Transdiagnostische Interventionen in der Psychotherapie - Johannes Heßler-Kaufmann - E-Book

Transdiagnostische Interventionen in der Psychotherapie E-Book

Johannes Heßler-Kaufmann

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Beschreibung

• Zeitgemäß: Baut Brücken zwischen den verschiedenen Schulen • Übersichtlich: Interventionen nach 9 Bereichen geordnet und Schritt für Schritt erklärt • Breite Zielgruppe: Für Psychotherapeuten, Ärztinnen, Berater und Coaches Eine Sammlung von therapeutischen Interventionen, die mir den Zugang zu den Patienten erleichtern, am besten nach Wirkbereich sortiert und kurz beschrieben ..." – dieser Wunsch dürfte vielen Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten aus ihrer Ausbildung und während ihrer praktischen Tätigkeit bekannt vorkommen. Der junge Psychotherapeut Johannes B. Heßler und der renommierte "alte Hase" Peter Fiedler haben ihn nun gemeinsam in einem kurz gefassten "griffbereiten" Buch umgesetzt. Ihr transdiagnostischer Ansatz identifiziert psychopathogene Prozesse, die über verschiedene Störungsbilder hinweg auftreten, wie etwa Emotionsvermeidung, Glaubenssätze, Angst vor Veränderung, Inaktivität, Probleme in der Kindheit, Erschöpfung u.v.m. Die Autoren erklären präzise und nachvollziehbar die Durchführung von Interventionen, die störungsübergreifend einsetzbar sind. Das ist besonders hilfreich, wenn die Diagnose noch nicht klar ist oder der Patient/die Patientin viele Probleme zugleich hat. Das Buch ermutigt, neue Ansätze und Interventionen in der Psychotherapie anzuwenden und dabei spontan zu sein. Vor allem geht es darum, Begegnung und Bewegung mit Patientinnen und Klienten zu erleben – das Ziel überall dort, wo therapiert, beraten und gecoacht wird. Dieses Buch richtet sich an - Psychotherapeuten - Psychiater - Psychosomatiker - Coaches und Berater - vor allem Ausbildungskandidaten, aber auch alle Profis, die transdiagnostische Methoden in der Praxis erproben wollen

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Seitenzahl: 209

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Johannes B. Heßler ■ Peter Fiedler

Transdiagnostische Interventionen in der Psychotherapie

Impressum

Dr. phil. Johannes Baltasar Heßler

Bachemer Straße 150

50931 Köln

[email protected]

psychotherapie-jbhessler.com

Prof. Dr. Peter Fiedler

Hauptstraße 47 – 51

69117 Heidelberg

[email protected]

Besonderer Hinweis

Die Medizin unterliegt einem fortwährenden Entwicklungsprozess, sodass alle Angaben, insbesondere zu diagnostischen und therapeutischen Verfahren, immer nur dem Wissensstand zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches entsprechen können. Hinsichtlich der angegebenen Empfehlungen zur Therapie und der Auswahl sowie Dosierung von Medikamenten wurde die größtmögliche Sorgfalt beachtet. Gleichwohl werden die Benutzer aufgefordert, die Beipackzettel und Fachinformationen der Hersteller zur Kontrolle heranzuziehen und im Zweifelsfall einen Spezialisten zu konsultieren. Fragliche Unstimmigkeiten sollten bitte im allgemeinen Interesse dem Verlag mitgeteilt werden. Der Benutzer selbst bleibt verantwortlich für jede diagnostische oder therapeutische Applikation, Medikation und Dosierung.

In diesem Buch sind eingetragene Warenzeichen (geschützte Warennamen) nicht besonders kenntlich gemacht. Es kann also aus dem Fehlen eines entsprechenden Hinweises nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

Schattauer

www.schattauer.de

© 2019 by J. G. Cotta’sche Buchhandlung

Nachfolger GmbH, gegr. 1659, Stuttgart

Alle Rechte vorbehalten

Cover: Jutta Herden, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von © unsplash/rawpixel

Lektorat: Dipl.-Psych. Mihrican Özdem, Landau

Projektmanagement: Dr. Nadja Urbani, Stuttgart

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

Printausgabe: ISBN 978-3-608-40007-6

E-Book: ISBN 978-3-608-11521-5

PDF-E-Book: ISBN 978-3-608-20415-5

Dieses E-Book basiert auf der aktuellen Auflage der Printausgabe.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Inhalt

1 Einleitung

1.1 Ist dieses Buch etwas für mich?

1.2 Wie verwende ich dieses Buch?

2 Hintergrund

2.1 Komorbidität und transdiagnostische psychopathogene Prozesse

2.2 Transdiagnostische Psychotherapie

2.2.1 Explizit transdiagnostische Therapieansätze

2.2.2 Transdiagnostische Perspektiven der Therapieschulen

2.3 Selektive Indikation: Ist Psychotherapie angemessen und hinreichend?

2.4 Differenzielle Indikation: Behandlungsrahmen und Behandlungssetting

2.5 Therapeutische Beziehung

2.5.1 Grundlagen und transdiagnostische Voraussetzungen

2.5.2 Vom Umgang mit therapeutischen Krisen und Konflikten

2.6 Die therapeutische Haltung: transdiagnostische Perspektiven

3 Interventionen

3.1 Motivation und Therapiegefährdung

3.1.1 Akzeptanz und Bereitschaft: keinen Fuß mehr auf dem Boden

3.1.2 Für und Wider einer Therapie abwägen: Lohnt sich das?

3.1.3 Metaphern für den therapeutischen Prozess: das Boot auf das Wasser setzen

3.1.4 Psychohygiene für Therapeuten: Die Zeit nehme ich mir

3.2 Biografie

3.2.1 Die Herkunftsfamilie aufstellen: Ich im System

3.2.2 Die Lebenslinie legen: Mein Weg bis hierher

3.2.3 Übertragungshypothesen: Du sollst nicht …

3.2.4 Familienmotto: Freu dich nicht zu früh!

3.3 Emotion

3.3.1 Vermiedene Gefühle aktivieren und zulassen: Stuhlarbeit

3.3.2 Überwältigende Gefühle regulieren: Stresstoleranz-Skills und der Notfallkoffer

3.3.3 Dysfunktionales emotionsmotiviertes Verhalten erkennen und ändern

3.3.4 Alte Gefühle im Hier und Jetzt verändern: Regression und Affektbrücke

3.4 Kognition

3.4.1 Glaubenssätze identifizieren, Alternativen formulieren und testen

3.4.2 Spaltentechnik: automatische Gedanken erkennen und ändern

3.4.3 Das konstruierte Selbst: Ich bin einfach krank

3.4.4 Radikale Akzeptanz für Unveränderbares

3.5 Verhalten

3.5.1 Verhaltensanalyse: kurzfristiger Gewinn, langfristige Kosten

3.5.2 Exposition: unangenehme Gefühle mit auf den eigenen Weg nehmen

3.5.3 Selbstverstärkung: sich für neues Verhalten belohnen (wenn es sonst keiner macht)

3.5.4 Verhaltensaufbau und Verstärkerbilanz

3.6 Imagination

3.6.1 Sicherer Ort und Wohlfühlraum: Stabilisierung bei belastenden Bildern und Ressourcen im Alltag

3.6.2 Die eigene Geschichte wichtig nehmen: Meine Skulptur im Lebensmuseum

3.6.3 Begegnung mit Verstorbenen und Verschollenen: Was ich noch sagen wollte

3.6.4 Der weise Narr: sich selbst beraten und Entscheidungen treffen

3.7 Beziehungen

3.7.1 Interpersonelle Diskriminationsübung: neue Erfahrungen in der therapeutischen Beziehung

3.7.2 Wunderfrage: Was ändert sich für die anderen, wenn ich mich ändere?

3.7.3 Grenzen ziehen und sich Raum geben

3.7.4 Rollenspiel: üben für den Alltag

3.8 Körper

3.8.1 Schlafhygiene

3.8.2 Parasympathische Aktivierung: Progressive Muskelrelaxation

3.8.3 Achtsamkeit und Atem

3.8.4 Dissoziation verhindern und unterbrechen

3.9 Ressourcen

3.9.1 Werte und Ressourcen entdecken und aktualisieren

3.9.2 Unkonditionaler Selbstwert

3.9.3 Sitze ich gut (im Leben)? Möglichkeiten für kleine Veränderungen wahrnehmen

3.9.4 Eigenlob duftet: sich selbst in die Augen sehen und ja sagen

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

1.1 Ist dieses Buch etwas für mich?

Psychische Störungen treten wahrscheinlich häufiger bei Frauen als bei Männern auf (Jacobi et al. 2004), mehr Frauen als Männer nehmen psychotherapeutische Hilfe in Anspruch, und es gibt eindeutig mehr Frauen als Männer, die diese Hilfe anbieten. Angesichts dieser Situation hätte es sich für uns unpassend angefühlt, ausschließlich von männlichen »Therapeuten« und »Patienten« zu sprechen, wie es in der deutschen Sprache üblich ist. Stattdessen möchten wir durch den gezielten Einsatz des grammatikalischen Geschlechts in diesem Buch einerseits die große Gruppe an Therapeutinnen und Patientinnen ansprechen, andererseits aber auch Therapeuten in ihrer Berufswahl und Patienten in ihrer Entscheidung für eine Therapie bestärken. Alle Menschen, die sich nicht in diesen Kategorien wiederfinden, sollen keineswegs ausgeschlossen werden, wir denken sie mit und verwenden die Geschlechter »Mann« und »Frau« als zwei Pole, zwischen denen jede*r sich den eigenen Platz suchen kann. So findet im einleitenden Teil dieses Buches ausschließlich das weibliche grammatikalische Geschlecht Verwendung, um der großen Gruppe an Frauen, die den Beruf tragen und voranbringen, gerecht zu werden. Bei den Interventionen wechseln sich Männer und Frauen in ihren Rollen ab.

Geordnet nach neun Bereichen werden in diesem Buch auf wenig Raum viele Interventionen so beschrieben, dass sie schnell und sicher durchführbar sind. Die Interventionen wurden gewählt, weil sie transdiagnostisch wirksam sind – stimmen Indikation und Durchführung, dürfte sich bei den meisten Patientinnen ungeachtet ihrer Diagnose etwas bewegen. Das Buch richtet sich somit an alle, die genau das suchen.

In erster Linie sind das Psychotherapeutinnen in Ausbildung, die unbedarft ans Werk gehen und viel probieren wollen. Ebenso bekommen fertige oder in Ausbildung befindliche Psychiaterinnen, die zwar psychotherapeutisch arbeiten sollen, dafür aber ein etwas dünnes Curriculum haben, schnelle und hilfreiche Anregungen. Gruppentherapeutinnen haben mit dem Griff zu diesem Buch Methoden an der Hand, um vor der Gruppe Einzelarbeit durchzuführen. Da sich die Interventionen auf Prozesse beziehen, die bei Patientinnen wie Klientinnen wirken, erweitern Coaches und Trainerinnen ihr Repertoire um Interventionen aus der modernen Psychotherapie. In Beratungsstellen ist das Buch ein nützlicher Werkzeugkoffer, wenn nur wenige Sitzungen zur Verfügung stehen. Es mag auch erfahrene Psychotherapeutinnen geben, die sich nach neuem Input umsehen und in diesem Buch fündig werden.

Das Buch soll Sie ermutigen, neue Dinge auszuprobieren und spontan zu sein in der Therapie. Vor allem geht es aber darum, Begegnung und Bewegung mit Ihren Patientinnen und Klientinnen zu erzeugen. Und das ist ja das Ziel überall dort, wo therapiert, beraten und gecoacht wird.

Schließlich sucht das Buch nicht allein aufseiten der Patientinnen das Gemeinsame, es soll auch zwischen den therapeutischen Schulen Brücken schlagen und helfen, die antiquierten Mauern zwischen den Verfahren zum Bröckeln zu bringen.

1.2 Wie verwende ich dieses Buch?

Die ersten Kapitel dieses Buches zeichnen den Hintergrund, vor dem die Interventionen durchgeführt werden. Der transdiagnostische Ansatz zur Beschreibung und Therapie von psychischen Störungen bildet den theoretischen Ankerpunkt. Die moderne therapeutische Haltung, die nichts mehr mit der weißen Wand der Verhaltenstherapeutin oder der Abstinenz der Psychoanalytikerin zu tun hat, ist der persönliche Ankerpunkt. Die Abschnitte über die psychotherapeutische Beziehung und Indikationen für Psychotherapie leiten den Hauptteil des Buches ein: die transdiagnostischen Interventionen der Psychotherapie.

Die Interventionen sind folgenden Bereichen zugeordnet:

Motivation und Therapiegefährdung

Biografie

Emotion

Kognition

Verhalten

Imagination

Körper

Zwischenmenschliche Beziehungen

Ressourcen

In jedem Bereich werden vier Interventionen für bestimmte Indikationen vorgestellt und ihre Durchführung beschrieben. Mit Indikationen sind nicht Diagnosen, sondern psychische oder körperliche Prozesse, zwischenmenschliche Problembereiche, Potentiale für die persönliche Entwicklung oder Fragen an das eigene Leben gemeint. Die Indikationen wurden ausgewählt, weil sie empirisch als transdiagnostisch bestätigt wurden, in verschiedenen störungsspezifischen Manualen genannt werden, für jeden Menschen relevant sind oder sich in unserer klinischen Arbeit als wiederkehrende Themen erwiesen haben.

Natürlich ist dies nicht die erste Sammlung psychotherapeutischer Interventionen. Das Verhaltenstherapiemanual (Linden & Hautzinger 2015) und die Psychotherapeutischen Schätze (Fliegel & Kämmerer 2014; 2015) sind hervorragende Werke sowie Inspiration und Quellen für das vorliegende Buch. Anders sind bei den Transdiagnostischen Interventionen der Psychotherapie der theoretische Rahmen und vor allem der direkte Zugriff auf die Interventionen. Möchten Sie mit einer Patientin kognitiv arbeiten, reicht ein Blick im Inhaltsverzeichnis unter dem Stichwort Kognition auf die verschiedenen Indikationen, um die passende Intervention zu finden. Querverweise führen Sie zu den Interventionen, die vorbereitend, begleitend oder nachbereitend durchgeführt werden können. Wir haben unser Bestes getan, um die Interventionen so zu wählen, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas für Ihre Patientin dabei ist. Dieser unmittelbare Zugang sowie die übersichtliche Beschreibung der Interventionen erlauben es, das Buch tatsächlich in der Therapiestunde zur Hand zu nehmen und, dem Grundsatz der Transparenz folgend, die Übung sogar mit der Patientin zusammen auszuwählen.

Uns ist wichtig anzumerken, dass dieses Buch kein transdiagnostisches Therapiemanual darstellt und auch keine störungsspezifischen Programme ersetzen soll. Es ist als wertvolle Ergänzung gedacht, als Erweiterung der Manuale, um flexibel reagieren zu können. Vielleicht schickt es manche Patientinnen und Therapeutinnen auch auf neue Wege, die zu neuen Türen führen. Im besten Fall wird es seinem Anspruch der transdiagnostischen Wirksamkeit im doppelten Sinne gerecht, indem es in der Behandlung von verschiedenen Patientinnen mit einzelnen Diagnosen sowie einzelnen Patientinnen mit verschiedenen Diagnosen hilft.

2 Hintergrund

2.1 Komorbidität und transdiagnostische psychopathogene Prozesse

Angststörungen, unipolare Depression und Alkoholstörungen sind die am häufigsten vergebenen psychiatrischen Diagnosen (Wittchen & Jacobi 2012). Zusammen mit den somatoformen und den Essstörungen sind sie in bis zu 60 % der Fälle mit anderen psychischen Störungen verschwistert (Bastine 2012). Demgemäß stellt sich etwa die Hälfte aller Patientinnen mit mehr als einer diagnostizierbaren und behandlungswürdigen psychischen Störung vor; im Schnitt entfallen auf jede Patientin zwei Diagnosen (denn eine große Gruppe erfüllt die Kriterien von bis zu sechs Diagnosen) (Bastine 2012). Diese Ergebnisse deuten einerseits darauf hin, dass psychische Störungen sich gegenseitig bedingen und verstärken können sowie dass Betroffene ein höheres Risiko haben, eine weitere Störung zu entwickeln. Andererseits lassen sie auch eine andere Interpretation zu. Die Tatsache, dass Komorbidität bei psychischen Störungen eher die Regel als die Ausnahme zu sein scheint, könnte zu einem guten Teil auch die Folge des diagnosefokussierten Ansatzes von DSM (American Psychiatric Association 2013) und ICD (World Health Organization 1992) sein.

Die Nosologie von DSM und ICD geht davon aus, dass psychische Störungen klar getrennte Entitäten sind. Diese Vorstellung ist zutreffend, solange sich die Störungsbilder eindeutig darstellen. Zum Beispiel lässt sich eine Patientin mit ausschließlich depressiver Symptomatik phänotypisch meist gut von einer Patientin mit isolierter Angstsymptomatik unterscheiden. Welche Diagnose jeweils am besten zutrifft, ist jedoch schon die erste knifflige Frage. Sobald die jeweiligen Symptome bei ein und derselben Person vorliegen, wird es noch komplizierter. Die Diagnostikerin, die nach ICD-10 arbeitet, hat nun folgende Optionen: einzelne affektive (F32) und neurotische (F40, F41) Diagnosen einschließlich der Anpassungsstörung (F43.2) kombiniert; ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (F60.6) mit komorbider Depression (F32) oder Anpassungsstörung (F43.2); Dysthymia (F34.1) mit komorbider Angststörung (F40, F41) oder Anpassungsstörung (F43.2); kombinierte Persönlichkeitsstörung (F61); Angst und depressive Störung, gemischt (F41.2). Es ist kaum vorstellbar, dass sich für alle Patientinnen die richtigen Diagnosen finden lassen.

Trotz der diagnostischen Unschärfe haben DSM und ICD unbestreitbare Vorteile. Sie erlauben eine einigermaßen reibungslose Kommunikation über Länder- und Berufsgrenzen hinweg, vereinfachen Fallklassifikation und Abrechnung und machen klinische Studien interpretierbar und replizierbar. Für manche Patientinnen bedeutet eine Diagnose Erleichterung, suggeriert sie doch, man wisse, was das Problem und wie dies zu behandeln sei. Was passiert jedoch, wenn mehrere Störungen diagnostiziert werden? Möglicherweise hat die Betroffene das Gefühl, ein besonders kranker und hoffnungsloser Fall zu sein. Für Therapeutinnen wirft solch eine Situation ebenfalls Fragen auf, praktische wie persönliche. Welche Störung sollte ich zuerst behandeln? Und kann ich diesem Menschen überhaupt helfen angesichts des Ausmaßes der Psychopathologie?

Vor dem Hintergrund der hohen Komorbiditätsraten und der manchmal unklaren therapeutischen Implikationen von Diagnosen hat sich eine alternative Form der Nosologie psychischer Störungen entwickelt, die möglicherweise näher am klinischen Alltag liegt. Statt sich auf die Differentialdiagnostik der nur scheinbar getrennten klinischen Entitäten zu konzentrieren, versucht dieser Ansatz psychopathogene Prozesse zu identifizieren, die über verschiedene Störungsbilder hinweg (d. h. transdiagnostisch) auftreten (Harvey et al. 2004). Die von Harvey und Kollegen (2004) in der ersten umfassenden Publikation zum transdiagnostischen Ansatz vorgeschlagenen Ebenen, auf denen diese Prozesse ablaufen, sind Aufmerksamkeit (z. B. selektive Aufmerksamkeit), Gedächtnis (z. B. selektives Erinnern), Schlussfolgerungen (z. B. Heuristiken), Gedanken (z. B. Grübeln) und Verhalten (z. B. Vermeidung).

Das US-amerikanische National Institute of Mental Health (NIMH) entwickelt derzeit mit den Research Domain Criteria (RDoC) einen theoretischen Rahmen, innerhalb dessen menschliches Verhalten – und somit auch psychische Störungen – mittels dimensionaler Konstrukte und zugehöriger neurobiologischer Substrate beschrieben werden soll (Cuthbert & Insel 2013). Die RDoCs beinhalten negative valence systems für Reaktionen auf aversive Stimuli, positive valence systems für Reaktionen auf appetitive Stimuli, cognitive systems einschließlich Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Sprache, systems for social processes einschließlich Bindung, Kommunikation und Selbstwahrnehmung und arousal/regulatory systems einschließlich Erregung, zirkadianem Rhythmus und Schlaf.

Die transdiagnostischen Prozesse können ebenso den üblichen, in einer Verhaltensanalyse betrachteten Dimensionen zugeordnet werden. So finden sich über verschiedene Diagnosen hinweg ähnliche Störungen von Emotion (z. B. Emotionsvermeidung; Dysregulation; Unfähigkeit, Emotionen zu erkennen), Kognition (z. B. Grübeln, selektive Aufmerksamkeit, Glaubenssätze), Verhalten (z. B. Sicherheitsverhalten, Flucht, Vermeidung) und körperlichen Empfindungen (z. B. Anspannung, Erschöpfung, Erregung). Ihre Auswirkungen schlagen sich in Leidensdruck, zwischenmenschlichen Problemen und Schwierigkeiten bei der Alltagsbewältigung nieder. Tabelle 1 zeigt eine beispielhafte Auswahl an transdiagnostisch gestörten emotionalen Prozessen.

Tab. 1 Beispiele transdiagnostisch gestörter emotionaler Prozesse und relevanter Diagnosegruppen (ICD-10)

Gestörte emotionale Prozesse

Relevante Diagnosegruppen

Vermeidung unangenehmer Emotionen

Angststörungen (F40 – F41), Zwangsstörungen (F42), Depression (F32), somatoforme Störungen (F45), Essstörungen (F50), Substanzsüchte (F10 – F19), Belastungs- und Anpassungsstörungen (F43), dissoziative Störungen (F44), manche Persönlichkeitsstörungen (F60) insb. emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3), Störungen der Impulskontrolle (F63)

Übermäßige Emotionsregulation

Depression (F32), Zwangsstörungen (F42), Anorexia nervosa (F50.0), somatoforme Störungen (F45), dissoziative Störungen (F44)

Mangelnde Emotionsregulation

Bulimia nervosa (F50.2), Binge Eating Störung (F50.4), Substanzsüchte (F10 – F19), Belastungs- und Anpassungsstörungen (F43), emotional instabile Persönlichkeitsstörung (F60.3), Störungen der Impulskontrolle (F63)

Unfähigkeit, Ambivalenz zu tolerieren

Angststörungen (F40 – F41), Zwangsstörungen (F42), zwanghafte Persönlichkeitsstörung (F60.5)

Da unterschiedliche Lebensphasen und -situationen uns mit unterschiedlichen Problemen konfrontieren, können gleiche Prozesse zu phänotypisch sehr ungleichen Störungsbildern führen (Mansell et al. 2008). Ebenso müssen nicht alle Prozesse bei allen Störungen betroffen sein, eher liegen phänotypisch ähnliche Diagnosen auch ähnlichen Prozessen zugrunde.

Der transdiagnostische Ansatz soll nicht den diagnosefokussierten Ansatz von DSM und ICD ablösen. Während ersterer weniger für Fallklassifikation und Abrechnung geeignet ist (obwohl auch dies möglich wäre), gibt er Behandlerinnen eine Systematik an die Hand, die Problembereiche bei Patienteninnen präzise beschreibt und unmittelbare Implikationen für die Therapie liefert. Stellt sich Ihnen eine Patientin mit sowohl depressiver als auch ängstlicher Symptomatik vor, vermeidet sie mit hoher Wahrscheinlichkeit unangenehme Gefühle, hat eine Tendenz, innere und äußere Stimuli in einer katastrophisierenden und negativen Weise zu interpretieren, zeigt ein Muster dysfunktionaler Verhaltensweisen in Reaktion auf unangenehme Emotionen und hat Schwierigkeiten, Emotionen wahrzunehmen und zu benennen (Barlow et al. 2011). Anstatt erst die Angststörung und dann die Depression (oder andersherum) mit störungsspezifischen Manualen zu behandeln, erlaubt der transdiagnostische Ansatz eine effiziente und symptomorientierte Fallkonzeption und Behandlung: die transdiagnostische Psychotherapie.

2.2 Transdiagnostische Psychotherapie

2.2.1 Explizit transdiagnostische Therapieansätze

Die störungsspezifische Psychotherapie ist die logische Konsequenz des diagnosefokussierten Ansatzes von DSM und ICD. Die Patientin stellt sich mit einer bestimmten Diagnose vor und bekommt die passende manualbasierte Therapie, die sich im Idealfall in mehreren streng kontrollierten und randomisierten Studien als die wirksamste erwiesen hat. Für die meisten Diagnosen wurden entsprechende Manuale entwickelt und gemessen an wissenschaftlichen Kriterien stellen sie die beste evidenzbasierte Behandlung dar. Ein häufig geäußerter Kritikpunkt ist jedoch die zweifelhafte Übertragbarkeit der Ergebnisse von Studien mit Patientinnen, bei deren Rekrutierung psychische Komorbidität häufig ein Ausschlusskriterium ist. Diese Methode erhöht die geschätzte Effektivität der Behandlung und lässt die Anwenderin im Dunkeln darüber, wie und in welchem Ausmaß ihre individuelle Patientin von dem Programm profitieren kann. Zudem ist man sich in der psychotherapeutischen Community gar nicht einig darüber, ob manualbasierte Psychotherapie in allen Fällen wirklich die letzte Antwort ist. Vielmehr läuft seit vielen Jahre eine Diskussion darüber, was an der Psychotherapie denn nun eigentlich hilft (Wampold 2015). Sind es Faktoren, die allen Psychotherapieverfahren inhärent sind, allen voran die therapeutische Beziehung? Oder doch die störungsspezifischen Interventionen?

Wie oben beschrieben, wird bei den meisten Patientinnen mehr als eine Störung diagnostiziert. Was tun? Streng ausgelegt würden störungsspezifische Programme eine Priorisierung der Diagnosen und eine entsprechend sukzessive Behandlung empfehlen. Dieses Vorgehen ist nicht besonders effizient und suggeriert eine klare Trennung zwischen den Störungen, als würde die Patientin sich nicht mit Angst und Depression, sondern mit einem gebrochenen Bein und einem Hautausschlag vorstellen. Selbstverständlich funktionieren psychische Störungen so nicht. Die transdiagnostische Psychotherapie bietet eine Möglichkeit, störungsspezifische Therapien effektiv zu ergänzen oder zu ersetzen. Die Behandlung von Menschen mit bestimmten psychischen Diagnosen muss immer störungsspezifische Elemente enthalten. So muss z. B. in der Psychotherapie der Anorexia nervosa immer an übertriebenen Schlankheitsidealen und der verzerrten Körperwahrnehmung gearbeitet werden (Fairburn 2012). Besteht neben der Essstörung noch eine komorbide Depression, dürften sich transdiagnostische Interventionen, die die Toleranz von unangenehmen Gefühlen fördern, positiv auf beide Störungsbilder auswirken.

Explizit transdiagnostische Ansätze haben spätestens mit der dritten Welle der Verhaltenstherapie ihren Einzug in die Praxis gefunden. Allen voran definiert sich die Akzeptanz- und Committmenttherapie (ACT) als transdiagnostisch (Hayes et al. 2012). Psychisches Leiden resultiert nach der ACT aus und wird erhalten durch

Erlebnisvermeidung (Vermeidung unangenehmer Zustände und Situationen),

kognitive Fusion (Annahme von Produkten mentaler Simulation als Wahrheit),

Anhaften an einem konstruierten Selbstbild,

Untätigkeit und Impulsivität,

fehlende Klarheit über eigene Werte sowie

Dominanz von mentaler Simulation zu Vergangenheit und Zukunft (Wiedererleben von vergangenem Leid und Vorwegnahme zukünftigen Leids).

Gemeinsam führen diese sechs Prozesse laut der ACT dazu, dass Menschen der Welt mit kognitiver Rigidität begegnen. Ziel der Behandlung ist, kurz gesagt, das Erlernen von kognitiver Flexibilität durch die Akzeptanz von Leid als unvermeidbarem Teil menschlicher Existenz bei gleichzeitiger Verpflichtung zu einem werteorientierten Leben. Die mindestens ebenso gute Wirksamkeit der ACT im Vergleich zu anderen Therapieansätzen wurde für verschiedene Diagnosen bestätigt (Öst 2014).

Wie die ACT ist die Schematherapie ein transdiagnostischer Therapieansatz aus der dritten Welle der Verhaltenstherapie (Young et al. 2005). Ursprünglich entwickelt zur Behandlung von Persönlichkeitsstörungen, kombiniert die Schematherapie die psychodynamische Lehre von Konflikt und Abwehr mit verhaltenstherapeutischen Interventionen. Durch die Interaktion zwischen dem Temperament des Kindes und den Einflüssen des sozialen Umfelds (meist der Familie) entwickeln Kinder Schemata (Muster aus Gedanken, Gefühlen, Körperempfindungen und Handlungsimpulsen) zu Beziehungen zu anderen Menschen, den eigenen Bedürfnissen und Gefühlen sowie Regeln und Normen. Diese Schemata brennen sich ein und wirken im Erwachsenenleben in bestimmten Triggersituationen wie eine Brille, durch die wir auf die Welt blicken. Plötzlich ist man nicht mehr die kompetente Frau, sondern fühlt sich wie ein kleines Mädchen. Das ist eine Regression in den Kindmodus, der gemeinsam mit dem Elternmodus, dem Bewältigungsmodus und der gesunden Erwachsenen die inneren Akteure darstellt, die sich auf der Bühne der Schemata bewegen. Im Kindmodus werden Gefühle und Bedürfnisse relativ ungefiltert erlebt. Hierauf folgt häufig eine strafende oder fordernde Botschaft aus dem Elternmodus, der das Gefühl abwertet oder zur Kontrolle mahnt. Diese Interaktion kann mit viel Schmerz verbunden sein, um dessen Regulation sich der Bewältigungsmodus (die Abwehr) kümmert. Hier zeigen sich häufig die Symptome, die Anlass zur Behandlung geben: Depression, Sucht, Zwänge, zwischenmenschliche Konflikte etc. Die gesunde Erwachsene – die einem Beruf nachgeht, einen Partner und Freunde hat, sich manchmal gut um die Bedürfnisse des Kindmodus kümmert, dem Elternmodus etwas entgegensetzen kann und die schließlich auch in Therapie gekommen ist – hat das Ganze im Blick und eigentlich schon verstanden. Dieses Modell lässt sich für jeden Menschen und somit auch für jede Störung aufstellen. Obwohl bis jetzt noch wenig untersucht, hat die Schematherapie ihre Wirksamkeit nachgewiesen in der Behandlung von Persönlichkeitsstörungen im Einzelsetting (Bamelis et al. 2014; Giesen-Bloo et al. 2006) und Gruppensetting (Farrell et al. 2009), in der Behandlung von Depressionen (Carter et al. 2013; Malogiannis et al. 2014) und potentiell von Angststörungen (Hawke & Provencher 2011) sowie von behandlungsresistenten Zwangsstörungen (Gross et al. 2012) und Essstörungen (Simpson et al. 2010).

Während die ACT und Schematherapie eine Theorie der Psychopathologie sowie einen allgemeinen Rahmen für die Psychotherapie darstellt, entwickelten Barlow und Kollegen (2011) mit dem Unified Protocol for the Transdiagnostic Treatment of Emotional Disorders ein detailliertes Therapiemanual für die Behandlung von Angst- und affektiven Störungen sowie anderen Störungen mit einer starken emotionalen Komponente (z. B. somatoforme Störungen, Zwangsstörungen, dissoziative Störungen). Die Hauptelemente des Programms sind die Psychoedukation über Emotionen, die Verbesserung der Wahrnehmung von Emotionen, die Erhöhung der kognitiven Flexibilität in der Bewertung als gefährlich wahrgenommener innerer und äußerer Stimuli, die Veränderung von dysfunktionalen, durch Emotionen ausgelösten Verhaltensweisen, Verbesserung der Wahrnehmung von und Toleranz für körperliche Empfindungen sowie das Evozieren und Exponieren von Emotionen. Ein Randomized Controlled Trial (RCT) mit einer heterogenen Patientinnengruppe mit Angststörungen bestätigte die Wirksamkeit des Protokolls (Farchione et al. 2013). Mit seinem transdiagnostischen Ansatz scheint das Protokoll somit für die Behandlung einer großen Zahl von Patientinnen geeignet, treten Angst- und affektive Störungen doch nicht nur allein, sondern auch mit anderen Störungen am häufigsten auf. Ein ähnliches Protokoll für die Behandlung von Angststörungen wird gegenwärtig in einer multizentrischen Studie deutscher Universitäten auf seine Wirksamkeit untersucht (www.protect-ad.de). Fairburn und Kollegen (2003) stellten ein transdiagnostisches Modell der Essstörungen auf, das Perfektionismus, niedrigen Selbstwert, Affektintoleranz und zwischenmenschliche Probleme im Kern von Anorexie, Bulimie und sonstigen Essstörungen sieht. Dieser Ansatz ergänzt die störungsspezifischen Modelle und weist zusätzliche Wege für die Therapie auf.

Ein möglicher Vorzug, der üblicherweise der störungsbasierten Therapie zugeschrieben wird und für die transdiagnostische Psychotherapie noch untersucht werden muss, ist die Kosteneffizienz. Ambulante transdiagnostische Gruppentherapien erlauben die effektive Behandlung heterogener Patientinnengruppen (Ejeby et al. 2014) und scheinen sich bei Angststörungen gleichermaßen auf die Primärdiagnose (Norton 2008) sowie auf komorbide depressive Störungen auszuwirken (Norton et al. 2004).

In gewisser Weise ähnelt die transdiagnostische Psychotherapie der Psychopharmakotherapie. So werden Antidepressiva unter anderem verschrieben, um den Antrieb zu steigern und die affektive Schwingungsfähigkeit zu erhöhen. Die pharmakologische Behandlung dieser gestörten Prozesse kann demzufolge bei so unterschiedlichen Diagnosen wie einer depressiven Episode, einer Schizophrenie oder einer Persönlichkeitsstörung indiziert sein. Behandelt wird also nicht die Diagnose, sondern der gestörte Prozess.

Angesichts der vielversprechenden Ideen und Ergebnisse zu transdiagnostischen Therapien muss abschließend bemerkt werden, dass noch weitere Studien nötig sind, um die anfänglichen Erfolge zu bestätigen und eine Evidenzbasis vergleichbar zu den etablierten Verfahren zu schaffen (McEvoy 2009).

2.2.2 Transdiagnostische Perspektiven der Therapieschulen

Auch wenn transdiagnostische Interventionen wegen ihre prinzipiellen Technik- und Methodenorientierung in den vergangenen Jahren vorrangig in der Verhaltenstherapie ausgearbeitet wurden, sind diagnosenübergreifende Perspektiven von Anfang an in allen Therapieschulen wichtig gewesen, wenn sie nicht sogar als Kern des therapeutischen Vorgehens angesehen werden. Darauf soll in einer kurzen Synopse transdiagnostischer Perspektiven der drei wichtigsten Therapiekonzepte eingegangen werden.

▶Gesprächspsychotherapie. Das wohl prägnanteste transdiagnostisch ausgearbeitete Psychotherapiekonzept findet sich in der von Carl Rogers begründeten klientenzentrierten Psychotherapie. Die Gesprächspsychotherapeutinnen hatten innerhalb der Psychotherapieschulen von Anbeginn an die größten Vorbehalte gegenüber einer an Diagnosen orientierten Klassifikation psychischer Störungen. Für viele Gesprächstherapeutinnen gilt nach wie vor die Vorabdiagnostik als eine mögliche Störvariable der Therapie, in der es doch eigentlich darum gehe, der Patientin möglichst unvoreingenommen zu begegnen.

Diese prinzipiell ablehnende Haltung wurde jedoch in den letzten drei Jahrzehnten zunehmend aufgegeben. Die Gesprächstherapeutinnen haben erkannt, dass eine gute Diagnostik angesichts zunehmender Kenntnisse über die biopsychosozialen Ursachen psychischer Störungen Möglichkeiten bereitstellt, sich in besonderer Weise auf die spezifischen Besonderheiten diagnostizierbarer Störungen und Störungsmuster der Patientinnen einzustellen.

Dennoch stehen nach wie vor einige transdiagnostisch bedeutsame Perspektiven im Behandlungskonzept der Gesprächstherapie im Vordergrund, die auch in anderen Therapieschulen zunehmend als wichtig erkannt und akzeptiert werden, wenngleich sie nicht immer in dieser Striktheit betont werden. Demnach sollte die Behandlung transdiagnostisch darauf abzielen, mit der Betroffenen unter Behalt und Nutzung ihrer Personeigenarten nach Handlungsalternativen für die Auflösung zwischenmenschlicher Konflikte und Krisen zu suchen. Unter Behalt und Akzeptanz der Verhaltensgewohnheiten deshalb, weil es für die konfliktträchtigen Störungs- und Interaktionsmuster möglicherweise akzeptierbare Motive (Selbstschutz und Kontrollbehalt) gibt. Die Gesprächspsychotherapie geht entsprechend davon aus, dass die störenden Verhaltensweisen und Interaktionsmuster von den Betroffenen und den Interaktionsteilnehmenden unterschiedlich dekodiert und verstanden werden können.

Für die Behandlung ergibt sich aus dieser Perspektive ein gangbarer Weg, auszubrechen aus einer unglückseligen Verfangenheit der Negativkonnotation und Stigmatisierung, die vor allem bei schweren Störungen zu beobachten sind. Insbesondere bei Persönlichkeitsstörungen lassen sich viele Besonderheiten einer vermeintlich gestörten Interaktion sinnvoller als Überlebensstrategien verstehen, die den Betroffenen zugleich erhebliche Anstrengungen um den Behalt einer Selbstsicherheit abverlangen. Diese transdiagnostisch sinnvolle Perspektivenänderung ermöglicht es weiter, den Interaktionsstörungen einen Sinn (zurück) zu geben. Nur wenn die Sinnsetzung und Perspektivierung interpersoneller Konflikte zusammen mit der Patientin gelingt, scheint eine wichtige Voraussetzung für eine Durchführung der Therapie mit der Patientin gegeben.

▶Psychodynamische Therapieansätze. Auch die tiefenpsychologisch und psychodynamisch orientierten Ansätze waren in ihren ursprünglichen Konzeptualisierungen eher transdiagnostisch. Insbesondere in der auf Freud zurückgehenden sog. strukturtheoretischen Konzeption bleiben störungsübergreifend betrachtet bereits in der frühen Kindheit unausgelebte Bedürfnisse altersabhängig fixiert (d. h. gebunden an den Zeitpunkt ihrer ersten Abwehr oder Verdrängung). Es kommt also, was die Möglichkeiten und Fähigkeiten einer befriedigenden Bedürfnisauslebung betrifft, zunehmend zu einem Entwicklungsrückstand. Die in unbewusster Form weiterwirkenden Bedürftigkeiten gelten in ihrer so fixierten Form den ursprünglich für die Bedürfniseinschränkung mitverantwortlichen Bezugspersonen, zumeist den Eltern. Dem zentralen Dreieckskonflikt zwischen Kind und Eltern wird deshalb in der Psychoanalyse eine besondere Bedeutung beigemessen.