Traumasensible Paartherapie - Katharina Klees - E-Book

Traumasensible Paartherapie E-Book

Katharina Klees

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Beschreibung

Streit und Beziehungsdramen - Symptom einer Traumafolgestörung? 30 bis 50 % aller Paare, die eine Paarberatung aufsuchen, hatten in der Kindheit traumatische Erlebnisse. Gleichzeitig kann man feststellen: In fast jeder Herkunftsfamilie mussten die eigenen Eltern grauenvolle Kriegserlebnisse bewältigen. Menschen, die in ihrer Kindheit traumatische Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen machen mussten, tragen oftmals schlimme Beziehungswunden in sich. Missbrauch, Vernachlässigung, Misshandlung, Tod, Verlust, schwere Krankheiten, psychische Gewalt, Armut oder psychische Störungen der Eltern führen zu vielfältigen emotionalen Problemen. Die Wunden der Kindheit wirken auf die Paarbeziehung in Form von Streit, Dramen und sexuellen Konflikten. Es gibt kaum Anleitungen für die Behandlung traumatisierter Paare und ebenso keine Literatur zum Thema Paare und Trauma. Somit bricht dieses Buch mit einem Tabu und schließt eine Lücke. Es ist ein Praxisleitfaden mit etlichen Fallbeispielen.

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Seitenzahl: 513

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Katharina KleesTraumasensible PaartherapieMit dem Traum(a)-Haus-Konzept aus der Beziehungskrise

Über dieses Buch

Streit und Beziehungsdramen – Symptome einer Traumafolgestörung? 

Menschen, die in ihrer Kindheit traumatische Erfahrungen mit wichtigen Bezugspersonen machen mussten, tragen oft schlimme Beziehungswunden in sich. Missbrauch, Vernachlässigung, Misshandlung, Tod, Verlust, schwere Krankheiten, psychische Gewalt, Armut oder psychische Störungen der Eltern führen zu vielfältigen emotionalen Problemen. Die Wunden der Kindheit wirken auf die Paarbeziehung in Form von Streit, Dramen und sexuellen Konflikten. 

Es gibt kaum Anleitungen für die Behandlung traumatisierter Paare und ebenso keine Literatur zum Thema Paare und Trauma. Somit bricht dieses Buch mit einem Tabu und schließt eine Lücke. Es ist ein Praxisleitfaden mit etlichen Fallbeispielen. 

„Dieses Buch ist einmalig. Und erstmalig. Allein deshalb ist es wichtig, dass Sie es lesen. Denn Katharina Klees (...) ist die erste, die einen eigenen Arbeitsansatz für die gemeinsam durchgeführte Paartherapie mit Menschen vorstellt, welche frühe Bindungstraumata erlitten haben. Dieser Arbeitsansatz ist originell, in langjähriger Arbeit mit von Trauma betroffenen Paaren entwickelt und kreativ lösungsorientiert.“ – Aus dem Vorwort von Michaela Huber

Dr. Katharina Klees, Therapie und Weiterbildung für Trauma und Paare seit 1995. Zertifizierte Ausbilderin der DeGPT und BAG Traumapädagogik für traumaspezifische Fachberatung. http://www.aufwindinstitut.com

Copyright: © Junfermann Verlag, Paderborn 2018

Coverbild: © altanaka – stock.adobe.com

Illustrationen: Elena Parras

Covergestaltung / Reihenentwurf: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Satz, Layout & Digitalisierung: Junfermann Druck & Service GmbH & Co. KG, Paderborn

Alle Rechte vorbehalten.

Erscheinungsdatum dieser eBook-Ausgabe: 2018

ISBN der Printausgabe: 978-3-95571-723-0

ISBN dieses E-Books: 978-3-95571-724-7 (EPUB), 978-3-95571-726-1 (PDF), 978-3-95571-725-4 (MOBI).

Vorwort von Michaela Huber

Dieses Buch ist einmalig. Und erstmalig. Allein deshalb ist es wichtig, dass Sie es lesen. Denn Katharina Klees, die Begründerin des Aufwind-Instituts und erfahrene Paar-, Sexual- und Traumatherapeutin, ist die erste, die einen eigenen Arbeitsansatz für die gemeinsam durchgeführte Paartherapie mit Menschen vorstellt, welche frühe Bindungstraumata erlitten haben. Dieser Arbeitsansatz ist originell, in langjähriger Arbeit mit von Trauma betroffenen Paaren entwickelt und kreativ lösungsorientiert. Und zwar nicht nur für die einzelnen PartnerInnen, sondern auch für das Paar insgesamt.

Während in der Einzel-Therapie die individuellen „Gewordenheiten“ ins Blickfeld genommen werden, versucht die Paartherapie ja traditionell zu verstehen, welche klassischen Probleme aus der Herkunftsfamilie in die Partnerschaft hineinwirken und Konflikte verursachen. Also könnte man denken: So originell kann der Ansatz der Autorin dieses Buches doch gar nicht sein.

Doch es geht hier um mehr als um die klassischen Themen der Paartherapie. Frühe Traumatisierungen enthalten Bindungserfahrungen, die für viele Menschen so quälend, ja überwältigend waren, dass sich daraus für die Partnerschaftssuche und -gestaltung als Erwachsene noch eine Fülle von Folgeproblemen ergeben. Probleme, die weitaus tiefer gehen, als das bei „Neurotikern wie du und ich“ der Fall ist. Wer auf jede kleine Kränkung wie auf eine Vernichtungsdrohung reagiert, zitternd erstarrt, losbrüllt oder wegläuft, „tickt“ einfach anders als jemand, der sich nur ärgert. Mit herkömmlichen tiefenpsychologischen Analysen, den systemischen „Spielen“ und „Redekuren“ allgemein ist dem nicht beizukommen. Und es hilft auch nicht, den einen als „gesund“ und den anderen (oft: die andere) als traumatisiert und damit psychisch krank zu betrachten. Beide haben schon eine gemeinsame Geschichte. Und diese gemeinsame Geschichte und Gegenwart spiegeln auf charakteristische Weise die traumatisierenden Beziehungen in der oder den Herkunftsfamilie/n wider.

Die traditionelle Paarpsychotherapie hat ihre Wurzeln in der tiefenpsychologischen, häufig auch in der psychoanalytischen sowie der systemischen Tradition. Moderne Methoden der Traumabehandlung haben ihre Wurzeln nicht nur dort, sondern auch in der Bindungsforschung, der Psychotraumatologie, den körperorientierten und kreativ-nonverbalen Therapierichtungen. Besonders die Erkenntnisse aus der strukturellen Dissoziationstheorie – der „heißesten“ Traumatheorie auf dem Theorie-Markt – führen zusammen mit der Zunahme schwerstgestörter Paare zu einer Neuorientierung der Paarberatung und -therapie. Die Erfahrungen von Gewalt, Vernachlässigung, Verwahrlosung und emotionaler Quälereien in der Herkunftsfamilie führen nämlich zu Spaltungsphänomenen innerhalb der Psyche der Überlebenden. Das bedeutet: Es gibt neben dem mehr oder weniger vernünftigen „Alltags-Ich“ – das die Anforderungen des momentanen alltäglichen Lebens erfüllen möchte – (strukturell) abgespaltene Persönlichkeitsanteile, die stets gleichbleibende Reaktionen auf traumatische Lebensumstände „von damals“ enthalten. Anteile oder Zustände also, die gar nichts, buchstäblich nichts, hinzugelernt haben, sondern den Organismus zu immer gleichen Reaktionen zwingen. Zu Flucht, Angriff, Erstarrung und Schweigen, innerem Sich-leer-Machen, bedingungsloser Unterwerfung, kindlichem Bindungsschrei oder dem Gegenteil: totalem Kontaktabbruch. Dominanz oder Unterwerfung, Täter- oder Opfersein – solche Themen bestimmen viele Trauma-Partnerschaften. Ohnmacht und Hilflosigkeit sind ihre Begleiterscheinungen, und so hilflos kommen die Paare, in denen einer oder beide unintegrierte frühe Traumata mitbringen, in die Beratung oder Therapie.

Die erlernten Muster der traumatisierenden Herkunftsfamilie, etwa Opferung und Beschämung, Despotismus und Laissez-faire, Schuldabwehr und Schuldübernahme, Verschweigen und Verraten, Verführung und Erpressung – gemischt unter Umständen mit zärtlich-liebevollen Szenen –, sie sind so verwirrend und undurchschaubar für ein Kind, aber eben auch so durch und durch „normal“, dass sie mit Selbstverständlichkeit in einer Partnerschaft Widerhall finden. Eine Partnerschaft, die Erlösung bringen soll, Verschmelzung, Aufhebung der Qualen, erneute Leidenschaft und Wiederfinden des Glücks – aber doch häufig nur eine Wiederholung oder Reinszenierung der Leiden aus der Ursprungsfamilie bedeutet.

Wie können BeraterInnen und PsychotherapeutInnen solche Muster erkennen, und was können sie dann tun?

Zur Diagnostik aktueller Paar-Probleme durch traumabedingte Bindungsmuster hat Katharina Klees einen praxisnahen Fragebogen entwickelt und stellt ihn hier ebenso vor wie ihre Art, die Ergebnisse mit dem Paar respektvoll und einladend zu besprechen. Wer schon einmal verstehen kann, dass seine oder ihre eigenen Sehnsüchte nach idealem Aufgehoben-Sein innerlich konterkariert werden durch angstvolle Abwehr und den Versuch, auf jeden Fall die Kontrolle über die Situation – und damit: die PartnerIn! – zu behalten, kann sich verstanden und angeregt fühlen, solche Widersprüche in sich wahrzunehmen und sie zu verändern lernen.

Wie die Paarsituation durch einfache Zeichnungen, die durch systematische Fragen mithilfe der TherapeutIn entstehen, plastisch auf den Punkt gebracht werden kann, erklärt die Autorin anhand einiger Beispiele, die durch Abbildungen illustriert werden.

Den Angriffs- und Verteidigungs-Dialog, den wiederholten eskalierenden Streit traumatisierter Paare beleuchtet die Autorin in weiteren Kapiteln genauer. Denn den wenigsten Streitenden ist klar, dass die Reaktionsmuster gar nicht aus der aktuellen Partnerschaft stammen, sondern entweder den traumatisierten und traumatisierenden Eltern abgeschaut oder als kindliche Reaktion auf wiederholte seelische Erschütterungen in der Familie erworben wurden. Von daher taugen diese Streitmuster gar nicht zur Konfliktlösung in der bestehenden Partnerschaft, zwingen sich aber wie automatisch auf. Wer mit Zittern und heftigen Körperreaktionen auf Konflikte reagiert, sich ständig rechtfertigen muss, immer der PartnerIn die Schuld für das bestehende Drama gibt, sich Klärungen in entspannter Atmosphäre entzieht und stattdessen dann mit Vorwürfen herausplatzt, wenn das Klima spannungsgeladen ist; wer vielleicht sogar mit Hohn und Spott auf den Kummer der PartnerIn reagiert oder offene Zeichen von Verachtung zeigt – der oder die hat eigentlich fast schon diese Partnerschaft verloren; es sei denn, sie wird mit Gewalt und / oder existenzieller Not zusammengehalten. Und doch scheinen die Kontrahenten keine Lösung in diesen stets wiederkehrenden und häufig komplementären Mustern des Streitens zu finden.

Dass Streit notwendig sei – dies bezweifelten die meisten der von Katharina Klees befragten Menschen. Und damit hatten sie sicher recht, denn Streit – gar der eskalierende – ist keineswegs eine unerlässliche Zutat jeder Partnerschaft, wie man landläufig meint. Sich zusammenzusetzen, wenn man entspannt ist, und dann die Lösung für Probleme zu suchen, wenn der innere „Rollladen noch nicht gefallen ist“ – das ist weitaus produktiver. Wie aber erreicht man das bei Menschen, die schon ganz verzweifelt sind, weil sie aus der Streitfalle nicht herauszufinden scheinen?

Katharina Klees malt gern. Sie zeichnet im ständigen Dialog mit dem Paar einfache Bilder, die mehr erklären als tausend Worte. Sie erläutert komplexe neurobiologische und Bindungs-Zusammenhänge, lässt die PartnerInnen ihre Zeichenvorschläge korrigieren, kommentieren, ergänzen. Sie verhindert damit, dass das Paar seine Streitroutine wieder aufnimmt und ermöglicht, dass auch beschämende Themen und überkommene Streitmuster angesprochen und – teils humorvoll – zeichnerisch aufgegriffen und mithilfe dieses Mediums spielerisch veränderbar dargestellt werden können. Später übt das Paar dann, diese Muster in ihrem Gesprächsverhalten untereinander zu identifizieren und konstruktiv, also ermutigend, freundlich, lobend, statt destruktiv zu agieren.

In einem weiteren, manchmal auch alternativen Schritt der Therapie können die früheren Erfahrungen mit existenziellen Krisen daheim als Kind in einer Art „Comic Strip“ – die Autorin nennt es „Emotions-Skript“ – zeichnerisch dargestellt und mit Sprechblasen zu den damaligen Gedanken und Gefühlen „gefüllt“ werden. Die Paartherapeutin bittet dabei beide Partner, jeweils für sich in einer sehr strukturierten Form im Halbkreis sieben Bilder zu malen, angefangen bei der Situation, „als es noch in Ordnung war“, über die schwierigste Situation bis „danach“, als es vorbei war. Dies entspricht der Art, wie Traumabearbeitung durch die Bildschirm-Technik, die EMDR-Methode oder andere Therapietechniken angegangen wird, und ist sicher nur anwendbar nach sorgsamer Vorbereitung. Die Verlassenheitssituationen in der Kindheit, den Kummer und das Erschrecken in kurze Strichmännchenbilder zu „verpacken“ und dabei zu enden, wann diese Situation/en vorbei war, kann vieles verstehen helfen. Es hilft den Betroffenen zu verstehen, dass ihre Schreckenserfahrungen Anfang, Mitte und Ende hatten. Es hilft den Paaren zu begreifen, wieso der / die andere so „tickt“. Sie lernen, dass jede/r der beiden nicht schuld ist an der fundamentalen Not der PartnerIn, sondern dass diese Not eine weit vor ihrer Partnerschaft liegende Geschichte hat. Das ist enorm entlastend. Anschließend wird die typische Lerngeschichte der Kinder, die sie waren und die bindungstraumatisiert wurden, gemeinsam diskutiert und erläutert. Das Grundmuster dieser Lerngeschichte kann man laut Katharina Klees so zusammenfassen: Das Kind hatte einen Bindungswunsch und diesen auch der Bindungsperson gegenüber geäußert; als diese nicht oder auf bizarre Weise reagierte, hatte das Kind mit gewissem Nachdruck seinen Wunsch wiederholt geäußert und / oder auf eine bestimmte Weise seinen Protest gegen das Verhalten des / der Erwachsenen gezeigt. Daraufhin wurde es wieder frustriert oder erlebte das erschreckende Verhalten der Bindungsperson erneut usw. So lange, bis es sein Gefühl für Selbstwirksamkeit verlor, erstarrte, aufgab – und das heute noch der PartnerIn gegenüber gezeigte Bindungs- und Streitverhalten entwickelte. Was hier noch theoretisch klingt, wird mit unzähligen Beispielen aus der alltäglichen Paartherapie erläutert, was dieses Buch nicht nur spannend lesbar, sondern auch so alltagsnah und praxistauglich macht.

Eine Gegenüberstellung der Trauma-Bindungs-Schemata der Partner macht deutlich, wo beide in ihrer Bindungsentwicklung „hängen geblieben“ sind, und eröffnet Räume für die Versuche, es anders zu machen. Gerade die Wiederholungen der Täter-Opfer-Retter-Dynamik kann so eindrücklich transparent gemacht werden. Wie frühe Angst zu Panikattacken mutierte; wie Schamgefühle zur Tendenz wurden, den anderen zu beschämen; wie Hilflosigkeit das unbedingte Kontrollieren-Wollen der PartnerIn auslöste; wie unterdrückte Trauer sich in Gehorsam und passive Aggressivität; und wie gewaltvolle Unterdrückung sich in explosive (z. B. verbale) Gewaltausbrüche verwandelten – das alles wird den PartnerInnen zunehmend deutlicher. Dabei arbeitet die Therapeutin mit vereinfachten Mustern einer Arbeit auf der inneren Bühne und lässt z. B. vier Zustände malen:

Eine innere Instanz der Kontrolle und Verurteilung – man könnte sie auch Täterintrojekt nennen; einen Anteil, der es allen recht machen will (Ich-Ideal); einen Anteil, der sich vor der inneren Verurteilung versteckt (innerer Kindanteil), sowie einen abgelehnten Anteil, der „trotzdem immer wieder herauskommt“ – den die Autorin „Schatten“ nennt. Diese Zustände gestalterisch wahrzunehmen und sich mit ihnen zu beschäftigen, hilft zu verstehen, dass die Partnersuche und das in der Partnerschaft gezeigte Verhalten einer gewissen erklärbaren Logik folgen. Diese „Teile-Arbeit“ in der Paartherapie ermöglicht es, gleichzeitig mit beiden auf der inneren Bühne zu arbeiten und sie zu ermutigen, ihre eigenen sowie die komplementären Beziehungsmuster zu verstehen.

Schließlich mündet die Arbeit in die Erläuterung des „Traum(a)-Hauses“: Von unten nach oben zeigt es über fünf „Etagen“, wie Entwicklung stattfand und weiter stattfinden könnte: Unter dem „Kinderzimmer“ im „Keller“ die erworbenen affektiven, traumabedingten Bindungsmuster; im „Obergeschoss“ der Beziehungsraum und der Besinnungsraum, in dem Lernen stattfinden kann, bis zum „Liebesraum“, in dem auch (gemeinsame) spirituelle Entwicklung möglich wird. Dass alles in einem „Haus“ stattfindet, man immer wieder einmal in den „Keller“ schauen muss, um dort aufzuräumen, dass Entwicklung nie etwas Statisches und Endgültiges hat; dass beide manchmal auf unterschiedlichen „Ebenen unterwegs“ sind, das alles lässt sich mithilfe dieser Bild-Metapher sehr schön erklären.

Was mich an diesem Buch so freut, ist die klare einfache Sprache und die zahlreichen einleuchtenden Beispiele. Hier wird ein Paartherapieansatz für früh traumatisierte Menschen vorgestellt, der wirklich praktikabel ist. Das durchdachte und vielfach erprobte Vorgehen kann auch einfacher strukturierten PartnerInnen helfen, sich selbst kennenzulernen, das „Geworden-Sein“ bei sich selbst und der PartnerIn zu verstehen, die eigenen emotionalen Automatismen zu erkennen und vor allem: sie gemeinsam mit der Therapeutin und der PartnerIn nicht nur wahrzunehmen. Sondern der Clou besteht darin, gestalterisch mit den Themen umzugehen und dadurch auch kreative Veränderungen anzuregen.

Der Therapieansatz, den die Autorin hier vorstellt, kann – mit Ausnahme extrem traumatisierender destruktiver Partnerschaften und hoch dissoziativer Beteiligter – an Paaren erfolgreich sein, die sonst kaum Chancen hätten, ihre Beziehung noch zu retten. Paare, die in Depressionen, Krankheiten, Ängsten, wüsten Auseinandersetzungen und chronischen Opfer-Täter-Reinszenierungen verhaftet blieben. Die systematische Vorgehensweise hat etwas positiv Strukturierendes, das dem Chaos und der Hilflosigkeit ein Schritt-für-Schritt-Verfahren entgegensetzt und so Räume öffnet für Entwicklung. Die Autorin bedient sich vereinfachter Formen der Darstellung, um zu einem komplexen Arbeiten auf der inneren Bühne einzuladen und die Beteiligten zu ermutigen, sich aus dem „Keller“ ihrer traumatischen Instinkte heraufzuarbeiten zu einer für sie freieren und offeneren Beziehungsgestaltung und dabei transgenerationale Trauma-Bindungsmuster zu erkennen und zu verändern.

Diesem Buch sind viele LeserInnen zu wünschen: PaartherapeutInnen und BeraterInnen sollten es ebenso lesen wie Menschen, die sich selbst und ihre sich wiederholenden Streitmuster in der Partnerschaft besser verstehen wollen. Es liest sich spannend – und in so manchen hier porträtierten „Streithähnen und -hennen“, ihren diversen Anteilen und deren allmählicher Entwicklung werden sich LeserInnen mehr oder weniger schmunzelnd wiedererkennen. Dass Katharina Klees ihren Therapieansatz auch in Fortbildungen lehrt, freut mich besonders, weil er sich auf diese Weise hoffentlich weiterverbreiten wird.

Dank

Ohne die Personen, die mich begleitet haben, wäre dieses Buch niemals zustande gekommen.

An erster Stelle möchte ich Frau Prof. Dr. Waltraud Hackenberg danken, die mich von meinem eigenen Trauma geheilt hat und immer an mich glaubte. Dann danke ich Prof. Dr. Rolf Becher. Er unterstützte mich dabei, an der Universität zu Köln Seminare für das Thema Trauma und Schule anzubieten. Dankbar bin ich Frau Prof. Dr. Hanna Kiper, die für mich alle Klippen und Hindernisse während meiner Habilitation umschiffte, da das Thema Trauma noch nicht wirklich wissenschaftsfähig war.

Ich danke allen Coachs und Lehrtherapeut/inn/en, die meinen Weg zur Therapeutin, Dozentin und Autorin begleitet haben: Angelika Hunklinger, Peter A. Heim, Wera Fauser, Peter Kammermeier, David Campell, June McDonnach, Dieter Salomon, David Schnarch, Oliver Schubbe, Ursula Nuber, Prof. Dr. Sigrid Metz-Göckel, Prof. Dr. Margret Kraul, Georg Schalk, Kurt Keil.

Ich bin meinen Assistenten Tamer und Teresa Karayel und Viola Sander sehr dankbar, die alle Wege, die ich hier beschrieben habe, gegangen sind. Eine dicke Umarmung schicke ich an Bianca König, die den Grundstein für dieses Buch legte.

Ein lebensumfassendes Dankeschön richte ich an Jörg Klees, meinem besten Freund, Vater meiner drei Kinder, der stets mein treuester Weggefährte und Seelenverwandter war und ist.

Wundervoll finde ich die Illustrationen von Elena Parras, die genau verstand, wie ich mir die Bilder vorstelle. Besonders ihre Umsetzung des Traum(a)-Hauses finde ich sehr gelungen.

Widmen möchte ich dieses Buch jedoch meinen Paaren. All den vielen wundervollen Menschen, die zu mir kamen, mich lernen und wachsen ließen. Ihre Geschichten flossen in dieses Buch hinein, jedoch nie in reiner Form, sondern stets habe ich mehrere Schicksale so verwoben, dass Rückschlüsse nicht möglich sind.

Ich wünsche mir und allen Menschen: „Frieden in jeder Beziehung“.

Einführung

Nach einem heftigen Streit hatte Hannes sich in das gemeinsame Schlafzimmer zurückgezogen. Er lag über Stunden völlig erstarrt unter seiner Bettdecke. Die verzweifelte Jutta schaute immer wieder nach ihm, sprach ihn an und rüttelte ihn, ohne Ergebnis. Jutta war als Kind von ihren Eltern in die Wohnung eingesperrt und über lange Zeit sich selbst überlassen worden. Nun wanderte die 50-jährige Ehefrau im Wohnzimmer auf und ab, wie ein eingesperrter Tiger. Hannes wurde als kleiner Junge vom Vater so unbarmherzig geschlagen, dass man eher an Misshandlung denn an Erziehungspraktiken dachte. Nach den Prügeln kauerte er oft lange reglos und unbeachtet wie ein getretener Hund auf dem Boden in einer Ecke. Ähnlich paralysiert lag Hannes nun in seinem Bett.

Mittlerweile war es Abend geworden und Jutta hielt es nicht mehr aus. Sie stürmte in das dunkle Schlafzimmer, wollte Hannes die Bettdecke wegreißen. Doch als er sich am Bettzeug festklammerte, ließ dies bei Jutta eine Sicherung durchbrennen. Sie räumte mit einer ausholenden Bewegung die Nachttischlampe herunter, dass es nur so schepperte. Laut schreiend und vor blindem Zorn völlig außer sich trommelte sie mit ihren Fäusten auf Hannes Rücken ein. Hannes sprang aus dem Bett, riss den Kleiderschrank auf und schmiss in einen eilig hervorgezerrten Koffer wahllos Socken, Unterhosen, Hemden und Shirts.

Jutta versuchte, ihren Mann davon abzuhalten, doch er war nicht ansprechbar. Mit ungeheuren Kräften schleppte er den Koffer mit der an ihm hängenden Frau zur Haustür. Irgendwie schaffte er es, das Auto aufzuschließen, sein Gepäck zu verstauen und ins Auto zu steigen. Er ließ den Motor an und wollte schon starten. Doch da war Jutta, im Nachthemd vor den hellen Scheinwerfern, mitten auf der Straße vor dem Auto. Es regnete in Strömen und es war dunkel. Sie schluchzte und schüttelte sich vor Kälte und Panik. Hannes hätte das Häuflein Elend in seinem Fluchtwahn fast überfahren. Zitternd drehte er den Schlüssel wieder um und schwankte schockiert zu ihr. Unwillig nahm er ihre Hand und führte die schlotternde nasse Gestalt ins Haus zurück. Beide setzten sich erschöpft und willenlos an den Esstisch. Jutta weinte, Hannes hielt ihre Hand. Ratlos, unsicher und am Ende ihrer Kräfte gingen beide ins Bett. Am nächsten Tag war es wieder gut. Doch wann würde es erneut eskalieren?

So oder ähnlich gestalten sich Dramen in Partnerschaften traumatisierter Menschen. Hannes und Jutta suchten Hilfe in der Nähe ihres Wohnortes und probierten einige Paartherapeuten aus. Beide befanden sich seit Jahren in eigenen Traumatherapien. Doch das Beziehungsthema ließ sich nicht lösen. Die Paarexperten schienen überfordert von der Heftigkeit der Krisen und rieten zur Trennung. Jutta und Hannes nahmen letztendlich den weiten Weg auf sich und landeten im Aufwind-Institut.

Diese Geschichte zeigt, warum es mir ein wichtiges Anliegen ist, dass die traumasensible Paartherapie von Fachkräften vor Ort angeboten werden kann und dass es flächendeckendere Angebote für traumatisierte Paare gibt.

Das vorliegende Buch ist allen Hannes und Juttas gewidmet, die Unterstützung brauchen, und richtet sich an Berufsgruppen, die in therapeutischen, beratenden oder sozialen Kontexten tätig und mit Beziehungsproblemen traumatisierter Menschen konfrontiert sind. Das kann eine Paartherapeutin in eigener Praxis sein, eine Heilpraktikerin, ein Frauenarzt, eine approbierte Traumatherapeutin oder ein angestellter Therapeut in einer sozialen Einrichtung (Erziehungsberatungsstelle, Caritas, pro familia etc.). Auch Sozialpädagoginnen in Notrufeinrichtungen oder Beratungsstellen bei häuslicher oder sexueller Gewalt (Wildwasser, Aradia, Zartbitter etc.) haben mit eskalierenden Konflikten in Partnerschaften zu tun. Ebenso treffen Fachkräfte in der öffentlichen oder freien Jugendhilfe auf hochstrittige Elternpaare, etwa in der sozialpädagogischen Familienhilfe oder bei Scheidungskonflikten und Sorgerechtsstreitigkeiten mit Traumahintergrund.

Dieses Buch bietet Hilfestellung, sobald das Paar bereit oder angehalten ist, sich den Paarkonflikt anzuschauen. Oft steht eine Trennung oder Scheidung unmittelbar bevor, sind Kinder im betreuungsintensiven Alter gefährdet oder das Paar leidet bereits an eklatanten gesundheitlichen oder finanziellen Problemen. Häufig kommt auch die Empfehlung aus ambulanten oder stationären Heilzentren, den Partner in die Behandlung einzubeziehen. Manchmal schreckt ein Paar vor den hohen Scheidungskosten zurück oder erhält die Auflage zur Paarberatung (§ 17 a SGB VIII Trennungs- und Scheidungsberatung) vom Familienrichter nach einer Inobhutnahme der Kinder.

Traumatisierte Menschen gehen Beziehungen ein, die umso konflikthafter sind, desto traumatisierender die Herkunftsfamilien waren. Traumatisierte Menschen ziehen einander an und inszenieren ihre traumabedingten Störungen in der Partnerschaft. Diese Menschen sind in großer Not, da die Krisen in der Paarbeziehung das erlittene Trauma verstärken und heftige Dramen mit dem Partner oder der Partnerin retraumatisierend hinzukommen.

Fachkräfte, Therapeuten, Beraterinnen oder Ärztinnen sind von der speziellen Dynamik traumatisierter Paare häufig überfordert, da in den Ausbildungen selten auf den Zusammenhang zwischen Trauma und Partnerschaft eingegangen wird. Es gibt nahezu keine Literatur zur Begleitung beziehungstraumatisierter Paare. Gewalt oder Misshandlung in der Ehe wird in Veröffentlichungen zwar beschrieben, es gibt mittlerweile auch eine Flut an Literatur zum Thema Traumabehandlung oder Unmengen von Büchern über Paare und Paarberatung, jedoch kein einziges Buch über die Begleitung traumatisierter Paare. Der Gegenstand dieses Buches, die Verbindung von Traumabehandlung und Paartherapie, ist also einzigartig.

Immer wieder treffe ich auf Befremden in Fachverbänden. Die Berufsverbände haben sich entweder auf Traumatherapie oder die Beratung von Paaren oder noch fachbezogener auf die Heilung von Sexualstörungen spezialisiert. Die Begleitung traumatisierter Menschen findet vor allem in Einzelsettings statt und die Beratung von Paaren widmet sich in der Regel den Kommunikationsstilen oder unbewussten Konflikten in Liebesbeziehungen. Dass Sexualstörungen häufig Symptom einer komplexen Traumafolgestörung sind, wird ebenso wenig in Betracht gezogen wie die traumainduzierte Neigung zu Streit und Beziehungsdramen. Die fehlende Betrachtung dieser Zusammenhänge schlägt sich in populärwissenschaftlichen Abhandlungen nieder, in denen zu fairem Streiten geraten wird und dazu, Eifersuchtsszenen zu meiden. Traumatisierte Menschen, deren Not sich insbesondere in eskalierenden Partnerschaftskrisen und sexuellen Störungen äußert, werden entweder stigmatisiert, unprofessionell begleitet oder erhalten überhaupt keine Hilfe.

Aus der Traumaforschung wissen wir von der gesellschaftlichen Brisanz der Traumatisierung von Menschen. Die Traumata der Kriegsgeneration von Eltern und Großeltern wirken auf die Erziehung und Behandlung der Kinder. Gewalt, sexueller Missbrauch, Kindeswohlgefährdung, starke emotionale oder körperliche Vernachlässigung und Beziehungsabbrüche sind Handlungen von posttraumatisch belasteten Bezugspersonen, die psychisch oder körperlich krank sind, Suchtverhalten entwickeln, Kinder in Ehekrisen verstricken, sich umbringen oder ihre Familie verlassen. In Abhandlungen zu Traumafolgestörungen, Trauma und Gehirnentwicklung oder therapeutischen Ansätzen geht es um die Folgen für die Beziehungsfähigkeit der Kinder, genauso wie um die förderlichen Bedingungen einer heilenden therapeutischen Beziehung. Wie jedoch zwei traumatisierte Menschen eine haltgebende Partnerschaft aufbauen sollen, hierzu finden wir in Fachveröffentlichungen gelinde ausgedrückt wenig.

Mein eigener Weg ging über die Bearbeitung emotionaler Verletzungen durch meine kriegstraumatisierten Eltern, die Beziehungserfahrungen mit dem Vater meiner drei Kinder, die Aufarbeitung und Heilung in Therapien und zahlreichen Ausbildungen bis zur wissenschaftlichen Erforschung der Zusammenhänge von Krieg, Trauma und Partnerschaft. Schließlich führte mich meine berufliche Entwicklung in die Selbstständigkeit mit eigener Praxis. Auf der einen Seite befasste ich mich aufgrund meiner Zeit als Jugendamtsleiterin mit der Weiterbildung von Fachkräften aus der Jugendhilfe zur Begleitung traumatisierter Kinder. Auf der anderen Seite spezialisierte ich mich auf die Beratung von Paaren. Eine gewisse Zeit empfand ich beide Bereiche als voneinander getrennt, bis ich dazu überging, die therapeutischen Methoden aus der Traumatherapie auch bei Paarkonflikten anzuwenden. Mit nachhaltigem Erfolg! Mit der Zeit fanden immer mehr traumatisierte Paare in mein Aufwind-Institut. So nach und nach kristallisierte sich ein konkretes Vorgehen heraus, welches den traumatisierten Paaren wirklich und wahrhaftig half. So kamen immer mehr Paare von weiter her, aus den entferntesten Regionen Deutschlands, aus Österreich und der Schweiz. Die Hoffnung auf Frieden hatten sie meist schon aufgeben. Wegen der ständig steigenden Nachfrage bot ich für Fachpersonen Weiterbildungen zu meinem Ansatz an und es entstand ein Online-Kurs, der alle Schritte zum Beenden von Krisen vermittelt. Nun will ich mein Konzept zur Begleitung traumatisierter Paare in diesem Buch strukturiert darstellen, um die oben genannten Berufsgruppen zur Traumasensibilität anzuleiten, und dabei behilflich sein, traumatisierten Paaren eine effektive Begleitung zu ermöglichen.

Kernstück meines Konzepts zur Behandlung traumatisierter Paare ist das Trauma-Bindungs-Schema. Lange bevor die Ego-State-Therapie der Fachwelt vorgestellt wurde, arbeitete ich in meinen therapeutischen Gruppen mit inneren Anteilen und fügte die Logik dieser inneren Beziehungsstrukturen zu einer konkreten Form zusammen. Vorsichtig brachte ich das Trauma-Bindungs-Schema in meine Seminare mit Fachkräften aus der Jugendhilfe ein. Die Seminarteilnehmer waren überrascht, welch aussagekräftige Fallreflexionen nun möglich waren und wie zuverlässig sich Konflikte der Gegenübertragung besser handhaben ließen. Ich war nicht weniger erstaunt und nach und nach wurde ich mutiger. Mit etlichen Paaren füllte ich nun das Trauma-Bindungs-Schema aus und kam zu wesentlichen Erkenntnissen über die Gesetzmäßigkeiten in Trauma-Beziehungen, die ich nirgendwo nachlesen konnte. Jedoch gelang mir der wissenschaftliche Nachweis über die Korrektheit meines Ansatzes aus der Täter-Opfer-Spaltung (Michaela Huber), der analytischen Psychotherapie (C.G. Jung), dem Lehrbuch der Psychotraumatologie (Fischer & Riedesser) und nicht zuletzt dem aktuellen Handbuch von Bessel van der Kolk (Verkörperter Schrecken), in dem die vier inneren Anteile meines Trauma-Bindungs-Schemas, wenn auch anders benannt und ohne Beziehungsstruktur, ebenfalls vorkommen und dort als bislang beste therapeutische Methode eingeschätzt werden. Das bestätigte mich und gab wohl den Ausschlag, meinen Ansatz zur Behandlung traumatisierter Paare endlich in eine publikationstaugliche Form zu gießen.

Das Trauma-Bindungs-Schema ist ausgesprochen klärend, um die Dynamik zwischen Liebespartnern zu verstehen. Therapeutinnen, Beratern und Fachkräften gibt es, zusammen mit dem begleitenden Behandlungsprotokoll, wertvolle Hinweise und eine klare Struktur, wie mit dem Paar gearbeitet werden kann. Doch auch den verstrickten, verwirrten und tief verunsicherten Paaren bietet das Trauma-Bindungs-Schema eine neue Orientierung und ein besseres Verständnis für ihre schrecklichen Krisen. Eine gute Theorie ist aus meiner Sicht nur so wertvoll, wie sie für Laien nachvollziehbar und im Paaralltag praxistauglich ist. Ich konnte die Erfahrung machen, dass es sogar Menschen mit einer Borderline-Störung gelingt, die innere Spaltung zu erkennen und den unfairsten Frauen bzw. den distanziertesten Männern die grausamsten Gemeinheiten einzugestehen. Wie bedeutsam das ist, erkennt jeder, der weiß, wie hartnäckig Widerstände in der Therapie geäußert werden oder wie wenig kämpfende Partner bereit sind, Zugeständnisse zu machen.

Zum Aufbau des Buches

Die einzelnen Kapitel sind so aufgebaut, dass das Trauma-Bindungs-Schema nach und nach theoretisch hergeleitet und die Behandlung des Paares Schritt für Schritt angegangen wird. So könnte der Paartherapeut, der sich noch wenig mit dem Thema Traumatisierung beschäftigt hat, nach dem ersten Kapitel mit einem konkreten traumatisierten Paar starten. Auch die Traumatherapeutin, die wenig Erfahrung mit der Beratung von Paaren hat, findet mit dem Buch einen guten Einstieg in diese Königsdisziplin der therapeutischen Begleitung. Am Ende eines jeden Kapitels führt jeweils eine konkrete therapeutische Methode zur nächsten Handlung mit dem traumatisierten Klientenpaar.

Am Anfang steht ein Test, mit dem sich prüfen lässt, ob eine Traumatisierung den eskalierenden Beziehungskrisen zugrunde liegt. Er wird im ersten Kapitel auf die Posttraumatische Belastungsstörung bezogen, ist aber auch zur Diagnostik der komplexen traumazentrierten Beziehungsstörung (eine für dieses Buch definierte Kategorie) einsetzbar.

Das zweite Kapitel leitet das Trauma-Bindungs-Schema aus der Bindungstheorie her, wobei es speziell um den desorientierten Bindungsstil geht. Die Bindungsfähigkeit eines traumatisierten Menschen leidet besonders, wenn die eigenen Eltern zu Schädigern wurden. Die Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit führt bei gleichzeitiger Bindungsstörung zu einem paradoxen Beziehungsideal. Die klischeeanfällige Vorstellung von Liebe im Spannungsfeld einer traumazentrierten Bindungsstörung und dem Zusammenbruch von Rettungsillusionen zeigt sich in dem typischen Streit-Szenario des Paares. Zur Konkretisierung dieses zentralen Konflikts kann das Malen einer Krisen-Skizze für eine Therapeutin ebenso aufschlussreich sein wie für das betroffene Paar.

Da gerade traumatisierte Paare zu erbitterten Wortgefechten, manchmal sogar zu körperlichen Übergriffen neigen, kommt der konsequenten Beendigung des Streitens oder kalten Krieges eine ganz besondere Bedeutung zu. Im dritten Kapitel füge ich dem Bindungs-Schema traumatisierter Personen das Drama-Dreieck der Transaktionsanalyse hinzu und weise nach, dass der Scheindialog zwischen Täter, Opfer und Retter die paradoxe Dynamik zwischen inneren Verletzungen und äußeren Kämpfen auf das Gefährlichste anheizt. Bedenken wir die Wirkung auf die inneren traumatisierten Kinder, die aufs Heftigste von der besseren Hälfte attackiert werden, kommt der Ausstieg aus dem Streit aktivem Kindesschutz gleich. Ein Waffenstillstand scheint nahezu illusorisch und deshalb muss er dem Paar so geschickt wie möglich vermittelt werden, damit er überhaupt zustande kommt und damit er auch hält. Für Fachpersonen gibt es in diesem Kapitel konkrete Anleitungen und Hilfsmittel. Außerdem gibt es einen für Laien heruntergebrochenen Text über die komplizierten Zusammenhänge und Abläufe im Gehirn bei Stress, Streit und Trauma.

Im Mittelpunkt des vierten Kapitels steht das Emotions-Skript. Diese Methode habe ich aus der strukturierten Traumaintervention von Dorothea Weinberg übernommen. Eigentlich für traumatisierte Kinder entwickelt, eignet sich dieses Vorgehen hervorragend zum Einsatz in der Paararbeit. In dem comicartigen Nachskizieren einer besonders traumatischen Kindheitserinnerung findet das Paar zu einem ersten Verständnis des eigenen Bindungsstils – der wichtigste Schritt in Richtung Trauma-Bindungs-Schema. Weiterhin sind die entwicklungstheoretischen Zusammenhänge, die das vierte Kapitel einleiten, für die traumasensible Paartherapeutin wesentlich, um das Entwicklungstrauma zu entschlüsseln.

Das fünfte Kapitel befasst sich mit der Erstellung des Trauma-Bindungs-Schemas und mit den vier inneren Anteilen: Täter, Opfer, Ideal-Selbst und eingesperrtes inneres Kind. Der Paarberater wird angeleitet, mit jedem der beiden Partner ein solches individuelles Trauma-Bindungs-Schema zu füllen, dessen Analyse von diagnostischer Relevanz ist. Ausgehend von der Theorie der Basisemotionen (Paul Ekman) und den emotionalen Grundkonflikten aus der Widerstandsanalyse Wilhelm Reichs werden Typen von verschiedenen Täterpersönlichkeiten speziellen Traumafolgestörungen des Opfer gegenübergestellt. Da Menschen wegen der nicht erinnerbaren Kindheitstraumata zum Wiederholungszwang in der Partnerschaft neigen, ergeben sich für begleitende Fachpersonen daraus wertvolle Hinweise. Auch dem Paar gelingt es, eine Verbindung zwischen Kindheitserfahrung und Krisenmuster zu ziehen.

Im Kapitel 6 werden beide Trauma-Bindungs-Schemata der Partner miteinander verbunden, sodass sich die gesamte Dramatik des Krisenmusters eines Paares offenbart. Die Anteile der beiden Schatten weisen konfrontierend aufeinander. Schatten und Ideal-Selbst sind Begriffe aus der analytischen Psychotherapie nach C.G. Jung, für die Nutzung zur traumatisierten Paartherapie verbunden mit dem Differenzierungsansatz David Schnarchs, einem amerikanischen Paar- und Sexualtherapeuten. Um die Drama-Bühne zu verlassen, muss das Paar in seiner Beziehungskompetenz wachsen. Ausgehend von den Bewusstseinsstufen Ken Wilbers und Martin Uciks habe ich fünf Ebenen der Beziehungskompetenz entwickelt, die die Differenzierungsfähigkeit des Paares anheben. An der Metapher eines Beziehungshauses werden diese Beziehungsebenen nachvollziehbar. Das Traum(a)-Haus-Konzept bildet zudem die hirnphysiologischen Emotions-Zustände ab. Für Paare ist diese Abbildung eines Hauses mit den Beziehungsebenen von hohem Erklärungswert. Spezielle Paaranalysen, die den gesamten Therapieprozess umfassen, zeigen exemplarisch die Arbeit mit unterschiedlichen Traumathemen.

Im Kapitel 7 folgt eine Anleitung zur Aussöhnung mit der Trauma-Bestie. Diese gelingt am ehesten, sobald die negative Energie des roten Traumadialogs in einen prophylaktischen grünen Beziehungsdialog überführt wird. Ausgehend von der Affekttheorie arbeitet das Paar mit der Resonanzskala und löst damit drängende Beziehungsthemen. Wirkungsvolle Gesprächstechniken aus der Paartherapie und dem Coaching werden hier mit dem hirngerechten Bewertungssystem verknüpft. Dem Paar erschließen sich so die Gesetzmäßigkeiten heilsamer Beziehungen. Wesentlich für die traumasensible Paartherapeutin ist, die Kriterien seelischer Gesundheit zu kennen, die aus der OPD (Operationalsierte Psychodynamische Diagnostik) entnommen wurden.

Nachdem Hannes und Jutta alle Schritte ihrer Paararbeit im Aufwind-Institut durchlaufen hatten, wollten sie an dem Seminar für Traum(a)-Paare teilnehmen. Sie wagten es, eine Aufstellung ihrer Trauma-Bindungs-Schemata mit anderen Paaren und teilnehmenden Therapeutinnen und Beratern in der Ausbildung durchzuführen. Hannes und Jutta hatten einen langen Weg zurückgelegt und stritten nicht mehr miteinander. Ruhe und Frieden waren in ihre Beziehung eingekehrt. Dennoch erschütterte die Arbeit an den Trauma-Bindungs-Schemata im Schutz der Gruppe sie beide bis in die Grundfesten der Persönlichkeit. Erleichtert, dankbar und weinend stand das mutige Paar, Vorbild für alle weiteren Teilnehmer/innen des Seminares, eng umschlungen in der Mitte des Raumes. Alle Männer und Frauen bildeten einen Kreis um sie herum. Das Ho’oponopono-Lied eines hawaianischen Vergebungsrituals erfüllte mit seinen wundervollen Klängen die Herzen. Fast alle weinten voller Glück, Rührung und eigener Betroffenheit.

Von außen umrundete ich den Kreis. Jutta und Hannes drehten sich langsam mit geöffneten Augen in der Runde und blickten der Reihe nach jeden voller Offenheit an. Immer wieder trafen sich auch unsere Blicke.

Dieses Glück und diese Erfüllung gönne ich jedem Paar. Diese sinnliche und sinnvolle Arbeit möchte ich weitergeben und meine Dankbarkeit teilen.

1. Streit und Beziehungsdramen – Symptom einer Traumafolgestörung?

„Ich glaube, dass der Kern jeder Traumatisierung in extremer Einsamkeit besteht. Im äußersten Verlassen-Sein. Damit ist sie häufig, bei Gewalttrauma immer, auch eine Traumatisierung der Beziehungen und der Beziehungsfähigkeit. Eine liebevolle Beziehung, wird unerlässlich sein, um überhaupt von einem Trauma genesen zu können.“

(Onno van der Hart)

Ich will eine Hypothese an den Anfang dieses Buches stellen:

Viele Paare, die häufig streiten oder eskalierende Dramen erleben, zeigen oftmals das Symptombild einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung. Dieser komplexen Traumafolgestörung liegt aller Wahrscheinlichkeit nach eine traumanahe Kindheit zugrunde.

Diese Hypothese hat weitreichende Konsequenzen für die Arbeit mit Paaren und zugleich für die Ausbildung zur Paartherapie oder Paarberatung. Wenn streitende Paare durch eskalierende Auseinandersetzungen – nicht nur in meiner Praxis – mit den Symptomen einer komplexen Traumafolgestörung aufwarten, sondern auch in anderen Praxen auffallen, wird es Zeit für einen fachspezifischen Umdenkprozess.

Ich möchte in diesem Kapitel Beispiele dafür anführen, welche Verhaltensweisen in der ersten Informationsstunde von Paaren gezeigt und mit welchen Schilderungen die Beziehungsproblematik umrissen wird. Diese ersten Beobachtungen gleichen in eklatanter Weise den Symptomen der komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung, vergleichen wir diese Beschreibungen mit der traumaspezifischen Fachliteratur. Eine komplexe Traumafolgestörung führt zu einer Persönlichkeitsveränderung, die vor allem in einer Liebesbeziehung auffällt. Um diese Zusammenhänge für die eigene Person oder für die Klienten einzuschätzen, habe ich aus wissenschaftlichen Abhandlungen einen Test zusammengestellt, der Aufschluss darüber gibt, ob ein Beziehungstrauma in die Partnerschaft hineinwirkt oder nicht.

Am Ende dieses Kapitels wird eine Definition der Symptome stehen, die bei einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung in einer Paarbeziehung auftreten. Es wird deutlich werden, woran diese Störung zu erkennen ist und wie sie konkret belegt werden kann. Im 2. Kapitel wird es dann um die Frage gehen, welche Auswirkungen diese neuen Erkenntnisse auf den Umgang mit betroffenen Paaren haben. Wenn meine oben aufgestellte Hypothese stimmt, dann brauchen diese Menschen weder Kommunikationstrainings noch die allseits empfohlenen Interventionen aus der normalen Beratungspraxis, sondern ganz andere, eher spezielle traumatherapeutische Methoden.

Mit diesem Buch möchte ich für die traumasensible Paartherapie eintreten. Aus meiner Sicht wird man traumatisierten Menschen, die eine Paarberatung aufsuchen, so lange nicht gerecht, solange die Behandlungsansätze aus der Traumatherapie nicht mit denen der Paartherapie verknüpft werden. Deswegen liegt der Fokus in der traumasensiblen Paartherapie auf Streit- und Dramapaaren, um die Hypothese „Streit in der Partnerschaft liegt an den Traumahintergründen der Herkunftsfamilien“ nachvollziehbar zu machen.

1.1 Streit- und Dramapaare beim ersten Kontakt

In meiner Praxis ist es üblich, ein neues Paar zu einer ersten Informationsstunde einzuladen, in der wir überlegen, welchen Weg wir gemeinsam gehen können. Nicht bei jedem Paar liegt den Beziehungskrisen ein Trauma aus der Kindheit zugrunde. Nicht jedes schlimme Ereignis aus der Kindheit führt zu einer komplexen Traumafolgestörung. Und nicht jedes Paar zeigt schon beim ersten Kontakt heftige Reaktionen, die den unten beschriebenen gleichen. Doch wenn ich mir die Kriterien der komplexen PTBS anschaue, zeigen sich mir bei Paaren erstaunlich häufig Hinweise auf ein zurückliegendes Trauma.

Damit Sie meiner Argumentation folgen können, will ich zunächst die Symptome zusammenfassen. Menschen mit einer „komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung“, auch bezeichnet als Bindungs- und Beziehungstraumatisierung, zeigen nach Wolfgang Wöller (2009) folgende Symptome einer Persönlichkeitsstörung:

chronische Affektdysregulation

Schwierigkeit, Ärger zu modulieren

selbstdestruktives und suizidales Verhalten

Schwierigkeit, sexuelles Kontaktverhalten zu modulieren

impulsive und risikoreiche Verhaltensweisen

Änderungen in der Selbstwahrnehmung: chronische Schuldgefühle; Selbstvorwürfe; Gefühle, nichts bewirken zu können; Gefühle, fortgesetzt geschädigt zu werden

Änderung in der Wahrnehmung des Schädigers: verzerrte Einstellungen und Idealisierung des Schädigers

Veränderung der Beziehung zu anderen Menschen

Unfähigkeit, zu vertrauen und Beziehungen zu anderen aufrechtzuerhalten

Tendenz, erneut Opfer zu werden

Tendenz, andere zum Opfer zu machen

Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit

Verlust der bisherigen Lebensüberzeugungen

depressive Symptome

emotionale Instabilität

dissoziative Phänomene

Somatisierungsstörungen

funktionelle Sexualstörungen

körperliche Erkrankungen

Angststörungen und Panikattacken

Essstörungen

Substanzmittelmissbrauch

Gehen wir diese Liste Punkt für Punkt durch und haben dabei vor allem Streitpaare im Blick, wird klar, wie viele dieser Punkte jeweils zutreffen. In Krisen reagieren Menschen oft mit Stressverhalten und Paare suchen meist dann eine Beratung auf, wenn sie schwerwiegende Konflikte haben. Läuft es dann wieder besser, gibt es vermutlich auch weniger Übereinstimmungen mit der oben beschriebenen Symptomatik. Doch was tun wir komplex traumatisierten Menschen an, wenn wir sie mit der Empfehlung nach Hause schicken, sie sollten sich selbst lieben lernen, Kommunikationstechniken üben oder sexuelle Probleme als Zeichen einer Sexualstörung betrachten? Das zumindest sind scheinbar die in vielen psychologischen Ratgebern üblichen Strategien. Sie als Leser/innen dieser Zeilen mögen anders dazu stehen. Doch es kommen Paare zu mir, die es mit genau diesen in ihrem Fall verheerend wirkenden Ratschlägen versucht haben.

Im Folgenden möchte ich am Beispiel von zwölf Paaren zeigen, wie sich im Erstkontakt die Symptome einer komplexen PTBS zeigen. Dann möchte ich elf weitere Paare vorstellen, die von Verhaltensweisen berichten, die auf das Vorliegen einer komplexen PTBS hinweisen.

Der Mann sitzt zitternd und ansonsten völlig erstarrt neben seiner Partnerin. Er war zuvor aus dem Behandlungsraum gelaufen, kam jedoch zurück, nachdem die aufgebrachte Frau ihn mit Worten aufs Schlimmste beschämt hatte.

Ein älterer Mann spricht verachtend von seiner jungen Frau als „die da“. Sie würde grundlos leiden, nur weil er auch mal eine andere Frau anschaue. Sie bringt lediglich heraus, dass er regelmäßig Affären habe. Ansonsten hockt sie völlig verschüchtert und verstummt vor mir.

Nachdem ein Paar seine aktuellen Probleme umrissen hat, läuft die Frau zunächst wie ein gefangener Tiger im Behandlungsraum auf und ab und kauert schließlich wie ein verfolgter Hase in einer Ecke des Raumes. Sie beschimpft ihren Mann und dieser schaut starr in die hinterste entgegensetzte Ecke der Zimmerdecke.

Ein junges Paar sitzt auf der Therapiecouch; sie auf der einen äußersten Kante, er auf der anderen. Beide schreien sich lautstark an; an mich haben sie bisher kaum mehr als ein paar Worte gerichtet.

Kaum dass sie Platz genommen hat, fängt eine Klientin an zu weinen. Sie weint die ganze Stunde, am ganzen Körper bebend. Ihr Partner schaut betroffen zu Boden. Ein Gespräch ist kaum möglich.

In meinem Therapieraum steht eine Pflanze, die an diesem Tag die Blätter hängen lässt. „Hoffentlich sind Sie nicht genauso traurig wie meine Pflanze“, meine ich, bevor ich in meinen Sessel sinke. Die Frau nickt nur noch schwach und bricht dann in Tränen aus. Ihr Mann blickt mit leeren Augen vor sich hin, als wäre er gar nicht wirklich anwesend.

Ein Klient ruckelt auf der Couch herum, mit einem Hang zu nervösen Ticks. Sein apathischer Gesichtsausdruck verändert sich auch dann nicht, als seine Frau grinsend von ihrer Affäre und dem anschließenden Selbstmordversuch ihres Mannes berichtet.

Ein weiteres Paar kommt wegen einer Trennungsbegleitung. Der Mann steht kurz vor einer seiner häufigen Migräneattacken. Als ich eine Frage zu seiner Kindheit stelle, beginnt er unkontrolliert zu zittern.

Zwei junge Menschen sitzen stocksteif und kerzengerade auf dem vordersten Rand des roten Paarsofas und halten sich bang an den Händen. Beide sind Ende 30 und wünschen sich ein Kind. Sie sind seit zehn Jahren ein Paar und wollen lernen, wie Geschlechtsverkehr geht.

Ein humorvolles und sehr sympathisches Paar erzählt spontan, Sex sei nichts für sie, sie lebten lieber keusch und das sei für sie stimmig. Doch nun hat die Frau sich in ihren Vorgesetzten verliebt. Beide giggeln wie verschämte Kinder.

Ein attraktiver Mitvierziger führte seine übergewichtige Partnerin genervt die Treppen zur Praxis hoch. Sie kommen wegen der Messi-Symptomatik der Frau, die außerdem der Social-Media-Welt verfallen sei. Als der Mann gegen Ende der Stunde kurz zur Toilette geht, deutet die niedergedrückte Frau an, dass er zur Gewalt neige.

Der junge Manager-Typ steht bei unserem ersten Kontakt extrem unter Strom, schaut ständig auf seine Uhr und sein Handy. Mit überheblicher Verachtung berichtet die Frau von seiner sexuellen „Perversion“. Da übernimmt er das Gespräch und berichtet in Stakkato-Tempo von der letzten therapeutischen Diagnose seiner „Sexualstörung“.

Die zitternden, weinenden, erstarrten oder hyperaufgeregten Reaktionen könnten – wie oben nachzulesen ist – auf eine Traumfolgestörung, zumindest jedoch auf eine schwerwiegende Stressreaktion hinweisen. Sicherlich spielt hier auch die Situation eine Rolle: Unsicherheit wegen des Erstkontaktes mit einer fremden und womöglich streng richtenden Paartherapeutin. Wenn wir uns jedoch weitere elf Paare ansehen, die über ihre bessere Hälfte reden, dann fallen wieder Parallelen zur oben aufgeführten Symptomatik einer komplexen PTBS oder Persönlichkeitsstörung auf.

An dieser Stelle möchte ich betonen, dass der Begriff der „Störung“ nicht meiner inneren Überzeugung entspricht. Vielmehr gehe ich davon aus, dass schädigende Verhaltensweisen in einer schwierigen Lebenssituation erworben wurden, die dem Schutz oder gar dem Überleben des damaligen Kindes dienten. Doch in der Fachliteratur, in den diagnostischen Manualen und den Handbüchern der traumazentrierten Fachverbände wird der Begriff der Störung verwendet, um klinische Erscheinungsbilder voneinander abzugrenzen. Mir ist daran gelegen, die Hinweise einer Traumatisierung ernst zu nehmen und die Fachwelt sowie das betroffene Paar für meine Hypothese zu sensibilisieren. Aus diesem Grunde will ich vorerst im Jargon der wissenschaftlichen Diagnostik bleiben, bevor ich wieder das subjektive Befinden der leidenden Einzelperson in den Mittelpunkt stelle.

Doch jetzt zu den Beschwerden, die Paare übereinander im ersten Kontakt vorbringen. Bei genauer Betrachtung finden sich wieder viele Aspekte der komplexen PTBS.

Beide gehen ausführlich auf die häufigen Klinikaufhalte der Frau in psychosomatischen Einrichtungen ein. Seine Partnerin falle ständig aus, und dann müsse er neben seinem stressigen Beruf für die Kinder sorgen.

Wann immer die Frau einen Konflikt anspricht, würde der Ehemann verstummen – und das über Tage oder Wochen. Dieses stoische Schweigen war bereits Grund für die Trennung von seiner ersten Frau.

Bereits ganz zu Beginn der Partnerschaft seien das häufige Trinken und die kontrollierende Eifersucht des Mannes ein großes Problem gewesen. Komme es ganz schlimm, würde er die Frau auch am Verlassen der Wohnung hindern und die Haustür versperren.

Einmal die Woche, wenn nicht öfter, würde das Paar lautstark vor dem Kinderzimmer streiten. Da es bei der letzten Krise sogar zu Handgreiflichkeiten gekommen war, hätten beide beschlossen, eine Paarberatung aufzusuchen.

Die freiheitsliebende Partnerin kommt regelmäßig zu spät und neuerdings sogar erst am frühen Morgen nach Hause. Zuletzt wollte der Mann sie zu einer Stellungnahme für ihr rücksichtsloses Benehmen nötigen. Sie habe ihm die Tür vor der Nase zugeschlagen, er habe die Tür dann eingetreten. Ehe er sich versah, hatte die Frau ihn bei Nacht und Nebel auf die Straße gesetzt.

Sehr verschämt berichtet ein langjährig liiertes Ehepaar von einem sexuellen Arrangement. Die Frau wäre bereit, sich dreimal pro Woche hinzugeben, damit der Mann nicht mehr so aggressiv sei. Die Wutanfälle des Mannes seien seither zurückgegangen, doch nun leide sie an einer Sexualstörung. Ihre Scheide würde sich verkrampfen. Was könne man da nun machen?

Ein Paar steht kurz vor einer beruflichen Veränderung und dem Umzug in eine neue Stadt. Seit drei Jahren leben sie mit minimaler Möblierung und ohne Küche oder Esstisch. Nun würden sie ständig streiten, ob die neue Wohnung in einem Alt- oder Neubau sein solle. Seine Frau sei völlig hysterisch wegen des geplanten Kamins.

Ihr alkoholisierter Partner habe sie durch das ganze Haus verfolgt, berichtet die Frau. Zu Beginn der Beziehung habe er ihr den Himmel auf Erden versprochen. Nun habe er ihr Tagebuch zerrissen, ihr Prügel angedroht und sie habe ein riesiges Lager mit leeren Weinflaschen im Keller entdeckt.

Seine Frau leide unter einer schweren Depression, sie würde nur noch im Bett liegen. Das ginge dann über Tage. So sehr er ihr auch ihre Ruhe ließe, sie würde sich nicht erholen. Die Frau berichtet, es gäbe keinerlei liebevolle Berührung von ihrem Mann.

Bei einem Paar arbeitet die Frau als Prostituierte, doch deswegen seien sie nicht gekommen. Dieser Nebenerwerb ermögliche dem Paar größere Anschaffungen. Dumm seien nur die Freier, die auf Vergewaltigungen stehen. Auch die Essstörung der Frau sei nicht so wichtig. Sie wollten indes seine chaotische Unordentlichkeit in den Griff bekommen.

Ein sehr schüchterner Mann klagt über die mangelnde Mütterlichkeit seiner Frau. Sie sei zudem so empfindlich und würde wegen Kleinigkeiten völlig überzogen reagieren. Ein Beispiel soll das verdeutlichen: An einem Abend folgte er seiner Frau heimlich beim Joggen. Da sie sich im Dunklen vor einem potenziellen Vergewaltiger fürchtete, floh sie panisch. Er rannte ihr hinterher.

Vielleicht erleben Sie als Therapeut/in mit „Ihren“ Paaren Vergleichbares oder Sie finden sich als Paar in den Beschreibungen wieder. Wenn nicht, darf ich Ihnen versichern, dass es sich tatsächlich um 23 unterschiedliche Paare handelt und ich könnte diese Liste mit Beispielen beliebig verlängern. Aufgrund meines Schwerpunktes „Paare und Trauma“ kommen sicherlich ganz spezielle Paare in das Aufwind-Institut. Doch wie erklärt es sich, dass unter den 23 kurz beschriebenen Paaren auch einige sind, die aus dem unmittelbaren Umfeld und nicht speziell wegen meines Ansatzes kommen?

Als ich 20 Paare für meine Diplomarbeit und zusätzliche 27 Paare für meine Doktorarbeit befragte, zeigten zwei Drittel der interviewten Personen entweder die Symptome einer komplexen PTBS oder berichteten von schwerwiegenden Traumata in der Kindheit durch die eigenen kriegstraumatisierten Eltern.

Womöglich ziehe ich traumatisierte Menschen an oder finde dort extreme Schädigungen, wo andere niemals etwas vermuten würden. Vielleicht achte ich auch mehr auf die Folgen einer Traumatisierung, da ich eine Affinität für dieses Thema habe und auch wissenschaftlich (Habilitation) in diesem Bereich gearbeitet habe. Doch so ganz alleine stehe ich damit nicht, denn auf dem Cover einer DVD zu einem Vortrag und Workshop über Paare und Trauma von Michaela Huber (ebenfalls eine seit Jahren erfahrene Autorin, Psychotherapeutin und Trauma-Expertin, bekannt für viele Fachbücher zur Behandlung traumatisierter Menschen) ist zu lesen: „Das Überwinden leidvoller Beziehungsmuster ist von großer Bedeutung, da allgegenwärtig: In jeder zweiten Partnerschaft ist mindestens einer von beiden traumatisiert.“ Und weiter: „Obwohl die Betroffenen alles anders machen wollen, werden in der Kindheit gemachte Bindungserfahrungen an Partner oder Kinder weitergegeben und wiederholen sich, meist unbewusst und über Generationen hinweg.“ Hier will ich anknüpfen.

Traumatisierende Bindungserfahrungen führen zu der bereits erwähnten komplexen PTBS. Deswegen soll es im Folgenden um eine Definition dieser „Störung“ gehen. Sie kann uns helfen, die Erscheinungsformen von Krise, Streit und Drama der oben vorgestellten Paare besser zu verstehen und dem möglichen Ursprung ihres Leidens auf die Spur zu kommen.

1.2 Ausprägung und Ursache einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung

Es wird unterschieden zwischen einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung. Während die PTBS ihre Ursache eher in externen Faktoren wie Krieg, Gefangenschaft, Naturkatastrophen, Unfällen oder einschneidenden akuten Gefahren hat, wird die komplexe PTBS durch Menschen verursacht, vor allem durch nahestehende Bezugspersonen, die über einen längeren Zeitraum Kinder in deren hirnphysiologisch sensiblen Reifungsphasen schädigen oder bedrohen. Hierunter fallen Gewalt, Freiheitsberaubung, sexueller Missbrauch, emotionale Erpressung auf der aktiven Seite und Krankheit, Drogenkonsum, Alkoholismus, schwere Vernachlässigung oder psychische Erkrankung auf der passiven Seite. Die komplexe PTBS entsteht durch traumatisierende Beziehungsmuster und führt zur lang anhaltenden Belastung und infolge der Entwicklungsschädigung oftmals zu einer Persönlichkeitsstörung.

Die typische Diagnose der Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) umfasst nur unzureichend die entwicklungseinschränkenden Folgen eines Beziehungstraumas. Wenn die eigenen Eltern das Kind schädigen, wenn also das Trauma durch die zwischenmenschlich fehlgeleitete Interaktion verursacht wurde, dann greifen die Beschreibungen der PTBS zu kurz. Sechs Fachgesellschaften (DeGPT, DGPM, DKPM, DGPs, DGPT, DGPPN) haben sich deshalb auf die folgende Definition der PTBS geeinigt:

„Die Posttraumatische Belastungsstörung ist eine mögliche Folgereaktion eines oder mehrerer Ereignisse (wie z. B. Erleben von körperlicher und sexualisierter Gewalt, auch in der Kindheit, Vergewaltigung, gewalttätige Angriffe auf die eigene Person, Entführung, Geiselnahme, Terroranschlag, Krieg, Kriegsgefangenschaft, politische Haft, Folterung, Gefangenschaft in einem Konzentrationslager, Natur- oder durch Menschen verursachte Katastrophen, Unfälle oder die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit), die an der eigenen Person, aber auch an fremden Personen erlebt werden können. In vielen Fällen kommt es zum Gefühl von Hilflosigkeit und durch das traumatische Erleben zu einer Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses“ (Flatten & Gast 2013, S. 3).

Die Deutschsprachige Gesellschaft für Psychotraumatologie (DeGPT) gibt zu bedenken, dass die komplexe PTBS in den diagnostischen Manualen kaum Berücksichtigung findet und von daher traumatisierte Menschen keine adäquate Traumatherapie erhalten. Aus meiner Sicht gilt dies insbesondere für die typischen Beziehungsstörungen, die Folge der komplexen PTBS sind. Die Definition der DeGPT legt den Rückschluss nahe, wie notwendig und wichtig eine traumasensible Paartherapie insbesondere für diese Art der seelischen Verwundung ist.

„Besonders schwere oder wiederholte bzw. lang anhaltende Traumatisierungen, zum Beispiel infolge psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalterfahrungen oder auch Erfahrungen körperlicher bzw. emotionaler Vernachlässigung in der Kindheit, können erhebliche Beeinträchtigungen des Erlebens, Denkens, Fühlens und auch der Interaktion mit der Umwelt nach sich ziehen. Bei vielen Betroffenen prägt sich ein vielfältiges Beschwerdebild aus, das ein Muster typischer Veränderungen beinhaltet und als komplexe Posttraumatische Belastungsstörung bezeichnet wird.

Oft haben die Betroffenen erhebliche Schwierigkeiten im Umgang mit belastenden oder unangenehmen Gefühlen wie zum Beispiel Ärger, Wut oder Trauer. Es gelingt ihnen nicht, die nötige Distanz zu den inneren Vorgängen herzustellen und sich selbst zu beruhigen. Entsprechend reagieren sie entweder unverhältnismäßig emotional, zum Teil bis hin zum Kontrollverlust, oder wenden große Kräfte auf, um die ihnen ‚bedrohlich‘ erscheinende eigene Emotionalität vor den Mitmenschen zu verbergen. Sind die Betroffenen in ihrer Regulationsfähigkeit überfordert, äußert sich das gelegentlich auch in Wutausbrüchen, fremd- bzw. selbstverletzendem Verhalten oder ‚Selbstberuhigungsversuchen‘ mittels Alkohol oder Drogen. 

Viele Betroffene erleben sich selbst als hilflos und haben das Gefühl, nur wenig Einfluss auf den Verlauf ihres Lebens nehmen zu können. Oft melden sich ausgeprägte Schuldgefühle, selbst in Situationen, in denen deutlich ist, dass der Betreffende keine Verantwortung zu tragen hat. Viele komplex Traumatisierte fühlen sich isoliert von ihren Mitmenschen und haben aufgrund von Schamgefühlen große Schwierigkeiten damit, sich anderen Menschen so zu zeigen, wie sie sind. Zumeist besteht nur ein geringes Selbstwertgefühl und häufig leben Betroffene in der Überzeugung, von niemandem wirklich verstanden zu werden.“1

Das wichtigste Kriterium der komplexen PTBS ist demnach die mangelnde Regulierungsfähigkeit affektiver Erregungszustände. Entweder ist ein betroffener Mensch auf dem einen Ende des Kontinuums depressiv, antriebslos und emotional abgestumpft, auf dem anderen Ende zeigen sich hingegen kaum zu kontrollierende Gefühlsausbrüche. Diese emotionale Instabilität geht einher mit Selbst- und Fremdabwertungen, mangelnder Selbstfürsorge, Angst vor dem Verlassen-Werden, Panikstörungen und einem intensiven Empfinden von Hilf- und Hoffnungslosigkeit.

Bis heute wird im DSM-5 keine Diagnose „Entwicklungsbezogene Traumafolgestörung“ aufgeführt. Dieser Begriff stammt von Bessel van der Kolk, der im Jahre 2009 nach umfassenden Studien und jahrelangen Forschungen mit Tausenden von betroffenen Kindern und deren Familien einen Antrag zur Übernahme dieser Störung einreichte, der als „diagnostisches Nischenthema“ abgelehnt wurde. Van der Kolk (2015, S. 193) beschreibt die „Entwicklungsbezogene Traumafolgestörung“ mit folgenden Worten: „Untersuchungen über die Folge von Kindheitstraumata im Kontext von Missbrauch, Misshandlung oder Vernachlässigung durch die primären Bezugspersonen deuten immer wieder auf chronische und schwerwiegende Probleme hinsichtlich der Emotionsregulierung, der Impulskontrolle, der Aufmerksamkeit und Kognition, dissoziativer Tendenzen, interpersonaler Beziehungen sowie der Schemata hin, welche die Kinder selbst und ihre Beziehungen betreffen.“

Diese mangelnde Aufmerksamkeit von Entscheidungsträgern im Bereich der Gesundheitsberufe gegenüber der Not traumatisierter Kinder ist vielleicht auch für die Ödnis in der Paartherapielandschaft verantwortlich, wenn es um traumatisierte Paare geht.

Doch was sagen meine Klienten, die zum Teil schon oben zu Wort gekommen sind? Das, was sie an Erlebnissen mit ihren Eltern berichten, macht die oben genannte Definition wesentlich konkreter.

„Meine Mutter hatte sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ich war sieben Jahre alt. Als ich sie fand, war das Bettzeug blutdurchtränkt. Wie ein Roboter rief ich den Notruf an. Der Krankenwagen hielt vor dem Haus. Die Sanitäter kamen. Ich stand frierend hinter dem Vorhang. Ich wusste nicht, ob sie es überleben würde. Mein Vater hatte uns verlassen.“

„Ich verkroch mich unter dem Bett. Mein Vater tobte vor der Kinderzimmertür. Ich zitterte und schlotterte voller Angst. Ich musste in den Pinkeltopf in meinem Zimmer pinkeln, obwohl der schon voll war. Um nicht durchzudrehen, zählte ich die Krümel auf dem Teppich.“

„Ich habe einen unbändigen Hass auf meinen Vater. Er hat mich geschlagen, wo er ging und stand. Von oben runter, einfach drauf. Mir wurde ständig schwarz vor Augen. Oder ich verprügelte meine Teddys. Blinde Wut. Rasender Zorn. Noch heute habe ich diese Anfälle. Dann schlage ich alles kaputt.“

„Wenn mein Mann an mein Bett kommt, wenn ich schlafe oder gerade aufwache, dann steht da plötzlich mein Vater am Bett. Ich könnte schreien. Doch ich werde starr vor Schreck. Auch wenn wir Sex haben, plötzlich schiebt sich das Bild meines Vaters dazwischen. Dann wehre ich mich wie ein Tier.“

„Als meine Frau auf mich einredete, verlor die ganze Welt an Realität. Aus mir entwich alle Energie, ich war wie ein willenloser Sack. Mein Vater hat mich so lange geschlagen, bis ich ohnmächtig am Boden lag, und meine Mutter sagte später, ich könne gut simulieren.“

„Mein Vater zerrte meine Mutter an den Haaren durch die Küche. Sie schrie wie eine Irre. Das Blut lief ihr übers Gesicht. Mein Vater holte mich aus dem Bett, damit ich mir all das ansehen sollte. Schließlich kotzte ich auf die Fliesen. Solche Szenen gab es jede Woche mindestens einmal. Ich könnte heute noch durchdrehen, wenn ich daran denke. Wenn mein Mann sauer auf mich ist, dann reiße ich mir die Haare aus und zerkratze mir das Gesicht. Es ist wie ein innerer Zwang.“

„Jede, aber auch jede Nacht kam mein Vater betrunken an mein Bett. Keine Nacht konnte ich durchschlafen. Der absolute Albtraum. Er lallte von seinen Leistungen und dass sein Vater ihn völlig verkannt habe. Jede Nacht musste ich mir anhören, wie gut er in der Schule war. Er brachte wirklich jede Nacht seine Zeugnisse an mein Bett und weinte bitterlich, weil sein Vater ihn nie gelobt hatte. Nun sollte ich ihn loben. Ich hatte keine Achtung vor ihm. Und ich habe es alles verdrängt, in eine Kiste verpackt und aus.“

„Als ich den Sarg meines Bruders sah, fuhr ein Blitz in meinen Körper. Ich sah nichts mehr, nur diesen offenen Sarg. Alles war dunkel, ich hatte nichts, ich fühlte nichts, ich hatte das Gefühl, als stünde ich in Flammen. Die Flammen waren blau und eiskalt. Ich war starr vor Schreck. Ich stand total gelähmt in der Ecke der Kirche. Der Küster sah mich. Er hob mich hoch und trug mich hinaus. Sonst würde ich vielleicht noch heute in dieser Kirche stehen. Meine Eltern waren so mit ihrer eigenen Trauer beschäftigt. Mein Vater schrie mal meine Mutter an, das habe ich gehört. Das falsche Kind sei gestorben. Ich wäre gerne für meinen Bruder gestorben. Später starb dann noch meine Schwester. Ich hasse es, wenn mein Mann permanent krank ist.“

Beziehen wir diese Erfahrungen von körperlicher Gewalt, sexuellen Übergriffen, Eingesperrt-Sein, durch die Eltern verursachte Katastrophen, von Streit, Depression, lebensbedrohlichen Krankheiten, Drogenmissbrauch und Selbstmord, Folter wie Schlafentzug, Essensentzug oder Verbannung aus der Familie, dann trifft die Definition zur komplexen PTBS hier durchaus zu. Die Täter sind keine fremden Menschen, die Verursacher keine Naturkräfte. Es sind Vertrauenspersonen im unmittelbaren Umfeld des Kindes, denen das Kind auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Bei einem sich noch in der Entwicklung befindenden kindlichen Gehirn kann man von Hilflosigkeit und Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses ausgehen.

Traumatisierende Extremerfahrungen greifen nachhaltig in die normale psychische Entwicklung eines Kindes ein. Letztere ist dann gegeben, wenn Eltern sich in den verschiedenen Entwicklungsphasen verlässlich und entwicklungsfördernd verhalten. Je heftiger jedoch Bezugsperson Annahme, Bindung, Wertschätzung, Autonomie oder Hingabe in ihr Gegenteil kehren, desto eher kommt es zu einer Traumatisierung (siehe Kapitel 5).

Die Folgen jahrelanger verdichteter und komplexer Erfahrungen mögen vielleicht nicht lebensbedrohlich sein, sie sind jedoch in ihrer Auswirkung auf die psychische Entwicklung und die Beziehungsfähigkeit des Menschen extrem schädigend. So sieht es auch Wolfgang Wöller in seinem umfangreichen Werk „Trauma und Persönlichkeitsstörungen“: „In frappierender Deutlichkeit dokumentiert die neurobiologische Forschung der letzten Jahre, dass ein chronisch beziehungstraumatisiertes Umfeld einem in der Reifung befindlichen Kind auch ohne das Vorkommen physischer Misshandlung oder sexueller Übergriffe schwerste Schäden zufügen kann. Diese Schäden reichen weit in die physiologischen Regulationsvorgänge hinein und hinterlassen bleibende Schäden im Bereich der Hirnkonstruktion, die vor allem für die Emotionsregulation von Bedeutung sind“ (Wöller 2006, S. 7).

Diese traumatisierenden Beziehungsmuster, denen das Kind über viele Jahre ausgesetzt ist, sind am Verhalten der Eltern festzumachen. Kindliche Belange werden entweder übersehen, ignoriert, absichtlich unbeantwortet oder gewaltvoll ausgetrieben. Das Kind wird nicht mehr als Subjekt geachtet, sondern zum Objekt der sexuellen, gewalttätigen, emotionalen oder körperlichen Bedürfnisse der Eltern degradiert. Protest, Leid oder Schutzmechanismen des Kindes werden oft umgedeutet, ausgeredet oder verharmlost. Das mangelnde Einfühlungsvermögen, die geringe Präsenz bis hin zur Freiheitsberaubung oder dem Alleingelassen-Werden kann wiederum auf eine ebenfalls vorliegende Traumatisierung der Eltern infolge des Krieges oder der lebensfeindlichen NS-Pädagogik zurückgeführt werden. Vom Kind, das diese Zusammenhänge nicht durchschauen kann, werden die emotionale Taubheit, aggressive Grausamkeit und das übergriffige Verhalten als Verrat erlebt. Das gilt auch für die Ignoranz von Eltern, die das Kind in einer kaum zu ertragenden Art und Weise überfordert. Doch selbst diese korrekte „Wahrnehmung“ wird dem Kind oftmals ausgeredet oder ausgetrieben, durch Bestrafung, Liebesentzug, ritualisierte Prügel oder emotionale Beschämung (siehe Kapitel 4).

1.3 Diagnose: „Traumazentrierte Beziehungsstörung“

Das Besondere an einem Trauma und ganz speziell an der Traumatisierung durch wichtige Bezugspersonen ist: Die Entwicklungsschädigung kann von den Betroffenen nicht realisiert werden. Das vernachlässigte, misshandelte, missbrauchte oder emotional geschädigte Kind muss mit den Schädigern unter einem Dach leben. Da eine normale Traumareaktion wie Angriff, Flucht oder schützendes Erstarren kaum möglich ist, hat das Kind keinen Ausweg. Es ist den Eltern ausgeliefert, die es das eine Mal als traumatisierend und das andere Mal wieder als fürsorglich erleben.

Später, als Erwachsene in einer Paarbeziehung ist das der komplexen PTBS zugrunde liegende Trauma höchst selten bewusst und wenn doch, wird es nicht in Verbindung mit den Beziehungskrisen gebracht. Gerade Krisenpaare neigen dazu, die eigenen Eltern zu schonen, wie schrecklich sie in der Kindheit auch gewesen sein mögen. Eher wird der Partner oder die Partnerin mit all der Wut und Verzweiflung konfrontiert, die sich im Inneren angestaut hat. Trotz oder sogar wegen ihrer entsetzlichen Kindheit stehen Menschen, die eine Paartherapie aufsuchen, im Beruf, ziehen ihre Kinder verantwortungsvoll groß und engagieren sich sozial. Zumindest hätte niemand auf Anhieb den Eindruck, hinter einem Paar mit Sexualstörungen, Krisen, einem „Friedhofsfrieden“ oder Trennungsabsichten könnte eine traumatisierende Kindheit stehen.

Weil sie den Zusammenhang zwischen Kindheitstrauma und Paarproblemen nicht wahrnehmen, wünschen sich traumatisierte Paare nichts so sehr wie eine funktionierende Partnerschaft, womöglich mit größerer Vehemenz als nicht traumatisierte Paare. So sieht es auch der bekannte Traumatherapeut Ulrich Sachsse (2009, S. 190): „Menschen mit Beziehungstraumata und traumatischen Erfahrungen physischer oder sexualisierter Gewalt suchen in der Welt (…) aktiv nach einer guten, idealen Beziehung, die ihnen immer gefehlt hat, in der sie Sicherheit und maximale Achtsamkeit finden – ohne Eigeninteresse des anderen. Sie suchen wie ein Kind nach einer Beziehung, in der sie nie verlassen, nie enttäuscht oder gar traumatisiert werden.“

Wer als Einzelperson eine Beratung aufsucht, tut dies aufgrund subjektiver Beschwerden, für die er sich fachkundige Hilfe wünscht. Bei einem Paar hingegen mit kaum auszuhaltenden Streitigkeiten, eskalierenden Krisen oder einer bereits ausgesprochenen Trennungsabsicht wird zu Beginn einer Beratung der Partner oder die Partnerin für die Misere verantwortlich gemacht. Aus „Ich habe ein Problem“ wird also „Mein Partner / meine Partnerin ist das Problem“. Die Ursachen für Beziehungskonflikte werden also im Beziehungsgeschehen sowie der Paardynamik gesehen und viele Paarberater/innen neigen dazu, die Deutung des unglücklichen Paares zu übernehmen. Nach einem Hinweis für das Vorliegen einer komplexen PTBS wird nicht gesucht.

Hinzu kommt: Die Kostenübernahme für Paartherapie oder Paarberatung (ich benutze diese beiden Begriffe synonym) ist keine erstattungsfähige Leistung der Krankenkassen. In den psychotherapeutischen Fachgesellschaften fristen Paartherapeuten ein Randdasein, und sie haben keinen eigenen Dachverband. Traumatherapeut/inn/en wiederum sind äußerst selten auf die Behandlung von Paaren spezialisiert. Auch gibt es kein Fachbuch zu diesem Thema.

Betroffene Paare werden also in vielfacher Hinsicht allein gelassen. Ein erster Schritt zur Verbesserung dieser Situation ist, aus der Traumafachliteratur eine Definition herzuleiten, die für die Diagnose einer sich in der Partnerschaft zeigenden komplexen PTBS geeignet ist.

In der Symptomliste konnten die Erscheinungsformen der komplexen PTBS bereits eingegrenzt werden. Diese Aufschlüsselung will ich im Folgenden auf die Partnerschaft beziehen und damit ein neues diagnostisches Kriterium vorschlagen: Die komplexe posttraumatische Beziehungs- und Bindungsstörung wird zur „traumazentrierten Beziehungsstörung“, die anhand folgender Kriterien zu diagnostizieren wäre.

Die Beziehungspartner äußern sich über:

starke emotionale Stimmungsausbrüche, Streit und Eskalation;

Schwierigkeiten, mit Emotionen (Angst, Trauer, Ärger, Scham und Schuld) beziehungserhaltend umzugehen;

beziehungs- oder selbstschädigendes Verhalten;

lang anhaltende sexuelle Störungen, die von Krisen oder Sprachlosigkeit begleitet sind;

gegeneinander gerichtetes impulsives und risikoreiches Verhalten ;

Vorwürfe, emotionale Erpressung, leidvolle Pattsituationen, beziehungsschädigende bis zerstörende Unzuverlässigkeit infolge verweigerter Absprachen;

die fehlende Basis von Vertrauen, Wertschätzung und die Tendenz zur Opfer- und Täterzuschreibung;

Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und kaum vorhandene sexuelle oder emotionale Bezogenheit;

eine depressive, ängstliche, aggressive, gewaltbereite, unterkühlte oder verachtende Grundstimmung in der Partnerschaft;

Situationen von längeren Rückzugsphasen ohne Absprache bzw. leidvoll erduldete Kontaktabbrüche;

heimliches oder nicht abwendbares Ausweichen auf Alkohol, Drogen, Pornografiekonsum oder andere zwanghafte, nicht kommunizierbare Ausweichmanöver vor den Kontaktwünschen des Partners / der Partnerin;

körperliche Symptome ohne organischen Befund, Stress- oder Burnout-Symptomatik ohne berufliche Krise.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Paare mit der Symptomatik einer „traumazentrierten Beziehungsstörung“ infolge einer komplexen Posttraumatischen Belastungsstörung zeichnen sich dadurch aus, dass sie viel und emotional eskalierend streiten, sich kaum emotional oder sexuell aufeinander beziehen und dass die Partnerschaft von einer negativen Grundstimmung geprägt ist, in der sich Kontaktabbrüche, Sprachlosigkeit, Stress sowie die Verweigerung von Absprachen schädigend auf alle Beteiligten, insbesondere die Kinder, auswirken.