus meiner Kindheit und Jugend. Manche Dinge aus dem Rucksack erinnerten mich an verflossene Beziehungen, die ich vor langer Zeit einmal gehabt hatte. Ich hatte Platz für zwei Stapel vorgesehen, einen davon für all die Dinge, die ich nicht mehr weiter tragen wollte und einen für all die Dinge, die ich weiterhin mitnehmen wollte. Verwendet hatte ich bisher aber nur den ersten der beiden Plätze. Noch hatte ich unter all den Sachen nichts gefunden, das ich weiterhin behalten und mitnehmen wollte. Neben dem Bach kniend nahm ich jeden Gegenstand heraus, spürte in ihn herein und achtete auf meine Gefühle. Erinnerungen und Gefühle tauchten auf, während ich die Gegenstände in der Hand hielt. Ich fühlte, dass es gut war, endlich diese Inventur der Dinge zu machen, die ich schon so lange bei mir hatte. Es war an der Zeit die Sachen durchzuschauen und sie auf den Stapel der Dinge zu legen, die ich nicht mehr mitnehmen wollte.
Als ich fertig und der Rucksack ausgeräumt war, gab es immer noch nur den einen Stapel. Es war nichts dabei gewesen, was ich noch mitnehmen wollte. Und jetzt?, fragte ich mich, was soll ich mit dem Krempel machen? „Alles geht in Liebe und in seiner reinsten Form wieder dorthin zurück, wo es hingehört. Jeder Gegenstand, jede Energie die hinter all den Gegenständen steht, geht wieder an die Person zurück, von der du ihn bekommen hattest. „Du kannst dir jetzt noch, wenn du das möchtest, vorstellen dass die Reihen deiner Ahnen hinter dir stehen. Hinter deiner einen Schulter steht deine Mutter und hinter ihr alle weiblichen Vorfahren deiner Linie. So viele Generationen deiner Familie zurück, wie es sich richtig anfühlt. Hinter deiner anderen Schulter steht dein Vater, hinter ihm alle männlichen Vorfahren deiner Linie, bis zu der Generation, zurück, wie es sich richtig anfühlt. Du kannst ihnen nun alles zurückgeben, das nicht das deine ist“.
Diese Idee gefiel mir. Mit dem Kreisel fing ich an. Dann gab ich Gegenstand für Gegenstand so an meine Ahnen zurück. Meine Eltern nahmen sie dankend entgegen, behielten was ihres war und gaben an ihre Eltern weiter, was deren war. Alles wurde wieder dorthin gegeben, wo es hingehörte, wo es geheilt werden konnte, so verschwanden nach und nach alle Gegenstände. „Du darfst sie alle gehen lassen, lange genug hast du sie für alle anderen getragen. Jetzt darfst du dein eigenes Leben zu leben beginnen. Du brauchst kein schlechtes Gewissen zu haben, das du all das wieder zurückgibst. Im Gegenteil, es ist gut und heilsam, sowohl für dich als auch für alle, deren Energien du mit dir mitgetragen hattest“.
Und genauso war es auch: Mit jedem Gegenstand, der verschwand, wurde es leichter in meiner Brust, die Enge, die Schwere und die Verspannungen, meine jahrelangen Begleiter, lösten sich mehr und mehr auf. Sie wurden leichter und leichter bis ich sie gar nicht mehr wahrnehmen konnte. Dann waren sie verschwunden, sie waren geheilt. Ich atmete tief durch, es war frei in mir geworden. „Stell dir nun noch einmal vor, dass deine weibliche Ahnenlinie hinter dir steht und auf dich schaut. Dann frag sie, was das Motto deiner weiblichen Ahnenlinie ist“, leitete mich meine weise Freundin an. „Recht und Gerechtigkeit“, bekam ich sofort als Antwort aus der Ahnenlinie. „Stell dir nun noch einmal vor, dass deine männliche Ahnenlinie hinter dir steht und auf dich schaut. Frage sie nun, welches Motto deine männliche Ahnenlinie hat“, führte mich meine weise Freundin weiter. „Anstand und Moral“, war die Antwort, die mir meine männliche Ahnenlinie sofort gab.
Was sollte ich denn damit wieder anfangen? Mit Recht und Gerechtigkeit konnte ich ja noch etwas anfangen. Aber bei Anstand und Moral verzog ich meine Miene und rümpfte die Nase. “Was soll ich damit?“ fragte ich leicht genervt. Davon völlig unbeirrt fuhr meine weise Lehrerin fort zu erklären: „Wenn du die zwei Leitsätze verbindest, welcher Leitsatz entsteht dann für dich?“ „Ein Leben, in dem es um Gerechtigkeit und Anstand geht, das sich auch gegen die Regeln der Moral stellt, sobald diese überholt sind oder mich behindern könnten.“ Ich war mir nicht sicher, ob diese Worte meine Antwort oder eher eine Frage waren, doch meine Ratgeberin lies diesen Satz so stehen ohne ihn zu kommentieren. Mein Lebensmotto musste ich wohl selbst herausfinden, dachte ich etwas enttäuscht, denn es wäre schön gewesen und vor allem überaus bequem, wenn sie mir mein Lebensmotto verraten hätte.