Tote lesen keine Krimis - Rudolf Strohmeyer - E-Book
SONDERANGEBOT

Tote lesen keine Krimis E-Book

Rudolf Strohmeyer

0,0
4,99 €
Niedrigster Preis in 30 Tagen: 3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Ein cholerischer Regisseur, ermordet vor der Theaterbühne. Eine tote, junge Frau mit falschem Buch im Bach. Ein diskreter Verein mit todernsten Absichten. Und inmitten die wortgewandte Kommissarin Richter, die mit spitzer Zunge ihr Urteil fällt. Eine Klatschreporterin mit Ermittlungsdrang, eine Dorfidylle, hinter der das Grauen lauert … Zehn kriminalistische Geschichten, die mit Zynismus und einer Prise schwarzen Humors in die Welt der Klein- und Großstadtverbrechen führen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


 

HYBRID VERLAG

Ebookausgabe

05/2018

 

 

 

 

 

 

 

© by Rudolf Strohmeyer

© by Hybrid Verlag, Westring 1, 66424 Homburg

 

Umschlaggestaltung: © 2018 by Creativ Work Design, Homburg

Lektorat: Matthias Schlicke

Autorenfoto: Christa Strohmeyer

 

 

Coverbild ›Künstlerpech‹

© by Creativ Work Design

Coverbild ›Extrem‹

© by Hygin Graphix

 

ISBN 978-3-946-82036-9

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

 

 

Rudolf Strohmeyer

 

 

 

 

Tote lesen keine Krimis

 

 

 

 

 

 

 

 

Kriminalerzählungen

 

 

 

 

 

Für meine unbeschreibliche Familie …

 

und das wundervolle »Peanuts«-Quartett

Inhaltsverzeichnis

Erste Abteilung – Die Richter-Trilogie

Mord im Theater

1. So ein Theater

2. Zeugen

3. Maier ermittelt

4. Wochenende

5. Klinkenputzen

6. Richter geht ins Theater

7. Brainstorming

8. Die Welt ist eine Bühne

9. Der Vorhang fällt

Tod einer Bücherbotin

Prolog

1. Tatort im Regen

2. In der Bibliothek

3. Die Nackte und die Tote

4. Beim Baron

5. In der Küche des Barons

6. Der Student

7. Rost

8. Die lange Nacht

9. Das Dunkel lichtet sich

10. Die zwei Leben Fibels

11. Diebesgrüße aus Moskau

Epilog

Richter und das Mörderkarussell

1. Teil - Jahr 2004 – In der Todesspirale

2. Teil – Jahr 2005 – Am Rande des Wahnsinns

Zweite Abteilung – Bis zum Morgen-Grauen: Schlafstörende Stories

Philosophie eines Mordes

Angerbach sehen und sterben

Die Mühen der Hochebene

Eine Geschichte, die niemanden interessiert

Dritte Abteilung – Aus dem Leben einer Klatschreporterin

Herzflimmern auf Gran Canaria

1. Recherche

2. Konfrontation

3. Herzstillstand

Körbchengröße

1. Vollmond

2. Das Interview

3. Neumond

Vierte Abteilung – For adults only

Der Willoughby-Auftrag

 

Erste Abteilung – Die Richter-Trilogie

 

 

 

 

 

»Die Welt ist alles, was der Fall ist.«

(Ludwig Wittgenstein)

»Die Welt ist alles, was der Kriminalfall ist.«

(Isabella Richter)

 

 

Mord im Theater

 

 

 

1. So ein Theater

 

Als Kommissarin Richter aus ihrem Auto stieg, trat genau das ein, was sie lange Zeit befürchtet hatte: Es begann zu regnen. Die ganze Fahrt über hatten sich schon schwere, vollgesogene Wolkenmassen zusammengeballt, die sich nun, wie auf ein Stichwort, zielgenau über ihr entluden.

Zum Glück war der Weg zur Eingangstür des Theaters nicht weit, doch ausreichend, um ihre mit sträflicher Sorglosigkeit gefertigte Frisur rettungslos und endgültig zur optischen Katastrophe zu deformieren. Das schulterlange, braune Haar, beidseitig über die Ohren zurückgestrichen, präsentierte sich im Uhrzeigersinn gedreht und auf faustgroße Knödeldicke geballt. Als Krönung des Ganzen durchbohrte eine Forke aus Mahagoniholz die Haarkonstruktion.

Isabella Richter schloss die Tür hinter sich und schüttelte energisch die Tropfen aus ihrer Frisurruine. Dann erblickte sie ihr Empfangskomitee.

Der größere der beiden Männer, im Unterschied zu seinem Begleiter nachlässig gekleidet, schritt mit ausgestreckter Hand auf sie zu.

»Frau Kommissarin? Ich bin Kriminalassistent Maier von der örtlichen Polizeidienststelle. Es freut mich, dass Sie sich eigens aus der Kreisstadt herbemüht haben«, heuchelte er. »Ihr Spitzname: ›die Richterin‹, nicht wahr?« Eisiger Blick. »Hatten Sie eine angenehme … Oh, ich sehe. Darf ich Ihnen den Mantel abnehmen?«

»Und dieser Herr ist …?«, beunantwortete Richter.

»Ich bin der Pförtner dieses Theaters, Wackernagel«, stellte sich der in korrekte Büromontur gewandete Theaterangestellte vor.

»Dann wollen wir keine Zeit verlieren und uns den Tatort ansehen«, bemerkte Richter.

Das Theater war tatsächlich so klein, wie es bereits die Außenansicht des Gebäudes hatte vermuten lassen. Die hoffnungslos veraltete Inneneinrichtung mit dem Gestühl aus hölzernen Klappsesseln stellte in ihrer Primitivität sogar das Festspielhaus von Bayreuth in den Schatten. Vor der winzigen Bühne befand sich ein für gelegentliche Musikbegleitung vorgesehener Orchestergraben, der knapp vier Musikern und einem Piano Platz zu bieten versuchte.

»Bei dem Opfer handelt es sich um den Regisseur Alois Pirringer, in dritter Ehe geschieden, kinderlos.« Maier drehte sich zu Herrn Wackernagel um. »Es geschah während einer Probe zu ›Kasimir und Karoline‹?«

Richter holte aus ihrer Aktenmappe, die sie ständig bei sich zu tragen pflegte, einige Blätter heraus und zitierte nach einigem Suchen: »Todesursache war ein Stich mit einem dolchartigen Messer in den Rücken. Die Tatwaffe wurde sichergestellt. Auf ihr befanden sich nach bisherigen Ermittlungen Fingerabdrücke desjenigen, der das Opfer als erster entdeckt hat, des Schauspielers Vinzenz Wendelin.«

Maier erläuterte weiter: »Pirringer saß zusammengesunken in der ersten Reihe. Der Griff des Messers ragte aus seinem Rücken. Wendelin gab an, zunächst an einen Scherz mit einem Theaterdolch gedacht zu haben, so dass er instinktiv nach der Waffe griff. Im Übrigen geht man davon aus, dass die Tat von einem Rechtshänder begangen wurde, was Wendelin als Linkshänder vermutlich ausschließt.«

»Das Protokoll vermerkt, dass dieser Schauspieler Wendelin als einziger an der Probe teilnahm. Ob sich sonst noch jemand im Zuschauerraum befand, habe er wegen der absoluten Dunkelheit im Saal bei gleichzeitig hell erleuchteter Bühne nicht erkennen können. Als er, wie vom Regisseur vorgesehen, während seiner Szene über das seitliche Bühnentreppchen in den Zuschauerraum herunterstieg, um danach monologisierend vor der ersten Klappstuhlreihe zur Treppe auf der anderen Seite zu schlendern, habe er erst nach Wiederbetreten der Bühne – so vertieft sei er in seine Rolle gewesen! – entdeckt, dass mit Pirringer etwas nicht zu stimmen schien. Im Endergebnis«, die Kommissarin wandte sich wieder an die beiden Herren, »haben wir also einen Augenzeugen, der nichts gesehen hat! Da werden wir wohl Daumenschrauben anlegen müssen.«

Wackernagel meldete sich: »Wir haben auch noch einen Ohrenzeugen, besser eine Ohrenzeugin!«

Richter zog fragend die Augenbrauen in die Höhe. »Ja, unsere Souffleuse, Frau Kunz. Sie war, wie immer, auch bei dieser Probe in ihrem Souffleurkasten, und müsste eigentlich alles, was vorgefallen ist, gehört haben.«

»Ausgezeichnet. Maier, bestellen Sie diesen Wendelin und diese Kunz im Abstand einer Stunde, sagen wir um 8 Uhr und um 9 Uhr, morgen zu mir ins Büro im Hauptkommissariat. Eines kann ich bereits jetzt zu diesem Fall sagen: Es scheint sich um einen ausgesprochen theatralischen Mord zu handeln!«

2. Zeugen

 

Man konnte nicht behaupten, dass es Isabella Richter an jeglichem weiblichen Reiz gefehlt hätte. Leider jedoch verbarg sie diesen so geschickt, dass Interessierte ihre von libidinösen Hoffnungen beflügelte Suche bald abbrachen. Den Rückzug potentieller Verehrer unterstützte, dass deren Suche eben nicht unterstützt wurde. Anders gesagt, dass ›die Richterin‹ sich einen Panzer aus Herbheit und Kühle zugelegt hatte, den sie genau dann auf seine Verlässlichkeit zu prüfen pflegte, wenn dieser sich nur als trennendes Hindernis entpuppen konnte. Von Kollegen wurde dieser Abwehrreflex küchenpsychologisch auf fehlenden Geschlechtsverkehr zurückgeführt, womit sie ganz präzise die Wirkung mit der Ursache vertauschten.

Sie war von mittlerer Größe, ihre Frisur spottete beinahe jeder Beschreibung (über die Haartracht war der Standardwitz »Nette Frisur, die Sie da nicht haben!« im Umlauf), und der Blick interessierter Männer registrierte eine etwas vernachlässigte Figur. In ihrem Gesicht zeigten sich die Spuren zu vieler aus den falschen Gründen durchwachter Nächte. Sie selbst schätzte sich auf etwa 45 Jahre, lag damit aber um etwa 1/8 zu niedrig. Ihr durchaus attraktives Gesicht mit den hellen, klug blickenden Augen verunstaltete eine Stahlrahmenbrille von Massenwarendesign.

Nachdem sie ihren beigen Alfa Romeo Mito, 120 PS, auf dem für sie reservierten Parkplatz verwahrt hatte, begab sich Richter unter wortlosem Grüßen des diensthabenden Wachebeamten in ihr Büro. Über die Sprechanlage bestellte sie stehend vorgebeugt bei ihrer Sekretärin eine Tasse Kaffee, während sie sich gleichzeitig ihres Mantels entledigte. Die Regenfeuchtigkeit war nachtsüber aus diesem entwichen.

Die Kommissarin nahm an ihrem Schreibtisch Platz und breitete die Unterlagen zum Theatermord-Fall vor sich aus, um sich einen Überblick über die bisher vorliegenden Fakten zu verschaffen.

Donnerstag, 10 Uhr vormittags: Probe für eine Szene aus ›Kasimir und Karoline‹, anwesend der Regisseur Pirringer (Mordopfer), der Schauspieler Wendelin, der die Dialogszene alleine mit dem Regisseur durchspielen soll, sowie die Souffleuse Frau Kunz. Im Publikum: ??? An einer bestimmten Textstelle sieht die Regie vor, dass Kasimir die Bühne verlässt, an der ersten Reihe entlanggeht und danach auf die Bühne zurückkehrt. In diesem Moment entdeckt Wendelin den auf seinem Sitz in der ersten Reihe zusammengesackten Herrn Pirringer, kehrt zu ihm zurück und greift nach dem im Rücken steckenden Messer.

Fragen: Konnte Wendelin die Tat selbst begangen haben? Das Messer in der untrainierten rechten Hand haltend sich vor Pirringer hinstellen und es im Zuge einer tödlichen Umarmung diesem in den Rücken stoßen? Dabei den Text weiter herunterbeten? Saß noch jemand im Publikum? Wer? Was hat die Souffleuse gehört?

Das Signal an der Sprechanlage leuchtete auf, gleichzeitig meldete sich die Sekretärin. »Herr Wendelin.«

Als der großgewachsene, trotz seiner 40 Jahre (laut Maiers Dossier zum Mordfall) Jugendlichkeit ausstrahlende Schauspieler das Büro betrat, verspürte Richter beim Anblick seiner blonden Haare eine uneingestandene Erleichterung. Wie viele Frauen fand sie dunkelhaarige Männer attraktiver.

Nach der Begrüßung und dem Einnehmen der Plätze forderte Richter den Vorgeladenen zu einer möglichst genauen Schilderung des Probenverlaufs auf.

Vinzenz Wendelin berichtete im Wesentlichen, was bereits bei den ersten Einvernahmen protokolliert worden war. Zur Frage nach eventuell im Zuschauerraum befindlichen Personen meinte er, dass zumindest am Beginn der Probe das komplette Ensemble des Stückes im Saal gesessen sein dürfte. Es sei nämlich eine ausdrückliche Anordnung des Regisseurs gewesen, sich bei allen Proben vollständig einzufinden.

Da Pirringer allerdings bereits extrem schlecht sah und die Dunkelheit des Saales unterstützend wirkte, suchten die sich zuvor am Saaleingang entsprechend präsentierenden Ensemblemitglieder nach Probenbeginn mehr oder weniger rasch das Weite. Da Proben gewohnheitsmäßig mit Wutausbrüchen des Regisseurs zu enden pflegten, interessierte ihn die Zuschauerfrequenz bei Probenende nicht mehr wirklich.

Richter kaute kurz an ihrem Bleistift. »Beschreiben Sie doch bitte Ihr Verhältnis zum Verstorbenen. Was war Pirringer für ein Mensch?«

Wendelin sah der Kommissarin geradewegs in die Augen und sagte: »Das Verhältnis zwischen Schauspielern und Regisseuren ist für gewöhnlich ein wenig spannungsreich. Man macht sich beim Rollenstudium eine Vorstellung von der Person, die man verkörpern soll, und sieht sich dann gelegentlich mit völlig gegensätzlichen Konzepten des Regisseurs konfrontiert. Das regelt sich nicht immer ohne – auch heftige – Diskussionen. Aber Pirringer ist ein anerkannter, ja nahezu berühmter Meister seines Faches.«

»Meister seines Faches? Und arbeitet an einem Provinztheater?«

»Das hat mit der schon erwähnten rapide zunehmenden Sehschwäche zu tun, die ihm den Zugang zu höherrangigen Bühnen versperrte.«

Die Kommissarin dankte und entließ Wendelin mit einem förmlichen Handschlag. Danach skizzierte sie einige Überlegungen, die sie ihrer Blättermappe hinzufügte. Das Hauptinteresse galt natürlich der Frage, welche Schauspieler der Probe, zumindest zeitweise, beigewohnt hatten. Und wer von diesen konnte einen Grund gehabt haben, Pirringer zu ermorden?

Sie würde jedenfalls Maier mit entsprechenden Nachforschungen beauftragen. Die Zahl der Verdächtigen sollte auf Grund der Bedeutungslosigkeit des Theaters und der daraus sich ergebenden geringen Personalausstattung sehr begrenzt sein.

Frau Kunz, eine rundliche, kleine Frau mit ein wenig ängstlicher Körperhaltung, vermochte beim Gesprächspartner Beschützerinstinkte zu wecken. Oder war dieser Effekt gar beabsichtigt? dachte Richter.

»Bitte nehmen Sie Platz! Sie saßen also in Ihrem Souffleurkasten, um die Szenenprobe von Herrn Wendelin zu begleiten. Schildern Sie mir bitte so genau wie möglich, was sich bei dieser Probe ereignete.«

»Wie Sie sich sicher vorstellen können«, sagte Frau Kunz mit berufsbedingt leiser, aber deutlicher Stimme, »ist mein Blickfeld auf die Bühne beschränkt. Da die Regie eine kurze Verlagerung des Spielgeschehens in den Zuschauerraum für sinnvoll hielt« – hier ließ Frau Kunz eine kurze, dem Unausgesprochenen gewidmete Pause entstehen – »konnte ich weder von Herrn Wendelin noch von dem schrecklichen Verbrechen direkt etwas sehen. Ich hörte lediglich einen der Klappsitze hochschnellen: Praktisch gleichzeitig setzte die stücktextbedingte Schreitirade Kasimirs ein, während der er ja auch wieder auf die Bühne zurückkehrte. Plötzlich stockte Wendelin und verließ die Bühne. Danach dann sein Entsetzensschrei, Rufen nach dem Arzt usw.«

»Wie war denn Ihr Verhältnis zu Herrn Pirringer?«

»Schrecklich! Dieser Mensch war ein Teufel! Das ganze Theater hatte nur den Spitznamen ›Der Führer‹ für ihn. Während der Proben pflegte er in konzentrierter Ruhe zuzuhören, um dann, wenn die Schauspieler sich in Sicherheit wiegten, in endlosen Brüllmonologen die völlige Wertlosigkeit der gebotenen Leistungen in höchst beleidigender Weise festzustellen.«

Die gedämpfte Lautstärke, mit der diese Aussagen getätigt wurden, stand in merkwürdigem Gegensatz zu einer mühsam beherrschten Erregung, die sich in dem leichten Zittern der auf dem Schreibtisch ruhenden Hände zu erkennen gab.

Kommissarin Richter hakte nach: »Das Verhältnis zwischen Herrn Pirringer und Herrn Wendelin schien mir aber eher abgeklärt?«

Zu ihrem Erstaunen reagierte Frau Kunz mit einem unfrohen Lachen. »Wendelin wurde vor drei Tagen auf Betreiben Pirringers entlassen und sollte nach dem ›Kasimir‹ seine Sachen packen!«

Richter kaute unwillkürlich an ihrem Daumennagel, griff dann aber reaktionsschnell zu einem unverfänglicheren Bleistift.

»Ich nehme an, dass Pirringers schwierige Umgangsformen mit seiner Sehschwäche zusammenhängen könnten?«

»Selbstverständlich. Darum wurde er auch immer geräuschempfindlicher. Für die armen Schauspieler, die bei den Proben im Zuschauerraum sitzen mussten, war es nicht immer einfach, einen geräuschlosen Abgang hinzukriegen.«, bestätigte Frau Kunz.

3. Maier ermittelt

 

Maier ärgerte sich.

Wenn das bloß die Richterin nicht erfährt! Beauftragt, die Schauspieler nach sachdienlichen Wahrnehmungen abzuklopfen, war er doch tatsächlich so gedankenlos gewesen, schnurstracks zum Theater zu marschieren. Jetzt starrte er begriffsblind auf den handgeschriebenen Aushang, das Theater bleibe infolge eines tragischen Todesfalles für drei Tage geschlossen. Natürlich! Die einzige Adresse, die er sich aus der Fallakte gemerkt hatte, betraf den Schauspieler Wendelin. Dieser erwies sich als sprudelnde Quelle, was die Wohnanschriften seiner Kollegen betraf. Maier setzte sich in Bewegung.

Die Entfernungen in diesem Provinznest ließen sich passenderweise leicht zu Fuß bewältigen; zudem hatten sich die am Theater engagierten Schauspieler nach Möglichkeit nahegelegene Unterkünfte besorgt, so dass der Kriminalassistent die ihm von Wendelin genannten Adressen ohne Probleme der Reihe nach aufsuchen konnte. Das Stamm-Ensemble, im Bedarfsfalle von Gastschauspielern anderer Bühnen sowie von Komparsen ergänzt, bestand aus einer Schauspielerin und vier männlichen Kollegen, die auch allesamt zur Besetzung von ›Kasimir und Karoline‹ gehörten.

Anwesenheit bei der tragisch endenden Probe? - Ja klar, wir hatten ja keine Wahl.

Wann den Tatort verlassen? - So bald wie möglich, also innerhalb der ersten zehn Minuten nach Probenbeginn.

Etwas Besonderes festgestellt? - ›Der Führer‹ so unleidlich wie immer, sonst nichts.

Mit diesen eingestandenermaßen dürftigen Ermittlungsergebnissen kehrte Maier in das Kommissariat zurück.

Ein weiteres Mal blätterte die Chefermittlerin durch die Befragungsprotokolle, dann warf sie einen prüfenden Blick auf Maier.

»Nicht gerade eine Fundgrube an hilfreichen Informationen, die Sie mir hier vorlegen. Es ist völlig ausgeschlossen, dass sich bei Pirringers Tod niemand mehr im Theatersaal befunden haben soll. Wenn Frau Kunz das Geräusch eines Klappsessels gehört hat, dann kann es sich dabei mit größter Sicherheit doch nur um den des Täters - oder der Täterin – gehandelt haben. Ich muss diesen Herrn Wackernagel noch einmal kontaktieren.« Richter nahm kurz ihre Brille ab und rieb sich die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand. »Der Pförtner sollte doch gesehen haben, wer wann das Theater verlassen hat.«

Sie erhob sich. »Jetzt aber lassen wir erst einmal das Wochenende vorüberrauschen.« Ein Zwinkern des rechten Auges belehrte Maier darüber, was wirklich von dieser Aussage zu halten war.

4. Wochenende

 

Wohl die meisten Menschen erachteten es für völlig gerechtfertigt, den 28. April zum jährlichen Feiertag zu erklären, handelt es sich doch um den Geburtstag Anthony Ashley-Coopers.

Der späterhin Lord Shaftesbury Genannte setzte immerhin in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den freien Samstagnachmittag politisch durch und feuerte damit den Startschuss zu der Institution ›Wochenende‹ ab.

Isabella Richter zählte mit Sicherheit nicht zu den Gratulanten. Dem ›Wochenende‹ haftet die unangenehme Eigenschaft an, beinahe nie ganz die Erwartungen einlösen zu können, die man ihm beilegt.

Ein unleugbar großer Teil der arbeitenden Bevölkerung hat verinnerlicht, die zur Finanzierung ihrer Freizeit zu investierende Zeitressource, kurz die berufliche Tätigkeit, als eine Verschwendung wertvollster Lebenszeit zu betrachten. Nur im Rahmen jobferner Gestaltung könne Lebenszeit sinnvoll und genussbringend den Glückserwartungen genügen. Demzufolge beginnt bereits zu Beginn der Arbeitswoche das ängstliche Starren auf die langfristige Wetterprognose. Hand in Hand damit gehen die Detailplanungen der Alternativszenarien, die von Plan B abwärts das halbe Alphabet strapazieren. Was folgt, ist das vom Weihnachtsfest her bekannte Dilemma: Die übergroße Erwartung legt die Saat für die Ernte der Frustration.

Wie so viele andere unglücklich lebende Singles befand sich Richter in der beneidenswerten Situation, auf jegliche Wochenendwetterinformation verzichten und dem klimatischen Geschehen in immuner Ignoranz gegenübertreten zu können (was natürlich das entsprechende Wollen voraussetzt).

Wie so viele andere glücklich Alleinlebende sah sich Richter in der bedauernswerten Lage, den Verlauf ihrer Wochenenden auf eine Art ertragen zu müssen, die darauf hinausläuft, dass sich nachträglich stets ein Rechtfertigungsbedarf gegenüber dem eigenen Gewissen einstellt.

Die Kommissarin saß in ihrem Wohn- und Fernsehzimmer an ihrem Schreibtisch; in diesem intimeren Rahmen darf man sie Isabella nennen. Durch die zugezogenen Vorhänge schimmerte das Licht der Nachmittagssonne als blasse Folie. Auf dem Tisch lagen die Vernehmungsprotokolle im Theatermordfall Pirringer. Isabella unterzog sie einer unverbindlichen Lektüre. Vor sich hatte sie eine kleine Flasche Bier und, da sie sich nicht entscheiden konnte oder wollte, ein Glas Rotwein gestellt. Das Haar trug sie nun entforkt. Um die ausgelassene Wochenendstimmung zu vervollkommnen, seufzten die Tindersticks ihr ›Dying slowly‹ aus den Boxen des CD-Players.

Der Fernsehapparat flimmerte stummgeschaltet; da ein Kriminalfilm lief, hatte Isabella entschieden: Nur die Realität kann die Fiktion übertreffen. Sie wandte sich von den ihrer Auffassung nach zu wirklichkeitsnahen Kriminalfällen ab und dem Fall Pirringer zu.

Es fiel nicht allzu schwer, aus den Unterlagen eine Unstimmigkeit in den Aussagen der Schauspieler herauszufiltern, aber es dauerte dennoch eine Weile, bis sie ihren Finger darauf legen konnte. Ferdinand Rainald, der sich als Schauspieler Ferdinand Rayon nannte, hatte ausgesagt, sich in der Finsternis des Saales versehentlich auf den Schoß eines seiner Kollegen gesetzt zu haben. Schweigend und mit angemessener Beschämung habe er rasch den Sitz gewechselt, auf Geräuschlosigkeit peinlich bedacht. Soweit, so belanglos. Warum aber hatte dann der andere, unfreiwillig zur Sitzfläche mutierte Schauspieler, nichts davon erwähnt?

Isabella dachte nach. Sie nahm die Brille ab und knetete die Nasenwurzel mit Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Vielleicht würde jetzt ein Schluck Bier helfen? Wenn auch nicht guttun, denn sie vertrug Alkohol nur schlecht. Entweder maß dieser andere – es handelte sich um einen G.W. Hoffmann – dem Vorfall keine erwähnenswerte Bedeutung bei, oder er hielt sich mit Aussagen so weit wie möglich zurück, um nicht ins Visier der Ermittler zu geraten.

Sie konnte wohl ausschließen, dass Rainald, pardon Rayon, die Geschichte erfunden hatte, denn was um Himmels willen sollte er denn damit erreichen wollen?

Wer beerbt eigentlich Pirringer? Mensch, Maier! schimpfte sie, mach doch deine Hausaufgaben! Sie nahm jetzt doch einen Schluck aus dem Rotweinglas, während sie der zelebrierten Langsamkeit einer Schmerzballade der ›Tindersticks‹ lauschte.

Beim restlichen Ensemble handelte es sich um Frau (genannt ›Fräulein‹) Susi Baldauf, eine sehr junge (›blut‹junge?) Anfängerin, der die Tötung des Regisseurs schon aufgrund ihrer Statur kaum zugetraut werden durfte, und den als Graue Eminenz im Theater respektierten Grandseigneur Attila Rühmann (nicht verwandt mit Heinz!).

Den Schlüssel zur Lösung des Falles konnte sie erfahrungsgemäß nur bei der Durchleuchtung der familiären Hintergründe des Opfers sowie der Tatverdächtigen finden. Falls hier Querverbindungen auftauchen sollten, kam man vielleicht der alles entscheidenden Motivfrage näher.

Die persönlichen Daten der von Maier Einvernommenen befanden sich nicht in den Vernehmungsprotokollen, sondern direkt in der Fallakte, Ordner I. Richter trug diese Akte auf ihrem USB-Stick bei sich (womit sie allerdings gewisse Dienstvorschriften verletzte), den sie jetzt ihrem Laptop injizierte.

Anfangen wollte sie mit dem ›Besetzer‹ Rayon und dem ›Besessenen‹, G.W. Hoffmann, seit acht Jahren Ensemblemitglied und damit um gute fünf Jahre länger als der berühmte Regisseur Pirringer.

Als die Personenbeschreibungen auf dem Bildschirm aufflackerten, ahnte sie noch in keiner Weise, welch sensationelle Entdeckung sie wenig später machen würde.

Isabella kaute kurz auf ihrem rechten Daumennagel und nahm dann einen Schluck Bier. Sie rülpste und sah auf die Uhr: Noch vierzig Stunden bis Montag früh.

5. Klinkenputzen

 

Als Richter das nun wieder geöffnete Theater betrat, traf sie wie erhofft den Pförtner Wackernagel. Dieser war mit dem Kassenbuch sowie der Vorbereitung des am heutigen Abend stattfindenden Kartenverkaufs beschäftigt.

»Ich will Sie nicht lange aufhalten«, begann die Kommissarin, »aber ich bitte Sie, sich so genau wie möglich an Donnerstagvormittag zu erinnern. Sie waren zur Zeit des Probenbeginns anwesend und hatten kurz zuvor das Theater aufgesperrt?«

»Richtig, Frau Kommissarin Richter«, bestätigte Wackernagel. »Ich öffnete auch die Saaltür, sah nach, ob die Bühnenbeleuchtung funktioniert und so weiter. Regisseur und Souffleuse kamen gemeinsam, und danach kurz vor 10 Uhr in geringem zeitlichen Abstand der Hauptdarsteller, das Fräulein und die übrigen Darsteller.«

»Die Schauspieler waren alle zur gleichen Zeit im Zuschauerraum? Wann und in welcher Reihenfolge verließen sie diesen? Denken Sie bitte genau nach; es ist äußerst wichtig.«

»Es tut mir leid. Ich entfernte mich aus dem Theater kurz nach Probenbeginn, um Bier zu kaufen, das für die Abendaufführung als Bühnenutensil verwendet werden sollte.«

Richter vermochte ihre Enttäuschung kaum zu verhehlen.

»Danke. Das war es dann auch schon vorläufig.«

Sie wandte sich um und schritt dem Ausgang zu. Sie hatte bereits die schwere, verglaste Tür halb nach außen geöffnet, als Wackernagel noch bemerkte: »Ja, und natürlich war ›Krücke‹ auch wieder dabei.«

Richter blieb wie angewurzelt stehen. »›Krücke‹!?«

»Ja, unser Pianist. Herr Pospischil. Wir haben ihm den Spitznamen ›Krücke‹ verpasst, weil …, aber ich glaube, das werden Sie selbst sehen.«

»Warum um Himmels willen erwähnen Sie den erst jetzt?«

Die Kommissarin hatte sich wieder an das Kassenpult gestellt und öffnete nun ihre obligate Ledermappe, um sich auf einem Blatt Notizen zu machen.

»Ich wurde immer nach den Schauspielern gefragt und der Pospischil spielt ja sowieso keine Rolle. In wortwörtlichem Sinn!«, fügte er unwillkürlich amüsiert hinzu, sofort durch einen strafenden Blick auf das Unangemessene hingewiesen.

»Wo finde ich Herrn Pospischil?«

»Sie haben Glück. Er wohnt sogar hier im Hinterhaus. An der Rückseite finden Sie den Eingang, dann gleich im Parterre links.«

Die Rückseite des Theatergebäudes sprach der kulissenhaften Imposanz der Vorderfront gewissermaßen Hohn. Das Hinterhaus nicht minder. Durch die abgenutzte Eingangstür eingetreten, befand man sich in einem schlecht beleuchteten Treppenhaus; links vom Stiegentrakt befand sich die Wohnungstür mit dem Schild ›Pospischil‹. Richter drückte auf den Klingelknopf.

Aus dem Inneren der Wohnung vernahm Sie den aus einiger Entfernung ausgestoßenen, ein wenig nasal tönenden Ruf »Ist offen!« Sie drückte die Tür auf und betrat die Wohnung.

Der vom Vorraum in das Wohnzimmer führende Gang gewährte freie Sicht, so dass der in einem Fauteuil sitzende Wohnungsinhaber direkten Blickkontakt mit der Eintretenden aufnahm. Die ziemlich unaufgeräumt wirkende Wohnung ließ deutlich die fehlende weibliche Gewissenhaftigkeit in Haushaltsdingen erkennen. Verstreut lagen auf dem Boden sogar einige rotgefleckte Papiertaschentücher. Pospischil selbst hielt sich gerade eines unter die Nase und bemeisterte so deren Blutung.

»Entschuldigen Sie, Nebenwirkung gerinnungshemmender Medikamente. Blutverdünnend. Es rinnt immer dann aus der Nase, wenn’s absolut unpassend ist.« An den Armlehnen lehnten zu beiden Seiten Krücken.

Die Kommissarin musterte den Mann. Selbst bei dessen Sitzposition hatte man den Eindruck, einen bemerkenswert großgewachsenen Mann vor sich zu haben. Vermutlich verhalfen ihm das leicht grau melierte Haar über dem männlich kantigen Gesicht und seine Ausstrahlung von Selbstbewusstheit zu erheblicher Wirkung auf Frauen.

Der Mann steckte das Taschentuch in seine Westentasche, rieb kurz den Daumenballen unter seinen Nasenlöchern und fragte nach dem Zweck des Besuches.

Richter wies sich aus und begann ihre Befragung: »Sie haben also der Probe beigewohnt. Warum? Ist Ihnen etwas aufgefallen? Wann gingen Sie wieder?«

Pospischil zog den Daumenballen der rechten Hand unter der Nase durch und sagte: »›Kasimir‹ hat, wie Sie vielleicht wissen« – Daumenballen, Nase – »musikalische Einsprengsel am Pianoforte, die in meiner Zuständigkeit liegen.« Daumenballen, Nase. »Es ist daher für mich von Interesse, wie die Sprechpassagen inszeniert werden. Ich verließ den Zuschauerraum so etwa gegen Ende der Probe, um den ›Führermonologen‹ zu entgehen.« Der rechte Daumenballen machte einen Nasenbesuch. »Übrigens können Sie mich ruhig zu meiner ›Behinderung‹ befragen; die interessiert Sie ohne Zweifel.« Richter schwieg. »Vor einem halben Jahr hielt der liebe Verstorbene« - Besuch bei der Nase – »es für angebracht, nach Einbruch der Dunkelheit in seiner Blindheit einen unschuldigen Passanten vor dem Theater mit dem Auto zu überrollen. Nämlich meine Wenigkeit. Von den Ärzten erhalte ich nicht nur wunderbare, den Taschentuchverschleiß mehrende Gerinnungshemmer, sie bedenken mich tröstlicherweise auch mit Durchhalteparolen.« Nachdem Pospischil dies in einem geradezu heiter beschwingten Ton erzählt hatte, hob er die rechte Hand zum Gesicht und wischte damit an seiner Nasenunterseite entlang.

Isabella Richter vermochte kaum ihre Verblüffung zu verbergen.

»Wie es scheint, hat Pirringer nichts unversucht gelassen, um sich unbeliebt zu machen«, sagte sie ein wenig unpassend. Sie tastete kurz nach dem Haarkonstrukt an ihrem Hinterkopf und erhob sich. Bevor sie die Eingangstür erreichte, bückte sie sich noch kurz und warf dann Herrn Pospischil einen letzten Blick zu. »Vielen Dank für Ihre Unterstützung!«

Wieder in das Licht der Vormittagssonne hinausgetreten, holte sie tief Luft. Der Mann war sympathisch, keine Frage, aber seine Behausung ließ doch sehr zu wünschen übrig. Das Gespräch eben hatte sie auf eine Idee gebracht. Es wäre sicher ganz interessant, eine Theateraufführung zu besuchen, um ein vollständigeres Bild von der in den Fall verstrickten Personenriege zu bekommen. Maier müsste als Begleitung herhalten. Die Spesen trug selbstverständlich die Behörde. Außerdem schien es höchste Zeit, einmal mit dem Intendanten zu sprechen, der sich bisher in der Öffentlichkeit jeglicher Stellungnahme enthalten hatte. Doch zunächst setzte sie ihre Besuche bei den Chargen fort.

Die nächste auf ihrer Liste: Frau Baldauf.

Die Tür wurde einen Hauch zu unduldsam aufgerissen und eine kleine, sehr mädchenhaft wirkende Frau mit bettblonden, offenen Haaren und blickdicht zugeknöpfter Bluse wisperte: »Bitte?« Den linken Arm hielt sie hinter den Körper zurückgebogen; leichter Rauch kräuselte von dort.

Richter musste lächeln. Wollte Frau Baldauf ihre Zigarettensünde verheimlichen? Obwohl die Frau allein zu wohnen schien, herrschte blitzsaubere Ordnung in der Wohnung. Baldauf bat Richter hinein und bot ihr einen Platz im kleinen Wohnzimmer an.

Die Gastgeberin holte eine Flasche Wein, öffnete den Schraubverschluss und schenkte beiden in zuvor bereitgestellte Gläser ein.

---ENDE DER LESEPROBE---