Funkschatten - Rudolf Strohmeyer - E-Book

Funkschatten E-Book

Rudolf Strohmeyer

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Beschreibung

Was tun, wenn der lang ersehnte Ruhestand dann doch ein wenig zu geruhsam verläuft? Rentner Wastl verfällt auf eine Idee, wie man das Vorortsträßchen vor seiner Haustür beleben könnte. Wie hätte er ahnen sollen, welches beinahe tödliche Chaos er damit verursacht? Nicht immer verläuft eine Pfarrgemeinderatssitzung in christlicher Frömmigkeit. Eine dem Alkohol zugetane Radikalistin beweist schlüssig, welche geheime Botschaft sich in den Worten der Bibel versteckt und erschüttert damit die Grundfesten des Glaubens … In diesen und elf weiteren Geschichten entfaltet Strohmeyer ein Panoptikum an Skurrilitäten und nimmt uns mit auf eine bitterböse Geisterbahnfahrt durch die Absurdität des Alltags.

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HYBRID VERLAG

Ebookausgabe

07/2019

 

 

 

 

© by Rudolf Strohmeyer

© by Hybrid Verlag, Westring 1, 66424 Homburg

 

Fotograf/Bild: Ruth Ledersteger

Umschlaggestaltung: © Creativ Work Design, Homburg

 

Lektorat: Matthias Schlicke

Korrektorat, Buchsatz: Petra Schütze

Autorenfoto: Anna Strohmeyer

 

Coverbild ›Tote lesen keine Krimis‹, © by Creativ Work Design

Coverbild ›Künstlerpech‹, © by Creativ Work Design

Coverbild ›Watsons Welt‹, © by Esther Schnitzer

 

 

ISBN 978-3-946-82081-9

 

www.hybridverlag.de

www.hybridverlagshop.de

Rudolf Strohmeyer

 

 

 

 

 

 

Funkschatten

 

13 Storys vom Irrsinn des Alltags und dem Alltag der Irrsinnigen

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Erzählungen

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Die Erlösung des Herrn Theobald

Opinion leader

Sumsi

1. Teil

Spur der Verwüstung

Sumsi

2. Teil

Können und Nichtkönnen

Funkschatten

Heartbreak Hotel

Marlene

Wundern Sie sich über Weihnachtswunder?

Sieben Wege zum Paradies

Ockhams Rasiermesser

Der Therapeut

Nicht ohne Milch

Danksagung

Der Autor

Weitere Werke des Autors

Vorwort

 

Sind Sie ›normal‹, liebe Leserin, lieber Leser? Egal, was Sie antworten, es hilft mir nicht.

Denn bekanntlich gibt es für jeden von uns zwei Sorten von Menschen: die, die so sind, wie wir selbst (also normal), und die anderen, die ›Abnormalen‹. Damit aber stellt sich die Frage, ob ein Buch wie dieses, in dem Sonderlinge sehr stark den Ton angeben, in falsche Hände geraten könnte. Und falls ja: Wären dies die Hände von uns ›Normalen‹ oder die der anderen, der ›Abnormalen‹?

Nehmen wir an, jemand, der nicht alle Tassen im Schrank und noch dazu einen Sprung in der Schüssel hat (er und die Schüssel sind somit nicht ganz dicht), gerät an diese Story-Sammlung. In gespannter Erwartung, neugierig gemacht durch den Titel des Werkes, erhofft er sich eine Begegnung mit Typen, die anders gepolt sind als er selbst. Mit, im Sinne meiner Zwei-Sorten-Theorie, ›Abnormalen‹ also. Jedoch: die Leserin oder der Leser blättert, angesichts ihr oder ihm völlig normal scheinender Story-Helden, auf der Suche nach Durchgeknallten, Spinnern und Exzentrikern ergebnislos durch die Seiten. Da ist es dann auch nur wenig tröstlich, wenn sie oder er zumindest auf der letzten Seite die Abbildung eines Mannes erblickt, der auf seinem Motorroller nicht nur durch den Wind fährt, sondern offensichtlich auch durch den Wind ist (der Autor).

Doch halt! Hier schlägt uns die Logik ein Schnippchen! Hier unterstellen wir unseren lieben Zeitgenossen, die unserer Definition nach nicht richtig ticken, dass sie richtig ticken, also logisch denken. Und schon ergibt sich einer der berüchtigten Widersprüche in sich selbst! (Zur Verdeutlichung dieses Begriffes vielleicht noch ein paar andere Beispiele: Ein Hungerkünstler, der sich jeden Bissen Brot vom Mund abspart. Eine Frau, die anziehend wirkt, wenn sie sich auszieht. Ein Lippenleser, der seinen Gesprächspartner beim Wort nimmt. Ein langweiliges Buch von Rudolf Strohmeyer.)

Damit allerdings lebt die Hoffnung des Autors und des uneigennützigen Verlegers - schon wieder ein Widerspruch in sich selbst! - auf, dass dieses Buch bei denjenigen, denen es sozusagen gewidmet ist, nicht auf grundsätzliche Ablehnung stößt.

Dass es ganz im Gegenteil Zuspruch erntet, will ich im Sinne einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung unerschrocken hierhersetzen.

Die Masse meiner Leser (von einer ›Masse‹ zu fantasieren, wird mir als Autor doch erlaubt sein!) stellt sicherlich das Kontingent der, nun ja, ›Normalen‹ dar. Also schöngeistige, literarisch gebildete, hochintelligente, sympathische Menschen, die mit Toleranz und wohlwollender Wertschätzung dieses Büchlein …

Hier wecken mich Verleger und Lektor mit unziemlicher Grobheit aus meinen Träumereien und halten mir den Autorenvertrag unter die Nase. In diesem stünde, so erläutern es mir diese pedantisch korrekten Juristen, kein Wort von einem Märchenbuch, das ich abzuliefern hätte. Ich möge mich gefälligst an unsere rechtlich verbindliche Abmachung halten.

Ich seufze und beschließe insgeheim, diese Ignoranten mit einem Bestseller zu beschämen.

Und noch etwas anderes beschließe ich: dieses Vorwort zu beenden. Daher noch ein letzter Ausblick auf das, was folgt.

Die Geschichten, die uns nun erwarten, decken ein weites Spektrum an Verrücktheiten ab. Und sie geben uns zu verstehen, dass das Fantastische sich nicht erst in den Weiten des Weltalls findet, sondern auch und vor allem überall dort, wo die wahnwitzigen Ideen und Vorstellungen mancher (vieler?) unserer Zeitgenossen in der Gestaltung ihres täglichen Lebens sichtbare Spuren hinterlassen.

Und übrigens: Jede Ähnlichkeit der auftretenden Personen mit Ihnen, liebe Leserin, geschätzter Leser, ist absolut beabsichtigt und keinesfalls zufällig. Der Verlag hat sich freundlicherweise bereit erklärt, die Kosten meines Rechtsanwaltes zu übernehmen.

Alles in allem, wenn es dieses Buch nicht schaffen sollte, unter die drei Dinge zu gehören, die Sie mit auf eine einsame Insel nehmen würden, dann liegt das doch wohl nur daran, dass es keine einsamen Inseln mehr gibt. Oder?

 

der gerichtlich bestellte Betreuer

(in Vertretung des Autors)

 

 

 

»… denn was einen Gesunden von einem Geisteskranken unterscheidet, ist doch gerade, dass der Gesunde alle Geisteskrankheiten hat, und der Geisteskranke nur eine!«

 

Robert Musil »Der Mann ohne Eigenschaften«

Zweites Buch, Kapitel 37

 

Die Erlösung des Herrn Theobald

 

Nehmen wir zum Beispiel das Problem mit der Müllabfuhr. Einmal wöchentlich, dienstags. Mein Küchenabfalleimer fasst gerade so viel, dass er nach Ablauf einer Woche bis an den Rand angefüllt ist. Da die Müllabfuhr um 9 Uhr früh vorbeikommt, muss ich den Eimer montags abends, oder spätestens dienstags früh, zum Müllcontainer im Hof tragen und entleeren. Das bedeutet bei drei Stockwerken mit jeweils zwei Stiegen zu je 21 Stufen …

Herr Theobald hielt inne. Er öffnete die Lade des Küchentisches, an dem er saß, und suchte. Nach kurzem Stöbern hielt er einen stark abgenutzten Bleistiftstummel in der Hand. Er zog eine Zeitung zu sich heran und blätterte nach einer wenig bedruckten Seite. Dann leckte er kurz über die Bleistiftspitze und begann zu rechnen.

Das Ergebnis war niederschmetternd. Herr Theobald griff nach den am Küchentisch lehnenden Krücken und erhob sich schwankend. Er humpelte zum Kühlschrank und nahm geschickt eine Packung Milch heraus. Er füllte ein Glas. Er trank.

Seit der Rückkehr aus dem Spital vor drei Wochen, das er mit Beschwerden betrat und als Krüppel verließ, kam er aus den Problemen nicht mehr heraus.

Letzte Woche hatte er am Montagabend das Rote Kreuz angerufen. »Bitte, dringend kommen. Mir ist nicht gut.« »Geht es auch etwas präziser?« Unhöflicher Zivildiener, Drückeberger vor der Waffe. Wenn ich da an meine Generation … »Hallo, sind Sie noch dran?« »Ja, ja. Meine Beine sind komplett taub und lassen sich nicht mehr bewegen.« »Wie alt sind Sie?« »Jahrgang 50.«

Da standen sie also dann in seiner Wohnung. Ein verschlafen aussehender Hippie (wahrscheinlich der vom Telefonat) und ein immerhin erwachsen wirkender Vierzigjähriger mit Bauch und Brille. Sie glotzten abwechselnd auf die Beinprothese (links) und das leere Hosenbein über dem Stumpf (rechts). Pulsmessung, Blutdruck und eine unmissverständliche Ermahnung. »Es ist strafbar, die Rettung ohne triftigen Grund zu einem Einsatz zu beordern. Das nächste Mal kommen Sie nicht straflos davon!«

Als sie, die mitgebrachte Tragbahre mühsam durch die Tür bugsierend, die Wohnung verließen, rief Herr Theobald aufgeregt hinterher: »Hallo, nehmen Sie doch bitte meinen Abfalleimer mit in den Hof, entleeren ihn und bringen ihn bitte wieder herauf!«

Die Sanitäter blieben abrupt stehen. Dann drehte sich der Hippie um und reckte den Mittelfinger der rechten Hand in die Höhe. Ohne ein weiteres Wort verschwanden die menschenverachtenden Teufel im Stiegenhaus.

Vor zwei Wochen war ihm der Mülleimer im zweiten Stock aus der Hand gerutscht, die ja auch noch die blöde Krücke halten musste. Zum Glück gelang es ihm, rasch genug noch in seine Wohnung zurück zu krückeln, bevor andere Hausbewohner die Treppenhausversauung entdeckten.

Natürlich hatte er es auch schon mit dem Boten des Lebensmittelladens versucht. Täglich brachte ihm dieser Fertiggerichte, Gulaschdosen oder leicht zuzubereitende Nudelgerichte. Leider sah sich ja die Stadtverwaltung genötigt, den Zustelldienst ›Essen auf Rädern‹ aus budgetären Gründen einzustellen. Darüber hinaus bestünde für Herrn Theobald nur dann Anspruch auf diesen Sozialservice, wenn er Pflegegeld bezöge. Aber beim Pflegegeld hatte wiederum die Krankenkasse den Rotstift angesetzt.

Zurück aber zu dem Supermarktboten. Ob dieser so nett wäre, ihm den Mülleimer … Selbstverständlich wäre er so nett; er dürfe dafür aber die weiter nicht erwähnenswerte Kleinigkeit von 15 Euro verlangen? Mühsam beherrschte sich Herr Theobald und sah von Handgreiflichkeiten ab. Schließlich war er auf die Lieferdienste angewiesen.

Wenn alle Stricke rissen und die Überfüllung des Küchenmülleimers drohte, so könnte er sich ja vom Supermarkt (um weit weniger als 15 Euro) einen dieser Obsteimer (leer!) bringen lassen, und so eine zweite Abfalllagerstätte schaffen.

Oder nehmen wir das Problem der Körperpflege. In der Mietwohnung, die er nun schon fast vierzig Jahre bewohnte, unbeweibt und kinderlos, gab es im Badezimmer keine Dusche, sondern nur eine Badewanne. Seinerzeit hatte er sie auch infolge seines Sauberkeitsfimmels fast jeden Sonn- und Feiertag benutzt. Aber jetzt? Steigen Sie doch einmal mit zwei Krücken in eine Badewanne! Sie schaffen es? Dann weiß ich auch, wo man Ihre sterblichen Überreste finden wird.

Herr Theobald lag bei seinem ersten beinlosen Wannenbad lange im bereits wieder kalten Wasser, verzweifelt nach einem Ausweg suchend. Vielleicht sollte ich das Badewasser so lange ansteigen lassen, bis es mich über den Wannenrand hinausspült, hatte er überlegt. Aber als Mindestrentner scheute er vor dieser Wasserverschwendung zurück.

Schließlich verfiel er auf die Lösung, das Badewasser komplett abfließen zu lassen. Dann nahm er die Abdeckung des Abflussloches heraus. In das nunmehr geöffnete Loch steckte er eine Krücke senkrecht hinein, sodass sie wie ein Fahnenmast vor ihm in die Höhe ragte. Mithilfe seiner ja bestens trainierten Armmuskulatur war es ihm unter größter Mühewaltung schließlich gelungen, sich empor zu ziehen und die Badewanne lebend zu verlassen. Er tröstete sich seither mit dem Gedanken, dass eine gewisse Schmutzschicht am Körper ja bekanntlich auch als eine Schutzschicht gegenüber Bazillen fungieren kann. Jedenfalls sank fortan sein Wasserverbrauch merklich.

Einmal wöchentlich kam jemand von einer privaten Pflegeagentur vorbei, um kleine Hilfstätigkeiten zu leisten. Vorwiegend bestanden diese im Austausch von schmutziger Wäsche durch frisch gewaschene, für deren Säuberung die nahe gelegene Wäscherei und Putzerei Sorge trug, und der Versorgung mit Toilettenartikeln und Medikamenten.

Die Agentur rechnete nach Stunden ab. Dummerweise hatte er einen Dauerauftrag für Dienstag 10 bis 12 Uhr abgeschlossen, was in Hinsicht auf das Müllproblem den ungünstigsten Termin überhaupt darstellte. Änderungswünschen gegenüber zeigte sich die Agentur unflexibel, weil man bei Abschluss des Fünfjahresvertrages ohnehin einen Rabatt von 0,5 Prozent gewährt habe.

Quälenderweise schickte man ihm als Pflegekraft eine dralle Blondine mit aufreizendem Dekolletee und vulgären Bewegungen. Darüber hinaus verstand sie sehr wenig Deutsch, da: »Bin ich aus Slowakei, du mir zeigen, nix verstehn.«

Als Herr Theobald ihr zu verstehen geben wollte, dass sie ihm ein Bad einlassen und ihm dann bei der Benützung desselben helfen solle, gab die Blonde ihm eine Ohrfeige und telefonierte dann in einer Fremdsprache, vermutlich slowakisch, mit ihrer Agentur.

Herrn Theobalds Hoffnungen, es würde ihn beim nächsten Mal jemand Kompetenteres betreuen, erfüllten sich nicht. Als er die Tür öffnete, stand die Dralle mit dem großen Busen vor ihm. Bevor sie jedoch eintrat, öffnete sie ihre ordinäre rote Handtasche und zeigte Herrn Theobald, was sie diesmal mitbrachte. Erschreckt starrte dieser auf ein Pfefferspray und kontrollierte sofort ängstlich den korrekten Sitz der Knöpfe seiner Hose. Insgeheim sagte er sich, dass diese Hexe ihm auch bei einem Montagstermin sicher nicht den Mülleimer ausgeleert hätte.

Wochen vergingen. Herr Theobald hatte manchmal melancholische Momente. Dann träumte er von einem Rollstuhl.

In der ohnehin nicht sehr geräumigen Küche wurde es zunehmend ungemütlicher. Neben dem mit einem Topfdeckel bedeckten Küchenmülleimer standen drei weitere, zu Abfallbehältern mutierte Obsteimer aus Kunststoff. Glücklicherweise hatte man ihm auch die dazugehörigen Deckel mitgeliefert. Denn es fiel nicht schwer, sich vorzustellen, dass Speisenreste, Obstschalen oder schlampig ausgeleckte und ausgeleerte Konservendosen als Nährboden für die Entfaltung eines gewissen Eigenlebens dienen würden.

Aber auch in der eigenen Haut fühlte sich Herr Theobald immer unwohler. Ihn plagte ständiger Juckreiz. Die ungewaschene Haut (vor allem der Rücken!) begann, Anforderungen an seine Riechtoleranz zu stellen. Der angewiderte Gesichtsausdruck der Slowakin und der auf größtmögliche Distanz bedachte Bote aus dem Lebensmittelladen sprachen Bände.

Seit einiger Zeit war er daher dazu übergegangen, seinen Körper, also das, was ihm die Ärzte davon noch gelassen hatten und sich in Reichweite seiner Hände befand, mit Rasierwasser zu waschen. Der penetrante Moschusgeruch verursachte ihm zwar Kopfschmerzen und aus Kostengründen musste er nun seine Wäschewechsel-Intervalle verlängern, was wiederum Geruchsfolgen zeitigte, die den Rasierwasserverbrauch steigerten; aber den Körperausdünstungen waren vorerst gewisse Grenzen gesetzt.

Erkennen konnte man das auch daran, dass der Supermarktbote und die Slowakin ihren Respektabstand von drei auf zwei Meter verkürzten.

Jedoch bereitete ihm das nach wie vor ungelöste Müllproblem weiterhin Sorgen. Als er eines Tages aus dem Badezimmer eine Rasierwasserverpackung in die Küche trug, um sie zu entsorgen, kam ihm unvermutet die rettende Idee. Problem 1: In der Küche wird der Platz knapp. Problem 2: Die Benützung der Badewanne ist ein Ding der Unmöglichkeit. Lösung: Verwende Problem 2 als Lösung von Problem 1! Nutze die Badewanne als Lagerstätte für die Mülleimer!

Bei dem gegebenen Volumen des Wanneninneren und der Raumverdrängung durch einen zweckentfremdeten Obstkübel beläuft sich das Fassungsvermögen der Badewanne auf gut und gern …

Das Ergebnis stellte ihn sehr zufrieden. Herr Theobald griff nach den am Küchentisch lehnenden Krücken und erhob sich schwankend. Er humpelte zum Kühlschrank und nahm geschickt eine Flasche Wein heraus. Er füllte ein Glas. Er trank.

Wieder vergingen Wochen. Herr Theobald hatte manchmal glückliche Momente. Zum Beispiel, wenn er nicht in der Küche war. Oder im Badezimmer. Sondern im Wohnzimmer, das auch als Schlafzimmer fungierte bzw. umgekehrt. Dann sah er fern. Darin bestand schließlich seine einzige Beschäftigung. Oder, wie er es zu formulieren pflegte, seine Lieblingsbeschäftigung.

Aber dennoch blieb ein ganz, ganz großes Problem bestehen. Ich muss so bald als möglich eine Körperwäsche durchführen. Es stellt sich die Frage: Wie kann ich mich komplett nass machen und meine Beschichtung loswerden? Herr Theobald geriet in tiefes Grübeln.

Vielleicht bestünde eine Möglichkeit darin, dass ich, wegen eines Deliktes vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen, die Anstaltsdusche verwenden darf?

Zum Beispiel, wenn ich den ganzen verdammten Müll in den Stiegenschacht entleerte? Aber die Folge erschöpfte sich wohl bloß in der fristlosen Kündigung durch den Vermieter. Und wenn ich wieder diese Penner vom Roten Kreuz grundlos herbeiriefe? Ich riskiere damit vermutlich nur eine Geldstrafe. Eine Ersatzfreiheitsstrafe? Das trauen die sich sicher nicht, sonst steht in der Presse ›Rotes Kreuz sperrt wehrlosen Krüppel ein‹.

Mehr Spaß machte es wohl, die Pflegenutte zu vergewaltigen. Aber erstens habe ich keinerlei Lust, mehrere Monate zu sitzen, und zweitens: das Pfefferspray!

Herr Theobald rieb sich den juckenden Rücken mit einem Kochlöffel und schaltete im Fernseher auf einen anderen Kanal.

Eine Zeitlang verfolgte er die dramatischen Rettungsaktionen im alten Hollywood-Schinken ›Flammendes Inferno‹, als ihn plötzlich eine Idee wie ein Blitz durchzuckte. Natürlich, das war es! Aufgeregt schaltete er aus, lehnte sich zurück und begann, einen Plan zu entwerfen.

Die Aktion müsste jedenfalls nachts erfolgen, wenn auf den Straßen deutlich weniger Verkehr als tagsüber herrschte. Heute war es bereits zu spät. Es nutzte nichts, die Sache zu überstürzen. Jeder Fehler konnte schließlich fatale Folgen nach sich ziehen.

Am besten war es, sich heute Nacht in aller Ruhe die Sache durch den Kopf gehen zu lassen und den morgigen Tag mit den Vorbereitungen zu verbringen. Um 11 Uhr nachts sollte dann das Unternehmen ›Ganzkörperdusche‹ beginnen.

Überraschenderweise schlief Herr Theobald tief und fest und wachte dementsprechend gutgelaunt auf.

Natürlich verzichtete er heute auf jegliche noch so spärliche Waschung.

Er verzehrte gedankenverloren sein Frühstück und nahm sich vor, erst am Nachmittag mit den Vorbereitungen zu beginnen, da sonst die Wartezeit noch mehr in die Länge gezogen würde.

Herr Theobald warf die leere Sardinenbüchse in den Mülleimer. Ein sardonisches Lächeln umspielte seinen Mund. Mit eisernem Willen hatte er sein Mittagsmahl zur gewohnten Zeit eingenommen und seine Ungeduld, schon früher die Ausführung seines Planes in Angriff zu nehmen, gezügelt. Aber jetzt endlich konnte es losgehen!

Um zu gegebener Zeit die erforderlichen Utensilien schnell greifbar zu haben, rückte er den Wohnzimmertisch in die Nähe des Fensters. Er klemmte Wäscheklammern um fünf Christbaumkerzen, die aus dem Vorjahr übriggeblieben waren. So stellte er sicher, dass diese aufrecht standen und problemlos angezündet werden konnten. Eine Streichholzschachtel legte er daneben. Dann humpelte er in das Badezimmer und holte einen Flakon Rasierwasser. Die Hauptsache selbst musste allerdings noch warten, da dafür die Öffnung des Fensters erforderlich war. Die herrschende Kälte hätte jetzt schon, also verfrüht, eine unerwünschte Abkühlung der Wohnzimmertemperatur bewirkt.

Herr Theobald blickte auf die Uhr. Noch etwa neun Stunden. Am besten widmete er sich jetzt seiner Lieblingsbeschäftigung.

Endlich war der ersehnte Zeitpunkt gekommen. Herr Theobald öffnete das Fenster. Dann krückelte er in das Badezimmer und schleppte der Reihe nach fünf verschlossene Müllkübel in das Wohnzimmer, die er nebeneinander auf das Fensterbrett stellte.

Leider verfügte er hier nur über begrenzte Platzkapazitäten. An Eimern gab es ja weiß Gott keinen Mangel!

Als nächstes entkleidete er sich und nahm splitternackt vor dem Fenster Aufstellung. Er lehnte die rechte Krücke an den Tisch. Er nahm den Telefonhörer von der Gabel und wählte die Nummer der Feuerwehr. »Hallo, bei mir (Name, Adresse) wütet ein Zimmerbrand! Bringt so viel Schläuche mit, wie ihr könnt, und spritzt, was das Zeug hält!«

Er legte auf und griff zu den Müllkübeln. Nicht ohne einen leisen Anflug von Ekel öffnete er die Deckel. Als nächstes schüttete er in jeden Eimer etwas Rasierwasser. Mit vollkommen ruhiger Hand entzündete er jetzt die Christbaumkerzen. Er atmete einmal tief durch und legte jetzt in jeden Eimer eine brennende Kerze. Der Erfolg übertraf alle Erwartungen.

Die Eimerkette schoss Flammenbündel gegen die Zimmerdecke. Fast sofort breitete sich dickqualmiger Rauch beißend im Zimmer aus. Der Geruch der angeschmorten Kunststoffbehälter überdeckte den der stinkenden Fäulnis, die vom Feuer gierig verzehrt wurde.

Als er aus der Ferne die Sirene eines Feuerwehrautos vernahm, verklärten sich die Gesichtszüge des ungewaschenen Krüppels zu einem freudestrahlenden Grinsen. »Gerettet«, stammelte er. Und trotz der infernalischen Hitze spürte Herr Theobald, wie heiße Freudentränen über seine Wangen liefen.

 

Opinion leader

 

Man versteht, dass ich aufgeregt bin. Vieles, nein, eigentlich alles hängt von diesem Inserat ab. Ich quäle mich nun bereits zwei Stunden auf der Suche nach einer zündenden Formulierung.

Aber keine meiner bisherigen Textvarianten stellt mich restlos zufrieden.

Im Papierkorb gelandet ist zum Beispiel:

»Besser eine falsche Meinung als gar keine!

Seien Sie einer Meinung! Oder noch besser:

Seien Sie meiner Meinung!«

Ich finde, dem Einstieg haftet ein leicht negativer Beigeschmack an. Dafür wirkt dann die Schlussfolgerung zu anbiedernd.

Nicht zufrieden bin ich auch mit dem Werbeslogan:

»Wer keine Meinung hat, stimmt Allem zu.

Seien Sie jemand. Meinen Sie Etwas.

Ich helfe Ihnen! Rasch und kostengünstig!«

Hier wiederum stört mich die Beliebigkeit des Wortes »Etwas«.

Schließlich entscheide ich mich für folgenden Inseratentext:

»Genial wie Einstein? Reich wie Rockefeller?

Ohne Meinung sind Sie trotzdem NICHTS.

NIE MEHR MEINUNGSLOS!

Preisgünstig Meinungen zu kaufen!

Kontaktieren Sie mich unter der Adresse

(folgt E-Mail Account).

Oder senden Sie den beiliegenden Bestellschein

ausgefüllt an (folgt Büroadresse)«

Der Bestellschein enthält sechs Themenbereiche, von denen man einen oder mehrere ankreuzen kann. Es sind dies: EU, Fußball, Haarausfall, Diäten, Flüchtlinge, Vermögensteuer.

Wie ich heute weiß, erwies sich die Idee mit dem Bestellschein als ein lupenreiner Rohrkrepierer. Kein einziger wurde mir zugeschickt. Dabei waren Inserat und angefügter Bestellschein schweineteuer. Aber so ist das nun einmal im Geschäftsleben. In einer Hinsicht hatte ich jedoch den richtigen Riecher. Sowohl der Inseratentext als auch die für den Bestellschein ausgewählten Themenbereiche richten sich unterschwellig eher an das männliche Geschlecht. Und tatsächlich befinden sich in meiner mittlerweile recht umfangreichen Kundenkartei ausschließlich Männer.

Über die Gründe kann man nur Mutmaßungen anstellen. Sicher bin ich mir nur dahingehend, dass Frauen wohl genauso häufig wie Männer keine Meinung haben. Es hat jedoch den Anschein, dass dies Frauen ungleich seltener wirklich stört. Und das wiederum mag daran liegen, dass man oftmals gar keine Meinung von ihnen erwartet, geschweige denn erbittet. Vor meinem geistigen Auge ersteht das Bild des dominanten Familienoberhauptes, das neben sich keine andere Meinung duldet und seine Holde in die Küche schickt, wenn es mit seinen Kumpels Wichtiges zu bereden gibt. Aber ich schweife ab.

 

*

 

Der erste Kunde, der sich meldet und zu dem unbedingt erforderlichen Vorstellungsgespräch in mein Büro kommt, ist Gregor S. Auf Grund der mir selbst auferlegten Verschwiegenheitspflicht nenne ich keine Namen.

Auch eine Ähnlichkeit der hier Gregor S. genannten mit jeder lebenden oder bereits verstorbenen Person namens Gregor S. wäre rein zufällig. Gregor S. entspricht ausschließlich der Person, deren Namen ich aus Verschwiegenheitsgründen in Gregor S. geändert habe.

Natürlich bin ich es, der in diesem Erstgespräch das Wort führt. Denn selbstverständlich ist jeder Kunde erst einmal interessiert, mein Geschäftsmodell kennenzulernen. Ich erläutere also:

»Ich verkaufe Meinungen. Und zwar Meinungen über alles und jedes. Für eine jederzeitige, reibungslose Kommunikation setze ich voraus, dass wir beide über Smartphones verfügen und so die Möglichkeit haben, blitzschnell E-Mails auszutauschen. Lassen Sie es mich«, wende ich mich direkt an den Kunden, »an einem Beispiel erklären. Sie sitzen in einer Runde von Geschäftspartnern in privatem Umfeld beisammen. Plötzlich fragt man Sie zu Ihrer Meinung über den neuen amerikanischen Präsidenten. Sie blicken erfreut, sagen dann ›Eine Sekunde bitte‹ und schenken nach, oder schließen die Vorhänge, oder – besonders sinnvoll – checken die Nachrichten auf Ihrem Smartphone.

Die so gewonnenen Sekunden nutzen Sie auf jeden Fall, um mir eine Mail zu schicken. So kurz wie nur möglich. Zum Beispiel ›Präsid. USA‹. Im Bruchteil von Sekunden erhalten Sie von mir dann eine Meinung zugesandt.«

Gregor S. blickt mich erstaunt an. »So schnell?« Ich entgegne, dass ich das sogar vertraglich garantiere. Ausgenommen seien natürlich Probleme infolge höherer Gewalt, worunter man ja heutzutage ausschließlich Störungen des Internets verstünde. Meine Arbeitszeit dauere von 16 Uhr bis 4 Uhr; die übrige Zeit, in der meine Klientel höchstwahrscheinlich ihrer beruflichen Tätigkeit nachginge, werde diese wohl ohne (meine) Meinungen auskommen.

Als nächstes stellt der potentielle Kunde mir unweigerlich die Frage nach den Preisen. Hier erweise ich mich ganz als gewiefter Geschäftsmann, denn ich eröffne mit der erfreulichen Nachricht:

»Die ersten zwei Meinungen sind gratis.

---ENDE DER LESEPROBE---